Archiv für den Monat: August 2015

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5 – neu – Version 2

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 27.August 2015
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Was ist Leben?

Erst die Erde

Etwa 9.2 Mrd Jahre nach dem sogenannten Big Bang kam es zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Sonne als wichtigstem Bezugspunkt. Nur ca. 60 Mio Jahre später gab es unsere Erde. Die Zeitspanne, innerhalb der Spuren von Leben auf der Erde bislang identifiziert wurden, liegt zwischen -4 Mrd Jahre von heute zurück gerechnet bis ca. -3.5 Mrd Jahre. Oder, vom Beginn der Erde aus gesehen, ca. 540 Mio Jahre bis ca. 1 Mrd Jahre nach der Entstehung der Erde.

Alte Bilder vom Leben

Wenn man vom Leben spricht, von etwas Belebtem im Gegensatz zum Unbelebtem, fragt man sich sofort, wie man ‚Leben‘ definieren kann? In der zurückliegenden Geschichte gab es viele Beschreibungs- und Definitionsversuche. Einer, der heute noch begrifflich nachwirkt, ist die Sicht der Philosophie der Antike (ca. -600 bis 650) . Hier wurde das ‚Atmen‘ (gr. ‚pneo‘) als charakteristisches Merkmal für ‚Lebendiges‘ genommen, wodurch es vom ‚Unbelebtem‘ abgegrenzt wurde. Aus dem ‚Atmen‘ wurde zugleich ein allgemeines Lebensprinzip abgeleitet, das ‚Pneuma‘ (im Deutschen leicht missverständlich als ‚Geist‘ übersetzt, im Lateinischen als ’spiritus‘), das sich u.a. im Wind manifestiert und ein allgemeines kosmologisches Lebensprinzip verkörpert, das sowohl die Grundlage für die psychischen Eigenschaften eines Lebewesens bildet wie auch für seine körperliche Lebendigkeit. In der Medizin gab es vielfältige Versuche, das Pneuma im Körper zu identifizieren (z.B. im Blut, in der Leber, im Herzen, im Gehirn und den Nerven). Im philosophischen Bereich konnte das Pneuma ein heißer Äther sein, der die ganze Welt umfasst. Eine andere Auffassung sieht das Pneuma zusammengesetzt aus Feuer und Luft, woraus sich alle Körper der Welt bilden. Das Pneuma wird auch gesehen als die ‚Seele‘, die allein das Leben des Körpers ermöglicht. Bei den Stoikern wird das Pneuma-Konzept zum allumfassenden Begriff einer Weltseele gesteigert. Mit der Zeit vermischte sich der Pneuma-Begriff mit dem Begriff ’nous‘ (Kurzform für ’noos‘)(Englisch als ‚mind‘ übersetzt; Deutsch ebenfalls als ‚Geist‘), um darin die kognitiv-geistige Dimension besser auszudrücken. Weitere einflussreiche begriffliche Koordinierungen finden statt mit dem lateinischen ‚mens‘ (Deutsch auch übersetzt mit ‚Geist‘) und dem hebräischen ‚ruach‘ (im Deutschan ebenfalls mit ‚Geist‘ übersetzt; bekannt in der Formulierung ‚Der Geist Gottes (= ‚ruach elohim‘) schwebte über den Wassern‘; in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, heißt es ‚pneuma theou‘ (= der Geist Gottes)) (Anmerkung: Diese Bemerkungen sind ein kleiner Extrakt aus der sehr ausführlichen begriffsgeschichtlichen Herleitung in Sandkühler 2010)

Die Zelle im Fokus

War es für die antiken Philosophen, Mediziner und Wissenschaftler noch praktisch unmöglich, die Frage nach den detaillierten Wirkprinzipien des ‚Lebens‘ genauer zu beantworten, erarbeitete sich die moderne Naturwissenschaft immer mehr Einsichten in die Wirkprinzipien biologischer Phänomene (bei Tieren, Pflanzen, Mikroben, molekularbiologischen Sachverhalten), so dass im Laufe des 20.Jahrhunderts klar wurde, dass die Gemeinsamkeit aller Lebensphänomene auf der Erde in jener Superstruktur zu suchen ist, die heute (biologische) Zelle genannt wird.

Alle bekannten Lebensformen auf der Erde, die mehr als eine Zelle umfassen (wir als Exemplare der Gattung homo mit der einzigen Art homo sapiens bestehen aus ca. 10^13 vielen Zellen), gehen zu Beginn ihrer körperlichen Existenz aus genau einer Zelle hervor. Dies bedeutet, dass eine Zelle über alle notwendigen Eigenschaften verfügt, sich zu reproduzieren und das Wachstum eines biologischen Systems zu steuern.

So enthält eine Zelle (Anmerkung: Für das Folgende benutze ich B.Alberts et.al (2008)) alle Informationen, die notwendig sind, um sowohl sich selbst zu organisieren wie auch um sich zu reproduzieren. Die Zelle operiert abseits eines chemischen Gleichgewichts, was nur durch permanente Aufnahme von Energie realisiert werden kann. Obwohl die Zelle durch ihre Aktivitäten die Entropie in ihrer Umgebung ‚erhöht‘, kann sie gegenläufig durch die Aufnahme von Energie auch Entropie verringern. Um einen einheitlichen Prozessraum zu gewährleisten, besitzen Zellen eine Membran, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in die Zelle hinein- oder herauskommen.

Keine Definition für außerirdisches Leben

Obgleich die Identifizierung der Zelle samt ihrer Funktionsweise eine der größten Errungenschaften der modernen Wissenschaften bei der Erforschung des Phänomens des Lebens darstellt, macht uns die moderne Astrobiologie darauf aufmerksam, dass eine Definition der Lebensphänomene mit Einschränkung des Blicks auf die speziellen Bedingungen auf der Erde nicht unproblematisch ist. Wunderbare Bücher wie „Rare Earth“ von Peter Douglas Ward (Geboren 1949) und Donald Eugene Brownlee (Geboren 1943) „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“ von Jonathan I.Lunine (Geb. 1959) machen zumindest sichtbar, wo die Probleme liegen könnten. Lunine diskutiert in Kap.14 seines Buches die Möglichkeit einer allgemeineren Definition von Leben explizit, stellt jedoch fest, dass es aktuell keine solche eindeutige allgemeine Definition von Leben gibt, die über die bekannten erdgebundenen Formen wesentlich hinausgeht. (Vgl. ebd. S.436)

Schrödingers Vision

Wenn man die Charakterisierungen von Leben bei Lunine (2005) in Kap.14 und bei Alberts et.al (2008) in Kap.1 liest, fällt auf, dass die Beschreibung der Grundstrukturen des Lebens trotz aller Abstraktionen tendenziell noch sehr an vielen konkreten Eigenschaften hängen.

Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (1887-1961), der 1944 sein einflussreiches Büchlein „What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlichte, kannte all die Feinheiten der modernen Molekularbiologie noch nicht . Schrödinger unterzog das Phänomen des Lebens einer intensiven Befragung aus Sicht der damaligen Physik. Auch ohne all die beeindruckenden Details der neueren Forschung wurde ihm klar, dass das hervorstechendste Merkmal des ‚Biologischen‘, des ‚Lebendigen‘ die Fähigkeit ist, angesichts der physikalisch unausweichlichen Zunahme der Entropie einen gegensätzlichen Trend zu realisieren; statt wachsender Unordnung als Entropie diagnostizierte er eine wachsende Ordnung als negative Entropie, also als etwas, was der Entropie entgegen wirkt.

Diesen Gedanken Schrödingers kann man weiter variieren und in dem Sinne vertiefen, dass der Aufbau einer Ordnung Energie benötigt, mittels der Freiheitsgrade eingeschränkt und Zustände temporär ‚gefestigt‘ werden können.

Fragt sich nur, warum?

Alberts et.al (2008) sehen das Hauptcharakteristikum einer biologischen Zelle darin, dass sie sich fortpflanzen kann, und nicht nur das, sondern dass sie sich selbstmodifizierend fortpflanzen kann. Die Realität biologischer Systeme zeigt zudem, dass es nicht nur um ‚irgendeine‘ Fortpflanzung ging, sondern um eine kontinuierlich optimierende Fortpflanzung.

Metastrukturen

Nimmt man diese Eckwerte ernst, dann liegt es nahe, biologische Zellen als Systeme zu betrachten, die einerseits mit den reagierenden Molekülen mindestens eine Objektebene [O] umfasst und in Gestalt der DNA eine Art Metaebene [M]; zwischen beiden Systemen lässt sich eine geeigneten Abbildung [R] in Gestalt von Übersetzungsprozessen realisieren, so dass die Metaebene M mittels Abbildungsvorschrift R in eine Objektebene O übersetzt werden kann ($latex R: M \longmapsto O$). Damit eine Reproduktion grundsätzlich gelingen kann, muss verlangt werden, dass das System mit seiner Struktur ‚lang genug‘ stabil ist, um solch einen Übersetzungsprozess umsetzen zu können. Wie diese Übersetzungsprozesse im einzelnen vonstatten gehen, ist letztlich unwichtig. Wenn in diesem Modell bestimmte Strukturen erstmals realisiert wurden, dann fungieren sie als eine Art ‚Gedächtnis‘: alle Strukturelemente von M repräsentieren potentielle Objektstrukturen, die jeweils den Ausgangspunkt für die nächste ‚Entwicklungsstufe‘ bilden (sofern sie nicht von der Umwelt ‚aussortiert‘ werden).

Die Rolle dieser Metastrukturen lässt sich letztlich nicht einfach mit den üblichen chemischen Reaktionsketten beschreiben; tut man es dennoch, verliert man die Besonderheit des Phänomens aus dem Blick. Eine begriffliche Strategie, um das Phänomen der ‚wirkenden Metastrukturen‘ in den Griff zu bekommen, war die Einführung des ‚Informationsbegriffs‘.

Information

Grob kann man hier mindestens die folgenden sprachlichen Verwendungsweisen des Begriffs ‚Information‘ im Kontext von Informationstheorie und Molekularbiologie unterscheiden:

  1. Unreflektiert umgangssprachlich (‚Information_0‘)
  2. Anhand des Entscheidungsaufwandes (Bit) (‚Information_1‘)
  3. Rein statistisch (a la Shannon 1948) (‚Information_2‘)
  4. Semiotisch informell (ohne die Semiotik zu zitieren) (‚Semantik_0‘)
  5. Als komplementär zur Statistik (Deacon) (‚Semantik_1‘)
  6. Als erweitertes Shannonmodell (‚Semantik_2‘)

Information_0

Die ‚unreflektiert umgangssprachliche‘ Verwendung des Begriffs ‚Information‘ (hier: ‚Information_0‘) brauchen wir hier nicht weiter zu diskutieren. Sie benutzt den Begriff Information einfach so, ohne weitere Erklärungen, Herleitungen, Begründungen. (Ein Beispiel Küppers (1986:41ff))

Information_1

Die Verwendung des Begriffs Information im Kontext eines Entscheidungsaufwandes (gemessen in ‚Bit‘), hier als ‚Information_1‘ geht auf John Wilder Tukey (1915-2000) zurück.

Information_2

Shannon (1948) übernimmt zunächst diesen Begriff Information_1, verzichtet dann aber im weiteren Verlauf auf diesen Informationsbegriff und führt dann seinen statistischen Informationsbegriff ein (hier: ‚Information_2‘), der am Entropiekonzept von Boltzmann orientiert ist. Er spricht dann zwar immer noch von ‚Information‘, bezieht sich dazu aber auf den Logarithmus der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, was alles und jedes sein kann. Ein direkter Bezug zu einem ’speziellen‘ Informationsbegriff (wie z.B. Information_1) besteht nicht. Man kann die logarithmierte Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses als ‚Information‘ bezeichnen (hier: ‚Information_2‘), aber damit wird der Informationsbegriff inflationär, dann ist alles eine Information, da jedes Ereignis mindestens eine Wahrscheinlichkeit besitzt. (Leider benutzt auch Carl Friedrich von Weizsäcker (1971:347f) diesen inflationären Begriff (plus zusätzlicher philosophischer Komplikationen)). Interessanterweise ist es gerade dieser inflationäre statistische Informationsbegriff Information_2, der eine sehr starke Resonanz gefunden hat.

Semantik 0

Nun gibt es gerade im Bereich der Molekularbiologie zahlreiche Phänomene, die bei einer Beschreibung mittels eines statistischen Informationsbegriffs wichtige Momente ihres Phänomens verlieren. (Dazu eine kleine Übersicht bei Godfrey-Smith, Kim Sterelny (2009)) Ein Hauptkritikpunkt war und ist das angebliche Fehlen von Bedeutungselementen im statistischen Modell von Shannon (1948). Man spricht auch vom Fehlen einer ‚Semantik‘. Allerdings wird eine Diskussion der möglichen Bedeutungsmomente von Kommunikationsereignissen unter Verwendung des Begriffs ‚Semantik‘ auch oft unreflektiert alltagssprachlich vorgenommen (hier: Semantik_0′), d.h. es wird plötzlich von Semantik_0 gesprochen (oft noch erweitert um ‚Pragmatik‘), ohne dass die Herkunft und Verwendung dieses Begriffs in der Wissenschaft der Semiotik weiter berücksichtigt wird. (Ein Beispiel für solch eine verwirrende Verwendungsweise findet sich z.B. wieder bei Weizsäcker (1971:350f), wo Information_0, Information_2 sowie Semantik_0 miteinander frei kombiniert werden, ohne Berücksichtigung der wichtigen Randbedingungen ihrer Verwendung; ganz ähnlich Küppers (1986:61ff); zur Semiotik siehe Noeth (2000)). Ein anderes neueres Beispiel ist Floridi (2015:Kap.3+4) Er benutzt zwar den Begriff ‚Semantik‘ extensiv, aber auch er stellt keinen Bezug zur semiotischen Herkunft her und verwendet den Begriff sehr speziell. Seine Verwendung führt nicht über den formalen Rahmen der statistischen Informationstheorie hinaus.

Semantik 1

Sehr originell ist das Vorgehen von Deacon (2007, 2008, 2010). Er diagnostiziert zwar auch einen Mangel, wenn man die statistische Informationstheorie von Shannon (1948) auf biologische Phänomene anwenden will, statt sich aber auf die schwierige Thematik einer expliziten Semantik einzulassen, versucht er über die Ähnlichkeit des Shannonschen statistischen Informationsbegriffs mit dem von Boltzmann einen Anschluss an die Thermodynamik zu konstruieren. Von dort zum Ungleichgewicht biologischer Systeme, die durch Arbeit und Energieaufnahme ihr Gleichgewicht zu halten versuchen. Diese Interaktionen des Systems mit der Umgebung modifizieren die inneren Zustände des Systems, die wiederum dann das Verhalten des Systems ‚umweltgerecht‘ steuern. Allerdings belässt es Deacon bei diesen allgemeinen Annahmen. Die ‚Abwesenheit‘ der Bedeutung im Modell von Shannon wird über diese frei assoziierten Kontexte – so vermutet man als Leser – mit den postulierten internen Modifikationen des interagierenden Systems begrifflich zusammengeführt. Wie dies genau gedacht werden kann, bleibt offen.

Semantik 2

So anregend die Überlegungen von Deacon auch sind, sie lassen letztlich offen, wie man denn – auch unter Berücksichtigung des Modells von Shannon – ein quasi erweitertes Shannonmodell konstruieren kann, in dem Bedeutung eine Rolle spielt. Hier eine kurze Skizze für solch ein Modell.

Ausgehend von Shannons Modell in 1948 besteht die Welt aus Sendern S, Empfängern D, und Informationskanälen C, über die Sender und Empfänger Signale S eingebettet in ein Rauschen N austauschen können (<S,D,S,N,C> mit C: S —> S x N).

Ein Empfänger-Sender hat die Struktur, dass Signale S in interne Nachrichten M dekodiert werden können mittels R: S x N —> M. Umgekehrt können auch Nachrichten M in Signale kodiert werden mit T: M —> S. Ein minimaler Shannon Sender-Empfänger hat dann die Struktur <M, R, T>. So gesehen funktionieren R und T jeweils als ‚Schnittstellen‘ zwischen dem ‚Äußeren‘ und dem ‚Inneren‘ des Systems.

In diesem minimalen Shannonmodell kommen keine Bedeutungen vor. Man kann allerdings annehmen, dass die Menge M der Nachrichten eine strukturierte Menge ist, deren Elemente Paare der Art (m_i,p_i) in M mit ‚m_i‘ als Nachrichtenelement und ‚p_i‘ als Wahrscheinlichkeit, wie oft dieses Nachrichtenelement im Kanal auftritt. Dann könnte man Shannons Forml H=-Sum(p_i * log2(p_i)) als Teil des Systems auffassen. Das minimale Modell wäre dann <M, R, T, H>.

Will man ‚Bedeutungen‘ in das System einführen, dann muss man nach der Semiotik einen Zeichenbegriff für das System definieren, der es erlaubt, eine Beziehung (Abbildung) zwischen einem ‚Zeichenmaterial‚ und einem ‚Bedeutungsmaterial‚ zu konstruieren. Nimmt man die Signale S von Shannon als Kandidaten für ein Zeichenmaterial, fragt sich, wie man das Bedeutungsmaterial B ins Spiel bringt.

Klar ist nur, dass ein Zeichenmaterial erst dann zu einem ‚Zeichen‘ wird, wenn der Zeichenbenutzer in der Lage ist, dem Zeichenmaterial eine Bedeutung B zuzuordnen. Eine einfache Annahme wäre, zu sagen, die dekodierten Nachrichten M bilden das erkannte Zeichenmaterial und der Empfänger kann dieses Material irgendwelchen Bedeutungen B zuordnen, indem er das Zeichenmaterial M ‚interpretiert‚, also I : M —> B. Damit würde sich die Struktur erweitern zu <B, M, R, T, H, I>. Damit nicht nur ein Empfänger ‚verstehen‘ kann, sondern auch ‚mitteilen‘, müsste der Empfänger als Sender Bedeutungen auch wieder ‚umgekehrt lesen‘ können, also -I: B —> M. Diese Nachrichten könnten dann wieder mittels T in Signale übersetzt werden, der Kanal sendet diese Signale S angereichert mit Rauschen N zum Empfänger, usw. Wir erhalten also ein minimal erweitertes Shannon Modell mit Bedeutung als <B, M, R, T, H, I, -I>. Ein Sender-Empfänger kann also weiterhin die Wahrscheinlichkeitsstruktur seiner Nachrichten auswerten; zusätzlich aber auch mögliche Bedeutungsanteile.

Bliebe als Restfrage, wie die Bedeutungen B in das System hineinkommen bzw. wie die Interpretationsfunktion I entsteht?

An dieser Stelle kann man die Spekulationen von Deacon aufgreifen und als Arbeitshypothese annehmen, dass sich die Bedeutungen B samt der Interpretationsbeziehung I (und -I) in einem Adaptionsprozess (Lernprozess) in Interaktion mit der Umgebung entwickeln. Dies soll an anderer Stelle beschrieben werden.

Für eine komplette Beschreibung biologischer Phänomene benötigt man aber noch weitere Annahmen zur Ontogense und zur Phylogense. Diese seien hier noch kurz skizziert. (Eine ausführliche formale Darstellung wird anderswo nachgeliefert).

Ontogenese

Von der Lernfähigkeit eines biologischen Systems muss man die Ontogenese unterscheiden, jenen Prozess, der von der Keimzelle bis zum ausgewachsenen System führt.

Die Umsetzung der Ontogenese in einem formalen Modell besteht darin, einen Konstruktionsprozess zu definieren, das aus einem Anfangselement Zmin das endgültige System Sys in SYS erstellen würde. Das Anfangselement wäre ein minimales Element Zmin analog einer befruchteten Zelle, das alle Informationen enthalten würde, die notwendig wären, um diese Konstruktion durchführen zu können, also Ontogenese: Zmin x X —> SYS. Das ‚X‘ stünde für alle die Elemente, die im Rahmen einer Ontogenese aus der Umgebung ENV übernommen werden müssten, um das endgültige system SYS = <B, M, R, T, H, I, -I> zu konstruieren.

Phylogenese

Für die Reproduktion der Systeme im Laufe der Zeiten benötigte man eine Population von Systemen SYS, von denen jedes System Sys in SYS mindestens ein minimales Anfangselement Zmin besitzt, das für eine Ontogenese zur Verfügung gestellt werden kann. Bevor die Ontogenese beginnen würde, würden zwei minimale Anfangselemente Zmin1 und Zmin2 im Bereich ihrer Bauanleitungen ‚gemischt‘. Man müsste also annehmen, dass das minimale System um das Element Zmin erweitert würde SYS = <B, M, Zmin, R, T, H, I, -I>.

Erstes Zwischenergebnis

Auffällig ist also, dass das Phänomen des Lebens

  1. trotz Entropie über dynamische Ungleichgewichte immer komplexere Strukturen aufbauen kann.
  2. innerhalb seiner Strukturen immer komplexere Informations- und Bedeutungsstrukturen aufbaut und nutzt.

So wie man bislang z.B. die ‚Gravitation‘ anhand ihrer Wirkungen erfasst und bis heute erfolglos zu erklären versucht, so erfassen wir als Lebende das Leben anhand seiner Wirkungen und versuchen bis heute auch erfolglos, zu verstehen, was hier eigentlich passiert. Kein einziges physikalisches Gesetzt bietet auch nur den leisesten Anhaltspunkt für dieses atemberaubende Geschehen.

In dieser Situation den Menschen als eine ‚vermutlich aussterbende Art‘ zu bezeichnen ist dann nicht einfach nur ‚gedankenlos‘, sondern im höchsten Maße unwissenschaftlich, da es letztlich einer Denkverweigerung nahe kommt. Eine Wissenschaft, die sich weigert, über die Phänomene der Natur nachzudenken, ist keine Wissenschaft.

Fortsetzung Folgt.

QUELLEN

  1. H.J. Sandkühler (Hg.), 2010, „Enzyklopädie Philosophie“, Hamburg: Felix Meiner Verlag, Band 1: Von A bis H, Kapitel: Geist, SS.792ff
  2. B.Alberts et.al (Hg.), 2008, „Molecular Biology of the CELL“, Kap.1, 5.Aufl., New York: Garland Science, Taylor & Francis Group
  3. Peter Douglas Ward und `Donald Eugene Brownlee (2000),“Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe“, New York: Copernikus/ Springer,
  4. Jonathan I.Lunine (2005), „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“, San Francisco – Boston – New York et al.: Pearson-Addison Wesley
  5. Zu Schroedinger 1944: Based on Lectures delivered under the auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge: University Press. 1944. Ich selbst habe die Canto Taschenbuchausgabe der Cambridge University von 1992 benutzt. Diese Ausgabe enthält ‚What is Life?‘, ‚Mind from Matter‘, sowie autobiographischen Angaben und ein Vorwort von Roger Penrose
  6. Anmerkung zu Schroedinger 1944: Sowohl James D. Watson (2003) wie auch ähnlich Francis Crick (1990) berichten, dass Schrödingers Schrift (bzw. einer seiner Vorträge) sie für ihre Erforschung der DNA stark angeregt hatte.
  7. James D.Watson und A.Berry(2003), „DNA, the Secret of Life“, New York: Random House
  8. Francis Crick (1990),„What Mad Pursuit: A Personal View of Scientific Discovery“, Reprint, Basic Books
  9. Peter Godfrey-Smith und Kim Sterelny (2009) Biological Information“, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  10. Carl Friedrich von Weizsäcker (1971), „Die Einheit der Natur“, München: Carl Hanser Verlag
  11. Bernd-Olaf Küppers (1986), „Der Ursprung biologischer Information. Zur Naturphilosophie der Lebensentstehung“, München – Zürich: Piper Verlag.
  12. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  13. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  14. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  15. Luciano Floridi (2015) Semantic Conceptions of Information, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  16. Deacon, T. (2007), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 1. in: Cognitive Semiotics, 1: 123-148
  17. Deacon, T. (2008), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 2. in: Cognitive Semiotics, 2: 167-194
  18. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169

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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 23.August 2015 – INFORMATION – Jenseits von Shannon

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

VORHERIGE BEITRÄGE

1. Im Beitrag von John Maynard Smith hatte dieser Kritik geübt an der Informationstheorie von Shannon. Dabei fokussierte er im wesentlichen auf die direkte Anwendung des Shannonschen Begriffs auf die informationsvermittelnden Prozesse bei der Selbstreproduktion der Zelle, und er konnte deutlich machen, dass viele informationsrelevanten Eigenschaften bei dem Reproduktionsprozess mit dem Shannonschen Informationsbegriff nicht erfasst werden. Anschließend wurde ein Beitrag von Terrence W.Deacon diskutiert, der den Shannonschen Informationsbegriff als Ausgangspunkt nutzte, den er it dem Entropiebegriff von Boltzmann verknüpfte, von dort die Begriffe thermodynamisches Ungleichgewicht, Arbeit und Evolution nach Darwin benutzte, um die Idee anzudeuten, dass jene Zustände in einem System, die bedeutungsrelevant sein könnten (und von Shannon selbst nicht analysiert werden) in Interaktion mit der Umwelt entstanden sind und entstehen.

ZWISCHENSTAND
2. Was sowohl bei Maynard Smih wie auch bei Deakon auffällt, ist, dass sie sich wenig um den möglichen Kontext des Begriffs ‚Information‘ bemühen. Wie wurde der Begriff der Information im Laufe der Ideengeschichte verstanden? Welche Besonderheiten gibt es in den verschiedenen Disziplinen?

HISTORISCH-SYSTEMATISCHE PERSPEKTIVE

3. In einem umfangreichen und detailliertem Überblick von Pieter Adriaans (2012) in der Standford Encyclopedia of Philosophy findet man ein paar mehr Zusammenhänge.

4. Zwar heißt es auch hier mehrfach, dass ein erschöpfender Überblick und eine alles umfassende Theorie noch aussteht, aber ausgehend von der antiken Philosophie über das Mittelalter, die Renaissance bis hin zu einigen modernen Entwicklungen findet man wichtige Themen und Autoren.

5. Zusammenfassend sei hier nur festgestellt, dass Aspekte des Informationsbegriffs auf unterschiedlich Weise bis zum Ende des 19.Jahrhunderts feststellbar sind, ohne dass man von einer eigentlich Philosophie der Information oder einer Informationstheorie im modernen Sinne sprechen kann. Als grobe Koordinaten, die den Ausgangspunkt für die neuere Entwicklung einer Informationstheorie markieren, nennt Adriaans (i) Information als ein Prozess, der Systeme prägen/ formieren/ informieren kann; (ii) Information als ein Zustand, der sich bei einem System einstellt, nachdem es informiert wurde; (iii) Information als die Fähigkeit eines Systems, seine Umgebung zu prägen/ formen/ informieren.

6. Weiterhin identifiziert er zusammenfassend einige Bausteine der modernen Informationstheorie: (i) Information ist ‚extensiv‘ insofern die Bestandteile in das übergreifende Ganze eingehen und sie vermindert Unsicherheit; (ii) man benötigt eine formale Sprache zu ihrer Darstellung; (iii) ein ‚optimaler‘ Kode ist wichtig; (iv) die Verfügbarkeit eines optimierten Zahlensystems (binär, Stellen, Logarithmus) spielte eine Rolle; ausgehend von konstituierenden Elementen die Idee der Entropie in Kombination mit der Wahrscheinlichkeit; (v) die Entwicklung einer formalen Logik für Begriffe wie ‚Extension/ Intension‘, ‚Folgerung‘, ‚Notwendigkeit‘, ‚mögliche Welten‘, ‚Zustandsbeschreibungen‘ und ‚algorithmische Informationstheorie‘.

7. Andere wichtige Themen sind (i) Information als Grad der Widerlegbarkeit (Popper); (ii) Information in Begriffen der Wahrscheinlichkeit (Shannon); (iii) Information als Länge des Programms (Solomonoff, Kolmogorov, Chaitin).

SHANNON ERSCHEINT ÜBERMÄCHTIG

8. Was man bei Adriaans vermisst, das ist der Bezug zur semantischen Dimension. Hierzu gibt es einen anderen sehr umfangreichen Beitrag von Floridi (2015), auf den auch Adriaans verweist. Floridi behandelt die Frage der Semantischen Information quantitativ sehr ausführlich, inhaltlich aber beschränkt er sich weitgehend auf eine formale Semantik im Umfeld einer mathematischen Informationstheorie auf der Basis von Shannon 1948. Dies verwundert. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die ‚konzeptuelle Gravitation‘ des Shannonschen Modells jede Art von begrifflicher Alternative im Keim erstickt.

BEFREIUNG DURCH BIOLOGIE

9. Bringt man die Informationstheorie in das begriffliche Gravitationsfeld der Biologie, insbesondere der Molekularbiologie, dann findet man in der Tat auch andere begrifflich Ansätze. Peter Godfrey-Smith und Kim Sterelny (2009) zeigen am Beispiel der Biologie und vieler molekularbiologischer Sachverhalte auf, dass man das enge Modell von Shannon durch weitere Faktoren nicht nur ergänzen kann, sondern muss, will man den besonderen biologischen Sachverhalten Rechnung tragen. Allerdings führen sie ein solches Modell nicht allgemein aus. Kritiker weisen darauf hin, dass solche zusätzlichen Abstraktionen die Gefahr bieten – wie in jeder anderen wissenschaftlichen Disziplin auch –, dass sich Abstraktionen ‚ontologisch verselbständigen‘; ohne erweiternde Begrifflichkeit kann man allerdings auch gar nichts sagen.

THEORIE A LA BOLTZMANN VOR MEHR ALS 100 JAHREN

10. Diese ganze moderne Diskussion um die ‚richtigen formalen Modelle‘ zur Erklärung der empirischen Wirklichkeit haben starke Ähnlichkeiten mit der Situation zu Zeiten von Ludwig Boltzmann. In einer lesenswerten Rede von 1899 zur Lage der theoretischen Physik ist er konfrontiert mit der stürmischen Entwicklung der Naturwissenschaften in seiner Zeit, speziell auch der Physik, und es ist keinesfalls ausgemacht, welches der vielen Modelle sich in der Zukunft letztlich als das ‚richtigere‘ erweisen wird.

11. Boltzmann sieht in dieser Situation die Erkenntnistheorie gefragt, die mithelfen soll, zu klären, welche Methoden in welcher Anordnung einen geeigneten Rahmen hergeben für eine erfolgreiche Modellbildung, die man auch als theoretische Systeme bezeichnen kann, die miteinander konkurrieren.

12. Mit Bezugnahme auf Hertz bringt er seinen Zuhörern zu Bewusstsein, „dass keine Theorie etwas Objektives, mit der Natur wirklich sich Deckendes sein kann, dass vielmehr jede nur ein geistiges Bild der Erscheinungen ist, das sich zu diesen verhält wie das Zeichen zum Bezeichneten.“ (Boltzmann 1899:215f) Und er erläutert weiter, dass es nur darum gehen kann, „ein möglichst einfaches, die Erscheinungen möglichst gut darstellendes Abbild zu finden.“ (Boltzmann 1899:216) So schließt er nicht aus, dass es zum gleichen empirischen Sachverhalt zwei unterschiedliche Theorien geben mag, die in der Erklärungsleistung übereinstimmen.

13. Als Beispiel für zwei typische theoretische Vorgehensweisen nennt er die ‚Allgemeinen Phänomenologen‘ und die ‚Mathematischen Phänomenologen‘. Im ersteren Fall sieht man die theoretische Aufgabe darin gegeben, alle empirischen Tatsachen zu sammeln und in ihrem historischen Zusammenhang darzustellen. Im zweiten Fall gibt man mathematische Modelle an, mit denen man die Daten in allgemeine Zusammenhänge einordnen, berechnen und Voraussagen machen kann. Durch die Einordnung in verallgemeinernde mathematische Modelle geht natürlich die Theorie über das bis dahin erfasste Empirische hinaus und läuft natürlich Gefahr, Dinge zu behaupten die empirisch nicht gedeckt sind, aber ohne diese Verallgemeinerungen kann ein Theorie nichts sagen. Es kann also nicht darum gehen, ’nichts‘ zu sagen, sondern das, was man theoretisch sagen kann, hinreichend auf Zutreffen bzw. Nicht-Zutreffen zu kontrollieren (Poppers Falsifizierbarkeit). Boltzmann bringt seitenweise interessante Beispiele aus der damals aktuellen Wissenschaftsdiskussion, auf die ich hier jetzt aber nicht eingehe.

WIE SHANNON ERWEITERN?

14. Stattdessen möchte ich nochmals auf die Fragestellung zurück kommen, wie man denn vorgehen sollte, wenn man erkannt hat, dass das Modell von Shannon – so großartig es für die ihm gestellten Aufgaben zu sein scheint –, bzgl. bestimmter Fragen als ‚zu eng‘ erscheint. Hier insbesondere für die Frage der Bedeutung.

15. Im Beitrag von Deacon konnte man eine Erweiterungsvariante in der Weise erkennen, dass Deacon versucht hatte, über die begriffliche Brücke (Shannon-Entropie –> Boltzmann-Entropie –>Thermodynamik → Ungleichgewicht → Aufrechterhaltung durch externe Arbeit) zu der Idee zu kommen, dass es in einem biologischen System Eigenschaften/ Größen/ Differenzen geben kann, die durch die Umwelt verursacht worden sind und die wiederum das Verhalten des Systems beeinflussen können. In diesem Zusammenhang könnte man dann sagen, dass diesen Größen ‚Bedeutung‘ zukommt, die zwischen Systemen über Kommunikationsereignisse manifestiert werden können. Ein genaueres Modell hatte Deacon dazu aber nicht angegeben.

16. Wenn Deacon allerdings versuchen wollte, diese seine Idee weiter zu konkretisieren, dann käme er um ein konkreteres Modell nicht herum. Es soll hier zunächst kurz skizziert werden, wie solch ein Shannon-Semantik-System aussehen könnte. An anderer Stelle werde ich dies Modell dann formal komplett hinschreiben.

SHANNON-SEMANTIK MODELL SKIZZE

17. Als Ausgangspunkt nehme ich das Modell von Shannon 1948. (S.381) Eine Quelle Q bietet als Sender Nachrichten M an, die ein Übermittler T in Kommunikationsereignisse S in einem Kommunikationskanal C verwandelt (kodiert). In C mischen sich die Signale S mit Rauschelementen N. Diese treffen auf einen Empfänger R, der die Signale von den Rauschanteilen trennt und in eine Nachricht M* verwandelt (dekodiert), die ein Empfänger D dann benutzen kann.

18. Da Shannon sich nur für die Wahrscheinlichkeit bestimmter Signalfolgen interessiert hat und die Kapazitätsanforderungen an den Kanal C, benötigt sein Modell nicht mehr. Wenn man aber jetzt davon ausgeht, dass der Sender nur deshalb Kommunikationsereignisse S erzeugt, weil er einem Empfänger bestimmte ‚Bedeutungen‘ übermitteln will, die den Empfänger in die Lage versetzen, etwas zu ‚tun‘, was der übermittelten Bedeutung entspricht, dann muss man sich überlegen, wie man das Shannon Modell erweitern kann, damit dies möglich ist.

19. Das erweiterte Shannon-Semantik Modell soll ein formales Modell sein, das geeignet ist, das Verhalten von Sendern und Empfängern zu beschreiben, die über reine Signale hinaus mittels dieser Signale ‚Bedeutungen‘ austauschen können. Zunächst wird nur der Fall betrachtet, dass die Kommunikation nur vom Sender zum Empfänger läuft.

20. Ein erster Einwand für die Idee einer Erweiterung könnte darin bestehen, dass jemand sagt, dass die Signale ja doch ‚für sich‘ stehen; wozu braucht man die Annahme weiterer Größen genannt ‚Bedeutung‘?

21. Eine informelle Erläuterung ist sehr einfach. Angenommen der Empfänger ist Chinese und kann kein Deutsch. Er besucht Deutschland. Er begegnet dort Menschen, die kein Chinesisch können und nur Deutsch reden. Der chinesische Besucher kann zwar sehr wohl rein akustisch die Kommunikationsereignisse in Form der Laute der deutschen Sprache hören, aber er weiß zunächst nichts damit anzufangen. In der Regel wird er auch nicht in der Lage sein, die einzelnen Laute separat und geordnet aufzuschreiben, obgleich er sie hören kann. Wie wir wissen, braucht es ein eigenes Training, die Sprachlaute einer anderen Sprache zweifelsfrei zu erkennen, um sie korrekt notieren zu können. Alle Deutschen, die bei einer solchen Kommunikation teilnehmen, können die Kommunikationsereignisse wahrnehmen und sie können – normalerweise – ‚verstehen‘, welche ‚anderen Sachverhalte‘ mit diesen Kommunikationsereignissen ‚verknüpft werde sollen‘. Würde der Chinese irgendwann Deutsch oder die Deutschen Chinesisch gelernt haben, dann könnten die Deutschen Kommunikationsereignisse in Chinesische übersetzt werden und dann könnten – möglicherweise, eventuell nicht 1-zu-1 –, mittels der chinesischen Kommunikationsereignisse hinreichend ähnliche ‚adere Sachverhalte‘ angesprochen werden.

22. Diese anderen Sachverhalte B, die sich den Kommunikationsereignissen zuordnen lassen, sind zunächst nur im ‚Innern des Systems‘ verfügbar. D.h. Die Kommunikationsereignisse S (vermischt mit Rauschen N) im Kommunikationskanal C werden mittels des Empfängers R in interne Nachrichten M* übersetzt (R: S x N —> M*), dort verfügt der Empfänger über eine weitere Dekodierfunktion I, die den empfangenen Nachrichten M* Bedeutungssachverhalte zuordnet, also I: M* —> B. Insofern ein Dolmetscher weiß, welche Bedeutungen B durch eine deutsche Kommunikationssequenz im Empfänger dekodiert werden soll, kann solch ein Dolmetscher dem chinesischen Besucher mittels chinesischer Kommunikationsereignisse S_chin einen Schlüssel liefern, dass dieser mittels R: S_chin —> M*_chin eine Nachricht empfangen kann, die er dann mit seiner gelernten Interpretationsfunktion I_chin: M*_chin —> B‘ in solche Bedeutungsgrößen B‘ übersetzen kann, die den deutschen Bedeutungsgrößen B ‚hinreichend ähnlich‘ sind, also SIMILAR(B, B‘).

23. Angenommen, der empfangenen Nachricht M* entspricht eine Bedeutung B, die eine bestimmte Antwort seitens des Empfängers nahelegt, dann bräuchte der Empfänger noch eine Sendeoperation der Art Resp: B —> M* und T: M* —> S.

24. Ein Empfänger ist dann eine Struktur mit mindestens den folgenden Elementen: <S,N,M*,B,R,I,resp,T> (verglichen mit dem ursprünglichen Shannon-Modell: <S,N,M*,-,R,I,-,T>). So einfach diese Skizze ist, zeigt sie doch, dass man das Shannon Modell einfach erweitern kann unter Beibehaltung aller bisherigen Eigenschaften.

25. Natürlich ist eine detaillierte Ausführung der obigen Modellskizze sehr aufwendig. Würde man die Biologie einbeziehen wollen (z.B. im Stile von Deacon), dann müsste man die Ontogenese und die Phylogenese integrieren.

26. Die Grundidee der Ontogenese bestünde darin, einen Konstruktionsprozess zu definieren, der aus einem Anfangselement Zmin das endgültige System Sys in SYS erstellen würde. Das Anfangselement wäre ein minimales Element Zmin analog einer befruchteten Zelle, das alle Informationen enthalten würde, die notwendig wären, um diese Konstruktion durchführen zu können, also Ontogenese: Zmin x X —> SYS. Das ‚X‘ stünde für alle die Elemente, die im Rahmen einer Ontogenese aus der Umgebung ENV übernommen werden müssten, um das endgültige system SYS = <S,N,M*,B,R,I,resp,T> zu konstruieren.

27. Für die Phylogenese benötigte man eine Population von Systemen SYS in einer Umgebung ENV, von denen jedes System Sys in SYS mindestens ein minimales Anfangselement Zmin besitzt, das für eine Ontogenese zur Verfügung gestellt werden kann. Bevor die Ontogenese beginnen würde, würden zwei minimale Anfangselemente Zmin1 und Zmin2 im Bereich ihrer Bauanleitungen ‚gemischt‘, um dann der Ontogenese übergeben zu werden.

QUELLEN

  1. John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
  2. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169
  3. Bernd-Olaf Küppers 2010), „Information and communication in living matter“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.170-184
  4. Luciano Floridi (2015) Semantic Conceptions of Information, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  5. Jesper Hoffmeyer (2010), „Semiotic freedom: an emerging force“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.185-204
  6. Stichwort Information in der Stanford Enyclopedia of Philosophy von Pieter Adriaans (P.W.Adriaans@uva.nl) (2012)
  7. Peter Godfrey-Smith, Kim Sterelny (2009) Biological Information“, in: Stanford Enyclopedia of Philosophy
  8. Hans Jörg Sandkühler (2010), „Enzyklopädie Philosophie“, Bd.2, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Meiner Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-7873-1999-2, (3 Bde., parallel dazu auch als CD erschienen)
  9. Ludwig Boltzmann (1899), „Über die Entwicklung der Methoden der theoretischen Physik in neuerer Zeit“, in: „Populäre Schriften“, Leipzig:Verlag von Johann Ambrosius Barth, 1905, SS.198-227
  10. Lawrence Sklar (2015), Philosophy of Statistical Mechanics in Stanford Encyclopedia of Philosophy
  11. Schroedinger, E. „What is Life?“ zusammen mit „Mind and Matter“ und „Autobiographical Sketches“. Cambridge: Cambridge University Press, 1992 (‚What is Life‘ zuerst veröffentlicht 1944; ‚Mind an Matter‘ zuerst 1958)
  12. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  13. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  14. John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
  15. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  16. Monod, Jacques (1971). Chance and Necessity. New York: Alfred A. Knopf
  17. Introduction to Probability von Charles M. Grinstead und J. Laurie Snell, American Mathematical Society; Auflage: 2 Revised (15. Juli 1997)

BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 22.August 2015 – SHANNON BOLTZMANN DEACON – Was fehlt

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

Dies ist die Fertigstellung des vorausgehenden Beitrags zur Position von Deacon 2010.

VORIGER BEITRAG VON MAYNARD SMITH

1. Im vorigen Beitrag war die Kritik von John Maynard Smith an der Informationstheorie von Shannon vorgestellt worden. Diese fokussierte im wesentlichen auf der direkten Anwendung des Shannonschen Begriffs auf die informationsvermittelnden Prozesse bei der Selbstreproduktion der Zelle, und er konnte deutlich machen, dass viele informationsrelevanten Eigenschaften bei dem Reproduktionsprozess mit dem Shannonschen Informationsbegriff nicht erfasst werden.

NOCHMALS ZU SHANNON (1948)

2. Nochmals kurz zurück zu Shannon selbst. Claude Elwood Shannon (1916-2001) macht gleich zu Beginn seiner Schrift klar, dass er sich nicht um bedeutungsrelevante Eigenschaften kümmern will, sondern, als Ingenieur und Mathematiker interessieren ihn vor allem jene allgemeinen Eigenschaften bei der Übermittlung von Nachrichten, durch die eine abgesendete Nachricht (‚message‘) möglichst eindeutig auch wieder bei einem Empfänger ankommt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die aktuell zu übermittelnde Nachricht von einer bekannten Menge von möglichen Nachrichten ausgewählt wurde (Anmerkung: diese Menge muss sowohl dem Sender wie auch dem Empfänger bekannt sein). Der Sender muss in der Lage sein, die Nachricht in eine Ereignisform zu übersetzen (kodieren, encode), die innerhalb eines Kommunikationskanals übermittelt werden kann. Dazu werden in der Regel Sequenzen konkreter ‚Symbole‘ aus unterschiedlichen endlichen ‚Alphabeten‘ benutzt, die dann u.U. weiter übersetzt werden in konkrete physikalische Ereignisse in einem Kommunikationskanal. Das empfangende System wiederum muss diese Ereignisse so rückübersetzen können (dekodieren, decode), dass das System entscheiden kann, ob die ‚empfangenen Symbole‘ eine Nachricht im Sinne der vorausgesetzten Menge darstellen oder nicht.

3. Wichtig ist, dass Shannon im Allgemeinen zwar von Kommunikation spricht, die untersucht werden soll, und dass Kommunikation sich innerhalb der kommunizierenden Systeme über Nachrichten vermittelt, dass aber diese Nachrichten im realen physikalischen Austausch zwischen den Systemen als ephysikalische Ereigniss in einem Kommunikationskanal auftreten. Diese physikalischen Ereignisse (nicht die Nachrichten als solche!) müssen sich durch ihre Häufigkeit und durch ihren Unterscheidungsaufwand charakterisieren lassen.

4. Der ‚Unterscheidungsaufwand‘ resultiert daraus, dass ein physikalisches Ereignis in minimale Schaltereignisse aufgelöst werden muss, durch die es realisiert wird. So besteht zwischen den physikalischen Eigenschaften eines Signals, mittels dessen sich Nachrichten realisieren lassen, und den erzeugenden Schaltereignissen, ein transparenter Zusammenhang. Es hat sich eingebürgert, elementare Schaltvorgänge mit ‚1‘ und ‚0‘ zu charakterisieren und die Anzahl von benötigten Schaltvorgängen mittels des binären Zahlensystems zu ‚kodieren‘. In Anlehnung an John Wilder Tukey (1915-2000) übernahm Shannon die Sprechweise, dass ein physikalischer Zustand mit zwei möglichen Werten als binärer Zustand bezeichnet wird; er soll die Menge von 1 bit Information repräsentieren. Nur auf diesen Aspekt bezieht Shannon den Begriff der Information! Es geht um ein Maß für den Aufwand an unterscheidbaren technischen binären Schaltzuständen, die zur Realisierung von Signalen notwendig ist, mittels deren Nachrichten kodiert werden. Die Nachrichten selbst, die möglicherweise (und im Normalfall) noch zusätzlich komplexe Bedeutungen kodieren, bleiben in dieser Betrachtung völlig außen vor.

5. Man muss also davon ausgehen, dass es zwischen der Menge der möglichen Nachrichten in einem Sender und der Übersetzung dieser Nachrichten in geeignete Symbolketten, die dann weiter für physikalische Ereignisse im Kanal kodiert werden, eine hinreichende Korrespondenzbeziehung gibt, die im Übersetzungsvorgang (in der Enkodierung) festgelegt ist. In seinem theoretischen Modell geht Shannon dann davon aus, dass jedem unterscheidbaren Symbol im Übermittlungsprozess ein unterscheidbarer Zustand in seinem Modell einer Quelle entspricht, und dass es von jedem solchen Zustand zum nächsten möglichen Zustand eine Übergangswahrscheinlichkeit gibt, die man im realen Prozess über Häufigkeiten messen kann. Das Modell einer solchen Quelle nennt er ein ’stochastisches‘ Modell, hier genauer ein ‚Markov Modell‘, das zudem noch ‚ergodisch‚ sein soll.

 

DIE POSITION VON DEACON

ALLTAGSERFAHRUNG

6. Terrence W.Deacon (Geb.1950) beginnt seine Überlegungen mit der Alltagserfahrung, dass die physikalischen Ereignisse (Schallwellen, Schriftzeichen, …) als solche keinerlei Hinweise auf irgendetwas anderes Zusätzliches enthalten. Erst in der Interpretation durch einen Empfänger werden diese physikalischen (= extrinsischen) Ereignisse zu möglichen Hinweisen, Zeichen für etwas Anderes (Anmerkung: Deacon benutzt hier ‚about‘); dieses Andere können irgendwelche intrinsische abstrakte Sachverhalte sein, die als ’nicht existente‘ Objekte dennoch eine Wirkung auf einen Kommunikationsteilnehmer entfalten können. Wie diese Abbildung von erkannten empirischen extrinsischen Kommunikationsereignisse auf nicht empirische mentale intrinsische Sachverhalte genau vonstatten geht, dazu fehlt nach Deacon noch eine angemessene wissenschaftliche Erklärung. Der ontologische Status dieser intrinsischen abstrakten mentalen Sachverhalte ist unklar.

COMPUTER PARADIGMA

7. An dieser Stelle bringt Deacon das Computer-Paradigma ins Spiel. Er charakterisiert es so, dass man in einem Computer, der ein physikalisches Objekt mit vielen möglichen physikalischen Prozessen darstellt, sehr wohl Beziehungen zwischen unterschiedlichen physikalischen Prozessen und Zuständen herstellen kann, die man abstrakt als Abbildungs- und Bedeutungsbeziehungen interpretieren könnte. Anders als bei einem natürlichen physikalischen Prozess kann man in einem Computer das Verhalten eines physikalischen Prozesses von anderen physikalischen Eigenschaften abhängig machen; diese anderen ‚willkürlich zugeordneten‘ physikalischen Eigenschaften funktionieren in einer abstrakten Sehweise als ‚Referenz‚, als mögliche ‚Bedeutung‘. Insofern wäre der Computer prinzipiell ein theoretisches Modell für Interpretations- und Bedeutungsprozesse. Dennoch meint Deacon hier auf die Bremse treten zu müssen, da für ihn das Computerparadigma nur ‚syntaktisch‚ definiert sei und die möglichen Bedeutungen nur ‚implizit‘ besitzt. Auch jene Ansätze, die die syntaktische Maschinerie des Computers über ‚Verkörperung‘ (Englisch: ‚embodiment‘) und ‚Fundierung in der Realwelt‘ (Englisch: ‚grounding‘) mit Bedeutung aufladen wollen, akzeptiert er nicht als ‚Lösung‘ des Geist-Körper (‚mind-body‘) Problems.

8. Es wird nicht ganz klar, warum Deacon dieses offensichtlich über Shannon hinausgehende Computer-Paradigma nicht akzeptiert; man spürt nur einen starken Vorbehalt, der von einem inneren Widerstand gespeist wird, dessen innere Logik sich dem Leser verschließt. Er spricht an späterer Stelle nochmals von einem ‚mechanistischem Determinismus‚, wobei aber nicht klar ist, ob das Computer-Paradigma wirklich ‚deterministisch‘ ist; viele unterstellen dies spontan. Deswegen muss es aber nicht zutreffen. Deacon legt sich jedenfalls darin fest, dass im klassischen Computer-Paradigma nur das syntaktische Konzept von Information berücksichtigt sei. (vgl. S.157) Wenn er dann emphatisch behauptet, dass berechenbare Prozesse in einem Computer nichts haben, was sie von normalen physikalischen Prozessen unterscheidet (vgl. S.157), widerspricht er sich selbst, da er zuvor bei der Charakterisierung des Computer-Paradigmas geschrieben hat, dass sich Prozesse in einem Computer von anderen bloß physikalischen Prozessen gerade dadurch unterscheiden, dass sie Abbildungsbeziehungen (‚maping relationship‘) realisieren können. (vgl. S.155) Was gilt nun? Als Leser hat man den Eindruck, dass Deacon einerseits zwar gewisse Besonderheiten bei Berechnungsprozessen im Computer sehr wohl erkennt, dass er aber offensichtlich ‚innerlich‘ ein Problem damit hat, diesen Erkenntnissen weiter zu folgen.

QUANTENMECHANIK

9. Deacon diskutiert auch den möglichen Beitrag der Quantenmechanik für die Frage der potentiellen abstrakten Objekte. Die Quantenmechanik beobachtet und misst Eigenschaften am Verhalten der Materieteilchen, die sowohl dem alltäglichen Kausalverständnis wie auch einem platten Determinismus zu widersprechen scheinen. Dennoch konstatiert Deacon, dass dieses scheinbar nichtdeterministische Verhalten die Frage nach potentiellen Beziehungen zu anderen Tatbeständen nicht beantwortet. Die beobachtbaren sonderbaren Korrelationen zwischen bestimmten Teilchen sind nicht vergleichbar mit den intentionalen Sachverhalten, bei denen ein etwas ‚für‘ (‚about‘) ein ‚anderes‘ ’steht‘. (vgl. S.157)

INFORMATION

10. In der Begegnung mit der Schrift A mathematical theory of communication erkennt Deacon sehr wohl den spezifischen Beitrag von Shannon an, kritisiert aber, dass durch die Ausklammerung möglicher Bedeutungsanteile bei Shannon in der nachfolgenden Rezeption des Informationsbegriffs der Begriff der Information unzulässig vereinfacht und eingeengt wurde. Dies behinderte später eine angemessene Behandlung jener ausgelassenen Eigenschaften.

11. An dieser Stelle muss man fragen, ob die – in dieser Weise auch von vielen anderen – erhobene Kritik an einer Engführung des Begriffs Information am allerwenigsten Shannon selbst trifft, da dieser sehr klar und unmissverständlich schon auf der ersten Seite feststellt, dass er hier aufgrund des Interesses des Engineerings alle diese bedeutungsrelevanten Aspekte ausgeklammert hat. Man muss sich eher wundern, warum nicht andere nach Shannon, nachdem er solch eine exzellente Analyse einiger logischer Eigenschaften von Zeichenträgern in einem Kommunikationskanal vorgelegt hat, aufbauend auf diesen Analysen dann nicht weiterführende mathematische Modelle vorgelegt haben, die sich gerade um die von Shannon ausgeklammerte Bedeutungsproblematik kümmern. Ständig nur darüber zu klagen, dass Shannon nicht die ganze Breit des Problems behandelt hat, ist wenig hilfreich und wird seiner innovativen Leistung nicht gerecht.

12. Wenn Deacon behauptet, dass der Begriff ‚Information‘ ’nach Definition‘ die Beziehung von etwas zu etwas anderem bezeichnet, dann muss man hier viele Fragezeichen setzen. In der Zeit vor der sogenannten Informationstheorie (begründet u.a. durch Shannon und Norbert Wiener (1894-1964)) wurde der Begriff der ‚Information‘– wenn überhaupt – damals nicht so benutzt, wie wir ihn heute gerne benutzen. Im Vordergrund standen allgemeine philosophische Aspekt wie die ‚Formung der Materie‘, später die ‚Formung des Menschen‘ durch Erziehung, noch später die ‚Fixierung von Wissen‘. (vgl. Sandkühler 2010:1105f) Die explizite Frage nach der Bedeutung war eher gebunden an Reflexionen über Zeichen und ihren Bedeutungen, die erst in der Semiotik (vgl. Noeth 2000) und dann durch Wittgensteins Philosophische Untersuchungen (1953) explizit thematisch wurden. Allerdings stellte sich das Bedeutungsproblem in der Neuzeit mehr und mehr in einer Weise dar, die die Frage nach der Bedeutung als ’schwierig‘ oder gar ‚unbeantwortbar‘ erscheinen lässt. Und es ist sicher kein Zufall, dass auch im Gebiet der Logik, spätestens mit dem Aufkommen der modernen formalen Logik, alle möglichen Bedeutungsanteile genauso ‚entfernt‘ wurden wie in der modernen Informationstheorie. Dies wird gerne großzügig übersehen. Dass die moderne Logik weniger über das alltägliche Denken sagen kann als noch die antike Logik, ist bizarr.

ENTROPIE

13. Wäre der Artikel von Deacon ein Schachspiel, dann könnte man sagen, dass er an dieser Stelle der Argumentation mit einem ungewöhnlichen Zug überrascht. Anstatt, dass er jetzt den beklagten Mangel an Theorie für eine befriedigende Erklärung der möglichen Bedeutungsanteile im Rahmen von Kommunikation mit der Einführung eines entsprechenden Modells behebt, verharrt er bei dem Problem der ‚Abwesenheit der Bedeutung‘ bzw. ‚des Inhalts‘.

ENTROPIE IM KONTEXT VON SHANNON

14. Nachdem Shannon für seine technischen Zwecke mit dem ‚Bit‘ einen technischen Informationsbegriff eingeführt hatte, der auf dem Konzept des Entscheidungsaufwandes zur Erkennung eines Symbols aus dem verwendeten Alphabet aufbaute, führte er das Konzept der ‚Informationskapazität eines Kanals‘ (gemessen in Bits pro Sekunde) ein, sowie das Konzept einer ‚Informationsquelle‘. Diese Informationsquelle ist nicht vollständig zufällig und erzeugt Sequenzen von Informationselementen, die einer bestimmten statistischen Struktur gehorchen. Letztlich ist es ein diskretes Markov Modell (Anmerkung: für weitere Typen von Markov Modellen siehe HIER) mit der zusätzlichen Eigenschaft der Ergodizität. Und er führt dann ein Funktion H ein, die ‚messen‘ soll, wie viel (technische) Information von solch einer Quelle erzeugt wird. Er gibt keine Begründung für diese Formel im Detail sondern meint nur, dass die tatsächlich Begründung für diese Formel in ihren Implikationen liege. (vgl. S.393) Auch stellt Shannon einen direkten Bezug zur Entropieformel von Boltzmann her.

15. Auffällig an dieser Stelle ist, dass der zuvor eingeführte technische Informationsbegriff bezogen auf die Anzahl der technischen Entscheidungen, die notwendig sind, um ein Symbol von einem anderen zu entscheiden (die Anzahl der Bits), in diesem Informationsmaß H überhaupt keine Rolle mehr spielen! Stattdessen arbeitet Shannon hier nur noch mit Wahrscheinlichkeiten: (i) Wahrscheinlichkeiten dafür, dass ein bestimmter Zustand eintritt und (ii) Wahrscheinlichkeit dafür, dass in einem bestimmten Zustand ein bestimmtes Element ausgewählt wird. Die technische Beschaffenheit der Elemente spielt eigentlich keine Rolle mehr.

BOLTZMANN ENTROPIE

16. Daraus ergibt sich, dass Shannon im gleichen Text zwei ganz verschiedene Informationsbegriffe benutzt: (i) Information1 im Sinne des Aufwands an binärer Kodierung; (ii) Information2 als die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten bestimmter Elemente bzw. Sequenzen von Elementen. Der zweite Begriff hat strukturell Ähnlichkeiten mit dem Entropiebegriff von Boltzmann (1844 – 1906.

17. Mit Bedeutungsanteilen hat keiner der beiden Informationsbegriffe etwas zu tun.

UNKLARHEITEN IM ENTROPIEBEGRIFF

18. Ferner muss man hier einblenden, dass der Begriff der Entropie, den Shannon einführt, keinesfalls so eindeutig ist, wie man im ersten Moment glauben möchte. Shannon zitiert Boltzmann mit seiner Entropieformel. Letzterer gehört zu den Mitbegründern dessen, was man heute Statistische Mechanik nennt, die im Rahmen der allgemeinen Thermodynamik nur einen Teilbereich abbildet. Wie der Philosoph Lawrence Sklar (Geb.1938) herausgearbeitet hat (siehe Lawrence Sklar (2015), Philosophy of Statistical Mechanics), sind die Begrifflichkeiten der verschiedenen Teiltheorien alles andere als klar (und hängen, sobald sie auf reale Bereiche angewendet werden, von sehr vielen speziellen Begriffen ab). Zudem ist nicht gesichert, ob und wie die vorausgesetzten Statistiken die unterstellten empirischen Strukturen tatsächlich so abbilden, wie diese sich in der empirischen Welt verhalten. Einen ‚Entropiebegriff‘ einzuführen erklärt damit nicht automatisch die Frage, die man beantworten möchte.

ABWESENHEIT DES MÖGLICHEN

19. Dass Deacon von der ‚Abwesenheit‘ des Inhalts, der Bedeutungsanteile, sprechen kann, liegt nur daran, dass er relativ zu einem Kommunikationsmedium mit seinen Symbolen einen Empfänger voraussetzt, der ‚in sich‘ (mental) relativ zu den wahrnehmbaren (und unmittelbar präsenten) Symbolen (mental) annimmt (!), dass diese wahrnehmbaren Symbole einen Bezug (‚about‘) zu etwas Anderem haben, das nicht ‚unmittelbar präsent‘ (in der empirischen Situation) ist. Natürlich ist der Bezug (about) zu dem Anderen in (!) den mentalen Zuständen des Interpreten gleichzeitig unmittelbar präsent. Ohne diese fundamentale Annahme gebe es keinerlei Grund, das Vorkommen von Symbolen so zu charakterisieren, dass ihnen Bedeutungsanteile fehlen würden. Diese fundamentale Annahme macht Deacon aber nicht explizit. Stattdessen analysiert er die Eigenschaften des Kommunikationsmediums weiter, das als solches keinerlei Bezug zu einer Bedeutung (about) hat.

SHANNON-BOLTZMANN ENTROPIE

20. Deacon benutzt dann die Bezugnahme von Shannon auf den Entropiebegriff von Boltzmann in dem Sinne, dass Boltzmann in seinem Entropiebegriff annimmt, dass die Veränderung eines wahrscheinlicheren Zustandes durch Ausführung von Arbeit in Richtung eines weniger wahrscheinlicheren Zustandes die Entropie bei Boltzmann verringert (da dieser Entropiebegriff am größten ist, je mehr Freiheitsgrade die Mikroteilchen des unterstellten Systems haben. Dies setzt die Annahme voraus, dass die Einschränkung der Freiheitsgrade durch ‚Bindungen‘ auftreten, die nur durch Energiezufuhr (Arbeit, Wärme, …) aufgelöst werden können). Arbeit impliziert eine extrinsische Einwirkung auf das System.

21. Mit dem Shannonschen Entropiebegriff ist die Entropie auch am größten, wenn alle Kommunikationselemente gleich wahrscheinlich sind. Im Shannonschen Entropiebegriff wird aber keinerlei Annahme darüber gemacht, wie eine Ungleichverteilung zustande kommt. Während die Physiker unterschiedliche Modellvorstellungen darüber entwickelt haben, wie sich Elemente eines System ‚binden‘ können und wie man diese Bindungen wieder auflöst, verzichtet Shannon darauf völlig, da er ja nur die Auswirkungen von den verschiedenen Verteilungen auf den Kommunikationskanal beschreiben wollte. Der Shannonschen Entropiebegriff leistet insofern formal annähernd das Gleiche wie der Entropiebegriff von Boltzmann, aber er bietet keinerlei Ansatzpunkte, etwas darüber zu sagen, was zu den unterschiedlichen Verteilungen führt. Würde man (was Shannon explizit nicht getan hat und wofür er keinerlei Grund hatte) das Modell der Informationsquelle dahingehend erweitern, dass man das formale Modell eines Sprecher-Hörers konzipieren würde, in dem man die Entstehung von Verteilungen mit modellieren würde, dann könnte man ein Äquivalent zum Begriff der ‚Arbeit‘ im Boltzmann Modell (und dann in allen thermodynamischen Modellen) bekommen, welches den ‚mentalen/ kognitiven‘ Aufwand modellieren würde, der notwendig ist, um die Elemente eines Kommunikationsereignisses mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten zu konfigurieren. So wie es aus technischer Sicht einen unterschiedlichen Schaltungsaufwand – gemessen in Bits – bedeutet, unterschiedliche große Symbolmengen zu realisieren, so kann man unterstellen, dass es aus technischer Sicht einen höheren Aufwand bedeutet, eine Menge von N Elementen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten zu konfigurieren und zu verwalten. Möglicherweise kann man diesen technischen Aufwand auch in Bits messen; möglicherweise aber besser in der Anzahl notwendiger Elementaroperationen eines definierten idealen Rechners. Würde man zusätzlich eine Abbildung herstellen zwischen der technischen Maschinerie zur Konstruktion und Verwaltung von Elementen mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten zu dem formalen Modell eines ‚mentalen Raumes‘, dann könnte man die technisch-digitale Arbeit übersetzen in eine ‚mentale-kognitive‘ Arbeit.

22. Deacon spricht zwar von einer ‚intimen Beziehung‘ zwischen dem Entropiebegriff von Shannon und Boltzmann, beschränkt sich aber auf den sehr äußerlichen Aspekt, dass der physikalischen Kommunikationskanal die ‚Basis einer Signalreferenz‘ ist. Er verfolgt dann aber den Aspekt der ‚Referenz‘ (zu möglichen Umständen einer Bedeutung) nicht direkt, sondern reflektiert eher den Unterschied zwischen jenen Kommunikationsereignissen, die im Kanal zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten und jenen, die auch noch auftreten könnten, aber aufgrund bestimmter Beschränkungen (‚constraints‘) nicht jetzt aufgetreten sind. Auch hier stellt er fest, dass diese Beschränkungen zusammen mit der Differenz zwischen jetzt präsent und was sein könnte keine inhärenten Eigenschaften der physikalischen Beschaffenheit des Kanals oder der Kommunikationselemente als solcher ist, sondern eine ‚Beziehungseigenschaft‘ (‚relational property‘), die auf eine ‚extrinsische Intervention‘ (‚extrinsic intervention‘) verweisen. An anderer Stelle formuliert Deacon es so, dass die Abweichung von einem erwarteten Zustand genommen wird als Referenz zu einer ansonsten unbeobachteten Ursache. (vgl. Deacon 2010:162)

REFERENZ IN DER ABWESENHEIT

23. Es ist schon auffällig, dass Deacon einerseits sehr beharrlich den unvollständigen (reduktiven) Charakter des Sprechens über Kommunikationselemente ohne Bedeutungsbezug anspricht, dass er aber die dazu notwendigen Annahmen über spezielle Eigenschaften des Hörer oder Senders, zur ‚In-Beziehung-Setzung‘ von Kommunikationselementen mit möglichen Bedeutungen vollständig außen vor lässt. Wenn schon das Kommunikationselement als solches (und auch nicht der Kommunikationskanal) keinerlei Hinweis auf mögliche Bedeutungen liefert, er aber dennoch von ‚Bezug‘, ‚Erwartung‘, ‚Differenz‘ usw. spricht, wundert es, warum er nicht direkt die beteiligten Hörer-Specher in seine Modellierungen einbezieht. Stattdessen versucht er über die formale Ähnlichkeit zwischen der Entropie bei Shannon und Boltzmann eine Brücke zu ‚äußeren Einflüssen‘ zu bauen, die zwar der Entropiebegriff von Boltzmann dank seiner Einbettung in ein weiterführendes physikalisches Modell bietet, nicht (!!!) aber der Entropiebegriff von Shannon. Shannon hat dies nicht interessiert und er benötigt es auch nicht.

24. Dieses Beharren auf das Postulat von äußeren Einflüssen bei Änderung von Zuständen wird umso unverständlicher, als Deacon selbst feststellt, dass weder die Unterschied im Symbol selbst noch mögliche externe Arbeit aus sich heraus irgendeinen Bezug zu möglicher Bedeutung haben müssen. (vgl. Deacon 2010:162f)

NOTWENDIGKEIT DER INTERPRETATION

25. An einer Stelle stellt Deacon dann fest, dass die Einbettung eines Kommunikationselementes in eine Beziehung mit referentiellem Anteil einen ‚Prozess‘ voraussetzt, einen ‚Interpretationsprozess‘, für dessen Beschreibung jedoch eine geeignete Theorie fehle. Er greift dann Gregory Bateson (1904-1980) auf, der die Formel bietet „Eine Differenz die eine Differenz macht“. So kryptisch diese Formulierung ist, Deacon greift sie auf und verbindet diese Idee mit dem vorausgehenden Postulat, dass das Überschreiten eines Kommunikationselementes in Richtung einer möglichen Referenz einen Interpretationsprozess voraussetzt. Dieser Interpretationsprozess muss empfänglich (’susceptible‘, ’sensitiv‘) sein für Einwirkungen von außen, muss modifizierbar sein, und muss differenziert fähig sein, aufgrund dieser Änderungen Arbeit ausführen zu können. (vgl. Deacon 2010:164)

INTERPRETATIONSPROZESS ALS PHYSIKALISCH-BIOLOGISCHER PROZESS

26. Insofern dieser Interpretationsprozess ein biologischer Prozess sein soll, muss man nach Deacon verlangen, dass dieser Prozess sich nicht in einem thermodynamischen Gleichgewicht befindet. Dies ist aber nur möglich, wenn es eine Umgebung gibt, die hinreichende Unterstützung (z.B. freie Energie) zur Erhaltung des Nichtgleichgewichts bietet. Zugleich impliziert dies nach Deacon die Annahme, dass solch ein interpretatives System sich von der Umgebung abgrenzen muss, was eine gewisse körperliche Identität mit sich bringt. Auch sieht Deacon hier eine implizite Normativität gegeben, insofern die Vorgaben der Umgebung für das agierende Systeme eine Quasi-Norm darstellen, die das System erfüllen muss, sollen seine Nachkommen überleben (die Nachkommen erwähnt Deacon nicht).

27. An dieser Stelle behauptet Deacon dann, dass diese physikalische Beziehungen zwischen System und Umgebung dann in eine Informationsbeziehung verwandelt wird. Dies ist eine überraschende Formulierung. Bislang gibt es ja nur zwei Informationsbegriffe: Information1 bezogen auf den Entscheidungsaufwand zur Darstellung eines Kommunikationselementes in einer Menge (Alphabet); Information2 als gewichteter Logarithmus der Wahrscheinlichkeiten aller aktuell verfügbaren Elemente. Wie diese Begriffe sich jetzt in den postulierten Prozess im thermodynamischen Ungleichgewicht einfügen sollen, ist nicht klar. Wenn er dann noch die Begriffe ‚Evolutionär‘ und ‚emergent‘ einwirft, wird es nicht klarer, was er eigentlich meint. Man kann nur ahnen, dass er in der dynamischen Wechselbeziehung zwischen ‚inneren‘ Zuständen des Interpretationsprozesses in Abhängigkeit von Gegebenheiten der externen Umgebung Differenzen im Innern des Systems sieht, die als ‚Ursache‘ des beobachtbaren Verhaltens (= Arbeit?) dienen und in diesem Sinne jene möglichen Referenzen repräsentieren, die dann zur Produktion nicht nur von Verhalten allgemein sondern auch von speziellem Kommunikationsverhalten führen können, die sich in der Produktion von Kommunikationselementen manifestieren. Dies motiviert ein wenig seine begriffliche Hierarchie von (i) syntaktischer Information (Shannon), (ii) semantischer Information (Shannon-Boltzmann) sowie (iii) pragmatischer Information (Shannon-Boltzmann-Darwin). (vgl. Deacon 2010:166)

SEMIOTIK

28. So schön dies klingt, hier bleibt Deacon viele wichtigen Erklärungen schuldig. Aus dem, was er zuvor erläutert hatte, lassen sich diese Begriffe nicht motivieren. Die Begriffe ’syntaktisch‘, ’semantisch‘ und pragmatisch‘ gehören in das Begriffsnetzwerk der Semiotik (ausführlich bei Noeth 2000), von der Deacon zuvor nichts erklärt hatte. Außerdem bietet die Semiotik keine einheitliche Theorie. Den Ansatz von Shannon ’syntaktisch‘ zu beschreiben könnte partiell funktionieren. Die Kombination aus Shannon und Boltzmann als ’semantisch‘ zu bezeichnen, ist nicht nachvollziehbar; das Dreigestirn Shannon-Boltzmann-Darwin mit der Pragmatik in Beziehung zu setzen, könnte irgendwo funktionieren, würde aber voraussetzen, dass man entsprechend die syntaktische und semantische Dimension herausgearbeitet hat. Das ist in diesem Text nicht zu sehen. (Anmerkung: Deacon verweist hier auf zwei Artikel von ihm selbst, in denen dieses Thema behandelt worden sein soll: Deacon 2007, Deacon 2008. Grob erscheint der Beitrag im Buch 2010 als eine verkürzte Fassung dieser beiden Artikel. Es wird sich lohnen, diese zusätzlich zu lesen).

MENTALES ALS PRODUKT DER INTERAKTION MIT UMWELT

29. In den abschließenden Überlegungen Deacons (Deacon 2010: 168ff) blitzt ein wenig das Motiv auf, warum Deacon nach dem Konstatieren der Bedeutungsanteile im Modell von Shannon nicht einfach ein erweitertes Modell vorgestellt hat. Er will nicht das Mentale/ Kognitive einfach so separat vom gesamten Systemdarstellen, sondern als ein ein Moment des dynamischen Entwicklungsprozesses (Phylogenese, Ontogenese), innerhalb dessen ein System seine Unterschiede und Beschränkungen in der Interaktion mit der Umgebung ausbildet. Deacon will die Referenz nicht nur formal fundieren (wie z.B. im Paradigma des ‚Embodyments‘ oder ‚Groundings‘), sondern physikalisch-biologisch. Dies kann man nur begrüßen. Allerdings gibt es schon sehr viele Ansätze, die dieses versucht haben oder versuchen. Allerdings nicht so explizit hart orientiert an den Entropiebegriffen von Shannon und Boltzmann. Und mehr als eine erste grobe Idee hat Deacon hier nicht geliefert. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Konzepte von Shannon, Boltzmann und Darwin tatsächlich all das hergeben, was Deacon innovativ ihnen einfach mal so unterstellt hat.

 

Eine weitere Zwischenreflexion war notwendig. Zum Mitlesen klicke HIER

QUELLEN

  1. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169
  2. Hans Jörg Sandkühler (2010), „Enzyklopädie Philosophie“, Bd.2,, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Meiner Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-7873-1999-2, (3 Bde., parallel dazu auch als CD erschienen)
  3. Lawrence Sklar (2015), Philosophy of Statistical Mechanics in Stanford Encyclopedia of Philosophy
  4. Schroedinger, E. „What is Life?“ zusammen mit „Mind and Matter“ und „Autobiographical Sketches“. Cambridge: Cambridge University Press, 1992 (‚What is Life‘ zuerst veröffentlicht 1944; ‚Mind an Matter‘ zuerst 1958)
  5. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  6. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  7. Deacon, T. (2007), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 1. in: Cognitive Semiotics, 1: 123-148
  8. Deacon, T. (2008), Shannon-Boltzmann-Darwin: Redfining information. Part 2. in: Cognitive Semiotics, 2: 167-194
  9. Bateson, G. (2000 reprint. First published 1972). Steps to an Ecology of Mind: Collected Essays in Anthropology, Psychiatry, Evolution, and Epistemology. Chicago, Illinois: University of Chicago Press
  10. John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
  11. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  12. Monod, Jacques (1971). Chance and Necessity. New York: Alfred A. Knopf
  13. Introduction to Probability von Charles M. Grinstead und J. Laurie Snell, American Mathematical Society; Auflage: 2 Revised (15. Juli 1997)

BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 19.August 2015 – INFORMATION – WHAT IS MISSING – Terrence W.Deacon

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

!!! ACHTUNG: Noch nicht vollständig !!!

VORIGER BEITRAG

1. Im vorigen Beitrag war die Kritik von John Maynard Smith an der Informationstheorie von Shannon vorgestellt worden. Diese fokussierte im wesentlichen auf der direkten Anwendung des Shannonschen Begriffs auf die informationsvermittelnden Prozesse bei der Selbstreproduktion der Zelle, und er konnte deutlich machen, dass viele informationsrelevanten Eigenschaften bei dem Reproduktionsprozess mit dem Shannonschen Informationsbegriff nicht erfasst werden.

NOCHMALS ZU SHANNON (1948)

2. Nochmals kurz zurück zu Shannon selbst. Claude Elwood Shannon (1916-2001) macht gleich zu Beginn seiner Schrift klar, dass er sich nicht um bedeutungsrelevante Eigenschaften kümmern will, sondern, als Ingenieur und Mathematiker interessieren ihn vor allem jene allgemeinen Eigenschaften bei der Übermittlung von Nachrichten, durch die eine abgesendete Nachricht (‚message‘) möglichst eindeutig auch wieder bei einem Empfänger ankommt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die aktuell zu übermittelnde Nachricht von einer bekannten Menge von möglichen Nachrichten ausgewählt wurde (Anmerkung: diese Menge muss sowohl dem Sender wie auch dem Empfänger bekannt sein). Der Sender muss in der Lage sein, die Nachricht in eine Ereignisform zu übersetzen (kodieren, encode), die innerhalb eines Kommunikationskanals übermittelt werden kann. Dazu werden in der Regel Sequenzen konkreter ‚Symbole‘ aus unterschiedlichen endlichen ‚Alphabeten‘ benutzt, die dann u.U. weiter übersetzt werden in konkrete physikalische Ereignisse in einem Kommunikationskanal. Das empfangende System wiederum muss diese Ereignisse so rückübersetzen können (dekodieren, decode), dass das System entscheiden kann, ob die ‚empfangenen Symbole‘ eine Nachricht im Sinne der vorausgesetzten Menge darstellen oder nicht.

3. Wichtig ist, dass Shannon im Allgemeinen zwar von Kommunikation spricht, die untersucht werden soll, und dass Kommunikation sich innerhalb der kommunizierenden Systeme über Nachrichten vermittelt, dass aber diese Nachrichten im realen physikalischen Austausch zwischen den Systemen als ephysikalische Ereigniss in einem Kommunikationskanal auftreten. Diese physikalischen Ereignisse (nicht die Nachrichten als solche!) müssen sich durch ihre Häufigkeit und durch ihren Unterscheidungsaufwand charakterisieren lassen.

4. Der ‚Unterscheidungsaufwand‘ resultiert daraus, dass ein physikalisches Ereignis in minimale Schaltereignisse aufgelöst werden muss, durch die es realisiert wird. So besteht zwischen den physikalischen Eigenschaften eines Signals, mittels dessen sich Nachrichten realisieren lassen, und den erzeugenden Schaltereignissen, ein transparenter Zusammenhang. Es hat sich eingebürgert, elementare Schaltvorgänge mit ‚1‘ und ‚0‘ zu charakterisieren und die Anzahl von benötigten Schaltvorgängen mittels des binären Zahlensystems zu ‚kodieren‘. In Anlehnung an John Wilder Tukey (1915-2000) übernahm Shannon die Sprechweise, dass ein physikalischer Zustand mit zwei möglichen Werten als binärer Zustand bezeichnet wird; er soll die Menge von 1 bit Information repräsentieren. Nur auf diesen Aspekt bezieht Shannon den Begriff der Information! Es geht um ein Maß für den Aufwand an unterscheidbaren technischen binären Schaltzuständen, die zur Realisierung von Signalen notwendig ist, mittels deren Nachrichten kodiert werden. Die Nachrichten selbst, die möglicherweise (und im Normalfall) noch zusätzlich komplexe Bedeutungen kodieren, bleiben in dieser Betrachtung völlig außen vor.

5. Man muss also davon ausgehen, dass es zwischen der Menge der möglichen Nachrichten in einem Sender und der Übersetzung dieser Nachrichten in geeignete Symbolketten, die dann weiter für physikalische Ereignisse im Kanal kodiert werden, eine hinreichende Korrespondenzbeziehung gibt, die im Übersetzungsvorgang (in der Enkodierung) festgelegt ist. In seinem theoretischen Modell geht Shannon dann davon aus, dass jedem unterscheidbaren Symbol im Übermittlungsprozess ein unterscheidbarer Zustand in seinem Modell einer Quelle entspricht, und dass es von jedem solchen Zustand zum nächsten möglichen Zustand eine Übergangswahrscheinlichkeit gibt, die man im realen Prozess über Häufigkeiten messen kann. Das Modell einer solchen Quelle nennt er ein ’stochastisches‘ Modell, hier genauer ein ‚Markov Modell‘, das zudem noch ‚ergodisch‚ sein soll.

 

DIE POSITION VON DEACON

ALLTAGSERFAHRUNG

6. Terrence W.Deacon (Geb.1950) beginnt seine Überlegungen mit der Alltagserfahrung, dass die physikalischen Ereignisse (Schallwellen, Schriftzeichen, …) als solche keinerlei Hinweise auf irgendetwas anderes Zusätzliches enthalten. Erst in der Interpretation durch einen Empfänger werden diese physikalischen (= extrinsischen) Ereignisse zu möglichen Hinweisen, Zeichen für etwas Anderes (Anmerkung: Deacon benutzt hier ‚about‘); dieses Andere können irgendwelche intrinsische abstrakte Sachverhalte sein, die als ’nicht existente‘ Objekte dennoch eine Wirkung auf einen Kommunikationsteilnehmer entfalten können. Wie diese Abbildung von erkannten empirischen extrinsischen Kommunikationsereignisse auf nicht empirische mentale intrinsische Sachverhalte genau vonstatten geht, dazu fehlt nach Deacon noch eine angemessene wissenschaftliche Erklärung. Der ontologische Status dieser intrinsischen abstrakten mentalen Sachverhalte ist unklar.

COMPUTER PARADIGMA

7. An dieser Stelle bringt Deacon das Computer-Paradigma ins Spiel. Er charakterisiert es so, dass man in einem Computer, der ein physikalisches Objekt mit vielen möglichen physikalischen Prozessen darstellt, sehr wohl Beziehungen zwischen unterschiedlichen physikalischen Prozessen und Zuständen herstellen kann, die man abstrakt als Abbildungs- und Bedeutungsbeziehungen interpretieren könnte. Anders als bei einem natürlichen physikalischen Prozess kann man in einem Computer das Verhalten eines physikalischen Prozesses von anderen physikalischen Eigenschaften abhängig machen; diese anderen ‚willkürlich zugeordneten‘ physikalischen Eigenschaften funktionieren in einer abstrakten Sehweise als ‚Referenz‚, als mögliche ‚Bedeutung‘. Insofern wäre der Computer prinzipiell ein theoretisches Modell für Interpretations- und Bedeutungsprozesse. Dennoch meint Deacon hier auf die Bremse treten zu müssen, da für ihn das Computerparadigma nur ‚syntaktisch‚ definiert sei und die möglichen Bedeutungen nur ‚implizit‘ besitzt. Auch jene Ansätze, die die syntaktische Maschinerie des Computers über ‚Verkörperung‘ (Englisch: ‚embodiment‘) und ‚Fundierung in der Realwelt‘ (Englisch: ‚grounding‘) mit Bedeutung aufladen wollen, akzeptiert er nicht als ‚Lösung‘ des Geist-Körper (‚mind-body‘) Problems.

8. Es wird nicht ganz klar, warum Deacon dieses offensichtlich über Shannon hinausgehende Computer-Paradigma nicht akzeptiert; man spürt nur einen starken Vorbehalt, der von einem inneren Widerstand gespeist wird, dessen innere Logik sich dem Leser verschließt. Er spricht an späterer Stelle nochmals von einem ‚mechanistischem Determinismus‚, wobei aber nicht klar ist, ob das Computer-Paradigma wirklich ‚deterministisch‘ ist; viele unterstellen dies spontan. Deswegen muss es aber nicht zutreffen. Deacon legt sich jedenfalls darin fest, dass im klassischen Computer-Paradigma nur das syntaktische Konzept von Information berücksichtigt sei. (vgl. S.157) Wenn er dann emphatisch behauptet, dass berechenbare Prozesse in einem Computer nichts haben, was sie von normalen physikalischen Prozessen unterscheidet (vgl. S.157), widerspricht er sich selbst, da er zuvor bei der Charakterisierung des Computer-Paradigmas geschrieben hat, dass sich Prozesse in einem Computer von anderen bloß physikalischen Prozessen gerade dadurch unterscheiden, dass sie Abbildungsbeziehungen (‚maping relationship‘) realisieren können. (vgl. S.155) Was gilt nun? Als Leser hat man den Eindruck, dass Deacon einerseits zwar gewisse Besonderheiten bei Berechnungsprozessen im Computer sehr wohl erkennt, dass er aber offensichtlich ‚innerlich‘ ein Problem damit hat, diesen Erkenntnissen weiter zu folgen.

QUANTENMECHANIK

9. Deacon diskutiert auch den möglichen Beitrag der Quantenmechanik für die Frage der potentiellen abstrakten Objekte. Die Quantenmechanik beobachtet und misst Eigenschaften am Verhalten der Materieteilchen, die sowohl dem alltäglichen Kausalverständnis wie auch einem platten Determinismus zu widersprechen scheinen. Dennoch konstatiert Deacon, dass dieses scheinbar nichtdeterministische Verhalten die Frage nach potentiellen Beziehungen zu anderen Tatbeständen nicht beantwortet. Die beobachtbaren sonderbaren Korrelationen zwischen bestimmten Teilchen sind nicht vergleichbar mit den intentionalen Sachverhalten, bei denen ein etwas ‚für‘ (‚about‘) ein ‚anderes‘ ’steht‘. (vgl. S.157)

DEACON UND DER INFORMATIONSBEGRIFF

10. In der Begegnung mit der Schrift A mathematical theory of communication erkennt Deacon sehr wohl den spezifischen Beitrag von Shannon an, kritisiert aber, dass durch die Ausklammerung möglicher Bedeutungsanteile bei Shannon in der nachfolgenden Rezeption des Informationsbegriffs der Begriff der Information unzulässig vereinfacht und eingeengt wurde. Dies behinderte später eine angemessene Behandlung jener ausgelassenen Eigenschaften.

11. An dieser Stelle muss man fragen, ob die – in dieser Weise auch von vielen anderen – erhobene Kritik an einer Engführung des Begriffs Information am allerwenigsten Shannon selbst trifft, da dieser sehr klar und unmissverständlich schon auf der ersten Seite feststellt, dass er hier aufgrund des Interesses des Engineerings alle diese bedeutungsrelevanten Aspekte ausgeklammert hat. Man muss sich eher wundern, warum nicht andere nach Shannon, nachdem er solch eine exzellente Analyse einiger logischer Eigenschaften von Zeichenträgern in einem Kommunikationskanal vorgelegt hat, aufbauend auf diesen Analysen dann nicht weiterführende mathematische Modelle vorgelegt haben, die sich gerade um die von Shannon ausgeklammerte Bedeutungsproblematik kümmern. Ständig nur darüber zu klagen, dass Shannon nicht die ganze Breit des Problems behandelt hat, ist wenig hilfreich und wird seiner innovativen Leistung nicht gerecht.

12. Wenn Deacon behauptet, dass der Begriff ‚Information‘ ’nach Definition‘ die Beziehung von etwas zu etwas anderem bezeichnet, dann muss man hier viele Fragezeichen setzen. In der Zeit vor der sogenannten Informationstheorie (begründet u.a. durch Shannon und Norbert Wiener (1894-1964)) wurde der Begriff der ‚Information‘– wenn überhaupt – damals nicht so benutzt, wie wir ihn heute gerne benutzen. Im Vordergrund standen allgemeine philosophische Aspekt wie die ‚Formung der Materie‘, später die ‚Formung des Menschen‘ durch Erziehung, noch später die ‚Fixierung von Wissen‘. (vgl. Sandkühler 2010:1105f) Die explizite Frage nach der Bedeutung war eher gebunden an Reflexionen über Zeichen und ihren Bedeutungen, die erst in der Semiotik (vgl. Noeth 2000) und dann durch Wittgensteins Philosophische Untersuchungen (1953) explizit thematisch wurden. Allerdings stellte sich das Bedeutungsproblem in der Neuzeit mehr und mehr in einer Weise dar, die die Frage nach der Bedeutung als ’schwierig‘ oder gar ‚unbeantwortbar‘ erscheinen lässt. Und es ist sicher kein Zufall, dass auch im Gebiet der Logik, spätestens mit dem Aufkommen der modernen formalen Logik, alle möglichen Bedeutungsanteile genauso ‚entfernt‘ wurden wie in der modernen Informationstheorie. Dies wird gerne großzügig übersehen. Dass die moderne Logik weniger über das alltägliche Denken sagen kann als noch die antike Logik, ist bizarr.

Die vollständige Fassung findet sich HIER.

QUELLEN

  1. Terrence W.Deacon (2010), „What is missing from theories of information“, in: INFORMATION AND THE NATURE OF REALITY. From Physics to Metaphysics“, ed. By Paul Davies & Niels Henrik Gregersen, Cambridge (UK) et al: Cambridge University Press, pp.146 – 169
  2. Hans Jörg Sandkühler (2010), „Enzyklopädie Philosophie“, Bd.2,, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Meiner Verlag, Hamburg 2010, ISBN 978-3-7873-1999-2, (3 Bde., parallel dazu auch als CD erschienen)
  3. Schroedinger, E. „What is Life?“ zusammen mit „Mind and Matter“ und „Autobiographical Sketches“. Cambridge: Cambridge University Press, 1992 (‚What is Life‘ zuerst veröffentlicht 1944; ‚Mind an Matter‘ zuerst 1958)
  4. Claude E. Shannon, A mathematical theory of communication. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948
  5. Claude E. Shannon; Warren Weaver (1949) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
  6. John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
  7. Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
  8. Monod, Jacques (1971). Chance and Necessity. New York: Alfred A. Knopf
  9. Introduction to Probability von Charles M. Grinstead und J. Laurie Snell, American Mathematical Society; Auflage: 2 Revised (15. Juli 1997)

BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 18.August 2015 – INFORMATION IN DER MOLEKULARBIOLOGIE – Maynard-Smith

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

SPANNENDER PUNKT BEIM SCHREIBEN

1. Das Schreiben des Buches hat zu einem spannenden Punkt geführt, der mich seit Jahren umtreibt, den ich aber nie so richtig zu packen bekommen habe: alle große begriffliche Koordinaten laufen im Ereignis der Zelle als einer zentralen Manifestation von grundlegenden Prinzipien zusammen. Die Physik hat zwar generelle Vorarbeiten von unschätzbarem Wert geleistet, aber erst das Auftreten von selbst reproduzierenden molekularen Strukturen, die wir (biologische) Zellen nennen, macht Dynamiken sichtbar, die ‚oberhalb‘ ihrer ‚Bestandteile‘ liegen. Dies könnte man analog dem physikalischen Begriff der ‚Gravitation‘ sehen: dem physikalischen Begriff entspricht kein direktes Objekt, aber es beschreibt eine Dynamik, eine Gesetzmäßigkeit, die man anhand des Verhaltens der beobachtbaren Materie indirekt ‚ableitet‘.

DYNAMIK BIOLOGISCHER ZELLEN

2. Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen Dynamiken von biologischen Zellen. Die Beschreibung ihrer einzelnen Bestandteile (Chromatin, Mitochondrien, Golgiapparat, Membran, …) als solcher sagt nichts darüber aus, was tatsächlich eine biologische Zelle charakterisiert. Ihre Haupteigenschaft ist die generelle Fähigkeit, eingebettet in eine allgemeine Entropiezunahme sich eine Struktur zu generieren, die sich temporär funktionsfähig halten kann und in der Lage ist, Informationen zu sammeln, mittels deren sie sich selbst so kopieren kann, dass die Kopie sich von neuem zu einer funktionsfähigen Struktur aufbauen kann. Wie dies im einzelnen chemisch realisiert wurde, ist beeindruckend, es ist atemberaubend, aber es ist letztlich austauschbar; für die Gesamtfunktion spielen die chemischen Details keine Rolle.

BEGRIFF INFORMATION

3. Und hier beginnt das Problem. Obwohl es von einem theoretischen Standpunkt aus klar ist, dass die Details noch nicht die eigentliche Geschichte erzählen, wird in den vielen umfangreichen Büchern über Genetik und Molekularbiologie die eigentliche ‚Story‘ nicht erzählt. Dies fängt schon an mit dem wichtigen Begriff der Information. Spätestens seit Schrödingers Buch von 1944 „What is Life?“ ist klar, dass das selbstreproduktive Verhalten von Zellen ohne das Genom nicht funktioniert. Und es wurde auch sehr bald der Begriff der Information eingeführt, um den ‚Inhalt‘ des Genoms theoretisch zu klassifizieren. Das Genom enthält ‚Informationen‘, aufgrund deren in einer Vererbung neue hinreichend ähnlich Strukturen entstehen können.

STATISTISCHER INFORMATIONSBEGRIFF

4. Leider wurde und wird der Informationsbegriff im Sinne des rein statistischen Informationsbegriffs von Shannon/ Weaver (1948) benutzt, der explizit Fragen möglicher Bedeutungsbezüge (Semantik) außen vor lässt. Damit ist er eigentlich weitgehend ungeeignet, der Rolle der im Genom verfügbaren Informationen gerect zu werden.

MEHR ALS STATISTIK

5. Einer, der diese Unzulänglichkeit des rein statistischen Informationsbegriffs für die Beschreibung der Rolle der Information im Kontext des Genoms und der Zelle samt ihrer Reproduktionsdynamik immer kritisiert hatte, war John Maynard Smith (1920 – 2004). In seinem Artikel “ The concept of information in biology“ von 2000 kann man dies wunderbar nachlesen.

6. Zwar hat auch Maynard Smith keine explizite übergreifende Theorie der Reproduktionsdynamik, aber er kann an verschiedenen Eigenschaften aufweisen, dass der rein statistische Informationsbegriff nicht ausreicht.

7. Während im Shannon-Weaver Modell ein fester Kode A von einem Sender in Transportereignisse übersetzt (kodiert) wird, die wiederum in den festen Kode A von einem Empfänger zurückübersetzt (dekodiert) werden, ist die Lage bei der Zelle anders.

8. Nimmt man an, dass der zu sendende Kode das DNA-Molekül ist, das in seiner Struktur eine potentielle Informationssequenz repräsentiert, dann ist der Sender eine Zelle in einer Umgebung. Der ‚DNA-Kode‘ (der feste Kode A) wird dann umgeschrieben (Transskription, Translation) in zwei verschiedene Kodes (mRNA, tRNA). Während man die Zustandsform des mRNA-Moleküls noch in Korrespondenz zum DNA-Kode sehen kann (abr nicht vollständig), enthalten die verschiedenen tRNA-Moleküle Bestandteile, die über den ursprünglichen DNA-Kode hinausgehen. Daraus wird dann eine Proteinstruktur erzeugt, die sowohl eine gewisse Kopie des ursprünglichen DNA-Moleküls (Kode A) enthält, aber auch zusätzlich einen kompletten Zellkörper, der mit dem Kode A nichts mehr zu tun hat. Außerdem gibt es den Empfänger bei Beginn der Übermittlung noch gar nicht. Der Empfänger wird im Prozess der Übermittlung erst erzeugt! Anders formuliert: beim biologischen Informationsaustausch im Rahmen einer Selbstreproduktion wird zunächst der potentielle Empfänger (eine andere Zelle) erzeugt, um dann den DNA-Kode im Empfänger neu zu verankern.

9. Innerhalb dieses Gesamtgeschehens gibt es mehrere Bereiche/ Phasen, in denen das Konzept eines rein statistischen Informationsbegriffs verlassen wird.

10. So weist Maynard Smith darauf hin, dass die Zuordnung von DNA-Sequenzen zu den später erzeugten Proteinen mindestens zweifach den statistischen Informationsbegriff übersteigt: (i) die erzeugten Proteinstrukturen als solche bilden keine einfache ‚Übersetzung‘ das DNA-Kodes verstanden als eine syntaktische Sequenz von definierten Einheiten eines definierten endlichen Alphabets. Die Proteinmoleküle kann man zwar auch als Sequenzen von Einheiten eines endlichen Alphabets auffassen, aber es handelt sich um ein ganz anderes Alphabet. Es ist eben nicht nur eine reine ‚Umschreibung‘ (‚Transkription‘), sondern eine ‚Übersetzung‘ (‚Translation‘, ‚Translatio‘), in die mehr Informationen eingehen, als die Ausgangssequenzen im DNA-Kode beinhalten. (ii) Der DNA-Kode enthält mindestens zwei Arten von Informationselementen: solche, die dann in Proteinstrukturen übersetzt werden können (mit Zusatzinformationen), und solche, die die Übersetzung der DNA-Informationselemente zeitlich steuern. Damit enthält der DNA-Kode selbst Elemente, die nicht rein statistisch zu betrachten sind, sondern die eine ‚Bedeutung‘ besitzen, eine ‚Semantik‘. Diese Bedeutung st nicht fixiert; sie kann sich ändern.

ALLGEMEINE ZEICHENLEHRE = SEMIOTIK

11. Für Elemente eines Kodes, denen ‚Bedeutungen‘ zugeordnet sind, gibt es in der Wissenschaft das begriffliche Instrumentarium der allgemeinen Zeichenlehre, spricht ‚Semiotik‘ (siehe z.B. Noeth 2000).

12. Nimmt man die empirischen Funde und die semiotische Begrifflichkeit ernst, dann haben wir es im Fall der Zelle also mit eindeutigen (und recht komplexen) Zeichenprozessen zu; man könnte von der Zelle in diesem Sinne also von einem ’semiotischen System‘ sprechen. Maynard Smith deutet den Grundbegriff von Jacques Lucien Monod (1910-1976) ‚gratuity‘ im Sinne, dass Signale in der Biologie ‚Zeichen‘ seien. Ob dies die Grundintention von Monod trifft, ist eine offene Frage; zumindest lässt die Maschinerie, die Monod beschreibt, diese Deutung zu.

13. Eine zusätzliche Komplikation beim biologischen Zeichenbegriff ergibt sich dadurch, dass eine Zelle ja nicht ‚isoliert‘ operiert. Eine Zelle ist normalerweise Teil einer Population in einer bestimmten Umgebung. Welche Strukturen der Proteinaufbauprozess (Wachstum, Ontogenese) auch hervorbringen mag, ob er gewisse Zeiten überdauert (gemessen in Generationen), hängt entscheidend davon ab, ob die Proteinstruktur in der Interaktion mit der Umgebung ‚hinreichend lange‘ jene ‚Arbeit‘ verrichten kann, die notwendig ist, um eine Selbstreproduktion zu ermöglichen.

14. Ob eine Proteinstruktur in diesem weiterführenden Sinne ‚lebensfähig‘ ist, hängt also entscheidend davon ab, ob sie zur jeweiligen Umgebung ‚passt‘. Eine lebensfähige Proteinstruktur ist in diesem Sinne – von einer höheren theoretischen Betrachtungsweise aus gesehen – nichts anderes als ein auf Interaktion basierendes ‚Echo‘ zur vorgegebenen Umgebung.

15. Dass dies ‚Echo‘ nicht ’stagniert‘, nicht ‚auf der Stelle tritt‘, nicht ‚um sich selbst kreist‘, liegt entscheidend daran, dass die ‚letzte‘ Struktur den Ausgangspunkt für ‚weitere Veränderungen‘ darstellt. Die Zufallsanteile im gesamten Selbstreproduktionsprozess fangen also nicht immer wieder ‚von vorne‘ an (also keine ‚Auswahl mit Zurücklegen‘), sondern sie entwickeln eine Informationsstruktur ‚weiter‘. In diesem Sinne bildet die Informationssequenz des DNA-Moleküls auch einen ‚Speicher‘, ein ‚Gedächtnis‘ von vergangenen erfolgreichen Versuchen. Je mehr Zellen in einer Population verfügbar sind, umso größer ist diese molekulare Erfolgsgedächtnis.

Diese Fortsetzung war nicht die letzte Zwischenreflexion. Es geht noch weiter: HIER

QUELLEN

Schroedinger, E. „What is Life?“ zusammen mit „Mind and Matter“ und „Autobiographical Sketches“. Cambridge: Cambridge University Press, 1992 (‚What is Life‘ zuerst veröffentlicht 1944; ‚Mind an Matter‘ zuerst 1958)
Claude E. Shannon, „A mathematical theory of communication“. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948 (URL: http://cm.bell-labs.com/cm/ms/what/shannonday/paper.html; last visited May-15, 2008)
Claude E. Shannon; Warren Weaver (1948) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
Monod, Jacques (1971). Chance and Necessity. New York: Alfred A. Knopf

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Was ist Leben?

Erst die Erde

Etwa 9.2 Mrd Jahre nach dem sogenannten Big Bang kam es zur Entstehung unseres Sonnensystems mit der Sonne als wichtigstem Bezugspunkt. Nur ca. 60 Mio Jahre später gab es unsere Erde. Die Zeitspanne, innerhalb der Spuren von Leben auf der Erde bislang identifiziert wurden, liegt zwischen -4 Mrd Jahre von heute zurück gerechnet bis ca. -3.5 Mrd Jahre. Oder, vom Beginn der Erde aus gesehen, ca. 540 Mio Jahre bis ca. 1 Mrd Jahre nach der Entstehung der Erde .

Alte Bilder vom Leben

Wenn man vom Leben spricht, von etwas Belebtem im Gegensatz zum Unbelebtem, fragt man sich sofort, wie man ‚Leben‘ definieren kann? In der zurückliegenden Geschichte gab es viele Beschreibungs- und Definitionsversuche. Einer, der heute noch begrifflich nachwirkt, ist die Sicht der Philosophie der Antike (ca. -600 bis 650) . Hier wurde das ‚Atmen‘ (gr. ‚pneo‘) als charakteristisches Merkmal für ‚Lebendiges‘ genommen, wodurch es vom ‚Unbelebtem‘ abgegrenzt wurde. Aus dem ‚Atmen‘ wurde zugleich ein allgemeines Lebensprinzip abgeleitet, das ‚Pneuma‘ (im Deutschen leicht missverständlich als ‚Geist‘ übersetzt, im Lateinischen als ’spiritus‘), das sich u.a. im Wind manifestiert und ein allgemeines kosmologisches Lebensprinzip verkörpert, das sowohl die Grundlage für die psychischen Eigenschaften eines Lebewesens bildet wie auch für seine körperliche Lebendigkeit. In der Medizin gab es vielfältige Versuche, das Pneuma im Körper zu identifizieren (z.B. im Blut, in der Leber, im Herzen, im Gehirn und den Nerven). Im philosophischen Bereich konnte das Pneuma ein heißer Äther sein, der die ganze Welt umfasst. Eine andere Auffassung sieht das Pneuma zusammengesetzt aus Feuer und Luft, woraus sich alle Körper der Welt bilden. Das Pneuma wird auch gesehen als die ‚Seele‘, die allein das Leben des Körpers ermöglicht. Bei den Stoikern wird das Pneuma-Konzept zum allumfassenden Begriff einer Weltseele gesteigert. Mit der Zeit vermischte sich der Pneuma-Begriff mit dem Begriff ’nous‘ (Kurzform für ’noos‘)(Englisch als ‚mind‘ übersetzt; Deutsch ebenfalls als ‚Geist‘), um darin die kognitiv-geistige Dimension besser auszudrücken. Weitere einflussreiche begriffliche Koordinierungen finden statt mit dem lateinischen ‚mens‘ (Deutsch auch übersetzt mit ‚Geist‘) und dem hebräischen ‚ruach‘ (im Deutschan ebenfalls mit ‚Geist‘ übersetzt; bekannt in der Formulierung ‚Der Geist Gottes (= ‚ruach elohim‘) schwebte über den Wassern‘; in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, heißt es ‚pneuma theou‘ (= der Geist Gottes)) (Anmerkung: Diese Bemerkungen sind ein kleiner Extrakt aus der sehr ausführlichen begriffsgeschichtlichen Herleitung in der ‚Enzyklopädie Philosophie‘ (2010), herausgegeben von H.J. Sandkühler, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010. Buch: Von A bis Z, Kapitel: Geist,SS.792ff}

Die Zelle im Fokus

War es für die antiken Philosophen, Mediziner und Wissenschaftler noch praktisch unmöglich, die Frage nach den detaillierten Wirkprinzipien des ‚Lebens‘ genauer zu beantworten, erarbeitete sich die moderne Naturwissenschaft immer mehr Einsichten in die Wirkprinzipien biologischer Phänomene (bei Tieren, Pflanzen, Mikroben, molekularbiologischen Sachverhalten), so dass im Laufe des 20.Jahrhunderts klar wurde, dass die Gemeinsamkeit aller Lebensphänomene auf der Erde in jener Superstruktur zu suchen ist, die heute (biologische) Zelle genannt wird.

Alle bekannten Lebensformen auf der Erde, die mehr als eine Zelle umfassen (wir als Exemplare der Gattung homo mit der einzigen Art homo sapiens bestehen aus ca. 10^13 vielen Zellen), gehen zu Beginn ihrer körperlichen Existenz aus genau einer Zelle hervor. Dies bedeutet, dass eine Zelle über alle notwendigen Eigenschaften verfügt, sich zu reproduzieren und das Wachstum eines biologischen Systems zu steuern.

So enthält eine Zelle (Anmerkung: Für das Folgende benutze ich Kap.1 des wunderbaren Buches „Molecular Biology of the CELL“, 5.Aufl. 2008, hrsg. von B.Alberts et.al, New York: Garland Science, Taylor & Francis Group) alle Informationen, die notwendig sind, um sowohl sich selbst zu organisieren wie auch um sich zu reproduzieren. Die Zelle operiert abseits eines chemischen Gleichgewichts, was nur durch permanente Aufnahme von Energie realisiert werden kann. Obwohl die Zelle durch ihre Aktivitäten die Entropie in ihrer Umgebung ‚erhöht‘, kann sie gegenläufig durch die Aufnahme von Energie auch Entropie verringern. Um einen einheitlichen Prozessraum zu gewährleisten, besitzen Zellen eine Membran, die dafür sorgt, dass nur bestimmte Stoffe in die Zelle hinein- oder herauskommen.

Keine Definition für außerirdisches Leben

Obgleich die Identifizierung der Zelle samt ihrer Funktionsweise eine der größten Errungenschaften der modernen Wissenschaften bei der Erforschung des Phänomens des Lebens darstellt, macht uns die moderne Astrobiologie darauf aufmerksam, dass eine Definition der Lebensphänomene mit Einschränkung des Blicks auf die speziellen Bedingungen auf der Erde nicht unproblematisch ist. Wunderbare Bücher wie das Buch „Rare Earth: Why Complex Life Is Uncommon in the Universe“ (2000) (Anmerkung: erschienen im Verlag Copernikus/ Springer, New York.) von Peter Douglas Ward (Geboren 1949) und Donald Eugene Brownlee (Geboren 1943) oder das Buch „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“ (2005) (Anmerkung: erschienen in San Francisco – Boston – New York et al. bei Pearson-Addison Wesley) von Jonathan I.Lunine (Geb. 1959) machen zumindest sichtbar, wo die Probleme liegen könnten. Lunine diskutiert in Kap.14 seines Buches die Möglichkeit einer allgemeineren Definition von Leben explizit, stellt jedoch fest, dass es aktuell keine solche eindeutige allgemeine Definition von Leben gibt, die über die bekannten erdgebundenen Formen wesentlich hinausgeht. (Vgl. ebd. S.436)

Schrödingers Vision

Wenn man die Charakterisierungen von Leben bei Lunine (2005) in Kap.14 und bei Alberts et.al (2008) in Kap.1 liest, fällt auf, dass die Beschreibung der Grundstrukturen des Lebens trotz aller Abstraktionen tendenziell noch sehr an vielen konkreten Eigenschaften hängen.

Erwin Rudolf Josef Alexander Schrödinger (1887-1961) , der 1944 sein einflussreiches Büchlein „What is Life? The Physical Aspect of the Living Cell“ veröffentlichte (Anmerkung: Based on Lectures delivered under the auspices of the Institute at Trinity College, Dublin, in February 1943, Cambridge: University Press. 1944. [B 12, B 18a.1] Ich selbst habe die Canto Taschenbuchausgabe der Cambridge University von 1992 benutzt. Diese Ausgabe enthält ‚What is Life?‘, ‚Mind from Matter‘, sowie autobiographischen Angaben und ein Vorwort on Roger Penrose)), kannte all die Feinheiten der modernen Molekularbiologie noch nicht (Anmerkung: Allerdings berichten sowohl James D. Watson in seinem Buch „DNA, the Secret of Life“ (Anmerkung: zusammen mit Berry, A. (2003), New York: Random House) wie auch ähnlich Francis Crick in seinem autobiographischen Buch „What Mad Pursuit“ (Anmerkung: What Mad Pursuit: A Personal View of Scientific Discovery (Basic Books reprint edition, 1990)), dass Schrödingers Schrift (bzw. einer seiner Vorträge) sie für ihre Erforschung der DNA stark angeregt hatte.). Schrödinger unterzog das Phänomen des Lebens einer intensiven Befragung aus Sicht der damaligen Physik. Auch ohne all die beeindruckenden Details der neueren Forschung wurde ihm klar, dass das hervorstechendste Merkmal des ‚Biologischen‘, des ‚Lebendigen‘ die Fähigkeit ist, angesichts der physikalisch unausweichlichen Zunahme der Entropie einen gegensätzlichen Trend zu realisieren; statt wachsender Unordnung als Entropie diagnostizierte er eine wachsende Ordnung als negative Entropie, also als etwas, was der Entropie entgegen wirkt.

Diesen Gedanken Schrödingers kann man weiter variieren und in dem Sinne vertiefen, dass der Aufbau einer Ordnung Energie benötigt, mittels der Freiheitsgrade eingeschränkt und Zustände temporär ‚gefestigt‘ werden können.

Fragt sich nur, warum?

Alberts et.al (2008) sehen das Hauptcharakteristikum einer biologischen Zelle darin, dass sie sich fortpflanzen kann, und nicht nur das, sondern dass sie sich selbstmodifizierend fortpflanzen kann. Die Realität biologischer Systeme zeigt zudem, dass es nicht nur um ‚irgendeine‘ Fortpflanzung ging, sondern um eine kontinuierlich optimierende Fortpflanzung.

Nimmt man versuchsweise einen abstrakten Betrachtungsstandpunkt ein, dann kann man vereinfachend annehmen, dass es sich bei biologischen Zellen um Systeme handelt, die u.a. mindestens eine Objektebene [O] und eine Metaebene [M] umfassen, mit einer geeigneten Abbildung [R], so dass man die Metaebene M in die Objektebene O mittels R abbilden kann $latex R: M \longmapsto O$ Damit könnte eine Reproduktion grundsätzlich gelingen, vorausgesetzt, das System mit seiner Struktur bleibt ‚lang genug‘ stabil.

Kann man solch eine ‚hinreichend lange‘ Stabilität garantieren, dann können minimale Systemstrukturen aufgebaut werden, und es können Reproduktionen vorgenommen werden. Wie dies im einzelnen geschieht, ist letztlich unwichtig. Die tatsächliche Realisierungsgeschichte biologischer Systeme auf der Erde ist von schwindelerregender Komplexität und zugleich von atemberaubender Schönheit. Tatsächlich gibt es an jedem Punkt des Prozesses Varianten (auch in der realen Geschichte), wenn aber bestimmte Strukturen erst einmal realisiert wurden, dann fungierten diese (Meta-)Strukturen als eine Art ‚Gedächtnis‘: alle Strukturelemente von M repräsentieren potentielle Objektstrukturen, die jeweils den Ausgangspunkt für die nächste ‚Entwicklungsstufe‘ bilden (sofern sie nicht von der Umwelt ‚aussortiert‘ werden).

Irrlicht Information

Forts. folgt.

Wer nicht warten will, bis die Fortsetzung hier erscheint, kann mitlesen, was zwischendurch gedacht und geschrieben wird, um zur Fortsetzung zu gelangen: HIER.

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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 14.August 2015 – THERMODYNAMIK, BIOLOGISCHE SYSTEME. Viele offene Fragen

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

Letzte Aktualisierungen: 14.Aug.2015, 18:45h

1. Der Ausflug in die Thermodynamik im Zusammenhang mit einer Definition des biologischen Lebens erweist sich als äußerst fruchtbar (es gab schon frühere Blogeinträge zum Thema. Einige findet man, wenn man unter www.cognitiveagent.org auf der rechten Seite bei den Kategorien die Kategorie ‚Energie – freie‘ anklickt. Hier besonders interessant vielleicht der Eintrag zu einem Buch von Paul Davies). Als hervorragende Quelle zum Thema benutze ich das Buch „ASTROBIOLOGY. A Multidisciplinary Approach“, von Jonathan I.Lunine (San Francisco – Boston – New York et al.: Pearson-Addison Wesley, 2005), dazu viele weitere Quellen.

2. Wir Menschen (‚homo sapiens‘) als einzige überlebende Art der Gattung ‚homo‘ sind ja nur ein Teil des umfassenderen Phänomens des biologischen Lebens auf er Erde (und soweit bis heute bekannt im ganzen bekannten Universum).

3. Das biologisch Leben wiederum ist nur ein kleiner Bereich im Gesamt des universalen Geschehens.

4. Die Physiker haben für dieses Gesamtgeschehen unterschiedliche Beschreibungsmodelle entwickelt, die bis heute weder vollständig sind noch völlig integriert. Vielleicht kann man hier von ‚Teiltheorien‘ sprechen, die jeweils eine Menge Phänomene gut ‚beschreiben‘, aber eben nicht alle.

5. Eine solche Teiltheorie ist für mich die Thermodynamik, die in Form ihrer vier Hauptsätze (0 – 3) eine Kernidee besitzt, die dann aber für die unterschiedlichsten Bereiche ‚angepasst‘, ’spezialisiert‘ wurden. Zugleich wurden mögliche weitere Sätze hinzugefügt. Man kann nicht behaupten, dass die Thermodynamik in dieser Form eine geschlossene Theorie darstellt; noch weniger ist sie überzeugend mit den übrigen physikalischen Teiltheorien integriert.

6. Interessant ist auch die Korrespondenzbeziehung der Thermodynamik zum Entropiebegriff. Aufgrund der durchgängigen Korrespondenz des Redens über ‚Entropie‘ und des Redens über ‚Thermodynamik‘ liegt es nahe, eine gemeinsame Struktur zu unterstellen, die beiden Begriffsnetzen zugrunde liegt, d.h. Dass es letztlich ein Modell dazu gibt. Der Ansatzpunkt dazu liegt in der Art und Weise, wie man in der Basis-Formel ΔE = Q + Q den Term ‚Q‘ (für Wärme) und ‚W‘ (für Arbeit) interpretiert. Wärme bezieht sich hier auf eine innere energetische Eigenschaft einer Materieeinheit (gebundene Energie und kinetische Energie) und Arbeit auf Zustandsänderungen des Systems. Je nach Anwendungsgebiet muss diese innere Energie und müssen die Zustandsänderungen in konkrete Eigenschaften ‚übersetzt‘ werden.

7. In der Thermodynamik im engeren Sinne spielt Gravitation keine Rolle. Da aber im realen physikalisch bekannten Universum u.a. die Gravitation überall wirksam ist, kann es keine Systeme geben, die ‚außerhalb‘ der Gravitation vorkommen. Dies bedeutet, dass Gravitation immer wirkt und damit ein Kraft ausübt, die umso stärker sichtbar wird, umso größer die beteiligten Massen sind, die dann zugleich ‚Druck‘ ‚auf sich selbst‘ und ‚aufeinander ‚ausüben. Wie bekannt ist es die Gravitation die zu Materieansammlungen geführt hat, zu Sternenbildungen, innerhalb der Sterne zu Fusionsprozessen, die unterschiedliche schwere Elemente erzeugt haben, die große Teile von Energie gebunden haben. Diese durch die Gravitation umgeformte Energie liegt in unterschiedlichen Zustandsformen vor. Sofern Energie über Temperatur ‚messbar‘ ist, spricht man zwar von ‚Wärme‘ (Q), aber die Wärme korrespondiert mit den inneren Eigenschaften der jeweiligen Systeme, die wiederum über ihre kernphysikalischen Eigenschaften definiert sind. ‚Wärme‘ erscheint insofern nur als ein Art Hilfsbegriff, um solche impliziten kernphysikalischen Eigenschaften zu beschreiben, durch die Energie kodiert ist.

8. Mit dem Entropiebegriff (S) kann man über viele kernphysikalische Spezialitäten hinwegsehen und und ein beliebiges System als eine Menge von Elementen betrachten, deren Verhalten statistisch maximal unsicher ist und damit maximal viele Freiheitsgrade besitzt (in physikalischen Systemen bei sehr hohen Temperaturen) oder wo alle Zustände maximal wahrscheinlich sind und minimale Freiheitsgrade besitzen (physikalisch bei sehr tiefen Temperaturen). Das Maximum der Entropie ist bei maximalen Freiheitsgraden gegeben.

9. Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik tendieren geschlossene Systeme zum Zustand maximaler Entropie, da die Unterschiede in der Energieverteilung sich langfristig ‚ausgleichen‘.

10. Im bekannten Universum ist dieser Zustand noch nicht erreicht. Aufgrund der Wirkung der Gravitation gibt es viele Bereiche höherer Materiekonzentration und damit höherer Energiedichte. Diese lokalen Energiekonzentrationen folgen einer Prozesslogik, die zunächst immer mehr Energie anzieht, durch die begleitenden Drücke zu chemischen Prozessen führt, die viel Energie an die Umgebung abgeben, bis der Prozess in sich zusammenbricht. Die Energie, die in die Umgebung abgegeben wird erhöht einerseits die Entropie, stellt aber für andere Systeme ‚freie Energie‘ dar, die für/ in diesen anderen Systemen ‚Wirkungen‘ erzielen kann (z.B. in der Atmosphäre der Erde Wirbelstürme).

11. Im Falle biologischer Strukturen haben wir es mit Strukturen zu tun, die in der Lage sind, solche ‚freie Energie‘ aufzunehmen, diese für Zustandsänderungen zu nutzen, aber so, dass die thermodynamischen Verhältnisse abseits eines Gleichgewichtszustandes bleiben. Die aufgenommene Energie bewirkt Zustandsänderungen (= Arbeit), die wiederum den energetischen Zustand des Gesamtsystems beeinflusst, aber so, dass es seine Fähigkeit behält, weitere Arbeit zu verrichten. Ein biologisches System trägt zwar durch seinen ‚Abfall‘ zur Vermehrung von Entropie bei, aber durch die synchrone Neuaufnahme freier Energie und deren Nutzung wird diese Entropiezunahme zumindest für den Bereich des biologischen Systems wieder ausgeglichen (zu dieser Thematik sehr gut das Kap.7 von Lunine).

12. Das Auftreten von immer komplexeren biologischen Systemen stellt aus physikalischer Sicht extrem schwierige Fragen. Selbst schon die Anfänge biologischer Systeme im Rahmen der sogenannten chemischen Evolution sind bis heute in keiner Weise erschöpfend geklärt. Man kann dies als weiteren Hinweis darauf deuten, dass die heutigen physikalischen Theorieansätze möglicherweise entweder zu einfach sind (obwohl manche eher umständlich wirken), oder aber zu wenig Faktoren ernsthaft berücksichtigen (was gestützt wird durch die geringe Neigung, die schon heute vorhandenen Teiltheorien ernsthaft zu integrieren).

13. ANMERKUNG: Im Buch ‚THE ROAD TO REALITY‘ von Roger Penrose (2004) (veröffentlicht durch Random House, London) finden sich zu diesem Thema viele ausführliche Stellungnahmen. Unter anderem in den Kapiteln 27 und Kap.30 hebt er deutlich hervor, dass der gegenwärtige Zustand der physikalischen Theorien bzgl. Gravitation und Entropie unbefriedigend ist. Zugleich bietet er anregende Überlegungen, dass man die Thermodynamik, die Entropie, die Gravitation, die Einsteinsche Relativitätstheorie und die Quantentheorie zusammen bringen müsste. Ferner hat bei ihm die Entropie einen sehr allgemeinen Charakter. Mit Hilfe des 2.Hauptsatzes kann er sowohl das Auftreten des Big Bang motivieren, seine extreme Besonderheit, wie auch die Existenz und den Charakter der schwarzer Löcher. Überall spielt die Gravitation eine zentrale Rolle.

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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 13.August 2015 – AUFBRUCH INS HERZ DER ZUKUNFT

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

1. Zur Zeit kämpfe ich gerade mit den wissenschaftlichen Definitionen von Leben und den Wechselbeziehungen zwischen biologischen Lebensformen und den Sachverhalten der Thermodynamik. Was sehr abstrakt klingt ist nichts desto trotz sehr grundlegend und sagt mehr über das Wunder des Lebens aus als es vielleicht viele Romane und Theaterstücke tun (womit ich nichts gegen Theaterstücke sagen will; sie sind ein anderes wichtiges Puzzlestück im großen Gesamtbild).

2. Dennoch beschäftigt mich natürlich im Hintergrund beständig weiterhin die Frage nach dem großen Ganzen des 100-Seiten Buches. Wenn u.a. ein Thomas Thiel sich in der Rubrik ‚Forschung und Lehre‘ von der FAZ am 12.8.2015 über den Trend zur ‚Big History‘ auslässt, frage ich mich natürlich, ist das, was ich vorhabe nicht letztlich auch eine Schreibübung im Kontext dieses Big-History Paradigmas oder ist es anders?

3. Die Frage stellt sich zwangsläufig da ich ja auch die Überlegungen zum Menschen in den Kontext der gesamten Naturgeschichte stelle.

4. Eine vollständige Antwort nach dem Verhältnis meines Textes zum Big-History Paradigma ist noch nicht möglich, da mein Text ja gerade erst entsteht.

5. Aktuell würde ich sagen, dass es im 100-Seiten Buch nicht um eine erschöpfende Geschichte der naturgeschichtlichen Abläufe geht (da würde ich dann sowieso eher zur Astrobiologie, zur Evolutionsbiologie und zur Anthropologie als Basiswissenschaften greifen), sondern um ein Aufdecken jener Strukturen und ihrer ‚Systemlogik‘, die für den Verlauf des Gesamtprozesses bis heute einschlägig sind. Es geht genau um jene Strukturen, die auch heute hinter aller Alltagsaktivität wirken und die darüber entscheiden, was wir heute tun können, um die Ausgangsposition für morgen zu schaffen.

6. Insofern geh es in dem 100-Seiten Buch weniger um ‚Nacherzählung einer Geschichte‘, sondern um die Rekonstruktion der inneren Logik der Geschichte (von der Idee her vielleicht sogar Analogien bei Hegel. Dazu müsste ich Hegels Geschichtsphilosophie aber noch besser kennen; außerdem konnte Hegel noch nicht auf die vielen aufregenden Erkenntnisse der Naturwissenschaften zurückgreifen).

7. Eher bildhaft, poetisch könnte man diesen Blick in die innere Entwicklungslogik des Weltprozesses einen Blick in das ‚Herz der Zukunft‘ umschreiben, und natürlich nur einen ‚Aufbruch‘, da – wie jeder leicht feststellen kann – das ‚Herz der Zukunft‘ maximal komplex ist, und wir als einzelne sind von einer gewissen natürlichen Endlichkeit geprägt, die keine allzu großen Sprünge erlaubt. Nur im Zusammen aller schaffen wir Großes zu denken und zu tun.

8. Weiteres im Buch selbst.

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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 11.August 2015

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

1. Während des Schreibens stelle ich fest, dass das Schreiben eines Buches, in dem mehr als 3000 Seiten wissenschaftliche Texte und Blogeinträge auf 100 Seiten komprimiert werden sollen, eine ganz andere Anforderung darstellt, als einfach mal einen Blogeintrag schreiben, und sei dieser noch so komplex.

2. Neben vielen sachlichen Fragen (was ich wie zusammenfassen soll, was auslassen, was hervorheben usw.) stellt sich auch ganz neu die stilistische Frage: WIE soll man dieser Gedanken ausdrücken? Im Blog kann ich einfach vor mich hinschreiben. In diesem 100 Seiten Buch ‚für Alle‘ passt das nicht mehr so einfach…

3. Wobei sich automatisch die Frage der Adressaten ‚für Alle‘ neu stellt: einen Stil ‚für Alle‘ gibt es wohl nicht. Man müsste eine Auswahl treffen…. aber nicht auf Kosten des Inhalts… Ich habe noch keine ’selbstverständliche‘ Lösung.

4. Aus all dem ergibt sich, dass ich den ursprünglichen Zeitplan nur auf Kosten der Qualität einhalten könnte.

5. Von daher habe ich jetzt das Vorgehen modifiziert: zunächst wird es nur eine Online-Version bis spätestens 10.November 2015 geben. Dies ist das Datum der offiziellen Eröffnung des Emerging-Mind Projektes; danach soll es dann eine Version als eBook, als gedrucktes Buch und als Audio-CD geben.

6. Mögliche Ergänzungen, Kommentare oder weitere Änderungen werden zunächst an der Online-Version vorgenommen. Sollte es tatsächlich zu weiteren Auflagen kommen, dann würde die aktualisierte Online-Version als Vorlage für die anderen Medien dienen.

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Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 4-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Wie alles anfing

Die Überlegungen im vorausgehenden Kapitel beziehen sich auf das, was heute ist, auf die Gegenwart. Wie können z.B. Philosophen die Innensicht ihres Bewusstseins beschreiben; wie können Psychologen das beobachtbare Verhalten untersuchen. Was können die Gehirnforscher über die Struktur und die Funktionen des Gehirns feststellen. Diese Aufgabe ist groß genug, dass man damit mehr als ein Leben ausfüllen kann. Hätte man diese Beschreibungsaufgaben vollständig erfüllt — bislang fehlt da noch einiges –, würden dennoch wichtige Teile am Bild fehlen, vielleicht sogar die wichtigsten, ohne die das Ganze nicht verständlich ist: der reale Entstehungsprozess; wie es zum heutigen Zustand kommen konnte? Wie ist es möglich, dass sich solch komplexen Strukturen im Universum, als Leben auf der Erde herausbilden konnten, ohne dass man eine ‚äußere‘ Einwirkung erkennen kann? Was soll das Ganze? Wohin wird dies führen? Wohin kann dies führen? Welche Rolle spielen wir Menschen dabei? Sind wir nur eines von vielen vorübergehenden Phänomenen des Lebens, das wieder vergehen wird, bevor es bemerkt wurde?

Zeichen der Veränderung

Beginnend mit dem 19.Jahrhundert kam es in Westeuropa zu grundlegenden Änderungen im bis dahin vorwiegend christlich-biblisch geprägten Menschen- und Weltbild. Immer mehr Phänomene in der Veränderung von Lebensformen im Kontext unterschiedlicher Ablagerungsschichten im Gestein und Erdreich wurden entdeckt (Anmerkung: Aus meiner Sicht ein sehr hilfreiches Buch für diese Zeit ist u.a. Peter J.Bowler, „Evolution. The History of an Idea“, Berkeley, Los Angeles (CA): University of California Press, 1983, rev.ed. 1989).

Im Falle der Fossilien waren es berühmte Naturforscher wie z.B. Cuvier (1769 — 1832) , Étienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772 – 1844) und Charles Robert Darwin (1809 — 1882), die neben der Vielfalt auch die Veränderungen in den unterschiedlichsten geologischen Schichten erkannten. Im Fall der geologischen Schichten waren es Männer wie William Smith (1769 — 1839), Roderick Impey Murchison (1792 — 1871), Adam Sedgwick (1785 — 1873), John Phillips (1800 – 1874) und Charles Lyell (1797 — 1875), die es schafften, erste Klassifikation von Erdschichten und deren chronologischer Abfolge mit Korrelation zu Fossilien aufzustellen. Insgesamt entstanden durch viele verschiedene, z.T. kontrovers diskutierte, Untersuchungen die ersten Umrisse eines Bildes, in dem die aktuelle Gestalt der Erde und der Lebensformen eine Folge von Veränderungen, eine Geschichte, beinhalten. Die Details dieser Geschichte (Vulkanismus, Klimaänderungen, Plattentecktonik, Baupläne,…) waren in ihren genauen Wirkungen lange Zeit zwar nicht eindeutig entscheidbar, ‚dass‘ die Erde und das Leben auf der Erde aber Veränderungen durchlaufen hatten und immer noch durchlaufen, das erschien jedoch immer mehr unabweislich.

Wie lange zurück reichte diese Geschichte? Neue thermodynamische Überlegungen von William Thomson, besser bekannt als Lord Kelvin (1824 – 1907), schränkten den zur Verfügung stehenden absoluten Zeitraum für die Entwicklung der Erde und des gesamten Universums im Laufe seines Lebens immer mehr ein, schließlich bis auf eine zweistellige Millionenzahl. Wie viele seiner Zeitgenossen ging er davon aus, dass die Erde und die Sonne sich kontinuierlich abkühlen, ohne dass neue Energie zur Verfügung steht, die dieser Abkühlung entgegen wirken könnte. Es brauchte die ersten Jahrzehnte des 20.Jh. um mit Hilfe der neuen Erkenntnisse aus der (Nuklear-)Physik bzw. aus dem Spezialgebiet der Teilchenphysik verstehen zu können, dass Sterne und Planeten eigene Energievorräte besitzen und über Prozesse verfügen, durch die diese Energie in Form von beobachtbaren Veränderungen (Sonnenstrahlen, Klima, Vulkanismus, Erdbeben, …) wirksam werden können.

Immer kleiner

1905 hatte Albert Einstein ganz allgemein u.a. die Äquivalenz von Masse und Energie mit seiner bekannten Formel $latex E=mc^{2}$ aufgezeigt, es brauchte aber noch weiterer gehöriger Anstrengungen, bis im Februar 1939 Lise Meitner (1878 – 1968) eine theoretische Beschreibung des ersten Kernspaltungs-Experiments veröffentlichen konnte, das Otto Hahn Ende Dezember 1938 zusammen mit seinem Assistent Fritz Straßman durchgeführt hatte. Im gleichen Jahr konnte Hans Albrecht Bethe (1906 – 2005) sein theoretisches Modell der Kernfusionsprozesse in der Sonne veröffentlichen (für die er 1967 den Nobelpreis bekam). Damit war die Tür zur Erkenntnis der verborgenen Energie in der Materie, in den Sternen, im Universum soweit geöffnet, dass dem Forscher ein glutheißer Atem entgegen schlug.

Es folgten stürmische Jahre der vertiefenden Erforschung der nuklearen Zusammenhänge, stark geprägt von den militärisch motivierten Forschungen zum Bau von Nuklearwaffen. Immer mehr Teilchen wurden im Umfeld des Atoms entdeckt, bis es dann ab den 70iger Jahren des 20.Jh zum sogenannten Standardmodell kam.

Obwohl sich dieses Standardmodell bislang in vielen grundlegenden Fragen sehr bewährt hat, gibt es zahlreiche fundamentale Phänomene (z.B. die Gravitation, die Expansion des Universums, dunkle Materie), für die das Modell noch keine erschöpfende Erklärung bietet.

Big Bang – Zeitpunkt Null

Ausgestattet mit den Erkenntnissen der modernen Physik lassen sich die Hypothesen aus dem 19.Jahrhundert zur Welt als Prozess ausdehnen auf das ganze Universum. Fasst man alle heutigen Erkenntnisse zusammen, wie dies in der sogenannten
Big Bang Theorie geschieht, nach 1990 gefasst als Lambda-CDM-Modell, führt dies auf ein Ereignis vor jeder physikalisch messbaren Zeit zurück. Ein solches Ereignis gilt den Physikern als eine Singularität. Da es im Universum auch andere Formen von Singularitäten gibt, nenne ich jene Singularität, mit der das bekannte Universum begann, hier die erste Singularität.

Durch die Weiterentwicklung der Relativitätstheorie von Albert Einstein konnten Stephen William Hawking (geb.1942),
George Francis Rayner Ellis (geb.1939) und Roger Penrose (geb.1931) aufzeigen, dass die Größen Raum und Zeit mit der ersten Singularität beginnen.

Von heute aus gesehen trat die erste Singularität vor 13.8 Mrd Jahren auf. Beginnend mit einer unendlich extremen Dichte und Hitze begann aus dem Ereignis heraus eine Ausdehnung (Raum und Zeit), die begleitet war von einer zunehmenden Abkühlung. Gleichzeitig kam es zur Herausbildung von subatomaren Teilchen, aus denen sich einfache Atome formten (Anmerkung: Die Entstehung der ersten Atome wird in der Zeitspanne 10 Sek – 20 Min verortet.). Gigantische Ansammlungen dieser ersten Elemente führten dann aufgrund der Gravitation zu Verdichtungen, aus denen Sterne und Galaxien hervorgingen (Anmerkung: Erste Sterne, die das dunkle Weltall erleuchteten werden nach ca. 100 Mio Jahren angenommen. Erste Galaxien etwa 1 Mrd Jahre später.). In den Sternen fanden Kernfusionsprozesse statt, die im Gefolge davon zur Bildung von immer schwereren Atomen führten. Ferner wird seit etwa 6.5 Mrd Jahren eine Beschleunigung bei der Ausdehnung des Universums beobachtet. Man vermutet, dass dies mit der ‚dunklen Energie‘ zu tun hat. Viele Fragen sind offen. Nach letzten Messungen geh man davon aus, dass das bekannte Universums zu 73% aus dunkler Energie besteht, zu 23% aus dunkler Materie, zu 4.6% aus ’normaler‘ Materie und zu weniger als 1% aus Neutrinos (Anmerkung: Jarosik, N. et al. (WMAP Collaboration) (2011). „Seven-Year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) Observations: Sky Maps, Systematic Errors, and Basic Results“. NASA/GSFC. p. 39, Table 8. Retrieved 4 December 2010).

Fortsetzung mit Kapitel 5

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