NOTIZ: NATIONALE SICHERHEIT – ODER WIE MAN IM NAMEN DER DEMOKRATIE EINE DEMOKRATIE VERNICHTEN KANN

1. Eigentlich wäre dieses Thema eine größere ausführliche Untersuchung wert. Aber da ich aufgrund meiner vielen Verpflichtungen dazu auf absehbare Zeit nicht kommen werde, hier wenigstens ein paar Gedankenskizzen, um anzudeuten, warum und in welchem Sinne die Formel von der ‚Nationalen Sicherheit‘ eine der größten Bedrohung für eine Demokratie sein kann – und faktisch in den aktuellen Demokratien auch zu sein scheint.
2. Die Formel ‚Nationale Sicherheit‘ begegnet uns sehr oft in sogenannten Polit-Thrillern, in denen rechtschaffene Bürger, Beamte eher zufällig in ein Geschehen verwickelt werden, das sich im Laufe der Geschichte als ein Prozess enthüllt, in dem Teile von Regierungsstellen und damit kooperierenden Firmen unter dem Deckmantel von Nationaler Sicherheit individuellen Interessen nachgehen, die Gesetze verletzten, Menschen schaden, und den Staat unterminieren. Im Film schaffen es die ‚Guten‘ in der Regel, die ‚Bösen‘ zu überführen. Dass die meisten dieser Filme US-Produktionen sind liegt nicht nur allein darin begründet, dass es hier eine starke Filmindustrie gibt; die USA sind ein Musterstaat für eine Demokratie, in der unter dem Namen von ‚Nationaler Sicherheit‘ alles geht… Bislang hatten die USA aber auch immer jene ‚Helden‘, die sich immer wieder dagegen gestemmt haben und sich weiter dagegen stemmen.
3. Doch geht es hier nicht primär um die USA. Das Instrument der ‚Nationalen Sicherheit‘ ist ein generelles Instrument: prinzipiell ist es darauf ausgerichtet bestimmte Informationen über Personen, Sachen, und Vorgängen der ‚Öffentlichkeit‘ zu entziehen. In Phasen kriegerischer Auseinandersetzungen, wo es um Existenz oder Nichtexistenz eines Staates geht, kann dies punktuell unter klarer zeitlicher und sachlicher Begrenzung von großer Bedeutung sein.
4. Aber selbst in diesem eng umgrenzten Gebiet von militärischen Auseinandersetzungen wissen wir aus der Geschichte, dass der Gebrauch des Instrumentes ‚Nationale Sicherheit‘ oft genug Anlass war, dass Teile der militärischen und/ oder politischen Führung massives Fehlverhalten gezeigt haben, das unter dem Deckmantel der Geheimhaltung verborgen geblieben wäre, hätten nicht mutige Menschen immer wieder solche Machenschaften doch bekannt gemacht.
5. Die ‚Natur des Menschen‘ sowie die Komplexität von Prozessen sind eher so, dass Menschen immer (!) in Gefahr sind, Fehler zu begehen, zu versagen, zu missbrauchen. Noch so viel Pathos hat dies nie verhindert und wird es auf lange Zeit auch in der Zukunft nicht verhindern. Wenn man z.B. die verschiedenen Dokumentationen über den Umgang des US-Militärs sowohl mit seinen Kriegsversehrten wie auch mit den weiblichen Soldaten sieht, dann offenbaren sich hier im ganz ’normalen Alltag‘ (also nicht im Krieg) so viel Menschenverachtung und Rechtsbeugung, wie sie in diesem Ausmaß sonst kaum in der US-Gesellschaft zu finden sind. In Armeen von nicht-demokratischen Ländern ist dies so, weil Recht und Gesetzt dort schon aufgrund des Kontextes herunter gedimmt sind. In einer Demokratie wie der USA ist dies ein lebender Widerspruch.
6. Wenn also schon der normaler Alltag in einer Demokratie von Menschenverachtung und Rechtsbeugung geprägt ist, was darf man dann erwarten, wenn das Instrument der ‚Nationalen Sicherheit‘ zum Einsatz kommt? Die US-amerikanische Verfassung hatte eine gewisse Einsicht in diese potentielle Bedrohung der Demokratie von ‚innen‘ und hatte das Instrument der ‚Whistleblower‘ vorgesehen. Wenn aber diejenigen, die Missbrauch üben (sei es im Militär, sei es in anderen Regierungsstellen, sei es im Geheimdienst, sei es in beauftragten privaten Firmen usw.) zugleich auch diejenigen sind, die die ‚Deutungshoheit‘ haben, dann kann ein Instrument wie das des Schutzes von ‚Whistleblowern‘ zur Farce werden. Dazu kommt erschwerend, dass die ‚Justiz‘, die in demokratischen Ländern als ‚unabhängige‘ Instanz zum Schutze des Rechts eingerichtet worden ist, allem Anschein nach immer mehr zum ‚Mitläufer‘ des aktuellen Regierungshandelns wird. Dies hat viele Gründe. Einmal sind die Mitglieder des Justizapparates auch nur ’normale Menschen‘ mit Hang zur Bequemlichkeit, mit Ängsten und Vorurteilen; dann werden sie ja weitgehend von den exekutiven Stellen ‚ernannt‘, die sie kontrollieren sollen; ferner werden die Gesetze, die überwacht werden sollen, heute immer mehr so hin frisiert, dass sie möglichst wenig Angriffsmöglichkeiten bieten bzw. die Exekutive immer mehr Kontrolle über die Justiz erlangt. Und schließlich, wie Justizskandale immer wieder zeigen, gibt es auch Richter, die – analog zur Nationalen Sicherheit – die Unabhängigkeit der Justiz in einer Weise nutzen, die den eigenen Interessen mehr nutzen als der Bevölkerung, der sie ‚dienen‘ sollen.
7. Die Anzahl der bekanntgewordenen und dokumentierten Missbräuche seitens Regierungsstellen (einschließlich der Justiz) sind mittlerweile so groß, dass alle Anzeichen dafür sprechen, dass man die Einrichtung von ’nicht transparenten Bereichen‘ in einer Demokratie sachlich und zeitlich so eng wie möglich ziehen sollte, dazu mit der Möglichkeit einer nachträglichen Überprüfung. ‚Öffentlichkeit‘ ist der einzige wirksame ‚Schutz‘ einer Demokratie vor ‚Missbrauch durch die eigenen Institutionen‘.
8. Damit gewinnt eine ‚funktionierende Öffentlichkeit‘ die zentrale Rolle in einer Demokratie; sie ist quasi das ‚Blutsystem‘ des Körpers Demokratie: alle Mitglieder, alle Organe in einem Staat hängen in einer Demokratie einzig an der funktionierenden Öffentlichkeit. Sobald diese auch nur geschwächt wird, bilden sich verdeckte Prozesse, bilden sich Gruppierungen, die mehr ihre eigenen Interessen verfolgen als die, die allen dienen.
9. Wie steht es mit einer ‚funktionierenden Öffentlichkeit‘ in Demokratien, die von einer globalen Wirtschaft, von einer Netzwirtschaft geprägt sind, in denen die lokalen-nationalen Regierungen an Einfluss verlieren, dafür die Lobbyisten immer mehr gewinnen? Wer realisiert Öffentlichkeit, wenn die aktiven Medien mehr und mehr von Kapitalinteressen beherrscht werden, denen es primär um eigene Einflussnahme und reinem Gewinn geht? Wer soll Öffentlichkeit von gesellschaftlich-politischen Vorgängen schaffen, wen es keine ‚Journalisten‘ mehr gibt, die dafür bezahlt werden, dass sie dies tun? (abgesehen davon, dass Journalisten auch ’normale‘ Menschen sind, denen Regungen wie ‚Eitelkeit‘, ‚Geldgier‘, ‚Leidenschaften‘, ‚Voreingenommenheiten‘ usw. auch nicht fremd sind).
10. Vor diesem Gesamtszenario erscheint das Instrument der ‚Nationalen Sicherheit‘ wie ein Fremdkörper, der in keiner Weise in eine Demokratie hineinpasst. Dass in einem offiziell demokratischen Staat wie den USA unter dem Namen von ‚Nationaler Sicherheit‘ mittlerweile praktisch alles gerechtfertigt wird, nahezu jegliches Recht außer Kraft gesetzt ist, und ein Präsident zwar gewählt werden kann, aber als Präsident nahezu keinen Einfluss auf die verselbständigten Systeme von Militär-Geheimdiensten-kooperierenden Wirtschaft zu haben scheint, markiert deutlich, dass eine Gesellschaft zwar den ‚Namen‘ Demokratie haben kann, faktisch aber eher ein absolutistisches Regime repräsentiert, das aktuell durch keinerlei demokratische Prozesse mehr kontrolliert wird. Die Justiz hat längst keinen direkten Zugriff mehr bzw. ist ja Teil des Systems (so hat das Militär seine eigene Justiz, die von denen ausgeübt wird, die das Recht zuvor auf ihre Weise auslegen).
11. Im Nachhinein wurde oft gefragt, wie ein Hitler mit seinen Nationalsozialisten (oder ein Mussolini in Italien, ein Stalin in Russland, ein Mao in China, ein ….) einen solchen Einfluss gewinnen konnte. Es ist natürlich nie nur der direkte ;Missbrauch von Gesetzen und Institutionen, es ist auch die ‚allgemeine Stimmung‘, es sind die ‚vorherrschenden Meinungen‘, die eine ‚Atmosphäre‘ erzeugen, in der bestimmten Machtprozessen mehr Raum gewährt wird, als sie es eigentlich verdienen. Und unter dieser Rücksicht sind ALLE Menschen einer Gesellschaft verantwortlich für das, was täglich geschieht. ‚Die da oben‘ können nur dann ‚ihr Spielchen‘ spielen, wenn ‚die da unten‘ sich von vornherein und grundsätzlich ‚aus dem Spiel‘ nehmen.
12. Letztlich ist alles ein ‚Gesamtkunstwerk‘: so, wie eine Mannschaft nur dann eine ‚Meisterschaft‘ erringen kann, wenn alles zusammenpasst, so kann auch eine Demokratie nur funktionieren, wenn ALLE zusammenwirken. Jegliche Form von Ausgrenzung, Abgrenzungen, Verdeckungen, Privilegien, Klassenbildungen usw. sind Gift und widersprechen auch klar der Logik der bisherigen Evolution.

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Über cagent

Bin Philosoph, Theologe, Kognitionswissenschaftler und hatte seit 2001 eine Vertretungsprofessur und ab 2005 eine volle Professur im Fachbereich Informatik & Ingenieurswissenschaften der Frankfurt University of Applied Sciences inne. Meine Schwerpunke ab 2005 waren 'Dynamisches Wissen (KI)', 'Mensch Maschine Interaktion (MMI)' sowie 'Simulation'. In dieser Zeit konnte ich auch an die hundert interdisziplinäre Projekte begleiten. Mich interessieren die Grundstrukturen des Lebens, die Logik der Evolution, die Entstehung von Wissen ('Geist'), die Möglichkeiten computerbasierter Intelligenz, die Wechselwirkungen zwischen Kultur und Technik, und der mögliche 'Sinn' von 'Leben' im 'Universum'. Ab 1.April 2017 bin ich emeritiert (= nicht mehr im aktiven Dienst). Neben ausgewählten Lehrveranstaltungen ('Citizen Science für Nachhaltige Entwicklung' (früher 'Kommunalplanung und Gamification. Labor für Bürgerbeteiligung')) arbeite ich zunehmend in einem integrierten Projekt mit Theorie, neuem Typ von Software und gesellschaftlicher Umsetzung (Initiative 'Bürger im Gespräch (BiG)). Die einschlägigen Blogs sind weiter cognitiveagent.org, uffmm.org sowie oksimo.org ... ja, ich war auch mal 'Mönch', 22 Jahre lang mit viel Mystik, Theologie und Philosophie; dabei u.a. einige Jahre Jugendsozialarbeiter.