PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Teil 2 – Manning: Ende der Demokratie in den USA?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 2.August 2013
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Diesem Beitrag ging voraus Teil 1

1) Wie gesagt, es geht in diesem Blog nicht primär um Politik, sondern um Philosophie. Andererseits findet Philosophie nicht ‚außerhalb‘ der Welt statt sondern wird von Gehirnen geleistet, die in Körpern stecken, die Teil von realen Prozessen sind. Und diese reale Prozesse haben auf vielfältige Weise einen Einfluss auf das, was man wahrnehmen, denken und tun kann. Sofern ein philosophisches Denken auf ‚Wahrheit‘ aus ist, d.h. auf jene Sicht der Wirklichkeit und der bekannten Welten, die den erfahrbaren Phänomenen ihre Erscheinungsweise von zugrundeliegenden Prinzipien her ‚erklärt‘, und wenn diese Überlegungen davon abhängen, ob sich der zugehörige Körper hinreichend frei bewegen kann, dann ist die Natur dieser realen Prozesse für das philosophische Denken nicht gleichgültig.
2) Die Vorgänge in den USA im Umfeld des Soldaten Manning und später die Ereignisse um Edward Snowdon erscheinen nun von einer Art zu sein, die man nicht mehr einfach so als ‚unter ferner liefen‘ abtun kann.
3) Der weltweite Einfluss der USA in sehr vielen Dimensionen ist so groß, dass ihr Verhalten nahezu alle Ländern dieser Erde (und damit auch ihre Menschen) nicht nur beeinflussen kann, sondern auch real beeinflusst. Allein die in den letzten Wochen durch die Aktion von Snowdon angestoßenen immer weiter sich entwickelnden Erkenntnisse zur realen Präsenz US-amerikanischer Geheimdienste in den Datenströmen weltweiten übertrifft tatsächlich selbst die Phantasien von Experten. Und, wie die zunehmend intensiven und sehr kritischen Diskussionen in den amerikanischen Medien zeigen, beginnt die amerikanische Öffentlichkeit schrittweise zu begreifen, dass diese Vorgänge an den Grundlagen der demokratischen Verfassung rühren.
4) Dabei mischen sich mindestens zwei Themen: das eine ist die Frag der Privatheit, die durch die übermäßige Überwachung in Frage gestellt zu sein scheint, das andere ist das Aufdecken von Rechtsbrüchen durch Regierungsstellen durch Whistleblower. Beides rührt an die Grundlagen der Demokratie. Während sich die Diskussion in Europa mehr am Thema der Überwachung festgebissen hat, wächst in den USA auch die Sorge, dass mit der Verurteilung von Manning ein fatales ‚Kritikverbot‘ installiert wird: was immer künftig eine Regierung hinter dem Rücken der Bürger an Fehlern begehen kann, an Unrechten verübt, künftig wird dies niemand mehr zur Anzeige bringen, da sowohl die ‚Quellen‘ wie auch ihre ‚Nutzer‘ (die Journalisten) damit zu Staatsverrätern werden, denen dann lebenslange Haft oder gar Tod drohen.
5) In Artikeln über den Manning-Prozess wird dies offen angesprochen (siehe Erik Wemple, Bradley Manning Urteil), allerdings erscheint solch eine kritische Haltung bislang eher nur eine Minderheit zu repräsentieren, die sich soweit vorwagt.
6) Bliebe es bei diesem Urteil, dann wären die Konsequenzen verheerend: das allgemeine Verbot jeglicher Kritik an Gesetzesverstößen staatlicher Stellen verknüpft mit extremer Geheimhaltung und verbunden mit einer nahezu allseitigen Überwachung würden alles in den Schatten stellen, was wir bislang aus der Geschichte von faschistischen autoritären Regimen wissen. Der Manning-Prozess kann das Ende der Demokratie in den USA einläuten.
7) Dazu kommt, dass die Art und Weise, wie Manning im Vorfeld des Prozesses behandelt wurde, jeglichem Rechtsstaat Hohn spricht. Dies war ein Verhalten, das die USA sonst sogenannten ‚Schurkenstaaten‘ vorwirft. Zudem wird der Prozeß von einem Sondergericht geführt, von einem Militärgericht, also einer Einrichtung, die genau mitverantwortlich ist für die Rechtsmissbräuche von Regierungsstellen. Die Ideologie vom Kampf gegen den Terror scheint weitgehend alle Rechtsgüter, die eine Demokratie auszeichnen, zu paralysieren.
8) Das durchgehende Schweigen der deutschen Regierung zu diesen Vorgängen, allen voran der Bundeskanzlerin, ist angesichts der großen Tragweite der Vorgänge nicht mehr nur peinlich, es ist bedrohlich was den Erhalt einer freien westlichen Welt betrifft. Gerade Deutschland sollte sich bewusst sein, dass das zu lange Schweigen zu Unrechtsvorgängen (verknüpft mit einer starken Rolle eines autistischen Militärs) der direkte Weg in eine Diktatur sein kann (und diese Bundeskanzlerin kommt sogar aus einer Diktatur; hat sie das alles vergessen?).

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Über cagent

Bin Philosoph, Theologe, Kognitionswissenschaftler und hatte seit 2001 eine Vertretungsprofessur und ab 2005 eine volle Professur im Fachbereich Informatik & Ingenieurswissenschaften der Frankfurt University of Applied Sciences inne. Meine Schwerpunke ab 2005 waren 'Dynamisches Wissen (KI)', 'Mensch Maschine Interaktion (MMI)' sowie 'Simulation'. In dieser Zeit konnte ich auch an die hundert interdisziplinäre Projekte begleiten. Mich interessieren die Grundstrukturen des Lebens, die Logik der Evolution, die Entstehung von Wissen ('Geist'), die Möglichkeiten computerbasierter Intelligenz, die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Technik, und der mögliche 'Sinn' von 'Leben' im 'Universum'. Ab 1.April 2017 bin ich emeritiert (= nicht mehr im aktiven Dienst). Neben ausgewählten Lehrveranstaltungen ('Citizen Science für Nachhaltige Entwicklung' (früher 'Kommunalplanung und Gamification. Labor für Bürgerbeteiligung')) arbeite ich zunehmend in einem integrierten Projekt mit Theorie, neuem Typ von Software und gesellschaftlicher Umsetzung (Initiative 'Bürger im Gespräch (BiG)). Die einschlägigen Blogs sind weiter cognitiveagent.org, uffmm.org sowie oksimo.org ... ja, ich war auch mal 'Mönch', 22 Jahre lang mit viel Mystik, Theologie und Philosophie; dabei u.a. einige Jahre Jugendsozialarbeiter.