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Die USA sind wieder die USA ! ? 71 Mio Realitäten. Wie heilen?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 9.November 2020
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

… WIEDER DIE USA ! ?

Als die Auszählungsergebnisse am Samstag den 7.November 2020 nach üblichen Kriterien feststanden, dass klar war, dass Joe Biden und Kamala Harris uneinholbar gewonnen haben, da brach in vielen größeren Städten spontan Jubel aus; die große Anspannung der ganzen Wahlzeit, zusätzlich verstärkt durch den langsamen Auszählungsprozess, machte sich Luft.

Im Ausland, vor allem in Deutschland [DE], wo der Stil von Präsident Trump bei sehr vielen ein anhaltendes Entsetzen ausgelöst hatte, brach auch spontan Begeisterung aus: endlich ist dieser Alptraum vorbei.

Mit dem ersten offiziellen Auftreten von Kamala Harris und Joe Biden am Samstag 7.November 2020 um 8 pm ET (hier bei uns in Deutschland war es dann schon der 8.November 2020 um 2.00h morgens) waren dann nicht nur die 74 Mio Wähler von Joe Biden und Kamala Harris ‚versöhnt‘ und begeistert, sondern auch die vielen in DE, die mit dem Stil von Trump nicht klar kamen.

Für einen Moment, in diesem emotionalen Moment mit den dazu passenden Worten der Ansprachen, konnte man den Eindruck gewinnen — speziell auch in DE –, dass die USA wieder die USA sind, wie sie vor Trump waren; schon lange nicht mehr nur der ‚weiße Ritter‘, der die Welt im zweiten Weltkrieg und danach gegen ‚das Böse‘ angeführt hatte, sondern auch mehr und mehr ein Herrschaftssystem von wenigen Machtgruppen, denen nichts mehr ‚heilig‘ erschienen, außer sie selbst, und ’sie‘ das war immer weniger große Teile der US-amerikanische Bevölkerung, sondern immer mehr einige wenige Machtgruppen, die sich ungehemmt ausleben konnten, auch gegen die eigene US-amerikanische Bevölkerung.

Der Stil des Auftretens von Biden & Harris erinnerte an die großen demokratischen Werte und Tugenden, an Dinge, an die man auch in DE gerne glaubt, und ja, man konnte für einen Moment, in diesem Moment (mich als Autor eingeschlossen) das Gefühl haben, die ‚USA sind wieder die USA‘ vor Trump…

ABER

die USA vor Trump waren schon — wie eben angedeutet — keine reine Lichtgestalt gewesen, und auch ein Präsident Obama bot Anlass für viel Kritik.

Und dann gab es und gibt es weiterhin die 71 Mio realen Bürger, die Trump gewählt haben. Was immer die Trump-Gegner sich denken, sich gedacht haben, 71 Mio reale Menschen sagen und sehen es anders.

Ein realer Bürger hat immer eine reale Meinung, die ihn ‚von innen ausfüllt‘, die zum Ausdruck bringt, wie er/sie/x die Welt ’sieht‘, nicht einfach nur Sachverhalte, wie sie sind, sondern Sachverhalte, so wie er/sie/x diese Sachverhalte sieht, eingebunden in Deutungen, in Wertungen, abgesichert durch viele starke Emotionen unterschiedlichster Art.

Solche realen Meinungen kann man in der Regel nicht ‚einfach so‘ Aus- oder Einschalten, nicht einfach so ‚ändern‘. Sie sitzen in der Regel sehr tief, sind verankert in einer konkreten Alltagserfahrung, in sozialen Beziehungen, angetrieben durch tief sitzende Ängste um das, was man das eigene Leben, die eigenen Werte nennt.

Und ‚Werte‘, ‚interpretierende Anschauungen‘, lassen sich in der Regel so gut wie gar nicht ‚einfach mal so‘ ändern. Ein überzeugter Evangelikaler, ein überzeugter orthodoxer Jude, ein überzeugter Waffenbesitzer, ein überzeugte Rassist, ein überzeugter Kapitalist, —- sie alle tragen in sich Anschauungen, die weitgehend immun sind gegen den Rest der Welt, darum sind sie so, wie sie sind. … und in diesem Punkt unterscheiden sie sich nicht von all den anderen, die andere inhaltliche Positionen vertreten, weil sie von diesen ‚überzeugt‘ sind. Die Struktur des ‚Überzeugtseins‘ ist überall die gleiche, auch wenn die Inhalte variieren können.

UNGLEICHZEITIGKEIT (?) DER VERSCHIEDENHEIT

Die meisten Menschen, die ‚überzeugt‘ sind, sind ‚Vertreter einer bestimmten Meinung‘, und diese Meinungen können sich inhaltlich unterscheiden bis hin zum scheinbaren totalen Widerspruch. Meinungen offenbaren sich oft als ‚Unterschiede‘, die erlebbar sind, die sich auswirken, die zur gleichen Zeit stattfinden, darin ihre Wirkung, ihre Kraft entfalten. Diese Gleichzeitigkeit der Unterschiede können wir als ‚ungleichzeitig‘ empfinden, als ‚zur falschen Zeit am falschen Ort‘. Aber es ist nicht die falsche Zeit, es ist nicht der falsche Ort: es ist unsere Gegenwart, ‚unsere gemeinsame Zeit‘, unser ‚gemeinsamer Ort‘. Einen anderen Ort, eine andere Zeit gibt es nicht; das war schon immer so. Und es gibt im gesamten Universum nur diese eine Erde mit diesem einen Leben, auch wenn wir so gerne erfahren würden, dass es doch woanders auch Leben gibt … das würde ein wenig den ‚Druck‘ von uns nehmen, den ‚Erwartungsdruck‘, den Gluthauch der ‚Verantwortung‘. Wenn es nur einen gemeinsamen Ort, eine gemeinsame Zeit, eine solche Erde im Universum gibt, dann sind Unterschiede kein einfacher Unfall; dann können Unterschiede eine Chance für etwas ‚gemeinsames Besseres‘ sein oder der Beginn einer wechselseitigen Zerstörung.

AMBIVALENTE TOLERANZ

Das Prinzip der Toleranz ist von daher ambivalent: es erlaubt zwar Unterschiede ohne dass diese sich vor anderen — und auch nicht vor sich selbst — ‚rechtfertigen‘ müssen, aber in diesem ‚Sich-nicht-rechtfertigen-müssen‘ liegt auch der Keim zur Verfestigung der Unterschiede in einer Weise, die dann nur noch die ‚Zerstörung des Anderen‘ zulässt. Die vielen Terroranschläge in dieser Welt, die vielen Unterdrückungskriege, die Gleichschaltung von Medien, die Unterdrückung von Meinungsfreiheit usw. dies alles sind ja keine Zufälle sondern die Auswirkungen von konkreten realen Anschauungen, die sich in konkreten realen Menschen ‚gebildet‘ haben und die diese Menschen real beherrschen. Zwar ist jeder Mensch bis zu einem gewissen Grad Gefangener seiner aktuellen Anschauungen, aber grundsätzlich können Menschen dazu lernen, sie besitzen die grundlegende Fähigkeit, bestehende Anschauungen zu ändern, wenn sie sich als ungünstig oder gar falsch erweisen. Wenn aber diese grundlegende Lernfähigkeit so stark verkümmert, dass Lernen gar nicht mehr stattfindet bzw. ein Mensch sich so in seine aktuellen Anschauungen ‚eingräbt‘, dass Lernen auch nicht mehr stattfinden kann, dann wird es letztlich unmöglich, mit solch einem Menschen in einer ‚offenen Weise‘ zu reden. Alles, was dazu führen könnte, die eigene Meinung zu ‚ändern‘ ist dann ‚vermint‘, so dass mögliche Fragen an die eigene Überzeugung im Kopf, mental, kognitive, emotional abgeblockt sind. Es gibt nicht nur die ‚falsch programmierten Roboter‘ in der Science Fiction Literatur; es gibt schon immer auch die mental und emotional fixierten Menschen, die ihre grundlegende Fähigkeit zum realen Lernen verloren haben. Ja, wir Menschen können irren, wir können unsere Fähigkeit zum Lernen verlieren, und wir behalten trotzdem unsere anderen Fähigkeiten wie z.B. zu töten, andere zu verfolgen, zu foltern, ganz und gar auszulöschen. Ein tief liegender Mechanismus, der in uns als Tendenz angelegt zu sein scheint.

NICHT NUR DIE USA

Die Realität der anderen Menschen mit ihren realen anderen Meinungen und ihrer geringen bis scheinbar völlig abwesenden Fähigkeit, miteinander ‚offen‘ reden zu können, erscheint nicht nur in den USA mit 71 Mio : 74 Mio real in Frage gestellt. Wir finden diese schroffen Gegenüberstellungen in immer mehr Ländern, auch in DE!

Laut Verfassung gilt in der DE Toleranz, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit usw., die Würde des Menschen sei unantastbar, aber dieser ‚formale Rahmen‘ wird starken Belastungsproben ausgesetzt, wenn diese Toleranz Meinungen erduldet, die in sich nicht tolerant sind, die in sich die ‚Würde des Menschen‘ in einer Weise interpretieren, wo man nicht mehr weiß, worin denn jetzt die Würde bestehen soll.

DIE ‚NATUR‘ DES MENSCHEN

Diese wechselseitigen In-Frage-Stellungen sind keine Panne, kein Betriebsunfall, sondern sie sind im Wesen der menschlichen Freiheit und der Fähigkeit zum Lernen angelegt: wir können nicht nur — um zu überleben — neue Weltbilder ausbilden, wir können uns auch in diesen Unterschieden verhakeln, verstricken, uns darin fesseln und darin verirren. Das Geschenk der Freiheit liefert keine definitive Betriebsanleitung mit, wie wir unsere Freiheit in jeder Epoche neu justieren sollen. Die Kunst ‚gemeinsam Freiheit zum Wohle aller‘ nutzen zu können muss selbst gelernt werden, immer wieder, neu. Eine ‚Kultur der Wahrheit‘ kann helfen, ist vielleicht sogar grundlegend notwendig, aber eine solche ‚Kultur der Wahrheit‘ ist ein fragiles Gebilde: entweder machen alle mit oder sie löst sich schlicht auf; dann ist sie einfach weg, und alleine hat noch nie irgend jemand ‚wahr‘ leben können.

Ein einzelner Mensch existiert nur, weil unser Körper aus einer unfassbar großen Zahl an einzelnen Zellen besteht (so ungefähr 120 Galaxien im Format der Milchstraße mit Zellen statt Sonnen), die in jeder Sekunde quasi ‚lautlos‘ kooperieren mit einer vergleichsweise geringen Energieaufnahme und wenig Abfall …. Es hat 3.5 Milliarden Jahre gedauert, bis diese Zellen diese unfassbare Leistung gelernt haben. Wie viele Jahre werden wir als Menschen (homo sapiens) brauchen, um miteinander in Freiheit, Wahrheit und gemeinsamer Solidarität so leben zu können, dass wir uns gemeinsam ‚Zukunftsfest‘ (nachhaltig, resilient, …) machen können?

SIE WOLLEN HEILEN …

Biden & Harris haben mehrfach gesagt, sie wollen die Spaltungen nicht vertiefen, sondern sie wollen ‚heilen‘. Auch bei uns wollen die, die es ‚gut meinen‘, die anderen ‚heilen‘. Aber was kann ‚heilen‘ bedeuten? Wenn die jeweils anderen ihren Standpunkt nicht ändern wollen — warum sollten sie? –, was tut dann der ‚Heiler‘? In früheren Zeit haben die einen, die stärker waren, die anderen einfach ‚abgeschlachtet‘ oder so unter Kontrolle genommen — kolonisiert –, dass sie ihre Andersheit nicht mehr voll ausleben konnten.

Haben wir mittlerweile irgend etwas gelernt, was anders ist? Bei 71:74 wäre es gut, wenn es Wege geben würde, die alle mitnehmen, auch bei uns in DE.

Die Würde des Menschen liegt nicht als Industriestandard vor. Jede Zeit muss neu bestimmen, was sie sich darunter real vorstellen will. Ein Verfassungsgericht kann nur handeln, wenn klar ist, was die aktuelle Zeit weiß, was sie sich darunter vorstellt, andernfalls besteht die Gefahr, dass auch die Richter ‚willkürlich‘ handeln …

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DIE UNIVERSELLE KONFERENZ DER GOTTSUCHER – Oder die, die …. — Kurznotiz

1. Manchmal fragt mich jemand: ‚Glaubst Du an Gott?‘, und ich sage dann: ‚Wenn du mir erklären kannst, was Du unter ‚Gott‘ verstehst, kann ich Dir vielleicht sagen, ob ich an das glaube, was Du unter Gott verstehst oder nicht‘.

2. Nimmt man ernst, was man um sich herum sieht, dann gibt es ganz viele verschiedene Religionsgemeinschaften: viele Spielarten von Christen, viele Spielarten von Muslimen, viele Spielarten von Juden, viele Spielarten von Buddhisten, viele Spielarten von Hinduisten, viele Spielarten von ….

3. Ernsthafte Mitglieder dieser religiösen Gemeinschaften behaupten alle, an ‚Gott‘ zu glauben und sie versuchen ihr tägliches Lebens mehr oder weniger so zu gestalten, wie ihr Glaube an das, was sie selbst sich unter ‚Gott‘ vorstellen, es nahelegt.

4. Diese Religionen gibt es z.T. schon 2.500 bis 3.000 — oder mehr – Jahre. Das ist nicht ganz kurz …. Was auffällt ist, dass die offiziellen Vertreter dieser religiösen Gemeinschaften in der Vergangenheit noch niemals ernsthaft versucht haben, sich alle an einem Ort zu versammeln, um herauszufinden, worin denn möglicherweise die Gemeinsamkeit ihres Gottesglaubens besteht. Alle verhalten sich so, dass nur gerade sie selbst das ‚wahr Wissen‘ von Gott hätten und alle anderen unterschiedlich stark ‚verirrt‘ sind. In der menschenfreundlichen Variante ‚verzeiht‘ man den anderen ihren Irrtum und hofft darauf, dass die anderen ihren Irrtum eines Tages ‚einsehen‘ und sich dem ‚wahren Glauben‘ zuwenden. In der menschenunfreundlichen Variante erklärt man die ‚Anderen‘ zu ‚Verrätern‘, zu ‚Gefallenen‘, zu ‚Feinden‘, zu ‚Ungläubigen‘, die man bestrafen muss bis hin zur körperlichen Ausrottung.

5. Wenn das mit ‚Gott‘ Gemeinte wirklich so wichtig ist, wie die verschiedenen Vertretern der Religionen offiziell behaupten, dann verwundert es, warum keiner ernsthaft und aufrichtig die Frage stellt, wie Menschen denn überhaupt feststellen können, ob ein bestimmter Glaube an einen Gott ‚zutreffend’/ ‚wahr‘ ist oder nicht. Wenn man sieht, mit wie viel wissenschaftlichem Aufwand die Menschheit seit ca. 500 Jahren das innere der Natur und die Tiefen des Weltalls erforscht (mit atemberaubenden neuen Einsichten), dann überrascht es doch sehr, wie wenig die offiziellen Vertreter der vielen Religionen tun, um die Einsichtigkeit, die Verstehbarkeit, das Zutreffen ihren jeweiligen Gottesglaubens aufzuhellen.

6. Was tun die verschiedenen Vertreter der verschiedenen Religionen, wenn sie für ‚ihren Glauben‘ ‚werben’/ ‚missionieren‘? Wieweit hat der einzelne Umworbene eine reelle Chance, sich selbständig ein Urteil, eine Meinung zu bilden, frei, ohne psychologische Manipulationen?

7. Warum ist es so unmöglich, dass alle Religionen gemeinsam der Frage nachgehen, was an ihrem jeweiligen Glauben an Gott ‚gemeinsam‘ ist, ‚allen Menschen zugänglich‘, von ‚allen Menschen erfahrbar‘, von ‚allen Menschen verstehbar‘?

8. Die vielen sogenannten religiösen Konflikte in der Vergangenheit hatten sehr oft (meistens? immer) auch mit ‚Macht‘ zu tun, mit ‚Vorherrschaften‘, ‚Gebietsansprüchen‘, ‚wirtschaftlichen Vorteilen‘ und dafür war es wichtig, dass Religion nicht zu ‚empirisch‘, nicht zu ‚individuell‘, nicht zu ‚wahr‘ war, sondern zu Ritualen erstarrt waren, leicht indoktrinierbar und manipulierbar, so dass die Menschen nicht aus eigenem Urteil handelten, sondern als gelenkte Masse, die den steuernden Eliten Macht, Reichtum und (zweifelhafte) Ehre verschafften.

9. Im Kontrast dazu waren religiöse Menschen wie Buddha oder Jesus von Nazareth friedlich, menschenliebend, ohne einen Machtapparat, ohne Aufbau einer Organisation, ohne Unterwerfungsrituale, ohne Bevorzugung bestimmter Menschen, ohne Verurteilung anderer usw.

10. Nochmals, es fällt auf, wie extrem unkritisch offizielle Vertreter von Religionen sich selbst gegenüber sind. Obwohl wir seit Jahrhunderten immer besser verstehen, wie unser Wissen funktioniert, wie leicht und vielfältig jeder Mensch irren kann, wie oft große Irrtümer in die Welt kamen, weil bestimmte Meinungen lange nicht richtig überprüft wurden, ist nicht zu erkennen, dass die offiziellen Repräsentanten der großen Religionen ernsthaft vorstellen können, dass sie ‚irren‘ könnten. Diese Möglichkeit wird von vornherein kategorisch ausgeschlossen, obwohl nichts sicherer ist als dieses, dass jeder Mensch irren kann und sich auch im Laufe seines Lebens sehr oft irrt. In gewisser Weise ist ’sich Irren‘ auch eine Voraussetzung, um zu einem tieferen Verständnis zu kommen, vorausgesetzt, man erkennt seinen Irrtum.

11. Würden die offiziellen Vertreter von Religionen grundsätzlich einräumen, dass auch sie irren können, dann müssten sie ein großes Interesse daran haben, sich mit den anderen Religionen darüber auszutauschen, was denn die gemeinsamen Glaubensinhalte sind, wie sie erkennbar sind, wie sie verstehbar sind, wie sie gegen Missdeutungen geschützt werden können, und wie man sie heute in einer veränderten und sich beständig weiter veränderten Welt leben sollte. Und die religiösen Vertreter würden nicht nur ‚unter sich‘ darüber reden, sondern ‚mit allen‘, da jeder Mensch dazu wertvolle Beiträge liefern könnte.

12. Aktuell erwecken alle größeren Religionen eher den Eindruck, dass Hass, blinde Ideologien, Sprachlosigkeit (und große Unwissenheiten) die Gemüter beherrschen und dass die Sache mit Gott – sollte es ihn geben – irgendwo im Hintergrund vor sich hinwest; niemand scheint ein ernsthaftes Interesse an der ‚Sache Gottes‘ in dieser Welt zu haben. Der Umfang und die Bedenkenlosigkeit, mit der gegenwärtig in so vielen Ländern dieser unserer Welt Menschen gequält, verfolgt, unterdrückt, gegängelt, gefoltert und getötet werden, ist beispiellos. Wenn dies alles aus dem ‚Gottesglauben‘ der aktiven Menschenschänder folgt, dann brauchen wir diesen Gottesglauben eher nicht. Er hat auch nicht im entferntesten irgendetwas mit dem ‚Gott‘ zu tun, an den ich glaube, und von dem ich weiß, dass er alles erfüllt – sofern sich Menschen nicht explizit gegen sich selbst und gegen die Welt stellen, die sie hervorgebracht hat. Darin liegt eine tiefe Paradoxie: an der Stelle, wo das Leben in diesem Kosmos eine Form angenommen hat (homo sapiens), die sich sogar explizit gegen sich selbst wenden kann und sich dadurch – im positiven Fall – in einer bislang nie dagewesenen Eigenständigkeit ‚für etwas‘ entscheiden kann, an dieser Stelle finden wir nicht nur ’neues Licht‘ sondern auch viel ’neuen Schatten‘.

13. Mit der neuen Qualität des ‚eigenen Entscheidens‘ gewinnt das ‚mögliche Böse‘ in dieser unserer Welt eine ganz neue Wirklichkeit: diese neue Form der Freiheit — realisiert im hom sapiens — erlaubt es dem homo sapiens, sich auf der ganzen Breite gegen sich selbst, gegen das Leben im Universum, gegen das ganze Universum, und damit sogar gegen einen möglichen Gott zu wenden. Das ist potentiell das ‚totale Böse‘; die ‚Erfindung des Teufels‘ ist hier nur eine geschickte Ablenkung, eine billige Entschuldigung dafür, dass wir selbst genau das Böse verkörpern können, wenn wir unsere Grenzen, Schwächen und Fehler systematisch verleugnen.

14. Vor diesem Hintergrund ist die scheinbare Zunahme von religiösen Bewegung sehr zwiespältig: solange diese religiösen Bewegungen nicht wirklich wahrheitsfähig sind, ist mit Ihnen Intoleranz und eine ewige Menschen- und Lebens-verachtende Blutspur vorprogrammiert. Wer ernsthaft ‚wahrheitsunfähig‘ ist, der kann nur mit Verdrehungen und Lügen leben.

15. Die Deklaration der Menschenrechte 1948 und Gesellschaftsformen, die auf solchen Menschenrechten gründen, sind ein Lichtblick in der Geschichte des Lebens auf dieser unserer Erde (ohne dass damit schon die ‚perfekte‘ Form menschlicher Gesellschaften gefunden sein muss); die heute existierenden Religionen geben dagegen wenig Anlass, zu glauben, dass sie die tieferen Wahrheiten, die in und hinter den Menschenrechten stehen, auch nur ansatzweise verstanden hätten. Zumindest gibt es genügend offizielle Vertreter sowohl bei den Juden wie auch bei den Muslimen wie auch bei den Christen wie auch bei den …, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Wie soll man dies deuten?

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