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MEDITATION (UND BETEN) ZUM NULLTARIF!

Letzte Änderung (7.4.2015, 00:00h): Soundtracks geändert; jetzt vier.

NACHBEMERKUNG ALS VORBEMERKUNG

Nachdem ich den nachfolgenden Text in den Blog eingestellt hatte, wurde ich in einem Gespräch darauf aufmerksam gemacht, dass es für einen potentiellen Leser des Textes schwer bis unmöglich ist, zu verstehen, warum ich diesen Text geschrieben habe bzw. was denn die ‚Erfahrungsgrundlage‘ meinerseits ist, die mich in die Lage versetzt, solch einen Text zu schreiben. Nach einigem Überlegen bin ich zum Entschluss gekommen, diesen Hinweis aufzugreifen und kurz das Folgende dazu anzumerken:

Die wesentlichen, grundlegenden Erfahrungen zur Meditation und zum Beten, die im folgenden Text die Grundlage bilden, hätte ich auch schon gut 25 Jahre früher aufschreiben können. Dies reicht zurück in meine Zeit als ‚existentiell Gottsuchender‘, der sich – mehr durch Zufall – in einen bestimmten katholischen Orden ‚verirrt‘ hatte, dort aber dann, nachdem ich mich eigentlich nur für ein Jahr ‚parken‘ wollte, immer länger verblieb; letztlich 22 Jahre lang. In dieser Zeit durchlief ich viele verschiedene Phasen, Rollen, Erfahrungen, Wissensgebiete, u.a. lernte ich verschiedene Meditationstechniken kennen, lernte das ‚Beten‘ kennen, machte vielfältige Erfahrungen, die grundlegend bis umstürzend waren. Dass ich mich dann nach ca. 20 Jahren aufgrund der ’spirituellen Einstellung‘ in einer Situation wiederfand, in der mich die ‚innere Stimme‘ dazu brachte, mich aus dem kirchlichen Kontext wieder zu lösen, wo ich mich gerade ‚wohl zu fühlen‘ begann, war überraschend, unerwartet, und verwickelte mich über gut zwei Jahre in einen schwierigen Prozess der Klärung und Loslösung. Nachdem die Entscheidung schließlich klar war, trat ich mehr oder weniger sofort auch aus der Kirche aus.

Die spannende Frage war, was von all den tiefgreifenden positiven Erfahrungen dem kirchlich-religiösen Kontext geschuldet waren und was zum ganz normalen Leben, zu jedem Menschen gehört, egal wo und wie dieser Mensch lebt?

Zwar war schon unmittelbar nach dem Verlassen der Kirche klar, dass der Weg der richtige war, aber es war nicht klar – und es konnte so schnell auch nicht klar sein – wie sich das Phänomen des grundlegend Spirituellem im nichtkirchlichen Alltag wiederfinden würde.

Es hat gut weitere 25 Jahre gedauert, mit vielen neuen Orten, Rollen, mit ca. 6 radikal neuen ‚Lebensphasen‘, vielen neuen Studien, bis mir klar war, was gilt ‚allgemein‘, und was ist speziell. Der nachfolgende Text beschreibt also das Ergebnis eines intensiven existentiellen und kognitiven Erfahrungs- und Suchprozesses von zusammen gut 47 Jahren. Andere mögen dies schneller können …

Das ‚Wahre‘ ist letztlich immer sehr einfach.

Das ‚Leben‘ ist das größte Wunder im ganzen bekannten Universum. Und je mehr man sich damit beschäftigt, umso ungeheuerlicher wird es, umso großartiger; wir alle sind Teil davon. Das ist das Unfassbare.

SOUNDTRACK 1: Diverse Begegnngen

ZEIT NEHMEN

1. Was jeder irgendwann in den 24 Stunden seines Tages tun kann, ist, sich etwas Zeit zu nehmen: wenigstens 10 Minuten, besser 20 Minuten, oder länger.

KÖPERHALTUNG(EN)

2. Idealerweise nimmt man eine Körperhaltung ein, die so ist, dass sie während der Meditationszeit keine Ablenkung verursacht (Schmerzen, Durchblutungsstörungen, …) und in der man optimal atmen kann.

3. Es gibt (fanatische) Verfechter eines Verschränkungssitzes; andere schwören auf Kniehocker, wieder andere legen sich auf den Boden, andere stellen sich irgendwo hin. Ich kann nur sagen, dass ein moderner Bürosessel ideal ist: man kann bequem auf der vorderen Kante sitzen, ohne dass es einschneidet; man kann die Höhe optimal einstellen, so dass die Beine leicht nach unten abfallen können, so dass man automatisch mit dem Oberkörper aufrecht sitzen kann, und man kann die Höhe so wählen, dass die Füße eine bequeme Haltung einnehmen können, ohne auf Dauer zu stören.

4. Wer aufgrund körperlicher (oder psychischer) Einschränkungen mit solchen ’normalen‘ Haltungen Probleme hat, muss ausprobieren, mit welcher Körperstellung er einigermaßen klarkommt; notfalls müssen geeignete Unterstützungsmittel entwickelt werden.

ORTE

5. Bewährt hat sich ein Ort, an dem man weitgehend ungestört ist.

6. Letztlich aber kann es jeder Ort sein, auch mit anderen zusammen.

7. Man kann auch mitten am Tag, mitten in einer belebten Stadt, sich irgendwo einfach hinstellen oder setzen und für einen gewählten Zeitraum auf einen bestimmten Punkt vor sich schauen, ruhig bleiben, bewegungslos, atmen, und so einfach ‚da sein‘.

8. Einer Toilette ist es egal, was man da tut; Gebetsräume anderer Religionsgemeinschaften bietet auch Ruhe; im unbequemen Sessel der Economy-Klasse eines Flugzeugs findet man fast ideale Bedingungen; im Wartezimmer eines Arztes, an der Haltestelle, … Wer sucht, der findet.

SOUNDTRACK 2: Meditation Jetzt

INHALTE

9. Der primäre ‚Inhalt‘ des Innehaltens ist der Augenblick, man selbst, die eigene Körperlichkeit mit all dem, was dazu gehört.

10. Der eigene Körper ist die – bislang – wunderbarste Struktur, die es im bekannten Universum gibt.

11. Die Zellen des Körpers haben wir gemeinsam mit allen Lebensformen des Planeten Erde.

12. Die ‚Baustoffe‘ der Zellen, die Moleküle, Atome, subatomaren Partikel, haben wir gemeinsam mit allen Planeten und Sonnen des bekannten Universums; es ist der ‚Stoff‘, aus dem alles ist, was wir kennen; seit Jahrmilliarden Jahren.

13. Der ‚Stoff‘ aus dem wir bestehen, ist nach heutigem Erkenntnisstand ‚Energie-Materie‘, die koexistent ist mit allem, was wir vom ‚Geist‘, von der ‚Seele‘, von der ‚Psyche‘ wissen.

14. Jeder Körper, der auf den ersten Blick so ‚endlich‘ erscheint, ist aufgrund seiner stofflichen Beschaffenheit ’nah besehen‘ quasi ‚unendlich‘: besteht ein Körper aus etwa 4 Billionen (10^12) einzelnen Zellen (plus weiteren Billionen Bakterien, die direkt mit den Körperzellen kooperieren), so besteht jede Zelle nochmals aus einer unfassbar großen Zahl von Atomen, die wiederum nichts anderes sind als idealisierte Modellvorstellung von subatomaren Teilchen, die sich permanent in Wechselwirkung befinden: mit ihrem direkten Umfeld, aber auch in jedem Augenblick – nach Erkenntnissen der Quantenphysik – können sie sich mit beliebigen andern Teilchen über nahezu unbeschränkte Distanzen in ‚Wechselwirkungen‘ befinden. Quantenphysikalisch ist unser Körper ein ‚offenes‘ System, in einer ‚Wolke von Wechselwirkungen‘, die wir bislang noch nicht vollständig entschlüsselt haben. ‚Körper‘ im Sinne der Alltagserfahrung sind so gesehen ‚Täuschungen‘ unseres körperlichen Wahrnehmungs- und Vorstellungssystems. Letztlich bilden wir quasi ‚energetische Felder‘ in einem nicht abgrenzbarem energetischen Gesamtraum.

15. Während die ‚Form‘ eines menschlichen Körpers nach dem Tod ‚zerfallen‘ kann, bleiben alle ‚Bestandteile‘, die Atome, erhalten. Diese sind quasi ‚ewig‘; Atome (nur existent als Modellvorstellungen in unserem Denken) selbst können wiederum nur übergehen in Energie; diese ist ‚untötbar‘.

16. Wer also mit seinem wunderbare Körper (der zugleich auch ‚Geist‘ ist!) ‚innehält‘, sich aushält, sich ‚wahrnimmt‘, ist in diesem Moment jenes Universum an Zellen, Molekülen, Atomen, subatomaren Teilchen, die sich alle permanent in Wechselwirkungen mit nahezu allem befinden bzw. befinden können.

17. Individuell verschieden können sehr viele aktuelle Bilder auftauchen, Gefühlsregungen hochschießen, Stimmungen sich ausbreiten; dies alles ist unwichtig. Man lässt es kommen und gehen. Entscheidend ist das Ganze, die Existenz in all dem, das, was alles ermöglicht und trägt. Das Leben selbst ist ‚gut‘, es ist das ‚höchste Gut‘, an dem wir teilhaben können. Und dieses höchste Gut ist einfach da, immer, jederzeit, kostenfrei, gratis, ohne Bedingung, umfassend.

18. Wer sich darauf einlässt, sich innerlich öffnet, kann von diesem ‚Gut des Lebens‘ ‚erwärmt‘ werden, beruhigt, inspiriert, gestärkt werden; es kann eine Sensibilisierung eintreten, eine wachsende Empathie für das gesamte Dasein.

SOUNDTRACK 3: Cello Solo mit Drums

BETEN

19. Man kann Meditieren vom expliziten Beten unterscheiden, wenngleich die Grenze zwischen beiden Zuständen möglicherweise ‚fließend‘ ist.

20. Im Beten wendet man sich innerlich dem unfassbaren Raum des Daseins so zu, als ob dieser unfassbar reiche Raum ‚personal‘ ist, als ob es da ein ‚kosmisches Gegenüber‘ gibt, mit dem man ‚reden‘ kann.

21. Wie man dieses ‚kosmische Gegenüber‘ anredet, ist eigentlich egal; entscheidend ist die innere Haltung. Entscheidend ist die Offenheit, dass etwas passieren kann, ohne dass man weiß, wann, was und wie. Man selbst kann die Antwort nicht erzwingen; das ist entscheidend.

22. Sehr oft ist es so, dass das kosmische Gegenüber von sich aus spricht, anspricht, berührt, ohne dass man es in diesem Moment wollte, ohne dass man für diesen Moment vorbereitet war.

23. Jeder kann die ‚Nähe‘ des kosmischen Gegenübers sofort erkennen. Es ist in seiner Art einzigartig, unvergleichlich, unverwechselbar, nicht kopierbar.

24. Das kosmische Gegenüber kann eine ‚emotionale Welle‘ in uns auslösen, die stärker und nachhaltiger ist als alles, was wir mit ’normalen‘ Mitteln und Techniken erreichen können. Menschen, die 10, 15 und mehr Jahre ergebnislos mit einer Therapie an ihren unbewältigten Traumata gearbeitet haben, können quasi in einem Moment soviel emotionale Kraft erfahren, dass Ängste verdunsten, dass Zutrauen Ketten sprengen kann, dass man sein Leben in einer Weise grundlegend ändern kann, wie man es zuvor sich nie vorstellen konnte, es nie gewagt hätte zu tun.

25. Wie gesagt, dies steht jedem Menschen jederzeit ohne Bezahlung unbeschränkt zur Verfügung, egal welche Hautfarbe, egal welche gesellschaftliche Stellung, egal wie alt, egal welches Geschlecht, egal ob reich oder arm. Ob Hinduist, ob Buddhist, ob Jude, ob Christ, ob Muslim, ob Atheist, keiner hat hier einen Vorteil oder Nachteil. Als Menschen sind wir diese Wunderwerke, zu deren Natur es gehört, dass sie in dieser permanenten Offenheit und Kommunikation mit allem stehen können (es ist anzunehmen, dass andere Lebensformen auch irgendwie daran Anteil haben; denn es ist die Gestalt des ‚Lebens‘, die genau dies impliziert).

26. Ob die bekannten Religionen für Meditation und Gebet letztlich eher hilfreich sind oder hinderlich – dass muss die Geschichte zeigen. Andere hassen, unterdrücken, diskriminieren, ausgrenzen oder gar morden sind mit Sicherheit keine Anzeichen für ein ‚gutes‘ Leben.

SOUNDTRACK 4: Pattern Driven Rhytms and some Sounds

und

SOUNDTRACK 5: Die Dinge sind in Bewegung

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DIE UNIVERSELLE KONFERENZ DER GOTTSUCHER – Oder die, die …. — Kurznotiz

1. Manchmal fragt mich jemand: ‚Glaubst Du an Gott?‘, und ich sage dann: ‚Wenn du mir erklären kannst, was Du unter ‚Gott‘ verstehst, kann ich Dir vielleicht sagen, ob ich an das glaube, was Du unter Gott verstehst oder nicht‘.

2. Nimmt man ernst, was man um sich herum sieht, dann gibt es ganz viele verschiedene Religionsgemeinschaften: viele Spielarten von Christen, viele Spielarten von Muslimen, viele Spielarten von Juden, viele Spielarten von Buddhisten, viele Spielarten von Hinduisten, viele Spielarten von ….

3. Ernsthafte Mitglieder dieser religiösen Gemeinschaften behaupten alle, an ‚Gott‘ zu glauben und sie versuchen ihr tägliches Lebens mehr oder weniger so zu gestalten, wie ihr Glaube an das, was sie selbst sich unter ‚Gott‘ vorstellen, es nahelegt.

4. Diese Religionen gibt es z.T. schon 2.500 bis 3.000 — oder mehr – Jahre. Das ist nicht ganz kurz …. Was auffällt ist, dass die offiziellen Vertreter dieser religiösen Gemeinschaften in der Vergangenheit noch niemals ernsthaft versucht haben, sich alle an einem Ort zu versammeln, um herauszufinden, worin denn möglicherweise die Gemeinsamkeit ihres Gottesglaubens besteht. Alle verhalten sich so, dass nur gerade sie selbst das ‚wahr Wissen‘ von Gott hätten und alle anderen unterschiedlich stark ‚verirrt‘ sind. In der menschenfreundlichen Variante ‚verzeiht‘ man den anderen ihren Irrtum und hofft darauf, dass die anderen ihren Irrtum eines Tages ‚einsehen‘ und sich dem ‚wahren Glauben‘ zuwenden. In der menschenunfreundlichen Variante erklärt man die ‚Anderen‘ zu ‚Verrätern‘, zu ‚Gefallenen‘, zu ‚Feinden‘, zu ‚Ungläubigen‘, die man bestrafen muss bis hin zur körperlichen Ausrottung.

5. Wenn das mit ‚Gott‘ Gemeinte wirklich so wichtig ist, wie die verschiedenen Vertretern der Religionen offiziell behaupten, dann verwundert es, warum keiner ernsthaft und aufrichtig die Frage stellt, wie Menschen denn überhaupt feststellen können, ob ein bestimmter Glaube an einen Gott ‚zutreffend’/ ‚wahr‘ ist oder nicht. Wenn man sieht, mit wie viel wissenschaftlichem Aufwand die Menschheit seit ca. 500 Jahren das innere der Natur und die Tiefen des Weltalls erforscht (mit atemberaubenden neuen Einsichten), dann überrascht es doch sehr, wie wenig die offiziellen Vertreter der vielen Religionen tun, um die Einsichtigkeit, die Verstehbarkeit, das Zutreffen ihren jeweiligen Gottesglaubens aufzuhellen.

6. Was tun die verschiedenen Vertreter der verschiedenen Religionen, wenn sie für ‚ihren Glauben‘ ‚werben’/ ‚missionieren‘? Wieweit hat der einzelne Umworbene eine reelle Chance, sich selbständig ein Urteil, eine Meinung zu bilden, frei, ohne psychologische Manipulationen?

7. Warum ist es so unmöglich, dass alle Religionen gemeinsam der Frage nachgehen, was an ihrem jeweiligen Glauben an Gott ‚gemeinsam‘ ist, ‚allen Menschen zugänglich‘, von ‚allen Menschen erfahrbar‘, von ‚allen Menschen verstehbar‘?

8. Die vielen sogenannten religiösen Konflikte in der Vergangenheit hatten sehr oft (meistens? immer) auch mit ‚Macht‘ zu tun, mit ‚Vorherrschaften‘, ‚Gebietsansprüchen‘, ‚wirtschaftlichen Vorteilen‘ und dafür war es wichtig, dass Religion nicht zu ‚empirisch‘, nicht zu ‚individuell‘, nicht zu ‚wahr‘ war, sondern zu Ritualen erstarrt waren, leicht indoktrinierbar und manipulierbar, so dass die Menschen nicht aus eigenem Urteil handelten, sondern als gelenkte Masse, die den steuernden Eliten Macht, Reichtum und (zweifelhafte) Ehre verschafften.

9. Im Kontrast dazu waren religiöse Menschen wie Buddha oder Jesus von Nazareth friedlich, menschenliebend, ohne einen Machtapparat, ohne Aufbau einer Organisation, ohne Unterwerfungsrituale, ohne Bevorzugung bestimmter Menschen, ohne Verurteilung anderer usw.

10. Nochmals, es fällt auf, wie extrem unkritisch offizielle Vertreter von Religionen sich selbst gegenüber sind. Obwohl wir seit Jahrhunderten immer besser verstehen, wie unser Wissen funktioniert, wie leicht und vielfältig jeder Mensch irren kann, wie oft große Irrtümer in die Welt kamen, weil bestimmte Meinungen lange nicht richtig überprüft wurden, ist nicht zu erkennen, dass die offiziellen Repräsentanten der großen Religionen ernsthaft vorstellen können, dass sie ‚irren‘ könnten. Diese Möglichkeit wird von vornherein kategorisch ausgeschlossen, obwohl nichts sicherer ist als dieses, dass jeder Mensch irren kann und sich auch im Laufe seines Lebens sehr oft irrt. In gewisser Weise ist ’sich Irren‘ auch eine Voraussetzung, um zu einem tieferen Verständnis zu kommen, vorausgesetzt, man erkennt seinen Irrtum.

11. Würden die offiziellen Vertreter von Religionen grundsätzlich einräumen, dass auch sie irren können, dann müssten sie ein großes Interesse daran haben, sich mit den anderen Religionen darüber auszutauschen, was denn die gemeinsamen Glaubensinhalte sind, wie sie erkennbar sind, wie sie verstehbar sind, wie sie gegen Missdeutungen geschützt werden können, und wie man sie heute in einer veränderten und sich beständig weiter veränderten Welt leben sollte. Und die religiösen Vertreter würden nicht nur ‚unter sich‘ darüber reden, sondern ‚mit allen‘, da jeder Mensch dazu wertvolle Beiträge liefern könnte.

12. Aktuell erwecken alle größeren Religionen eher den Eindruck, dass Hass, blinde Ideologien, Sprachlosigkeit (und große Unwissenheiten) die Gemüter beherrschen und dass die Sache mit Gott – sollte es ihn geben – irgendwo im Hintergrund vor sich hinwest; niemand scheint ein ernsthaftes Interesse an der ‚Sache Gottes‘ in dieser Welt zu haben. Der Umfang und die Bedenkenlosigkeit, mit der gegenwärtig in so vielen Ländern dieser unserer Welt Menschen gequält, verfolgt, unterdrückt, gegängelt, gefoltert und getötet werden, ist beispiellos. Wenn dies alles aus dem ‚Gottesglauben‘ der aktiven Menschenschänder folgt, dann brauchen wir diesen Gottesglauben eher nicht. Er hat auch nicht im entferntesten irgendetwas mit dem ‚Gott‘ zu tun, an den ich glaube, und von dem ich weiß, dass er alles erfüllt – sofern sich Menschen nicht explizit gegen sich selbst und gegen die Welt stellen, die sie hervorgebracht hat. Darin liegt eine tiefe Paradoxie: an der Stelle, wo das Leben in diesem Kosmos eine Form angenommen hat (homo sapiens), die sich sogar explizit gegen sich selbst wenden kann und sich dadurch – im positiven Fall – in einer bislang nie dagewesenen Eigenständigkeit ‚für etwas‘ entscheiden kann, an dieser Stelle finden wir nicht nur ’neues Licht‘ sondern auch viel ’neuen Schatten‘.

13. Mit der neuen Qualität des ‚eigenen Entscheidens‘ gewinnt das ‚mögliche Böse‘ in dieser unserer Welt eine ganz neue Wirklichkeit: diese neue Form der Freiheit — realisiert im hom sapiens — erlaubt es dem homo sapiens, sich auf der ganzen Breite gegen sich selbst, gegen das Leben im Universum, gegen das ganze Universum, und damit sogar gegen einen möglichen Gott zu wenden. Das ist potentiell das ‚totale Böse‘; die ‚Erfindung des Teufels‘ ist hier nur eine geschickte Ablenkung, eine billige Entschuldigung dafür, dass wir selbst genau das Böse verkörpern können, wenn wir unsere Grenzen, Schwächen und Fehler systematisch verleugnen.

14. Vor diesem Hintergrund ist die scheinbare Zunahme von religiösen Bewegung sehr zwiespältig: solange diese religiösen Bewegungen nicht wirklich wahrheitsfähig sind, ist mit Ihnen Intoleranz und eine ewige Menschen- und Lebens-verachtende Blutspur vorprogrammiert. Wer ernsthaft ‚wahrheitsunfähig‘ ist, der kann nur mit Verdrehungen und Lügen leben.

15. Die Deklaration der Menschenrechte 1948 und Gesellschaftsformen, die auf solchen Menschenrechten gründen, sind ein Lichtblick in der Geschichte des Lebens auf dieser unserer Erde (ohne dass damit schon die ‚perfekte‘ Form menschlicher Gesellschaften gefunden sein muss); die heute existierenden Religionen geben dagegen wenig Anlass, zu glauben, dass sie die tieferen Wahrheiten, die in und hinter den Menschenrechten stehen, auch nur ansatzweise verstanden hätten. Zumindest gibt es genügend offizielle Vertreter sowohl bei den Juden wie auch bei den Muslimen wie auch bei den Christen wie auch bei den …, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Wie soll man dies deuten?

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NACHBEMERKUNG ZUM BUCH VON H.RATH – Und Gott sprach: Wir müssen reden!

Hans Rath, „Und Gott sprach: Wir müssen reden!“, Reinbeck (DE): Rowohlt Verlag, 1. November 2013, ISBN-10: 3499259818, ISBN-13: 978-3499259814

1) Wenn mir meine Schwester MDK ein Buch schenkt mit den Worten ‚Das musst Du lesen‘ und mein Schwager in das gleiche Horn stößt, dann muss ich es natürlich trotzdem nicht lesen, aber in diesem Fall habe ich über die Weihnachtstage angefangen, darin zu lesen, und habe es praktisch in einem Rutsch gelesen.
2) Allein das lässt schon drauf schließen, dass das Buch irgendwie — zumindest für mich — ‚an-sprechend‘ gewesen sein muss. Ein Blick auf die Leserreaktionen zu diesem Buch bei Amazon zeigt, dass es aber offensichtlich vielen so gegangen ist, dass sie das Buch an-sprechend fanden.
3) Ich will jetzt hier nicht das Buch im Detail besprechen — habe seitdem schon wieder zu vieles andere gelesen –, aber ich hatte heute ein Gespräch mit meiner Frau über das Buch, das ein paar Gedanken beförderte, die vielleicht auch andere interessieren könnten.
4) Direkt nach der Lektüre zu diesem Buch hatte ich mich zu folgender spontanen Bemerkung hinreißen lassen: … „Als Philosoph und Theologe war ich überrascht, wie Rath schwergewichtige Themen zur Gottesfrage und Theodizee fantasievoll in Alltagsszenen zu verpacken versteht, die interessante Fragen anklingen lassen, ohne sie dogmatisch zu entscheiden. Während die offizielle Theologie in den meisten grundlegenden Fragen bis heute versteckt hinter komplizierten Sprachgebilden anscheinend orientierungslos herumirrt, scheut sich Rath nicht, den Leser mit manch tiefgründiger Frage zu konfrontieren. Allerdings undogmatisch, locker, fast beiläufig; man muss diese Fragen nicht ernst nehmen, man kann es einfach als Unterhaltung lesen; und doch, wer will, wer einen Rest von Sensibilität für den verborgenen Sinn im Alltag besitzt, der kann sich in dieser scheinbaren Leichtigkeit sehr wohl angesprochen fühlen, kann angeregt werden, darin mehr zu sehen, als man vordergründig sehen ‚muss’…. wer sich wirklich durch diese Sprachspiele mehr angesprochen fühlen sollte als nur im Modus der Unterhaltung, der wird nur durch diesen Text möglicherweise nicht sehr weit kommen. Es ist aber keine leichte Frage, welch alternativer Text denn wirklich weiter führt (mit der kleinen Randbedingung, dass er verstehbar sein sollte!). Ich habe einige hundert Bücher zum Thema gelesen. Vielleicht gibt es nicht ‚das‘ Buch, auch wenn wir es gerne so hätten…. “
5) Angesprochen auf die Frage, was ihr denn besonders aufgefallen sei bei der Lektüre des Buches, meinte meine Frau, dass das Buch für sie deutlich mache, dass eigentlich jedes Ereignis im Alltag bedeutsam sein kann, wenn man es entsprechend aufnimmt.
6) Auch hatte sie das Experiment beeindruckt, wie das Leben gelaufen wäre, wenn man selber nicht geboren worden wäre.
7) Letzteres ist natürlich schwer zu rekonstruieren, da es doch sehr viele Unwägbarkeiten umfasst. Doch bei jenen Entscheidungen im eigenen Leben, bei denen man beteiligt war, kann man zumindest auf ‚Tuchfühlung mit dem Schicksal‘ gehen: warum hat man in der Vergangenheit diese oder jene Veränderung vorgenommen? Wieso kam es zu einer bestimmten Entscheidung? Wenn sich Paare gefunden haben: was waren bei jedem einzelnen die Motive, Gefühle und Visionen?
8) Solche und ähnliche Überlegungen können sehr schnell hineinführen in die Welt des ‚Inneren‘ einer jeden Person. Zwar leben wir mit unserem Körper aktuell immer auch in einer Raum-Zeit-Welt mit realen Objekten, mit realen anderen Menschen, die auf uns auf vielfältige Weise einwirken können und wir auf diese, aber zugleich, in jedem Moment, sind wir eingebettet in eine ‚Wolke‘ von Bedürfnissen, Emotionen, Gefühlen, Stimmungen, interpretierenden Erfahrungen, die uns die Welt in einem bestimmten ‚Licht‘ erscheinen lassen. Jeder hat da seine ‚bevorzugte‘ Interpretation (oder lässt man sich unbestimmt treiben?), die darüber entscheidet, wie man die ‚Dinge bewertet‘: morgens, es wird hell; muss ich aufstehen wegen der Arbeit oder kann ich noch einen Moment liegen bleiben, da es Wochenende ist. Hat der Partner mir die Tasse Kaffee/ Tee einfach so gebracht, weil er/sie mich liebt oder musste ich sie mir selbst holen? …
9) Wenn man sein Leben geändert hat (neue Wohnung, neue Ausbildung, neue Firma, …) gingen diesen Änderungen meist auch ‚innere Prozesse‘ voraus: verschiedenst Gefühle/ Stimmungen ‚gegen‘ das ‚Alte‘ und solche ‚für‘ das ‚Neue‘. Sind diese ‚zufällig‘? Sind sie ‚vernünftig‘? Hat man ausschließlich auf die ‚Umgebung‘ reagiert?
10) Solange man kein klares Bild von seiner ‚inneren Welt‘ hat ist es schwer, zu sagen, ob der Klärungsprozess für eine bestimmte Entscheidung ‚rational‘ war, ‚vernünftig‘, bloß nach ‚Bauchgefühl‘, ‚angstgetrieben‘, ‚fehlgeleitet‘, eine ‚Kurzschlusshandlung‘, ’spirituell erleuchtet‘, oder was auch immer.
11) Die Frage nach einem möglichen Sinn entscheidet sich aber letztlich — wie sonst? — ausschließlich über eine Kette von solchen Entscheidungssituationen, bei denen ja oft (meistens?) auch noch andere Menschen mit deren Entscheidungen beteiligt waren. Wenn allen ihre eigenen Klärungsprozesse ‚unklar‘ sind, ist praktisch kein Sinn erkennbar. Wenn zumindest ein Beteiligter für sich einen ‚Sinn‘ in seinem Entscheiden und Verhalten erkennen kann, dann kann eine Erfahrung von Sinn und ein Reden über Sinn stattfinden. Natürlich ist dies nie ‚zwingend‘, da es letztlich eine ‚Interpretation‘ darstellt. Aber es gibt die Auffassung (sehr verbreitet in den Traditionen der Mystik (und bei Menschen mit viel Lebenserfahrung)), dass es im Bereich des ‚inneren Lebens‘ doch ‚Kriterien‘ gäbe, an denen man erkennen könnte, ob man auf ‚dem richtigen Weg‘ sei. Sollte dies zutreffen, dann wären hier möglicherweise die Ansatzpunkte für eine ‚Grammatik des Sinns‘ auf der Ebene des individuellen Lebens gegeben.
12) Über einen solchen ‚empirisch fundierten Sinn‘ gäbe es dann möglicherweise auch eine ‚Bindeglied‘ zu dem ansonsten schwer fassbaren Begriff ‚Gott‘. Was man sich unter ‚Gott‘ (jede Sprache hat ihre eigenen Bezeichnungen für das deutsche Wort ‚Gott‘: ‚deus‘, ‚elohim‘, ‚jhw‘, theos,…) vorstellen soll, ist nirgendwo definiert. Sofern es aber eine ‚Sinnerfahrung‘ auf der individuellen Ebene gibt, tangiert dieser Sinn irgendwie das Konzept Gott, da ‚Sinn‘ sich mit eben solch einer ‚wie auch immer gearteten Gott-Existenz‘ verknüpfen kann (nicht notwendigerweise muss).
13) Genauso, wie wir heute unser ‚Bewusstsein‘ besser verstehen können, weil wir das Gehirn besser verstehen, das diese Bewusstseinserfahrungen zumindest mit-verursacht, genauso kann man auch den individuellen Sinn besser verstehen, wenn man die umgebenden ‚Großprozesse‘ besser versteht, in denen wir als Lebewesen vorkommen. Die biologische Evolution hat sowohl unser Gehirn mit unserem Bewusstsein mit hervorgebracht genauso wie unsere gesamte Lebensform durch diesen Prozess entstanden ist. Wir sind keine isolierten verlorenen Punkte in der Raum-Zeit, sondern ‚Ergebnisse von komplexen Prozessen‘, Teile solcher Prozesse und zugleich ‚Hervorbringer‘ solcher Prozesse. Der individuelle Sinn lässt sich nicht von diesem Gesamtprozess ablösen. Genau sowenig wird man ‚Gott‘ (was immer damit ansonsten gemeint sein mag) verstehen können, wenn man diesen Prozess als solchen nicht versteht.
14) Dies alles vorausgesetzt entsteht ein gewisses ‚Paradox‘: einerseits ‚verschwindet‘ das Individuelle als Teil des Gesamtkontextes; andererseits realisiert sich der Gesamtprozess auch und wesentlich durch das ‚Innenleben‘ der beteiligten Akteure. Ein menschlicher Akteur kann sich im Grenzfall ‚verweigern‘ durch ‚Nichtstun‘, durch ‚Anderes Tun‘, durch ‚Freitod‘. Indem ein Mensch etwas ‚anderes‘ tut als von ihm ‚erwartet‘ wurde, kann er lokal den Prozess verändern. Beispiele dafür, dass dies zu nachhaltigen Veränderungen ganzer Gesellschaften geführt hat gibt es mehr, als man denkt. Nur einige wenige prominente Beispiele: Jesus von Nazareth, Mohammed, Galilei (und Co), Goedel und Turing, Gandhi, M.L. King, osteuropäische Revolutionen von 1989, Mandela, …. Weil diese Menschen in ihrem ‚Innenleben‘ Dinge gedacht und Gefühle zugelassen haben, die von dem allgemeinen Stil ‚abwichen‘ (= Kreativität! Politisch unkorrekt!…) , haben sie ihren Alltag verändert, und ihr Alltag hat wieder den Alltag anderer Menschen verändert, usw.
15) Wenn es einen ‚höheren/ größeren/ übergreifenden… Sinn‘ geben sollte, er kann sich nur über das Verhalten der Akteure realisieren, sofern sie ‚innere Freiheitsgrade‘ haben. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass alle Akteure aus ‚Materie‘ bestehen, die wiederum nur eine ‚Zustandsform von Energie‘ ist, und die Energie des Universums — soweit wir heute wissen — besitzt alle denkbaren Freiheitsgrade……ein konkretes Universum wie unseres stellt in diesem Kontext mindestens eine ‚Information‘ im Sinne der Shannonschen Informationstheorie dar (z.B. ‚hochunwahrscheinliche Kombination‘), möglicherweise aber auch eine ‚Bedeutung‘ im Sinne eines semiotischen Prozesses….
16) Zu welchen Gedanken die Lektüre eines Buches mit anschließendem Gespräch so führen kann …

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WEIHNACHTEN 2012 – MENSCHWERDUNG GOTTES – UND WIR

  1. Wir schreiben heute den 24.Dez.2012. Für die Christen ist dies das Datum, an dem sie das Weihnachtsfest feiern.
  2. Dieses Fest geht zurück auf Texte im Neuen Testament (einem Teil der christlichen Bibel), in denen von der Geburt von Jesus von Nazareth die Rede ist.
  3. Die Texte selbst sind keine historischen Zeitzeugnisse. Sie wurden mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des Jesus von Nazareths von Menschen aufgeschrieben, die nicht dabei waren, von Menschen die von dem grausamen Tod dieses Jesus wussten und die sich im Nachhinein Gedanken darüber gemacht haben, wer er denn war, ob er ein besonderer Mensch war, vielleicht sogar der lang erwartete Messias, oder gar der Sohn Gottes?
  4. Die Geburtstexte lassen denn auch keinen Zweifel darüber, wie die Autoren dieser Texte (die genaue Identität der Autoren konnte bis heute nicht vollständig aufgeklärt werden) den Menschen Jesus von Nazareth sahen: für sie war er der Sohn Gottes. Sie bringen dies u.a. dadurch zum Ausdruck, dass sie die Mutter so darstellen, dass sie von Gott selbst schwanger wurde, ohne Einwirkung eines Mannes (natürlich auch nicht im Sinne einer künstlichen Befruchtung, was heute möglich wäre).
  5. Sehr bemerkenswert finde ich auch die Aussagerichtung des Textes, dass Gott das Kind im Bauch der Mutter unter den aller ärmlichsten Verhältnissen zur Welt bringen lies, außerhalb der Städte, außerhalb der Machtzentren, in der Nähe von Tieren.
  6. Im späteren, Jahrhunderte langen, Ringen um die ‚richtige‘ ‚theologische‘ Interpretation der ‚wahren Natur‘ des Menschen Jesus von Nazareth setzte sich in der christlichen Kirche schließlich die zum ‚Dogma‘ erhobene Formulierung durch, dass Jesus ganz und gar Mensch war, in allem uns gleich (außer der Ursünde Adams), und doch zugleich auch Gottes Sohn, ohne dass auch nur ansatzweise geklärt wird, wie beides zusammen gehen soll. Wie soll man sich das vorstellen, dass jemand ganz und gar ‚Mensch‘ ist und zugleich ‚Sohn Gottes‘? (Siehe das Konzil von Chalcedon 451 nach christlicher Zeitrechnung).
  7. Nach dem Verständnis der christlichen Kirchen haben wir es durch die Person Jesus von Nazareth also mit einer ‚Menschwerdung Gottes‘ zu tun, ohne dass uns bis heute jemand erklären konnte, wie man sich dies vorstellen soll. Obwohl die christliche Kirchen (es ist nicht nur die katholische Kirche, die dieses Lehrmeinung vertritt) im Laufe der Jahrtausende über viele Dinge gesprochen haben, diesen Kernsachverhalt haben sie bis heute nicht aufgeklärt.
  8. Mit einem Abstand von nun fast 2000 Jahren lässt sich mancher Gedanke anders denken als er in der Vergangenheit gedacht wurde.
  9. Jeder, der die Geburtstexte liest (natürlich im Urtext, im ‚Bibel-Griechischen‘, samt all den textkritischen Erkenntnissen zu den unterschiedlichen Überlieferungen der Textfragmente) wird — wie es so viele Bibelwissenschaftler (‚Exegeten‚ genannt) schon getan haben — zu der Einschätzung kommen, dass es sich um einen stark ‚interpretierenden‘ Text handelt, in dem aus dem nachträglichen Glauben an die ‚Besonderheit Jesu‚ der Text so ausgestaltet worden ist, dass alle Textelemente auf diese eine Aussage hin ‚komponiert‘ worden sind (Bezüge auf das Alte Testament, die idealisierte Jungfräulichkeit, die Rolle des Jesu gegenüber dem Täufer Johannes, usw.). Mit der ‚wahren‘ Geburtsgeschichte muss dies nicht viel zu tun gehabt haben; eher spricht alles dafür, dass es so ziemlich gar nichts mit der tatsächlichen Geburt und Kindheit Jesu zu tun hat (neben grundsätzlichen Erwägungen sind dies auch die anderen Stellen im Neuen Testament, wo von den leiblichen Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist).
  10. Noch so viele wissenschaftlichen Analysen werden aber im Nachhinein natürlich keine 100%-Klarheit in den Sachverhalt bringen können. Diejenigen, die die ‚GöttlichkeitJesu durch Hinweis auf ‚besondere göttliche Umstände‘ ‚belegt‘ sehen wollen, werden solche Umstände immer und überall sehen (unsere reale Welt hat so viele ‚kognitiven Löcher‘, dass es jeder Fantasie ein Leichtes ist, diese Lücken mit Interpretationen zu füllen, die einen ‚Sinn‘ ergeben, auch wenn die Fakten dies nicht unbedingt hergeben).
  11. Ist die Lage daher für unser Erkennen ‚hoffnungslos‘? Natürlich nicht. Es gibt einen einfachen Grundsatz des menschlichen (logischen) Denkens, der besagt ‚Aus Nichts kann ich nichts beweisen‘, oder, ausgedehnt auf das metaphysische (philosophische) Denken: ‚Wahrheit kann ich nur erkennen, wenn es Wahrheit gibt‘! Im Falle der Beziehung zwischen Menschen (und damit dem ganzen biologischen Leben) und dem, was die christlichen Kirchen als ‚Gott‘ bezeichnen (und vermutlich alle anderen Menschen auf dieser Erde auch, wenn sie in Richtung des mit ‚Gott Gemeinten‘ denken) bedeutet dies, dass wir nur dann über diese Beziehung sinnvoll etwas sagen können, wenn es eine reale Beziehung zwischen dem mit Gott Gemeinten und dem biologischen Leben auf der Erde geben würde. Die besonderen Umstände (‚Wunder‘), mit denen die Autoren der verschiedenen Texte des Neuen Testaments an verschiedenen Stellen immer wieder versuchen, solche ‚Hinweise auf das Göttliche‘ im ‚irdischen Alltag‘ einzubauen, sind ja letztlich nichts anderes als genau jene ‚kognitiven Reflexe‘, durch die man versucht, den ‚Brückenschlag‘ zwischen ‚Irdischem‘ und ‚Göttlichem‘ herzustellen wohl wissend, dass ohne jeglichen aufweisbaren Bezüge solch ein Reden über Gott sich in er ‚Nacht der puren Willkür‘ nahezu völlig auflösen würde.
  12. Während die Menschen zur Zeit und kurz nach Jesus von Nazareth sich nur dadurch behelfen konnten, dass sie ‚wundersame Mittel‘ literarisch einsetzten, um diese Brückenschläge kognitiv anzudeuten, konnten wir in den letzten 2000 Jahren sehr viel darüber dazu lernen, wie die Natur ist, wie wir Menschen als Teil dieser Natur ‚gebaut‘ sind, wie diese ganze Welt sich als Teil des Universums in atemberaubender Weise entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt. Wir haben begonnen, zu verstehen, wie unsere Körper funktionieren, wie unser Denken in den Gehirnen abläuft, was biologisch determinierte ‚Bedürfnisse‘ und ‚Gefühle‘ sind, wie der ‚Geist‘, der sich im Verhalten von Menschen zeigt, eine tiefliegende Eigenschaft nicht nur von allem biologisch-Lebendigem zu sein scheint, sondern geradezu von allem ‚Materiellen‘, das in der ‚Energie‘ gründet. Wir beginnen zu verstehen, dass es zwischen allem ‚Materiellen‘ im Universum eine viel größere, tiefere und reichere Verbindung gibt, als alles Denken der vorausgehenden Jahrtausende uns enthüllen konnte. Wenn es etwas gibt, das wir das ‚Göttliche‘ nennen, dann ist es nicht nur unendlich ‚weit entrückt‘ (transzendent), sondern es ist zugleich immer und überall ‚unendlich nah‘ (immanent)(es gibt eine Reihe von Textstellen im Neuen Testament, die die Exegeten sehr nah an Jesus heranrücken, in denen der Mensch Jesus von dieser Immanenz des Göttlichen in JEDEM Menschen zu sprechen scheint). Und es ist genau diese ‚Umkehrung‘ der Wirkungsrichtung im Denken, die ‚Licht ins Dunkle‘ bringt: es ist nicht so, dass wir ’nachträglich‘ einen Weg zum mit ‚Gott Gemeinten‘ finden, sondern weil alles, was es im Universum gibt — wenn überhaupt — von genau diesem mit ‚Gott Gemeinten‘ ‚Kommt‘, und zwar real, konkret, nur deshalb gibt es eine ‚Verbindung‘ zum mit ‚Gott Gemeinten‘ von Anfang an, immer, beständig, und nur deshalb können wir sagen, dass das ‚Leben‘ in diesem Sinne ein ‚Abbild Gottes‘ sei, nur deshalb können wir das mit ‚Gott Gemeinte‘ in uns ’spüren‘ (‚Mystik‘, ‚Gotteserfahrung‘, …), und nur deshalb zeigt das ‚Leben‘ Eigenschaften, die es vom physikalischen Eigenschaftsfeld ‚abheben‘, es zum ‚Rätsel‘ für die Physik machen und nach Erklärungen verlangen, die weit über das hinausgehen, was wir bislang an Erklärungen zu bieten hatten.
  13. Das ‚Reden über‘ den Menschen Jesus von Nazareth mag also eine Reihe von ‚bizarren Gedanken enthalten, die im Nachhinein betrachtet ‚unangemessen‘ sind, möglicherweise sogar ‚falsch‘ und ‚irreführend‘, Jesus selbst — sofern man den textkritischen Analysen trauen darf — hatte mit Wundern und ‚Extravaganzen‘ eher weniger ‚am Hut‘, da er — so ist mein Eindruck — die Tiefe des allgemeinen menschlichen Daseins mit Blick auf seine Herkunft und mögliche Bestimmung als Mensch (!) in einer Weise erahnt und erfasst zu haben scheint, wie sie ALLEN Menschen — auch uns — immer und jederzeit möglich ist. Mit dem mit ‚Gott Gemeintem‘ ‚verbunden‘ zu sein erscheint sowohl vom heutigen Wissensstand her wie auch in den Augen eines Jesus von Nazareth daher kein ‚Privileg‘ von einigen wenigen zu sein, sondern gehört zur ‚Grundausstattung‘ von allem Materiellen, insbesondere natürlich von allem Lebendigen, und hier insbesondere von der ‚jüngsten Spezies‘ auf der Erde, dem homo sapiens sapiens, also zu uns. Wer also das mit ‚Gott Gemeinte‘ suchen will, muss keine Millionenspenden an obskure Organisationen entrichten, muss seine ‚Seele‘ nicht an selbsternannte ‚Gurus‘ vermieten oder verkaufen, muss keine speziellen Trainingskurse oder Fastenpraktiken absolvieren, er muss nur anfangen sich selbst, die anderen Menschen, diese Erde, dieses Universum zu sehen, ‚wie es ist‘, sich selbst und die anderen ‚ernst‘ nehmen.
  14. Die ‚Wahrheit‘ ist da und sie wahr ‚von Anbeginn‘ da. Unser Problem ist offensichtlich, zur Kenntnis zu nehmen, was ‚da‘ ist. Wir Menschen sind extrem erfindungsreich im ‚Fabulieren‚ von Besonderheiten, da es natürlich allemal einfacher ist, irgendetwas ‚Besonderes‘ zu erfinden und es nach Belieben hoch zu stilisieren, als das zur Kenntnis zu nehmen, was tatsächlich da ist. So gesehen könnte man sagen, dass die Naturwissenschaften heute ‚eher‘ ‚das Theologische‘ enthüllen als die ‚Theologie‘ (wobei viele sogenannte Religionen ja noch nicht einmal eine systematische Theologie (als ’systematische Untersuchung von dem mit Gott Gemeintem) besitzen.

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Womit hat der Bundestag dies verdient?

Zur Rede des Papstes im Deutschen Bundestag am 22.Sept.2011, abgedruckt in der FAZ Nr.222, 23.Sept.2011,S.8

 

(1) Der deutsche Bundestag ist ein demokratisch gewähltes Organ in einer rechtsstaatlichen Demokratie und kann darauf stolz sein. Der Weg zu diesem Zustand führte über viele, viele Jahrhunderte von Suchen, Debatten, Kriegen, Leiden, Ungerechtigkeiten, Leidenschaften, Widerstand, und vieles mehr.

 

(2) Der Papst hingegen verkörpert eine Institution, die von hierarchischen Strukturen geprägt ist, die nahezu keine Mitbestimmung kennt, die in den Jahrhunderten Andersdenkende oft — bisweilen im großen Stil — verfolgt, gefoltert und getötet hat. Die moderne Wissenschaft wurde bis ins letzte Jahrhundert auf vielfache Weise unterdrückt und bekämpft. Und selbst heute, selbst in dieser Rede, wird ein Bild von der modernen Wissenschaft gezeichnet, das man nur als Zerrbild bezeichnen kann. Und dieser Papst möchte über die Grundlagen des ‚freiheitlichen Rechtsstaates‘ sprechen? Er möchte zum Dialog einladen? Was soll man davon halten?

 

(3) Als Diskussionsgegenstand wählt er die Grundlagen des freiheitlichen Rechtsstaates, das Recht, an dem sich jeder Politiker orientieren sollte. In diesem Zusammenhang baut er u.a. einen zeitlichen Zusammenhang auf zwischen vorchristlicher (griechischer) Philosophie, christlicher Offenbarung, christliches Mittelalter, Aufklärung, Menschenrechte, und Demokratien. Er interpretiert diesen zeitlichen Zusammenhang mit den Worten: „Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte… entwickelt worden“. Wenn man berücksichtigt, dass sich Aufklärung, neuzeitliche Wissenschaft und die Menschenrechte in heftigster Auseinandersetzung gegen die katholische Kirche entwickelt mussten (und bis heute sind in der Kirche noch nicht alle Menschenrechte umgesetzt!), dann erscheint die Interpretation des Papstes als geradezu dreist. Das ist Geschichtsklitterung und Demagogie in einem.

 

(4) Besonders bizarr wirkt die Argumentation, wenn es darum geht, die theologische Position gegen die neuzeitliche Wissenschaft in Position zubringen. Zunächst verortet er die Wurzeln des Rechts in Vernunft und Natur (als Besonderheit der katholischen Kirche; eine in sich mehr als fragwürdige Behauptung). Dann verknüpft er die Begriffe ‚Vernunft‘ und ‚Natur‘ mit einer positivistischen Interpretation, mit einem rein funktionalistischen Wissenschaftsbegriff, der das Subjektive, den Geist, den Ethos, die Religion nicht zulassen würde. In der sich daraus ergebenden ‚Lücke‘ , die er als Kulturlosigkeit‘ bezeichnet, sieht er dann ein Einfallstor für die ‚Vorräte Gottes‘, für eine ’schöpferische Vernunft‘, für einen ‚creator spiritus‘. Das Problem mit dieser Interpretation ist jedoch, dass sie ein Bild von Wissenschaft und Gesellschaft zeichnet, das schlicht und einfach falsch ist. Wer die Entwicklung der modernen Wissenschaften in den letzten 100 Jahren aufmerksam verfolgt hat, weiß, dass Begriffspaare wie z.B. ‚Geist‘ und ‚Materie‘, ‚Vernunft‘ und ‚Natur‘ aus der Zeit einer vorwissenschaftlichen Philosophie heutzutage eine völlig neuartige Bedeutung bekommen haben, und immer noch weiter bekommen. Die schrittweise Rekonstruktion der Struktur von Materie und biologischem Leben haben dazu geführt, dass man das ‚Subjektive‘ und ‚Geistige‘ mehr und mehr als Eigenschaft des ‚Materiellen‘ zu verstehen beginnt, was umgekehrt bedeutet, die ‚tote Materie‘ der klassischen Philosophie erweist sich als Chimäre. Die Gegenübersetzung von ‚Geisteswissenschaften‘ und ‚Naturwissenschaften‘ fällt heute immer mehr zusammen. Fachbezeichnungen wie ‚Neuropsychologie‘ oder ‚Kognitive Neurowissenschaften‘ deuten dies an. Entsprechend kann man z.B. in der größten Ingenieurvereinigung der Welt — IEEE — eine Teilgesellschaften finden, die sich ‚Computational Intelligence‘ nennt; dort werden  klassische Philosophen, das Bewusstsein, Gefühle, Werte usw. ganz selbstverständlich im Kontext von Maschinen diskutiert werden. Wer allerdings sein Denken auf einige wenige klassische Begriffspaare ‚programmiert‘ hat, derjenige tut sich schwer, diese neuen Entwicklungen zu denken.

 

(5) Aber genau das ist der Gang der Geschichte: das Denken entwickelt sich — bislang zumindest — dynamisch weiter. Das Bild von der Welt wird ‚bunter‘, ‚reicher‘, ’spannender‘. Die Frage der Werte ist lebendiger denn je: gerade im Bereich der Evolutionsforschung und der lernenden Systeme hat man die zentrale Rolle von ‚Werten‘ entdeckt und man muss feststellen, dass wir im Verständnis der Wertentstehung ganz am Anfang stehen. Klassische Naturrechtsargumentationen wirken hier wie Relikte aus einer Vorwelt, denen eine wirkliche Rationalität fehlt.

 

(6) Vor diesem Hintergrund einer überaus lebendigen modernen Wissenschaft, die immer mehr in alle Bereich des Lebens — auch des Subjektiven, des bewussten wie auch des ‚unbewussten‘, sogar in die Bereiche der Kunst und der Kreativität — vordringt, kann sich die theologische Frage nach einem Schöpfer u.U. ganz neu stellen. Allerdings bestimmt nicht so, dass man das Bild der Wissenschaft künstlich verzerrt, um damit alte, lieb gewonnene Begriffe und Vorurteile, die keinen Verkehrswert mehr haben, neu zu installieren.

 

(7) Am meisten erschüttert hat mich die Aussage des Papstes im Kontext der Bestimmung der Würde des Menschen und der Menschheit, dass „das Mehrheitsprinzip nicht ausreicht, ist offensichtlich“. In diesem Moment hätten alle Abgeordneten sofort den Saal verlassen müssen. Natürlich garantiert das Mehrheitsprinzip keine Erkenntnis, aber es gehört mit zu den größten Errungenschaft neuzeitlichen Denkens, erkannt zu haben, dass zu keiner Zeit niemand über ein absolutes Wissen verfügt. Man kann immer nur versuchen, ein ‚relatives Optimum‘ zu erreichen. Und wenn alle ‚unfähig‘ sind, dann wird auch nicht viel herauskommen. Aber grundsätzlich besteht mit dem Mehrheitsprinzip die Möglichkeit, dem Willen der Mehrheit Ausdruck zu verleihen.

 

(8) Demgegenüber belegt der Wahrheitskatalog der katholischen Kirche eindrücklich, wie veraltete und falsche begriffliche Konstruktionen über Jahrhunderte konserviert werden können, die das Erkennen der Welt und die Achtung vor dem Menschen massiv behindert haben (und auch heute noch behindern). Man sollte sich immer wieder ins Bewusstsein rufen, dass die Sache ‚Gottes‘ und eine konkrete soziale Institution keinesfalls zwangsläufig miteinander zu tun haben müssen. Menschen — auch ‚Kirchenmenschen‘ — haben die Freiheit, die Sache Gottes zu verleugnen. Ein letztes Urteil darüber haben wir zum Glück nicht zu sprechen.

 

Wahrheit im Alltag

(1) Wahrheit: Wenn man davon ausgeht, dass sich in, zwischen und durch den Phänomenen unseres Welterlebens (im Bewusstsein) Strukturen (Ontologien) erkennen lassen, die charakteristisch dafür sind, wie die ‚in den Phänomenen sich andeutende Welt‘ ’sich verhält‘, dann ist hier der Raum möglicher Wahrheit(en). Wahrheit liegt dann in den erkennbaren Strukturen von Welt, wie diese Welt sich verhält und annähernd in Sprache artikulieren lässt. Eine solche ‚in der Welt fundierte‘ Wahrheit ist ‚vorgegeben‘, sie ‚geht unserem Denken voraus‘, das Denken findet statt ‚innerhalb‘ dieser Strukturen, ohne dass allerdings das Denken diese Strukturen ‚automatisch‘, ‚von selbst‘ vollständig erkennen kann. Das primäre Medium des Denkens — das Bewusstsein samt dem dahinter angenommenen Gehirn in seinem Körper — hat zwar eine biologisch determinierte Arbeitsweise, die uns — vor allem Wollen und klarem Bewusstsein — das ganze biologische Leben hindurch auf eine körper-gehirn-bewusstseinsspezische Weise mit Strukturen dieser Welt ‚füttert‘, doch wissen wir mittlerweile, dass diese ‚automatisch generierte (individuelle) Strukturen‘ grundsätzlich idealisierend sind, partiell, abhängig von vielen Voraussetzungen. Insofern kann man sagen, dass sich Welt für uns zwar grundsätzlich ‚ereignet‘, dass eine ‚wahre‘ Erkenntnis aber sehr vieler koordinierter Bemühungen bedarf, die über den einzelnen grundsätzlich hinausgehen. Ein einzelner Mensch alleine kann niemals ‚wahre Erkenntnis‘ im nennenswerten Umfang ‚vermehren‘, selbst wenn er eine direkte ‚Inspiration durch das Göttliche‘ empfangen würde (was sich alleine schon daraus ergibt, dass — wenn man überhaupt einen Schöpfer annimmt — die gesamte Welt Schöpfung ist, in der der einzelne einen sehr kleinen, winzigen (allerdings nicht den kleinsten, winzigsten) Moment ausmacht. ‚Wahre Erkenntnis‘ hat per se mit der Erkenntnis der Struktur der gesamten Welt zu tun und das individuelle ‚unvernetzte‘ Gehirn weiß davon ‚explizit‘ so gut wie gar nichts (implizit spiegelt das Gehirn im Körper mit seinem Bewusstsein allerdings eine Teilwahrheit wider, die sich durch seine langwierige Entstehungsgeschichte ‚angesammelt‘ hat).

 

(2) Medien: Da Bewusstseins-Gehirne nur durch kontinuierliche Vernetzung und entsprechendem Training ‚wahre Erkenntnisse‘ vermehren können spielen die Medien als Schnittstellen zu Erkenntnissen eine wichtige Rolle. Wie man aber weiß — und täglich immer wieder neu belehrt wird — sind die Menschen, die Medien organisieren und mit ‚Inhalten versorgen (‚füttern’…)‘ nicht nur vom Interesse an ‚Wahrheit‘ geleitet. Die Finanzierer von Medien wollen in der Regel nicht nur Geld mit ihnen verdienen, sie haben meist auch klare persönliche und/ oder politische Interessen, für die sie ihre Medienmaschine zu nutzen suchen. Dem entspricht komplementär, dass unterschiedliche Machtgruppen die Nähe zu diesen Medien suchen, um sie ihren Interessen möglichst ‚konform‘ zu gestalten (aus Sicht der interessengesteuerten Machern verständlich und bis zu einem gewissen Grade sicher auch legitim). Wenn allerdings die interessengesteuerten Medien die Mehrheit zu bilden beginnen, wenn die Machtinteressen immer ungenierter werden, dann führen diese Medien im Alltag zu einer fortschreitenden ‚Verdunkelung‘ und damit zur Vernichtung von Wahrheit. Medienereignisse erklären dann nicht, wie es ‚ist‘ bzw. ‚werden wird‘, sondern wie es bestimmte partikuläre Gruppen ‚haben wollen‘. Demokratische Gesellschaften, die u.a. von einer ‚funktionierenden Öffentlichkeit‘ leben, würden durch solche Prozesse fortschreitend ‚von innen her‘ — sprich: von ihrem kollektiven Erkennen her — ausgehöhlt, geschwächt, und auf Dauer zerstört. Zwar unterscheiden sich demokratische Gesellschaften von nicht-demokratischen (cliquen- gesteuerten Diktaturen) dadurch, dass in cliquen-gesteuerten Diktaturen die Öffentlichkeit grundsätzlich nur von cliquen-genehmen Medien mit Informationen ‚beliefert‘ wird, aber in Demokratien können wirtschaftlich starke — und mit diesen verbündete politische — Gruppierungen auf ganz ‚legale‘ Weise Medien ‚unter ihre Kontrolle‘ bringen und diese — wie in Diktaturen — zur Steuerung von gruppenspezifischen ‚Wahrheiten‘ benutzen, um nicht zu sagen zu ‚missbrauchen‘. Es gehört zur Verantwortung einer demokratischen Gesellschaft diese unterschiedlichen Strömungen durch geeignete Rahmenbedingungen so zu fördern, dass die ‚mediale Gehirnwäsche‘ nicht zum alles dominierenden Thema wird.

 

(3) Banken: Ein Hauptzweck von Banken ist es, Geld (Kredite) dort zur Verfügung zu stellen, wo es gebraucht wird. In jeder lebendigen Wirtschaft sind es die aktiven Unternehmen, die beständig Geld benötigen, um ihre wachsenden Aktivitäten zwischen zu finanzieren. Darüber hinaus ist es der Staat selbst, der sich immer wieder Geld leiht, auch Privatleute. Solange dies alles funktioniert, gibt es eine Wirtschaft und einen Staat, der einen Raum bietet für vielerlei Aktivitäten, auch für die Arbeit an der Wahrheit (wenngleich die Arbeit an der Wahrheit normalerweise einen verschwindend kleinen Bruchteil der alltäglichen Aktivitäten darstellt). Zur Zeit erleben wir, dass Banken von den staatlichen Geldagenturen Geld nahezu geschenkt bekommen und es für sie attraktiver ist, mit diesem nahezu geschenktem Geld auf eigene Rechnung zu spekulieren, als es zu ungünstigeren und riskanteren Konditionen an die Wirtschaft oder an Private auszuleihen. Zudem dürfen Banken Geld vom Staat ohne Rücklagen weiter verleihen, während Kredite an nichtstaatliche Empfänger einen bestimmten Prozentsatz an Rückversicherung verlangen. Wieder ein Grund, Unternehmen und Privaten eher kein Geld zu leihen oder zu extrem ungünstigen Bedingungen. Die Finanzierung bankrotter Staaten rentiert sich hier für Banken mehr als die Vergabe von Geld an gesunde Firmen! Banken gelten zudem vielfach als ’systemrelevant‘; aufgrund ihrer Größe herrscht die Meinung, dass man Banken nicht ‚untergehen‘ lassen darf. Bankmanager müssen daher das Gefühl haben, sie sind ‚unsterblich‘: was immer sie tun, selbst die größten Pleiten, all dies führt nicht zur Vernichtung ihres Unternehmens. Letztlich wird ‚der Staat‘ einspringen, und damit die restliche Bevölkerung (die ‚Dummen‘, die ’normalen Steuerzahler’…)(Privater Gewinn und Vergesellschaftung des Verlustes). Und noch eines: Bankmanager sind keine Eigentümer sondern Angestellte zu Vorzugskonditionen: wenn Sie Fehler machen, leidet vielleicht das Unternehmen, sie selbst aber sind immer saniert und können anderweitig eine neue Position finden. Wie die Geschichte zeigt führt ein ungezügeltes Finanzsystem zyklisch zu Finanzkrisen, die ganze Volkswirtschaften und dann auch die Weltwirtschaft ’nach unten‘ ziehen können. Es ist eine offene Frage — wer hat das jemals schon untersucht? — ob die Chancen für die Erkenntnis von mehr wahren Strukturen in Krisenzeiten real steigen?

 

(4) Forschung: Allgemein gilt Forschung als jene Tätigkeit, die der ‚Vermehrung der Wahrheit‘ am meisten dienlich sein soll. Im Idealfall gibt es Experten, die mindestens 20 — eher 25 – 30 — Jahre ‚Training‘ hinter sich haben, die primär an Wahrheit interessiert sind, die in Netzwerken von Forschern kommunizieren (‚Communities‘), und die sich den ‚aktuellen‘ Fragen der Wissenschaft stellen. Doch impliziert dieses Ideal eine Reihe von Voraussetzungen. (i) Es sollen nur solche Ergebnisse publiziert werden, die durch mindestens 3 -5 unabhängige Gutachter als ‚dem Stand der Forschung angemessen‘ qualifiziert worden sind. Bei der heutigen Explosion der Fachzeitschriften bei gleichzeitiger fortschreitender Spezialisierung in Form einer mehr und mehr unüberschaubaren Zersplitterung wird es immer schwerer, eine vorliegende Arbeit adäquat zu begutachten, selbst bei bestem Willen der Gutachter (der nicht immer ohne weiteres unterstellt werden muss). (ii) Da der Bezug von Fachzeitschriften viel Geld kostet, die Bibliotheken aber nicht kontinuierlich mehr Geld bekommen, sondern eher weniger, nimmt der Anteil der Fachzeitschriften, der öffentlich zugänglich ist, kontinuierlich ab. Der Zugang zu ‚wissenschaftlichem Wissen‘ als der ‚Lebensader‘ von Wissenschaft, ist damit ernsthaft gefährdet. Vor diesem Hintergrund muss man die open-access Bewegung sehen, in der der Autor einmalig zahlt und die Leser einen freien Zugang haben. Aktuell erscheint dies als einzige erkennbare Lösung einer ernsthaften Krise. (iii) Forschung benötigt normalerweise Geld für Ressourcen (Mitarbeiter, Geräte, Materialien,…). Dieses Geld kommt von staatlichen Förderprogrammen oder von Unternehmen, die für die Bearbeitung eines Problems Geld zahlen. (iii.1) Die versuchten Einflußnahmen auf die Vergabe staatlicher Gelder ist verständlicherweise intensiv und andauernd. Aufgrund der Intransparenz des Gutachterwesens kann man hier vielerlei Einflussnahmen ‚hinter den Kulissen‘ vermuten. Insiderinformationen bestätigen jedenfalls immer wieder, dass die politischen Interessen von speziellen Gruppen die Maschinerie der Gutachter nach Bedarf — oft schon weit im Vorfeld bei der Ausschreibung — so steuern kann, dass immer das gewünschte Ergebnis heraus kommt (Den Feldtest, 50% der Forschungsgelder streng nach dem Zufallsprinzip an ‚alle‘ sich bewerbenden Forschergruppen ohne ‚verdeckte‘ Gutachter zu verteilen und dann die Effizienz zu überprüfen, hat noch keiner gewagt, stattdessen praktizieren selbst demokratische Gesellschaft im Bereich Forschung eine Art ‚Planwirtschaft‘, deren Effizienz nicht erwiesen ist). (iii.2) Geld von Unternehmen ist überwiegend an kurzfristigen Ergebnissen interessiert, um aktuelle Produkte und Technologien zu optimieren, solche, von denen man einen baldigen Markterfolg erwartet. Dies ist einerseits verständlich, hat aber zur Folge, dass die ‚wahren Produkte von Morgen‘ damit gerade nicht entwickelt werden. Die wirklich interessanten Technologien und daran anknüpfenden Produkte haben Vorlaufzeiten von mindestens 10-15 Jahren, eher mehr. Ein Manager, der alle 3 Monate Erfolge melden muss, kann sich auf solche Perspektiven nicht einlassen. Dies hat zur Folge, dass viele Firmen aufgrund dieser künstlich erzeugten Kurzatmigkeit sich selbst ‚austrocknen‘ und damit eine führende Position innerhalb von wenigen Jahren verlieren können (dann sind die entscheidenden Manager aber möglicherweise nicht mehr da oder werden mittels hoher Abfindung entlassen.). (iii.3) Eine Hochschulforschung, die mit kurzfristig orientierten Firmen zusammenarbeiten will (die viel gepriesene ‚Drittmittelforschung‘), kann dies nur dann, wenn sie sich mehr oder weniger vollständig in einen firmenspezifischen Entwicklungsprozeß einbindet, und damit in das kurzatmige Programm einer Optimierung von Bekanntem. Damit verrät sie gerade das, wodurch sie für die Gesellschaft eigentlich so wertvoll ist: den qualifizierten unabhängigen Blick in die Zukunft. Gerade in diesem ‚Vorausgehen in die Zukunft‘ wäre die Hochschulforschung wichtig für die Firmen eines Landes, aber genau das wird nicht gefördert, sondern eher die Zerstörung dieser Unabhängigkeit. (iii.4) Am Beispiel der Pharmaforschung wird noch ein anderes Problem deutlich: natürlich macht eine Pharmaforschung nur Sinn, wenn irgendwann auch tatsächlich ein reales Leiden gelindert werden kann. Vor die Wahl gestellt, ob man Medikamente entwickelt, die ‚lindern‘ statt ‚heilen‘ wird jedes Pharmaunternehmen, das nicht durch eine Konkurrenz unter Druck gesetzt wird, normalerweise das Modell ‚Lindern‘ wählen und nicht ‚Heilen‘. Mit ‚Lindern‘ kann man kontinuierlich Geld verdienen, mit ‚Heilen‘ möglicherweise nur kurzfristig. Aus Sicht der Menschen und der Gesellschaft, die ein Gesundheitssystem finanzieren muss, wäre ‚Heilung‘ besser, aber der Staat baut in diesem Bereich nahezu keine eigenen unabhängige Forschungs-Ressourcen auf um dem gegen zu steuern. Es entsteht der Eindruck, dass die Politik lieber die Menschen leiden läßt und große Summen in die Versorgung mit sekundären Arzneimitteln steckt anstatt vorbeugend und grundlegend die primären Ursachen zu bekämpfen. (iv) Was ist also mit der ‚Wahrheit‘ durch Forschung? Die Vielzahl der Faktoren, die ein ’normales‘ Forschern schwer machen — ich habe nicht alles aufgezählt — ist schon beachtlich. Gerade dort, wo die ‚Freiheit der Forschung‘ am wichtigsten wäre, wird sie — so der vorherrschende Eindruck — mehr und mehr durch Planwirtschaft ersetzt. Jetzt mag man sich fragen, warum nicht mehr Forscher in der Öffentlichkeit protestieren. Dies mag damit zu tun haben, dass ein ‚wahrer‘ Forscher jemand ist, der nur Forscher sein kann, weil er sich über viele, viele Jahre vom ‚Alltagsgeschehen‘ bis zu einem gewissen Grade abkoppelt, um sich in komplexen Dickicht von Theorien, Methoden und Experimenten zurecht zu finden. Die Forscher, die im Laufe der Jahre aufgrund des Geldvergabesystems zu ‚Forschungsmanagern‘ mutieren sind ab dem Moment keine Forscher mehr, wo sie sich hauptsächlich um ‚Geldbeschaffung‘ kümmern müssen, um Kontakte pflegen, um Gremiensitzungen, usw. Sie werden mehr und mehr zu ‚Interessenvertretern‘, die sich den Geldvergabemechanismen anpassen müssen, um Erfolg zu haben. Die Wahrheit wird damit tendenziell zur ‚Handelsware‘ (Man denke z.B. nur an die anhaltenden Diskussionen um die Klimaforschung: ist das noch Wissenschaft oder ein ‚Politzirkus‘, der um der vielen Gelder willen seine Schaustücke aufführt?) (v) Da wir alle von der Wahrheitsproduktion von Forschung abhängen, sollte es uns nicht egal sein, unter welchen Randbedingungen Forschung heute betrieben wird. Eine rundum ‚einfache‘ Lösung wird es möglicherweise nie geben. Aber weniger ‚Planwirtschaft‘ mit dem Risiko von Fehlern würde mehr dem ‚Geist‘ jenes evolutionären Prozesses entsprechen, der uns allererst hervorgebracht, ohne Chefplaner, ohne ministeriellen Vorgaben, allerdings mit einem hohen Überlebensdruck. Im evolutionären Prozeß spielen ein paar zehntausend oder gar hunderttausend Jahre keine Rolle …. geschweige denn die 3 Monate eines erfolgsgetriebenen Managers…..

Religion, Erfahrung, Deutung

Religion, Erfahrung, Deutung

(1) Ich werde oft gefragt, wie ich den Beitrag der Religionen zum Erkenntnisprozess sehe, da ich immerhin gut 22 Jahre lang als engagiertes Mitglied einer religiösen katholischen Lebensgemeinschaft gelebt habe. Diese Frage kann vermutlich kein einziger Mensch in vollem Umfang beantworten, da alle großen bekannten Religionen (z.B. Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam) primär von einem bestimmten Erfahrungs- und Deutungshintergrund her zu verstehen sind und kein Mensch kann in seinem einzelnen Leben den ganzen Umfang und die Tiefe einer einzigen religiösen Tradition vollständig erfassen, geschweige denn mehr als eine oder gar alle.

(2) Wenn es also heute schon unmöglich ist, dass ein einzelner Mensch über eine dieser großen Religionen (und es gibt ja noch viele andere Erscheinungsformen) erschöpfend und autoritativ reden kann, dann folgt daraus umso mehr, dass das Reden über die ‚anderen‘ religiösen Traditionen vom Ansatz her ‚respektvoll‘ sein sollte. Denn die Gefahr, dass man der anderen religiösen Tradition aus schlichter Unwissenheit Unrecht tut, ist sehr groß, nahezu unvermeidlich.

(3) Diese ‚prinzipielle Fremdheit‘  gilt auch für allerlei wissenschaftliche Annäherungen, selbst  für sogenannte (vergleichende) Religionswissenschaftler, da ein Wissenschaftler  per se als ‚Wissenschaftler‘ normalerweise nicht selbst religiöse ‚Anhänger‘ sein darf und schon von daher nur einen sehr distanzierten, gefilterten Zugang zum Phänomen hat. Genau das, was für eine ‚volle gelebte‘ Zugehörigkeit zu einer Religion im Verständnis vieler Anhänger ’substantiell‘ ist, nämlich die direkte persönliche existentielle (und daher primär subjektive) erfahrungsbezogene Verbundenheit zu einem ‚Glauben‘ ist das, was sich einer objektivierenden Wissenschaft grundsätzlich entzieht. Dies gehört zur Definition neuzeitlicher Wissenschaft. Und das ‚Schließen‘ von ‚empirisch beobachtbaren Tatbeständen‘ (z.B. beobachtbarem Verhalten) auf ‚innere‘ Strukturen und Motive‘ des Verhaltens ist sehr problematisch. Dies zeigen viele prominente Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte (z.B. das Problem des psychologischen Behaviorismus bei dem Versuch, das Phänomen der menschlichen Sprache zufriedenstellend erklären zu können oder das Problem der Neurobiologie die subjektiven Erlebniszustände methodisch befriedigend mit sowohl beobachtbarem Verhalten wie auch subjektiv erlebbaren Zuständen zu korrelieren).

(4) Gilt diese ‚prinzipielle (methodische) Fremdheit‘ vor allem für das ‚Außenverhältnis‘ eines Menschen, der von ‚außen‘ eine bestimmte religiöse Tradition und zugehöriger ‚Anhänger‘ betrachten will, so gilt dies sogar –in unterschiedlichem Grad– für die Anhänger einer bestimmten religiösen Tradition selbst. Denn, wenn jemand z.B. im Jahr 2010 sagt, er sei ein ‚Christ‘, dann konnotiert damit eine Geschichte von ca. 2000 Jahren mit einer einschlägigen Vorgeschichte von weiteren ca. 1000 oder 1500 Jahren und all den damit  verflochtenen kulturellen Tatbeständen. Allein die dokumentierten Zeugnisse aus diesem Zeitraum, die Teil dieser Tradition sind, umfasst unzählige schriftliche Dokumente und nichtschriftliche Artefakte, ganz zu schweigen von der gelebten Erfahrung, die nie oder nur partiell einen dokumentierten Niederschlag gefunden hat und nur in der gelebten Weitergabe existiert mit allen denkbaren Verformungen und auch Überlieferungsabbrüchen, die hier unvermeidlich sind.

(5) Würde eine ‚geschichtlich wirksame‘ Religion sich nicht von reproduzierbaren Erfahrungen her immer wieder neu ‚justieren‘, ‚ausrichten‘, ‚orientieren‘ können, sie wäre zwangsläufig nach ein paar Generationen entweder ausgelöscht oder zu formalen Ritualen erstarrt, denen jegliche ‚Personalität‘, jegliche ‚Geistigkeit‘  fehlt. Kann man diese reproduzierenden religionsermöglichenden Tatbestände aufweisen, dann kann jede Generation von neuem daran Orientierung und Ausrichtung suchen, die ins konkrete praktische Leben eingreifen können.

(6) Nach meinem Verständnis haben Religionen wie Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam hier eine strukturelle Gemeinsamkeit: (i) sie berufen sich alle auf bestimmte, historisch qualifizierte Texte, die (ii) auf je spezifische Weise Erfahrungen von Menschen zur Sprache bringen sollen. Ferner gehört zu diesen Erfahrungen bestimmter Menschen (die sogenannten ‚Gründer‘), dass sich schon zu Lebzeiten des Gründers ‚Gefährten‘, ‚Schüler‘, ‚Anhänger‘ gefunden haben, die das erfahrungsbasierte Weltverständnis des Gründers ‚auf ihre Weise‘ ‚übernommen‘ und ‚weitergelebt‘ haben. Aufbauend auf diesen ersten Anhängern hat sich dann (iii) in der Regel eine ‚gelebte Tradition‘ herausgebildet, die für sich in Anspruch nimmt, den ‚Geist des Gründers‘ so gut ‚verstanden zu haben‘, dass sie in der Lage und berechtigt waren (sind), den sprachlichen Niederschlag dieser Erfahrungen eigenständig und autoritativ zu ‚bewerten‘. Mit zunehmendem historischen Abstand wurde dann aber (iv) unterschieden zwischen bestimmten ‚heiligen (kanonischen)‘ Schriften, die als solche nicht mehr weiter verändert werden dürfen und solchen, die ’sekundär‘ sind (was nicht heißt, dass sie in der religiösen Tradition eine fundamentale Rolle spielen können).

(7) Der entscheidende Punkt ist, dass die religiösen Traditionen ‚erfahrungsbasiert‘ sind und alle Texte letztlich zu dem Punkt führen, dass bestimmte Menschen angeführt werden, die zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bestimmte Dinge ‚erlebt‘ und ‚im Lichte dieses Erlebens‘  ‚erkannt‘ haben. Ein klassisches Beispiel aus dem Bereich des Christentums ist die Person des Saulus/Paulus. Zunächst ein überzeugter jüdischer Gelehrter verfolgte er die neu sich formierenden ‚christlichen‘ Anhänger. Durch ein ‚persönliches Erlebnis‘ lange nach dem Tod Jesu kommt er zu einer persönlichen ‚Neuinterpretation‘ seiner bisherigen Anschauungen und im Laufe von mehr als sieben Jahren ändert er seine Ansichten, ändert sein konkretes Leben und tritt plötzlich als ‚Anhänger des christlichen Glaubens‘ auf. Zwar weisen viele seiner christlichen Interpretationen mehr oder weniger auch Elemente seiner jüdischen Tradition auf, aber in der Haupttendenz sieht er die ‚Welt‘ und die ‚Geschichte‘ nun in einem ’neuen Licht‘. Viele andere tausende dokumentierte Beispiele laufen scheinbar nach dem gleichen Muster. Die dem Paulus zugeschriebenen Texte fanden Eingang in den christlichen Kanon der ‚heiligen Schriften‘ obgleich er selber weder Jesus persönlich gekannt hatte noch bzgl. seines persönlichen ‚Bekehrungserlebnisses‘ von jemandem ‚belehrt‘ worden ist. Interessant ist, dass die sich ausbildende  ‚Amtsstruktur‘ in der katholischen Kirche solche ‚erfahrungsbasierten‘ Autorisierungen sehr bald ausgeschlossen hat. Die Offenbarung wurde mit dem Tod Jesu als ‚abgeschlossen‘ erklärt obgleich das Beispiel Saulus/Paulus (und nicht nur  er) dokumentiert, dass dies nicht der Fall ist.

(8) Nach meinem Kennntisstand spricht vieles dafür, dass die ‚Erfahrungsdimension‘, die im Christentum (aber anscheinend auch in den anderen religiösen Traditionen) in all den ‚Überlieferungen‘ ‚durchschimmert‘ zu jeder Zeit für jeden  Menschen grundsätzlich ‚zugänglich‘ bleibt. Diese Erfahrungsdimension scheint ein Teil unserer menschlichen Existenzform zu sein. Allem Anschein nach ist sie nicht an die historisch gewachsenen Überlieferungsstrukturen und den konkreten Gegebenheiten religiöser Gemeinschaften gebunden. Konkrete religiöse Gemeinschaften können dem einzelnen zwar u.U. helfen, sich bestimmten Erfahrungsdimensionen des menschlichen Lebens zuzuwenden bzw. zu ‚lernen‘, wie eine solche Zuwendung und eine erfahrungsbasierte Lebensführung aussehen könnte/ sollte, aber keine religiöse Tradition kann von sich aus garantieren oder erzwingen, dass ein einzelner bestimmte Erfahrungen tatsächlich macht. Umgekehrt gilt, dass bestimmte religiöse Traditionen oder Gemeinschaften für einzelne auch reale Hindernisse sein können, genau die wichtigen religiösen Erfahrungen zu machen. Es scheint so zu sein, dass das, was in religiösen Erfahrungen ‚aufscheint‘ etwas ist, das keinem einzelnen Menschen oder einer Gruppe von Menschen gehört; keine religiöse Gemeinschaft hat letztlich die ‚Kontrolle‘ über das, was sie zu ‚verwalten‘ sucht. Das wäre ein Widerspruch in sich. In dem Moment, wo eine menschliche Gruppierung für sich in Anspruch nehmen würde, ‚das in der religiösen Erfahrung Aufscheinende‘ (oft das ‚Göttliche‘ genannt bzw. ‚Stimme Gottes‘ bzw. ‚Gott‘) vollständig zu kontrollieren, müsste man sich fragen, was das für ein ‚Göttliches‘ ist, das da von Menschen vollständig kontrolliert wird.

(9) Es gibt in der historischen Rückblende immer wieder die Tendenz zu beobachten, dass religiöse Gemeinschaften –oder bestimmte Führungspersonen in diesen– sich einen ‚exklusiven Zugang‘ zu dem ‚in der religiösen Erfahrung Aufscheinendem‘ –wie auch immer gearteten– ‚Göttlichem‘ zu ’sichern‘, doch dürfte dies generell eher ein Anzeichen dafür sein, dass damit die Beziehung zum Erfahrungsinhalt gerade ins Gegenteil verkehrt wird. ‚Das in der religiösen Erfahrung sich Zeigende‘ gehört prinzipiell niemandem und kann von daher auch grundsätzlich nicht von einem Menschen ‚kontrolliert‘ werden (was nicht ausschliesst, dass ‚Führungspersönlichkeiten‘ innerhalb bestimmter Gemeinschaften eine gewisse praktische Bedeutung besitzen können). Machtstrukturen stehen aber prinzipiell im Gegensatz zu der Struktur ‚religiöser Nachfolge‘, wie sie sich aus der gelebten religiösen Erfahrung her begründet. So, wie die religiöse Erfahrung offensichtlich dazu da ist, prinzipiell allen Menschen eine zusätzliche Orientierung zu ermöglichen, die mit einer individuellen Öffnung für ‚das Ganze‘ einhergeht, so scheint eine erfahrungsbasierte religiöse Lebensorientierung darauf ausgerichtet zu sein, Leben  durch den eigenen persönlichen Beitrag zu ermöglichen, aber nicht Leben zu kontrollieren mit gleichzeitiger  persönlicher ‚Herausnahme‘.

(10) Eine erfahrungsbasierte Lebensführung ist aufgrund der Struktur menschlicher Bewusstheit/ Geistigkeit grundsätzlich eingebettet in unterschiedliche Wissensstrukturen. Insofern kann es niemals ‚reine Inhalte‘ geben. Selbst eine direkte Erfahrung des wie auch immer gearteten Göttlichen ist –obgleich in ihrer Besonderheit sicher unmittelbar identifizierbar– dennoch immer ‚vermittelt‘ durch das bis dahin verfügbare Wissen. Es ist daher nicht verwunderlich , dass das Beispiel vieler bekanntgewordener ‚Erfahrener‘ zeigt, dass es viele Jahre, um nicht zu sagen Jahrzehnte braucht, um die erlebten Zustände mit den verfügbaren Wissenstatsbeständen in ein ‚konstruktives‘ Verhältnis zu bringen. Dass dabei sichtbar wird, dass keine menschliche Person vollständig von den historischen Kontexten abstrahieren kann, überrascht nicht wirklich, ist auch kein Argument ‚gegen‘ die kommunizierte Erfahrung. Sie zeigt nur, dass ‚das, was das Innere der Welt zusammenhält‘ sich nicht durch einen einzelnen Menschen allein, auch nicht durch eine ganze Generation alleine, sondern vermutlich nur durch den gesamten Prozess der Lebenwerdung auf der Erde/ im Universum  umrisshaft, mehr und mehr ‚enthüllt‘, ohne dass wir sicher sein können, dass es irgendwann einmal unter den Umständen der biologischen Lebensformen vollständig transparent sein kann. Trotz dieser wesentlichen Einschränkung kann das, was bislang sichtbar geworden ist, einen wesentlichen Beitrag zur Orientierung über das leisten, was ‚Leben‘ in dieser ‚Welt‘ bedeuten kann. ‚Selbsternannte‘ Götter in Menschengestalt sind das sicherste Zeichen, dass sie es nicht sind. Das ‚Göttliche‘ ist prinzipiell mehr als alle Menschen zusammengenommen und ein ‚Prophet‘ ist ein ‚Werkzeug unter vielen‘, das uns anregen kann. Niemandem bleibt es erspart, hier seinen eigenen Weg zu gehen, um durch sein konkretes Leben seinen persönlichen Beitrag zu leisten. Die selbsternannten Führer können keine Entschuldigung dafür sein, seine eigene Verantwortung nicht selbst in die Hand genommen zu haben.