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IST DIE SELBSTVERSKLAVUNG DER MENSCHEN UNTER DIE MASCHINEN EVOLUTIONÄR UNAUSWEICHLICH?

  1. In diesem Blog gab es in der Vergangenheit schon mehrere Einträge (z.B. den ersten großen Beitrag Kann es doch einen künstlichen Geist geben?), die sich mit der Frage beschäftigt haben, inwieweit Maschinen die Lernfähigkeit und die Intelligenz von Menschen erreichen oder sogar übertreffen können.
  2. In vielen wichtigen Punkten muss man diese Frage offensichtlich bejahen, obgleich es bis heute keine Maschine gibt, die das technische Potential voll ausnutzt.
  3. Umso bemerkenswerter ist es, welche Wirkungen Maschinen (Computer) auf die Gesellschaft erzielen können, obgleich sie noch weitab von ihrem Optimum agieren.
  4. In einem Blogeintrag anlässlich eines Vortrags Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab? hatte ich noch eine grundsätzlich positive Grundstimmung bzgl. dessen, was auf uns zukommt. Ich schrieb damals:
  5. Das Ganze endet in einem glühenden Plädoyer für die Zukunft des Lebens in Symbiose mit einer angemessenen Technik. Wir sind nicht das ‚Endprodukt‘ der Evolution, sondern nur eine Durchgangsstation hin zu etwas ganz anderem!
  6. Mittlerweile beschleicht mich der Verdacht, dass wir aktuellen Menschen die nächste Phase der Evolution möglicherweise unterschätzen.
  7. Auslöser war der persönliche Bericht eines Managers in einem weltweiten IT-Konzern, der – von Natur aus ein Naturwissenschaftler, ‚knochentrocken‘, immer sachlich, effizient – zum ersten Mal nach vielen Jahren Ansätze von Emotionen zeigte, was die Entwicklung seiner Firma angeht. Die Firma (und nicht nur diese Firma, s.u.) entwickelt seit vielen Jahren ein intelligentes Programm, das eine Unzahl von Datenbanken auswerten kann, und zwar so, dass die Anfrage von Menschen ‚interpretiert‘, die Datenbanken daraufhin gezielt abgefragt und dem anfragenden Menschen dann mitgeteilt werden. Das Ganze hat die Form eines passablen Dialogs. Das Verhalten dieses intelligenten Programms ist mittlerweile so gut, dass anfragende Menschen nicht mehr merken, dass sie ’nur‘ mit einer Maschine reden, und dass die Qualität dieser Maschine mittlerweile so gut ist, dass selbst Experten in vielen (den meisten?) Fällen schlechter sind als diese Maschine (z.B. medizinische Diagnose!). Dies führt schon jetzt dazu, dass diese Beratungsleistung nicht nur nach außen als Dienstleistung genutzt wird, sondern mehr und mehr auch in der Firma selbst. D.h. die Firma beginnt, sich von ihrem eigenen Produkt – einem in bestimmtem Umfang ‚intelligenten‘ Programm – ‚beraten‘ (und damit ‚führen‘?) zu lassen.
  8. Wenn man sich in der ‚Szene‘ umhört (man lese nur den erstaunlichen Wikipedia-EN-Eintrag zu deep learning), dann wird man feststellen, dass alle großen global operierenden IT-Firmen (Google, Microsoft, Apple, Facebook, Baidu und andere), mit Hochdruck daran arbeiten, ihre riesigen Datenbestände mit Hilfe von intelligenten Maschinen (im Prinzip intelligenten Algorithmen auf entsprechender Hardware) dahingehend nutzbar zu machen, dass man aus den Nutzerdaten nicht nur möglichst viel vom Verhalten und den Bedürfnissen der Nutzer zu erfahren, sondern dass die Programme auch immer ‚dialogfähiger‘ werden, dass also Nutzer ’natürlich (= menschlich)‘ erscheinende Dialoge mit diesen Maschinen führen können und die Nutzer (= Menschen) dann zufrieden genau die Informationen erhalten, von denen sie ‚glauben‘, dass es die ‚richtigen‘ sind.
  9. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob die Manager dieser Firmen dank ihrer überlegenen Fähigkeiten die Firmen technologisch aufrüsten und damit zum wirtschaftlichen Erfolg führen.
  10. Tatsache ist aber, dass allein aufgrund der Möglichkeit, dass man ein bestimmtes Informationsverhalten von Menschen (den aktuellen ‚Kunden‘!) mit einer neuen Technologie ‚bedienen‘ könnte, und dass derjenige, der dies zu ‚erschwinglichen Preisen‘ als erster schafft, einen wirtschaftlichen Erfolg erzielen kann (zu Lasten der Konkurrenz), diese rein gedachte Möglichkeit einen Manager zwingt (!!!), von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Tut der Manager es nicht läuft er Gefahr, dass die Konkurrenz es tut, und zwar vor ihm, und dass er dadurch möglicherweise auf dem Markt so geschwächt wird, dass die Firma sich davon u.U. nicht mehr erholt. Insofern ist der Manager (und die ganze Firma) ein Getriebener (!!!). Er kann gar nicht anders!
  11. Das, was den Manager ‚treibt‘, das ist die aktuelle technische Möglichkeit, die sich aufgrund der bisherigen technischen Entwicklung ergeben hat. Für die bisherige technische Entwicklung gilt aber für jeden Zeitpunkt die gleiche Logik: als die Dampfmaschine möglich wurde, hatte nur noch Erfolg, wer sie als erster und konsequent eingesetzt hat; als die Elektrizität verfügbar, nicht anders, dann Radio, Fernsehen, Auto, Computer, ….
  12. Die ‚Manager‘ und ‚Unternehmensgründer‘, die wir zurecht bewundern für ihre Fähigkeiten und ihren Mut (nicht immer natürlich), sind trotz all dieser hervorstechenden Eigenschaften und Leistungen dennoch nicht autonom, nicht freiwillig; sie sind und bleiben Getriebene einer umfassenderen Logik, die sich aus der Evolution als Ganzer ergibt: die Evolution basiert auf dem bis heute nicht erklärbaren Prinzip der Entropie-Umkehr, bei dem freie Energie dazu genutzt wird, den kombinatorischen Raum möglicher neuer Zustände möglichst umfassend abzusuchen, und in Form neuer komplexer Strukturen in die Lage zu versetzen, noch mehr, noch schneller, noch effizienter zu suchen und die Strukturen und Dynamiken der vorfindlichen Welt (Universum) darin zu verstehen.
  13. Während wir im Falle von Molekülen und biologischen Zellen dazu tendieren, diese eigentlich ungeheuren Vorgänge eher herunter zu spielen, da sie quasi unter unserer Wahrnehmungsschwelle liegen, wird uns heute vielleicht dann doch erstmalig, ansatzweise, etwas mulmig bei der Beobachtung, dass wir Menschen, die wir uns bislang für so toll halten, dazu ganze riesige globale Firmen, die für Außenstehende beeindruckend wirken und für Firmenmitglieder wie überdimensionale Gefängnisse (? oder Irrenanstalten?), dass wir ‚tollen‘ Menschen also ansatzweise spüren, dass die wahnwitzige Entwicklung zu immer größeren Metropolen und zu immer intelligenteren Maschinen, die uns zunehmen die Welt erklären (weil wir es nicht mehr schaffen!?), uns dies alles tun lassen, weil der einzelne sich machtlos fühlt und die verschiedenen Chefs auf den verschiedenen Hierarchieebenen total Getriebene sind, die ihre Position nur halten können, wenn sie hinreichend effizient sind. Die Effizienz (zumindest in der freien Wirtschaft) wird jeweils neu definiert durch das gerade Machbare.
  14. Politische Systeme haben zwar immer versucht – und versuchen es auch heute – sich ein wenig vor dem Monster der Innovation abzuschotten, aber dies gelingt, wenn überhaupt, in der Konkurrenz der Gesellschaftssysteme nur für begrenzte Zeiten.
  15. Was wir also beobachten ist, dass die immense Informationsflut, die das einzelne Gehirn hoffnungslos überfordert, Lösungen mit intelligente Maschinen auf den Plan ruft, die das Sammeln, Sortieren, Klassifizieren, Aufbereiten usw. übernehmen und uns Menschen dann auf neue Weise servieren. So betrachtet ist es hilfreich für alle, nützlich, praktisch, Lebensfördernd.
  16. Beunruhigend ist einmal die Art und Weise, das Wie: statt dass es wirklich allen hilft, hat man den Eindruck, dass es die globalen Konzerne sind, die einseitig davon Vorteile haben, dass das bisherige Ideal der Privatheit, Freiheit, Selbstbestimmung, Würde usw. aufgelöst wird zugunsten einer völlig gläsernen Gesellschaft, die aber nur für einige wenige gläsern ist. Demokratische Gesellschaften empfinden dies u.U, stärker als nicht-demokratische Gesellschaften.
  17. Beunruhigend ist es auch, weil wir als Menschen erstmalig merken, dass hier ein Prozess in Gang ist, der eine neue Qualität im Verhältnis Mensch – Technik darstellt. In primitiveren Gesellschaften (und auch noch in heutigen Diktaturen) war es üblich , dass wenige Menschen die große Masse aller anderen Menschen quasi ‚versklavt‘ haben. Unter absolutistischen Herrschern hatten alle einem Menschen zu gehorchen, ob der nun Unsinn redete oder Heil verkündete. Nach den verschiedenen demokratischen Revolutionen wurde dieser Schwachsinn entzaubert und man wollte selbst bestimmen, wie das Leben zu gestalten ist.
  18. In der fortschreitenden Komplexität des Alltags merken wir aber, dass das sich selbst Bestimmen immer mehr vom Zugang zu Informationen abhängig ist und von der kommunikativen Abstimmung mit anderen, die ohne erheblichen technischen Aufwand nicht zu leisten sind. Die dazu notwendigen technischen Mittel gewinnen aber im Einsatz, im Gebrauch eine solche dominante Rolle, dass sie immer weniger nur die neutralen Vermittler von Informationen sind, sondern immer mehr ein Eigenleben führen, das sich ansatzweise und dann immer mehr auch von denen abkoppelt, die diese vermittelnden Technologien einsetzen. Kunden und Dienstleister werden werden gleichzeitig abhängig. Wirtschaftlich können die Dienstleister nicht mehr dahinter zurück und lebenspraktisch ist der Verbraucher, der Kunde immer mehr von der Verfügbarkeit dieser Leistung abhängig. Also treiben beide die Entwicklung zu noch größerer Abhängigkeit von den intelligenten Vermittlern voran.
  19. Eine interessante Entwicklung als Teil der übergreifenden Evolution. Wo führt sie uns hin?
  20. Die Frage ist spannend, da die heute bekannten intelligenten Maschinen noch weitab von den Möglichkeiten operieren, die es real gibt. Die Schwelle ist bislang die Abhängigkeit von den begrenzten menschlichen Gehirnen. Unsere Gehirne tun sich schwer mit Komplexität. Wir brauchen Computer, um größere Komplexität bewältigen zu können, was zu noch komplexeren (für uns Menschen) Computern führt, usw. Dabei haben wir noch lange nicht verstanden, wie die etwa 200 Milliarden einzelne Nervenzellen in unserem Gehirn es schaffen, im Millisekundenbereich miteinander so zu reden, dass all die wunderbaren Leistungen der Wahrnehmens, Denkens, Erinnerns, Bewegens usw. möglich sind.
  21. Heutige Computer haben mittlerweile eine begrenzte lokale Lernfähigkeit realisiert, die ihnen den Zugang zu begrenzter Intelligenz erlaubt. Heutige Computer sind aber weder im lokalen wie im strukturellen voll Lernfähig.
  22. Einige meinen, dass die Zukunft im Sinne von technischer-Singularität zu deuten ist, dass die intelligenten Maschinen dann irgendwann alles übernehmen. Ich wäre mir da nicht so sicher. Das Hauptproblem einer vollen Lernfähigkeit ist nicht die Intelligenz, sondern die Abhängigkeit von geeigneten Präferenzsystemen (Werte, Normen, Emotionen, Bedürfnissen, …). Dieses Problem begegnen wir beim Menschen auf Schritt und Tritt. Die vielen Probleme auf dieser Welt resultieren nicht aus einem Mangel an Intelligenz, sondern aus einem Mangel an geeigneten von allen akzeptierten Präferenzsystemen. Dass Computer die gleichen Probleme haben werden ist den meisten (allen?) noch nicht bewusst, da die Lernfähigkeit der bisherigen Computer noch so beschränkt ist, dass das Problem nicht sichtbar wird. Sobald aber die Lernfähigkeit von Computern zunehmen wird, wird sich dieses Problem immer schärfer stellen.
  23. Das einzige wirklich harte Problem ist jetzt schon und wird in der Zukunft das Werteproblem sein. Die bisherigen Religionen haben unsere Blicke mit vielen falschen Bildern vernebelt und uns im Glauben gelassen, das Werteproblem sei ja gelöst, weil man ja an Gott glaubt (jede Religion tat dies auf ihre Weise). Dieser Glaube ist aber letztlich inhaltsleer und nicht geeignet, die realen Wertprobleme zu lösen.
  24. Man kann nur gespannt sein, wie die Menschheit als Teil des umfassenden Lebensphänomens mit einer immer leistungsfähigeren Technik auf Dauer das Werteproblem lösen wird. Die einzige Hoffnung ruht in der Logik des Prozesses selbst. Der Mensch in seiner unfassbaren Komplexität ist ein Produkt der Evolutionslogik; wir selbst sind weit entfernt davon, dass wir etwas Vergleichbares wie uns selbst schaffen könnten. Darf man also darauf vertrauen, dass die in allem Leben innewohnende Logik der Evolution uns Menschen als Werkzeuge benutzt zu noch mehr Komplexität, in der wir alle kleine Rädchen im Ganzen sind (als was erscheint uns  ein einzelner Mensch in einer 30-Millionen Metropole?)

Einen Überblick über alle Einträge von cagent nach Titeln findet sich HIER

ENDSPIEL, ENDKAMPF, ODER NEUER EVOLUTIONSSCHUB?

(Letzte Änderungen: 23.Nov.2014, 14:46h)

1. Während der Begriff ‚Endspiel‘ durch seine sportliche Konnotationen noch keinen letzten Schrecken verbreiten muss, klingt ‚Endkampf‘ biblisch-apokalyptisch: Endzeitstimmung; das Böse kämpft gegen das Gute; alles steht auf dem Spiel. ‚Evolutionsschub‘ deutet die Perspektive der Naturwissenschaften an, eine methodische Objektivität eines ‚Strukturwandels‘, der sich ’natürlich‘ aus der ‚Vorgeschichte‘ ergibt. Obwohl ich grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Sicht zuneige als Grundlage aller Argumentationen über unsere empirisch erfahrbare Welt und damit bei weitreichenden Veränderungen eher einen ’natürlichen Strukturwandel‘ unterstelle, haben wir es bei dem aktuellen Strukturwandel mit Phänomenen zu tun, in die ’subjektive Anteile‘ von beteiligten Menschen, Gruppierungen, Parteien, Firmen usw. mit eingehen. Die ‚Natur‘ hat zwar aufgrund der Gesamtheit aller beteiligten physikalischen Eigenschaften ‚von sich aus‘ eine — möglicherweise ’spezifische‘ — ‚Tendenz‘ sich zu verändern, aber der weltweite Einfluss biologischer Systeme auf den weiteren Gang mit der ‚biologischen Eigendynamik, die – wir wir wissen – gegen grundlegende physikalische Gesetze (z.B. 2.Hauptsatz der Thermodynamik) gerichtet zu sein scheint, erscheint mittlerweile so stark, dass der biologische Faktor neben den physikalischen Prinzipien ein Gewicht gewonnen hat, welches es verbietet, rein ‚technisch‘ von einem Evolutionsschub als ‚ausrechenbarem Strukturwandel‘ zu sprechen.

2. In diesem globalen Kontext erscheint ein Thema wie Informatik & Gesellschaft auf den ersten Blick eher speziell; auf den zweiten Blick zeigt sich aber gerade in diesem Thema eine der globalen Verwerfungslinien zwischen dem ‚Zustand bisher‘ und dem ‚Zustand, der neu beginnt‘. Das Thema ‚Informatik‘ bzw. ‚Computertechnologie‘ galt eher als Teil der Technologie, die nicht eigentlich der ‚Natur‘ zugeordnet wurde. Wie überhaupt seit Aufkommen der ‚Maschinen‘ die Maschinen als Leitmuster der Technologie immer als Gegensatz zur ‚chemischen und biologischen Evolution‘ gesehen wurden. Neben vielen kulturellen Denkmustern, die solch eine ‚Trennung‘ begünstigten, war es sicher auch die mindestens von der antiken Philosophie herrührenden Trennung von ‚unbelebt‘ (die ‚Stoffe‘, ‚Subtsanzen‘, die ‚Materie‘ als solche sind ‚unbelebt‘) und ‚belebt‘ (‚atmend‘ (pneo), Atem als universelles Lebensprinzip (pneuma)), das seinen Ausdruck im ‚Geist‘ (pneuma‘) findet. Da dieser Gegensatz von ‚unbelebt‘ und ‚belebt‘ mehr als 2000 Jahre nicht wirklich aufgelöst werden konnte, konnte sich eine Art ‚Dualismus‘ ausbilden und durchhalten, der wie eine unsichtbare Trennlinie durch die gesamte Wirklichkeit verlief: alles, was nicht ‚atmete‘ war unbelebt, materiell, un-geistig; alles was atmete, belebt war, befand sich in einer Nähe zum universellen Geistigen, ohne dass man eigentlich näher beschreiben konnte, was ‚Geist‘ denn nun genau war. Nicht verwunderlich, dass sich alle großen Religionen wie ‚Hinduismus‘, ‚Judentum‘, ‚Buddhismus‘, ‚Christentum‘, ‚Islam‘ (trotz z.T. erheblicher Differenzen in den Details), diesem Dualismus ’nachbarschaftlich verbunden fühlten‘. Der intellektuell-begriffliche ‚Ringkampf‘ der christlichen Theologie und Philosophie (und streckenweise des Islam, Avicenna und andere!) mit diesem dualistischen Erbe hat jedenfalls tiefe Spuren in allen theologischen Systemen hinterlassen, ohne allerdings dieses ‚Rätsel des Geistes‘ auch nur ansatzweise aufzulösen.

3. Diesen historischen Kontext muss man sich bewusst machen, um zu verstehen, warum für viele (die meisten? Alle?) die plötzliche ‚Nähe‘ der Technologie im alltäglichen Leben, eine sich immer mehr ‚anschmiegende‘ und zugleich ‚verdrängende‘ Technologie an diesem im Alltagsdenken ‚historisch eingebrannten‘ Dualismus‘ zu kratzen beginnt, zu wachsenden Irritationen führt (andere Technologien wie Nanotechnologie und Gentechnik gehören auch in diesen Kontext, wenn auch anders).

4. Im Ankündigungstext zur erwähnten Veranstaltung Informatik & Gesellschaft (siehe auch den Kurzbericht) wurde bewusst herausgestellt, dass seit den ersten Computern eines Konrad Zuse und dem Eniac-Computer von John Presper Eckert und John William Mauchly (1946) die Computertechnologie mittlerweile nahezu alle Bereiche der Gesellschaft in einer Weise durchdrungen hat, wie wohl bislang keine andere Technologie; dass diese Technologie realer Teil unseres Alltags geworden ist, sowohl im Arbeitsleben wie auch in der Freizeit. Man kann sogar sagen, dass diese Technologie die menschliche Lebensweise schon jetzt (nach ca. 60 Jahren) real und nachhaltig verändert hat. Neue Formen der Kommunikation wurden ermöglicht, Veränderungen der Mobilität, automatisierte flexible Produktion, Computermusik, computergenerierte Bildwelten…

5. Aber diese Durchdringung von nahezu allem – was heißt das? Die neue historische Qualität dieser Technologie besteht darin, dass diese Technologie – bislang immer noch klar erkennbar als ‚Maschinen‘, bislang nicht als ‚biologische‘ Strukturen – ‚Verhaltensweisen‘ zeigt, die denen der Menschen als Prototypen von ‚geistigen‘ Wesen ähneln. Aufgrund dieser ‚Ähnlichkeit‘ werden sie Teil von ‚typisch menschlichen‘ Handlungsabläufen (Kommunizieren, Wissen verwalten, Sport und Kunst machen, Spielen, komplexe Modelle und Prozesse entwerfen und simulieren, dann auch steuern, usw.). Seit den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts – also nach nicht mal ca. 30-40 Jahren — hat sich diese Technologie so mit dem menschlichen Alltag verwoben, dass eine moderne industrielle Gesellschaft komplett zusammenbrechen würde, würde man diese Technologie von jetzt auf gleich abschalten.

6. Befürworter eines noch intensiveren Einsatz dieser neuen Computertechnologien z.B. im Bereich der Industrie unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ (so z.B. Prof. Schocke in seinem Beitrag auf der Veranstaltung Informatik & Gesellschaft – Kurzbericht oder die Autoren Thomas Klein und Daniel Schleidt in der gleichnamigen FAZ Beilage vom 18.Nov.2014 auf den Seiten V2 (Klein) und V6 (Schleidt)) sehen vor allem das Potential zu noch mehr Produktionssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und besserer Ressourcennutzung. Gleichzeitig betonen die drei Autoren die Notwendigkeit von mehr Computertechnologie in der Industrie wegen des internationalen Wettbewerbs. Von den drei genannten Autoren spricht einzig Thomas Klein auch die Kehrseite des vermehrt ‚menschenähnlichen‘ Einsatzes dieser Maschinen im Kontext von Industrie 4.0 an: das damit möglicherweise auch viele Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang für Menschen Arbeitsmöglichkeiten geboten haben. Klein zitiert Untersuchungen, nach denen 47% der bisherigen Arbeitsplätze in den USA in den nächsten 10 Jahren Kandidaten für eine Substitution durch Computergestützte Technologien sind. Dies sind massive Zahlen. Dalia Marin, Professorin für Volkswirtschaft, versucht diese kommende Arbeitsmarktproblematik weiter zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass mehr Automatisierung kommen wird, sieht sie neben dem Rückzug von Hochtechnologieproduktionen in die angestammten Industrieländer dort aber die grundsätzliche Entwicklung zur Vergrößerung der Kapitalquote und zur Verringerung der Lohnquote. Diese Verringerung soll vor allem den Akademikersektor treffen; teure menschliche Arbeitskräfte werden bevorzugt von billigen computerbasierten Technologien ersetzt (FAZ 21.Nov.2014, S.16). Sowohl Klein wie auch Marin betonen aber auch, dass solche Zukunftseinschätzungen problematisch sind; der Prozess ist zu komplex, als dass man ihn einfach hochrechnen könnte.

7. Was bei allen vier genannten Autoren auffällt – auch bei den Autoren der Beilage ‚Innovation‘ (FAZ 20.Nov.2014) – ist, dass sie die ‚intelligente‘ und ’smarte‘ Technologie überwiegend aus einer ‚Außensicht‘ behandeln. Sie lassen die Wirkmechanismen dieser neuen Technologien, ihre maschinelle Logik, das, was sie so leistungsfähig macht, mehr oder weniger im Dunkeln. Smarte, intelligente Technologie erscheint dadurch – ich pointiere jetzt ein wenig — wie ein Naturereignis, das geradezu mystisch über uns hereinbricht, das einfach passiert, das so ist wie es ist, das man einfach hinnehmen muss. Auch fehlt eine historische Einordnung dieser Prozesse in das große Ganze einer Evolution des Lebens im Universum. Die sehr differenzierten Sichten von Daniel Schleidt enthalten zwar ein eigenes Schaubild zur industriellen Entwicklung, aber dieses greift – nach meiner Einschätzung – zu kurz. Es zementiert nur eher den opaken Blick auf das Phänomen, macht es begrifflich unzugänglich, schottet es für die Reflexion ab. Auch die volkswirtschaftliche Ausweitung des Blicks durch Marin geht – nach meiner Einschätzung – nicht weit genug. Sie betrachtet das Problem einer möglichen und wahrscheinlichen Substitution von menschlicher Arbeit durch computerbasierte Technologien in gegebenen historischen Kontexten und hier auch nur in einer kurzen Zeitspanne. Sie thematisiert aber nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als solche. Sehr wohl kann man die Frage nach dem aktuellen Gesellschaftsmodell stellen. Sehr wohl kann man die Frage aufwerfen, ob es ein gutes Modell ist, wenn einige wenige GFinanz- und Machteliten mit dem Rest der Menschheit nach Belieben spielen. In der Frankfurter Rundschau wird seit vielen Wochen das Thema ‚Gerechtigkeit‘ diskutiert (siehe zuletzt z.B. Mohssen Massarat, Prof. für Wirtschaft und Politik mit seiner Übersicht verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, FR 15./16.Nov.2014, S.9) und die Lektüre eines Buches wie ‚Die Abwicklung‘ von George Packer zeigt, dass eine reflexionsfreie oligopolistische Gesellschaft wie die US-Amerikanische mehr Fragen aufwirft als sie befriedigende Antworten liefert.

8. Sieht man nur die bisherigen Diskussionsbeiträge, dann kann einen schon die klamme Frage beschleichen, warum so viele Autoren in den Spiegeln der Gegenwart immer nur noch ‚das Andere‘ sehen, die ‚Maschine‘, während der ‚Mensch‘, die ‚Menschheit‘ als Hervorbringer dieser Technologien in diesem Sichtfeld gar nicht mehr vorkommt. Es ist wie ein intellektueller blinder Fleck, der die leisesten Zuckungen von Maschinen wie eine Neugeburt feiert während das ungeheuerliche Wunder der Entstehung komplexer Lebensstrukturen auf der Erde (das bis heute in keiner Weise wirklich verstanden ist!) nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Fokussierung auf spezifische Fragestellung hat seinen Sinn und ist und war ein Erfolgsrezept, aber in einer Zeit, in der disziplinenübergreifend komplexe Phänomene alles mit allem verzahnen, in einer solchen Zeit erscheint diese selbstgenügsame Tugend nicht mehr nur nicht angebracht, sondern geradezu kontraproduktiv zu sein. Eine falsche Fokussierung führt bei komplexen Phänomenen notwendigerweise zu Verzerrungen, zu Verfälschungen, zu falschen Bildern von der Gegenwart und einer sich daraus ergebenden Zukunft (es sei auch an die lange Diskussion in der FAZ erinnert zu den Schwachstellen moderner Betriebs- und Volkswirtschaftstheorien, die nicht nur die letzten Finanzkatastrophen nicht vorhergesehen haben, sondern auch mit ihrem Paradigma des ‚homo oeconomicus‘ empirisch weitgehend gescheitert sind.)

9. Wenn nun also Menschen selbst das Andere ihrer selbst anpreisen und sich selbst dabei ‚wegschweigen‘, ist damit die Geschichte des biologischen Lebens im Universum automatisch zu Ende oder unterliegen wir als menschlich Denkende hier nicht wieder einmal einem grundlegenden Denkfehler über die Wirklichkeit, wie andere Generationen vor uns auch schon in anderen Fragen?

10. Die Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention von 1948, damals als ein Lichtblick angesichts der systematischen Greueltaten gegen die Juden (aber aber nicht nur dieser!) und der Beginn vieler anderer daran anknüpfenden Erklärungen und Initiativen erscheint vor den aktuellen gesellschaftlichen Prozessen weltweit fast schon seltsam. Dass ein totalitäres Regime wie das chinesische die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt (wohl aber chinesische Bürger, siehe die Charta 2008) ist offiziell gewollt, dass aber selbst demokratische Länder – allen voran die USA – mit den Menschenrechten scheinbar ’nach Belieben‘ umgehen, sozusagen, wie es ihnen gerade passt, dass wirkt wenig ermutigend und gibt Nahrung für Spekulationen, ob die Menschenrechte und die Mitgliedschaft in der UN nur davon ablenken sollen, was die Finanz- und Machteliten tatsächlich wollen. Die Zerstörung ganzer Gesellschaftsbereiche, die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, die unbeschränkte Aufhebung der Privatsphäre ohne alle Kontrollen, die globale Ausbeutung der Schwachen durch Handelsabkommen … nur wenige Beispiele die eine andere Sprache sprechen, als jene, die in den Menschenrechten vorgezeichnet ist.

11. Noch einmal, was auffällt, ist die ‚Oberflächlichkeit‘ all dieser Bilder im wahrsten Sinn des Wortes: die schier unfassbare Geschichte der Evolution des Lebens im Universum existiert eigentlich nicht; das Wunder des Geistes inmitten materiell erscheinender Strukturen ist weitgehend unsichtbar oder ist eingesperrt in eine gesellschaftliche Enklave genannt ‚Kultur‘, die nahezu kontaktlos ist mit dem Rest des Wirtschaftens, Produzierens und Denkens; eine ‚Kultur der Sonntagsreden‘ und der ‚Belustigungen‘, ein Medium für die Eitelkeit der Reichen und der Unterhaltungsindustrie.

12. Innovation entsteht nie nur aus der Wiederholung des Alten, sondern immer auch aus der Veränderung des Alten, entsteht aus dem gezielt herbeigeführten ‚Risiko‘ von etwas ‚tatsächlich Neuem‘, dessen Eigenschaften und Wirkungen per se nicht vollständig vorher bekannt sein können.

13. Die, die aktuell neue Technologien hervorbringen und einsetzen wollen, erscheinen ‚innovativ‘ darin, dass sie diese hervorbringen, aber in der Art und Weise, wie sie das biologische Leben – speziell die Menschen – damit ‚arrangieren‘, wirken die meisten sehr ‚alt‘, ‚rückwärtsgewandt‘, …. Innovationen für das Menschliche stehen ersichtlich auf keiner Tagesordnung. Das Menschliche wird offiziell ‚konserviert‘ oder schlicht wegrationalisiert, weggeworfen, ‚entsorgt‘; hier manifestiert sich ein seltsamer Zug dazu, sich selbst zu entsorgen, sich selbst zu vernichten. Die Quelle aller Innovationen, das biologische Leben, hat in Gestalt der Menschheit einen ‚blinden Fleck‘: sie selbst als Quelle.

14. Der Mangel an Wissen war zu allen Zeiten ein Riesenproblem und Quelle vieler Notlagen und Gräueltaten. Dennoch hat die Menschheit trotz massiver Beschränkungen im Wissen neues Wissen und neue Strukturen entwickelt, die mehr Teilhabe ermöglichen, mehr Einsichten vermitteln, mehr Technologie hervorgebracht haben, ohne dass ein ‚externer Lehrer‘ gesagt hat, was zu tun ist… wie ja auch alle Kinder nicht lernen, weil wir auf sie einreden, sondern weil sie durch den bisherigen Gang der Evolution für ein kontinuierliches Lernen ausgestattet sind. … Der Geist geht dem Denken voraus, die Logik der Entwicklung liegt ‚in‘ der Materie-Energie.

15. So großartig Innovationen sein können, das größte Mirakel bleibt die Quelle selbst. Wunderbar und unheimlich zugleich.

QUELLEN

George Packer (3.Aufl. 2014), Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag GmbH (die engl. Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ‚The Unwinding. An Inner History of the New America‘. New York: Farrar, Strauss and Giroux).

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