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KOLLEKTIVE MENSCH:MASCHINE INTELLIGENZ und das Konzept ‚Social Machines‘

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 2.-5.Dezember 2021, 13:12h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

Der Autor dieses Textes ist involviert in die Ausarbeitung zur Theorie und zur praktischen Umsetzung eines neuen Konzeptes von ‚Kollektiver Mensch:Maschine Intelligenz‘, das unter dem Begriff ‚oksimo Paradigma‘ vorgestellt und diskutiert wird.[1] In diesem Zusammenhang ist es wichtig, den eigenen Standpunkt immer wieder mit anderen Positionen in der Literatur abzugleichen: Ist das Ganze letztlich doch nicht wirklich ‚Neu‘? Falls doch, in welchem Sinne neu? Interessant sind auch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Konzepten, ihre historische Entwicklung.

In einer online-Veranstaltung am 30.November 2021 bekam der Autor von Jörn Lamla den Hinweis auf den Artikel ‚Social Machines‘. [2] Wie man in dem kurzen aber prägnanten Artikel in der englischen Wikipedia nachlesen kann [3], ist der Begriff ‚Social Machine‘ (‚Soziale Maschine‘) schon gut 150 Jahre alt, zeigt aber noch keine sehr klaren Konturen. Der Versuch, das ‚Soziale‘ mit der ‚Technologie‘, mit ‚Maschinen‘ — hier sind vernetzte Computer gemeint, letztlich der ‚Cyberspace‘ — begrifflich zu vernetzen, drängt sich auf, ist für Gesellschaftswissenschaften verführerisch, führt aber nicht automatisch zu präzisen Konzepten. Weder ‚das Soziale‘ noch ‚die Maschine‘ sind Begriffe, die aus sich heraus irgendwie klar sind. Umso gespannter kann man sein, was die Autoren meinen, wenn sie zum begrifflichen Konstrukt ‚Soziale Maschine‘ einen Text schreiben.

SOZIALE MASCHINEN

Im weiteren Text bekennen sich die Autoren zu der schwer fassbaren Semantik des Begriffs ‚Soziale Maschine‘, indem sie diverse Beispiele aus der Literatur zitieren, die ein viel schillerndes Bild bietet. Um für ihre Diskussion einen irgendwie gearteten begrifflichen Referenzpunkt zu gewinnen, führen sie dann ihrerseits eine ‚Definition‘ von ‚Sozialer Maschine‘ ein (ohne sich allerdings der Mühe zu unterziehen, die Vielfalt der bisherigen Positionen tatsächlich im einzelnen zu diskutieren).

Def 1: Social Machines

Ihre Definition lautet: „Social Machines sind soziotechnische Systeme, in denen die Prozesse sozialer Interaktion hybrid zwischen menschlichen und maschinellen Akteuren ablaufen und teilweise algorithmisiert sind.“

An dieser Stelle ist es eine offene Frage, ob diese Definition eine ‚adäquate Repräsentation‘ des vorausgehenden Diskurses zu Sozialen Maschinen darstellt, oder ob es sich nur um eine spezielle Setzung der Autoren handelt, deren Begründung nicht schlüssig aus dem bisherigen Diskurszusammenhang folgt.

Liest man die Definition der Autoren, dann fallen u.a. folgende Formulierungen auf: (i) dass die ‚Prozesse sozialer Interaktion‚ ‚hybrid‚ sein sollen; (ii) dass diese Prozesse zwischen ‚menschlichen und maschinellen Akteuren‚ ablaufen sollen, und (iii) dass diese ‚ teilweise algorithmisiert‚ sein sollen.

Hybrides Handeln

Angesichts des großen Bedeutungsspektrums des Ausdrucks ’soziale Interaktion‘ in der Literatur (dazu oft sehr theorieabhängig genutzt) ist an dieser Stelle nicht ganz klar, was mit sozialer Interaktion‘ gemeint sein soll. Dazu der Ausdruck ‚hybrid‘. Ab wann sind menschliche Handlungen hybrid? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘ wenn er Werkzeuge benutzt? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er die Gegebenheiten der Natur nutzt, um Nahrung zu finden oder zu produzieren? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er andere Menschen ‚instrumentalisiert‘, um persönliche Ziele zu erreichen? Handelt ein Mensch ‚hybrid‘, wenn er eine Sprache benutzt, die er in einer Gesellschaft als Instrument der Kommunikation vorfindet? Warum sollte die Benutzung einer Maschine eine besondere Form von ‚hybridem Handeln‘ darstellen, wenn die Nutzung der Maschine für den ‚Inhalt der Aktion‘ ‚unwesentlich‘ ist?

Für die weitere Diskussion sei hier daher die Verabredung getroffen, dass immer dann, wenn ein Mensch in seiner Interaktion mit der Welt irgendwelche Umstände so benutzt, dass dieses Handeln ohne diese Bezugnahme nicht erklärbar wäre, von einer ‚allgemein hybriden Handlung‘ gesprochen werden soll. Da jede Interaktion mit der Umgebung ‚als Interaktion‘ in diesem Sinne ‚allgemein hybrid‘ ist, sagt der Ausdruck ‚allgemein hybrid‘ nicht allzu viel, außer, das er uns bewusst machen kann, dass wir im Handeln niemals nur ‚für uns‘ handeln, niemals nur ‚isoliert, autonom‘ handeln, sondern wir uns unausweichlich in einer ‚Wechselwirkung‘ mit ‚etwas anderem‘ befinden. Und dies liegt nicht am ‚Handeln als solchem‘ sondern in der Art und Weise, wie jegliches Handeln von Homo sapiens Exemplaren in der ‚inneren Struktur‘ eines Homo sapiens ‚verankert‘ ist.

Die Benutzung vieler Computerdienste (maschinelle Dienstleistungen) sind in diesem Sinne zwar ‚allgemein hybrid‘ insoweit ein Mensch zusätzliche Mittel für sein Handeln benutzt, aber ob man den die maschinelle Dienstleistung benutzt oder nicht, muss nicht notwendigerweise einen wesentlichen Einfluss auf den ‚Inhalt des Handelns‘ haben (außer dass diese Benutzung das Handeln ‚bequemer‘ oder ’schneller‘ oder … macht). Wenn die Autoren also die Bedeutung von ‚hybrid‘ in diesem Zusammenhang so betonen, stellt sich die Frage, was denn in dieser Interaktion so ‚besonders‘, so ’speziell‘ sein soll, dass es sich lohnt, dies hervor zu heben. Allein die Einbeziehung von ‚etwas anderem‘ in das menschliche Handeln geschieht seitdem es den Homo sapiens gibt, tatsächlich sogar schon viel länger, wenn man die evolutionäre Vorgeschichte des Homo sapiens berücksichtigt. Selbst unter Prä-Homo sapiens Lebensformen, die heute leben, ist ‚allgemein hybrides‘ Handeln verbreitet.

Menschliche und Maschinelle Akteure

Es fragt sich, ob mit der Konkretisierung des ‚technischen Anteils‘ im Ausdruck ’soziotechnische Systeme‘ zu ‚Maschinen‘ etwas gewonnen wird? Gibt es technische Systeme, die keine Maschinen sind? Was ist mit hochentwickelten Landwirtschaften, wie sie sich in der Zeit islamischer Besetzung in Spanien um und vor +1000 fanden: komplexe Bewässerungssysteme, komplexe Architektur, komplexe Organisationsformen machten aus Spanien eine blühende und fruchtbare Landschaft. Ist das auch Technologie, und dann sogar im eminenten Sinne soziotechnisch‘? Was ist mit den großartigen Bibliotheken in der Hochblüte des Islams mit vielen hundert Tausend Büchern? Was ist mit der Seeschifffahrt durch die letzten Jahrtausende, die Städte, den Bauwerken, den Straßen und Brücken, den … ? Der Begriff ‚technisches System‘ ist nicht besonders klar, genauso wenig der Begriff ‚Maschine‘. Wie ein kurzer Blick in die englische Wikipedia zeigt [8], hat der Begriff eine lange Geschichte mit einem starken Bedeutungswandel, der die Spuren vielfältiger kultureller Entwicklungen in sich aufgenommen hat. Welche Typen von Maschinen meinen die Autoren?

Durch die Kombination von ‚Maschine‘ und ‚Akteur‘ kommt auf jeden Fall eine besondere Note ins Spiel, da der Begriff des ‚Akteurs‘ — in sich auch nicht klar definiert! — die unscharfe Vorstellung assoziiert, dass damit ein ‚System‘ gemeint sein könnte, das ‚(selbständig?) handeln‘ kann — was immer genau ‚(selbständig) handeln‘ heißen mag –.

Im Englischen meint ‚Akteur‘ als ‚actor‘ schlicht Menschen, die als Schauspieler in einem Stück handeln [9]. Sie handeln aber tatsächlich nur partiell ’selbständig, aus sich heraus‘, insofern sie das vorgegebene Drehbuch zwar in den groben Linien ’nachspielen‘, im Detail der Rolle aber mit ihrem realen Verhalten diese Rolle ‚modifizieren‘ können; in der Art und Weise dieses ‚Modifizierens einer Rolle‘ meinen viele erkennen zu können, ob es sich um einen ‚großen Schauspieler‘ handelt.

In neueren technischen Kontexten gibt es viele Standards, u.a. auch UML (Unified Modeling Language). [10] In UML wird für den Bereich der Programmierung das Zusammenspiel, die Interaktion verschiedener ‚Rollen‘ in einem Interaktionsfeld strukturiert beschrieben. ‚Akteure‘ (‚actors‘) sind dann jene abgrenzbare Größen, die Ereignisse aus der Umgebung (Input) aufnehmen, wie auch auf die Umgebung durch Reaktionen (Output) reagieren können.[11]

Viele andere sprachliche Verwendungszusammhänge mit dem Begriff ‚Akteur‘ sind bekannt. Die Autoren bieten dazu keine Erläuterungen, weder für die Frage, warum sie den allgemeinen Begriff des ‚technischen Systems‘ auf ‚Maschinen als Akteure‘ einschränken noch, welche Art von ‚Akteuren‘ sie genau meinen.

Teilweise Algorithmisiert

Der heutige Begriff des ‚Algorithmus‘ im Kontext von programmierbaren Maschinen [12] hat eine lange Vorgeschichte im Kontext der Mathematik (von heute aus ca. 4.500 Jahre rückwärts), wird aber seit der Verfügbarkeit von real programmierbaren Maschinen (‚Computern‘) seit ca. 1930 vornehmlich für jene Befehlslisten verwendet, mit denen programmierbare Maschinen gesteuert werden.[13] Der Ausdruck der Autoren, dass ’soziale Interaktionen‘ ‚teilweise algorithmisiert‘ sind, wirft von daher mindestens eine Frage auf: Was an einer sozialen Interaktion soll algorithmisiert‘ sein, wenn doch nach allgemeinem Verständnis nur programmierbare Maschinen von einem Algorithmus gesteuert werden können?

Nehmen wir an, dass hier soziotechnische Systeme gemeint sind, die — vereinfachend — aus Akteuren bestehen, die sowohl biologische und nicht-biologische Systeme sein können. Im angenommenen Fall sind diese Akteure auf der einen Seite weiter spezialisiert zu ‚biologischen System‘, die ‚Homo sapiens Exemplare‘ darstellen, und auf der anderen Seite ‚programmierbare Maschinen‘. Von den programmierbaren Maschinen ist bekannt, dass sie — per Definition — über ein ‚Programm‘ verfügen können, das die Eigenschaften eines ‚Algorithmus‘ besitzt. In einer ‚Interaktion‘ zwischen Homo sapiens Akteuren und programmierbaren Maschinen würden — Annahme — die Homo sapiens Akteure so handeln, wie sie immer handeln: Bezugnehmend auf ihre Wahrnehmung der Umgebung würden sie auf der Basis der bis dahin erworbenen Erfahrungen und aktuellen Motivationslagen auf diese Umgebung reagieren; dieses ‚Muster‘ von ‚Wahrnehmung + innere Zustände + Reagieren‘ würde dann einen groben Rahmen für den Begriff einer ‚Handlung‘ zur Verfügung stellen, die bezogen auf eine Situation mit einem anderen Akteur als ‚Gegenüber‘ dann als ‚Interaktion‘ bezeichnet werden könnte. [14] Jede Art von ‚Interaktion‘ in dieser Sicht wäre ‚allgemein hybrid‘, sofern das ‚Gegenüber‘ zu einem Homo sapiens Exemplar nicht wieder ein anderes Homo sapiens Exemplar wäre, also allgemein ‚kein biologisches System‘! Insofern ‚programmierbare Maschinen‘ sehr spezielle Formen von Maschinen — und generell von technischen Systemen — darstellen, die in er ‚Rolle eines Akteurs‘ auftreten können, hätten wir das Muster einer ‚allgemein hybriden‘ Interaktion, die sich zunächst nicht von irgendwelchen anderen Interaktionen des Homo sapiens Exemplars mit irgendwelchen nicht-biologischen Systemen unterscheidet.

An dieser Stelle könnte man dann die Frage stellen, ob und wie die Interaktion eines Homo sapiens Exemplars mit einer programmierbaren Maschine irgendwelche Besonderheiten aufweisen kann verglichen mit einer ‚allgemein hybriden Interaktion‘?

Nach diesen ersten Fragen an die Autoren hier die Interpretation, die die Autoren selbst zu ihrer Definition geben.

Def. 2: Soziotechnisches System

Interessant ist die Formulierung „… verstehen wir unter einem soziotechnischen System ein komplexes Gefüge, welches Menschen, Hard- und Software, organisationale und soziale Prozesse für gegebene Aufgaben oder Ziele miteinander interagieren lässt.“

Das zuvor ermittelte Schema von zwei Akteuren unterschiedlicher Art (biologisch und nicht-biologisch, im letzteren Fall ‚programmierbare Maschinen‘), wird hier in einem Bündel von vier Faktoren gesehen: (i) Menschen, (ii) Hard- und Software, (iii) ‚organisationale und soziale Prozesse‘, sowie (iv) ‚Aufgaben und Ziele‘. Diese vier Faktoren sind dynamisch so verknüpft, dass es ‚Aufgaben und Ziele‘ sind, bezogen auf diese die anderen drei Faktoren in Wechselwirkungen treten. Normalerweise würde man annehmen, dass es die Interaktionen von ‚Menschen‘ einerseits und ‚Hard- und Software‘ andererseits sind, durch die ‚Prozesse‘ stattfinden. In der Formulierung der Autoren liest es sich aber so, als ob ‚organisationale und soziale Prozesse‘ einen eigenständigen Faktor neben ‚Menschen‘ und ‚Hard- und Software‘ bilden, und zwar so, dass alle drei Faktoren interagieren. Also, ein ‚Prozess‘ interagiert mit einem Menschen oder einer Hard- und Software und umgekehrt. Eine sehr ungewöhnliche Vorstellung.

In einem sehr verbreiteten Verständnis von ‚Prozess‘ [15] ist ein Prozess eine Serie von Aktivitäten, die ineinandergreifen, um ein ‚Ergebnis‘ zu produzieren. Je nach Kontext (Disziplin, Anwendungsbereich) können die Aktivitäten sehr unterschiedlich aussehen, ebenso das erzielte Ergebnis.[15] Ergänzend ist es ein verbreitetes Verständnis von ‚Aktion’/’Aktivität‘, dass es sich um ein Ereignis handelt, das von einem ‚Agenten’/ ‚Akteur‘ für eine bestimmte ‚Absicht’/ ‚Ziel‘ herbeigeführt wird, das ‚in‘ dem handelnden Akteur ‚verankert‘ ist. [16]

In diesem Verständnishorizont sind es also Agenten/ Akteure, die unter dem Einfluss von Zielen bestimmte Ereignisse erzeugen — als handeln, indem sie Aktionen ausführen –, die zusammen genommen als ein ‚Prozess‘ verstanden werden können. In diesem Sinne sind ‚Prozesse‚ keine ’normalen Objekte‘ der realen Welt sondern begriffliche Konstrukte, die sich in den Köpfen von Akteuren bilden können, um eine Folge von konkreten Ereignissen — stark abstrahierend — als einen ‚Prozess‘ zu verstehen. Von einem ‚Prozess‘ zu sprechen verlangt daher von den Beteiligten, sich jeweils darüber zu vergewissern, welche Abfolge von Ereignissen (Handlungen) zum aktuellen Begriff eines Prozesses gehören sollen.

Bemerkenswert ist auch, dass die Ziele — die intendierten Ergebnisse — ebenfalls nicht als ’normale Objekte‘ vorkommen, sondern primär ‚in den Akteuren‘ verankert sind, und es eine der schwierigsten Aufgaben in jedem Prozess ist, zwischen allen beteiligten Akteuren zu klären, was man unter dem ‚gemeinsamen‘ Ziel — eventuell individuell ganz unterschiedlich gedacht — so zu verstehen hat, dass es zwischen allen Beteiligten ‚klar genug‘ ist. [17] Da Ziele keine realen Objekte sind, sondern immer nur ‚innere Objekte‘ der Akteure, ist eine vollständige Klärung der ‚gemeinten Bedeutung‘ generell nur annäherungsweise über aufzeigbare Beispiele möglich.

Versucht man der Intention der Autoren zu folgen, dann wären Prozesse Entitäten, die mit Menschen und/oder Hard- und Software interagieren können. Hierin klingt irgendwie an, als ob Prozesse soziale Realitäten sind, die als solche greifbar sind und mit denen Menschen interagieren können so wie mit anderen Gegebenheiten. Da die Autoren den Begriff der ‚Interaktion‘ bzw. der ‚Aktion‘ bislang nicht geklärt haben, bleibt der Versuch des Verstehens an dieser Stelle ‚mit sich alleine‘.

Im Lichte eines verbreiteten Verständnisses sind Prozesse höchstens in einem sehr abstrakten Sinne ’soziale Realitäten‘, die mit Menschen sowie Hard- und Software ‚interagieren‘. Nehmen wir z.B. einen beliebigen Planungsprozess in einer Firma oder einer Behörde. Ein Chef kann z.B. einen Mitarbeiter davon in Kenntnis setzen, dass er ab morgen in dem Planungsprozess Px mitarbeiten soll. Damit wird der Mitarbeiter Mitglied der Projektgruppe PGx zum Planungsprozess Px. Als Mitglied der Projektgruppe startet für das neue Mitglied ein Kommunikationsprozess, innerhalb dessen er sich ein ‚inneres Bild‘ von dem Projekt und seinen Aufgaben machen kann. In dem Maße, wie der Mitarbeiter aufgrund seines ‚inneren Bildes‘ versteht, was genau seine Aufgaben mitsamt einem spezifischen Aufgabenumfeld sind, kann der Mitarbeiter anfangen, ‚etwas zu tun‘, d.h. er kann ‚gezielt Handlungen vornehmen‘. Im ‚Stattfinden‘ seiner Handlungen und durch die möglichen ‚erfahrbaren Resultaten‘ können die anderen Mitglieder der Projektgruppe ‚wahrnehmen‘, was der neue Mitarbeiter tut und sie können die neuen ‚Wahrnehmungen‘ mit ihrem ‚inneren Bild des Projektes‘ ‚abgleichen‘: passen die Handlungen und Ergebnisse des neuen Mitarbeiters zu ‚ihrem inneren Bild‘ des Prozesses?

Im Lichte dieses Beispiels würde das Konzept einer ‚Interaktion zwischen Menschen und einem Prozess‘ letztlich zurück übersetzt werden müssen zu einer ‚Interaktion zwischen Menschen‘, da ein Prozess niemals als solcher als ein ‚erfahrbares Objekt‘ existiert, sondern immer nur als ‚abstraktes Konzept‘ im ‚Innern von Menschen‘, die über Kommunikation verbunden mit Handlungen und aufzeigbaren Artefakten miteinander interagieren. Kann man solchen Kommunikationen und Interaktionen mit Artefakten ein gewisses ‚Format‘ zuordnen, dann sprechen wir von einem ‚Prozess‘, der durch Akteure — hier Menschen — in einer Abfolge typischer Handlungen ’stattfindet‘.

Def. 2*: Soziotechnisches System

An dieser Stelle des Rekonstruktionsversuchs würde man die Formulierung der Autoren wie folgt ‚um-formulieren‘ können: „… verstehen wir unter einem soziotechnischen System ein komplexes Gefüge bestehend aus Menschen und Hard- und Software, die aufgrund von akzeptierten Zielen so miteinander interagieren können, dass organisationale und soziale Prozesse stattfinden, die zu Änderungen in der bestehenden Umgebung führen können.

Möglicherweise meinen die Autoren auch, dass die Tatsache, dass eine Gruppe von Menschen aufgrund von festgelegten Zielen längere Zeit in einem bestimmten Format miteinander so interagieren, dass andere dieses Vorgehen ‚in ihrem Innern‘ als ein ‚Prozess‘ erkennen, und diese ‚Wahrnehmung und Interpretation‘ für die ‚Beobachter‘ eine irgendwie geartete ‚Wirkung entfaltet, dass solch eine ‚Wirkung im Innern‘ als ‚Teil einer Interaktion‘ der Beobachter mit dem beobachtbaren Prozess verstanden werden kann. Eine solche Ausweitung der Bedeutung von normalen ‚Wahrnehmungsprozessen‘ zu ‚Interaktionsprozessen‘ würde aber für eine Analyse wenig attraktiv erscheinen.

Der Ausdruck ‚Gefüge‚, den die Autoren benutzen, klingt ein wenig ‚altmodisch‘. Nach mehr als 100 Jahren diverse Strukturwissenschaften sollte man das Wort ‚Gefüge‘ doch vielleicht eher durch den Ausdruck ‚Struktur‚ ersetzen. [18] Eine ‚Struktur‘ liegt vor, wenn man verschiedene Komponenten unterscheiden kann, hier z.B. ‚Menschen‘ und ‚Hard- und Software‘, und diese Komponenten können in Form ‚typischer‘ Handlungen miteinander interagieren, also etwa

SOZIOTECHNISCHES SYSTEM (ST) gdw ST = <Menschen, Hard-/Software, …, Interaktionen, …>

Die Elemente ‚Absicht‘, ‚Ziel‘, ‚inneres Bild von…‘ usw. würden dann in einer eigenständigen Sub-Struktur ‚Mensch‘ oder ‚menschlicher Akteur‘ verortet, da ein Mensch als eine ‚eigenständige Struktur‘ aufgefasst werden kann, etwa:

MENSCH(M) gdw M = <Bilder, Ziele, …, Handlungen, …>

Die beiden Strukturen ST und M würden sogar eine kleine ‚Hierarchie‚ bilden: die Struktur M wäre eingebettet in die Struktur ST.

Offen ist dabei noch, in welchen Sinne ‚Hard- und Software‘ überhaupt interagieren können.

Def 3: Prozesse sozialer Interaktion

sind sich dynamisch ändernde Abfolgen sozialer Aktionen zwischen Individuen und/oder Gruppen.

Die Unklarheit, die durch Def. 2 noch darin gegeben war, als ob ‚organisationale und soziale Prozesse‘ quasi ‚gleichberechtigte‘ Faktoren neben Akteuren, Hard- und Software sind, wird durch Def. 3 aufgehoben. In der Formulierung von Def. 3 sind ‚Prozesse sozialer Interaktion‘ ‚Abfolgen sozialer Aktionen‘, die ‚zwischen Individuen und/oder Gruppen‘ stattfinden, und die sich ‚dynamisch ändern‘ können. Diese Lesart entspricht weitgehend dem Formulierungsvorschlag Def 2*.

Def. 4: Hybridität

Unter ihrer Hybridität schließlich verstehen wir, dass an diesen Prozessen inhärent sowohl maschinelle als auch menschliche Akteure wesentlich beteiligt sind.

Anders formuliert sagen die Autoren, dass ‚Prozesse sozialer Interaktion‘ dann hybrid sind, wenn in solchen Prozessen sowohl ‚maschinelle als auch ‚menschliche Akteure‘ beteiligt sind.

Mit Blick auf die Diskussion zum Ausdruck ‚hybrid‘ im Anschluss an Def. 1 beschränkt sich die Formulierung von Def. 4 zunächst darauf, nur zu fordern, dass im Rahmen von ‚Prozessen sozialer Interaktionen‘ neben dem Akteurstyp ‚Mensch‘ auch der Akteurstyp ‚Maschine‘ vorkommt. Wie solch eine Interaktion aussieht, welche Eigenschaften sie auszeichnen, bleibt hier noch offen. In der vorausgehenden Diskussion war ja schon thematisiert worden, dass menschliche Akteure andere nicht-menschliche Mittel — also auch Maschinen (welche Typen von Maschinen?) — ‚unwesentlich‘ benutzen können. Damit war gemeint, dass man zwar eine programmierbare Maschine (Computer) zum ‚Text schreiben‘ benutzen kann, dass der Computer hier aber keine ‚wesentliche‘ Rolle spielt; er macht das Erstellen von Texten vielleicht ‚einfacher‘, wäre aber generell nicht notwendig.

Den folgenden Text kann man grob als eine Serie von ‚Annahmen‘ über die Wirklichkeit bezeichnen, vermischt mit impliziten Folgerungen, in denen die bisherige Einleitung weiter ausdifferenziert wird.

Ziel der Diskussion bleibt es, zu klären, wie sich das Konzept der ‚kollektiven Mensch:Maschine Intelligenz‘ aus dem oksimo Paradigma zum Konzept der ‚Sozialen Maschine‘ verhält.

ANNAHME-Hybridisierung 1

Die Autoren benennen drei Komponenten ‚Webtechnologie‘ — mit dem Attribut ‚mobil‘ ergänzt –, ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘, wodurch „Sozialität und Maschine“ zunehmend verschmelzen. Daraus ziehen sie den Schluss: „Die menschlichen und nichtmenschlichen Komponenten der Social Machine sind folglich immer schwerer voneinander zu unterscheiden und zu trennen, was als paradigmatischer Trend zur fortschreitenden Hybridisierung der Social Machine bezeichnet werden kann“.

Der Kern der Schlussfolgerung fokussiert in der Idee, dass der „Trend zur fortschreitenden Hybridisierung“ offensichtlich sei.

Wenn nach Def. 4 von den Autoren festgehalten wird, dass man unter „Hybridität“ verstehen sollte, „dass an diesen Prozessen inhärent sowohl maschinelle als auch menschliche Akteure wesentlich beteiligt sind“, dann fragt man sich, was man sich unter dem ‚Fortschreiten einer Hybridisierung‘ verstehen soll. Die bloße Vermehrung der ‚Anzahl‘ der beteiligten Faktoren ‚Menschen‘ oder ‚Maschinen‘ kann es wohl nicht sein. Zumindest gibt die Def. 4 dies nicht her.

Die Autoren sprechen vor ihrer Schlussfolgerung davon, dass „Sozialität und Maschine zunehmend verschmelzen„. Dies kann man so interpretieren, dass die ‚fortschreitende Hybridisierung‘ zusammenhängt mit einer ‚Verschmelzung‘ von Sozialität und Maschine. Der Ausdruck ‚verschmelzen‘ wurde von den Autoren zuvor nicht eigens definiert. Die eher sprachliche Deutung von ‚Verschmelzung‘ von Worten scheint nicht gemeint zu sein.[19] Der bedeutungsnahe Ausdruck ‚Fusion‘ bietet eine Vielzahl von Varianten. [20] Welche Variante meinen die Autoren. Dass so ungleiche Wirklichkeiten wie ‚Sozialität‘ und ‚Maschinen‘ ‚verschmelzen‘, dafür fehlt jeglicher Ansatzpunkt einer sinnvollen Interpretation.

Um dieses Dilemma aufzulösen könnte der Ausdruck „… sind folglich immer schwerer voneinander zu unterscheiden und zu trennen …“ einen Hinweis liefern. Wenn man das ‚unterscheiden‘ und ‚trennen‘ nicht auf reale Sachverhalte — wie Sozialität und Maschine — bezieht sondern auf die ‚Verarbeitung von Sinneseindrücken im Innern des Menschen‘, dann könnte man sich eine Interpretation vorstellen, in der durch die Art und Weise, wie Sozialität und Maschine in der Umwelt ‚vorkommen‘, im menschlichen Akteur ‚Vorstellungen‘ auslöst, in denen das menschliche Denken eine klare Unterscheidung immer weniger leisten kann. Dann wäre die angenommene Verschmelzung der Autoren ein rein kognitives/ mentales Problem der menschlichen Akteure, die sich in Interaktion mit einer Umwelt befinden, in der mindestens Menschen und Maschinen vorkommen, aber auf eine Weise, die eine klare Unterscheidung kognitiv/ mental schwer macht.

Dies führt zu folgendem Formulierungsvorschlag:

ANNAHME-Hybridisierung 1 *

Meine Formulierung würde dann lauten: „Menschliche und nichtmenschliche Akteure (hier Maschinen) können in einer Weise in der Umwelt vorkommen, dass es für die beteiligten Menschen in ihren mentalen/ kognitiven Bildern von der Welt immer schwerer wird, diese Akteure klar voneinander zu unterscheiden und zu trennen.

Zu beachten ist auch, dass die Autoren zu Beginn des Abschnitts von drei unterschiedlichen Komponenten sprechen (‚Webtechnologie‘ — mit dem Attribut ‚mobil‘ ergänzt –, ‚Bots‘ und ‚KI‘), die im Gefolge dann offensichtlich dem Ausdruck ‚Maschine‘ zugeschlagen werden. Der Ausdruck ‚Maschine‘ wurde aber bislang nicht wirklich definiert. Auch sei der Ausdruck ‚Hard- und Software‘ erinnert, der in Def. 2 von den Autoren benutzt wird. Nach den Kontexten gehört dieser auch in das Bedeutungsfeld ‚Maschine‘, so wie es die Autoren praktizieren. Halten wir an dieser Stelle fest:

Def. 5 Maschine (indirekt abgeleitet):

Für die Autoren repräsentieren die Ausdrücke ‚Hard- und Software‘, ‚Webtechnologie (mit Aspekten der ‚Mobilität‘), ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘ Aspekte des Bedeutungsfelds ‚Maschine‘, wie es im Kontext der Begriffe ’soziotechnisches System‘ bzw. ‚Soziale Maschine‘ implizit angenommen wird.

In der ‚realen Welt‘ beschreiben die aufgelisteten Ausdrücke (‚Hard- und Software‘, ‚Webtechnologie (mit Aspekten der ‚Mobilität‘), ‚lernende Bots‘ und ‚KI‘ ) ganz unterschiedliche Sachverhalte, deren Verhältnis zueinander keinesfalls trivial ist. Dies sei hier ganz kurz angedeutet:

Webtechnologie, Mobil, Hard- und Software

Der Begriff ‚Webtechnologie‚ ist in sich eher unklar, was mit dem unklaren Begriff ‚Web‚ zusammenhängt. Die englische Wikipedia listet mögliche Bedeutungsvarianten auf und verweist bei ‚web‘ auch auf das ‚World Wide Web [WWW]‘.[21] Die wichtige Botschaft ist [22], dass das WWW nicht das Internet ist, sondern das Internet als Basistechnologie voraussetzt. Das WWW selbst ist eine reine Softwareangelegenheit, wodurch es möglich ist, mittels eines speziellen Adresssystems (URLs) Signale zwischen diesen Adressen hin und her zu schicken. Die Art und Weise, wie dieser Signalaustausch formal stattfinden soll, regelt ein ‚Protokoll‘ (das ‚Hypertext Transfer Protocol‘ [HTTP]; mit zusätzlicher Sicherheit als HTTPS). Auf Seiten der Anwender benötigt man dazu eine Software, die ‚Browser‚ genannt wird, und innerhalb des Internets benötigt man einen Server, auf dem eine Software läuft, die ‚Webserver‚ genannt wird. Die ‚Mobilität‘ des WWW ist keine direkte Eigenschaft des WWW selbst sondern ergibt sich aus veränderten technischen Bedingungen des vorausgesetzten Internets: mobile Endgeräte, auf denen eine Browser Software installiert ist, erlauben eine Kommunikation innerhalb des WWWs.[23] Während das WWW eine reine Software ist, kann man fragen, was denn dann mit ‚Webtechnologie‘ gemeint sein soll? Wenn mit ‚Webtechnologie‘ auch ‚Software‘ gemeint ist, dann wäre der Begriff ‚Technologie‘ stark ausgeweitet. Das ‚Internet‘ — eine spezielle Kombination aus Hardware und Software — wird als ‚Netzwerk von Netzwerken‘ gesehen, innerhalb dessen ganz unterschiedliche Kommunikationsprotokolle am Werk sind, die ganz unterschiedliche Informationsquellen und Dienste ermöglichen. Das WWW ist eine Komponenten unter vielen.[24] Mit ‚Netzwerk‚ ist in diesem Kontext ein ‚Computernetzwerk‚ gemeint. Es besteht aus unterschiedlichen ‚Computern‚, die über geeignete ‚Verbindungen‘ und ‚Verbindungstechnologien‘ miteinander so verknüpft sind, dass Signalpakete entsprechend vereinbarten Protokollen hin und her gesendet werden können. Computer verstehen sich hier immer als Kombinationen aus Hard- und Software.[25] Als umfassender Begriff für die Vielfalt der Technologien und Anwendungen, die durch das ‚Internet‘ möglich sind, gibt es schon sehr früh — zumindest im Englischen Sprachraum — den Begriff ‚Cyberspace‚.[26]

Lernende Bots

Generell gibt es verschiedene Typen von bots. [27] Im allgemeinen ist ein bot im Internet eine Softwareanwendung, die automatisch bestimmte Aufgaben ausführt.[28] Wikipedia selbst benutzt z.B. über 2500 Wikipedia-typische Bots, um die mehr als 54 Mio. Wikipedia-Seiten zu verwalten.[29] Für die Interaktion mit Menschen gibt es u.a. den Typ des ‚Chatbots‘ [30]: die Software eines Chatbots versucht das Verhalten von Menschen anzunähern. Dies gelingt bislang aber nicht wirklich gut.[30] Ein spezielles, aber schon viele Jahre andauerndes Einsatzfeld von künstlicher Intelligenz Techniken sind Computerspiele, in denen ‚Nicht-Spieler Charaktere‘ (’non-player characters‘ [NPCs) das Spielgeschehen anreichern. Diese erledigen sehr vielfältige Aufgaben und sind keineswegs mit einem ‚menschenähnlichen‘ Spielcharakter zu vergleichen.[31] Insgesamt ist der Begriff ‚lernend‘ im Kontext von ‚Bots‘ generell sehr unscharf: einmal, weil der Ausdruck ‚bot‘ nicht einheitlich definiert ist, und zum anderen, weil der Begriff ‚lernend‘ im Kontext von ‚Künstlicher Intelligenz [KI]‘ bzw. ‚Maschinellem Lernen [ML]‘ keinesfalls klar ist. Das Feld ist zu uneinheitlich. [32]

KI (Künstliche Intelligenz)

Der Ausdruck ‚KI‘ — Abkürzung für ‚Künstliche Intelligenz‘ (heute oft auch einschränkend ‚ML‘ für maschinelles Lernen) — bezeichnet ein Teilgebiet der Informatik, das bislang keine klare Definition bietet, da schon der Begriff der ‚Intelligenz‘ selbst nicht klar definiert ist.[32], [33] Aufgrund der Unklarheit im Zusammenhang mit dem Begriff der ‚Intelligenz‘ bei biologischen Systemen — obgleich es hier einige Definitionen gibt, die für eingeschränkte Bereiche sehr brauchbar sind — versucht die Englischsprachige Informatik das Problem dadurch zu lösen, dass sie den Begriff AI nur für den Bereich nicht-biologischer Systeme — hier speziell für programmierbare Maschinen — definieren will. Programmierbare Maschinen mit KI können sowohl ihre Umwelt partiell wahrnehmen als auch dann — meist unter Zuhilfenahme systeminterner Zustände — wieder auf die Umwelt reagieren. Zusätzlich wird für solche Systeme mit künstlicher Intelligenz postuliert, dass sie ‚Zielen (‚goals‘) folgen können.[34]

Diese scheinbare Erleichterung, sich vom ursprünglichen Phänomenfeld der Intelligenz bei biologischen Systemen abzukoppeln, weil eine befriedigende Definition von Intelligenz hier schwierig ist, hat aber tatsächlich zu keiner befriedigenden Situation geführt. Sowohl der Intelligenzbegriff eingeschränkt auf programmierbare Maschinen ist heute nicht wirklich klar, noch ist es bislang möglich, zwischen dem Verhalten biologischer und nicht-biologischer Systeme dadurch eine brauchbare Verhältnisbestimmung aufzubauen. Dies führt dann z.T. zu der bizarren Situation, dass spezielle Leistungen von programmierbaren Maschinen für Bereich X, wo Maschinen dem Menschen überlegen sind, als generelle Aussage über das Verhältnis von Maschinen und Menschen benutzt werden, ohne dass man jene Bereiche, in denen biologische Systeme den programmierbaren Maschinen haushoch überlegen sind, überhaupt noch thematisiert. Es ist dem ai100-Report zu verdanken, dass er neu darauf aufmerksam macht, dass es durch diese asymmetrische Diskussion bislang unmöglich ist, genauer zu bestimmen, wie maschinelle Intelligenz der menschlichen Intelligenz konstruktiv unterstützen könnte.[32]

FORTSETZUNG folgt…

ANMERKUNGEN

Hinweis: Wenn in den Anmerkungen Quellen aus dem Internet angegeben werden, dann ergibt sich die Zeit des letzten Aufrufs aus dem Datum der Abfassung dieses Beitrags, die im Kopf des Artikels angegeben ist.

[1] Dazu gibt es einige Beiträge in diesem Philosophie-Jetzt- Blog, und in zwei anderen Blogs uffmm.org mit dem Schwerpunkt ‚Theorie‘ und dem Blog oksimo.org mit dem Schwerpunkt ‚Anwendungen‘.

[2] Claude Draude · Christian Gruhl · Gerrit Hornung · Jonathan Kropf · Jörn Lamla · JanMarco Leimeister · Bernhard Sick · Gerd Stumme , 2021, „Social Machines„, Informatik Spektrum, https://doi.org/10.1007/s00287-021-01421-4, Springer

[3] Social Machine, Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Social_machine

[4] Berners-Lee, Tim; J. Hendler (2009). „From the Semantic Web to social machines: A research challenge for AI on the World WideWeb“ (PDF). Artificial Intelligence. 174 (2): 156–161. doi:10.1016/j.artint.2009.11.010.

[5] Markus Luczak-Roesch, Ramine Tinati, Kieron O’Hara, Nigel Shadbol, (2015), Socio-technical Computation, CSCW’15 Companion, March 14–18, 2015, Vancouver, BC, Canada. ACM 978-1-4503-2946-0/15/03, http://dx.doi.org/10.1145/2685553.2698991

[6] Luczak-Roesch, M.; Tinati, R.; Shadbolt, N. (2015). When Resources Collide: Towards a Theory of Coincidence in Information Spaces (PDF). WWW 2015 Companion. ACM. pp. 1137–1142. doi:10.1145/2740908.2743973. ISBN9781450334730. S2CID17495801.

[7] Cristianini, Nello; Scantamburlo, Teresa; Ladyman, James (4 October 2021). „The social turn of artificial intelligence“ (PDF). AI & Society: 0. doi:10.1007/s00146-021-01289-8.

[8] Der Begriff ‚machine‘ (Maschine) in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Machine

[9] Der Begriff ‚actor‘ in der Wikipedia [EN] für die Rolle des Schauspielers: https://en.wikipedia.org/wiki/Actor

[10] Der Begriff ‚UML (Unified Modeling Language)‘ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Unified_Modeling_Language

[11] Der Begrifff ‚actor‘ in der Wikipedia [EN] im Rahmen des technischen Standards UML: https://en.wikipedia.org/wiki/Actor_(UML)

[12] Nicht alle Maschinen sind programmierbar, können aber meistens — im Prinzip — nach Bedarf mit programmierbaren Maschinen erweitert werden.

[13] Der Begriff ‚algorithm‘ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Algorithm

[14] Wenn man den Begriff ‚Interaktion‘ auf solche Situationen beschränken würde, in denen ein Homo sapiens Akteur mit einem anderen Akteur (biologisch oder nicht-biologisch) handelt, dann würde es auch Handlungen geben, die keine typische Interaktion mit anderen Akteuren repräsentieren, z.B. wenn ich einen Kaffee oder Tee oder … trinke, oder ich esse einen Apfel, ich fahre mit dem Fahrrad, ….

[15] Der Begriff ‚process‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Process

[16] Der Begriff ‚activities‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Action_(philosophy)

[17] Im Systems Engineering wird dieser Sachverhalt als ’semantic gap‘ bezeichnet, siehe z.B.: Doeben-Henisch, G., Wagner, M. [2007] Validation within Safety Critical Systems Engineering from a Computation Semiotics Point of View, Proceedings of the IEEE Africon2007 Conference, ISBN 0-7803-8606-X, Paper-ID 701

[18] Der Begriff ‚structure‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Structure

[19] Der Ausdruck ‚Verschmelzung‚ in der Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Verschmelzung_(Grammatik)

[20] Der Ausdruck ‚Fusion‚ in der Wikipedia [DE]: https://de.wikipedia.org/wiki/Fusion

[21] Der Ausdruck ‚web‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Web

[22] Der Ausdruck ‚World Wide Web‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/World_Wide_Web

[23] Der Ausdruck ‚mobile‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Mobile

[24] Der Ausdruck ‚Internet‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Internet

[25] Der Ausdruck ‚Computer network‘ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Computer_network

[26] Der Ausdruck ‚cyberspace‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Cyberspace

[27] Der Ausdruck ‚bot‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Bot

[28] Der Ausdruck ‚Internet bot‘ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Internet_bot

[29] Der Ausdruck ‚bots‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Bots

[30] Der Ausdruck ‚chatbot‚ in der Wikipedia [EN] : https://en.wikipedia.org/wiki/Chatbot

[31] Der Ausdruck ‚Artificial intelligence in video games‚ in der Wikipedia [EN]: https://en.wikipedia.org/wiki/Artificial_intelligence_in_video_games

[32] Michael L. Littman, Ifeoma Ajunwa, Guy Berger, Craig Boutilier, Morgan Currie, Finale Doshi-Velez, Gillian Hadfield, Michael C. Horowitz, Charles Isbell, Hiroaki Kitano, Karen Levy, Terah Lyons, Melanie Mitchell, Julie Shah, Steven Sloman, Shannon Vallor, and Toby Walsh. “Gathering Strength, Gathering Storms: The One Hundred Year Study on Artificial Intelligence (AI100) 2021 Study Panel Report.” Stanford University, Stanford, CA, September
2021. Doc: http://ai100.stanford.edu/2021-report. Report: https://ai100.stanford.edu/sites/g/files/sbiybj18871/files/media/file/AI100Report_MT_10.pdf

[33] Der Ausdruck ‚KI (Künstliche Intelligenz)‚ — auch ‚ML (Maschinelles Lernen)‘ in der Wikipedia [DE] : https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCnstliche_Intelligenz

[34] Der Ausdruck ‚Artificial intelligence [AI]‘ in der Wikipedia [EN] : https://en.wikipedia.org/wiki/Artificial_intelligence

Some Soundexperiment from the past …

DER AUTOR

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Worte aufschreiben … sonst nichts …

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 15.November 2021 – 17.Nov 2021, 08:30h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

In diesem Blog mit seinen geschätzten mehr als 6000 Seiten, die bislang geschrieben worden sind, fand — äußerlich betrachtet — ein einfacher Vorgang stand: es wurden ‚Worte aufgeschrieben‘. … sonst nichts …

Wären wir Maschinen …

Wären wir eine ‚Maschine‘, vielleicht sogar eine ‚intelligente Maschine‘, dann würden die maschinellen Strukturen uns vorgeben, ob wir schreiben, was und wie. Mit ein bisschen ‚künstlicher Intelligenz‘ könnten wir Datenquellen beimischen, ‚Variationen‘ einbauen, mit Satzformen ’spielen‘, und wir könnten vielleicht sogar den einen oder anderen Menschen verblüffen, bei ihm den Eindruck erwecken, hier schreibt ein Mensch.

Menschen brechen das Klischee

Menschen haben allerdings die Besonderheit, dass für sie die Ausdrücke einer Sprache — vornehmlich der ‚Alltagssprache‘ — nie isoliert stehen, sondern eingewoben sind in ein unfassbares Netzwerk von Eindrücken der Außenwelt, des eigenen Körpers, des eigenen ‚Inneren‘, eingebettet in eine Vielzahl von wahrnehmbaren Veränderungen … aber auch darüber hinaus: da das Gehirn sich selbst gegenüber weitgehend unbewusst arbeitet (was nicht gleichzusetzen ist mit ’sinnlos‘), sind die meisten Vorgänge ‚in uns‘ nicht bewusst zugänglich, obwohl sie für uns — soweit wir heute sehen — fundamental zu sein scheinen. Dazu gehört auch die Sprache mit ihrer ‚Bedeutungswolke‘.

Wenn Kinder in die Welt eintauchen …

Wenn Kinder in diese Welt ‚eintauchen‘, wenn sie anfangen, die Luft des Planeten zu atmen, den ‚Rausch ihrer Sinne‘ erleben, ihren eigenen Körper in einer ‚Wolke von Eindrücken‘ erspüren, dann formt das Gehirn aus all diesen Eindrücken, Muster, Abstraktionen, Kategorien als Teil assoziativer Netze, konnotiert mit einer Unzahl von Bedürfnissen und Gefühlen. Dies macht das Gehirn ‚voll automatisch‘, in ‚eigener Regie‘, folgt seiner ‚eingebauten Logik der Wahrscheinlichkeiten‘. So entsteht langsam aber stetig nicht nur ein unfassbares Netzwerk von verbundenen Ereignissen, sondern das Netzwerk wirkt wie ein ‚Bild‘, eine ‚Gesamtschau‘, wie ein ‚Modell‘ dessen ‚was ist‘: das virtuelle Bild einer Welt im Gehirn, die für das Kind, für uns, die ‚primäre Welt‘ ist.

Virtuelle Welt im Gehirn

Die Ausdrücke unserer Alltagssprache beziehen sich in ihrer ‚Bedeutungsdimension‘ ausschließlich auf diese ‚virtuelle Welt des Gehirns‘ als ‚ihrer Welt‘. Und — falls jemand darauf achtet — man kann leicht beobachten, dass die Ausdrücke der Alltagssprache meistens ‚Allgemeinbegriffe‘ sind (‚Haus‘, ‚Stuhl‘, ‚Auto‘, ‚Handy‘, ‚Tasse, …), wohingegen die Gegenstände in unserer realen Umgebung ‚konkret‘ sind, ’speziell‘, ‚einzigartig‘, usw. Wenn ich zu jemandem sage: „Kannst Du mir bitte meine Tasse rüber reichen“, dann kann das Wort (der Ausdruck) ‚Tasse‘ auf tausende verschiedene konkrete Objekte angewendet werden, in der aktuellen Situation aber — falls man über ein aktuelles ‚Situationswissen‘ verfügt — wissen alle Beteiligten, welche der vielen konkreten Gegenstände ‚meine Tasse‘ ist und genau dieses konkrete Objekt wird dann rüber gereicht.

Abstrakt – Konkret

Dies ist eines der vielen Geheimnisse von sprachlicher Bedeutung: die reale Welt um uns herum — die Alltagswelt — zeigt sich uns als eine ‚Meer an konkreten Eigenschaften‘, und unser Gehirn filtert daraus ‚Teilmengen‘ heraus, transformiert diese in einfache (abstrakte) Strukturen, die dann das ‚Baumaterial‘ für mögliche ‚abstrakte virtuelle kognitive ‚Objekte‘ sind. Das tieferliegende ‚Wunder‘ dieses Prozesses ist aber, dass das Gehirn in der Lage ist, zu späteren Zeitpunkten die ’neu erworbenen abstrakten Strukturen (Objekte)‘ auf einer unbewussten Ebene mit aktuellen sinnlichen Eindrücken so zu ‚vergleichen‘, dass es — einigermaßen — entscheiden kann, ob irgendwelche der aktuell sinnlich wahrgenommenen konkreten Strukturen zu irgendwelchen dieser neu erworbenen Strukturen ‚als Beispiel‘ passen! Also, auch wenn wir mittels Sprache immer nur mit Allgemeinbegriffen operieren können (eine geniale Erfindung), kann unser Gehirn jederzeit eine Beziehung des Allgemeinen zum aktuell sinnlich Besonderen herstellen. Es ist halt so ‚gebaut‘.[1]

Dies ist nur die ‚Spitze des Eisbergs‘ vom ‚Wunder des Gehirns‘. Wie man schon ahnen kann, gibt es ja noch die Dimension ‚der anderen Menschen‘ aus Sicht eines einzelnen Menschen.

Gehirn-Kooperationen

Man kann — muss — sich die Frage stellen, wie kann denn ein Gehirn im Körper eines Menschen A mit dem Gehirn im Körper eines Menschen B ‚kooperieren‘? Wie können beide ‚umeinander wissen‘? Wie kann das Gehirn von A, das seine eigene individuelle ‚Lerngeschichte‘ hat, seine ‚Inhalte‘ mit dem Gehirn von B ‚teilen‘?

‚Besoffen‘ vom Alltag mögen diese Fragen im ersten Moment sehr ‚künstlich‘ klingen, ‚unwirklich‘, vielleicht gar sinnlos: Reden wir nicht ständig miteinander? Tun wir denn nicht ständig etwas miteinander? Unterricht in Schulen? Projektarbeit in Firmen? Mannschaftssport? Management eines größeren Unternehmens? …

Der Verweis auf solche ‚Praxis‘ ersetzt aber keine Antwort auf die Frage. Der Alltag deutet nur an, ‚dass‘ wir es irgendwie können, sagt aber nichts darüber, warum und wie wir das können.

Offensichtlich benutzen wir sprachliche Ausdrücke, die wir ‚austauschen‘ (Sprechen, Schreiben, …). Wie oben schon angedeutet wurde, sind Ausdrücke nicht in eins zu setzen mit ihren Bedeutungen. Letztere sind ‚im‘ Sprecher-Hörer‘ lokalisiert, im jeweiligen Gehirn. Die moderne Forschung mit vielen Fachdisziplinen legt nahe, dass es koordinierende‘ Mechanismen gibt, wodurch zwei Gehirne sich für den Bereich der realen Außenwelt einigermaßen verständigen können, welche ‚Aspekte er realen Außenwelt‘ mit welchen Ausdrücken assoziiert werden. Und diese ‚Koordinierung‘ basiert nicht alleine auf den konkreten Aspekten der Außenwelt, sondern wesentlich auch auf jene ‚im Gehirn‘ anhand der Außenweltereignisse prozedural aufgearbeiteten Strukturen. Nur so kann Sprache zugreifen. Die wechselseitige Zustimmung, dass dies konkrete weiße, runde Ding da mit einer inneren Aushöhlung und einem Henkel die ‚Tasse von Gerd‘ ist, setzt also ziemlich viele ‚individuellen Lernprozesse‘ voraus, die sich in hinreichend vielen strukturellen Eigenschaften hinreichend stark ‚ähneln‘. Irrtum inbegriffen.

Fehleranfällige Kommunikation

Das alles erscheint bei näherer Betrachtung alles ’schwindelerregend komplex‘, aber nach vielen Millionen Jahren kontinuierlichen Veränderungen scheint es ‚einigermaßen‘ zu funktionieren. Allerdings weiß jeder aus seinem eigenen Alltag auch wie ‚fragil‘ solche Kommunikation ist. Selbst unter Paaren, die schon viele Jahre, gar Jahrzehnte, zusammen leben, können noch Irrtümer und Missverständnisse auftreten. Umgekehrt weiß jeder, wie aufwendig es ist, aus verschiedenen Menschen ein ‚Team‘ zu formen, das angesichts von komplexen Aufgaben in der Lage ist, sich jederzeit hinreichend gut zu koordinieren. Die hohe Quote an Projektabbrüchen spricht eine eigene Sprache.

Ähnlichkeit als Gefahr

Bei Gruppen, Teams tritt noch ein ganz anderer Aspekt hervor: die partielle ‚Ähnlichkeit‘ der Bedeutungsstrukturen der einzelnen Teammitglieder, die im Laufe der gemeinsamen Arbeit in der Regel weiter zunimmt, vereinfacht zwar die Kommunikation und Abstimmung im Team, sie bietet aber auch eine Gefahr, die umso größer wird, je länger ein Team ‚unter sich‘ ist. Dies hat wiederum damit zu tun, wie unsere Gehirne arbeiten.

Ohne unser bewusstes Zutun sammelt unser Gehirn beständig Eindrücke, verarbeitet sie, und bildet vernetzte abstrakte Einheiten. Dies ist aber nicht alles. Dieser sehr aufwendige Prozess hat den Nebeneffekt, dass die ‚aktuellen‘ sinnlichen Eindrücke mit dem, was ‚bisher Bekannt geworden ist‘ kontinuierlich ‚abgeglichen‘ wird. Das berühmte Glas, das ‚halbvoll‘ oder ‚halbleer‘ erscheinen kann, ist keine Fata Morgana. Dieses Beispiel demonstriert — wenn auch vereinfacht –, dass und wie unser Gehirn seine ‚gespeichertes Wissen‘ (Alt) mit den ‚aktuellen Eindrücken‘ (Neu) ‚abgleicht‘. Je mehr ein Gehirn weiß, um so größer die Wahrscheinlichkeit, dass es ’nichts Neues‘ mehr gibt, weil alles ’scheinbar Neue‘ mit dem ‚Alten‘ ‚erklärt‘ werden kann. [3] Dies — zur Erinnerung — immer auch mit Bedürfnissen, Emotionen und sonstigen Gefühlen/ Stimmungen ‚konnotiert‘.[2]

Tendenz zur ‚Verfestigung‘

Zwar gibt es viele Verhaltenseigenschaften und Strategien, mit denen man dieser Tendenz des Gehirns zur ‚Verfestigung‘ gegensteuern kann, aber sowohl die Geschichte wie die Gegenwart zeigen, dass es immer starke Strömungen gab und gibt, die auf dieser ‚Selbstabschließung‘ des Gehirns basieren (so eine Art ‚mentales locked-in Syndrom‘).

Da es für ein Gehirn (und damit für eine Person) ‚leichter‘ und ‚bequemer‘ ist, das Bild von der Welt — mit all den daran geknüpften Verhaltensgewohnheiten — ‚konstant‘ zu halten, ‚einfach‘, tendieren die meisten Menschen dazu, sich vorzugsweise mit solchen Menschen zu treffen, die ihnen ähnlich sind; solche Meinungen zu teilen, die die eigene Meinung verstärken; das zu tun, was die Mehrheit tut; und vieles dergleichen.

Wenn einzelne Menschen, ganze Gruppen ihr Leben so gestalten, dass sie ‚Neues‘ eher — oder sogar ‚grundsätzlich‘! — ausblenden, verurteilen, ‚verdammen‘, dann reduzieren sie ihr eigenes Potential um grundlegend wichtige Eigenschaften für eine nachhaltige Zukunft: Vielfalt, Diversität, Kreativität, Neugierde, Experimente, Alternativen. Die Biosphäre heute — und damit uns — gibt es nur, weil diese grundlegenden Eigenschaften über 3.5 Milliarden Jahre stärker waren als die reduktiven Tendenzen.

Sprache als System

Betrachtet man die Sprache von einem ‚übergeordneten‘ Standpunkt aus z.B. als ein System ‚als solches‘, dann sind die einzelnen Sprecher-Hörer individuelle Akteure, die von der Sprache individuell ‚Gebrauch machen‘. Ein Akteur kann dann Sprache lernen, weil er/sie/x die Sprache vorfindet, und der Akteur wird einen Teil der ‚möglichen Bedeutungszuordnungen‘ ‚lernen‘. Je nach Lerngeschichte können dann die verschiedenen individuellen Bedeutungsräume sich mehr oder weniger ‚überlappen‘. In dieser Perspektive ist dann klar, dass ein einzelner Akteur nicht die Sprache als solche verändern kann, es sei denn, er/sie/x ist sehr ‚prominent‘ und einzelne seiner Formulierungen werden von einer großen Teilpopulation übernommen. Entsprechend können sich in Teilpopulationen ‚Sprachmoden’/ ‚Sprachtrends‘ ausbilden, die dann zumindest partiell für eine bestimmte Zeit ‚Teil der Sprache‘ werden können.

Diese ‚Eigenwirklichkeit‘ von Sprache hat verschiedene Nebeneffekte. Einer verbindet sich mit erstellten Texten, Textsammlungen, die als Texte den individuellen Autor übersteigen/ überdauern können. Selbst wenn ein Text so alt ist, dass ein potentieller Leser aus der Gegenwart die ‚Bedeutungswelt des Autors‘ kaum oder gar nicht kennt, können Texte ‚Wirkung‘ entfalten. So zeigt z.B. die Interpretation des Buches, das allgemein als ‚Bibel‘ bezeichnet wird, im Laufe von ca. 2000 Jahren eine große Vielfalt und Breite mit offensichtlich z.T. gänzlich konträren Positionen, die selbst ca. 2000 Jahre später noch Wirkungen bei Menschen zeigen.

Tradition ist ambivalent

Dies bedeutet, nicht nur das einzelne Gehirn kann zur Ausbildung von bestimmten ‚Bildern von der Welt‘ kommen, die es mit anderen ‚Gleichgesinnten‘ teilen kann, sondern die konservierten Texte können solche Weltbilder über Jahrhunderte wenn nicht gar Jahrtausende hinweg ‚transportieren‘. Dies kann im Einzelfall konstruktiv sein, es kann aber auch ‚destruktiv‘ sein, wenn alte Weltbilder den Aufbau neuer Weltbilder in einer sich verändernden Welt verhindern.

Wunder des Schreibens

Nach diesen — keinesfalls vollständigen — Hinweisen auf sehr viele eher ‚technische‘ Aspekte von Sprache/ Sprechen/ Schreiben hier doch auch für einen Moment ein paar Worte zum ‚Wunder des Schreibens‘ selbst.

Wenn ich also Worte aufschreibe, jetzt, dann gibt es eigentlich keine bestimmte ‚Regel‘, nach der ich schreibe, kein klar definiertes ‚Ziel‘ (wie sollte solch eine Zielbeschreibung aussehen?), keine …. es ist ziemlich hoffnungslos hier eine endliche Liste von klar definierten Kriterien zu formulieren. Ich selbst bin ‚mir‘ ‚undurchsichtig‘ … ein Nebeneffekt der Tatsache, dass nahezu alles ‚in mir‘ im Jetzt ‚unbewusst‘ ist… Zu keinem Zeitpunkt weiß ich (= ist mir explizit bewusst), was ich ‚tatsächlich weiß‘. Wie denn? Unser Gedächtnis ist eine unfassbar große Sammlungen von dynamischen Strukturen, die entweder nur bei expliziten Aufgaben ‚reagieren‘ (aber nicht zuverlässig), oder aber ein gedanklicher Prozesse in mir läuft unbewusst ab und dieser tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt an die ‚Oberfläche‘ indem ich Worte wie diese aufschreibe. Bevor ich diese Worte aufschreibe, weiß ich nicht, was ich aufschreibe. Ich kann dieses Aufschreiben auch nicht planen.’Es‘ denkt in mir, ‚es‘ schreibt… dieses ‚Es‘ ist aber nur scheinbar etwas ‚Fremdes‘; es ist Teil von mir, ich fühle mich damit verbunden, ich bin es, …. die Zuordnung von sprachlichen Ausdrücken zu ‚inneren Vorgängen‘ ist prinzipiell schwierig und ungenau. Ich selbst bin ein ganzer Kosmos von unterschiedlichen Dingen, weitgehend unbewusst, fokussiert in meinem Körper ….

Wir wissen, dass wir sehr viele Abläufe explizit, Schritt für Schritt, so trainieren können, dass sie zu scheinbar ‚automatisch ablaufenden Prozessen‘ werden. Die eigentliche Dynamik ‚dahinter‘ ist aber etwas ganz anderes. Sie bedient sich der vielen Gegebenheiten ’nach Belieben’… sie ‚ereignet sich‘ und ‚im Ereignen‘ ist sie ‚real‘ und darin partiell fassbar …. Menschen sind in ihrem ‚Inneren‘ der totale ‚Anti-Gegenstand‘. Ich kenne kein einziges Bild, keine einzige Metapher, kein irgendwie bekanntes Muster/ Schema, keine bekannte Formel, die dieser un-realen Realität irgendwie nahe kommt … [4],[5]

In diesem Konzert, ab ca. Minute 41, der Song ‚Wind of Change‘ daran erinnernd, dass es auch in Moskau einmal geschah, wenngleich die Ängste der Mächtigen wieder mal stärker waren als die Kraft der Zukunft, die in jedem Menschen anwesend ist …

ANMERKUNGEN

[1] Die Formulierung ‚ist halt so gebaut‘ ist eine ‚Abkürzung‘ für die komplexen Erkenntnisse der Evolutionsbiologie, dass sich das Gehirn des Menschen als Teil des ganzen Körpers mit diesem Körper über nicht nur Millionen, sondern hunderte von Millionen Jahre schrittweise ‚entwickelt‘ hat. Der Begriff ‚entwickelt‘ ist eine weitere Abkürzung für einen komplexen Mechanismus, durch den sich biologische Populationen aus einem Zustand zum Zeitpunkt T in einen ‚anderen Zustand‘ zu einem späteren Zeitpunkt T ‚verändern‘ können. Ob solche Veränderungen nun in irgendeinem Sinne ‚gut‘ oder ’schlecht‘ sind, entscheidet sich in erster Linie an der Frage, ob die Population zum späteren Zeitpunkt T+ noch ‚existiert‘. Die Fähigkeit ’nachhaltig zu existieren‘ ist primär eine ‚Leistungseigenschaft‘: in einer sich ständig veränderten Welt — nicht zuletzt auch deswegen, weil sich die Biosphäre selbst kontinuierlich weiter entwickelt — können nur jene Populationen überleben, die den Anforderungen einer solchen komplexen dynamischen Umwelt gerecht werden

[2] Die Psychologie kennt zahllose Beispiele, wie eigentlich ‚zufällige Ereignisse‘, in denen Menschen entweder etwas ‚Schönes‘, ‚Positives‘ erlebt haben oder umgekehrt etwas ‚Ungutes‘, ‚Trauriges‘, ‚Schreckliches‘, dass sich dann die Gefühle an konkrete Dinge/ Handlungen/ Situationen ‚anheften‘ können, und dann zukünftig die Wahrnehmung, das Verstehen und das Verhalten beeinflussen.

[3] Leute die ‚bewusst anders‘ sein wollen als ‚alle anderen‘ denken oft, sie wären damit ‚besonders‘. Das stimmt, sie sind ‚besonders‘ weil sie ‚für sich‘ sind. Vielfalt im Sinne der Nachhaltigkeit heißt aber nicht, individuell ‚für sich sein‘, sondern individuelle in einem Verbund leben, in dem man seine ‚Besonderheit‘ — so man eine hat! — im Kontext mit anderen so einbringt, dass sie auf die anderen real einwirken kann und umgekehrt. Dieses Interaktionsgeschehen realisiert einen Prozess mit ‚Zustandsfolgen‘, die so sein sollten, das nach einer gewissen Zeit möglichst alle ‚dazu gelernt haben‘. … was allerdings nicht ‚erzwingbar‘ ist … Menschen sind in einem unfassbar radikalen Sinne ‚frei‘ …

[4] Die ‚Beschreibbarkeit‘ eines Phänomens hängt generell von der Frage ab, welche Ausdrücke einer Sprache verfügbar sind, um sich auf Gegenstände, Sachverhalte, Ereignisse der Alltagswelt oder auf ‚innere Zustände‘ eines Menschen beziehen zu lassen. Hier lassen sich leicht Beispiele finden von ‚einfachen Beschreibungen von beobachtbaren Gegenständen‘ („Die Ampel da vorne ist auf Rot“) bis hin zu Asdrücken, wo man nicht mehr so richtig weiß, was gemeint sein kann („Die Demokratie ist gefährdet“; „Mein Gefühl sagt mir, dass dies nicht geht“; „Ich denke“… ).

[5] Ein Beispiel zur Frage der Zuschreibung des Ausdrucks ‚Geist‘ zum Phänomen unseres ‚Inneren‘, sofern es ‚erfahrbar‘ ist, kann das Buch von Friedhelm Decher sein „Handbuch der Philosophie des Geistes„, das ich in vier einzelnen Posts diskutiere: (i) https://www.cognitiveagent.org/2015/12/28/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-einleitung-diskurs/, (ii) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/05/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-vorsokratiker-diskurs-teil-2/, (iii) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/18/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-platon-diskurs-teil-3/, (iv) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/25/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-aristoteles-diskurs-teil-4/.

DER AUTOR

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SW. Software? Müssen wir umdenken? Notiz

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 5.Dezember 2020
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KLASSISCH: MENSCH – TECHNIK DICHOTOMIE

Im Alltag wie in der Wissenschaft findet sich immer noch eine starke Tendenz, die Technik dem Menschen, der Gesellschaft gegenüber zu stellen. Stattdessen Technik gar als Teil der Kultur zu sehen ist für viele — speziell für die Feuilletons gewisser Zeitungen — eher fern. Technik wird assoziiert mit Werkzeugen, mit Maschinen und die sind im Gewohnheitsdenken artfremd, nicht biologisch, haben nichts mit dem Menschen zu tun.

ARTFREMDE MASCHINEN?

Unter dem Eindruck der rapide voranschreitenden Digitalisierung könnte man aber ins Grübeln kommen: in mittlerweile fast allen Lebensbereichen verändert sich das Verhalten von uns Menschen. Mehr und mehr zeigen wir Verhaltensweisen, die wir früher — wer kennt das Früher noch? — ohne digitale Technologien vollzogen haben (dann natürlich leicht anders), die wir jetzt aber mit Hilfe von digitalen Technologien vollziehen. Das ‚Technische‘, die sogenannten ‚Maschinen‘, nehmen wir als solche gar nicht mehr wahr; wir schreiben einen Text (wenn wir den Computer benutzen), wir erstellen eine 3D-Zeichnung eines Gebäudes (wenn wir einen Computer benutzen), wir führen einen Workshop durch (wenn wir eine Web-Konferenz-Software benutzen), wir machen Musik (wenn wir eine Musik-Software benutzen), ….

Das Technisch hat sich gewandelt. Die alten, klassischen Maschinen treten mehr und mehr in den Hintergrund. Da ist etwas Neues, das nennen wir Software [SW]. Was ist Software? Die Informatiker, die zuständigen Experten für Software, sprechen zwar unter sich auch im Fall von Software von Automaten, die Befehle verarbeiten, den Programmen, die die Automaten steuern, aber für den potentiellen Anwender, den Benutzer, den Bürger, spielt der Automat kaum eine Rolle. Es sind diese Befehlslisten, die Programme, die die Automaten dazu bringen, in ihren Interaktionen mit den Anwendern für diese Anwender eine Menge von möglichen Handlungen anzubieten, die — zusammengenommen — eine Art von Verhaltensraum aufspannen. Dieser Verhaltensraum wird realisiert, indem Menschen — WIR! — genau die Handlungen ausführen, die ein Programm (die Software) ermöglicht.

Die Maschine, die als Hardware die Ausführung von Programmen möglich macht (der Computer) tritt dadurch zurück ins zweite Glied. Irgendwie ist er noch da, aber aus Sicht der Anwender (Bürger, WIR), spielt er keine wirkliche Rolle mehr. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Verhalten, das WIR dadurch vollziehen können. Je besser die Schnittstelle (das Interface) zur Hardware (zum Computer), desto weniger fällt der Computer als Medium noch auf.

DIGITAL VERSCHRÄNKTE MENSCHEN

Von den Quantentheoretikern wissen wir, dass sie von verschränkten Teilchen reden. Aber, warum so weit schweifen: in unserem Alltag praktizieren wir schon seit langem digital verschränkte Zustände: wenn wir an verschiedenen Orten dieser Welt zur gleichen Zeit miteinander — ermöglicht durch digitale Technologien — kommunizieren, gemeinsam denken, gemeinsam Entscheidungen fällen, dann handeln wir schon lange nicht mehr als Individuen, nicht als einzelne, sondern wir sind faktisch verschränkte Einzelne und darin bilden wir eine neuartige verschränkte Persönlichkeit. Verschränkte Persönlichkeiten verhalten sich völlig anders als es die einzelnen Personen tun würden, wenn sie eben nicht verschränkt sind. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Mitglieder einer verschränkten Persönlichkeit und spezifischen Verhaltensweisen, möglicherweise auch abhängig von anderen Parametern, z.B. die Art und Weise, wie kommuniziert wird, aber der grundsätzliche Unterschied wird dadurch nicht verwischt.

Übrigens: auch ohne Digitalisierung gab und gibt es quasi verschränkte Persönlichkeiten dadurch, dass wir als einzelne Menschen in hohem Maße Verhaltensmuster verinnerlicht haben, denen wir im Alltag folgen. Beim Einkaufen, als Busfahrer, als Fahrgast , als Abteilungsleiter, als Manager, als … unser Alltag ist durchtränkt von sogenannten Konventionen, von Rollen — die Informatiker bezeichnen solche Muster als Skripte, als Protokolle, ja als Programme — , denen wir in unserem Verhalten folgen. Die Verschränkung ist in unserem Kopf abgelegt (beim Computer würden wir davon sprechen, dass er programmiert sei). Ohne diese verinnerlichten Verschränkungen würde unser Alltag zusammenbrechen. Wir sind darauf angewiesen, dass jeder bestimmten Protokollen in seinem Kopf folgt, ansonsten würde unser Alltag weitgehend unberechenbar, unplanbar, wir selber könnten nichts mehr tun, weil all das, was wir für unser Verhalten brauchen, ja weitgehend davon abhängt, dass die anderen ihren Part erfüllen.

Die Die digital ermöglichten Verschränkungen sind insofern nur ein anderer Modus für unsere menschliche Fähigkeit, mit verschränkten Gehirnen handeln zu können. Das ist das Wesentliche Menschlicher Kultur: dass sich Gehirne aus ihrer Isolation im Körper befreien können, indem sie koordiniert handeln können. Die sogenannte Feuilleton-Kultur erscheint mir eher wie ein merkwürdiger Artefakt eines verirrten Bürgertums, das es so sowieso nicht mehr gibt. Eine Kultur von ortlosen Gefühlen, die sich einer willkürlichen Sprache bedienen, klammert sich an sich selbst, ohne wirkliche Ziele zu haben. Das Leben selbst ist aber nicht ziellos, es ist auch nicht ortlos, es ist nicht beliebig. Es verdichtet sich in Verschränkungen, zu denen Technik genuin beiträgt, indem neue Formen von Leben entstehen, dichter, intensiver, weitreichender. Unsere Verantwortung ist hier in höchstem Maße gefragt, auf eine Weise, die wir immer wieder neu erst noch lernen müssen.

ALLE BEITRÄGE VON CAGENT

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IN ZWEI WELTEN LEBEN …

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 23.Juli 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Nach einer längeren Schreibpause, hier ein kurzes Blitzlicht …

SCHWEIGEN IST VIELDEUTIG

Es ist ja ein beliebter Topos, über das Schweigen zu sinnieren. Korrespondiert es mit einem ‚Nichts‘ oder ist es nur ein Artefakt vielschichtiger, sich wechselseitig in Bann haltender Aktivitäten, die sich ’nach Außen quasi ‚aufheben’…

Dies ist ein Bild. Für mein Schweigen trifft weder das eine noch das andere zu. Tatsächlich ist bei mir die letzte Zeit extrem dicht angefüllt mit Aktivitäten, Denken, Schreiben, ja auch mit Programmieren, eine moderne Form des Schreibens. Letzteres leider in unserer Kultur von schöngeistigen Menschen wenig geachtet, tatsächlich aber der Stoff, aus dem das Meiste ist, was wir heute für unser Leben benutzen.

DENKEN – VIELFÄLTIG – IM DENKEN DENKEN

Die vielfältigen Formen des Denkens zu katalogisieren und zu bewerten, dann eventuell noch hierarchisch zu gewichten, ist sicher reizvoll. Bis zu einem gewissen Grade und in gewissen Situationen mag dies sogar notwendig sein (Gesetzestexte, Rezepten, Bauanleitungen, Sportberichte, Finanzberichte ….), aber man verliert die Wahrheit aus dem Blick wenn man übersieht, dass alle diese verschiedenen Spezialformen Ausdrucksformen einer einzigen Sache sind, nämlich der Bemühung des menschlichen Geistes — realisiert in den vielen einzelnen Menschen — sich im Hier und Jetzt zurecht zu finden; zu verstehen, wie denn das alles zusammenhängt. Warum das alles so ist, wie es ist. Gibt es irgendwie ein Ziel für die Zukunft? Mehrere? Welches ist am günstigsten? Für wen? Aus welchem Grund?

Für mich war das Schreiben in diesem Block seit ca. 10 Jahren mein Versuch, mich selbst in ein Gespräch zu verwickeln, das mich zwang, Eindrücken, Fragen nachzugehen, die ich ohne dies Schreiben eher achtlos beiseite gelassen hätte. Natürlich, neben viel Spaß, Lust an der Sache, Neugierde, Entdeckerfreuden usw. war es auch weite Strecken mühsam, quälend, mit der ständigen Frage: Muss das so sein? Bringt das was? Im Rückblick, nach ca. 9000 Seiten Text, würde ich sagen, es hat — zumindest für mich — sehr viel gebracht. Ich habe begonnen, Dinge zu verstehen, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie gibt, Zusammenhänge, die mir verborgen waren, überraschende neue Ausblicke, Glücksgefühle, noch mehr Neugierde, viel Hoffnung, ein wachsendes Vertrauen in dieses unfassbare Wunder genannt Leben. Ich bin jetzt soweit, dass ich zumindest ahnen kann, dass das Leben viel größer, tiefer, komplexer, reicher, gewaltiger ist, als alles, was uns die bekannten alten Traditionen — vor allem die alten Religionen, aber auch Einzelbereiche der Wissenschaften — bisher erzählt haben oder heute noch erzählen.

Insofern habe ich aus dem bisherigen Schreib- und Reflexionsprozess viel Kraft gezogen, viel Hoffnung, viel neues Vertrauen, Unternehmenslust, mit dabei zu sein, wenn es geht, die Unfassbarkeit unseres Lebens weiter zu gestalten.

MITGESTALTEN …

Je mehr man diesen Wunsch hegt, nicht nur passiv aufzunehmen, nicht nur zu verstehen, um so schwieriger wird dann die Frage, wo steigt man ein? Was kann man als einzelner mit seinen jeweiligen Möglichkeiten konkret tun?

Leute, die mit markigen Sprüchen durch die Welt laufen, die vielfarbige Slogans verteilen, die einfache schwarz-weiß Bilder austeilen, gibt es genug. Alles ist sehr einfach…

Aber, das Wunder des Lebens ist — nicht wirklich einfach. Wir selbst sind zwar zunächst als ‚Hineingeworfene‘ auf den ersten Blick einfach, weil wir etwas sehr Komplexes sind, das Komplexeste, was es im ganzen Universum gibt, aber wir haben keinen Finger dafür krumm gemacht, wir finden das alles einfach so vor, wir können sofort loslegen, ohne große umständliche Prozesse zu durchlaufen (OK, es gibt mittlerweile in den meisten Kulturen komplexe selbst definierte Lernprozesse in Kindergärten, Schulen, Betrieben, Hochschulen usw.), aber wir müssen nicht verstehen, wie wir funktionieren, um zu funktionieren. Unser Körper, das Äquivalent von ca. 450 Galaxien im Format der Milchstraße, funktioniert für uns, ohne dass wir verstehen müssen (und auch tatsächlich nicht verstehen können, bislang) wie er funktioniert. Wir sind ein Wunderwerk des Universums und können ‚funktionieren‘, obwohl wir uns praktisch nicht verstehen.

Da beginnt meine zweite Story: auf Ganze gesehen weiß ich so gut wie nichts, nah besehen weiß ich aber mittlerweile zu viel, als dass ich einfach so tun könnte, nichts zu wissen 🙂

EINZELTEILE ZUSAMMEN SUCHEN

Im Rahmen meiner unterschiedlichen Lehr- und Forschungstätigkeiten, zwischendrin auch ’normale‘ berufliche Arbeiten, habe ich schrittweise viele wissenschaftliche Bereiche kennen lernen dürfen und dabei entdeckt, dass wir aktuell ein ‚Zusammenhangs-Problem‘ haben, will sagen, wir haben immer mehr einzelne Disziplinen,die je für sich hoch spezialisiert sind, aber die Zusammenhänge mit anderen Bereichen, ein Gesamtverständnis von Wissenschaft, gar doch noch mit dem ganzen Engineering, dies geht uns zusehends ab. Dies bedeutet u.a. dass ein neuer Beitrag oft gar nicht mehr richtig gewürdigt werden kann, da die Umrisse des Ganzen, für das etwas entdeckt oder entwickelt wurde, kaum noch greifbar sind. Dies ist das Fake-News-Problem der Wissenschaften.

Ob geplant oder spontan oder zufällig, ich kann es nicht genau sagen, jedenfalls habe ich vor einigen Jahren damit begonnen, zu versuchen, die Disziplinen, in denen ich tätig sein konnte, langsam, schrittweise, häppchenweise, zu systematisieren, zu formalisieren, und sie auf die mögliche Wechselwirkungen mit den anderen Bereichen hin abzuklopfen.

Zu Beginn sah dies alles sehr bruchstückhaft, eher harmlos aus.

Doch im Laufe der Jahre entwickelten sich Umrisse, entstanden immer deutlicher Querbezüge, bis dann so langsam klar wurde, ja, es gibt hier mögliche begriffliche Rahmenkonzepte, die sehr prominente und doch bislang getrennte Disziplinen auf eine Weise zusammen führen können, die so bislang nicht sichtbar waren.

MENSCH – MASCHINE – UND MEHR …

Mein Fixpunkt war das Thema Mensch-Maschine Interaktion (MMI) (Englisch: Human-Machine Interaction, HMI), von mir dann weiter entwickelt zum allgemeinen Actor-Actor Interaction (AAI) Paradigma. Mehr zufällig bedingt, genau genommen durch einen wunderbaren Freund, einem Südafrikaner, ein begnadeter Systems Engineer, habe ich auch sehr früh begonnen, das Thema Mensch-Maschine Interaktion immer auch im Kontext des allgemeineren Systems Engineerings zu denken (im englischsprachigen Raum ist das Paradigma des Systems Engineering sehr geläufig, im deutschsprachigen Bereiche gibt es viele Sonderkonzepte). Irgendwann haben wir angefangen, das Systems Engineering zu formalisieren, und im Gefolge davon habe ich dies ausgedehnt auf das Mensch-Maschine Paradigma als Teil des Systems Engineerings. Dies führte zu aufregenden Verallgemeinerungen, Verfeinerungen und letztlich auch Optimierungen. Es war dann nur eine Frage der Zeit, bis das ganze Thema Künstliche Intelligenz (KI) integriert werden würde. KI steht bislang theoretisch ein wenig verloren im Raum der vielen Disziplinen, kaum verortet im Gesamt der Wissenschaften, des Engineering, der allgemeine Kognitions-, Lern- und Intelligenztheorien der biologischen Disziplinen. Im Rahmen des AAI Paradigmas ist KI eine Subdisziplin, die eine spezielle Teilmenge von Akteuren in ihrem Verhalten beschreiben, modellieren und simulieren kann, aber eben nicht isoliert, sondern eingeordnet in den Gesamtrahmen von Engineering und Wissenschaft. Dies eröffnet viele aufregende Perspektiven und Anwendungsmöglichkeiten.

Und so wird es auch niemanden verwunden, dass mein Engagement für ein integriertes begriffliches System für Systems Engineering, MMI und KI zugleich auch ein starkes Engagement für die philosophische Dimension wurde.

Ein Leser dieses Blocks wird nicht verwundert sein, wenn ich feststelle, dass es gerade die intensive Beschäftigung mit dem Engineering und seiner Meta-Probleme waren, die mich zur Philosophie zurück geführt hatten. Nach meiner völligen Frustration mit der klassischen Philosophie während des ersten Anlaufs einer Promotion in Philosophie an der LMU München (ca. 1980 – 1983) — ein Roman für sich — fand ich viele wertvolle Erkenntnisse im intensiven Studium der Wissenschaftsphilosophie und einiger konkreter Wissenschaften. Das Engineering (mit Schwerpunkt Informatik) war dann noch bereichernder. Aber gerade hier, im Systems Engineering, bei dem Thema Mensch-Maschine, und ausgerechnet mitten in den Lerntheorien der KI, bin ich auf so viele grundlegende philosophische Fragen gestoßen, dass ich von da ab — fast notwendigerweise — wieder angefangen habe philosophisch zu denken. Eines der Hauptmotive für diesen Block.

Natürlich, das merkt man wohl auch schon beim Lesen, führt die Breite und Fülle dieser Aspekte dazu, dass man nicht schnell, und nicht immer konzise arbeiten kann. Man muss viele Fragen mehrfach bedenken, oft von verschiedenen Seiten aus, muss immer wieder von vorne anfangen, und wenn man dann meint, jetzt habe man man den Bogen doch gut hinbekommen, entdeckt man von einer anderen Seite so viele anderen Aspekte, Löcher, Unzulänglichkeiten, dass man gerade nochmals von vorne anfangen kann.

Wie schwierig es auch sein mag, die Umrisse eines Ganzen deuten sich doch mittlerweile immer stärker an, so stark, dass ich das Gefühl habe, dass dieser andere Block — uffmm.org–, mein Blog für das Engineering, ab jetzt mehr — oder gar die ganze — Aufmerksamkeit verlangt.

Denn, eine Folge von Zusammenhangs-Sichten ist, dass man — fast unaufhaltsam — immer weitere Zusammenhänge entdeckt. So ist natürlich eng verknüpft mit dem Mensch-Maschine Paradigma der gesamte Komplex der biologischen und psychologischen Verhaltenswissenschaften, dazu gehörig auch das, was man Kognitionswissenschaft nennt, und damit ganz viele weitere spezielle Disziplinen, die irgendwie den Menschen und sein Verhalten thematisieren (Semiotik, Linguistik, Soziologie, …).

Während das Lesen und Studieren einzelner Werke und Artikel aus diesen Bereichen ohne übergreifenden Zusammenhang oft so beliebig, und damit frustrierend, wirkt, gewinnen diese Werke bei einem expliziten begrifflichen Zusammenhang eine ganz andere Farbigkeit, leuchten auf, werden interessant. So ist mir dies z.B. in den letzten Monaten mit Büchern von Edelman, Gallistel und Gärdenfors gegangen (um einige Beispiele zu nennen).

Während es also einerseits darum geht, immer mehr prominente Beispiele aus den genannten Disziplinen in den neuen begrifflichen Rahmen einzuordnen, ist mir auch klar geworden, dass dies alles — so wunderbar das für sich genommen schon ist (obgleich noch im Prozess) — heute nicht mehr ausreichend ist, ohne eine hinreichende Softwareunterstützung, ohne Software-Modellierung und vielerlei Simulationsversionen. Schon ein rein empirisches verhaltenswissenschaftliches Buch wie das grundlegende Werk von Gallistel zur Organisation des biologischen Lernens bleibt ohne zugehörige Softewaremodelle irgendwie ein Torso, entsprechend auch die Werke von Gärdenfors zu Begriffs-Räumen (Conceptual Spaces). Ein positives Beispiel für Theorie und Computersimulation liefert Edelman in vielen Büchern, Artikeln und Programmen. Und ich weiß aus eigener Vorlesungserfahrung, dass die Vorlesungen zum dynamischen Lernen erste mit der zugehörigen Softwaremodellierung jene Farbe und Tiefe bekommen haben, die es heute braucht.

Für mich ergibt sich daraus, dass ich parallel zur Text-Version der Theorie — natürlich mit hinreichenden Formalisierungen — eine vollständige Softwareabdeckung brauche. Ohne diese wird das alles nur Stückwerk bleiben.

Damit entsteht ein ziemliches Aufgabenpaket: Systems Engineering mit Actor-Actor Paradigma, dazu KI integriert, bei AAI Kognitionswissenschaften integriert, und zu allem die notwendige Software.

Allerdings eine wichtige Dimension fehlt bei dieser Aufzählung noch: die allgemeine Philosophie und die Wissenschaftsphilosophie. Die allgemeine Philosophie und die Wissenschaftsphilosophie können zwar die Einzelwissenschaften nicht ersetzen, aber die Einzelwissenschaften ohne eine explizite allgemeine Philosophie und Wissenschaftsphilosophie gleichen einem Haufen gackernder Hühner, deren Einzelbeiträge schnell in Kakophonie umschlagen kann, wenn sie nicht integriert werden.

Also, im Prinzip ist sehr klar, wie es gehen soll, es konkret zu tun ist scheinbar unmöglich. Aber genau das ist es, worum es geht: das Leben als solches in diesem Universum ist die maximale Unmöglichkeit, aber dennoch ist es da, dennoch entwickelt es sich. Dieses Mysterium einer ungeheuren Kraft, das Unmögliche möglich zu machen, das ist das, was jeden Menschen, insbesondere jeden Wissenschaftler, antreiben sollte, ansonsten sind wir tatsächlich — möglicherweise — schlechter als alle denkbaren Roboter der Zukunft.

AUF DIE BAUSTELLE

Wie schon angedeutet, hat meine Theoriebaustelle einen Namen: uffmm.org . ‚uffmm‘ ist die Abkürzung eines ganzen Satzes. Ich verrate jetzt nicht, wie dieser Satz heißt. Schön wäre es, wenn er einmal wahr werden würde.

Wer will, kann die Ereignisse auf dem uffmm-Blog verfolgen, allerdings ist dort alles auf Englisch. Es ist nicht meine Sprache, ich fühle mich damit sprachlich amputiert, aber es ist die zur Zeit beste Arbeitssprache für den internationalen Raum.

Ich habe auch keine Ahnung, wie weit ich kommen werde.

Parallel betreibe ich noch ein Anwendungsprojekt mit Überschrift ‚Kommunalplanung als eGaming‚. Damit zielen wir auf alle ca. 11.000 Kommunen in Deutschland, mit einem neuen Ansatz für mehr Demokratie in einer digitalisierten Welt. Dieser Ansatz ist ein direkter Ausfluss der zuvor angedeuteten Theoriearbeit (plus Software).

Der Philosophie-Jetzt Block war der entscheidende Inkubator für diese Weiterentwicklung. Ob und wie sich dieser Blog weiter entwickelt, wird man sehen. Er war ganz und gar ungeplant, und so wird auch die weitere Zukunft sich ereignen 🙂

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MEDITATION UND MYSTIK. Boxenstop im May 2019

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 13.Juni 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Anlässlich einer Lehrveranstaltung (5.Auflage des Moduls ‚Meditation als kulturelle Praxis‘ (zusammen mit anderen KollegenInnen)) habe ich aus verschiedenen Beiträgen dieses Blogs einen leicht synthetisierenden Text geschrieben, der einige der vielen Aspekte aufgreift, die in diesen Beiträgen thematisiert wurden. Dieser Text bleibt aber auch nur eine Momentaufnahme. Für den Vortrag auf dem nächsten Kongress im Oktober versuche ich, eine weitere Klärung und Synthetisierung. Den Kern des Erlebens – Interpretierens im einzelnen Individuum betrachte ich dort im Rahmen von drei verschiedenen Phasen der Aufklärung. Die dritte Phase der Aufklärung ist jene, in der wir uns gerade befinden und die bislang noch nicht so recht thematisiert wurde.

TEXT ALS PDF

Da der Text für einen Blogeintrag zu lang ist verlinke ich hier auf die PDF-Version: MEDITATION IM BLICKFELD VON PHILOSOPHIE UND WISSENSCHAFT. Version 1.2, 15.Mai 2019. Die Struktur des Textes ist wie folgt:

Vorwort ……………………………………………………7
1 Einführung ……………………………………………9
2 Selbsterfahrung und Gehirn …………………….11
3 Technische Superintelligenz, menschliche
Kognition, Meditation und Mystik …………………13
4 Außen, Innen, Gehirn, Sprache, Meditation ..17
5 Unbewusstes und Freiheit ………………………21
6 Radikales Selbstexperiment ……………………25
7 Verstehensfragen …………………………………27
8 ANHANG: Titelsuche ……………………………31
Bibliographie …………………………………………33
Index …………………………………………………..35

EPILOG

Wenn man davon ausgeht, dass individuelle menschliche Kognition ein fortlaufender Prozess des Wahrnehmens, Interpretierens, Arrangierens ist, durchsetzt von einer Vielzahl von Einflussgrößen, das dann nochmals eingebettet ist in ein gesellschaftliches Netzwerk, das seinen eigenen Einflüssen und Regeln folgt, dann kann man ahnen, dass aktuelle kognitive Zustände nur eine bedingte Geltung haben können. Dennoch brauchen wir Anhaltspunkte, an denen wir unser Verhalten orientieren. Die neuen digitalen Technologien können helfen und sie helfen auch schon massiv, sie alleine aber reichen nicht … trotz aller anders lautender Visionen von der allmächtigen künstlichen Intelligenz … ohne sie wird es nicht gehen, aber nicht so einfach, wie dies zur Zeit vermarktet wird.

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INFORMELLE KOSMOLOGIE – Und die Mensch-Maschine Frage

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 11.Februar 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

(Letzte Korrekturen: 12.Febr.2018)

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INHALT

I Einleitung 2
II (Intelligente) Maschine 2
III Mensch 2
IV Informelle Kosmologie 3
V Philosophischer Ausklang 4

THEMA

Die Frage nach der Zukunft von Menschen in einer Welt voller intelligenter Maschinen tritt immer mehr in das Zentrum der globalen Aufmerksamkeit. Während lange Zeit positive Visionen einer besseren Zukunft des Menschen mittels (intelligenter) Maschinen die Aufmerksamkeit auf sich zogen, kommen aktuell aber auch eher negative Aspekt zum Vorschein: werden die intelligenten Maschinen die Menschen ersetzen? Was wird aus einer Menschheit, deren primärer gesellschaftlicher Wert sich bislang über die erbrachte Arbeit definiert hat? Hängt der Wert eines Menschen
nur ab von der Form seiner entlohnten Arbeit? Ist der Mensch als Mensch nicht letztlich ’minderwertiger’ als eine intelligente Maschine als Teil des Produktionsprozesses? Was ist überhaupt der Mensch? Der Text hier geht ein paar neue Wege…

I. EINLEITUNG

Die Frage nach der Zukunft von Menschen in
einer Welt voller intelligenter Maschinen tritt immer
mehr in das Zentrum der globalen Aufmerksamkeit.
Während lange Zeit positive Visionen einer besseren
Zukunft des Menschen mittels (intelligenter) Maschinen
die Schlagzeilen beherrscht haben, kommen aktuell
immer mehr auch negative Aspekt zum Vorschein:
werden die intelligenten Maschinen die Menschen
ersetzen? Was wird aus einer Menschheit, deren
primärer gesellschaftlicher Wert sich bislang über die
erbrachte Arbeit definiert hat? Hängt der Wert eines
Menschen nur ab von der Form seiner entlohnten
Arbeit? Ist der Mensch als Mensch nicht letztlich
’minderwertiger’ als eine intelligente Maschine als Teil
des Produktionsprozesses? Was ist überhaupt der
Mensch?

Die Perspektiven der Diskussion um den Wert
des Menschen, um das rechte Menschenbild, sind
vielfältig und einiges davon wurde in vorausgehenden
Blogeinträgen schon angesprochen. Ein letzter Beitrag
nahm sich das Menschenbild der Psychoanalyse als
Aufhänger, um die Frage nach dem Menschenbild mal
von dieser Seite aus zu diskutieren.

Wie immer man aber die Diskussion beginnen will,
von welchem Standpunkt aus man auf das Problem
drauf schauen möchte, man kommt nicht umhin sich
Klarheit darüber zu verschaffen, was einerseits mit dem
Begriff ’Mensch’ gemeint ist und andererseits mit dem
Begriff ’intelligente Maschine’.

 

II. (INTELLIGENTE ) MASCHINE

Während es im Fall von ’intelligenten Maschinen’
zumindest für die ’potentiell intelligenten Maschinen’
fertige mathematische Definitionen gibt, dazu
viele theoretische Abhandlungen mit ausführlichen
mathematischen Beweisen, welche Eigenschaften denn
eine so mathematisch definierte Maschine grundsätzlich
haben kann bzw. nicht haben kann, wird es bei der
’Realisierung’ der mathematischen Konzepte als ’reale
Maschinen’ schon schwieriger. Die ’reale (empirische)
Welt’ ist keine Formel sondern ein Konglomerat von mehr
oder weniger verstanden Eigenschaften und Dynamiken,
deren Beschreibung in den empirischen Wissenschaften
– allen voran die Physik – bislang nur teilweise gelungen
ist. Aber selbst das, was bislang beschrieben wurde
repräsentiert keine ’absoluten’ Wahrheiten sondern
eine Menge von mehr oder weniger gut begründeten
’Hypothesen’, wie die beobachtbare und messbare Welt
vielleicht ’zu sehen ist’.

III. MENSCH

Im Falle des Menschen ist die Ausgangslage eine
andere. Hier steht am Anfang keine klare mathematischeDefinition, sondern wir stoßen beim Menschen zunächst auf eine Fülle empirischer Phänomene,
deren Komplexität – das beginnt die Wissenschaft
langsam zu ahnen – alles übersteigt, was bislang im
beobachtbaren Universum entdeckt werden konnte.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Menschen
in der bisherigen Geschichte – soweit sie rekonstruiert
werden konnte – mit Bildern von ’sich selbst’ hantiert
haben, die schlicht und einfach zu primitiv waren
(und sind), viel zu einfach, irreführend, und in diesem
Sinne möglicherweise lebensbedrohend sind für die
Menschheit als Ganzes. Denn, solange die Menschen in
ihrer Gesamtheit sich selbst nicht verstehen und von
sich in einer Weise denken, die wichtige Eigenschaften
verdeckt, überdeckt, entstellt, so lange kann der Mensch
seine eigene Zukunft kaum sinnvoll in die Hand nehmen.
Solange klare Leitbilder fehlen, solange ist die Gefahr
real und groß, sich selbst von einer in die nächste
Katastrophe zu steuern. Wie lange die Menschheit
als Ganze diesen Schlingerkurs des selbst gewählten
Wahnsinns überlebt, weiß keiner. Eine starke Hoffnung,
dass die Menschheit es irgendwie schaffen kann,
gründet darin, dass das gesamte biologische Leben
in seiner bis heute nicht verstandenen Komplexität
ja nicht stattfindet, weil irgendwelche Menschen sich
dies ausgedacht haben, sondern weil das biologische
Leben Teil eines komplexen dynamischen Prozesses
ist, der seinen ’eigenen Regeln’ folgt, Regeln, die dem
menschlichen Wahrnehmen, Fühlen und Denken ’voraus
liegen’!

Unsere Hoffnung ruht also darin, dass wir als
Menschen – bevor wir überhaupt irgendetwas selbst tun,
schon weitgehend ’getan wurden und werden’.

Allerdings – und darin liegt eine eigentümliche
Paradoxie – der bisherige Prozess der biologischen
Lebenswerdung ist so gestaltet, dass der Prozess
des gesamten bekannten Universums mehr und
mehr über das ’Erkennen der Welt’ und im darin
gründenden ’Gestalten der Welt’ in eine immer größere
Abhängigkeit von genau diesem biologischen Leben
gerät. Der gesamte Prozess der Entstehung des
biologischen Lebens – so kann man es sehen, wenn
man entsprechend hinschaut – zeichnet sich dadurch
aus, dass die materiellen Strukturen und die damit
verknüpften Dynamiken immer mehr in der Lage
sind, die Gegenwart von Ereignissen im künstlich
geschaffenen ’Inneren’ zu ’erinnern’, zu ’denken’, damit
’gedanklich (= virtuell) zu spielen’ und auf diese Weise
Schritt für Schritt den Ablauf des gesamten Universums
nicht nur zu ’rekonstruieren’, sondern auch zunehmend
’aktiv zu verändern’.

 

IV. INFORMELLE KOSMOLOGIE

Will man die Rolle des Menschen als Teil des
biologischen Lebens, dieses wiederum als Teil der
gesamten Erdgeschichte, der Geschichte unseres
Sonnensystems, und letztlich des gesamten bekannten
Universums verstehen, stößt man ziemlich schnell auf
das Problem einer zerklüfteten Wissenslandschaft, in der
sich täglich ’Datengebirge’ in immer größerem Ausmaßes
auftürmen, gesammelt aus einer unüberschaubaren
Menge von Blickwinkeln (bisweilen organisiert als
wissenschaftliche Disziplinen). Und da es keine
einheitliche Sprache für alle diese Sichten gibt, ist man
schon im Ansatz buchstäblich ’sprachlos’. Ohne Sprache
aber funktioniert unser Denken kaum bis gar nicht,
zumindest nicht, wenn es um klare kommunizierbare
Einsichten gehen soll.

Grundsätzlich ist dieses Phänomen der ’Sprachlosigkeit’ in den Wissenschaften nicht neu, im Gegenteil. Die Geschichte der Wissenschaften ist
auch eine Geschichte des permanenten Erfindens
neuer Sprache, um neue Phänomene angemessen
beschreiben zu können. Dieses ’Erfinden’ und
’Umsetzen’ ist meist ein langwieriger Prozess von
ersten Ideen, Sprechversuchen, vielen Diskursen,
Missverständnissen, Ablehnungen, Verteufelungen, und
mehr.

Bei meinem eigenen Versuch, mir einen ’Reim’ auf alle
die bekannten Phänomene im Umfeld des Menschen
(und der aufkommenden intelligenten Maschinen) zu
machen, habe ich schon viele Darstellungsweisen
versucht. Und auch jetzt bin ich aus diesem Zustand
des ’Suchens’ und ’Probierens’ noch nicht wirklich
heraus (wobei die Wissenschaft, wie oben angedeutet,
ja niemals ganz aus dem Suchen und Probieren heraus
kommen kann).

Mein letzter Verstehensversuch ist in dem beigefügten
Schaubild angedeutet (siehe das Bild 1).

Informelle Kosmologie unter Einbeziehung des Phänomens des biologischen Lebens
Bild 1: Informelle Kosmologie unter Einbeziehung des Phänomens des
biologischen Lebens

So ’komplex’ das Schaubild aussieht, so extrem
vereinfachend ist es mit Blick auf die Komplexität der
realen Welt ’dahinter’.

Was in diesem Schaubild nicht direkt abgebildet
ist, das ist die ’zeitliche Abfolge’ der Ereignisse im
Universum. Sie ist nur indirekt erschließbar über die
Verschachtelung der angezeigten Größen.

So gibt es eine Entsprechung zwischen der ’Energie’
einerseits und dem ’Raum’ und der darin auftretenden
’Materie’ andererseits.

Von der Materie wiederum wissen wir, dass sie
Komplexitätsebenen umfasst wie z.B. dass die ’Atome’
selbst sich wiederum aus ’sub-atomaren Teilchen’
konstituieren, die ’Moleküle’ aus Atomen, ’einfache’ und
’komplexe Zellen’ wiederum aus Molekülen, usw..

Parallel zur Struktur der Materie als sub-atomare
Teilchen, Atome, Moleküle usw. gibt es aber auch
immer ’Makrostrukturen’, die sich im allgegenwärtigen
’Raum’ ausbilden. Diese Makrostrukturen bilden sich
aus Ansammlungen von Atomen und Molekülen,
bilden ’Gaswolken/ Nebel’, darin wiederum kommt
es zur Bildung von ’Sternen’ und ’Planeten’, darüber
hinaus bilden viele Sterne zusammen ’Galaxien’, diese
wiederum ’Cluster’, und mehr.

Zwischen einer Makrostruktur und ihren materiellen
Sub-Strukture gibt es vielfältige spezifische Wechselwirkungen.

Vom ’biologischen Leben’ auf der Erde wissen wir,
dass es durch Formation von zunächst ’einfachen’,
später dann auch ’komplexen’ Zellen auf der Basis
von Molekülen immer neue, komplexe Eigenschaften
ausgebildet hat. Dies allerdings nicht isoliert, sondern
im Verbund von vielen Atomen und Molekülen in
spezifischen Makrostrukturen wie einem ’Ozean’, der
sich auf der Erde neben der ’Lithosphäre’ und der
’Atmosphäre’ herausgebildet hatte.

Biologische ’Zellen’ zeigen neben vielen Detailprozessen vornehmlich drei große Eigenschaften: (i) sie können mittels Atom- und Molekül basierter
Prozesse ’Freie Energie’ aus der ’Umgebung’ aufnehmen
und für Prozesse in der Zelle nutzen. Sie können (ii)
mittels dieser energiegetriebenen Prozesse molekulare
Strukturen ’generieren’ oder ’umformen’. Sie verfügen (iii)
über die nur sehr schwer zu erklärenden Eigenschaft, Prozesse
mittels molekularer Strukturen so zu ’kodieren’, dass
strukturbildende Prozesse die kodierten Strukturen als
’Informationen’ für solche Strukturbildende Prozesse
benutzen können. Dies ist ein einmaliger Prozess im
gesamten Universum. Die gebündelten Eigenschaften
(i) – (iii) ermöglichen es einer Zelle, sich selbst in eine
neue Zelle zu ’kopieren’, wobei dieses Kopieren keine ’1-zu-1’ Kopie ist, sondern eine ’Wiederholung mit einem gewissen Maß an Variation’. Dieser variable Anteil
basiert auf etwas, was man als ’Zufall’ bezeichnen
kann oder als eine Grundform von ’Kreativität’. Ohne
diese minimale Kreativität würde es kein biologisches
Leben geben! Es ist also nicht die ’Ordnung’ nach
vorgegebenen Regeln (= Informationen) alleine, die
’Leben’ möglich macht, sondern ’Ordnung + Kreativität’.
Eines von beiden alleine reicht nicht, aber beide
zusammen haben eine ’Chance’.

Von den komplexen Zellen zu komplexen
’Lebensformen’ wie ’Pflanzen’ (’Flora’) und Tieren
(’Fauna’) war es ein weiter und beschwerlicher Weg.
Die einzelnen Zellen mussten irgendwie lernen, durch
’Kommunikation’ miteinander zu ’Kooperieren’. Die
bislang praktizierten Kommunikations- und dann auch
Kooperationsformen sind unfassbar vielfältig.
Wenn man bedenkt, dass nach den neuesten
Erkenntnissen der Mikrobiologie ein Mensch nur
stattfinden kann, weil ca. 30 Billionen (10^12 ) Körperzellen
und ca. 220 Billionen (10^12 ) bakterielle Zellen in
jedem Moment kooperieren, dann kann man vielleicht
ganz dunkel erahnen, welche Kommunikations- und
Kooperationsleistungen im Bereich des biologischen
Lebens bislang realisiert wurden (Anmerkung: Wenn man zusätzlich bedenkt, dass unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, geschätzt ca. 200 – 300 Milliarden (10^9 ) Sterne umfasst, dann entspräche die Anzahl der Zellen eines menschlichen Körpers
etwa 830 Galaxien im Format der Milchstraße.)

Biologische Lebensformen treten niemals alleine,
isoliert auf, immer nur als ’Verbund von Vielen’ (=
’Population’). Nicht nur bildet also jeder einzelne Körper
eine Kommunikations- und Kooperationsgemeinschaft,
sondern alle Lebensformen folgen diesem Prinzip.
Je nach Komplexitätsgrad einer Lebensform nehmen
solche ’Verhaltensmuster’ zu, die wechselseitig die
Lebensprozesse jedes einzelnen und der Population
unterstützen können.

Bisher ist es nur einer von vielen Milliarden Lebensformen
gelungen, das eigene Verhalten durch immer komplexere
’Werkzeuge’ anzureichern, zu differenzieren, den
Wirkungsgrad zu erhöhen. Dies ist soweit gegangen,
dass mittlerweile ’Maschinen’ erfunden wurden, dann
gebaut und nun benutzt werden, die die grundlegenden
Eigenschaften jeder Zelle ’technisch kopieren’ können:
(i) Energie so zu nutzen, das (ii) Strukturänderungen
möglich werden, die durch (iii) Informationen ’gesteuert’
werden. Man nennt diese Maschinen ’Computer’
und stellt langsam fest, dass man mit diesen
Maschinen immer mehr der so genannten ’intelligenten’
Eigenschaften des Menschen ’kopieren’ kann. Was auf
den ersten Blick ’wundersam’ erscheinen mag, ist auf den
zweiten Blick aber klar: die Besonderheit des Menschen
liegt zu einem großen Teil in der Besonderheit seiner Zellen. Wenn ich die fundamentalen Eigenschaften
dieser Zellen in eine Technologie transformiere, dann
übertrage ich grundsätzlich auch diese Eigenschaften
auf diese Maschinen.

V. PHILOSOPHISCHER AUSKLANG

Aufgrund der aktuell gegebenen strukturellen
Begrenzungen des Menschen aufgrund seines aktuellen
Körperbauplans (der auf eine abwechslungsreiche
Entwicklungsgeschichte von vielen Milliarden Jahren
zurückschauen kann) beobachten wir heute, dass
die rasante Entwicklung der Gesellschaft (mit ihrer
Technologie) die Informationsverarbeitungskapazitäten
des Menschen wie auch sein emotionales Profil mehr
und mehr überfordern. Computer basierte Maschinen
können hier bis zu einem gewissen Grad helfen,
aber auch nur insoweit, als der Mensch diese Hilfe
’verarbeiten’ kann. Das Thema ’Mensch-Maschine
Interaktion’ bekommt in diesem Kontext eine ganz neue,
fundamentale Bedeutung.

Auf lange Sicht muss der Mensch es aber schaffen,
die Veränderung seines Körperbauplans schneller
und gezielter als durch die bisherige biologische
Evolution voran zu treiben. Die Visionen unter dem
Schlagwort ’Cyborgs’ sind keine Spinnerei, die man
ethisch verurteilen muss, sondern im Gegenteil absolut
notwendig, um das biologische Leben ’im Spiel zu
halten’. (Anmerkung: Möglicherweise muss all das, was bislang unter der Bezeichnung
’Ethik’ gehandelt wird, einer grundlegenden Revision unterzogen wer-
den.)

Neben vielem, was Computer basierte Maschinen
zur Ermöglichung von Leben beitragen können, muss
man klar sehen, dass eine fundamentale Frage aller
Menschen, vielleicht ’die’ fundamentale Frage, von den
Computer basierten Maschinen – auch wenn sie im
vollen Sinne lernfähig wären – bislang grundsätzlich auch
nicht beantwortet werden, und zwar aus prinzipiellen
Gründen. Gemeint ist das ’Werteproblem’ in der
Form, dass ein gezielt es Lernen und sich Entwickeln
voraussetzt, dass es geeignete Präferenzsysteme gibt
anhand dessen man irgendwie beurteilen kann, was
’besser’ oder was ’schlechter’ ist.

Vor dem Auftreten des Menschen (als ’homo sapiens’)
gab es nur das Präferenzsystem der ’gesetzten Welt’:
’Gut’ war letztlich nur das, was ein ’Weiterleben’ der
Population unter den gegebenen Bedingungen der
Erde (die sich im Laufe der Zeit mehrfach dramatisch
verändert hatte!) ermöglichte. Für große Diskussionen
war da kein Platz. Außerdem war ja auch niemand in
der Lage, hier zu ’diskutieren’.

Mit dem Auftreten des Menschen veränderte sich
die Situation grundlegend. Zwar galt es auch weiterhin,
sich unter den Bedingungen der aktuellen Erde (und
Sonnensystems und …) ’im Spiel’ zu halten, aber mit dem
Menschen entstand die Möglichkeit, sämtliche Abläufe
transparent zu machen, sie denkbar zu machen und
damit ganz neue Handlungsalternativen zu erschließen.
Damit stellt sich die Frage nach den ’Präferenzen’ aber
ganz neu. Das direkte, nackte Überleben ist durch die
modernen Gesellschaften im Prinzip so weit abgemildert,
dass man sich ’neue Ziele’ suchen kann. Menschen
können sich zwar weiterhin gegenseitig abschlachten, es
besteht dazu aber keine Notwendigkeit (allerdings kann
der Druck durch hohe Bevölkerungszahlen und endliche
Ressourcen die Bereitschaft zu einem konstruktiven
Miteinander beeinflussen). Nur, selbst wenn man will,
wo sollen die neuen Präferenzen herkommen? Bislang
kenne ich keinen einzigen Ansatz, der auch nur vage
den Eindruck erwecken würde, dass er eine interessante
Hypothese bilden könnte. Dies gilt sowohl für die
klassischen ethisch-religiösen Diskurskontexte wie auch
für das ganze Gerede um intelligente Maschinen und
Superintelligenz. Das ’Super’ im Begriff ’Superintelligenz’
bezieht sich bestenfalls auf Geschwindigkeiten und
Quantitäten von Rechenprozessen, nicht aber auf das
inhärente Werteproblem eines Lernprozesses.

Eine überraschende Fortsetzung findet sich HIER.

KONTEXT BLOG

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Themenbereiche des Blogs findet sich HIER.

Das aktuelle Publikationsinteresse des Blogs findet sich HIER

MENSCHENBILD – VORGESCHICHTE BIS ZUM HOMO SAPIENS – Überlegungen

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 27.August 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Letzte Altualisierung: 27.Aug.2017 - 17:37h
Es gibt eine Weiterentwicklung dieses Beitrags in einem Folgebeitrag!

PDF

Überblick

Eingeleitet durch wissenschaftsphilosophische
Überlegungen wird versucht, die Entwicklung der
Säugetiere bis hin zum homo sapiens anhand der aktuellen
Forschungsdaten abzubilden. Das Hauptaugenmerk liegt
auf der allgemeinen Struktur. Für die vielen Details sei auf
die Literatur verwiesen, die angegeben wird.

I. KONTEXT

Eine der Leitfragen dieses Blogs ist die Frage nach
dem neuen Menschenbild, speziell auch im Kontext
der Diskussion um die Zukunft von Menschen und
intelligenten Maschine.

Wer nach der Zukunft des Menschen fragt,
braucht ein gutes Bild vom aktuellen Menschen und
seiner Entstehungsgeschichte, um auf dieser Basis
Überlegungen zu einer möglichen Zukunft anstellen zu
können.

Während zur biologischen Evolution allgemein schon
einige Blogbeiträge geschrieben wurden, fehlt es im Blog
an konkreten Daten zur Entwicklung unmittelbar vor dem
Auftreten des homo sapiens, etwa in dem Zeitfenster -10
Mio Jahren bis ca. -30.000 Jahren vor dem Jahr 0. Dies
soll hier in einem ersten Beitrag nachgeholt werden.

II. WISSENSCHAFTLICHE SICHTWEISEN

Bei der Frage nach der Entwicklung des homo
sapiens spielen mehrere wissenschaftliche Disziplinen
ineinander. Einmal ist es die Geologie (Siehe: [WD17g]),
die den Kontext Erde untersucht; dann die Klimatologie
(Siehe: [WD17n]), die sich mit den klimatischen
Verhältnissen im Kontext Erde beschäftigt. Für das
Phänomen des Lebens selbst ist die Biologie zuständig,
speziell die Evolutionsbiologie (Siehe: [SWW13],
[WD17e]). Als Teil der Evolutionsbiologie sind noch
zu nennen die Molekularbiologie (Siehe: [WD17s]) mit
der Genetik (Siehe: [WD17f]). Ferner könnte man als
Teil der Evolutionsbiologie auch noch die Paläontologie
(Siehe: [WD17u], [Par15]) nennen und auch die
Archäologie (Siehe: [WD17a]). Wobei das Wechselspiel
von Evolutionsbiologie und Archäologie nicht ganz
so klar erscheint. Viele weitere wissenschaftliche
Disziplinen tauchen innerhalb der genannten Disziplinen
in unterschiedlichsten Kontexten auf.

Diese Vielfalt spiegelt ein wenig die Komplexität der
Phänomene wieder, um die es hier geht. Der Autor
cagent selbst betrachtet die hier zu verhandelnden
empirischen Phänomene aus Sicht der Philosophie
mit den Schwerpunkten Erkenntnisphilosophie, die
Überschneidungen hat mit Phänomenen wie z.B.
‚Lernen’ und ’Intelligenz’. Dies sind Themen, die
feste Orte auch in der Psychologie haben, heute
oft parallelisiert mit der Gehirnforschung (letztere
methodisch gesehen ein Teil der Biologie).

Angesichts dieser Komplexität ist es praktisch
unmöglich, ein völlig konsistentes, einheitliches Bild der
Phänomene zu zeichnen. An dieser Stelle ist es das
Anliegen von cagent, einen ’hinreichenden’ Überblick
über die ’unmittelbare’ Vorgeschichte des homo sapiens
zu bekommen.

Der homo sapiens ist jene biologische Art (Spezies),
die zur Gattung homo gerechnet wird, die sich aus
dem biologischen Formenstrom über Jahrmillionen
herausgeschält hat. Es zeigt sich, dass die zeitliche
Abgrenzung, wann genau ’das Menschliche’ anfängt,
und wann das ’Tierische’ aufhört, irgendwie beliebig
erscheint. Der homo sapiens ab ca. -30.000 besitzt
natürlich Eigenschaften, die wir beschreiben können
wie Körperbau, genetisch bestimmte Erbanlagen,
typische Verhaltensweisen, aber diese Eigenschaften
tauchen nicht abrupt in der Geschichte auf, sind nicht
irgendwann einfach so da, sondern man findet in
der vorausgehenden Zeit eine große Formenvielfalt
in den Artefakten, mit unterschiedlichen genetischen
Distanzen zum heutigen homo sapiens. Daraus muss
man schließen, dass es einen viele Millionen dauernden
Prozess des Formenwandels gab, innerlich genetisch
und äußerlich durch die jeweiligen geologischen und
klimatologischen Verhältnisse beeinflusst, die sich
zudem noch verknüpfen mit der jeweiligen Pflanzen- und
Tierwelt. Alle diese genannten Faktoren waren selbst
einem kontinuierlichen Wandel unterworfen.

Wenn die Grenzziehung zwischen dem ’Tierischen’
und dem ’Menschlichen’ von daher nicht ganz scharf
gezogen werden kann, ist auch eine Zeitangabe dazu,
wie weit zurück in der Zeit man gehen soll, um die
Vorgeschichte’ zu beschreiben, relativ, d.h. abhängig
von den Kriterien, die man bei der Analyse anlegen
will.

In diesem Beitrag wurde der Startpunkt für die
Beschreibung bei den Lebensformen gewählt, die die
Biologen ’Primaten’ nennen, und zwar spezieller den
Punkt der Aufspaltung in die Strepsirrhini und Haplorhini
(Siehe: [WE17l] und [WD17r]), die sich um etwa -80
Mio Jahren ereignet haben soll. Aus Sicht der heutigen
menschlichen Geschichte, wo 100 Jahre oder gar 1000
Jahre eine lange Zeit sind, wirken diese 80 Millionen
Jahre sehr, sehr lang. Innerhalb der Geschichte des
Lebens mit ca. 3.5 Milliarden Jahre fallen die 0.08 Mrd
Jahre seit dieser Aufspaltung nahezu kaum ins Gewicht,
es sind gerade mal 2.2% der gesamten Entwicklungszeit
des biologischen Lebens. Betrachtet man dagegen nur
die Zeit seit dem Auftreten der Lebensform homo, die
dem heute bekannten Menschlichem schon nahe kommt
(etwa ab -2.5 Mio), dann schrumpft der Zeitanteil auf
0.071 % der Entwicklungszeit des biologischen Lebens
zusammen. Umgerechnet auf das 12-Stunden Ziffernblatt
einer Uhr mit 720 Minuten würde die Entstehung der
Lebensform homo die letzte halbe Minute auf dem
Ziffernblatt ausmachen. Die Lebensform homo sapiens,
zu der wir uns zählen, tauchte frühestens um -190.000 in
Afrika auf. Das wären auf dem Ziffernblatt dann (bei ca.
81.000 Jahren pro Sekunde) die letzten 2.3 Sekunden.

Im Spiel des Lebens erscheint dies nicht viel. Betrachtet
man aber, was sich allein in den letzten ca. 10.000
Jahren ereignet hat, und hier speziell nochmals in den
letzten 100 Jahren, dann legt sich der Schluss nahe,
dass die Lebensform homo sapiens offensichtlich über
Fähigkeiten verfügt, die gegenüber der Vorgeschichte
von ca. 3.5 Mrd Jahren etwas qualitativ ganz Neues
sichtbar macht. Autor cagent ist sich nicht sicher,
ob der homo sapiens selbst bislang wirklich begreift,
was hier passiert, welche Rolle er in diesem Prozess
spielt. Auf der einen Seite zeichnet sich eine immer
größere Zerstörungskraft ab (die auch stattfindet), auf
der anderen Seite deuten sich konstruktive Potentiale
an, die alles übersteigen, was bislang vorstellbar war.

III. DEUTUNGEN: MATERIAL, MUSTER, FUNKTION, KONTEXTE

Die Tätigkeit der eingangs erwähnten Wissenschaft
kann man verstehen als eine Deutung, ausgeführt in
einem Deutungsprozess. Diese Deutung beginnt bei der
Bestimmung der Substanzen/ Materialien, die Forscher
vorfinden. Ist das eine Gesteinsart, sind das Knochen,
sind das pflanzliche Bestandteile …. ? Ein anderer
Aspekt ist die Frage nach ’Formen’ und ’Mustern’:
kann man an dem Material auffällige Formen oder
Muster erkennen, dann auch im Vergleich zu anderen
Materialien? Schließlich auch die Frage nach möglichen funktionalen Zusammenhängen’: wenn es ein Knochen
ist, in welchem Zusammenhang eines Knochengerüsts
kommt er vor? Wenn etwas ein Zahn sein soll, wie sah
das zugehörige Gebiss aus? Oder ist dieser Knochen Teil
eines Werkzeugs, einer zu unterstellenden Handlung,
die das Stück benutzt hat? Schließlich, in welchem
Kontext kommt ein Material vor? Ist es zufälliger Kontext,
ein Kontext durch einen geologischen Prozess, ein
Kontext erzeugt durch Verhalten von Lebewesen?
Schon bei diesen Fragen bieten sich eine Vielzahl von
Deutungsmöglichkeiten, bestehen viele Ungewissheiten.

IV. DEUTUNGEN 2: ZEITLICHE ABFOLGE

Was Forscher zur Evolutionsbiologie besonders
interessiert, ist das Erfassen von zeitlichen Abfolgen:
unter Voraussetzung eines bestimmten Zeitmaßes
möchte die Evolutionsbiologie wissen, ob ein
Gegenstand/ Artefakt A im Sinne des Zeitmaßes ‚vor’ oder ’nach’ einem anderen Gegenstand/ Artefakt B ‚anzuordnen’ ist.
Diese Frage macht nur Sinn, wenn man neben
einem definierten Zeitmaß auch annehmen darf
(muss), dass sich die Erde als Generalumgebung aller
vorfindbaren Materialien/ Artefakte grundsätzlich in
einem Veränderungsmodus befindet, dass also die
Erde zu zwei verschiedenen Zeitpunkten grundsätzlich
verschieden sein kann.

Dass sich am Kontext Erde Veränderungen feststellen
lassen, dies haben Menschen schon sehr früh erleben
können: Temperatur, Regen oder nicht Regen, Tag und
Nacht, Wachstum der Pflanzen, Geboren werden und
Sterben, usw. Es passierte aber erst im 17.Jahrhundert,
dass die Fragestellung nach dem Vorher und Nachher in
der Entwicklung der Gesteine mit Nils Stensen (nicolaus
steno) eine systematische Form fand, aus der sich nach
und nach die moderne Geologie entwickelte (Siehe:
[WD17h]).

Erst durch die wissenschaftliche Geologie wissen
wir zunehmend, dass die Erde selbst ein dynamisches
System ist, das sich beständig verändert, wo sich
ganze Kontinente bilden, verschieben, verformen; wo
Vulkanismus stattfindet, Erosion, Klimaänderungen, und
vieles mehr. Erst durch die geologische Sehweise konnte
man nicht nur verschiedene Zustände der Erde entlang
einem definierten Zeitmaß identifizieren, sondern damit
dann auch Veränderungen in der Zeit’ sichtbar machen.

Dieses geologische Wissen vorausgesetzt,  besteht
plötzlich die Möglichkeit, ein Material/ Artefakt einer
erdgeschichtlichen Phase, einem Zeitpunkt in einem
Veränderungsprozess, zuzuordnen. Die Geologie hat – mittlerweile unterstützt durch viele Spezialgebiete, wie z.B. auch die Klimatologie (Siehe:
[WD17n]) – unter anderem eine zeitliche Abfolge von
Vulkanausbrüchen in den verschiedenen Regionen
der Erde identifizieren können und auch das sich
verändernde Klima.

So spricht man in der Klimatologie von sogenannten
Eiszeitaltern’ (Siehe: [WD17d]). In der schwachen
Version einer Definition von Eiszeitalter geht man davon
aus, dass mindestens eine Polkappe vereist ist. Die
letzte Eiszeit dieser Art fand statt um -33.5 Mio Jahren.
In der starken Version geht man davon aus, dass beide
Polkappen vereist sind. Die letzte Eiszeit dieser Art
begann um ca. -2.7 Mio Jahren und hält bis heute
an. In dieser Zeit gab es unterschiedliche Kalt- und
Warm-Phasen. Seit ca. -1 Mio Jahren haben sich 6
mal Kaltzeiten wiederholt: ca. -0.9 Mio, -0.77 Mio, -0.6
Mio, -0.48 Mio, -0.35 Mio, -12.000 (siehe: [WD17o],
[Rot00]:SS.173ff ).

Ein anderer starker Faktor, der das Klima
beeinflussen kann, sind Supervulkanausbrüche
(Siehe: [WD17w]). Hier eine Zusammenstellung
von Eiszeitaltern mit Kaltphasen in Kombination mit
den Supervulkanausbrüchen sofern sie das frühe
Ausbreitungsgebiet von homo und homo sapiens berührt
haben (wobei auch andere große Ausbrüche sich
weltweit auswirken konnten)(man beachte, dass die
Zeitangaben mit großen Unschärfen versehen sind):

  • Eiszeit: ab ca. -2.7 Mio Jahren
  • Vulkan:-1 Mio Äthiopien
  • Vulkan: -788.000 Indonesien
  • Kaltzeit: ca. -0.77 Mio Jahren
  • Kaltzeit: ca. -0.6 Mio Jahren
  • Vulkan: -500.000 (+/- 60.000) Äthiopien
  • Kaltzeit: ca. -0.48 Mio Jahren
  • Vulkan: -374.000 Italien
  • Kaltzeit: ca. -0.35 Mio Jahren
  • Vulkan:-161.000 Griechenland
  • Vulkan: -74.000 Indonesien
  • Vulkan:-50.000 Italien
  • Vulkan:-39.000 Italien
  • Kaltzeit: ca. -12.000

Bei der Entstehung von Eiszeiten spielen eine Vielzahl
von Faktoren eine Rolle, die ineinandergreifen. Sofern
es sich um periodische Faktoren handelt, kann sich dies
auf den Periodencharakter von Kalt- und Warmzeiten
auswirken (siehe: [WD17o], [Rot00]:SS.173ff ). Die globale Erwärmung, die
aktuell beklagt wird, ist ein Ereignis innerhalb eines noch
existierenden Eiszeitalters. Insofern ist die Erwärmung
eigentlich keine Anomalie, sondern eher die Rückkehr
zum ’Normalzustand’ ohne Eiszeitalter. Wobei sich
natürlich die Frage stellt, welcher Zustand der Erde ist
eigentlich ’normal’? Kosmologisch betrachtet – und darin
eingebettet die Wissenschaften von der Erde – wird
die Erde in einem Zustand enden, der nach heutigem
Wissen absolut lebensfeindlich sein wird (siehe: [WD17p],
[WE17b], [WE17c]). Für die Erde ist dieser Zustand
normal’, weil es dem physikalischen Gang der Dinge
entspricht, aus Sicht der biologischen Lebensformen
ist dies natürlich überhaupt nicht ’normal’, es ist ganz
und gar ’fatal’.

Insofern wird hier schon deutlich, dass
die innere Logik des Phänomens ‚biologisches Leben‘
nicht automatisch kongruent ist mit einem aktuellen
Lebensraum. Das Phänomen des biologischen Lebens
manifestiert einen Anspruch auf Geltung, für den
es im Licht der physikalischen Kosmologie keinen
natürlichen’ Ort gibt. Das biologische Leben erscheint
von daher als eine Art ’Widerspruch’ zum bekannten
physikalischen Universum, obgleich es das physikalische
Universum ist, das das biologische Leben mit ermöglicht.

V. DEUTUNGEN 3: ENTWICKLUNG VON KOMPLEXITÄT

Wenn man so weit vorgestoßen ist, dass man
Materialien/ Artefakte auf einer Zeitachse anordnen kann,
dann kann man auch der Frage nachgehen, welche
möglichen Veränderungen sich entlang solch einer
Zeitachse beobachten lassen: Bleibt alles Gleich? Gibt
es Änderungen? Wie lassen sich diese Veränderungen
klassifizieren: werden die beobachtbaren Phänomene
einfacher’ oder ’komplexer’?

Um solche eine Klassifikation in ’einfach’ oder
komplex’ vorzunehmen, braucht man klare Kriterien für
diese Begriffe. Aktuell gibt es aber keine einheitliche, in
allen Disziplinen akzeptierte Definition von ’Komplexität’.

In der Informatik wird ein Phänomen relativ zu
einem vorausgesetzten Begriff eines ’Automaten’ als
komplex’ charakterisiert: je nachdem wie viel Zeit
solch ein Automat zur Berechnung eines Phänomens
benötigt oder wie viel Speicherplatz, wird ein Phänomen
als mehr oder weniger ’komplex’ eingestuft (Siehe
dazu: [GJ79]). Dieser vorausgesetzte Automat ist eine
sogenannte ’Turingmaschine’. Dieses Konzept entstand
in der Grundlagendiskussion der modernen Mathematik
um die Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert, als sich
die Mathematiker (und Logiker) darüber stritten, unter
welchen Bedingungen ein mathematischer Beweis
für einen Menschen (!) als ’nachvollziehbar’ gelten
kann. Nach gut 30 Jahren heftigster Diskussionen fand
man mehrere mathematische Konzepte, die sich als
äquivalent erwiesen. Eines davon ist das Konzept der
Turingmaschine, und dieses gilt als das ’einfachste’
Konzept von allen, das sich seit 1936/7 bisher in
allen Widerlegungsversuchen als stabil erwiesen hat.
Dies ist zwar selbst kein unwiderleglicher logischer
Beweis, aber ein empirisches Faktum, was alle Experten
bislang glauben lässt, dass mit diesem Konzept eine
zentrale Eigenschaft des menschlichen Denkens
eine konzeptuelle Entsprechung gefunden hat, die
sich formal und empirische experimentell überprüfen
lässt. So, wie die Physiker zum Messen Standards
entwickelt haben wie das ’Kilogramm’, das ’Meter’
oder die ’Sekunde’, so haben die Informatiker zum
Messen der ’Komplexität’ eines Phänomens relativ zur
(menschlichen) Erkenntnisfähigkeit die ’Turingmaschine’
(samt all ihren äquivalenten Konzepten) gefunden. Der
Vorteil dieser Definition von Komplexität ist, dass man
über das zu klassifizierende Phänomen vorab nahezu
nichts wissen muss. Darüber hinaus macht es Sinn, das
menschliche Erkennen als Bezugspunkt zu wählen, da
die Frage der Komplexität jenseits des menschlichen
Erkennens keinen wirklichen Ort hat.

Zurück zum Ausgangspunkt, ob sich im ’Gang der
Dinge’ auf der Erde Phänomene erkennen lassen,
die ’im Lauf der Zeit’ an Komplexität zunehmen,
deutet sich Folgendes an: es scheint unbestritten,
dass die Beschreibung einer biologischen ’Zelle’
(siehe: [AJL+15]) einen erheblich größeren Aufwand
bedeutet als die Beschreibung eines einzelnen Moleküls.
Zellen bestehen aus Milliarden von Molekülen, die
in vielfältigsten funktionellen Zusammenhängen
miteinander wechselwirken. Der Übergang von einzelnen
Molekülen zu biologischen Zellen erscheint von daher
gewaltig, und es ist sicher kein Zufall, dass es bis heute
kein allgemein akzeptiertes Modell gibt, das diesen
Übergang vollständig und befriedigend beschreiben
kann.

Für den weiteren Verlauf der biologischen Evolution
gibt es zahllose Phänomene, bei denen eine Vielzahl
von Faktoren darauf hindeuten, dass es sich um eine
Zunahme von Komplexität’ im Vergleich zu einer
einzelnen Zelle handelt, wenngleich manche dieser
Komplexitäts-Zunahmen’ Milliarden oder hunderte von
Millionen Jahre gebraucht haben. Im Fall der Entwicklung
zum homo sapiens ab ca. -80 Millionen Jahre gibt es
auch solche Phänomene, die sich aber immer weniger
nur alleine im Substrat selbst, also im Körperbau
und im Gehirnbau, festmachen lassen, sondern wo
das ’Verhalten’ der Lebewesen ein Indikator ist für
immer komplexere Wechselwirkungen zwischen den
Lebewesen und ihrer Umwelt.

Der Körper des homo sapiens selbst umfasst ca.
37 Billionen (10^12) Körperzellen, dazu im Innern des
Körpers geschätzte ca. 100 Billionen Bakterien, und
zusätzlich auf der Körperoberfläche ca. 224 Milliarden
Bakterien (siehe dazu [Keg15]). Diese ca. 137 Billionen
Zellen entsprechen etwa 437 Galaxien im Format
der Milchstraße. Während Menschen beim Anblick
des Sternenhimmels zum Staunen neigen, bis hin
zu einer gewissen Ergriffenheit über die Größe (und
Schönheit) dieses Phänomens, nehmen wir einen
anderen menschlichen Körper kaum noch wahr (falls
er sich nicht irgendwie auffällig ’inszeniert’). Dabei
ist der menschliche Körper nicht nur 437 mal größer in seiner Komplexität
als die Milchstraße, sondern jede einzelne Zelle ist
ein autonomes Individuum, das mit den anderen auf
vielfältigste Weise interagiert und kommuniziert. So kann
eine einzelne Gehirnzelle bis zu 100.000 Verbindungen
zu anderen Zellen haben. Körperzellen können über
elektrische oder chemische Signale mit vielen Milliarden
anderer Zellen kommunizieren und sie beeinflussen.
Bakterien im Darm können über chemische Prozesse
Teile des Gehirns beeinflussen, das wiederum aufgrund dieser Signale Teile des
Körpers beeinflusst. Und vieles mehr. Obgleich
die Erfolge der modernen Wissenschaften in den letzten
20 Jahren geradezu atemberaubend waren, stehen wir
in der Erkenntnis der Komplexität des menschlichen
Körpers noch weitgehend am Anfang. Niemand hat
bislang eine umfassende, zusammenhängende Theorie.

Dazu kommen noch die vielen immer komplexer
werden Muster, die sich aus dem Verhalten von
Menschen (und der Natur) ergeben. Zusätzlich wird das Ganze
stark beeinflusst von modernen Technologi wie z.B. der
Digitalisierung.

VI. DEUTUNGEN4: SELBSTREFERENZ: CHANCE UND
RISIKO

Ist man also zur Erkenntnis einer Zunahme an
Komplexität vorgestoßen, gerät das Erkennen vermehrt
in einen gefährlichen Zustand. Das Erkennen von
Zunahmen an Komplexität setzt – nach heutigem
Wissensstand – symbolisch repräsentierte ’Modelle’
voraus, ’Theorien’, mittels deren das menschliche
(und auch das maschinelle) Denken Eigenschaften
und deren Anordnung samt möglichen Veränderungen
repräsentieren’. Sobald ein solches Modell vorliegt, kann
man damit die beobachteten Phänomene ’klassifizieren’
und in ’Abfolgen’ einordnen. Die ’Übereinstimmung’
von Modell und Phänomen erzeugt psychologisch ein
befriedigendes’ Gefühl. Und praktisch ergibt sich daraus
meist die Möglichkeit, zu ’planen’ und Zustände ’voraus
zu sagen’.

Je komplexer solche Modelle werden, um so größer
ist aber auch die Gefahr, dass man nicht mehr so leicht
erkennen kann, wann diese Modelle ’falsch’ sind. Solche
Modelle stellen Zusammenhänge (im Kopf oder in der
Maschine) her, die dann vom Kopf in die Wirklichkeit
außerhalb des Körpers ’hinein gesehen’ werden, und
mögliche Alternativen oder kleine Abweichungen können
nicht mehr so ohne weiteres wahrgenommen werden.
Dann hat sich in den Köpfen der Menschen ein bestimmtes
Bild der Wirklichkeit ’festgesetzt’, das auf Dauer
fatale Folgen haben kann. In der Geschichte der empirischen
Wissenschaften kann man diese Prozesse mit
zahlreichen Beispielen nachvollziehen (siehe den Klassiker:
[Kuh62]). Dies bedeutet, je umfassender Modelle
des Erkennens werden, um so schwieriger wird es auf
Dauer – zumindest für das aktuelle menschliche Gehirn
das ’Zutreffen’ oder ’Nicht-Zutreffen’ dieser Modelle
zu kontrollieren.

Nachdem mit dem Gödelschen ’Unentscheidbarkeitstheorem’
schon Grenzen des mathematischen Beweisens sichtbar wurden (Siehe: [WD17q]),
was dann mit der Heisenbergschen ’Unschärferelation’
(Siehe: [WD17j]) auf das empirischen Messen erweitert
wurde, kann es sein, dass das aktuelle menschliche
Gehirn eine natürliche Schranke für die Komplexität
möglicher Erklärungsmodelle bereit hält, die unserem
aktuellen Erkennen Grenzen setzt (Grenzen des Erkennens
werden im Alltag in der Regel schon weit vorher
durch psychologische und andere Besonderheiten des
Menschen geschaffen).

VII. PERIODISIERUNGEN: BIS HOMO SAPIENS

Wie schon angedeutet, ist das Vornehmen einer
Periodisierung ein Stück willkürlich. Autor cagent hat
den Zeitpunkt der Aufspaltung der Primaten um etwa
-80 Mio Jahren vor dem Jahr 0 gewählt. Dabei gilt
generell, dass solche Zeitangaben nur Näherungen sind,
da die zugehörigen Wandlungsprozesse sich immer als
Prozess über viele Millionen Jahre erstrecken (später
dann allerdings immer schneller).

Bei der Datierung von Artefakten (primär
Knochenfunden, dazu dann alle weiteren Faktoren,
die helfen können, den zeitlichen Kontext zu fixieren),
gibt es einmal den Ansatzpunkt über die äußere und
materielle Beschaffenheit der Artefakte, dann aber
auch – im Falle biologischer Lebensformen – den
Ansatzpunkt über die genetischen Strukturen und
deren Umformungslogik. Über die Genetik kann man
Ähnlichkeiten (Distanzen in einem Merkmalsraum)
zwischen Erbanlagen feststellen sowie eine ungefähre
Zeit berechnen, wie lange es gebraucht hat, um von
einer Erbanlage über genetische Umformungen zu
einer anderen Erbanlage zu kommen. Diese genetisch
basierten Modellrechnungen zu angenommenen Zeiten
sind noch nicht sehr genau, können aber helfen,
die Materie- und Formen-basierten Zeitangaben zu
ergänzen.

  • Ordnung: Primates (Siehe: [SWW13]:Kap.5.2)
    (Aufteilung ab ca. -80 Mio) –->Strepsirrhini (Lorisi-,
    Chiromyi-, Lemuriformes) und Haplorhini (Tarsier,
    Neu- und Altweltaffen (einschließlich Menschen))
    (Siehe: [SWW13]:S.428,S.432, S.435 [WE17l],
    [WD17r])
  • Unterordnung: Haplorrhini (Aufteilung ab ca. -60
    Mio) (Siehe: [WE17l]) –->Tarsiiformes und Simiiformes
    Nebenordnung: Simiiformes (Aufteilung ab ca. –
    42.6 Mio) -–>Platyrrhini (Neuwelt- oder Breitnasenaffen)
    und Catarrhini (Altwelt- oder Schmalnasenaffen)
    (Siehe: Siehe: [SWW13]:S.428, [WE17l])
  • Teilordnung: Catarrhini (Altwelt- oder Schmalnasenaffen)
    (Aufteilung ab ca. -29/-25 Mio) -–>Cercopithecoidea
    (Geschwänzte Altweltaffen) und Hominoidea
    (Menschenartige) (Siehe: Siehe: [WE17l] und
    [WD17r])

    • Überfamilie: Hominoidea (Menschenartige)
      (Aufteilung ab ca. -20 Mio/ -15 Mio) –>Hylobatidae
      (Gibbons)und Hominidae (Große Menschenaffen
      und Menschen) (Siehe: [WD17r])
    • Aufspaltung der Menschenaffen (Hominidae) in die
      asiatische und afrikanische Linie (ca. -11 Mio)
      (Siehe: [WD17r])

      • Familie: Hominidae (Menschenaffen)(Aufteilung ab
        ca. -15Mio/-13 Mio in Afrika) –>Ponginae (Orang-
        Utans) und Homininae (Siehe: [WD17r])

        • Unterfamilie: Homininae
          Aufteilung der Homininae (ab ca. -9 Mio/ -8 Mio) –>
          Tribus: Gorillini und Hominini (Siehe: [WE17d])

          • Gattung: Graecopithecus (Süden von Griechenland)
          • Spezies/ Art: Graecopithecus freybergi (Siehe: [WD17i]) (ca. -7.2 Mio)
          • Gattung: Sahelanthropus (ab ca. -7.0/ -6.0 Mio)
          • Spezies/ Art: Sahelanthropus tchadensis
            (Siehe: [WD17v] [WE17k]) (im Tschad)
        • Tribus (Stamm/ Tribe): Hominini
        • Aufteilung der Hominini (ab ca. -6.6/-4.2 Mio)
          (Siehe: [SWW13]:S.435, [WE17d]) -–>Pan
          (Schimpansen) und Homo (Die Lebensform
          Panina bildet einen Unterstamm zum
          Stamm ’homini’. Für die Trennung zwischen
          Schimpansen (Pan) und Menschen (Homo) wird
          ein komplexer Trennungsprozess angenommen,
          der viele Millionen Jahre gedauert hat. Aktuelle
          Schätzungen variieren zwischen ca. -12 Mio und
          -6-8 Mio Jahren (Siehe: [WE17a])

          • Gattung: Orrorin tugenensis (ab ca. -6.2 bis
            ca. -5.65 Mio) (Siehe: [WD17t])
          • Gattung: Ardipithecus (ab ca. -5.7 Mio bis ca.
            -4.4 Mio) (Siehe: [WD17b])
          • Gattung: Australopithecus anamensis (ab
            ca. -4.2 Mio bis ca. -3.9 Mio) (Siehe:
            [SWW13]:S.475f)
          • Gattung: Australopithecus (ab ca. -4 Mio bis
            ca. -2/-1.4 Mio) (Siehe: [SWW13]:S.475f)
          • Gattung: Australopithecus afarensis (ab
            ca. -3.5 Mio bis ca. -3 Mio) (Siehe:
            [SWW13]:S.476)
          • Gattung: Kenyanthropus platyops (ab ca. –
            3.5/ -3.3 Mio) (Siehe: [WD17m]) Kann
            möglicherweise auch dem Australopithecus
            zugerechnet werden (Siehe: [SWW13]:S.475,
            479).
          • Gattung: Australopithecus africanus (ab
            ca. -3.2 Mio bis ca. -2.5 Mio) (Siehe:
            [SWW13]:S.477)
          • Gattung: Australopithecus ghari (um ca.- 2.5
            Mio) (Siehe: [SWW13]:S.477)
          • Gattung: Paranthropus (Australopithecus)
            (ab ca. -2.7 Mio) (Siehe: [WE17j]).
            Kann möglicherweise auch dem
            Australopithecus zugerechnet werden (Siehe:
            [SWW13]:S.475).

            • Spezies/ Art: Paranthropus (Australopithecus)
              aethiopicus (ab ca. -2.6 Mio bis ca. -2.3
              Mio) (Siehe: [SWW13]:S.478)
            • Spezies/ Art: Paranthropus (Australopithecus)
              boisei (ab ca. -2.3 Mio bis ca. -1.4 Mio)
              (Siehe: [SWW13]:S.478). Mit dem Australopithecus
              boisei starb der Australopithecus
              vermutlich aus.
            • Spezies/ Art: Paranthropus (Australopithecus)
              robustus (ab ca. -1.8 Mio bis ca. -1.5
              Mio) (Siehe: [SWW13]:S.478)
          • Gattung: Homo (ab ca. -2.5/ -2.0 Mio).
            Im allgemeinen ist es schwierig, sehr klare
            Einteilungen bei den vielfältigen Funden
            vorzunehmen. Deswegen gibt es bei der
            Zuordnung der Funde zu bestimmten Mustern
            unterschiedliche Hypothesen verschiedener
            Forscher. Drei dieser Hypothesen seien hier
            explizit genannt:

            1. Kontinuitäts-Hypothese: In dieser Hypothese
              wird angenommen, dass es vom
              homo ergaster aus viele unterschiedliche
              Entwicklungszweige gegeben hat, die
              aber letztlich alle zum homo sapiens
              geführt haben. Die Vielfalt der Formen
              in den Funden reflektiert also so eine
              genetische Variabilität.
            2. Multiregionen-Hypothese: In dieser Hypothese
              wird angenommen, dass sich –
              ausgehend vom homo ergaster – regional
              ganz unterschiedliche Formen ausgebildet
              haben, die dann – bis auf den homo sapiens
              mit der Zeit ausgestorben sind
            3. Out-of-Africa Hypothese: Neben
              früheren Auswanderungen aus Afrika
              geht es in dieser Hypothese darum, dass
              sich nach allen neuesten Untersuchungen
              sagen lässt, dass alle heute lebenden
              Menschen genetisch zurückgehen auf
              den homo sapiens, der ca. um -100.000
              Jahren von Afrika aus kommend nach und
              nach alle Erdteile besiedelt hat (Siehe:
              [SWW13]:S.488ff, 499).

            Natürlich ist auch eine Kombination der ersten
            beiden Hypothesen möglich (und wahrscheinlich),
            da es zwischen den verschiedenen Formen
            immer wieder Vermischungen geben
            konnte.

          • Spezies/ Art: Homo rudolfensis (von
            ca. -2.4 bis ca. -1.8 Mio) (Siehe:
            [SWW13]:S.481)
          • Spezies/ Art: Homo habilis (von ca. -2.4 Mio bis ca. 1.65 Mio). Erste Art der Gattung Homo. Benutzte Steinwerkzeuge (Oldowan Kultur). Diese Artefakte sind
            nachweisbar für -2.5 bis -700.000 (Siehe: [SWW13]:S.480)
          • Gattung: Australopithecus sediba (um ca.
            -2 Mio) (Siehe: [SWW13]:S.477)
          • Spezies/ Art: Homo gautengensis (von ca.
            -1.9 Mio bis ca. -0.6 Mio)(Südafrika) (Siehe:
            [WE17h])
          • Spezies/ Art: Homo ergaster (von ca. -1.9
            Mio bis ca. -1.0 Mio) Werkzeuggebrauch
            wahrscheinlich, ebenso die Nutzung von
            Feuer (Lagerplätze mit Hinweisen um ca.
            -1.6 Mio). Stellung zu homo erectus unklar.
            (Siehe: [SWW13]:S.482f) Funde in
            Nordafrika (ca. -1.8 Mio), Südspanien (ca. –
            1.7-1.6 Mio und -1 Mio), Italien (ca. -1 Mio),
            Israel (ca. -2 Mio), Georgien (ca. -1.8 bis –
            1.7 Mio) und China (ca. -1.0 Mio) zeigen,
            dass homo ergaster sich schon sehr früh
            aus Afrika heraus bewegt hat.
          • Spezies/ Art: Homo erectus (Siehe:
            [WE17f]) (ab ca. -1.9 Mio bis ca. -85.000/
            -56.000); entwickelte sich vor allem in
            Asien (China, Java…), möglicherweise
            hervorgegangen aus dem homo ergaster.
            Ist fas zeitgleich zu homo ergaster in Afrika
            nachweisbar. Würde voraussetzen, dass
            homo ergaster in ca. 15.000 Jahren den
            Weg von Afrika nach Asien gefunden hat.
            (Siehe: [SWW13]:S.484-487)
          • Spezies/ Art: Homo antecessor (Siehe:
            [WE17e]) (von ca. -1.2 Mio bis –
            800.000). Hauptsächlich Funde in
            Nordafrika und Südspanien. Wird zur
            ersten Auswanderungswelle ’Out of Africa’
            gerechnet, die nach Europa und Asien kam.
            Letzte Klarheit fehlt noch. Es scheint viele
            Wechselwirkungen zwischen h.ergaster,
            h.erectus, h.antecessor, h.heidelbergensis,
            h.rhodesiensis, h.neanderthalensis sowie
            h.sapiens gegeben zu haben. (Siehe:
            [SWW13]:S.489)
          • Spezies/ Art ?: Homo cepranensis
            (Datierung zwischen ca. -880.000 bis
            ca.-440.000); (Siehe: [WD17k]) noch keine
            klare Einordnung (siehe Anmerkungen zu
            h.antecessor.)
          • Spezies/ Art: Homo heidelbergensis
            (Siehe: [WD17l]) (von ca. -600.000 bis
            -200.000). Überwiegend in Europa; es
            gibt viele Ähnlichkeiten mit Funden
            außerhalb von Europa in Afrika, Indien,
            China und Indonesien, z.B. Ähnlichkeiten
            zu homo rhodesiensis. Steinwerkzeuge,
            weit entwickelte Speere, Rundbauten,
            Feuerstellen, evtl. auch Kultstätten. (Siehe:
            [SWW13]:SS.490-493).
          • Spezies/ Art: Homo rhodesiensis (Siehe:
            [WE17i]) (von ca.-300.000 bis ca. –
            125.000)(Ost- und Nord-Afrika, speziell
            Zambia)
          • Spezies/ Art: Homo neanderthalensis
            (ab ca. -250.000 bis ca. -33.000). Frühe
            Formen und späte Formen. Genetische
            Eigenentwicklung seit ca. -350.000/ -400.000. Schwerpunkt Europa, aber Ausdehnung von Portugal, Spanien, bis
            Wales, Frankreich, England, Deutschland,
            Kroatien, schwarzes Meer, Nordirak,
            Zentralasien, Syrien, Israel . Meist nie
            mehr als insgesamt einige 10.000 in ganz
            Europa. In der Schlussphase parallel
            mit homo sapiens für ca. 50.000 Jahre.
            Es kam zu geringfügigen genetischen
            Beeinflussungen. Eine eigenständige
            hohe Werkzeugkultur, die aus der
            Steinwerkzeugkultur der Acheul´een ca.
            -200.000 hervorging und bis -40.000
            nachweisbar ist. Neben Steinwerkzeugen
            auch Schmuck. Sie pflegten Kranke,
            bestatteten ihre Toten. Die differenzierte
            Sozialstruktur, das gemeinsames Jagen,die
            Werkzeugkultur, das großes Gehirn
            sowie die Genbeschaffenheit lassen es
            wahrscheinlich erscheinen, dass der
            Neandertalerüber Sprache verfügte. Ein
            besonders kalter Klimaschub um -50.000
            verursachte einen starken Rückzug aus
            West- und Mitteleuropa, der dann wieder
            mit Einwanderer aus dem Osten gefüllt
            wurde. Im Bereich Israels/ Palästina gab
            es zwischen ca. -120.000 und -50.000
            eine Koexistenz von Neandertaler und
            homo sapiens. Was auch darauf hindeutet,
            dass eine erste Auswanderungswelle von
            h.sapiens schon um ca. -120.000/ -100.000
            stattgefunden hatte, aber nur bis Israel
            gekommen ist. Warum die Neandertaler
            ausstarben ist unbekannt. homo sapiens
            hat seine Population in Europa im Zeitraum
            -55.000 und -35.000 etwa verzehnfacht.
            (Siehe: [SWW13]:SS.493-498)
          • Spezies/ Art: Homo sapiens (ab ca. -190.000 bis heute); Wanderungsbewegungen aus Afrika heraus ab ca. -125.000
            erster Vorstoß bis Arabien. Parallel gab
            es eine kleine Auswanderung um -120.000
            über das Niltal bis Palästina/Israel, die
            aber keine weitere Expansion zeigte. Um
            -70.000 von Arabien aus in den Süden des mittleren Ostens, um ca. -60.000/ -50.000 nach Neuguinea und
            Australien. Vor ca. -50.000 bis -45.000 über
            Kleinasien nach Südost-, Süd- und Westeuropa.
            Um ca. -40.000 über Zentralasien
            bis Nordchina. Von Asien aus um -19.000/ -15.000 Einwanderung in Nordamerika über
            die Beringstraße, bis nach Südamerika um
            ca. -13.000. Es gibt aber auch die Hypothese,
            dass Südamerika schon früher
            (ca. -35.000 ?)über den Pazifik besiedelt
            wurde. Die Gene der Indianer in Nord- und
            Südamerika stimmen mit Menschen aus
            Sibirien, Nordasien und Südasien überein.
            Ab der Zeit -60.000/ -40.000 wird ein deutlicher
            kultureller Entwicklungssprung beim
            homo sapiens diagnostiziert, dessen Entwicklung
            seitdem anhält und sich heute
            noch erheblich beschleunigt. Felszeichnungen
            ab ca. -40.000, Werkzeuge, Wohnungen,
            Kleidung, Sprache.
          • Spezies/ Art: Homo floresiensis
            (Siehe: [WE17g])(ca. um -38.000 bis -12.000)(Insel Flores, Indonesien). Benutze Steinwerkzeuge, beherrschte das Feuer, Kleinwüchsig, entwickeltes Gehirn. Insel
            war seit mindestens -800.000 besiedelt.
            Vorfahren könnten seit -1 Mio dort gewesen
            sein. (Siehe: [SWW13]:S.487f)
          • Spezies/ Art: Denisovaner (noch kein
            wissenschaftlicher Name vereinbart)(um
            -40.000) (Siehe: [WD17c]), Funde im
            Altai Gebirge (Süd-Sibierien); es gibt
            Funde auf den Pilippinen, in Indonesien,
            Neuguinea, Australien, auf einigen Inseln
            des südlichen Pazifik, mit den Genen der
            Denisovaner. Herkunft möglicherweise von
            h.heidelbergensis. Es gab genetischen
            Austausch mit h.sapiens. (Siehe:
            [SWW13]:S.498)

VIII. WAS FOLGT AUS ALLEDEM?

Jeder, der diesen Text bis hierher gelesen haben
sollte, wird sich unwillkürlich fragen: Ja und, was heißt
das jetzt? Was folgt aus Alledem?

In der Tat ist dieser Text noch nicht abgeschlossen.

Der Text stellt allerdings eine notwendige
Vorüberlegung dar zu der – hoffentlich – weiter führenden
Frage nach der Besonderheit des homo sapiens als
Erfinder und Nutzer von intelligenten Maschinen.

Während die abschließende Definition von potentiell
intelligenten Maschinen mit dem mathematischen
Konzept der Turingmaschine im Prinzip vollständig
vorliegt, erscheint die Frage, wer oder was denn der
homo sapiens ist, je länger umso weniger klar. Mit
jedem Jahr empirischer Forschung (in allen Bereichen)
enthüllt sich scheibchenweise eine immer unfassbarere
Komplexität vor unseren Augen, die ein Verständnis
des homo sapiens samt seinem gesamten biologischen
Kontext eher in immer weitere Ferne zu rücken scheint.

Konnten die großen Offenbarungsreligionen über
viele Jahrhunderte irgendwie glauben, dass sie
eigentlich wissen, wer der Mensch ist (obwohl sie
nahezu nichts wussten), ist uns dies heute – wenn wir
die Wissenschaften ernst nehmen – immer weniger
möglich. Wenn im jüdisch-christlichen Glauben der
Mensch bildhaft als ’Ebenbild Gottes’ bezeichnet werden
konnte und damit – zumindest indirekt – angesichts
dieser unfassbaren Erhabenheit eine Art Schauer über
den Rücken jagen konnte (ohne dass zu dieser Zeit
verstehbar war, worin denn die Besonderheit genau
besteht), so werden wir in den letzten Jahren durch
immer tiefere Einblicke in die Abgründe der Komplexität
von Leben und Lebensprozessen in einem scheinbar
lebensfremden physikalischen Universum provoziert,
herausgefordert, und Gelegenheit zum Staunen gäbe es
allerdings genug.

In diesem anwachsenden Wissen um
unser Nichtwissen begegnen wir einer schwer fassbaren
Größe, die wir salopp ’biologisches Leben’ nennen, die
aber alles übersteigt, dessen wir denkerisch fähig sind.

Eine der vielen Paradoxien des Universums ist
genau dieses Faktum: in einem scheinbar ’leblosen’
physikalischen Universum ’zeigen sich’ materielle
Strukturen, die Eigenschaften besitzen, die es strikt
physikalisch eigentlich nicht geben dürfte, und die sich
in einer Weise verhalten, die das ganze Universum
prinzipiell zu einem ’Un-Ort’ machen: das bekannte
physikalische Universum ist lebensfeindlich, das
biologische Leben will aber genau das Gegenteil:
es will leben. Wie kann das zusammen gehen? Warum
kann ein scheinbar lebloses physikalisches Universum
Überhaupt der Ort sein, wo Leben entsteht, Leben
stattfinden will, Leben sich schrittweise dem inneren
Code des ganzen Universums bemächtigt?

In weiteren Beiträgen wird es darum gehen, dieses
Phänomen ’biologisches Leben’ weiter zu erhellen,
und zu zeigen, wie das biologische Leben sich mit
Hilfe intelligenter Maschinen nicht nur generell weiter
entwickeln wird, sondern diesen Prozess noch erheblich
beschleunigen kann. Es gilt hier die Arbeitshypothese,
dass die intelligenten Maschinen ein konsequentes
Produkt der biologischen Evolution sind und dass es
gerade dieser Kontext ist, der dieser Technologie ihre
eigentliche Zukunftsfähigkeit verleiht.

Die heutigen Tendenzen, die Technologie vom biologischen Leben
zu isolieren, sie in dieser Isolation zugleich in geradezu
religiöser Manier zu Überhöhen, wird die evolutionär
induzierte Entwicklung dieser Technologie eher
behindern, und damit auch das vitale Element der
biologischen Evolution, den homo sapiens.

Der homo sapiens ist kein Individuum, er wird
repräsentiert durch eine Population, die wiederum nur
Teil einer umfassenderen Population von Lebensformen
ist, die sich gegenseitig am und im Leben halten. Es wird
wichtig sein, dass der homo sapiens diese Arbeitsteilung
versteht, bevor er mit seiner wachsenden Aufbau- und
Zerstörungskraft das biologische Universum zu stark
beschädigt hat.

Zum aktuellen Zeitpunkt kann niemand mit Gewissheit
sagen, ob das alles irgendeinen ’Sinn’ besitzt, d.h. ob es
in all den Abläufen in der Zukunft eine Menge möglicher
Zielzustände gibt, die in irgendeinem Sinne als ’gut’/
’schön’/ ’erfüllend’ oder dergleichen bezeichnet werden
können. Genauso wenig kann aber irgend jemand zum
aktuellen Zeitpunkt mit Gewissheit einen solchen Sinn
ausschließen. Rein empirisch kann man schon heute
eine solche Menge an atemberaubenden Strukturen und
Zusammenhänge erfassen, die ’aus sich heraus’ ein
Exemplar der Gattung homo sapiens in ’Erstaunen’ und
’Begeisterung’ versetzen können; aber weder gibt es für
solch ein Erstaunen einen Zwang, eine Regel, ein Muss,
noch ist all dies ’zwingend’. Noch immer können wir
nicht ausschließen, dass dies alles nur ein Spiel ist,
eine gigantische kosmologische Gaukelei, oder – wie
es die physikalischen kosmologischen Theorien nahelegen
– in einem gigantischen Kollaps endet, aus der
möglicherweise wieder ein Universum entsteht, aber ein
anderes.

REFERENCES

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    Geschichte der Menschheit vor der Erfindung der Schrift.
    Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (DE), 2 edition,
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  • [WE17j] Wikipedia-EN. Paranthropus. 2017.
  • [WE17k] Wikipedia-EN. Sahelanthropus tchadensis. 2017.
  • [WE17l] Wikipedia-EN. Simian. 2017.

Eine FORTSETZUNG findet sich HIER.

VIII. KONTEXTE

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Das aktuelle Publikationsinteresse des Blogs findet sich HIER.

MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – Thema des PHILOSOPHIESOMMER 2016 in der DENKBAR Frankfurt am So, 10.April 2016

Entsprechend dem Plan vom 9.Februar 2016 kommt hier die Einladung zur nächsten Sitzung des PHILOSOPHIESOMMERS 2016 in der

DENKBAR Frankfurt

Spohrstrasse 46a

(Achtung: Parken schwierig! Man muss wirklich im Umfeld suchen)

THEMENSTELLUNG

Wie der Bericht vom letzten Treffen am So 13.März 2016 erkennen lässt, hatte sich die Gruppe für das Treffen am So 10.April ein einzelnes Thema besonders ausgewählt: der mögliche Ersatz von Ärzten in Diagnose und Therapie durch den Einsatz von Software. Diese Entscheidung war mit motiviert durch eine aktueller Pressemeldung seitens der Rhönklinik, ein System des kognitiven Computings in Gestalt des IBM-Programm Dr.Watson einzusetzen. Es soll das Krankenhaus und die Ärzte unterstützen. Sofort stellten sich viele Fragen, z.B.: Was heißt dies? Was kann solch ein Programm? Was heißt dies für uns Menschen sowohl als Patient als auch als Arzt, der ersetzt wird? Was bedeutet dies für das Krankenhaus der Zukunft? usw.

MASCHINENWERDUNG DES GEISTES – EIN EPOCHALES EREIGNIS

Bei allen Fragen, die sich angesichts solch einer Meldung stellen, bei allen möglichen Ängsten und Kritiken, muss man sich klar machen, dass diese Meldung nur eine Begleiterscheinung eines Ereignisses ist, das den Beinamen epochal sehr wohl verdient. Vom ersten messbaren Auftreten unseres Universums vor ca. 13.8 Mrd Jahren bis zu den ersten Spuren des biologischen Lebens auf der Erde hat es ca. 9.8 – 10 Mrd Jahre gedauert; bis zu den ersten Pflanzen und Tieren nochmals ca. 3.5 Mrd Jahre; bis zum Auftreten des homo sapiens (sapiens) ’nur noch‘ ca. 500 Mio Jahre, und dann jetzt zu den ersten Maschinen, die als kognitive Maschinen offiziell als Produkte und Dienstleistungen zu kaufen sind ’nur noch‘ ca. 200.000 Jahre (hervorgebracht von Menschen).

Vom BigBang zum homo sapiens zu den kognitiven Maschinen
Vom BigBang zum homo sapiens zu den kognitiven Maschinen

Jetzt kann man viel darüber streiten, was man unter Geist verstehen will. Rein empirisch, handlungsbezogen, äußert sich Geist – seit den Tagen der griechischen Philosophie – in typischen Verhaltensweisen von Lebewesen, insbesondere des Menschen. Mit der modernen Psychologie, Biologie und Hirnforschung können wir wissen, dass die äußerlich beobachtbaren mit Geist verknüpften Verhaltensweisen mit messbaren Gehirnaktivitäten korrelieren. Und seit dem Auftreten der ersten digitalen elektronischen Computer (ab ca. 1970) wissen wir, dass wir mit Hilfe von elektrischen Schaltungen (und zusätzlicher Programmierung) beobachtbare Verhaltensweisen hervorbringen können, die denen von Menschen immer mehr soweit ähneln, dass man vielfach nicht mehr unterscheiden kann, ob diese geistigen Verhaltensweisen von einem biologischen oder von einem nicht-biologischen (maschinellen) System hervorgebracht wurde/ wird. Waren die Bilder von intelligenten Maschinen in der Frühzeit des modernen Computers (ca. 1930 – 1950) weitgehend noch Visionen von Mathematikern, Logikern und Ingenieuren, so trat spätestens mit dem Supercomputer Deep Blue von IBM im Februar 1996 eine Maschine auf die Bühne, die einen amtierenden Schachweltmeister besiegen konnte. Konnte man dies noch einem Spezialbereich zuordnen, so war der Auftritt des Programms Dr. Watson im Februar 2011 im Rahmen einer nationalen Quizsendung der USA gegen zwei menschliche Konkurrenten mitten im Zentrum jener Verhaltensweisen, die wir gewöhnlich nur intelligenten Menschen vorbehalten. Hier von einer Maschinenwerdung des Geistes (in Anlehnung an das religiöse Bild von der Menschwerdung Gottes) zu sprechen, ist schwer abweisbar.

MARKETING FÜR KOGNITIVE COMPUTER WOHIN?

Während für die meisten Menschen – auch in Deutschland – kognitive Computer (bzw. intelligente Maschinen) noch eher unwirklich erscheinen, irgendwo noch im Bereich der Sciene Fiction angesiedelt sind, tritt die Vorstandsvorsitzende des internationalen Computerkonzerns IBM, Ginni Rommetti, öffentlich auf und verkündet Produkte und Dienste mit kognitiven Computerleistungen im Weltmaßstab (siehe z.B. den Auftritt 6.Januar 2016 und 12.Oktober 2015). Ihr Credo lautet, dass im allgemeinen Digitalisierungsprozess die Verfügbarkeit von kognitiven Computerleistungen den entscheidenden Unterschied bildet. Am Beispiel der Fitness-Firma underarmour versucht Rommetti zu verdeutlichen, dass das allgemeine Produkt der Fitness-Firma durch die Verbindung mit Dr. Watson zusätzliche Beratungsleistungen ermöglicht, die für den Kunden von Vorteil sind. Ähnlich argumentiert sie bei dem Medizindienstleister medtronic am Beispiel des Monitoring von Diabetespatienten. Während diese Beispiel noch bemüht klingen können, ist das Beispiel mit der Kooperation mit dem japanischen Roboterhersteller softbank und dessen Roboter Pepper schon sehr eindringlich. Dieser Roboter kann sich bewegen (wenn auch einfach) und sich anscheinend normal mit Menschen unterhalten. Durch die Verbindung mit dem Programm Dr. Watson arbeitet er schon als Finanzberater, als Empfangsdame in einem Hotel, und als Bedienstete in einer Kaffeebar. Weitere Einsatzweisen werden vorbereitet. Dabei ist zu beachten, dass das Programm Dr. Watson vollständig von Englisch auf Japanisch umgestellt wurde. In dieser Marketingshow waren kritische Überlegungen ausgeklammert. Alles wird mit der neuen Technologie besser.

FRAGEN DARF MAN STELLEN

Bei aller Würdigung für den historischen Moment des ersten Auftretens von kognitiven (intelligenten) Maschinen seit 13.8 Mrd Jahren stellen sich viele Fragen, die nicht beantwortet sind. In der TV-Show vom Oktober 2015 gab es immerhin einige Fragen (wenn auch sehr zurückhaltend). Eine ging auf die Zukunft der Arbeit: Was geschieht mit all den Menschen, die jetzt ihre Arbeit verlieren werden? Welches Konzept einer veränderten Gesellschaft gibt es? Diese Fragen bog Rommetti sofort ab. Die neue Technologie der kognitiven Maschinen soll Menschen nicht ersetzen, sondern soll eine neue Mensch-Maschine Partnerschaft ermöglichen interaktiv, dialogisch, soll zur Verbesserung der Qualität führen. Dass tatsächlich ja schon ganze Branchen unter dem Ansturm der neuen digitalen Technologien zusammenbrechen blieb außen vor.

Unbeachtet blieben auch Fragen der Qualität und Qualitätskontrolle: immer mehr, überall, auch im Bereich der Bildung und Erziehung soll Dr. Watson die Rolle des Trainers/ Lehrers/ Beraters übernehmen. Wer kontrolliert eigentlich Dr. Watson? Wer weiß eigentlich was Dr. Watson letztlich vermittelt, mit welchen Werten? Wie sieht es mit der Haftung aus? Was ist mit den sehr persönlichen sensiblen Daten?

Während die Menschheit sich seit einigen Jahrhunderten aus einem naiven Autoritätsdenken befreit hatte, unbefragtes Wissen durch aufklärerisches, wissenschaftliches Wissen ersetzt hatte, soll jetzt plötzlich jeder ganz neu, ganz naiv alles glauben, was Dr. Watson sagt und das zentralisiert als globales Über-Ich, als globaler Super-Gott. Was ist dies für ein Wissenskonzept? Welches Bild einer Gesellschaft wird hier unterstellt? Die vielen Videos und Webseiten sind alle monoton Produktorieniert, ohne einen Funken von Selbstreflexion, Kritik, ohne gesellschaftliche Verantwortung. Man könnte meinen, IBM heilt nun alle und jedes. Die ganzen Wertekonflikte, die menschlche Gesellschaften seit jeher prägen, scheinen im Bereich des kognitiven Computings nicht zu existieren.

TECHNOLOGIE

Auffällig ist, dass man nirgends brauchbare Daten zur genauen Technologie von Dr. Watson findet. Das White Paper von 2010 bleibt sehr im Allgemeinen. Für Experten kann man aus diesen Angaben zwar einige (sogar weitreichende) Schlüsse ziehen, aber für eine detaillierte Bewertung reicht dies natürlich nicht aus. Unter Experten wird z.B. diskutiert, ob die bei Dr. Watson zum Einsatz gekommene Technologie verglichen mit der google-Technologie veraltet sei, aber auch im Falle von google weiß man nichts Genaues. Die veröffentlichten Algorithmen und SW-Bibliotheken bilden ja nur Teilausschnitte aus einem größeren Ganzen und gemessen an den kognitiven Aufgaben eines Dr. Watson bleibt google – zumindest in der Öffentlichkeit – noch zurück. Der Auftritt von googles intelligenter Maschine AlphaGo als Go-Meister ist zwar beeindruckend, aber ersetzt keine dialogbasierte Interaktionen. Auch die sprachbasierten Dienste operieren bislang nur an statistischen Oberflächen und können wenig überzeugen. Sind das nur Kinderkrankheiten? Dr. Watson kann man so deuten, dass es nur Kinderkrankheiten sind, keine wirklichen Grenzen für das neue Kommende.

Auffällig ist jedenfalls, dass die Technologiefirmen das Eindringen in die kognitive und damit psycho-soziale Dimension von Gesellschaft, in die Welt des Wissens bislang genau so behandeln wie einfache technische Produkte. Psychologische, soziale, politische, kulturelle, werthafte Aspekte werden einfach ausgeklammert. Ist das die Selbstabschaffung des Menschen?

In der Sitzung am So 10.April 2016 wollen wir uns diesen Frage stellen.

PROGRAMMFORMAT

Moderation: Gerd Doeben-Henisch

16:00 Begrüßung

16:05 Kurze Einführung ins Thema

16:05 Gemeinsamer Diskurs I, Sichtbarmachung von Positionen

17:30 Blubberpause (Jeder kann mit jedem reden; Essen und Trinken)

18:00 Gemeinsamer Diskurs II, erste Zusammenfassungen, Tendenzen

18:45 Schlussstatements und Thema für das nächste Treffen

19:00 Ende

Langsames Wegdiffundieren der Teilnehmer ….

Hier der Bericht zum Treffen.

QUELLEN/ LINKS

  • Rhönklinik Mitteilung: http://www.management-krankenhaus.de/news/rhoen-klinikum-kooperiert-mit-ibm-bei-optimierung-der-patientensteuerung
  • Handelsblatt, Digitaler Doktor: https://global.handelsblatt.com/edition/402/ressort/companies-markets/article/the-digital-doctor-in-the-house
  • Deep Blued Febr 1996: https://en.wikipedia.org/wiki/Deep_Blue_(chess_computer)
  • Dr.Watson – Jeopardy Quizsendung Febr.2011: https://de.wikipedia.org/wiki/Watson_(Künstliche_Intelligenz)
  • Watson – White Paper 2010: http://www-05.ibm.com/de/watson/pdf/POW03061DEDE.PDF
  • Rommetti Januar 2016: https://www.youtube.com/watch?v=VEq-W-4iLYU&ebc=ANyPxKpossms1mhki8rBfOPcpWdipFKj3-3LVd2jW2V5MsXOC0AyKXri4TuuerLhoD2esbLhuSpP&nohtml5=False
  • Rommetti Oktober 2015: https://www.youtube.com/watch?v=bMLYKhiZCVI&ebc=ANyPxKowbTytZ9AS9lIvHC8cHbFJsDXe67X-YcAY9vLk4ZhOjeHptZFTbUJt6rKZqisxfEv4RVqVFFe_C3RHrQcgEF3HCWetmA&nohtml5=False
  • Fitness-Firma underarmour: https://www.underarmour.com/en-us/
  • medtronic: http://www.medtronic.com/us-en/index.html?cmpid=mdt_com_orcl_us_home_f52_plc_home&utm_source=mdt_com_orcl_us_home&utm_medium=f5_redirect&utm_campaign=PLC_Launch_2015
  • Roboter Pepper von der Firma softbank: http://www.softbank.jp/en/robot/
  • Google-SW AlphaGo: http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/alphago-gegen-lee-sedol-partie-vier-geht-an-den-go-profi-a-1082068.html

Einen Überblick über alle bisherigen Texte zum Philosophie-Sommer/ zur Philosophiewerkstatt findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Texte des Autors cagent findet sich HIER.

DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – EINLEITUNG – DISKURS

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. Im Laufe der letzten Jahre tauchte der Begriff Geist im Kontext der Blogeinträge immer wieder auf. Ja, er mündete sogar in ein eigenes großes öffentliches Forschungsprojekt, das den Namen Geist im Titel trägt, wenngleich in der englischen Variante Mind. Es ist die Rede vom Emerging Mind Projekt. In diesem Projekt wird ein Bogen gespannt zwischen den geistesgeschichtlichen (inklusive theologischen) Traditionen Europas zu den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften – insbesondere der evolutionären Biologie – inklusive der modernen Mathematik und Ingenieurskunst in Form von selbstlernenden intelligenten Maschinen. Die Arbeitshypothese bisher lautet, dass das, was geisteswissenschaftliche unter dem Begriff Geist abgehandelt wird, eine inhärente Eigenschaft der Energie-Materie ist.
  2. Vor diesem Hintergrund ist das Buch von Friedhelm Decher von Interesse. Er entwickelt in der Art eines Lese-Leitfadens den Gebrauch des Begriffs Geist entlang bedeutender Autoren von den ersten griechischen Denkern bis in die Gegenwart. Im Folgenden soll den Gedanken dieses Buches gefolgt werden und im einzelnen überprüft werden, wo und wieweit es sich mit der Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes überdeckt und wo es davon abweicht; im letzteren Fall interessiert natürlich speziell, wo und warum es eine Abweichung gibt.
  3. Die Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes ist ambivalent. Angenommen, sie trifft zu (wobei zu klären wäre, an welchen empirischen Kriterien man dies verifizieren könnte), dann könnte man das Ergebnis entweder (i) so deuten, dass die Besonderheit des Phänomens Geist sich in die Allgemeinheit einer Energie-Materie auflösen würde, oder (ii) die Besonderheiten der Eigenschaften des Geist-Phänomens lassen die Energie-Materie in einem neuen Licht erscheinen. Die aktuelle Aufspaltung der empirischen Phänomene in physikalische, chemische, biologische usw. Aspekte ist auf jeden Fall wissenschaftsphilosophisch unbefriedigend. Die vielfachen Reduktionsversuche von empirischen Phänomenen aus nicht-physikalischen Disziplinen auf das Begriffsrepertoire der Physik ist wissenschaftsphilosophisch ebenfalls weitgehend nicht überzeugend. Vor diesem Hintergrund wäre ein Vorgehen im Stile von (ii) sehr wohl interessant.
  4. Anmerkung: Die folgende Diskussion des Buches ersetzt in keiner Weise die eigene Lektüre. Der Autor dieser Zeilen diskutiert das Buch aus seinem Erkenntnisinteresse heraus, das verschieden sein kann sowohl von dem eines potentiellen Lesers wie auch möglicherweise (und sehr wahrscheinlich) von Friedhelm Decher selbst. Wer sich also eine eigene Meinung bilden will, kommt um die eigene Lektüre und eigene Urteilsbildung nicht herum.

EINLEITUNG (SS.9-15)

Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)
Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)

  1. Einleitungen in Bücher sind immer schwierig. Im Fall des HPG werden einerseits die verschiedenen sprachlichen Manifestationen des Begriffs Geist anhand diverser Wörterbücher und der aktuellen Alltagssprache illustrierend aufgelistet, andererseits gibt es den Versuch einer Fokussierung und einer ersten Strukturierung aus der Sicht des Autors Decher.
  2. Decher geht davon aus, dass Begriffe wie Geist, Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Ich beim Menschen sowohl im Rahmen seiner Selbsterfahrung vorliegen, wie auch sich im menschlichen Verhalten manifestieren. Am Verhalten kann man viele Fähigkeiten ablesen wie z.B. sich Erinnern können, Sprechen können, vorausschauend Planen usw.
  3. Decher geht ferner davon aus, dass diese Phänomene jedem vertraut sind; sie sind offensichtlich.
  4. Es stellt sich damit die Frage, wo diese Phänomene herkommen. Mit Blick auf die Naturgeschichte folgt er einem einzigen Autor Ian Tattersall (1998), nach dem die Geschichte des Menschen vor 200.000 Jahren beginnt, und dieser Beginn sei u.a. dadurch charakterisiert, dass schon bei dieser Entstehung der Mensch kognitive Fähigkeiten gezeigt hat, die ihn von allen anderen Lebensformen abhoben. (vgl. S.14) Dies wertet Decher als erste Manifestationen von Geist, die sich dann im weiteren Verlauf in vielerlei Weise ergänzen. Er erwähnt besonders die Höhlenmalereien von vor 35.000 Jahren oder dann später mit Beginn der Hochkulturen in Ägypten und in Griechenland die sprachlichen Manifestationen.
  5. Zu erwähnen ist auch noch die Nennung des Begriffs Seele. (vgl. S.13) Dieser Begriff kommt nahezu parallel zum Begriff Geist vor. Hier bleibt noch offen, wie das Verhältnis dieser beiden Begriffe zu klären ist.

DISKURS

  1. So vorläufig und kryptisch, wie Gedanken in einer Einleitung nun mal sein müssen, so lassen diese Seiten doch schon – wenn man will – eine erste Positionierung von Autor Decher erkennen. Trotz Parallelisierung mit der Naturgeschichte des Menschen hebt er die Phänomene von Geist (und Seele) doch deutlich hervor und baut damit – dramaturgisch? – eine erste Spannung auf, wie sich das Verhältnis von Geist-Seele zum Übrigen von Geist-Seele weiter bestimmen lässt.
  2. Da wir heute aufgrund der modernen Wissenschaften über Erkenntnisse zum Gehirn sowie zu mathematischen Modellen verfügen, mittels deren wir alle bekannten geistig-seelischen Phänomene mittels nicht-geistig-seelischer Mittel als Verhaltensereignisse realisieren können, wird die Frage nach der möglichen Besonderheit des Geistes nicht minder spannend.
  3. Die heute vielfach festzustellende Euphorie in der Einschätzung intelligenter Maschinen und die stark einseitige Einschätzung einer möglichen Zukunft des Menschen im Vergleich zu den intelligenten Maschinen zugunsten der intelligenten Maschinen kann ein Motiv sein, die Spurensuche nach der Besonderheit des Geistigen mit Interesse zu verfolgen. Auf Seiten der Technikgläubigen kann man vielfach eine gewisse Naivität in der Einschätzung der Möglichkeiten von intelligenten Maschinen beobachten gepaart mit einer erschreckend großen Unwissenheit über die biologische Komplexität des Phänomens homo sapiens als Teil eines gigantischen Ökosystems. Eine solche Mischung aus technischer Naivität und Biologischer Unwissenheit kann sehr gefährlich sein, zumindest dann, wenn sie den Leitfaden abgibt für die Gestaltung der Zukunft menschlicher Gesellschaften.
  4. Es bleibt spannend zu sehen, ob und wie die Lektüre von Dechers Buch in dieser Fragestellung konstruktive Anregungen bringen kann.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

Einen Überblick aller Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 0

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Letzte Änderung: 28.Juli 2015

Zuruf an den Leser

Lieber Leser,

während ich diesen Text schreibe, kenne ich Dich nicht, nicht direkt.

Vermutlich haben wir noch nie direkt miteinander gesprochen (… mit den berühmten Ausnahmen).

Du bist älter, oder jünger als ich;
Mann oder Frau oder irgendetwas anderes, was nicht Mann oder Frau ist.

Du bist hochspezialisiert oder vom Leben gebildet,
lebst in Deutschland oder irgendwo in Europa oder fern ab (von mir aus gesehen).

Du hast dein Auskommen, bist Millionär, Milliardär oder bettelarm;
du musst hungern, hast kein sauberes Wasser, kein eigenes Zuhause.

Du verstehst meine Sprache direkt oder nur in Übersetzungen.
Du hast Hoffnung in Dir oder Verzweiflung, ein Lächeln auf den Lippen oder bist depressiv, tief betrübt; alles hat keinen Sinn mehr für Dich.

Du freust Dich an den Farben und Landschaften, oder bist blind, lauscht den Geräuschen der Welt um Dich herum.

Du liegst im Bett, schwach, mit Schmerzen, bist auf andere angewiesen, wirst aus diesem Bett nie wieder aufstehen.

Dein Rücken schmerzt hoch auf dem Sitz deines Trucks, mit Klimaanlage und Stereosound; vor und hinter Dir nur Straßen mit Autos; vielen Autos.

Deine elektrische Säge schneidet tief in das Fleisch von Tieren, die gerade noch lebendig waren, jeden Tag, Du mittendrin; nur blutiges Fleisch.

In Bergen von Müll stapfst Du herum, um verwertbare Reste zu finden, giftiger Müll aus Europa; die wollen ihn nicht.

Dein Chauffeur fährt Dich in einen Palast aus Glas und Beton; deine Schuhe kosten 3000 Euro.

Diese Liste lässt sich endlos verlängern.

Die Leser sind so verschieden, und haben doch etwas gemeinsam: Sie sind Menschen auf dieser Erde, jetzt, in diesem Augenblick in dem jemand diesen Text liest. Sie finden sich in diesem Leben vor, weil sie ohne eigenes Zutun in diese Welt hineingeboren wurden. Sie gehören zu einer Gattung homo sapiens, die vor ca. 200.000 Jahren aus Afrika ausgewandert ist; ihre Spuren verlieren sich im Dickicht der phylogenetischen Erzeugungslinien. Je weiter zurück umso mehr wird ein dramatischer Verwandlungs- und Entwicklungsprozess deutlich, auf dem Land, aus dem Meer aufs Land, in der Luft, im Meer, viele Jahrmillionen unter Eis, auf driftenden Erdteilen, seit mindestens 3.8 Milliarden Jahren.

Ja, das sind wir, Boten eines Lebensereignis auf diesem Planeten Erde, den sich niemand selbst ausgesucht hat.

Und dann sitzen wir heute im Bus, in der Bahn, im Klassenraum, im Großraumbüro, arbeiten in der Fabrikhalle, auf dem Mähdrescher, lauschen im Konzertsaal, laufen täglich in unserem Rad, und niemand fragt sich mehr ernsthaft: Warum bin ich hier? Wozu? Was soll das alles? Was ist mit all dem anderen?

Im ganzen bekannten Universum haben wir bislang nichts gefunden, was auch nur annähernd dem gleicht, was wir auf dieser Erde ‚Leben‘ nennen; nichts, radikal nichts, obwohl so viele davon träumen und fantasieren, dass es doch ‚da draußen‘ auch noch anderes ‚Leben‘ geben müsste. Vielleicht gibt es das tatsächlich. Das bekannte Universum ist so groß, dass es ‚rein theoretisch‘ so sein könnte …

Bis dahin sind wir die einzigen Lebenden im ganzen bekannten Universum. … und dieses Leben ist weiterhin fleißig dabei, die Erde zu ‚kolonisieren‘; Leben beutet Leben aus, ohne Gnade.

Wir pflügen die Erde um, buchstäblich,
reißen und brennen Jahrtausende alte Wälder nieder,
vergiften die Böden und das wenige kostbare Trinkwasser,
bauen nicht erneuerbare Bodenschätze ab,
betonieren kostbare Böden zu,
türmen Steine und Stahl aufeinander,
starren zunehmend auf Bildschirme anstatt auf die reale Welt.
rotten täglich neue Arten aus, unwiederbringlich…
rotten selbst Menschen aus, die einen Menschen die anderen…

Es gibt nicht wenige Wissenschaftler, für die steht der Mensch biologisch auf der Abschussliste; er wird an sich selbst untergehen, meinen sie.
Sie diskutieren gar nicht mehr darüber. Für sie ist das klar. Wir erleben nur noch ein paar Restzuckungen.

Viele andere vertreiben ihre Zeit, andere auszubeuten, andere zu bekriegen, zu verfolgen, zu foltern, zu vergewaltigen, … sie machen anderen Vorschriften, was sie tun und was sie nicht tun dürfen; die Regierungen von immer mehr Staaten gefallen sich darin, die Privatheit jedes einzelnen — wenn es diese überhaupt je gab — immer weiter zu kontrollieren, einzuschränken, aufzulösen; auch in den sogenannten demokratischen Staaten…

Und es gibt da die Technikgläubigen: der Mensch ist nichts, die Maschine alles. Für diese ist die Frage der Intelligenz bei Maschinen klar; die Maschinen werden intelligenter sein als die Menschen und den Menschen ablösen als Herren der Welt. Das wird dann noch mal spannend; der Mensch, der alte, endliche, schwache, dumme, vergessliche, lahme Sack, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen. Was soll man sich da noch anstrengen? Schade nur, dass man selber nur ein Mensch ist und keine smarte Maschine ….

Tja,
sehe ich, der ich diesen Text schreibe, das auch so?
Ist für mich der Mensch, mein Menschsein, auch so sinnlos am ausgeistern?
Glaube auch ich an die Zukunft der intelligenten Maschinen?

Nach vielen Jahren, in denen ich versucht habe, Maschinen zu bauen, die mindestens so intelligent sind wie der Mensch, begann in mir die Einsicht zu wachsen, dass die wahre Superintelligenz vielleicht eher dort zu finden ist, wo wir sie momentan am allerwenigsten suchen: im Phänomen des biologischen Lebens. Wir sind ein Teil davon, möglicherweise ein viel wichtigerer Teil, als die einschlägigen empirischen Wissenschaftler es bislang wahrhaben wollen.

In dieser Situation habe ich das Gefühl, es ist an der Zeit, diese neue Form der Menschenvergessenheit in Worte zu fassen, ohne zum Beginn dieses Projektes schon klar sagen zu können, was alles geschrieben werden muss, und wie.

Auch weiß ich nicht, wieweit ich kommen werde. Vielleicht breche ich, wie schon oft in den letzten 20 Jahren, einfach wieder ab.
Man wird sehen.
Ich fange zumindest mal an.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.