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CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III, Teil 4

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 13.Dezember 2011
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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ÄNDERNGEN: Letzte Änderung 17.Dez.2011 vor 16:35h

(57) Husserl betont ferner wiederholt, dass man nach den ‚möglichen Wegen‘ fragen kann, auf denen ein Gegenstand in einer Kette von Evidenzen als ‚wirklich‘, als ‚Fantasiegebilde‘, oder als ’seiend‘ bzw. ’nicht seiend‘ ausgewiesen werden kann.(vgl. CM2,S23,Z5-10)
(58) Sofern sich der Begriff der ‚Evidenz‘ –wie zuvor analysiert– auf die Selbstgewissheit des denkenden Ich bezieht, das um das Gegebensein von einem cogitatum als cogitatum ‚weiß‘, dann kann man die Aussage über die ‚Kette‘ so interpretieren,  dass die Aufeinanderfolge des jeweils Gegebenseins eines cogitatum im Denken ‚evident gewusst‘ ist. Was auf eine gewisse Tautologie hinausläuft, da ja das ‚evident sein‘ per definitionem mit dem ‚cogitatum selbst‘, sprich: dem ‚Wissen um das cogitatum als cogitatum‘, zusammen fällt. Das eigentliche Problem beginnt nach dieser Feststellung: angenommen wir haben solche eine Aufeinanderfolge (Kette) von jeweils gewussten Gegebenheiten <cog_1, …, cog_n>. Während jedes einzelne gewusste cog_i ein bewusstes x in C ist, ist aber diese cog_i ‚im nächsten Moment‘, wenn cog_i+1 bewusst ist –also ein x in C– nicht mehr bewusst! Das zuvor bewusste cog_i verwandelt sich in ein ‚unbewusstes x* in C*‘, also cog_i in C —> cog_i in C*. Es verschwindet damit aus dem Bewusstsein. Möglicherweise gibt es noch ein explizites Bewusstsein davon, dass das cog_i+1 auf das cog_i ’nachgefolgt ist‘ auf cog_i, die Eigenschaft eines ‚Nachfolgers auf cog_i‘ besitzt –etwa succ(cog_i) = cog_i+1–, doch das cog_i selbst ist nicht mehr bewusst, noch weniger das cog_i-1, usw. Und auch das unterstellte Wissen um das ‚Nachfolgersein‘ dürfte sich auf die Präsenz des cog_i+1 beschränken. Man hätte also im bewussten Wissen ein Zugleich von {succ(cog_i) = cog_i+1, cog_i+1} subset C. Im ‚darauf folgenden Moment‘ etwa {succ(cog_i+1) = cog_i+2, cog_i+2} subset C, usw.
(59) Als ‚wirklich bewusst‘ existiert in dieser Rekonstruktion nicht die ‚Kette‘, sondern nur jeweils ein einzelnes ‚Glied dieser Kette‘ angereichert mit dem Wissen um ein ‚Nachfolger in der Kette sein‘.
(60) Husserls Formulierung ‚…nach den Wegen [:= Kette] in denen er [:= der Gegenstand] konsequent sich als als seiend auswiese, in einstimmiger Kontinuität von Evidenzen erreichbar…‘ (vgl. CM2,S23,Z7-9) legt die Interpretation nahe, dass er davon ausgeht, dass diese einzelnen Evidenzen …{cog_i in C, succ(cog_i-1) = cog_i}, {cog_i+1 in C, succ(cog_i) = cog_i+1}, … eine ‚Kontinuität‘ bilden und deshalb ein cog_n am ‚Ende der Kette‘ quasi als ‚Ergebnis‘ erscheint, als eine Art ‚Produkt‘. Dies ’suggerieren‘ die Formulieren, wenngleich dies nicht explizit behauptet wird. Die nachfolgenden Seiten (vgl. CM2, S.23ff) kreisen alle um diese Thematik.
(61) Husserl benutzt allerdings andere Begriffspaare, um diesen Sachverhalt zu umschreiben: Einmal geht es um das ‚Aktuale (Wirkliche)‘, das dem ‚Potential (dem Möglichen)‘ gegenübersteht, dann ist es das (reine) transzendentale ego, das kontinuierlich ‚für sich‘, seiner selbst gewiss sein kann trotz aller wechselnden Ausprägungen des So-Seins, das dem ‚ego in voller Konkretion‘ gegenübersteht, das er als ‚konkrete Monade‘ bezeichnet. (vgl. CM2, S.26,Z31-35) Und es ist diese Spanne zwischen dem aktual Gewissen –symbolisch hier dargestellt als {…}– für das transzendentale ego in seiner Intentionalität und dem potentiell Möglichen –symbolisch hier dargestellt als —> (…)–, das dem aktual Gegebenen durch die Intentionalität in der Identität des ego zugeordnet werden kann und durch diese Zuordnung den wahren Sinn erschließt; nicht das einzelne Gewusste cog_i in C für sich alleine ergibt den Sinn sondern ‚das endlos offene System möglicher Wahrnehmungen‘.  (vgl. CM2,S.23,Z31 – S.24,Z6). Letzteres kann auf eine Vielzahl von Ketten/ Pfaden hinweisen, die möglicherweise untereinander wie in einem Graphen/ Netzwerk verknüpft sind,
(62)  Nach allem, was Husserl zuvor über transzendentales ego, Selbstgewissheit usw. gesagt hat, gibt es eigentlich keinen direkten Weg vom Aktualem zum Potentialem.  Dass es hier ein Problem geben kann, deuten seine eigenen Fragen zumindest an: ‚Wie kommt das ego dazu, ein solches System [:= möglicher Erfahrungen] als verfügbaren Besitz zu haben, auch wenn keine Erfahrung von ihm aktuell ist? … was bedeutet es für mich, dass Gegenstände für mich sind, was sie sind, ohne dass ich von ihnen weiß und wußte?‘ (vgl. CM2,S.25,Z5-9)
(61) Nach dem zuvor herausgearbeiteten Problem der ‚lokalen‘ Evidenz bezogen auf eine ‚Kette‘ von  bewussten Ereignissen ist bislang nicht zu sehen, wie es zu einer Art ‚Hyper-Evidenz‘ kommen kann, die alle lokalen Evidenzen nicht nur zusammenfasst, sondern dann auch noch die ‚möglichen Evidenzen‘ gleich mit einschließt.
(62) Obwohl Husserl diese Probleme irgendwie bemerkt haben muss (siehe seine zuvor zitierte Fragen), war er offensicht fixiert auf die Idee, dass ‚aller Seinssinn‘ in der ‚unmittelbaren und mittelbaren Intentionalität beschlossen‘ sein muss. (vgl. CM2,S24,Z13-16) Und in diesem Zusammenhang benutzt er den in der Tat ‚verführerischen‘ Begriff der ‚phänomenologischen Konstitution‘. (vgl. CM2,S23,Z30) Tatsächlich gibt es eigentlich keinen Weg vom ‚aktuell‘ Bewusstem zur Gesamtheit von ’schon mal‘ Bewusstem bzw. auch noch zur Gesamtheit von ‚möglichem‘ Bewusstem. ‚Phänomenologische Konstitution eines Gegenstandes, das besagt: Betrachtung der Universalität des ego unter dem  Gesichtspunkt der Identität dieses Gegenstandes, nämlich in der Frage nach der systematischen Allheit von wirklichen und möglichen Bewusstseinserlebnissen, die als auf ihn beziehbare in meinem ego vorgezeichnet sind und für mein ego eine feste Regel möglicher Synthesen bedeuten‘. (vgl. CM2,S24,Z30-36)
(63) Diese Worte legen die Interpretation nahe, dass Husserl tatsächlich annimmt, dass die ‚möglichen‘ Erlebnisse im transzendentalen ego ‚vorgezeichnet‘ sind, und zwar so, dass ihre Entfaltung nach ‚festen Regeln‘ erfolgt.
(64) Es ist dabei nicht völlig klar, ob Husserl mit diesen Bemerkungen meint, dass die allgemeine Struktur, in der überhaupt –im transzendentalen Sinne– Erlebnisse auftreten können, also die Struktur der Möglichkeit, ‚gewusst‘ sein kann, oder gar  der ‚Ausweis‘ der Geltung eines bestimmten Erlebnisses cog_i, das in einer ‚Kette‘ von entweder schon ‚vergangenen‘ Erlebnissen auftritt oder aber als Ausgangspunkt von ’noch möglichen‘ Erlebnissen. Die Formulierungen auf den Seiten CM2,SS24ff sind nicht ganz eindeutig.
(65) Der harte Kern seiner Annahmen scheint um das Phänomen des ‚Möglichen‘ zu kreisen, das er als wesentlichen Bestandteil des transzendentalen ego begreift. Innerhalb der transzendentalen Intentionalität gibt es nicht nur das Aktuale als sich ereignendes cogitatum, sondern beständig auch das aus dem Aktualem heraustretende nächste Aktuale, das als Potential im Aktualen, in der transzendentalen Intentionalität notwendig angelegt ist. ‚Das ego …hat immer Seiendes und möglicherweise Seiendes, und so ist seine Wesenheit die, immerfort Systeme der Intentionalität zu bilden und gebildete schon zu haben, deren Index die von ihm gemeinten, gedachten … zu phantasierenden Gegenstände sind usw.‘. (vgl. CM2, S.25,Z21-27).
(66) Bezogen auf das ego gibt es also Dinge, die erscheinen, die heraustreten, die in ihrer Erscheinung eine Struktur zeigen und zugleich So-Sein, Konkret-Sein haben. In diesem Sinne erscheint das ego ‚konstituierend‘. Doch schon dieses Wissen, das Wissen um das Aktuale als ‚hervorgehend‘ setzt voraus, dass es neben dem Wissen um das  Aktuale auch ein Wissen um das Vor-Aktuale relativ zu dem  Aktualen geben muss, durch das das Aktuale als ein ‚Nachfolgendes‘ erscheint. Und es ist auch wiederum dieses Wissen um ein Vorher-Nachher vom Standpunkt des Aktualen aus, das den Begriff des Potentials ermöglicht, das Reden vom ‚Möglichen‘, vom ‚Horizont‘, der jedem Seienden zukommen soll. Dieses Vorher-Nachher-Wissen ist nicht identisch mit dem Wissen um das Aktuale als reell Gegebenes. Rein phänomenologisch ist diese Unterscheidung nicht auflösbar, höchstens hinnehmbar. Bei Husserl hat man den Eindruck, dass er sie ’nivelliert‘, da sie nicht so recht zu passen scheint in sein umfassendes Konzept der transzendentalen Einheit, die selbst das Vergangene und Mögliche aus sich heraussetzt, konstituiert und darin einer umfassenden (und erschöpfenden!) Analyse zugänglich macht.
(67) Würde man, wie vorher schon angedeutet, die Unterscheidung von ‚bewusst‘ x in C, ‚unbewusst‘ x in C* und ’nicht bewusst‘ x in C‘, beibehalten mit der Interpretation, dass das Unbewusste der Bereich des ‚zuvor einmal Gewussten‘ ist, das unter bestimmten Bedingungen ‚zurückkommen‘ kann als ‚Erinnertes‘ bzw. ‚Gewusstes‘, dann würde das ‚Vorher‘ dieser allgemeine, nur partiell zugängliche, darin meist weniger klare Anteil des Unbewussten sein, das partiell ‚zurückkehrt‘ und das Aktuale in einer ‚Perspektive erscheinen lässt, die unterschiedliche Formen des ‚Nachher‘ erkennbar macht. Das Aktuale vor dem wabernden Hintergrund des Erinnerbaren läßt die Konstituierung von Typen zu, von allgemeinen Formen, von ‚Clustern‘, von ‚Vernetzungen‘, ‚Ereignisketten‘ usw. auf deren Basis sich unterschiedliche ‚Regelhaftigkeiten‘ (induktiv) ‚ableiten‘ lassen, die dann dazu benutzt werden können, um mögliche Fortsetzungen (potentiell, Horizont…) zu fantasieren, zu denken, zu berechnen usw. Das transzendentale ego wäre dann zwar immer noch jene Einheit, in der sich dies alles abspielt, aber es wäre nicht mehr denknotwendig die einzige ‚treibende Kraft‘, die dies alles bewirkt.
(68) 82 Jahre nach Husserls Vorlesung kann das reflektierende Denken wissen, dass das ‚Unbewusste‘ möglicherweise ein komplexes Gedächtnissystem ist, das ‚in sich‘ komplexe Verarbeitungen vornimmt, ohne (!) dass diese bewusst sein müssen bzw. sogar, ohne dass diese jemals bewusst sein können. Zu diesen Verarbeitungsprozessen gehören diverse Abstraktionsleistungen, Assoziationsleistungen, Sortierungen nach unterschiedlichen Kriterien, Verstärkungen und Abschwächungen in der Wahrscheinlichkeit von ‚Inhalten‘, aus dem Bereich des Unbewussten wieder ‚heraus zu treten‘. Wenn dies zutrifft –und alles spricht bislang dafür– dann wären sowohl die allgemeinen Strukturen, die in der transzendentalen Einheit sichtbar werden, wie auch die konkreten Inhalte nicht wirklich ‚Leistungen‘ des transzendentalen ego; sie würden vielmehr ’nur‘ innerhalb dieser transzendentalen Einheit ‚aufscheinen‘, ‚hervortreten‘, ’sich zeigen‘. Ihr ‚Erkenntniswert‘ würde durch solch eine reflektierende ‚Einordnung‘ nicht gemindert (schließlich hat das ego sonst nichts zum Erkennen; ohne diese Inhalte wäre es ‚leer‘). Allerdings würde  diese Interpretation andeuten, dass hier das transzendentale ego mindestens  in einem zweifachen Sinne ein ‚empfangendes ego‘ ist: (i) die konkreten Gegebenheiten, bevor sie ins Unbewusste übergehen,  produziert es nicht selbst, sondern ‚findet sie‘ in seiner Bewusstheit ‚vor‘; (ii) die konkreten Gegebenheiten als ‚Erinnerte‘ folgen in ihren ‚Modifikationen‘ Regeln, die das ego nicht selbst aktiv bestimmt, sondern die es selbst auch wieder rein passiv ‚empfängt‘. Es kann zur Kenntnis nehmen, es kann aber die Art und Weise des Erinnerns in keiner Weise beeinflussen. Hier ist eine Struktur ‚am Werke‘ die jenseits seiner Möglichkeiten liegt. Das Vorkommen dieser konkreten So-Seienden im Konkreten wie in ihrer Typik ist transzendental, die Konkretheit selbst wie auch ihre Typik wäre dann nicht (!) transzendental, sondern ‚kontingent‘ in dem Sinne, wie auch alle empirischen Tatsachen DAT_emp der empirischen Wissenschaften als kontingent bezeichnet werden (die ja wie oben festgestellt nur eine echte Teilmenge der phänomenologischen Tatsachen DAT_ph sind). Der Stellenwert des Transzendentalen wird damit in einer Hinsicht deutlich eingeschränkt, aber eben nicht gänzlich aufgehoben. Das, was hier im ersten Moment als Verlust erscheinen mag, kann sich –siehe weiter unten–  möglicherweise als ein unverhoffter Gewinn erweisen.
(69) Wenn Husserl schreibt, dass das ego kein bloßer leerer Pol sei, sondern das ’stehende und bleibende Ich der verharrenden Überzeugungen, der Habitualitäten, in deren Veränderung sich allererst Einheit des personalen Ich und seines personalen Charakters konstituiert‘ (vgl. CM2, S26,Z27-30), so mag man ihm nach den vorausgehenden Überlegungen zustimmen bzgl. des Punktes, dass sich die Einheit des Ich erst in durch die Veränderungen konstituiert (da wir diese Einheit ohne diese Veränderungen gar nicht erfahren können), man mag ihm aber nicht zustimmen, dass das ego sich gerade in den ‚verharrenden Überzeugungen‘ als bleibendes Ich konstituiere. Das transzendentale ego ist nicht identisch mit seinen Inhalten, sondern höchstens ‚korrelativ‘ zu diesen, und diese Erinnerungen selbst sind nicht transzendental, sondern kontingent, treten auf, passieren, ereignen sich; zwar als Momente am transzendentalen ego aber nicht als substantiellen Momente sondern als periphere Momente, die kommen und gehen. Ihre Stetigkeit im Festgehaltenwerden durch das Unbewusste ist eine abgeleitete, die ihre Form nicht vom transzendentalen ego empfängt. Im Gegensatz zu Husserl muss man sagen, dass das transzendentale ego –nach den bisherigen Erkenntnissen– als transzendentales wirklich ‚leer‘ ist. Es ist jene allgemeine Bedingung, unter der überhaupt etwas erscheinen kann, für das, was erscheint ist es jedoch konkret weder Bedingung noch Ursache noch Form.

(70) Wenn Husserl mit dem Begriff der ‚konkreten Monade‘ das ‚ego in voller Konkretion‘ (vgl. CM2, S.26, Z31, Z35) für die Phänomenologie zu ‚retten‘ versucht, dann kann dies nach dem Vorausgehenden nicht überzeugen. ‚Psychologisch‘ mag das Ich sich –eingebettet in die Konkretheit der begleitenden Erscheinungen– als dieses konkrete Ich empfinden, aber diese Konkretheiten sind strukturell verschieden von dem transzendentalen ego als notwendiger Bedingung alles Erscheinens. Durch diese unzulässige Vereinnahmung des Konkreten in das Transzendentale deckt Husserl eine ‚Kluft‘ zu, die sich in der transzendentalen Erkenntnis auftut: es ist die Kluft zwischen allgemein-Transzendenalem und konkret-soseiendem Gegebenem als Aktuales, als Erinnertes oder als Visioniertes. Für das individuelle Denken ist das allgemein Transzendentale ein nicht weiter verrückbarer Referenzpunkt des Denkens. Das in Beziehung auf dieses transzendentale ego aufscheinende Konkrete samt seinen Typen, Formen, Verkettungen usw. dagegen ist diesem transzendentalem ego gegenüber ein ‚Fremdes‘, ein sich ‚Unabhängig Ereignendes‘, das man in dieser Unabhängigkeit auch als ‚transzendental‘ bezeichnen kann. Vom Standpunkt des transzendentalen ego hat die Unverfügbarkeit des konkret Erscheinenden etwas Bedingendes,  in dem sich grundlegend jedwedes Andere, jedwedes ‚fremde Selbst‘ zeigen kann, aber nicht muss.

(71) Versucht man diese Kluft nicht zu nivellieren –wie es Husserl zu tun scheint–, sondern nimmt man diese Kluft als eine grundlegende Gegebenheit unseres Daseins an, dann trifft das transzendentale ego ‚quasi in sich selbst‘ auf das zu ihm ganz andere, an dem es sich in seiner Verschiedenheit bewusst wird. Voraussetzung für diese substantielle Erkenntnis ist die Reflektion des Denkens auf sich selbst. Diese Selbst-Reflexion ist mehr al nur Epoché! (vgl. CM2, S.31,Z15-30) Die Epoché bezieht sich nur auf die Einklammerung gewisser ‚Geltungsansprüche‘ im Rahmen der Denkautomatismen.  Jemand, der Epoché praktisch ausführt muss nicht notwendigerweise seiner selbst im vollen Umfang bewusst sein. Epoché ist eine partielle Selbstreflexion, sie führt nicht zwangsweise zu einer vollen Selbstreflexion.

(72) In der Selbstreflexion findet das transzendentale ego sich vor als unausweichlich (transzendental) korreliert mit einem ganz Anderem, das nicht ‚fest‘ ist, ’nicht begrenzt‘, ’nicht einzeln‘, sondern ein ‚Strom‘ von Vielheit, darin sich zeigenden ‚Formen‘, ‚Regelhaftigkeiten‘, die zu einer Fülle von ‚Gestalten‘ Anlaß bieten, in die es über das Denken und einem Körper vielfach ‚eingewoben‘ ist. All dies ‚gehört‘ auf unterschiedliche Weise ‚zu ihm‘ und ist doch wesenhaft ‚verschieden‘. Vordergründig erscheint das Andere in seiner Konkretheit endlich zu sein; als sich kontinuierlich ereignender ‚Strom‘ von Ereignissen zeigt es sich jedoch als eine ‚unendliche Endlichkeit‘ von endlichen Gegebenheiten, die in der punktuellen Benennung punktuell ‚wahr‘ ist, im Fluss der Ereignisse sich aber als ‚falsch‘ erweist. Ein ‚Wahres‘ gibt es hier nur als ein ‚Allgemeines‘, das über das Punktuelle hinausreicht durch seine Verankerung im Erinnerten eines Vorher mit Bezug auf ein gegebenes Aktuales. Diese Allgemeinheiten sind jedoch  ‚gewordene‘ Allgemeinheiten, sich aus dem Fluss der Ereignisse ‚heraus‘ Zeigende, Induktionen, hypothetische Verallgemeinerungen, Auswürfe in die Zukunft, die vom Erinnerten gespeist werden. Gewordenes Allgemeines kann falsch sein bzw. werden. In der Selbstgewissheit des Denkens ist das gewordene Allgemeine ‚gewiss‘, ‚evident‘, zugleich aber auch ‚markiert‘ als ‚geworden‘ und von daher nicht endgültig, ‚vorläufig‘, ‚hypothetisch‘. Das evident Gewordene ist die allgemeinste Form des ‚Empirischen‘, das in den empirischen Wissenschaften auf eine Teilmenge von Ereignissen eingeschränkt wird.

Zur Fortsetzung siehe CM3, Teil 5

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CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III, Teil 3

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 11.Dezember 2011,
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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ÄNDERUNGEN: Letzte Änderung Mo, 13. Dez. 2011, vor 10:30h

(40) Zurück zu Husserl. Bei der phänomenologischen Analyse der allgemeinen (intentionalen) Strukturen des Erlebens bilden die sich im Denken  automatisch bildenden Einheiten (jedes einzelne cogitatum ist eine ‚Identitätssynthese‘ (vgl. CM2,S21,Z9-11) jeweils einen ‚Leitfaden für die subjektiven Mannigfaltigkeien‘. (vgl. CM2,S21,Z12f) In der entstehenden Abstraktion auf der Grundlage der phänomenologischen  ‚Typen‘ spielen diese konstituierenden Mannigfaltigkeiten dann aber keine wichtige Rolle mehr; es geht dann um die gefundenen allgemeinen Strukturen.

(41)  Nehmen wir einmal an, dass es diese allgemeine Strukturen sind, die in eine phänomenologische Theorie Th_ph eingehen würden (mir ist niemand bekannt, der bislang solch eine phänomenologische Theorie Th_ph tatsächlich ausgearbeitet hätte; Husserl selbst war weit entfernt davon).

(42) Husserl behauptet nun, dass das ‚Phänomen der Welt‘ einen eigenen Typus, bildet, nämlich den ‚wundersamen Typus universale Weltwahrnehmung‘, der uns als dieser Typus ‚bewusst‘ sei. (vgl. CM2,S21,Z18-21) Er bildet den ‚Leitfaden‘ zur Analyse der ‚Unendlichkeitsstruktur der Erfahrungsintentionalität‘ von der Welt. (vgl. CM2,S21,Z22-27) Innerhalb der phänomenologischen Analyse von der einen Welt gibt es aber viele unterscheidbare Einzelobjekte, die in diesem größeren Zusammenhang so vorkommen, dass sie aus diesem Zusammenhang ’nicht weggedacht‘ werden können. (vgl. CM2,S21,Z35f)

(43) Dass jedes erkennbare Einzelobjekt samt zugehöriger Typik und intentionaler Potentialität im Kontext der synthetischen Einheit des transzendentalen ego ohne diesen Zusammenhang nicht gedacht werden kann, ist gewissermaßen eine Tautologie, da Husserl die transzendentale Analyse genau über jenen unauflöslichen –letztlich a priori vorgegebenen– Denkzusammenhang definiert. Davon zu unterscheiden ist aber die phänomenbezogene Aussage, dass es über diese im Denken verankerte Einheit auch noch eine durch die Sachen selbst induzierte Einheit geben soll. Dass wir in allen Wahrnehmungen eine raum-zeitliche Struktur vorfinden (über die Husserl hier nicht spricht), durch die unsere unterschiedlichen Gegenstände, Objekte in einem Beziehungsgeflecht vorkommen, das wir nicht weg-denken können, ist eine Sache. Zusätzlich dazu ein ‚Superobjekt‘ Welt als vorfindliche Erkenntnis annehmen zu müssen, ist eine Feststellung, die sich –zumindest mir– nicht ohne weiteres erschließt. Diese Unsicherheit zeigt an, dass die Inhalte einer phänomenologischen Analyse, selbst dort, wo sie versucht, ‚allgemeine‘ Strukturen der vorfindlichen Gegebenheitstypen aufzugreifen, zu analysieren und zu beschreiben, nicht immer und überall diese Transparenz und Evidenz besitzt, die Husserl fordert (und bei seinen Aussagen auch unterstellt). Im Zweifelsfall würde ich dafür plädieren, solche unklaren Allgemeinheits-Feststellungen dann zurück zu stellen. Ferner zeigt diese Unsicherheit die Besonderheit einer möglichen phänomenologischen Theoriebildung: dadurch, dass es sich bei den ‚Gegenständen‘ einer phänomenologischen Analyse um Eigenschaften unseres bewussten Denkens handelt, die nicht ‚direkt‘ vorzeigbar sind, sondern nur indirekt im Rahmen einer Kommunikation ‚erschlossen‘ werden können, ist jede phänomenologische Feststellung eine kommunikationsabhängige Hypothese, die voraussetzt, dass es in jedem Kommunikationsteilnehmer prinzipiell die gleichen allgemeinen Strukturen des Denkens gibt. Die von Husserl programmatisch geforderte Letztbegründung von Philosophie wird auf diese Weise trotz ihrer subjektiven Denknotwendigkeit durch ihre Sprachabhängigkeit zu einem relativierbaren kulturellen Phänomen. Zwischenmenschlich kann Philosophie niemals absolut sein, nur individuell-subjektiv für die persönliche Orientierung.

(44) Kommen wir zurück zur formalen Seite der phänomenologischen Analyse. Generell bezieht die phänomenologische Analyse ihre Denknotwendigkeit aus der vorfindlichen Einheit des Denkens. Innerhalb dieser allgemeinen Einheit postuliert Husserl aber weitere begrenztere Einheiten,  die aus der Mannigfaltigkeit des Gegebenen als ‚Objekte‘ und zugleich als ‚Objekttypen‘ entstehen. Und er stellt explizit fest ‚Jedes Objekt bezeichnet eine Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität‘. (vgl. CM2,S22,Z5-7) Hier stellen sich sehr viele Fragen. Einige seien genannt.

(45)  Der Ausdruck ‚Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität‘ ist nicht ohne weiteres klar, da Husserl bislang noch nirgends erklärt hat, was eine ‚Regel‘ sein soll, er hat den Begriff ‚Struktur‘ ebenfalls nicht explizit erklärt, geschweige denn den neuen Begriff ‚Regelstruktur‘. Aus der Vielzahl möglicher Interpretationen wird hier versuchsweise angenommen, dass es Husserl darauf ankam, zu erklären, dass die durch die Objekteinheit gegebene Typik im Rahmen der transzendentalen Synthese etwas ‚Nicht-Zufälliges‘, etwas ‚Nicht-Kontingentes‘ hat. Damit wäre die Basis  für eine Grundlegung der Philosophie über die allgemeine transzendentale Einheit hinaus durch Ausdifferenzierung der allgemeinen Einheit ‚erweitert‘. Diese Annahme macht nur Sinn, wenn die auf die Objekt-Typik bezogene Einheit vom einzelnen Objekt ‚unabhängig‘ ist. Die vorausgehenden Abschnitte legen diese Interpretation nahe. Daraus folgt, dass diese Objekt-Typik durch die Art des Denkens selbst (DLOG) ‚induziert‘ wird. D.h. egal, welches einzelne Objekt durch die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung sich im Denken ‚zeigt‘, jede dieser objektbezogenen Typen ergibt sich aus der Art und Weise, wie das Denken Mannigfaltigkeiten ‚organisiert‘, ‚verarbeitet‘, ‚aufbereitet‘ –oder wie immer man die Leistung des Denkens bezeichnen möchte–. Mit solch einem Interpretationsansatz erscheint die Einheit der Objekte als denknotwendig, sprich von transzendentaler Natur. Es bleibt dann nur die Frage nach dem ‚Sachanteil‘ der Erkenntnis. Wenn die Mannigfaltigkeit, die letztlich die Unterscheidung zwischen Objekten möglich macht und die die Voraussetzung für sprachliche Benennungen ist, im ‚eigentlichen‘ Denken keine Rolle mehr zu spielen scheint, dann fragt man sich, was denn letztlich den ‚Inhalt‘ des denknotwendigen Denkens ausmacht?

(46) Eine weitere Interpretation könnte sein, dass diese allgemeinen Strukturen des Denkens zwar vom Denken selbst induziert sind, aber nur gelegentlich des Auftretens von Mannigfaltigkeiten ’sichtbar‘ werden. Damit hätten die Mannigfaltigkeiten zumindest eine Art ‚Triggerfunktion‘.  Dies scheint der Weise unseres Denkens zu entsprechen. Wir können über die Strukturen unseres Denkens nur anlässlich des aktiven Denkens ‚denken‘. Der ‚Inhalt‘ dieses Denkens wird aber nur in dem Masse ’nutzbar‘, als es uns gelingt, diesen Inhalt zu analysieren und zu beschreiben (als Th_ph). Das Gleiche gilt natürlich auch von den eher ‚kontingenten Inhalten‘, anlässlich deren die allgemeinen Strukturen sichtbar werden. Auch diese kann man in ihrer Eigenart analysieren und beschreiben. Die ‚Daten‘ DAT_ph einer phänomenologischen Theorie Th_ph enthalten also sowohl Beschreibungen von ‚kontingenten‘ Daten wie auch Daten über ‚allgemeine Struktureigenschaften‘ des Denkkontextes, in dem diese Daten auftraten. Diese Daten DAT_ph zu einer konsistenten phänomenologischen Theorie Th_ph auszuarbeiten stellt dann die eigentliche theoretische (und philosophische) Leistung dar.

(47) Bzgl. der Feststellung über das Super-Objekt Welt (bei Husserl ‚universale Weltwahrnehmung‘) hatte ich angemerkt, dass die Behauptung der universalen Gültigkeit dieser Erkenntnis mir nicht direkt zwingend erscheint. Husserl läßt hier aber nicht locker. Für ihn resultiert die Einheit des Phänomens ‚Natur‘ bzw. ‚Welt‘ als transzendentale Einsicht aus dem Kontext von ‚Vernunft und Unvernunft‘; letztere gehören für ihn zur ‚allgemeinsten Strukturform der transzendentalen Subjektivität überhaupt‘. (vgl. CM2,S22,Z8-17)

(48) Trotz dieser Wiederholung ist nicht erkennbar, woher Husserl die hierzu notwendigen Evidenzen rekrutiert.  Das Wort ‚überhaupt‘ im Ausdruck ‚transzendentale Subjektivität überhaupt‘  lässt zwar Emphase‘ erkennen, deutet an, dass sein Autor auf die immanenten ‚Grenzen‘ des Gemeinten zielt, doch ist die ‚transzendentale Subjektivität‘ von Husserl auf die apriorische Einheit des transzendentalen ego bezogen, die als solche ‚eine‘ ist und nicht weiter hintergehbar. In diese letzte Einheit eine noch allgemeinere Einheit mit der Formulierung ‚transzendental überhaupt‘  hinein zu projizieren, erscheint wenig überzeugend. Zumal Begriffe wie ‚Vernunft‘ und ‚Un-Vernunft‘ hochgradig unbestimmt und ‚leer‘ sind. Von etwas Unbestimmtem und Undefiniertem wie ‚Vernunft‘ zu sagen es sei die ‚allgemeinste Form‘ und zugleich die ‚Einheit überhaupt‘ überzeugt mich nicht. Es mag sein dass der Begriff ‚Vernunft‘ in anderen begrifflichen Kontexten einen fassbaren Sinn haben kann, in dem von Husserl bislang skizzierten Zusammenhang einer transzendentalen Phänomenologie sehe ich dies nicht.

(49) Husserl spricht dann über ‚Evidenz‘ im Kontext des Transzendentalen als etwas ’nicht zufällig Vorkommendes‘.(vgl. CM2,S22,Z18-21) Er benutzt dabei das Wort ’selbst‘ fast inflatorisch (analog dem Wort ‚überhaupt‘ in vorausgehenden Abschnitten), etwa nach dem Schema nicht nur ein ‚X‘, sondern das ‚X selbst‘, oder –mit Husserls Worten– ‚das cogitatum als es selbst habend‘.(vgl. CM2,S22,Z22f) Was aber macht den Unterschied aus zwischen einem ‚X‘ und dem ‚X selbst‘? Nach den bisherigen Ausführungen zur transzendentalen Phänomenologie ist sich das transzendentale ego entweder ’seiner selbst‘ nicht bewusst sondern ist  ‚bei‘ oder ‚in‘ den cogitata als den intentionalen Gegenständen des Denkens (ohne epoché) oder das transzendentale ego ist sich seiner bewusst und damit werden die cogitata eingebettet in eine intentionale Beziehung, die sich ihrer bewusst ist und die ‚in sich‘ oder ‚aus sich heraus‘ alle cogitata innerhalb der Einheit des Denkens ‚als cogitata‘ bewusst denken kann. In diesem Schema wäre eine Interpretationsmöglichkeit, den Fall ‚X‘ zu assoziieren mit dem ‚bei/ in den cogitata‘ sein ohne eingeschaltete kritische Reflexion und den Fall ‚X selbst‘ zu assoziieren mit der eingeschalteten Reflexion, in der die cogitata als Momente einer intentionalen Beziehung ‚bewusst‘ sind, darin ’sie selbst‘. Dies scheint Husserl gemeint zu haben, wenn er sagt ‚…alle Intentionalität ist… selbst ein Evidenzbewusstsein, das ist das cogitatum als es selbst habend…‘. (vgl. CM2,S22,Z21-23)

(50) Man kann natürlich fragen, ob es glücklich ist, das cogitatum, sofern es in der Reflexion als ein ‚Eingebettetes in einer größeren Einheit‘ erscheint, als ‚es selbst‘ zu bezeichnen, aber es entspricht dem Sprachgebrauch deutscher Bewusstseinsphilosophen.

(51) Schwierig wird es, wenn Husserl von dem unmittelbar im Denken Gegebenen ‚X selbst‘ auf das potentielle X rekurriert, auf das vor jeder Klarheit gegebene ‚vage, leere, unklare‘ Bewusstsein, (vgl. CM2,S22,Z25) das ‚auf dem Weg der Klärung‘ dann als Vorgestelltes, Fantasiertes, Gedachtes, Erinnertes usw. bewusst und darin wirklich, reell wird. Da man sich sofort fragt, wie etwas nicht Bewusstes Gegenstand des bewussten Denkens sein kann (nicht bewusst ist ja gerade das Gegenteil von bewusst), hakt man sich fest an der Formulierung Husserls, dass ein leeres Bewusstsein nur ‚Bewusstsein von dem und dem‘ sein kann, ’sofern es auf einen Weg der Klärung verweist‘.(vgl. CM2,S22,Z26f) Dies wirkt mindestens paradox, wenn nicht gar falsch.

(52) Wenn wir zunächst mal davon ausgehen, dass das Komplementäre zum Bewusstsein C das Nicht-Bewusstsein C‘ ist, d.h. Alle jene ‚Dinge‘ die es zwar ‚irgendwie geben mag‘, die aber eben per definitionem nicht bewusstseinsmässig zugänglich sind, dann gibt es für das Bewusstsein C keinerlei Möglichkeit auf irgendein x‘ in C‘ zu schließen. Die Formulierung von Husserl ’sofern es auf einen Weg der Klärung verweist‘ ist also bei Annahme der Definition von Bewusstsein und Nicht-Bewusstsein im vorausgehenden Sinne im Ansatz nicht möglich. Im Nichtbewusstsein C‘ gibt es kein etwas x‘ in C‘, das in irgendeiner Weise dem Bewusstsein C zugänglich ist.

(53) Will man die Aussage Husserls retten, dann könnte man ein ‚Drittes‘ postulieren, nämlich einen Zwischenbereich zwischen Bewusstsein C und Nichtbewusstsein C‘; nennen wir dieses Dritte hypothetisch ‚Un-Bewusstes‘ C*. Das Un-Bewusste wäre dann ein etwas x* in C*, dessen konkrete Ausgestaltung als solche aktuell nicht gerade bewusst ist, aber ‚irgendwie‘ gibt es ein ‚leeres, vages‘ Bewusstsein von seiner Verfügbarkeit. Ein möglicher Zusammenhang (Hypothese) zwischen einem bewussten Phänomen x in C und einem unbewussten x* in C* wäre möglicherweise, dass jedes bewusstes Phänomen x in den ‚Zustand‘ eines unbewussten x* übergehen kann und umgekehrt. Die Details dieser Übergänge von x nach X* und zurück lassen wir an dieser Stelle einmal offen. Wichtig ist nur, dass es keinerlei Übergänge von einem nicht bewussten x‘ in C‘ zu einem bewussten x in C geben kann. Möglicherweise aber von einem unbewussten x* in C* zu einem nicht bewussten x‘ in C‘. Die Formulierung von Husserl ‚Jedes vage Bewusstsein kann ich befragen, wie sein Gegenstand aussehen müsste‘, kann man als Bekräftigung der Hypothese zum Un-Bewussten C* lesen.

(54) In diesem Zusammenhang führt Husserl auch die Begriffe ‚Bestätigung‘, ‚Erfüllung‘ einerseits ein wie auch die Begriffe ‚Enttäuschung‘, ‚Aufhebung‘, ‚Negation‘ andererseits ein.(vgl. CM2,S22,Z36-38) Alle diese Begriffe setzen eine Beziehung (Relation) voraus: Ich habe ein X, das sich in einem Zustand befindet, von dem ich noch nicht sagen kann, dass er ‚bestätigt‘ oder ‚enttäuscht‘ sei oder ich habe –zeitlich danach– einen Zustand, in dem ich von X sagen kann, er sei bestätigt oder er sei enttäuscht.

(55) Man kann sich jetzt fragen, wo und wie sich dieses Schema innerhalb der transzendentalen Phänomenologie ‚interpretieren‘ lässt. Da man von den allgemeinen Strukturen annehmen muss, dass sie ’sind wie sie sind‘, kann ein Bestätigen bzw. Enttäuschen nur bei jenen Gegebenheiten (Tatsachen) des Bewusstseins auftreten, die in einer Beziehung vorkommen können, in denen sich etwas ändert. Dies sind eigentlich nur jene Objekte, die auf kontingenten Mannigfaltigkeiten beruhen, die mal so und mal so sein können. Während ‚Erinnerbares‘ (das ein Bewusstes x in C war, das zu einem unbewussten x* in C* überging und von dort wieder zu einem bewussten x in C werden kann) tendenziell eher seine Beschaffenheit ‚bewahrt‘ (obgleich wir heute wissen, dass das Erinnerte immer Verschieden ist von dem initialen Bewussten), ist es das sinnlich Wahrgenommene, das sich ‚autonom‘ ändert. Man könnte also ein erinnertes bewusstes x_mem in C mit einem sinnlich wahrgenommenen x_emp in C vergleichen. In der Tat sagt unsere Erfahrung, dass zwischen Erinnertem x_mem und sinnlich Wahrgenommenen x_emp Bestätigung oder Enttäuschung stattfinden kann (z.B. bestaetigung(x_mem, x_emp) = 1 oder  bestaetigung(x_mem, x_emp) = 0). Natürlich kann sowohl unsere ‚Fantasie‘ wie auch unser ‚rationales Denken‘ als Teile von DLOG eine Menge von bewussten x_i in C ‚verarbeiten‘ zu einem ’neuen‘ x_neu in C. Auch bzgl. eines solchen ’neuen‘ x_neu kann man einen Vergleich mit einem x_emp anstellen (oder auch einem x_mem):  bestaetigung(x_neu, x_emp) = 1 oder  bestaetigung(x_neu, x_emp) = 0.

(56) Husserl benutzt im vorausgehenden Kontext das Begriffspaar ‚anschaulich‘ und ‚unanschaulich‘.(vgl. CM2,S23,Z3f) Der systematische Bezug zur Themaik ‚Bestätigung‘ und ‚Enttäuschung‘ ist nicht ganz klar.

Zur Fortsetzung siehe CM3, Teil 4

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