Archiv der Kategorie: undemokratisch

BAUSTEINE DER ‚UNLOGIK‘ VON GESCHICHTE: Philosophie und Politik, Einzelner und Geschichte, Das Beharrliche an Ungerechtigkeit

DENKEN, KÖRPER, WELT, POLITIK

1. Seit dem letzten Sommer schreibe ich in diesem Blog immer wieder und immer mehr über ‚politische‘ Themen, obgleich ich dies weder geplant hatte noch eigentlich will; die Tagesereignisse wirken jedoch auf das philosophierende Denken wie eine Art ‚Störfeuer‘; ich möchte Strukturen unseres Denkens, unseres Wissens, unseres Handelns weiter klären, aber dann rasen Meldungen durch die Medien von Ereignissen, die Auswirkungen auf viele haben, von Menschen, die Entscheidungen fällen, die ganze Nationen elementar betreffen, und dann ist irgendwie klar, dass das individuelle Denken und der reale Gang der Geschichte nun mal irgendwie zusammenhängen. Das individuelle Denken findet in einer realen Matrix von Gegebenheiten, Handlungen anderer statt, von denen man zwar im Denken bis zu einem gewissen Grad ‚abstrahieren‘ kann, aber trotz denkerischer Abstraktion bestehen diese realen Zusammenhänge. Auch wenn ich im ‚Denkraum‘ abtauche bleibt mein Körper ein realer Moment in realen Prozessen, verlangt er nach Nahrung, hat einen amtlich registrierten Namen, bin ich eine Nummer in einer Verwaltungsmaschinerie, unterliege ich den Spielregeln der aktuell jetzt und hier geltenden Gesetze. Im Denken kann ich ‚anders‘ sein als der Moment, als der Augenblick, als es die realen Situationen vorsehen und erlauben, aber das Denken als Denken verändert nicht notwendigerweise die Realität. Ich kann über Grundprinzipien der Demokratie ’nachdenken‘ und zugleich mit meinem Körper in einer Situation leben, in der Demokratie abgebaut wird, und ich dadurch zu diesem Abbau dadurch mit beitrage, dass mein Körper ’nichts tut‘, was diesen Prozess stoppt.

2. In dem Maße, wie ich meine, das Zusammenspiel von Realität und Denken besser zu verstehen, in dem Maße verliert die Realität ihre ‚Unschuld‘. In dem Maße wie man zu verstehen meint, wie die Prozesse des Alltags nicht ’naturgegeben‘ sind, nicht ‚unabwendbar‘, sondern auch von uns Menschen, von jedem einzelnen von uns, ‚erzeugt‘, in dem Masse wird Denken ‚über‘ diese Realität mehr und mehr zu einem Denken ‚der Realität‘, in der jedes Wort, jede Geste, jedes Handeln ‚bedeutsam‘ wird: wenn ich ’schweige‘ dann ‚rede‘ ich in der Form der Zustimmung; wenn ich rede, dann dann rede ich in Form der realen Interaktion. Dann tritt mein Denken in einem scheinbar ’schwachen‘ aber dennoch ‚realen‘ Dialog mit der Welt, in der mein Körper vorkommt. Es ist aktuell die Welt des Jahres 2014 (andere Kalender haben andere Zahlen).

3. Ich beginne für mich zu realisieren, dass die Zeit des ‚politikfreien‘ Denkens möglicherweise vorbei ist. Ich stelle fest, dass ich nicht mehr so abstrahieren kann wie früher. Ich stelle fest, dass das Denken der großen Entwicklungslinien des Lebens auf der Erde und das Alltagsgeschehen immer mehr verschmilzt. Der atemberaubende kosmologische Prozess dieser unserer Erde als Teil von Sonnensystem, Milchstraße usw. bricht sich in den scheinbar ‚geschichtslosen‘ Aktionen von Milliarden menschlicher Individuen jeden Tag neu, und je mehr man das Wunder des Lebens zu erkennen meint, umso unfassbarer wird die Perspektiv- und Verantwortungslosigkeit, die unser ‚Alltagshandel‘ zu haben scheint.

IMPLIZITES WISSEN UND EXPLIZITES HANDELN

4. Ich sage bewusst ’scheint‘, da nach aktuellem Kenntnisstand fast alles, was die Lebenssituation auf der Erde betrifft und die Strukturen des biologischen Lebens, stattgefunden hat und stattfindet ohne unser Zutun. Allerdings hat die Existenz der menschlichen Lebensform auf dieser Erde seit ein paar Millionen Jahren die Erde im Handlungsbereich eben von uns Menschen zunehmend verändert. Diese Änderungen sind mittlerweile so stark, dass wir drauf und dran sind, wichtige Teilprozesse des Gesamtprozesses so zu stören, dass der Gesamtprozess damit nachhaltig gestört wird.

5. Dennoch, obwohl das beobachtbare Verhalten von uns Menschen große Einwirkungen auf die eigene Lebensumwelt erkennen lässt, und es Menschen, Gruppierungen, größere Organisationen und Firmen gibt, deren Verhalten ‚planvoll‘ wirkt, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das ‚Planvolle‘ an dem Geschehen letztlich überwiegend wenig reflektiert ist und von individuellen Motiven einzelner angetrieben wird, die in der individuellen Psyche und deren individueller Geschichte wurzeln, und denen jeder Bezug zu einem größeren Ganzen abgeht. Dass ‚kleinwüchsige Männer‘ einen überhöhten Geltungsdrang haben, der viele Völker in einen Strudel von Kriegen und Zerstörung getrieben haben, ist nicht nur ein Klischee, sondern historische Realität. Dass persönliche Eitelkeiten und individuelles Machtstreben gepaart mit allerlei anderen individuellen Bedürfnissen Ländereien, Fabriken, ganze Völker ruiniert haben, ist auch real. Kurzum, das psychologische Format des einzelnen Menschen erscheint immer mehr als unzureichend für die Herausforderungen einer komplexen Massengesellschaft. Während die komplexen Prozesse einer Stadt, einer Region weitreichende vernetzte und rückgekoppelte Denkprozesse verlangen, die von Menschen ausgeführt und unterstützt werden, die in ihrem Denken und Fühlen dazu fähig sind, ist die normale psychologische Ausstattung eines einzelnen Menschen dafür im Normalfall gar nicht ausgelegt.

WENDEPUNKT DER EVOLUTION?

6. Immerhin, der Mensch, zumindest der homo sapiens sapiens, hat ca. 100.000 Jahre mit seiner psychologischen Ausstattung Erstaunliches bewegt und geleistet. Nun aber scheint homo sapiens sapiens sowohl mit seinem psychologischen Format wie auch mit seinen kognitiven Fähigkeiten wie ein Insekt um ein tödliches Licht zu kreisen, das im Fall des homo sapiens sapiens die in jedem Individuum eingebauten zeitlich eng begrenzten Bedürfnisse und Motive sind, die ihn wie ein unsichtbarer Magnet in ihrem Bann halten und letztlich im Alltag bestimmen. Die verschiedenen Religionen (alle, ohne Ausnahme!) haben bislang wenig dazu beigetragen, das Bild des Menschen real so aufzuhellen, dass wir diesem in unseren Genen eingeschriebenem Programm des ‚Handelns auf Kurzsicht, Nahbereich, triebhafter Elementarsteuerung‘ usw. irgendwie entkommen könnten. Letztlich haben sie es mit blumigen Worten und allerlei zufälligem Regelwerk festgeschrieben, den Status Quo zum Selbstzweck erklärt. Am allerschlimmsten, sie haben die ‚Erde‘ und den ‚Himmel‘ geteilt. Das ist die schlimmste Form des Atheismus, die es geben kann.

7. Historisch befindet sich der homo sapiens sapiens an dem bislang ‚höchsten Punkt‘ seiner Entwicklung. Zugleich ist dies eine Art ‚Scheitelpunkt‘ an dem ein nachhaltiger ‚Systemumbau‘ notwendig ist, soll das bislang Erreichte nicht im Desaster enden. Einerseits scheint es, als ob wir genügend Wissen ansammeln konnten, andererseits stecken wir alle in einer ‚unsichtbaren‘ psychologischen ‚Programmhülle‘, die die Gene in unserem Körper und Gehirn angelegt haben, die jeden einzelnen in seinem Bann hält und wie von einer unsichtbaren Macht gezogen täglich zu Gefühlen und Handlungen anregt, die sowohl individuell wie gemeinschaftlich eher ‚destruktiv‘ wirken als ‚konstruktiv‘.

8. Solange der gesellschaftliche Diskurs diese Problematik nicht offen und kompetent adressiert, solange werden wir das bisherige Programm unserer Gene weiter ausführen und damit unsere individuelle wie gemeinschaftliche Zukunft möglicherweise zerstören; nicht, weil wir dies explizit wollen, sondern weil wir implizit, ’nichtbewusst‘, Dinge tun, die unser genetisches Programm uns beständig ‚einflüstert‘, weil sich dieses Programm vor langer Zeit mal bewährt hatte. Moralisieren und die verschiedenen, aus dem Nichtwissen geborenen Religionen, helfen hier nicht weiter. Die Wissenschaft könnte helfen; alle bekannten Gesellschaftssysteme forcieren aber – wenn überhaupt – eine Wissenschaft, die auf kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg programmiert ist, und sich in den fachlichen Details verliert und gerade nicht ein solches Wissen, das Disziplinen übergreifend nach Zusammenhängen sucht und das alltägliche Fühlen und Denken in seiner Gesamtheit im Zusammenhang sieht mit dem zugrunde liegenden genetischen Programm.

WEN FRAGEN ERWACHSENE?

9. Kinder können die Erwachsenen fragen, was sie tun sollen, und sie fragen auch. Wen können die Erwachsenen fragen? Und wenn wir alle gleich wenig wissen, wen fragen wir dann zuerst?
10. Alle Antworten sind im Prinzip schon da. Ich bin auch überzeugt, dass wir die Antworten irgendwann finden werden. Wann? Bei einem historischen Prozess von ca. 13.8 Mrd Jahren kommt es nicht auf ein paar tausend ode ein paar zehntausend oder auch mehr Jahre an. Solange wir als einzelne nicht begreifen (und fühlen), dass wir grundsätzlich Teil dieses größeren Ganzen sind, solange können diese Gedanken ’schrecklich‘ wirken.

SELBSTBEHARRUNG DER UNGERECHTIGKEIT

11. Zum letzten Teil der Überschrift: wenn man sich lange genug die vielen ‚Ungerechtigkeiten‘ in unserer Welt anschaut, so beruhen sie ja allesamt auf dem Schema, dass einige wenige sich ‚Vorteile’/ ‚Privilegien‘ auf Kosten einer Mehrheit herausnehmen. Die Begründungen für diese Privilegien variieren im Laufe der Geschichte (auch dafür musste oft Gott herhalten: ‚göttliche Abstammung‘, ‚gottgewollt‘ …). Letztlich sind alle diese Begründungen nicht viel wert. Wenn das Leben als Ganzen der oberste Wert ist und alle Teile grundsätzlich ‚gleichberechtigt‘, dann können nur solche Lösungen zählen, in denen für die Gesamtheit ein Optimum angestrebt wird. Die Tendenz individuell oder gruppenmäßig Privilegien anzuhäufen, huldigt der Überlebenslogik, dass nur die ‚eigene Gruppe‘ überleben kann und soll und dass alle ‚anderen‘ Feinde sind. Dies ist die implizit kurzsichtige Logik der Gene. Für komplexe Gesellschaften als Teil komplexer Abläufe ist dies, wie sich allenthalben zeigt, kontraproduktiv oder sogar tödlich. Allerdings scheint es so zu sein, dass privilegierte Gruppen von sich aus fast nie ‚freiwillig‘ auf ihre Privilegien verzichten. Änderungen kamen daher immer entweder dadurch, dass die Privilegienbesitzer sich selbst zugrunde gewirtschaftet haben oder weil Unzufriedene sich dieses Schauspiel nicht mehr länger ansehen wollten und versucht haben, sich ihre angestammten Rechte notfalls mit Gewalt zurück zu holen. Revolutionen, Kriege, Terrorismus sind daher immer auch Indikatoren für Ungleichgewichte. Nach erfolgreichen Aufständen wurden dann die ‚Aufrührer‘ selbst zu ‚Privilegierten‘, usw.

RUM-Music

Musik vom 13.Maerz 2014, kann man hören muss man nicht. Eines von vielen experimentellen Stücken.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

DIE DEMOKRATIE HAT GERADE MAL KEINE SAISON (2) – … und die Wiederkehr der Sklaverei?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 16.Febr.2014,
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

 

Letzte Änderung: So, 16.2.2014, 12:43h

In mittlerweile sehr vielen Artikeln (unter anderem in den vorausgehenden Artikeln DIE DEMOKRATIE HAT GERADE MAL KEINE SAISON und WAS WILL UNS MOROZOV SAGEN? Zu seiner Replik auf Martin Schulz, der am 6.2.2014 zum Kampf aufruft) bin ich dem Phänomen nachgegangen, dass gewählte Regierungen die ihnen anvertraute Macht in einer Weise nutzen, die aus demokratischer Sicht mindestens grenzwertig ist oder – wie es der Fall zu sein scheint – deutlich überschreiten, d.h. faktisch so benutzen, dass dies einer Ent-Demokratisierung gleich kommt. Weitere Beispiele liefert leider auch die EU-Politik.

AUSVERKAUF DER EU AN DEN PARLAMENTEN VORBEI?

… GENMAIS

Leider, muss man sagen, sind wir in der EU fast schon daran gewöhnt, dass starke Lobbygruppen an den nationalen Parlamenten vorbei die EU-Kommission in ihrem Sinne beeinflussen, so dass einige wenige große Firmen für bestimmte Maßnahmen die Kontrolle über die gesamte EU gewinnen. Am Beispiel der Gen-Mais Abstimmung kann man aktuell eine Neuauflage dieses Schauspiels beobachten. Während die SPD sowie die CSU und der Vertreter Deutschlands beim Ministertreffen in Brüssel eigentlich gegen die Genehmigung von Gen-Mais waren (sowie alle Oppositionsparteien und die Mehrheit der deutschen Wähler), musste der deutsche Vertreter sich dennoch der Stimme enthalten (was im Kontext einer Zustimmung gleichkam), weil die von der Kanzlerin geführte CDU nicht dagegen sein wollte (siehe: EU-Entscheidung: Europas Lavieren bringt Genmais in die EU (Süddeutsche Zeitung online, 1. Februar 2014 11:12)). Bekannt ist, dass es nur einige wenige große multinationale Konzerne sind, die für diese Genehmigung kämpfen.

… TRANSNATIONALES FREIHANDELSABKOMMEN

Verglichen mit den Verhandlungen zum ‚Transatlantischen Freihandelsabkommen‘ Transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP), das seit etwa Mitte 2013 unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen der US-Regierung und 12 weiteren Ländern (parallel zu Verhandlungen mit pazifischen Ländern) verhandelt wird, ist das Gen-Mais-Abkommen eher ‚geringfügig‘. Kanzlerin Merkel spricht sich bislang eindeutig für dieses transnationale Abkommen aus (Warum eigentlich?). Dagegen wird es von Teilen der Politik, Journalisten, Verbraucherschutz- und Umweltschutzorganisationen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in vielen Teilen (sofern sie bekannt wurden) und in der Art des Vorgehens massiv kritisiert. Kernpunkt ist, dass die Verhandlungen zwar unter Beteiligung von Industrievertretern aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Beteiligung der nationalen Parlamente (auch unter Ausschluss des US-amerikanischen Kongresses und des EU-Parlaments) verhandelt werden, und dies heißt faktisch ohne demokratische Kontrolle.

In der Deutung der zu erwartenden positiven wirtschaftlichen Effekte gehen die Deutungen auseinander, aber der erfassbare Konsens geht eher in die Richtung, dass die wirtschaftlichen Effekte für die Bevölkerung der Teilnehmerstaaten als sehr gering, geradezu gegen Null, eingeschätzt werden, hingegen begleitet von zahlreichen gravierenden Nachteilen. So würden durch das Abkommen (siehe Wikipedia-DE) Umwelt- und Gesundheitsstandards untergraben und Arbeitnehmerrechte aufgeweicht. Die angestrebte ‚Harmonisierung von Standards‘ orientiere sich laut Kritikern an den Interessen der Konzerne und Finanz-Investoren, weil Harmonisierung bedeuten würde, dass tendenziell der jeweils niedrigste bzw. wirtschaftsfreundlichste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die verbindliche Norm des Vertrags dienen würde.

Würden Staaten später gegen die Vertragsregelungen verstoßen, könnten ‚gigantische Entschädigungen für Unternehmen‘ fällig werden. Darüber würden sogenannte Schiedsgerichte entscheiden, die keiner nationalen Gesetzgebung und Kontrolle unterworfen wären. Unternehmen könnten so etwa das staatliche Verbot bzw. die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmittel oder die Gasförderung mittels Fracking verhindern, oder Entschädigungszahlungen für den Ausstieg aus der Kernenergie erzwingen. Die Vorteile, die das Abkommen den Unternehmen bieten würde, wären zudem bindend, dauerhaft und praktisch nicht mehr veränderbar – weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden könne, sobald der Vertrag (in dr aktuellen form) in Kraft treten würde.

Aus diesen Gründen (mehr Details bitte an den angegebenen Stellen selbst nachlesen) wurde das Abkommen von all den genannten Gruppierungen als ‚undemokratisch‘, als ‚unvereinbar mit demokratischen Prinzipien‘ und als ‚Unterwerfung der Teilnehmerstaaten unter Konzerninteressen‘ charakterisiert (siehe z.B. auch Freihandelsabkommen TTIP : Mit demokratischen Prinzipien nicht vereinbar (GEO.de, Marianne Henkel, Sprecherin des Arbeitskreises Internationale Umweltpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), im Interview mit Peter Carstens))

WÄHREND MUTTI NOCH LÄCHELT KÄMPFEN DIE DEMOKRATISCHEN KRÄFTE DER USA

Während die deutsche Regierung – allen voran die Bundeskanzlerin, die sich in der Rolle der lächelnden ‚Mutti der Nation‘ zu gefallen scheint – den Eindruck erweckt, dass für sie das mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen doch eine tolle Sache sei (trotz der allseits aufflammenden Kritik), muss man wissen, dass dieses Abkommen auch in den USA heftig umstritten ist, da auch dort die Verhandlungen bislang am Kongress vorbei geführt werden und die Regierung alles versucht, vom Kongress einen Blankoscheck für das weitere Vorgehen zu bekommen (vgl. For controversial trade pact, fire from the left, the right and WikiLeaks (WP, By Howard Schneider, Published: November 14 ), How Congress might have already tied Obama’s hands in trade negotiations (WP, By Lydia DePillis, Updated: July 17, 2013 at 12:13 pm), Congress is considering whether to allow Obama to finish two massive trade deals (WP, By Lydia DePillis, Updated: January 9 at 4:57 pm)).

Unterstellt man mal, dass die CDU letztlich nur tut, was ‚Mutti‘ will, dann verdichten sich in den vielen Ereignissen die Hinweise, dass unsere ‚Mutti‘ auch vergleichbar wird mit den berühmten ‚Paten‘ in den Filmen über die organisierte Kriminalität: nach außen treten diese Paten kaum in Erscheinung, sagen öffentlich nur belanglose Dinge, sind aber intern und hinter den Kulissen extrem vernetzt mit allem was nach Macht und Geld riecht. War ein ‚Tarnkappenverhalten‘ unter DDR-Verhältnissen vielleicht noch überlebensnotwendig, in einer Demokratie ist die ‚Neutralisierung der Öffentlichkeit‘ ein Frontalangriff auf die Demokratie. Die Unterstützung von Großindustrie und multinationalen Konzernen an den Parlamenten vorbei gegen die Interessen der Bürger ist letztlich Machtmissbrauch und zutiefst antidemokratisch. Dass eine Partei wie die CDU sich einen solchen antidemokratischen, letztlich gegen die Bevölkerung gerichtete Politik gefallen lässt, spricht nicht gerade für sie. Das ‚D‘ für ‚demokratisch‘ im Akronym ‚CDU‘ wirkt stark zerschlissen.

(Anmerkung: Es ist irgendwie schwer nachvollziehbar, warum die Einbeziehung der gewählten Parlamente bei so wichtigen Abkommen wie z.B. dem transatlantischen Freihandelsabkommen nicht selbstverständlich ist. Ist es denn nicht die primäre Aufgabe einer demokratisch gewählten Regierung die Interessen eines ganzen Landes zu vertreten statt nur einige wenige rein kapitalinteressierte Interessengruppen, die in vielen konkreten Belangen eindeutig den Interessen der Bevölkerung zuwiderlaufen? Leben wir denn tatsächlich schon in einer multinationalen organisierten Kriminalität mit den Regierungschefs als ‚Super-Paten‘? Wenn nicht, warum verhalten sich die Regierungschefs dann so, als ob sie ‚Super-Paten‘ sind? Warum kooperieren die Parlamente nicht direkt miteinander, wenn schon ihre Regierungen sie ins politische Abseits stellen? Die Beziehungen zwischen den USA und Europa sind lebenswichtig, nicht nur für einige wenige Konzernspitzen…)

EIN REPUBLIKANISCH-DEMOKRATISCHES AUFBEGEHREN IN DEN USA?

Während also in Deutschland eine CDU dabei ist, mit ‚Mutti‘ die Demokratie durch Missachtung zu erodieren (und die SPD den Eindruck erweckt, dass sie, von Machtgier geblendet, sich der Strategie der Macht von Mutti bis hin zur Selbstverleugnung anzupassen scheint) gibt es in den USA eine ganze Vielzahl von Bewegungen, die versuchen, sich gegen die schleichende Ent-Demokratisierung zu wehren. Neben dem schon erwähnten Kampf des Kongresses um Einbeziehung in die Verhandlungen zu transatlantischen Freihandelsabkommen gibt es mittlerweile eine offizielle Anklage gegen Obama und seine Regierung durch den republikanischen Senator Rand Paul (Kentucky) (siehe Rand Paul files suit against Obama, NSA Wednesday (Washington Post online, By Jaime Fuller, Updated: February 12 at 11:23 am). Senator Rand Paul zusammen mit Matt Kibbe, dem Präsidenten der konservativen Bewegung FreedomWorks, erheben Anklage gegen Präsident Obama und anderen Regierungsmitgliedern wegen des Sammelns von Telefondaten durch die NSA. Für sie ist es eine Verletzung des vierten Zusatzes zur US-amerikanischen Verfassung (was in diesem Blog schon sehr früh so gesehen wurde (nicht der technische Vorgang der Überwachung ist entscheidend, sondern die politische Deutung dieses Vorgehens!)). Publikumswirksam erinnert Paul die US-Bürger an die Frühzeit der USA, an die Herrschaft der Briten, die die Privatheit der Kolonisten eben nicht geachtet haben (was übrigens auf der Webplattform von tomdispatch.com schon seit Jahren so analysiert wurde). Und Paul vergleicht die heutige Praxis der NSA mit dem damaligen Verhalten der verhassten britischen Regierung.

Paul Milband, ein journalistischer Lobbyist für die Demokraten und gegen die Republikaner, versucht durch schreibende Betriebsamkeit zwar das Vorgehen von Paul zu diskreditieren (siehe z.B. Rand Paul and Ken Cuccinelli accused of stealing NSA lawsuit (By Dana Milbank, WP, February 12) und E-mails back claim that Sen. Rand Paul ‘stole’ NSA lawsuit (By Dana Milbank, Updated: February 13 at 6:00 pm) doch, wie diverse Lesermeinungen es auch zum Ausdruck bringen, wirken diese schreibenden Aktionen eher wie ein ‚Ablenkungsmanöver‘ von dem grundsätzlichen Problem einer staatlich betriebenen Ent-Demokratisierung.

Zu dem sehr negativen Bild, das der US-amerikanischen Regierungsbetrieb seit langem in vielen Bereichen abgibt, passen leider auch solche aktuellen Meldungen wie der – so scheint es – extreme Missbrauch von öffentlichen Steuergeldern durch die US-Geheimdienste (siehe: U.S. intelligence agencies can’t justify why they use so many contractors (WP, By Brian Fung, Updated: February 14 at 3:24 pm ) oder die handwerklich unprofessionelle, vetternwirtschaftliche Art der Ernennung der großen Mehrheit von US-amerikanischen Botschaftern (siehe: Obama ambassador nominees prompt an uproar with bungled answers, lack of ties (WP, By Juliet Eilperin, Published: February 14).

DIE WIEDERKEHR DER SKLAVEREI IM DIGITALEN?

Und noch etwas muss man in diesem Zusammenhang erwähnen (ein längerer Beitrag wäre notwendig). So wie das Verhalten der NSA — ermöglicht durch die neuen Computer- und Internettechnologien — in ihren Auswirkungen bisherige demokratische Grundwerte erodiert oder gar — nach Einschätzung vieler — gerade zu aufhebt, so kann man im Vorgehen von Firmen wie Google, Facebook, Apple, Samsung und alle jenen, die Kundenbeziehungen über das Internet realisieren, feststellen, dass sie nicht nur den vierten Zusatz zur US-amerikanischen Verfassung massiv aushebeln (die nächste mögliche Attacke von Senator Paul (oder anderen)), sondern dass sie faktisch durch ihre Praxis alle ihre Kunden quasi zu ‚Leibeigenen‘ erklären, zu ‚digitalen Sklaven‘! Egal was jemand heute machen will (Kommunizieren, Suchen, Finanztransaktionen, …), man muss nicht nur extrem viele Daten von sich preisgeben, sondern zugleich gerät man in juristische Abhängigkeiten, die so meistens nicht gewollt sind, und einer Art Totalübergabe gleich kommt. Gegenüber diesen Firmen ist jemand außerhalb der USA nahezu ohne jedes Recht, dazu werden alle seine Aktivitäten protokolliert. Vergleicht man damit die Definiton von Sklaverei, dann hat ein heutiger Bürger im digitalen Bereich fast sogar weniger Rechte als ein ‚klassischer‘ Sklave. Wir sind faktisch schon längst ‚digitale Sklaven‘ und Google erscheint hier als jene Firma, die mit der größten Zielstrebigkeit das als global und frei visionierte Internet in in ein vergiftetes Minenfeld von hochverschachtelten privatisierten Diensten verwandelt, in dem jeder Quadratmeter durchkommerzialisert ist, verbunden mit einer völligen Aufhebung persönlicher und demokratischer Rechte.

Für die meisten unsichtbar hat Google seit langem damit begonnen, das ehemals quelloffene Handy-Betriebssystem ‚android‘ schrittweise so umzubauen, dass immer mehr ‚freie‘ Teile dieser Software durch google-spezifische Teile ersetzt worden sind. Damit sind alle Kunden und auch Firmen in direkte Abhängigkeit von Google geraten. Die schöne neue Welt des Internets versinkt mehr und mehr – um ein Bild zu gebrauchen – ‚im stinkenden Morast von digitalen Sklavenhaltern‘, die jedes Zipfelchen Lebensäußerungen zu ihrem totalen Eigentum erklären. Das kann und wird auf Dauer nicht funktionieren. Die große Firma der Zukunft wird ziemlich sicher eine Anti-Google-Firma sein. Die Frage ist nur, wie viele Jahre wird es brauchen? Evolutionsbiologisch ist das Erfolgskonzept von Google und Co heute schon tot. Die individuelle Gier einzelner Macher reicht gewöhnlich nicht aus, um epocheprägend zu sein. Die Verdienste von Google und Co liegen gleichwohl darin, dass Sie uns die Aufgen dafür öffnen, wie diese anderen Firmen der Zukunft aussehen werden.

Einen Überblick über alle Beiträge dieses Blogs nach Titeln findet sich HIER.