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ONTOLOGIE DES BEWUSSTSEINS – Nachbemerkung zu Craik

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 29.Juli 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

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Übersicht
Craik führt in seinem Buch eine breit angelegte Diskussion im Spannungsfeld von Philosophie, Psychologie, Physiologie, Physik und Technik, die einige Hauptthemen erkennen lässt: ein Plädoyer für ein kausales Verständnis der realen Welt, für die Rekonstruktion von Bewusstsein durch Rückgriff auf das Nervensystem, für die zentrale Rolle mentaler Modelle, sowie für die wichtige Rolle von Sprache in allem Erklären. Dies gibt Anlass, den ontologischen Status des Bewusstseins nochmals zu präzisieren.

I. KONTEXT

In einem vorausgehenden Blogeintrag hatte ich kurz einige der Hauptthemen aus dem Buch ’The Nature of Explanation’ (1943) von Craig vorgestellt und kurz kommentiert. In diesem Buch weist Craik zurecht darauf hin, dass eine Erklärung der geistigen/ mentalen/ kognitiven Phänomene des Menschen ohne Rückgriff auf das ermöglichende Gehirn unvollständig sind. Eine introspektive Beschreibung solcher Phänomene beschreibt die Oberfläche dieser Phänomene, wenn sie gut gemacht ist, auch noch deren Dynamik, aber sie kann sie nicht wirklich erklären, da derjenige Kontext, der kausal für diese Phänomene verantwortlich zu sein scheint (harte Beweise gibt es nicht, siehe weiter unten), das menschliche Gehirn, in solch einer phänomenalen Beschreibung nicht berücksichtigt wird (bisher nicht!).

Dieser überdeutliche Hinweis seitens Craig wird durch vielfache Überlegungen untermauert. Was aber fehlt ist ein klares Konzept, wie denn eine philosophisch-wissenschaftliche Beschreibung des Sachverhalts methodisch vorgenommen werden müsste, um allen Aspekten Rechnung zu tragen. Obwohl Craig alle wesentlich beteiligten Disziplinen explizit nennt (Philosophie, Psychologie, Physiologie, Physik) und er sich in diesen Bereichen gut auskennt, lässt er das genaue Verhältnis dieser Disziplinen zueinander offen.

II. MULTIPLE SICHTEN

Multiple Sichten auf den Menschen und sein Umfeld
Multiple Sichten auf den Menschen und sein Umfeld

1) Vielleicht kann es in dieser Situation helfen, sich bewusst zu machen, welch Faktoren in dieser Erkenntnissituation beteiligt sind und wie diese (grob) aufeinander bezogen sind.
2) Im Schaubild 1 sind diese Faktoren angedeutet. Die Perspektive, aus der heraus dieses Bild entstanden ist, ist zunächst die der empirischen Wissenschaften, dann ergänzt um eine introspektive Perspektive.
3) Die Physik erzählt uns die Geschichte vom Universum, seiner Entstehung seit dem Big-Bang Ereignis, seiner Struktur, die u.a. unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, enthält. Innerhalb der Milchstraße gibt es u.a. unser Sonnensystem mit der Erde, unserem Heimatplaneten. Die Biologie erzählt uns die Geschichte von der Entstehung des biologischen Lebens auf der Erde, die Entwicklung all der unzähligen Arten (von denen die meisten wieder ausgestorben sind), bis hin zum homo sapiens, den wir repräsentieren.
4) Um den Menschen herum gibt es zahllose wissenschaftliche Disziplinen, die unterschiedliche Aspekte des homo sapiens untersuchen. Die Physiologie hat uns darüber belehrt, dass der menschliche Körper mit all seinen komplexen Organen letztlich aus einzelnen Zellen besteht, die auf unterschiedliche Weise im Körper als Zellverbände kooperieren und dabei kommunizieren.
5) Was man bei der Betrachtung der beeindruckenden Gesamtleistung aber niemals vergessen darf, ist, dass alle Zellen zu jedem Zeitpunkt aus Molekülen bestehen, diese wiederum aus Atomen, diese wiederum aus sub-atomaren Teilchen. Jede dieser identifizierbaren Einheiten folgt eigenen, spezifischen Gesetzen des Verhaltens.
Diese Verhaltensweisen sind so spezifisch, dass es sinnvoll ist, hier entsprechend den jeweiligen Einheiten von unterschiedlichen Organisationsebenen zu sprechen, mit steigender Komplexität.
6) Diese Unterscheidung nach Organisationsebenen (denen unterschiedliche Komplexitätsebenen entsprechen), ist hilfreich, wenn man die Interaktion zwischen allen Einheiten betrachtet. Das Herz z.B. ist in einer Hinsicht eine ’Pumpe’, die das Blut durch die Adern pumpt. Es ist über Zellen auch mit dem Gehirn verbunden, das den Zustand des Herzens ’kontrolliert’ und durch elektrische-chemische Impulse beeinflussen kann. Die einzelnen Zellen, die den Zellverband ’Herz’ bilden, sind ferner für sich genommen individuelle, autonome Systeme, die untereinander durch Stoffwechselprozesse (Energieversorgung, …) verbunden sind, die absterben und durch  neue ersetzt werden, und vieles mehr. Je nach Zustand der Umgebung einer Zelle, welche Moleküle, Atome dort vorkommen, kann dies auch die Zelle stören, zerstören. Die Zelle kann auch selbst Störungen aufweisen.
7) Insofern alle Moleküle auch Atome sind mit subatomaren Einheiten, unterliegen diese Atome jederzeit den unterschiedlichen Wechselwirkungen, die zwischen Atomen und subatomaren Einheiten im gesamten Universum möglich sind. Wie die Physik uns heute erzählen kann, gibt es hier vielfältige Wechselwirkungen im quanten-mechanischen Bereich, die über den Bereich eines einzelnen menschlichen Körpers weit hinausgehen, die bis in die Dimension der Milchstraße reichen.
8) Dies alles gilt natürlich auch für den Zellverband, der unser Nervensystem mit dem Gehirn bildet. Das Gehirn ist Teil des Gesamtkörpers; es liegt im Körper. Das Gehirn, so erzählen die Gehirnforscher heute, hat trotz der Flexibilität, Plastizität seiner Zellen in sich eine Struktur, die unterschiedliche funktionelle Einheiten abgrenzen lässt, die sowohl in sich wie auch miteinander sowohl über elektro-chemische Weise kommunizieren wie auch nur chemisch. Dabei werden die quantenmechanischen Wechselbeziehungen normalerweise nicht berücksichtigt.
9) Lässt man die quantenmechanischen Wechselbeziehungen außen vor, dann kann das Gehirn mit der Umgebung des Körpers nur über Zellen kommunizieren, die elektro-chemische oder chemische Signale austauschen. Dazu gibt es spezielle Sinneszellen, die externe Energieereignisse in interne neuronale Energieereignisse übersetzen, und diese dann auf unterschiedliche Weise von Zelle zu Zelle weiter reichen. Dieser Prozess ist niemals 1-zu-1 sondern bringt mehrfache Transformationen und Abstraktionen mit sich. In der Regel werden zudem nicht Signale von einzelnen Sinneszellen benutzt, sondern meistens viele Hunderte, Tausend, Hunderttausende oder gar Millionen gleichzeitig und parallel. Diese werden auf unterschiedliche Weise miteinander verrechnet. Wie das Gehirn es schafft, ohne direkten Kontakt mit der externen Welt aus diesen vielen Abermillionen gleichzeitigen Einzelsignalen brauchbare Muster, Zusammenhänge und Abläufe zu extrahieren und damit ein komplexes Verhalten zu steuern, das enthüllt sich nur langsam.
10) Aus empirischer Sicht ist die Geschichte hier zu Ende. Im Schaubild 1 gibt es aber noch die Größe Bewusstsein. Wie kommt die ins Spiel?

III. BEWUSSTSEIN

1) Aus empirischer Sicht (Physiologie, Gehirnforschung, Biologie, Physik, Chemie, Molekularbiologie, Genetik, empirische Psychologie,…) kann man die Zellen, Zellverbände, ihre Eigenschaften beobachten, messen, und das Verhalten dieser Einheiten auf der Basis dieser Messwerte beschreiben, auch mit kausalen Beziehungen, zunehmend auch mit partiellen Modellen. Dabei wurden und werden zahlreiche interessante Wechselbeziehungen aufgedeckt z.B. zwischen Zellen und deren Molekülen, gar Atomen. In dieser Perspektive gibt es aber keinerlei Phänomene, die irgendetwas mit dem sogenannten Bewusstsein zu tun haben. In einer empirischen Perspektive gibt es prinzipiell keinerlei Möglichkeiten, bewusstseinsrelevante Phänomene zu beobachten und zu beschreiben.
2) Selbst die moderne empirische Psychologie ist methodisch beschränkt auf messbare Sachverhalte, die sie letztlich nur im Bereich des beobachtbaren Verhaltens finden kann, neuerdings erweiterbar mit physiologischen Daten, sodass man in einer neuro-psychologischen Vorgehensweise beobachtbare Verhaltensdaten mit Körperdaten und speziell Gehirndaten in Beziehung setzen kann. Dies hat zu einer erheblichen Ausweitung der möglichen Erklärungsleistung geführt. Aber auch in der Perspektive einer Neuro-Psychologie gibt es streng genommen keinerlei Phänomene, die man als bewusstseins-relevant bezeichnen könnte.
3) Wissenschaftstheoretisch (andere sprechen von Wissenschaftsphilosophisch) beschränkt sich der Begriff Bewusstsein auf eine spezielle Form von Innensicht des Gehirns, wie wir sie bislang explizit nur von Exemplaren des homo sapiens kennen, da dieser mittels des Werkzeugs symbolische Sprache Aussagen, Beschreibungen
liefern kann, die indirekt Zeugnis geben von Sachverhalten, die sich auf diese Innensicht des Gehirns beziehen. Die Innensicht des Gehirns ist einer empirischen Beobachtung nicht direkt zugänglich (auch wenn man in zahllosen neuro-psychologischen Abhandlungen immer wieder das Wort ’Bewusstsein’ findet, auch z.B, in der Wortschöpfung ’neuronales Korrelat des Bewusstseins’; wissenschaftsphilosophisch ist dies Unsinn; es kann aber möglicherweise einen gewissen ’heuristischen’ Wert innerhalb wissenschaftlicher Untersuchungen haben.)
4) Dass wir überhaupt von Bewusstsein sprechen liegt daran, dass alle Exemplare des homo sapiens (und vermutlich nahezu alle biologischen Systeme) über diese bemerkenswerte Fähigkeit einer Innensicht des Gehirns verfügen, die die Betroffenen mit einem kontinuierlichen Strom von Ereignissen versorgt. Um diese Ereignisse aus der Innensicht des Gehirns von den Ereignissen der empirischen Wissenschaften abzugrenzen, sprechen die Philosophen spätestens seit dem Philosophen Edmund Husserl (1859 – 1938) von phänomenalen Ereignissen statt einfach von Ereignissen. Dies hat damit zu tun, dass Edmund Husserl und alle weiteren Anhänger einer bewusstseinsbasierten Philosophie die Ereignisse in der Innensicht des Gehirns generell als Phänomene (Ph) bezeichnet haben.
5) Da jeder Mensch qua Mensch im normalen Erkenntniszustand sich primär im Modus der Innensicht des Gehirns befindet (was anderes hat er auch gar nicht zur Verfügung) hat er zwar direkten Zugang zu den Phänomenen seines Erlebnisstroms, aber er hat nahezu keine Möglichkeit, den Begriff ’Bewusstsein’ intersubjektiv, objektiv zu definieren. Der einzelne Mensch hat zwar Zugang zu seinen Phänomenen, aber eben nur zu seinen; das gilt für jeden Menschen in gleicher Weise. Sofern verschiedene Menschen eine gemeinsame Sprache sprechen und in dieser Sprache z.B. den Begriff ’Bewusstsein’ einführen, können sie die Wortmarke ’Bewusstsein’ zwar untereinander vorstellen, sie können aber niemals ein intersubjektives Objekt aufzeigen, auf das sich die Wortmarke ’Bewusstsein’ beziehen könnte. Nach zehntausenden Jahren von menschlicher Existenz (wissenschaftlich gibt es den homo sapiens ca. 200.000 Jahre) gibt es so etwas wie ein explizites Sprechen mit dem Begriff ’Bewusstsein’ vielleicht 400 – 500 Jahre, höchstens. Ausführlich und systematisch vielleicht erst seit ca. 150 Jahren. Und bis heute erwecken die vielen Sprachspiele, in denen die Wortmarke ’Bewusstsein’ vorkommt, nicht den Eindruck, als ob allen Beteiligten so richtig klar ist, was sie da tun.

IV. SUBJEKTIV – EMPIRISCH

1) Die Tatsache, dass Menschen sich zunächst und primär im Modus der Innensicht des Gehirns vorfinden, ist einerseits – biologisch – normal, da sich explizite und leistungsfähige Nervensysteme und Gehirne erst relativ spät entwickelt haben, aber dann für die biologischen Systeme, die darüber verfügen konnten, zu einer der wertvollsten Eigenschaften des Überlebens und dann auch überhaupt Lebens auf der Erde wurden.
Jedes biologische System bekommt durch die Innensicht seines Gehirns eine Reihe von wertvollen (allerdings meist hochkomplexe) Informationen, mittels deren es seine aktuelle Situation, seine Geschichte, und seine mögliche Zukunft immer besser ausrechnen kann. Beim homo sapiens kommt dazu eine spezielle Kommunikationsfähigkeit hinzu. Gerade die besonderen Eigenschaften des Nervensystems beim Menschen haben dem homo sapiens eine gigantische Überlegenheit über nahezu alle anderen biologischen Systeme gegeben. Für den homo sapiens ist dies eine Erfolgsgeschichte, nicht für die anderen Arten, die der homo sapiens entweder ausgerottet oder stark dezimiert hat oder für seine Zwecke brutal knechtet.
2) Durch die immense Zunahme der Population des homo sapiens aufgrund seiner immer verfeinerten Technik und Kultur gab es, beginnend vor ca. 2500 bis 3000 Jahren und dann andauernd bis ca. vor 500 Jahren (letztlich andauernd bis heute) immer größere Konflikte mit dem Reden über die Welt. Der Reichtum der Phänomene in der Innensicht des Gehirns ermöglicht in Kombination mit der symbolischen Sprache immer komplexere Beschreibungen von phänomenal möglichen Sachverhalten, denen aber nicht notwendigerweise etwas in der (empirischen, objektiven, intersubjektiven) Außenwelt entsprechen musste. Das menschliche Gehirn kann in der Innensicht mühelos abstrakt-virtuelle Strukturen erzeugen, denen direkt nichts in der Außenwelt entsprechen muss. Dies kann zu Verwirrungen führen, zu Fehlern, Katastrophen (man denke z.B. an die vorwissenschaftliche Medizin oder Physik oder …).
3) An diesem – in gewisser Weise ’natürlichem’ – Kulminationspunkt von denkerisch-sprachlicher Blütezeit und Diskrepanz zwischen gedachten Bedeutungen und empirisch, realer Bedeutung entdeckten immer mehr Menschen, dass eine Unterscheidung der menschlichen Rede in jene Redewendungen, die sich auf reale Aspekte der Welt beziehen, und jene, die ’anders’ sind, von hohem praktischen Nutzen wäre. Die Idee einer empirischen (wissenschaftlichen) Sprache wurde geboren: empirisch wissenschaftlich sollten fortan nur noch jene Redewendungen gelten, die sich auf Gegebenheiten der realen Außenwelt beziehen lassen. Und damit dies
intersubjektiv, objektiv zweifelsfrei sei, wurde zusätzlich postuliert, dass sich diese Gegebenheiten nach einem vereinbarten Vergleichsverfahren mit einem vereinbarten Standard wissenschaftlich messen lassen. Nur solche Aussagen sollten künftig als wissenschaftlich relevante Fakten/ Daten akzeptiert werden.
4) Damit gab es nun zwar wissenschaftliche Fakten, aber es war nicht verbindlich geklärt, in welcher Form man diese Fakten dann zu komplexeren Aussagen über Beziehungen, Beziehungsnetzwerken (Modelle, Theorien) nutzen könnte. Faktisch benutzen die meisten mathematische Formeln zur abstrakten Beschreibung von empirischen Sachverhalten, die dann durch die empirischen Fakten fundiert wurden. Was genau aber eine wissenschaftliche empirische Theorie ist, dies wurde bis in die Gegenwart nicht restlos geklärt (trotz Wissenschaftstheorie oder Philosophy of Science. Noch heute kann man in jeder sogenannten wissenschaftlichen Zeitschrift Artikel finden, in denen die Autoren sichtlich keine Vorstellung haben, was letztlich eine wissenschaftlich empirische Theorie ist!)
5) Ein negativer (wenngleich unnötiger) Nebeneffekt der Entstehung wissenschaftlich empirischer Redeformen war die (zunächst sinnvolle) Abgrenzung gegenüber den nicht-wissenschaftlichen Redeformen, die dann aber im weiteren Verlauf zu einer Aufspaltung des Denkens in wissenschaftlich und nicht wissenschaftlich führte mit dem besonderen Akzent, dass das nicht-wissenschaftliche Reden (von den empirischen Wissenschaftlern) grundsätzlich negativ belegt wurde. Aufgrund der historischen Lebensformen, Machtausübungen, Unterdrückungen kann man diese stark abgrenzende Haltung der Wissenschaft gegenüber den nicht wissenschaftlichen Redeformen aus der Vergangenheit verstehen. Heute dagegen wirkt diese Abgrenzung mehr und mehr kontra-produktiv.
6) Man sollte sich immer wieder bewusst machen, dass die Erfindung der empirischen Redeformen durch Verknüpfung des Redens mit definierten Vergleichsverfahren im intersubjektiven Bereich die grundsätzliche Ausgangssituation des Erkennens nicht verändert hat. Auch ein empirischer Wissenschaftler lebt primär mit dem Ereignisstrom in der Innensicht des Gehirns. Da kommt er trotz Einführung der Verknüpfung mit Messverfahren auch nicht heraus. Man kann sich dies so veranschaulichen: Ausgangspunkt für jeden Menschen ist die Menge seiner phänomenalen Ereignisse (Ph) in der Innensicht. Diese differenziert sich in aktuelle sinnliche (externe wie interne) Wahrnehmung vermischt mit den aktuell verfügbaren Gedächtnisinhalten, die diese Wahrnehmungen automatisch interpretieren. Diejenigen Phänomene, die mit intersubjektiven Messverfahren korrespondieren, bleiben trotzdem Ereignisse in der Innensicht des Gehirns; nennen wir sie Ph_emp . Als Phänomene bilden sie
dann eine Teilmenge von allen Phänomenen (Ph), also Ph_emp ⊆ Ph. Der empirische Wissenschaftler steigt also nicht grundsätzlich aus dem Club der Phänomenologen aus, sondern er folgt einer methodisch motivierten Beschränkung, wann und wie er wissenschaftlich über die empirische Welt spricht.
7) Auch in dieser Betrachtungsweise wird nochmals klar, dass eine wissenschaftliche Definition eines Begriffs ’Bewusstsein’ niemals möglich sein wird, da es grundsätzlich keine intersubjektiven Messverfahren geben kann.
8) Allerdings sollte durch diese Überlegungen auch klar werden, dass eine grundsätzliche Ausklammerung einer Beschäftigung mit der Innensicht des Gehirns und des möglichen Wechselspiels zwischen phänomenalen und empirisch-phänomenalen Ereignissen von allerhöchstem Interesse sein sollte. Denn das Gesamtphänomen Innensicht des Gehirns ist eines der erstaunlichsten Phänomene im gesamten bekannten Universum und es wäre eine Bankrotterklärung jeglichen menschlichen Erkenntnisstrebens, würde man sich dem Phänomen verschließen, nur weil die bisher vereinbarten wissenschaftlichen Redeformen dieses Phänomen ausschließen. Wissenschaft muss nicht notwendigerweise bei den empirischen Sachverhalten enden.

 KONTEXTE

Frühe Überlegungen zu diesem Thema gab es schon 2009 HIER.

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DIE NATUR DER ERKLÄRUNG – Kenneth Craig – Diskussion

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ÜBERBLICK

Craik führt in diesem Buch eine breit angelegte Diskussion im Spannungsfeld von Philosophie, Psychologie, Physiologie, Physik und Technik, die einige Hauptthemen erkennen lässt: ein Plädoyer für ein kausales Verständnis der realen Welt, für die Rekonstruktion von Bewusstsein durch Rückgriff auf das Nervensystem, für die zentrale Rolle mentaler Modelle, sowie für die wichtige Rolle von Sprache in allem Erklären.

I. KONTEXT

Alle Themen, die Craik in seinem Buch ”The Nature of Explanation” [Cra43] anspricht, sind Themen, die in verschiedenen Blogeinträgen schon zur Sprache gekommen sind. Das Buch wird daher etwas intensiver diskutiert, um damit die Position des Blogs weiter zu klären. Dabei ist zu beachten, dass Craik nicht nur eine große Linie verfolgt, sondern im Verlauf des Textes viele andere Themen anspricht, die irgendwie auch mit der großen Linie zusammenhängen. Dies macht die Lektüre manchmal etwas mühsam, wenngleich immer interessant. Dem Interesse des Blogs folgend werden daher nur einige Hauptthemen hier weiter diskutiert. Eine Lektüre dieser Themen ersetzt nicht die eigene Lektüre seines Buches.

II. ERKLÄRUNG DURCH KAUSALITÄT

K.Craik - Stichworte aus Kap.1-4
K.Craik – Stichworte aus Kap.1-4

Das Schaubild 1 enthält nur einige der einschlägigen Stichworte von Craig aus den ersten vier Kapiteln, und auch nur kursorisch.

Aus den vielen Argumenten, die gegen die Möglichkeit einer Erklärung durch Kausalität sprechen, stammt das prominenteste von David Hume (1711 – 1776), für den die Beschaffenheit der sinnlichen Wahrnehmung keinen direkten Schluss auf eine kausaler Beziehung der Art ’B ist da durch A’ zulässt. Zu einem bestimmten Augenblick
haben wir einen Momenteindruck, beim nächsten Augenblick auch. Zwischen verschiedenen Augenblicken kann es zwar Unterschiede geben, aber diese lassen nicht zwingend eine Interpretation in Richtung einer kausalen Beziehung zu.

Neben sehr vielen anderen Positionen bespricht Craik auch die Position der modernen Physik sofern sie quantenmechanische Modelle benutzt. Angesichts einer prinzipiellen Messungenauigkeit (Heisenberg, Unschärferelation) und unbeobachtbaren Objekten soll eine direkte kausale Zuschreibung nicht mehr möglich sein. Es gibt nur noch
Regelmäßigkeiten in Form von statistischen Tendenzen. Craik kritisiert in diesem Zusammenhang, dass man aus den Grenzen der Beobachtbarkeit nicht notwendigerweise darauf schließen kann, dass es deswegen grundsätzlich
keine Kausalität mehr gäbe. Ferner weist er anhand vieler Beispiele darauf hin, dass die Theorien der Wahrscheinlichkeit als Theorien starke implizite Annahmen über die vorausgesetzten Ereignismengen machen, die grundlegende Wechselwirkungen, auch in Form kausaler Beziehungen, voraussetzen.

Aus der Sicht Craiks ist die Position Humes nicht ganz korrekt, da das sinnliche Material immer schon in eine Raumstruktur eingebettet ist, die implizite Wechselbeziehungen realisiert (zwei gleichartige Objekte können nicht zugleich auf ein und derselben Raumstelle sein); ferner gehört die Zeitstruktur zur Wahrnehmung (darin über die
rein sinnlichen Anteile hinausgehend), die zumindest potentielle Abfolgen erkennen lassen (B folgt auf A in der Zeit). Dies impliziert zwar nicht unmittelbar eine kausale Beziehung, bietet aber einen Anknüpfungspunkt für eine Hypothese und Experimente. Im Rahmen der Zeitstruktur kann man z.B. allerlei Veränderungen beobachten, z.B.
auch eine Veränderung von Energieleveln. Diese bieten Ansatzpunkte für Hypothesen und Experimente.

Für Craik realisiert sich empirische Wissenschaft durch das Ernst nehmen von vorfindlichen Gegebenheiten, von Fakten, bezogen auf die man Hypothesen bzgl. möglicher Zusammenhänge formulieren kann. Diese Hypothesen kann man dann in Experimenten überprüfen. Sofern sich die Hypothesen bestätigen lassen, soll dies eine gewisse Zufriedenheit auslösen. Geprüfte Zusammenhänge ermöglichen Verstehen, Einsicht, erlauben Voraussagen, mit Voraussagen kann man zukünftige Situationen vorweg nehmen, um sich dadurch auf kommende Situation einzustellen.
Ferner erlaubten geprüfte Zusammenhänge auch unterschiedliche praktische Nutzungen.
Fehlen geprüfte Zusammenhänge, dann kann dies zu Enttäuschungen, ja zu Frustrationen führen. Man kann dann nichts ableiten, nichts voraus sagen, nicht wirklich planen; auch eine praktische Nutzung ist nicht möglich. Man versteht das auslösende Phänomen dann nicht wirklich.

III. DENKEN UND NERVENSYSTEM

K.Craik - Die Erkennungsleistung des Systems Mensch
K.Craik – Die Erkennungsleistung des Systems Mensch

Nach zahlreichen vorausgehenden kritischen Anmerkungen zu unterschiedlichen Positionen in der Philosophie und in den Wissenschaften, geht Craik davon aus, dass der Mensch in einer realen Welt vorkommt. Einige der Ereignisse in dieser Welt können von Sinnesorganen beobachtet werden. Beobachten heißt hier, dass diese Ereignisse sowohl
in interne neuronale Ereignisse übersetzt werden, zusätzlich aber auch in eine symbolischer Sprache  mittels der Bezug genommen werden kann auf viele interne Gegebenheiten, Ereignisse und Prozesse. Das Andere der Symbole ist dann ihre Bedeutung (’meaning’). Was immer auch intern im einzelnen geschieht, es gibt unterschiedliche Prozesse, die abstrakt als Denken, Schlüsse ziehen, Voraussagen machen beschrieben werden. Ein wesentliches Element dieser Prozesse ist das Generieren von internen, mentalen Modellen, deren Analogien mit der realen
Außenwelt so groß sind, dass wichtige Eigenschaften und Prozesse der Außenwelt in ihren kausalen Beziehungen so nachgebildet werden können, dass auf ihrer Basis einigermaßen zuverlässige Voraussagen über die Zukunft gemacht werden können, die sich überprüfen lassen.

Craik wirft auch die Frage auf, welche Eigenschaften am Nervensystem es wohl sind, die alle diese Leistungen ermöglichen? Anhand verschiedener Verhaltensphänomene (visueller Reiz, Retina, Adaption, Differenzierung, Ähnlichkeit, bewusst – unbewusst, Reflexe, Zahlen und deren Nutzung, Gedächtnis, Lernen, Gefühle, …) diskutiert er
dann die Anforderungen, die an das System gestellt werden und überlegt, ob und wie diese Anforderungen rein technisch bzw. mittels des Nervensystems eingelöst werden könnten. Diese Überlegungen sind in ihrem grundsätzlichen Charakter interessant, aber der Stand des Wissens in seiner Zeit zum Nervensystem und zu neuronalen Modellen
war nicht ausreichend, um alle diese Phänomene verbindlich diskutieren zu können.
Immer wieder stellt er die zentrale Rolle der symbolischen Sprache heraus, mittels der sich komplexe Strukturen und Modelle generieren lassen, mit denen Erklärungen möglich werden, Voraussagen und auch die Koordinierung zwischen den Gehirnen.

Bei seiner Beschreibung der realen Welt fällt auf, dass er stark fixiert ist auf einfache physikalische Strukturen; die Besonderheit und Komplexität biologischer Systeme tritt wenig hervor. Dies obgleich er ja die komplexen Strukturen von Menschen sehr wohl diskutiert.

Er sieht allerdings schon ein Eigengewicht der mentalen logischen Strukturen gegenüber der ’reinen Maschinerie’ des Nervensystems, insofern das Nervensystem als solches funktioniert unabhängig von Logik und Bedeutung. In wissenschaftlichen Kontexten aber muss auch Logik und Bedeutung stimmen, andernfalls gelingt die Argumentation
nicht. Allerdings, auch hier gilt, dass auch eine Logik und mögliche Bedeutungen im mentalen Bereich ebenfalls Leistungen des Nervensystems sind. Das gerade ist das Besondere. Reine Introspektion kann zwar die phänomenale Seite des Geistes enthüllen, nicht aber seine neuronale Seite. Dazu bedarf es mehr als Introspektion.

Craik postuliert auch den Faktor der Gefühle (’feelings’) und der Emotionen (’emotions’) als grundlegend für das Verhalten. Zufriedenheit und Unglücklich sein sind starke Motive für das gesamte Verhalten. Wissenschaft lebt davon, Kunst, aber auch viele psychische Krankheiten scheinen mit einem Missmanagement der Gefühle zu tun zu haben.
Das Wechselspiel zwischen Gefühlen und dem gesamten Lebensprozess umschließt nach Craik viele Faktoren, viele dabei oft unbewusst, so dass das Erkennen der Zusammenhänge in der Regel nicht einfach ist. Klassische Ethik und Moral dagegen tendieren zu Vereinfachungen, die dann sachlich unangemessen sind.

IV. DISKURS

Die vorgestellten Gedanken von Craik sind, wohlgemerkt, nur eine Art Extrakt, viele interessante Details bleiben ungesagt. Für das Anliegen des Blogs kann dies aber u.U. genügen.

Das Thema empirische Wissenschaft, Messen, Erklären usw. steht in Übereinstimmung mit dem, was bislang angenommen wurde. Craik ist sehr bemüht, die Perspektive der Introspektion zu übersteigen, da er zu Recht erkennt, dass diese allein nicht ausreicht. Zugleich sieht er sehr wohl eine gewisse Eigenständigkeit der introspektiven Dimension. Was er aber nicht leistet, das ist ein Aufweis, wie man methodisch sauber beide Dimensionen kombiniert [Anmerkung: Dass eine empirischer Herangehensweise allein die Gesamtheit des Phänomens aber auch nicht erreichen kann, dies spricht Craik nicht
an. Letztlich haben wir es hier mit einem methodischen Deadlock zu tun: Introspektion benötigt zusätzlich empirische Methoden, empirische Methoden benötigen zusätzlich sehr dringend Introspektion. Dieses methodische Problem ist bis heute nicht befriedigend gelöst.] Im Blog gab es dazu zumindest einige Versuche.

Die gezielte Nachfrage danach, wie man welche der introspektiv und im Verhalten zugänglichen Eigenschaften des Menschen mittels neuronaler Mechanismen modellieren könnte, wurde hier im Blog noch nicht diskutiert. Es gibt dazu einige Skript aus Vorlesungen, die aber bislang keinen Eingang in den Blog gefunden haben [Anmerkung: Dazu findet sich mehr in dem korrespondierenden Blog uffmm.org.4].  Die Frage
ist aber tatsächlich philosophisch relevant. Die Frage wurde vom Autor cagent bislang deswegen in diesem Blog kaum diskutiert, weil er der Frage nachging, ob und wieweit man neuronale Netze durch andere mathematisch äquivalente Mechanismen ersetzen kann um dann die Fragen nach der Substitution dann mit diesen anderen Strukturen zu untersuchen. In den letzten Jahren sind neuronale Netze so populär geworden, dass sich kaum jemand noch dafür interessiert, ob und welche alternativen Formalismen es auch tun würden und möglicherweise einfacher. Grundsätzlich ist seit langem bekannt, dass neuronalen Netze nicht mehr können als im Konzept der Turingmaschine definiert ist. Man muss also aus theoretischen Gründen keine Neuronalen Netze benutzen, wenn
sie denn nicht speziell besondere Vorteile bieten.

Die Lektüre von Craik hat allerdings dazu ermutigt, die Idee der parallelen Analyse von Verhalten, Introspektiv zugänglichem Bewusstseinsraum, sowie Physiologie des Gehirns im Körper weiter Raum zu geben, immer natürlich auch mit Blick auf evolutionäre Entwicklungen unter Einschluss der Kultur. Ferner sollte dabei die parallele Entwicklung intelligenter Maschinen mit reflektiert werden, sehr wohl in Bezugssetzung zu den biologischen Systemen.

Vor lauter Faszination durch die moderne Technik geht vielfach unter, dass die Naturwissenschaften in den letzten 10 Jahren ungeheuerlich interessante Aspekte des biologischen Lebens (und der umgebenden Welt) zutage gefördert haben, die das Bild vom Menschen im Universum eigentlich radikal verändern könnten. Obwohl die Roboter und die KI-Programme vergleichsweise simple Strukturen darstellen, die jeder intelligente Schüler verstehen könnte, wenn man es ihm denn erzählen würde, stoßen wir im biologischen Leben auf immer unfassbare Komplexitäten und Verschiebungen von Perspektiven, die eigentlich alle Aufmerksamkeit erfordern würden.

QUELLEN
[Cra43] Kenneth Craik. The Nature of Explanation. Cambridge University Press, Cambridge (UK), 1 edition, 1943.

FORTSETZUNG

Für eine Fortsetzung der Diskussion siehe HIER.

 KONTEXTE

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REDUKTIONISMUS, EMERGENZ, KREATIVITÄT, GOTT – S.A.Kauffman – Teil 6

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Letzte Änderungen: 15.April 2013, 09:30h

WARNUNG – SPEKULATIV

1. Auf den Seiten 197-229 versucht Kauffman, die Besonderheiten des Phänomens ‚Geist‘ mit den Denkmodellen der Quantenphysik zu reflektieren. Und er warnt seine Leser, dass dieses Kapitel seines Buches vermutlich die wissenschaftlich unsicherste Passage im ganzen Buch sei.(vgl.S.197, 222). Auch macht er darauf aufmerksam, dass es mit Roger Penrose schon andere gab, die Ähnliches zu denken versucht haben.
2. [Anmerkung: Wer den Beitrag über Penrose in der englischen Wikipedia liest, wird feststellen, dass Penrose und seine Partner Hameroff in ihrer Hypothesenbildung sehr weit gehen und damit eine eigenständige Diskussion auf internationaler Ebene ausgelöst haben. Im Kontext ‚Quantenphysik‘ und ‚Bewusstsein/ Geist‘ wird auch Niels Bohr erwähnt sowie Eugen Wigner. Bei letzterem ist der Zusammenhang offensichtlich; bei Planck konnte ich es noch nicht verifizieren.]

NEUROWISSENSCHAFTEN ‚KLASSISCH‘

3. Ausgangspunkt für dieses Kapitel ist die Position der Neurowissenschaftler, so wie Kauffman sie sieht: sie nehmen das Gehirn als eine Ansammlung von Neuronen, die untereinander auf biochemische Weise im nicht-quantenphysikalischen Sinne kausal verknüpft sind; dies entspricht einem geschlossenen Raum kausaler Verknüpfung, in dem es zu jedem Ereignis eine erschöpfende Ursache gibt. Das, was wir im Alltag ‚Geist‘, ‚Bewusstsein‘ (inklusive ‚freiem Willen‘) nennen, ist in diesem Modell eine Eigenschaft dieser kausalen Maschinerie. Daraus ergibt sich dann, dass das ‚Bewusstsein‘ nicht diese kausale Maschinerie beeinflusst, sondern die kausale Maschinerie erzeugt die Phänomene des Bewusstseins bzw. das Bewusstsein überhaupt. Einen freien Willen gibt es in diesem Szenario daher nicht. Dies bedeutet, dass die einzelnen Menschen nicht moralisch verantwortlich sein können für das, was sie tun.(vgl. S.197f)

KEIN ABSOLUTER KAUSALER RAUM

4. Dieses sehr einfache, deterministische Bild vorausgesetzt [Anmerkung: was selbst ohne Quantenphysik m.E. so kaum haltbar ist] spekuliert Kauffman, welche neuen Perspektiven sich ergeben würden, wenn man die quantenphysikalischen Grundlagen aller Makrophänomene ernst nehmen würde. Da der quantenphysikalische Raum grundsätzlich ‚akausal‘ ist, würden letztlich alle ’scheinbar kausalen‘ Prozesse sich in einem umfassenden ‚akausalen Rauschen‘ auflösen. Letztlich wäre gar nichts mehr ‚kausal‘. Ob daraus tatsächlich etwas ‚Konstruktives‘ folgen würde, lässt Kauffman offen, aber zumindest wäre die vereinfachende ‚Abschliessung‘ aller interessanten empirischen Phänomene in einer deterministischen Feinstruktur aufgebrochen.(vgl. S.199)
5. [Anmerkung: Dass die bloße Annahme eines akausalen quantenphysikalischen Raumes als ‚Grundlage für alles‘ in gewisser Weise noch nichts erklärt, kann man an der Tatsache erkennen, dass nahezu alles, was das menschliche Weltbild ausmacht, auf ‚Regelmäßigkeiten‘ basiert, die sich vom allgemeinen ‚Rauschen‘ abheben. Dies bedeutet, dass der akausale quantenphysikalische Raum ‚als solcher‘ von sich aus nicht automatisch Erklärungen liefert, er bietet nur einen ‚Ausgangspunkt‘ für mögliche Erklärungen ‚regelmäßiger‘ Phänomene, die wir in diesem Zusammenhang als ‚emergent‘ begreifen, d.h. als Phänomene, die im akausalen quantenphysikalischen Raum ‚gründen‘, die aber in ihrem Zusammenhang und ihrer Komplexität Eigenschaften des quantenphysikalischen Raumes sichtbar machen, die allein aus seinen ‚Bestandteilen‘ nicht so ohne weiteres abgeleitet werden können. ]

IDENTITÄTSTHEORIE UND SO

6. Kaufmann zitiert in diesem Kontext beiläufig noch die Positionen der ‚Identitätstheorie‘, des ‚Dualismus‘, den ‚radikalen Idealismus eines Berkeley, zwei Sprachphilosophen Ryle und Searl, sowie zwei neuere Philosophen Flanagan und Churchland.
7. Zentral erscheint mir seine Bemerkung, dass das Faktum der ‚Bewusstheit als solcher‘ (‚awareness itself‘) unabhängig von allen angebotenen Interpretationsmodellen das primäre Phänomen darstellt, das es zu erklären und zu gewichten gilt. Die persönliche Erfahrung jedes einzelnen ist ‚privat‘ im strengsten Sinne; niemand anderes kann sie einsehen. Und was immer wir uns an Erklärungsmodellen erarbeiten, sie alle setzen diese Privatheit des subjektiven Erlebens als primäre Basis voraus.(vgl. S.199)
8. Kauffman zitiert Descartes in diesem Kontext als jener Philosoph, der das Selbstbewusstsein in Form eines sich gewissen Denkens als primären, einzig nicht bezweifelbaren Punkt aller Erkenntnis angenommen hatte Descartes (1596-1650). In seinen weiteren Reflexionen und Analysen hatte Descartes dann die Konkretheit, Veränderlichkeit und Zufälligkeit des Körpers, der ganzen Körperwelt und der darauf aufbauenden Wahrnehmung als ontologisch verschieden zu der Klarheit, Allgemeingültigkeit und Zuverlässigkeit des Denkens zum Ausgangspunkt genommen für das Postulat, dass das Denken einer anderen Substanz als jener der veränderlichen Körperwelt zugehöre. Daraus ergab sich für ihn eine Art ‚Dualismus‘ des Veränderlichen gegenüber dem Unveränderlichen. Diese Dualismus-Hypothese brachte eine Reihe von Denkproblemen mit sich.(vgl.S.199)
9. Aufgrund der fortschreitenden Erkenntnisse, wie der Körper, speziell das Nervensystem und hier das Gehirn, funktionieren, hat sich heute vielfach die Hypothese von der ‚Identität von Gehirn und Geist‘ durchgesetzt (hier als Oberbegriff für die verschiedenen Spielarten einer Gehirn-Geist-Identätstheorie. Diese Identitätstheorie schließt die Dualismus-Hypothese von Descartes aus. Kauffman sagt, dass er diese Gehirn-Geist-Identitätstheorie übernimmt, sie aber dann mit dem quantenphysikalischen Modell vereinen möchte.(vgl.S.199) In diesem Kontext sollte man auch die klassische Neurobiologie nennen, für die Kauffman als Vertreter Christof Koch zitiert. Diese nimmt an, dass es zu allen Phänomenen des Bewusstseins entsprechende neuronale Strukturen und Prozesse gibt, die kausal verantwortlich sind für das Auftreten der bewussten Ereignisse. Im Detail stellen sich hier eine Menge von ungelösten Fragen. Auch kann man von den neurologischen Daten D_nn in keiner Weise direkt auf Phänomene (= Ereignisse des individuellen Bewusstseins) D_ph schliessen. Ein geeigneter theoretischer Rahmen fehlt. (vgl. S.202f)
10. [Anmerkung: Wie schon verschiedentlich in diesem Blog angemerkt, ist die Bezeichnung ‚Geist-Identitätstheorie‘ aus philosophischer Sicht mindestens unglücklich in der Wortwahl. Da die Neurowissenschaften empirisch Daten D_nn aus der 3.Person-Perspektive haben, Daten zum Selbstbewusstsein D_ph aber nur in der 1.Person vorliegen, haben wir zwei verschiedene Datenbereiche, die ontologisch vollständig verschieden sind (D_nn cut D_ph = 0). Hier von einer ‚Identität‘ zu reden ist sehr irreführend und sachlich falsch. Denkbar wäre, dass es zu jedem Datenbereich eine Theorie TH(D_nn), TH(D_ph) gibt (bis heute hat dies aber noch niemand geschafft), und sich zwischen den verschiedenen Theorien irgendwelche Abbildungsbeziehungen konstruieren lassen (wer wird der erste sein?). Rein formal hätten wir dann irgendwelche ‚Morphismen‘, deren ontologische Deutungen dennoch keine Identität zulassen würden. Es scheint, dass sich die Philosophen die Sache mit der Identitätstheorie etwas einfach machen. Eine solche korrigierte Formalisierung führt aber weder zurück zu einem Dualismus a la Descartes noch zu einem Idealismus a la George Berkeley (1685-1753). Dies sollte an anderer Stelle weiter diskutiert werden.]

SPRACHNAHE PHILOSOPHIE

11. Kauffman erwähnt auch noch die ’sprachnahen‘ Philosophen Gilbert Ryle (1900 – 1976) und John Searle (1932 – ), die bei ihren Analysen des Verhaltens (einschließlich Sprechens) auf eine Einbeziehung des Begriffs ‚Bewusstsein‘ verzichteten mit der Begründung, dass der Begriff ‚Bewusstsein‘ kaum klar zu fassen sei. Damit wiederholen Sie aber eigentlich nur Positionen von Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951), der die Problematik jeglicher sprachlicher Bedeutung zuvor schon in vielfältigen Analysen aufgedeckt hatte.(vgl.S.200)
12. [Anmerkung: entsprechend der allgemeinen Erkenntnistheorie, die den Überlegungen in diesem Blog zugrunde liegen, haben wir es grundsätzlich mit drei heterogenen Datenbereichen zu tun (D_nn, D_ph, D_sr (= Verhalten, 3.Person)), deren saubere Aufarbeitung und Integration in einer umfassenden Theorie bis heute nicht einmal in Ansätzen vorliegt. Es gibt ja nicht einmal Konsensus über die Besonderheit dieser drei Datenbereiche geschweige denn einen Konsens, dass und wie man damit umgehen soll. Diesen Mangel an erkenntnistheoretischem und dann auch wissenschaftstheoretischem Konsens merkt man überall auf Schritt und tritt.]
13. Kauffman erwähnt auch noch die Philosophen Paricia Smith Churchland (1943-) und Owen Flanagan (1949 – ) im Kontext der Diskussionen zur ‚Einheit des Bewusstseins‘. Während das Bewusstsein in der subjektiven Perspektive als ‚eines‘ erscheint deuten die medizinischen Befunde drauf hin, dass sich das Bewusstsein aus vielen Teilleistungen zusammensetzt, die einzeln und partiell verändert werden oder ganz ausfallen können, ohne dass deswegen das subjektive Gefühl eines ‚einzigen einen Bewusstseins‘ verschwindet.(vgl. S.200)

STARKE KI

14. Es wird dann die sogenannte ‚Starke Künstliche Intelligenz-Hypothese‘ erwähnt, die annimmt, dass bei einer genügend großen Anzahl von verknüpften rechnenden Elementen ‚ab einem bestimmten Punkt automatisch‘ ‚Selbstbewusstsein‘ entstehen würde. Als einziges hartes Argument gegen diese Hypothese führt Kauffman die die Hypothese an, dass die starke KI-Hypothese voraussetze, dass diese intelligenz ‚algorithmisch‘ sein müsse und dass nach Kauffman der ‚Geist‘ (‚mind‘) vermutlich niht algorithmisch sei.(vgl. S.201f)
15. [Anmerkung: Die Formulierung der starken KI-Hypothese (’strong artificial intelligence hypothesis‘, ’strong ai-hypothesis‘) geht zurück auf den Philsophen John Searl (s.o.) und ist alles andere als sehr klar. Nicht nur sind die verwendeten Begriffe in sich oft unscharf, sondern – wie die sehr ausufernde Diskussion zeigt – ist die ganze Problemstellung alles andere als klar. Mit einem Satz festzustellen, dass sich das Problem erledigt habe, weil klar sei, dass der ‚Geist‘ nicht algorithmisch sei, stellt daher möglicherweise eine grobe Vereinfachung dar. Abgesehen davon spring Kaufman von dem Begriff ‚Selbstbewusstsein‘ einfach zum Begriff ‚Geist‘ dabei unterstellend, dass beide Begriffe hinreichend ähnlich seien. Das aber ist eine schwierige Frage. Ich sehe keinen einfachen Zusammenhang zwischen beiden Begriffen. ]

SELBSTBEWUSSTSEIN UND QUANTENPHYSIK

16. Den nächsten sehr langen Abschnitt leitet Kauffman ein mit der Bemerkung, dass er und Penrose davon ausgehen, dass das Selbstbewusstsein (‚consciousness‘) von sehr speziellen physikalischen Bedingungen abhängt. [Anmerkung: Eine Assoziation zu Descartes kühner Arbeitshypothese, die denkende Materie (res extensa) mit der kontingenten Materie (res extensa) über die ‚Zirbeldrüse‘ verknüpft zu denken, drängt sich unwillkürlich auf. Descartes wusste nicht wirklich, was dieses ‚Selbstbwusstsein‘ mit dem ‚Ich denke‘ genau ist; es erschien ihm ‚anders‘ als die kontingente materielle Körperwelt. Um diesen logischen Bruch denkerisch zu kitten erfand Descartes die Hypothese mit der Zirbeldrüse. Niemand würde sie heute so nehmen, wie Descartes sich das gedacht hatte. Doch das Vorgehen von Kauffman an dieser Stelle wirkt ähnlich. Bislang konnte er in keiner Weise erklären, was er wirklich mit ‚Selbstbewusstsein‘ oder gar ‚Geist‘ meint. Dennoch entwickelt er eine neue Hypothese, dass bestimmte quantenphysikalische Besonderheiten die Grundlage für eben jenes Unbekannte sein könnten… Rein logisch ersetzt hier die Spekulation über die Quantenphysik den cartesischen Begriff der Zirbeldrüse ohne zu große Aussicht auf mehr Klarheit (allerdings erweitert sich der Raum möglicher Hypothesen natürlich erheblich und ich stimme Kauffman soweit zu, dass jede tatsächlich weiterführende Antwort nur unter Einbeziehung der Quantenphysik funktionieren wird). ](vgl. S.203f)
17. Das leitende ‚Motiv‘ für die Einbeziehung der Quantenphysik ist das schon zuvor mehrfach erwähnte Argument, dass der menschliche Geist (‚mind‘) ’nicht algorithmisch‘ sei, was nach Kauffman nicht impliziert, dass er völlig ‚akausal‘ (‚acausal‘) sei. [Man beachte, das er beständig zwischen den Begriffen ‚Geist‘ (‚mind‘) und ‚Selbstbewusstsein‘ (‚consciousness‘) hin und her springt obgleich beide Begriffe nach meinem Verständnis sehr verschieden sind und beide Begriffe bislang sich jeder Definition weitgehend entziehen. Man könnte stattdessen auch einfach von ‚S‘ und ‚G‘ reden, diese wechselweise vertauschen und davon sprechen, dass sie nicht algorithmisch seien. Die argumentative Luft, in der sich Kauffman hier bewegt, ist sehr dünn geworden. Daneben ist auch die Aussage, ‚G‘ bzw. ‚S‘ sei nicht algorithmisch letztlich kaum zu verstehen. Ist doch mehr oder weniger unklar, was es heißen würde, dass S-G ‚algorithmisch‘ seien (das hatte Kauffman zuvor nicht wirklich erklärt. Aber er hat dafür argumentiert, dass es nicht so sei…).] (vgl. S.204)
18. Die Einbeziehung der Quantenphysik führt zu dem generellen Paradox, dass die Quantenwelt als solche nur aus Wahrscheinlichkeitsverteilungen besteht, die als solche ‚akausal‘ sind, während die ‚reale = makroskopische‘ Welt aktuelle konkrete Instanzen präsentiert, die in bestimmten Perspektiven ‚kausale Muster‘ erkennen lassen.(vgl. S.204f) Kauffman zitiert dann Richard Feynman (1918 – 1988) mit Beispielen, die diese Eigenschaften illustrieren sollen. Der entscheidende Punkt aber ist der Übergang vom unbeschränkten Quantenzustand zu einer ‚Aktualisierung‘, bei der/ in der wichtige Quanteninformationen verlorengehen. Als Erklärungsversuch für diesen Übergang verweist Kauffman auf die Dekohärenztheorie als zur Zeit am meisten akzeptierte theoretische Beschreibung dieser Aktualisierungsphänomene.(vgl. SS.205-208)
19. Es ist genau dieses Dekohärenzphänomen was Kauffman dann aufgreift, um damit die Interaktion zwischen einem ‚quantenphysikalischen kohärentem selbstbewussten Geist (qkSG)‘ und ‚Aktualisierungen in der klassischen physikalischen Welt‘ zu interpretieren.[Anmerkung: War zuvor schon der Status der Begriffe ‚Selbstbewusstsein (S)‘ und ‚Geist (G)‘ je für sich schon unklar, wird diese Unklarheit durch die Kombination ’selbstbewusster Geist (SG)‘ (‚conscious mind‘) nicht unbedingt besser.] Auf jeden Fall ist die Einwirkung dieses qkSG auf die Materie nicht kausal. Andererseits stellt Kauffman fest, dass der Vorgang der Dekohärenz bislang kaum verstanden ist. (vgl. S.208) [Anmerkung: Damit verknüpft sich die unklare Bedeutung von SG mit der Unklarheit der postulierten Dekohärenz. ] Dann setzt Kauffman den bislang kaum fassbaren Begriff qkSG mit der ‚res cogitans‘ von Descartes gleich und die aktualisierte Materie mit der ‚res extensa‘.(vgl. S.209). [Anmerkung: Dies ist eine stimulierende Überlegung, aber wenn vor der Einführung von qkSG schon keine wirkliche Bedeutung für SG – geschweige denn qkSG – verfügbar war, dann führt uns diese Gleichsetzung auch nicht weiter. Descartes hatte keine wirkliche Definition für seine ‚res cogitans‘. Bei ihm war es eine Vermischung von phänomenalen Eigenschaften erweitert um Spekulationen über eine mögliche allgemeine (ideale) Natur des ‚Geistes‘, ein Begriff, der als solcher keine wirkliche Bedeutung besitzt. Möglicherweise könnte man in einer ‚Metatheorie‘ zur Phänomenologie ein paar allgemeinere Begriffe ‚jenseits der Phänomene‘ einführen, ihr ontologischer Status wäre aber unklar. Descartes hat dies nicht getan und ich kenne auch keinen anderen Philosophen, der dies bislang wirklich geschafft hat. Den cartesischen Begriff ‚res cogitans‘ hier zu benutzen täuscht daher eine Bedeutung vor, die es so nicht gibt.]
20. In diesem Kontext führt Kauffman auch den Begriff ‚immateriell‘ (‚immaterial‘) ein und definiert ihn als eine mögliche Eigenschaft im quantenphysikalischen Raum, die ’nicht objektiv real‘ ist. (vgl. S.209)
21. Interessant ist auch das Phänomen, dass ein kohärenter quantenphysikalischer Zustand beim Auftreten von Dekohärenz nicht aufgehoben werden muss. Es gibt Beispiele dafür, dass Dekohärenz auftreten kann und der kohärente Zustand bleibt weiter bestehen bzw. dass es Mechanismen gibt, Kohärenz/ Dekohärenz kontrolliert zu nutzen. Dazu gehören auch neuere Modelle, wie Quanten-Computer funktionieren könnten. (vgl. SS.210-214) Aufgrund eigener Untersuchungen hält Kauffman es für möglich, dass jede Zelle so strukturiert ist, dass kohärente quantenphysikalische Austauschprozesse zwischen den Proteinen möglich sind. (vgl. S.220) Das Phänomen der Qantenverknüpftheit (‚quantum entanglement‘) verweist zusätzlich auf das Phänomen, dass Quanten in beliebiger Entfernung voneinander gemeinsame Eigenschaften haben können. (vgl. S.222)

REDUKTIONISMUS ABGEMILDERT DURCH EMERGENZ

22. Kauffman stellt dann nochmals fest, dass im Falle, dass seine Überlegungen zur Quantennatur des Geistes stimmen würden, also die angenommene Verlagerung des Geistes in den Quantenraum, der über Kohärenz/ Dekohärenz mit dem makroskopischen Raum der Körper interagiert, dass diese Annahme auch eine Art ‚Reduktionismus‘ darstellen würde, einen Reduktionismus, den er zu Beginn seines Buches ja gerade bekämpft hat. Er schwächt dann aber ab, indem er darauf verweist, dass sich aus diesem Reduktionismus von Geist auf quantenphysikalische Strukturen nichts deterministisch ableiten lässt. Nahezu alle Phänomene der biologischen Evolution repräsentieren Strukturen, die sich in dieser Konkretheit aus dem vorausgesetzten quantenphysikalischen Raum nicht voraussagen lassen. (vgl. S.222f)

DIE HARTEN ARGUMENTE GEGEN DEN GEIST HARREN EINER ANTWORT

23. Abschließend zu seinem Kapitel über die Hypothese, den ’selbstbewussten Geist‘ quantenphysikalisch zu interpretieren, listet Kauffman nochmals drei zentrale philosophische Argumente gegen die Annahme eines ‚Geistes‘ als unterschieden vom Gehirn an, die beantwortet sein wollen.
24. Als erstes verweist er nochmals auf den Ephiphänomenalismus, der die geistigen Phänomene als Begleiterscheinungen einer aktiven neuronalen Maschinerie sieht, da es bislang an überzeugenden Argumenten fehlt, die erklären, wie der ‚Geist‘ (für den es als solchen keine überzeugende Beschreibung gibt), auf das Gehirn, auf den Körper einwirken kann.(vgl. S.224) Dazu gehört auch das Problem, dass es völlig unklar sei, wie ‚Geist‘ direkt auf ‚Geist‘ wirken könne ohne Einbeziehung neuronaler Prozesse. (vgl. S.224f) Kauffman verweist darauf, dass, könnte man die Hypothese einer quantenphysikalischen Interpretation eines selbstbewussten Geistes qkSG beweisen, sich diese Probleme auflösen würden, da ein qkSG auf vielfache Weise mit sich selbst interagieren könnte ohne über den Umweg neuronaler Prozesse und doch zugleich auch über Dekohärenz neuronale Prozesse beeinflussen könnte. (vgl. S.225f)
25. Als zweites Problem erwähnt Kauffman das Problem der subjektiven Erfahrung selbst, oft das Problem der Qualia (DE)/ Qualia (EN) genannt. Hier sagt Kauffman, dass es bislang völlig unklar ist, ob und wie eine quantenphysikalische Interpretation von Geist hier neue Interpretationsansätze liefern kann. [Anmerkung: Schaut man in die Wikipediastichworte – sowohl in der deutschsprachigen wie auch in der englischsprachigen Version – nach, wird man schnell feststellen können, dass die Sachlage in diesem Bereich nur als ‚verworren‘ bezeichnet werden kann.] Allerdings bemerkt Kauffman zurecht, dass wir aus der Tatsache, dass momentan noch keiner eine schlüssige Erklärung auf der Basis der Quantenphysk anbieten kann, auch nicht folgt, dass es keine gibt. Aktuell ist nicht auszuschließen, dass es später mal eine brauchbare Erklärung geben kann. (cgl. S.226f)
26. Das dritte und letzte genannte Problem ist das Phänomen des freien Willens (EN)/ freien Willens (DE). Kauffman thematisiert zunächst den Aspekt des ‚Nicht-Determiniert-Seins‘ als einer Forderung an das Gegebensein eines freien Willens. Würde die quantenphysikalische Interpretation stimmen, dann sähe er hier eine Möglichkeit, das Determinismusproblem zu lösen. Bezüglich des zweiten Aspekts der ‚moralischen Verantwortung‘ bleibt er einen Hinweis schuldig. (vgl.S.227f) [Anmerkung: Liest man sich in die Wikipediastichworte ein, so sieht man nicht nur, dass es – wie meistens – zwischen der deutschen und der englischen Version große Unterschiede gibt, sondern wie vielschichtig und damit letztlich unklar das Konzept des freien Willens ist. Generell spielt es in der Alltagskultur der westlichen Länder eine zentrale Rolle, insbesondere im Rechtssystem, aber seine philosophische Behandlung ist alles andere als zufriedenstellend.]
27. Damit ist das Ende der beiden Kapitel über den Geist erreicht. Trotz vieler kritischer Anmerkungen im Detail – eine abschließende Reflexion wird noch folgen – waren dies außerordentlich anregende Kapitel. Für Kauffman war es wichtig, zu zeigen, dass das Phänomen des ‚Selbstbewusstseins‘ [hier lässt er den Begriff ‚Geist‘ wieder mal weg] ein natürliches Phänomen ist, ein genuiner Teil der Evolution, den zu erklären, es keines ‚Schöpfergottes‘ (‚creator god‘) brauche.(vgl. S.229)
28. [Anmerkung: Seinen Schlusssatz, dass man für dies alles keine Annahme über einen ‚Schöpfergott‘ brauche, macht natürlich nur Sinn, wenn man den Begriff ‚Schöpfergott‘ in einer Weise definiert, der den bekannten naturwissenschaftlichen Daten zum evolutionären Prozess widerspricht. Dies muss aber keinesfalls so sein. Denn schon in der jüdisch-christlichen Tradition gibt es ja nicht einen einzigen, klar definierten Gottesbegriff, sondern die vielen verschiedenen Schriften der Bibel zeichnen sehr unterschiedliche Bilder. Dazu kommt, dass nirgends explizit von der Evolution die Rede ist, da ja die Menschen zu den Zeiten, als die Texte der Bibel verfasst worden sind, von all dem nichts wussten. Und die wenigen Texte, die direkt Bezug nehmen auf die Entstehung der bekannten Welt – insbesondere die beiden sogenannten ‚Schöpfungsberichte‘ zu Beginn des Buches Genesis – sind sprachlich und inhaltlich so verschieden (weil sie aus verschiedenen Zeiten von verschiedenen Autoren stammen), dass sich jede weiterreichende Interpretation auf der Basis dieser beiden Texte verbietet. Zumindest in der christlichen Tradition gibt es kein klar definiertes Bild eines Schöpfergottes, das den neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entgegen stehen würde (wobei man bedenken sollte, dass sich innerhalb der Wissenschaft die naturwissenschaftlichen Bilder von der Welt mindestens seit Galilei immer wieder und stark verändert haben. Gerade in unserer Zeit durchläuft die Wissenschaft in vielen Bereichen wieder einmal grundlegende Korrekturen, deren Ende noch gar nicht abzusehen sind). Das Wenige, was sich von einem christlichen Gottesbegriff ableiten lässt deutet eher auf eine Art ‚Koevolution von Allem‘ hin, in der dem Leben (speziell dem Menschen?) eine besondere Rolle zugedacht ist. Worin die genau besteht, ist eher unklar und muss von den Handelnden selbst schrittweise ermittelt werden (falls es überhaupt eine mögliche Klärung gibt). Ich habe nicht den Eindruck, dass sich innerhalb des Christentums irgendjemand für diese Klärung des Gesamtzusammenhangs ernsthaft interessiert. Man hört höchstens immer wieder von obskuren Abwehrschlachten von sogenannten ‚Fundamentalisten‘, die offensichtlich ihre eigene Bibel nicht kennen.]

Die Fortsetzung findet sich HIER: Teil 7.

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