Archiv der Kategorie: Gesellschaft

VERLUST DES SUBJEKTS? – Nachbetrachtungen zu einem Diskurs mit Soziologen, Anthropologen, Kulturanthropologen

SOUNDART

Hier ein spontanes Soundgebilde zum Thema der neuen negativen Komplexität, die uns von allen Seiten zu umringen und verschlingen droht; sie kommt und geht, und kommt … (Radically unplugged; anarchistic).

1. Es heißt ja, eine Schwalbe mache noch keinen Frühling; von daher sollte ich die Begegnung mit Soziologen/ Anthropologen/ Kulturanthropologen gestern Abend nicht überbewerten. Dennoch, Eindrücke gab es, und diese Eindrücke kamen von Vertretern dieser Fächer aus ganz Deutschland, von Vertretern, die viele viele Jahre Expertise auf sich vereinen und die nicht gerade unbedeutend sind.

2. Dass im abendlichen Plenum die promovierte Nachwuchswissenschaftlerin X letztlich immer um die Frage kreiste, was denn nun die Frage sei, entlang der man forschen sollte, lies aufmerken: ist es wirklich so, dass einer jungen Kulturanthropologin nach einem langen Studium samt langer Promotion immer noch nicht klar ist, welche Frage sie mit ihrem Forscherinnenleben beantworten möchte? Reiht Sie Untersuchung an Untersuchung ohne eigentlich zu wissen, was Sie untersucht? Ist dies ein individuelles Problem oder ist es symptomatisch für die ganze Disziplin?

3. Der andere junge promovierte Nachwuchswissenschaftler Y neben X formulierte zwar Argumente und Fragen, ihnen entnahm ich aber hauptsächlich ein Unbehagen an den Thesen des großen Lehrers A, der unter anderem in einem Buch das ‚Verschwinden der Gesellschaft‘ proklamiert hatte. Sein Unbehagen wurde klar, aber nicht so recht, warum er diese These für nicht vertretbar hielt. Was war ‚falsch‘ an der These vom Verschwinden der Gesellschaft und was waren seine Argumente? Seine Beispiele zum Verlust von ‚Autonomie‘, Verlust von ‚Privatheit‘ bzw. zur Auflösung von ‚Demokratie‘ wirkten eher wie Wasser auf die Mühlen der These vom Verwinden von Gesellschaft.

4. Ein anderer Professor Z, aus der Richtung Techniksoziologie, benutzte u.a. die Formulierung, dass ‚Gesellschaft‘ als solche nie verschwinden würde; wohl aber können sich ihre Interaktionsmuster ändern, überhaupt die Rahmenbedingungen ihrer Daseins und Handelns.

5. Dies scheint mir eine tiefliegende These zu sein, die vieles verständlich machen kann. Für einen beobachtenden und theoriebildenden Soziologen (das Wort ‚Theorie‘ fiel an diesem Abend nie!) erscheint ‚Gesellschaft‘ ja nur in ihren Manifestationen, in ihren Aktivitäten. Dabei haben alle Soziologen und Anthropologen gelernt, dass ein ‚Ereignis‘ in der Regel viele Deutungen zulässt, insbesondere dann, wenn es Teil eines ‚Geflechts von Ereignissen‘ die untereinander ‚mental‘ und ’situativ‘ zusammen hängen‘ (etwas, was Psychologen auch seit über 100 Jahren untersuchen; von Psychologie sprach an diesem Abend aber niemand). Was vor diesem Hintergrund dann ‚Gesellschaft‘ im Auge des Soziologen/ Anthropologen ist, ist notgedrungen sehr standpunktabhängig, abhängig von der Leitfrage, abhängig von verfügbaren Theorien. Von eigentlichen Leitfragen war an diesem Abend wenig die Rede, auch nicht von geltenden Theorien.

6. Nimmt man den Standpunkt von Z ernst, dann ist ‚von sich aus‘ nichts ‚gut‘ oder ‚falsch‘. Und er stellte auch konsequent fest, dass für ihn Ethik in der Wissenschaft nichts verloren habe. Die Wissenschaft der Soziologie hat zu untersuchen, wie die Menschen sich tatsächlich, faktisch verhalten und was dies impliziert und nicht, wie sie sich nach einer vorausgesetzten Ethik verhalten sollen.

7. In einem Pausengespräch erfuhr ich von zwei anderen Professoren B und C, dass diese ‚ethikfreie Soziologie‘ auf Widerspruch stoßen kann. Beide schienen darin überein zu kommen, dass ‚Ethik‘ eher den wissenschaftlichen Diskurs meint, innerhalb dessen man mögliche ‚Werte‘ klärt, wohingegen ‚Moral‘ gruppenspezifische und (soziologisch‘ gruppenendogene) Wertauffassungen spiegeln. Trotz dieser anfangshaften Unterscheidung konnten die angeführten historischen Beispiele keine letzte Klarheit bringen, ob es nun eine ethikfreie Wissenschaft gebe könne oder nicht. Möglicherweise meinte B auch eher, dass es wegen der möglichen Folgen für die Menschen keine ‚ethikfreie Technik‘ geben könne; seine Beispiele legten diesen Schluss nahe. Denn zu verlangen, dass eine Wissenschaft einer bestimmten Ethik folge, hat sofort viele Probleme im Gefolge: (i) die Geschichte zeigt, dass die experimentelle Wissenschaft vielfach nur Fortschritte erzielte, weil sie herrschende Wertemuster durchbrach, um tieferliegende wichtige Zusammenhänge sichtbar zu machen. Darüber hinaus (ii) dürfte es schwer bis unmöglich sein, so etwas wie ‚absolute‘ Werte zu identifizieren. Ferner (iii) – auch eine Korollar zu (ii) – haben wir als aktuell Lebende unsere aktuelle punktuelle Situation nicht zum Maßstab für die ganze kosmologische Entwicklung zu machen; das wäre vermessen und möglicherweise ein echter Fall von Größenwahn.

8. Hier kommt nochmal Professor A ins Spiel. Sein Konstatieren des Verschwindens von Gesellschaft bezieht seine Logik ja nicht nur aus dem allgemeinen methodischen Artefakt, dass eine Soziologie nicht ‚die Gesellschaft an sich‘ untersucht, sondern – das ist jetzt ein wenig Vermutung – auch aus dem Fakt, dass es für die beteiligten Menschen (den Untersuchungsobjekten) möglicherweise immer schwieriger wird, aus ihrer individuellen Perspektive noch irgendwie den ‚übergreifenden Zusammenhang‘ zu erkennen.

9. Ich hatte dies dann offiziell als Frage formuliert: ob es sein könne, dass es für die Menschen als Handelnde immer schwerer wird, mit ihren individuell begrenzten kognitiven Kapazitäten und ihren beschränkten Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten irgendwelche nennenswerte Zusammenhänge in dem immer komplexeren Gesamtprozess zu erfassen (in einem Beitrag für die Konferenz ‚Urban Fiction‘ (vor vielen Jahren) hatte ich dieses Überlastungsphänomen ‚Negative Komplexität‘ genannt)? Und wenn es für jeden Menschen als Menschen zutrifft, inwieweit tangiert dies dann nicht auch die untersuchenden Soziologen/ Anthropologen? Haben sie denn überhaupt noch eine Chance, irgendetwas ‚Wichtiges‘ in diesem unübersichtlichen Geschehen zu erfassen? Sind sie als selbst Betroffene überhaupt noch Meister des Geschehens? (Von diesem Standpunkt aus erscheinen u.U. die Worte der promovierten Wissenschaftlerin X in einem anderen Licht: wenn die Unterstellung von der Negativen Komplexität stimmt, dann hat heute niemand mehr eine wirklich ‚begründete‘ Forschungsfrage, und dann ist das Ringen dieser jungen Forscherin nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein Problem von uns allen; ihre Frage ist dann als Frage die eigentliche These, und die vielen Antwortversuche der ‚Älteren‘ wären dann ‚beschönigend‘, um nicht zu sagen ‚verdrängend‘.

10. Angesichts dieser Einschätzung – wohlgemerkt bislang nur eine Hypothese – wären die umfangreichen Überlegungen von Professor Z (er hatte einen Vortrag mit über 60 Minuten), die den Versuch bildeten, in dieser ‚begrifflich ungreifbaren Gesamtheit‘ eine ‚Struktur‘ einzuziehen, der falsche Ansatz. Zwar war sein Leitbegriff ‚Konstellation‘, um sich nicht vorschnell auf zu enge ‚Systeme‘ einlassen zu müssen, aber seine ‚Dreistufentheorie‘ der Komplexität würde in einer offenen Diskussion möglicherweise nicht lange überleben. In meiner Wahrnehmung trägt er dem ‚fluiden Moment‘ der ganzen Theoriebildung, nämlich der individuellen Kognition als Medium möglicher Theorien, zu wenig Rechnung (vielleicht tue ich ihm hier Unrecht; mein offizieller Einwand nach seinem Vortrag ging in diese Richtung und seine Antwort(en) konnten mich nicht überzeugen.

11. Dies führt zurück zu Professor A, für den die Gesellschaft abhanden gekommen ist (mit vielen anderen Büchern, die dies aus unterschiedlichster Perspektive erweitern erläutern,…). Wenn mich auch seine Reflexionen im Detail bislang nicht so ganz überzeugen können, so sieht er allerdings (mehr als andere?) das Individuum als einen Knotenpunkt in einem komplexen kommunikativen Netzwerk, das nicht nur von dem Individuum mitgespeist wird, sondern umgekehrt das Individuum wird durch diese Kommunikationsnetzwerke mehr und mehr beeinflusst, geprägt, geleitet, gewinnt daraus nicht wenig Bilder, die es als ‚Selbstbilder‘ missdeuten kann. Der Wandel der kommunikativen Medien vom direkten Face-to-Face, von der Vermittlung über konkrete Aktionen in konkreten Situationen verschiebt sich mehr und mehr zu immer ‚technischeren‘ Medien, die keinesfalls neutral sind, sondern als Medium immer größere ‚Fremdanteile‘ mit sich bringen (bis hin zur eingebauten Totalüberwachung). Dazu immer größere Datensammlungen, sowohl in Entstehung, Struktur und Anwesenheit immer weniger transparent, immer weniger überschaubar, im Zugang intransparent kontrolliert, in der Lagerung intransparent verändert, in ihren Wechselwirkungen immer weniger erfassbar. Das Zauberwort von ‚Big Data‘ (‚Großen Daten‘) ist primär ein Marketingvehikel für jene Firmen, die damit Geld verdienen wollen. Für die Wissenschaft ist es eine weitere Barriere, unser tatsächliches Wissen und unsere tatsächliche Kommunikation überhaupt noch zu verstehen (im übrigen ist Big Data, wie immer mehr Experten mittlerweile zugeben, je größer, umso weniger hilfreich, eher irreführend und für Managemententscheidungen von Firmen sogar gefährlich).

12. Also, einerseits scheint uns das ‚Subjekt‘ allen Geschehens irgendwie mehr und mehr abhanden zu kommen, das Subjekt sowohl als ‚Objekt‘ der Untersuchung wie auch als ‚Akteur‘ hinter allem. Das Subjekt – so scheint es – wird immer mehr eingelullt in ‚Bilder von der Welt‘, die weder seine eigenen Bilder sind noch Bilder, denen eine wissenschaftliche Relevanz zukommt. Damit wäre ‚Gesellschaft‘ im aufklärerischen Sinne ‚verschwunden‘. Fragt sich, was haben wir nun? Entgleitet sich das Subjekt in diesem umfassenden Geschehen immer mehr, nicht, weil es dies so will, sondern weil es mit ihm ‚einfach geschieht‘?

13. Die Leitwissenschaften, die sich diesen zentralen Fragen stellen, sind die Soziologie, die Anthropologie, die Kulturanthropologie um diese als ‚pars pro toto‘ zu nennen. In der deutschen Wissenschaftslandschaft werden aber genau diese Disziplinen zunehmend weggekürzt, weil sie sich nicht mehr ‚rechnen‘. Wer also noch Zweifel an der wissenschaftszerstörenden Kraft der aktuellen Prozesse hat, braucht nur diese Fakten zur Kenntnis nehmen.

LAUNIGES UNPLUGGED GESPRÄCH AM ABEND DANACH

Radically unplugged Gespräch aus einer Laune heraus …

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

BAUSTEINE DER ‚UNLOGIK‘ VON GESCHICHTE: Philosophie und Politik, Einzelner und Geschichte, Das Beharrliche an Ungerechtigkeit

DENKEN, KÖRPER, WELT, POLITIK

1. Seit dem letzten Sommer schreibe ich in diesem Blog immer wieder und immer mehr über ‚politische‘ Themen, obgleich ich dies weder geplant hatte noch eigentlich will; die Tagesereignisse wirken jedoch auf das philosophierende Denken wie eine Art ‚Störfeuer‘; ich möchte Strukturen unseres Denkens, unseres Wissens, unseres Handelns weiter klären, aber dann rasen Meldungen durch die Medien von Ereignissen, die Auswirkungen auf viele haben, von Menschen, die Entscheidungen fällen, die ganze Nationen elementar betreffen, und dann ist irgendwie klar, dass das individuelle Denken und der reale Gang der Geschichte nun mal irgendwie zusammenhängen. Das individuelle Denken findet in einer realen Matrix von Gegebenheiten, Handlungen anderer statt, von denen man zwar im Denken bis zu einem gewissen Grad ‚abstrahieren‘ kann, aber trotz denkerischer Abstraktion bestehen diese realen Zusammenhänge. Auch wenn ich im ‚Denkraum‘ abtauche bleibt mein Körper ein realer Moment in realen Prozessen, verlangt er nach Nahrung, hat einen amtlich registrierten Namen, bin ich eine Nummer in einer Verwaltungsmaschinerie, unterliege ich den Spielregeln der aktuell jetzt und hier geltenden Gesetze. Im Denken kann ich ‚anders‘ sein als der Moment, als der Augenblick, als es die realen Situationen vorsehen und erlauben, aber das Denken als Denken verändert nicht notwendigerweise die Realität. Ich kann über Grundprinzipien der Demokratie ’nachdenken‘ und zugleich mit meinem Körper in einer Situation leben, in der Demokratie abgebaut wird, und ich dadurch zu diesem Abbau dadurch mit beitrage, dass mein Körper ’nichts tut‘, was diesen Prozess stoppt.

2. In dem Maße, wie ich meine, das Zusammenspiel von Realität und Denken besser zu verstehen, in dem Maße verliert die Realität ihre ‚Unschuld‘. In dem Maße wie man zu verstehen meint, wie die Prozesse des Alltags nicht ’naturgegeben‘ sind, nicht ‚unabwendbar‘, sondern auch von uns Menschen, von jedem einzelnen von uns, ‚erzeugt‘, in dem Masse wird Denken ‚über‘ diese Realität mehr und mehr zu einem Denken ‚der Realität‘, in der jedes Wort, jede Geste, jedes Handeln ‚bedeutsam‘ wird: wenn ich ’schweige‘ dann ‚rede‘ ich in der Form der Zustimmung; wenn ich rede, dann dann rede ich in Form der realen Interaktion. Dann tritt mein Denken in einem scheinbar ’schwachen‘ aber dennoch ‚realen‘ Dialog mit der Welt, in der mein Körper vorkommt. Es ist aktuell die Welt des Jahres 2014 (andere Kalender haben andere Zahlen).

3. Ich beginne für mich zu realisieren, dass die Zeit des ‚politikfreien‘ Denkens möglicherweise vorbei ist. Ich stelle fest, dass ich nicht mehr so abstrahieren kann wie früher. Ich stelle fest, dass das Denken der großen Entwicklungslinien des Lebens auf der Erde und das Alltagsgeschehen immer mehr verschmilzt. Der atemberaubende kosmologische Prozess dieser unserer Erde als Teil von Sonnensystem, Milchstraße usw. bricht sich in den scheinbar ‚geschichtslosen‘ Aktionen von Milliarden menschlicher Individuen jeden Tag neu, und je mehr man das Wunder des Lebens zu erkennen meint, umso unfassbarer wird die Perspektiv- und Verantwortungslosigkeit, die unser ‚Alltagshandel‘ zu haben scheint.

IMPLIZITES WISSEN UND EXPLIZITES HANDELN

4. Ich sage bewusst ’scheint‘, da nach aktuellem Kenntnisstand fast alles, was die Lebenssituation auf der Erde betrifft und die Strukturen des biologischen Lebens, stattgefunden hat und stattfindet ohne unser Zutun. Allerdings hat die Existenz der menschlichen Lebensform auf dieser Erde seit ein paar Millionen Jahren die Erde im Handlungsbereich eben von uns Menschen zunehmend verändert. Diese Änderungen sind mittlerweile so stark, dass wir drauf und dran sind, wichtige Teilprozesse des Gesamtprozesses so zu stören, dass der Gesamtprozess damit nachhaltig gestört wird.

5. Dennoch, obwohl das beobachtbare Verhalten von uns Menschen große Einwirkungen auf die eigene Lebensumwelt erkennen lässt, und es Menschen, Gruppierungen, größere Organisationen und Firmen gibt, deren Verhalten ‚planvoll‘ wirkt, kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das ‚Planvolle‘ an dem Geschehen letztlich überwiegend wenig reflektiert ist und von individuellen Motiven einzelner angetrieben wird, die in der individuellen Psyche und deren individueller Geschichte wurzeln, und denen jeder Bezug zu einem größeren Ganzen abgeht. Dass ‚kleinwüchsige Männer‘ einen überhöhten Geltungsdrang haben, der viele Völker in einen Strudel von Kriegen und Zerstörung getrieben haben, ist nicht nur ein Klischee, sondern historische Realität. Dass persönliche Eitelkeiten und individuelles Machtstreben gepaart mit allerlei anderen individuellen Bedürfnissen Ländereien, Fabriken, ganze Völker ruiniert haben, ist auch real. Kurzum, das psychologische Format des einzelnen Menschen erscheint immer mehr als unzureichend für die Herausforderungen einer komplexen Massengesellschaft. Während die komplexen Prozesse einer Stadt, einer Region weitreichende vernetzte und rückgekoppelte Denkprozesse verlangen, die von Menschen ausgeführt und unterstützt werden, die in ihrem Denken und Fühlen dazu fähig sind, ist die normale psychologische Ausstattung eines einzelnen Menschen dafür im Normalfall gar nicht ausgelegt.

WENDEPUNKT DER EVOLUTION?

6. Immerhin, der Mensch, zumindest der homo sapiens sapiens, hat ca. 100.000 Jahre mit seiner psychologischen Ausstattung Erstaunliches bewegt und geleistet. Nun aber scheint homo sapiens sapiens sowohl mit seinem psychologischen Format wie auch mit seinen kognitiven Fähigkeiten wie ein Insekt um ein tödliches Licht zu kreisen, das im Fall des homo sapiens sapiens die in jedem Individuum eingebauten zeitlich eng begrenzten Bedürfnisse und Motive sind, die ihn wie ein unsichtbarer Magnet in ihrem Bann halten und letztlich im Alltag bestimmen. Die verschiedenen Religionen (alle, ohne Ausnahme!) haben bislang wenig dazu beigetragen, das Bild des Menschen real so aufzuhellen, dass wir diesem in unseren Genen eingeschriebenem Programm des ‚Handelns auf Kurzsicht, Nahbereich, triebhafter Elementarsteuerung‘ usw. irgendwie entkommen könnten. Letztlich haben sie es mit blumigen Worten und allerlei zufälligem Regelwerk festgeschrieben, den Status Quo zum Selbstzweck erklärt. Am allerschlimmsten, sie haben die ‚Erde‘ und den ‚Himmel‘ geteilt. Das ist die schlimmste Form des Atheismus, die es geben kann.

7. Historisch befindet sich der homo sapiens sapiens an dem bislang ‚höchsten Punkt‘ seiner Entwicklung. Zugleich ist dies eine Art ‚Scheitelpunkt‘ an dem ein nachhaltiger ‚Systemumbau‘ notwendig ist, soll das bislang Erreichte nicht im Desaster enden. Einerseits scheint es, als ob wir genügend Wissen ansammeln konnten, andererseits stecken wir alle in einer ‚unsichtbaren‘ psychologischen ‚Programmhülle‘, die die Gene in unserem Körper und Gehirn angelegt haben, die jeden einzelnen in seinem Bann hält und wie von einer unsichtbaren Macht gezogen täglich zu Gefühlen und Handlungen anregt, die sowohl individuell wie gemeinschaftlich eher ‚destruktiv‘ wirken als ‚konstruktiv‘.

8. Solange der gesellschaftliche Diskurs diese Problematik nicht offen und kompetent adressiert, solange werden wir das bisherige Programm unserer Gene weiter ausführen und damit unsere individuelle wie gemeinschaftliche Zukunft möglicherweise zerstören; nicht, weil wir dies explizit wollen, sondern weil wir implizit, ’nichtbewusst‘, Dinge tun, die unser genetisches Programm uns beständig ‚einflüstert‘, weil sich dieses Programm vor langer Zeit mal bewährt hatte. Moralisieren und die verschiedenen, aus dem Nichtwissen geborenen Religionen, helfen hier nicht weiter. Die Wissenschaft könnte helfen; alle bekannten Gesellschaftssysteme forcieren aber – wenn überhaupt – eine Wissenschaft, die auf kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg programmiert ist, und sich in den fachlichen Details verliert und gerade nicht ein solches Wissen, das Disziplinen übergreifend nach Zusammenhängen sucht und das alltägliche Fühlen und Denken in seiner Gesamtheit im Zusammenhang sieht mit dem zugrunde liegenden genetischen Programm.

WEN FRAGEN ERWACHSENE?

9. Kinder können die Erwachsenen fragen, was sie tun sollen, und sie fragen auch. Wen können die Erwachsenen fragen? Und wenn wir alle gleich wenig wissen, wen fragen wir dann zuerst?
10. Alle Antworten sind im Prinzip schon da. Ich bin auch überzeugt, dass wir die Antworten irgendwann finden werden. Wann? Bei einem historischen Prozess von ca. 13.8 Mrd Jahren kommt es nicht auf ein paar tausend ode ein paar zehntausend oder auch mehr Jahre an. Solange wir als einzelne nicht begreifen (und fühlen), dass wir grundsätzlich Teil dieses größeren Ganzen sind, solange können diese Gedanken ’schrecklich‘ wirken.

SELBSTBEHARRUNG DER UNGERECHTIGKEIT

11. Zum letzten Teil der Überschrift: wenn man sich lange genug die vielen ‚Ungerechtigkeiten‘ in unserer Welt anschaut, so beruhen sie ja allesamt auf dem Schema, dass einige wenige sich ‚Vorteile’/ ‚Privilegien‘ auf Kosten einer Mehrheit herausnehmen. Die Begründungen für diese Privilegien variieren im Laufe der Geschichte (auch dafür musste oft Gott herhalten: ‚göttliche Abstammung‘, ‚gottgewollt‘ …). Letztlich sind alle diese Begründungen nicht viel wert. Wenn das Leben als Ganzen der oberste Wert ist und alle Teile grundsätzlich ‚gleichberechtigt‘, dann können nur solche Lösungen zählen, in denen für die Gesamtheit ein Optimum angestrebt wird. Die Tendenz individuell oder gruppenmäßig Privilegien anzuhäufen, huldigt der Überlebenslogik, dass nur die ‚eigene Gruppe‘ überleben kann und soll und dass alle ‚anderen‘ Feinde sind. Dies ist die implizit kurzsichtige Logik der Gene. Für komplexe Gesellschaften als Teil komplexer Abläufe ist dies, wie sich allenthalben zeigt, kontraproduktiv oder sogar tödlich. Allerdings scheint es so zu sein, dass privilegierte Gruppen von sich aus fast nie ‚freiwillig‘ auf ihre Privilegien verzichten. Änderungen kamen daher immer entweder dadurch, dass die Privilegienbesitzer sich selbst zugrunde gewirtschaftet haben oder weil Unzufriedene sich dieses Schauspiel nicht mehr länger ansehen wollten und versucht haben, sich ihre angestammten Rechte notfalls mit Gewalt zurück zu holen. Revolutionen, Kriege, Terrorismus sind daher immer auch Indikatoren für Ungleichgewichte. Nach erfolgreichen Aufständen wurden dann die ‚Aufrührer‘ selbst zu ‚Privilegierten‘, usw.

RUM-Music

Musik vom 13.Maerz 2014, kann man hören muss man nicht. Eines von vielen experimentellen Stücken.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

SPEZIALISIERUNG und INTERDISZIPLINARITÄT – Ein seltsames Paar

Anmerkung: Die folgenden Gedanken wurden angeregt durch ein Gespräch mit einem Kollegen am Mo, 14.Oktober 2013, mittags im Relax,in Frankfurt.

KOMPLEXITÄT UM UNS HERUM

1) Eine entwickelte Gesellschaft ist ein sehr vielschichtiges Gebilde. Ein einzelnes Haus verlangt zu seinem Bau verschiedene Spezialisten; bei großen Bürogebäuden und Wolkenkratzern ist es eine ganze Armada von Spezialisten. Ähnliches gilt für Fahrzeuge, Verkehrsverbindungen, Kanalsysteme, überhaupt Infrastrukturen, für das Management großer Institutionen und Firmen, für die Produktion wissensintensiver Produkte, usw.

MENSCHEN HANDELN MIT WISSEN

2) Doch, wie komplex eine Gesellschaft auch sein mag, die Handlungsknotenpunkte werden bislang noch von Menschen gebildet; Menschen die wahrnehmen, die interpretieren, die planen, die entscheiden, die Ziele formulieren usw. Nennen wir die Gesamtheit der ‚internen Faktoren‘ der handelnden Menschen vereinfachend ihr ‚Wissen‘.

BEGRENZTE KAPAZITÄTEN

3) Obwohl dieses Wissen sich im Laufe des Lebens ‚verändern‘ kann, ist die jeweils ‚aktuelle Verarbeitung‘ sehr begrenzt, endlich. Man kann pro Zeiteinheit nicht beliebig viel an Ereignissen aufnehmen und verarbeiten. Will man dennoch ‚mehr‘ Informationen verarbeiten als der vorhandene Wissensmechanismus (das darunter liegender Gehirn) zulässt, dann kann die Technik des Chunking begrenzt helfen: man führt eine Vielzahl von irgendwie zusammenhängenden Elementen unter einem neuen ‚Namen‘ zusammen. Der Name verbraucht weniger Verarbeitungskapazität, verweist aber auf seine ‚assoziierten Elemente‘.
4) Hierzu wäre sehr, sehr viel im einzelnen zu sagen. Für den aktuellen Zusammenhang ist nur wichtig, dass die Verarbeitungskapazität der Menschen sich im Laufe von Jahrhunderten bislang nur geringfügig — wenn überhaupt — verändert hat. In dem Maße also, in dem sich das ‚Wissen verfeinert‘ und zugleich die Komplexität der erfahrbaren Gesellschaft zunimmt (immer mehr Menschen, immer mehr verschiedene Objekte, immer mehr Abläufe, immer mehr Publikationen, … und das Ganze auch immer schneller) werden die endlichen Verarbeitungskapazitäten der Menschen ‚überlastet‘; er verliert den Überblick bzw. den ‚Zusammenhang‘: es wird immer unklarer, wie die einzelnen Dinge mit den anderen im Zusammenhang stehen.

SPEZIALISIERUNG ALS AUSWEG

5) Will man einem Ideal von ‚Vollständigkeit‘ und ‚Korrektheit‘ (welchem genau? Wie ist es definiert?) genügen, bleibt nur ein Ausweg: ‚Spezialisierung‘ durch Einschränkung auf Teilbereiche. Damit gewinnt man wieder etwas mehr Kontrolle über die Elemente des eingeschränkten Bereiches; andererseits gibt es dann aber auf jeden Fall auch Bereiche, die ‚außen vor‘ bleiben, es sei denn, man vermehrt die Anzahl der Spezialisten. Nehmen wir mal idealisierend an, dass eine menschliche Gesellschaft, in dem Maße, wie sie einschränkt, die Anzahl der Spezialisten vermehrt, so dass kein Bereich außerhalb der Kontrolle verbleibt.
6) Im Grenzfall haben wir dann Spezialisten für einen Bereich A mit Methoden M(A) und einen Bereich B mit Methoden M(B). Per definitionem wissen die Spezialisten von A nichts vom Bereich B und kennen auch nicht die Methoden, und umgekehrt.
7) Aus dem Alltag wissen wir auch, dass wir zunehmend Aufgaben lösen müssen, in denen sich Bereiche A, B, C, … mischen, nicht einfach nur ’nebeneinander‘, sondern in vielfältigsten Wechselwirkungen R1(A,C), R2(B,A), R3(R1(A,C), R2(B,A)) usw. Wenn man jetzt nicht will — und es wäre auch unrealistisch — dass jeder Alles kennenlernt (das war ja vor der Spezialisierung), muss ein Weg gefunden werden, wie die verschiedenen Spezialisten trotz ihrer Spezialisierung irgendwie ‚miteinander‘ kommunizieren und planen können. In einer formalen Theorie zieht man dann eine neue ‚Metaebene‘ ein, in der die Elemente von A und von B jeweils in neuer Form ‚abstrahiert‘ als ‚abstrahierte Elemente‘ vorkommen und man dann auf diese Weise quasi ‚über sich‘ sprechen kann, ohne die Details des anderen Bereiches voll verstehen zu müssen (und verstehen zu können).

INTERDISZIPLINARITÄT IST GEFORDERT

8) Eine solche gemeinsame Metaebene zu M(A) und M(B) gibt es aber nicht automatisch. Sie muss von allen Beteiligten konstruktiv ‚erarbeitet‘ werden. Das moderne Systemsengineering ist ein Beispiel für solch ein Vorgehen. Im Systemsengineering wurden allgemeine Prozessmodelle erarbeitet, in denen es unterschiedliche Rollen für Akteure gibt, bestimmte Interaktionsmuster, die nicht auf die Besonderheiten eines Bereichs eingehen, sondern nur auf die Art und Weise, wie Spezialisten miteinander interagieren sollten, damit sie gemeinsam eine Lösung finden können unter Befolgung allgemeiner Richtlinien.
9) Da wir seid Hilbert, Goedel und Turing wissen, dass es selbst im Bereich der rein formalen Systeme keine völlig abschließbaren Systeme gibt — geschweige denn im Bereich des Biologischen oder des Gesamtphysikalischen –, ist der Bezug auf eine einzelwissenschaftliche Domäne sowieso ein Kompromiss mit der Wirklichkeit, der nur durch gleichzeitige Bejahung des je größeren Ganzen akzeptiert werden kann.

INTERDISZIPLINARITÄT IST KEIN AUTOMATISMUS

10) Die Alltagserfahrung zeigt, dass die Fähigkeit zum interdisziplinären Arbeiten sich NICHT automatisch ergibt. Interdisziplinär zu arbeiten erfordert neben den fachlichen Kenntnissen ein hohes Maß an Selbstreflexion, Empathie und psychologische Balance und muss genauso mühsam gelernt werden wie alle anderen Fähigkeiten auch. Und wie generell das Vorkommen jeder Fähigkeit in einer Gesellschaft einer Normalverteilung (‚Glockenkurve‘) unterliegt, so gibt es auch nur wenige Menschen, die genügend Fähigkeiten besitzen, solche komplexen interdisziplinären Aufgaben wahrnehmen zu können.
11) Es deutet sich an, dass die Zunahme an Spezialisierung nur dann nicht in eine moderne Form von gesellschaftlicher Agonie führt, wenn parallel dazu die Fähigkeit interdisziplinär zu arbeiten verbunden mit der Entwicklung geeigneter interdisziplinärer Methoden im notwendigen Umfang mit entwickelt und ausgebaut wird. Ich habe selbst schon erlebt wie mit summa cum laude Promovierte im Rahmen von Teams und Aufgaben weitgehend versagt haben. Sie waren nicht in der Lage, ihre eigene Position als Teil eines Netzwerkes von Positionen zu erkennen, zu reflektieren und konstruktiv einzubringen; das Ergebnis war Paralyse, Stillstand, emotionaler Stress, Mobbing, Scheitern.

NOCH MEHR KOMPLEXITÄT

12) Die Entwicklung von mehr und leistungsfähigeren interdisziplinären Vorgehensmodellen verbessert einerseits die Problemlösungskapazität einer Gesellschaft, zugleich erhöht sich aber auch unweigerlich die Komplexität. Es stellt sich die Frage, wie weit kommen wir als Menschen mit unseren aktuellen Wissensstrukturen? Vermutung: wenn wir unsere menschlichen Wissensstrukturen (Gehirn, Körper) nicht substantiell ändern können (Genetisch, durch Prothesen, …) dann gibt es sehr bald eine endliche obere Schranke von Prozessen, die wir noch einigermaßen fehlerfrei managen können. Jenseits dieser realen endlichen Grenze erzeugen wir mehr Fehler als Lösungen. Gemessen an der universellen Aufgabe, das ‚Leben‘ auf der Erde über den absehbaren Wärmetod durch die Aufblähung der Sonne hinaus zu bewahren dürfte die aktuelle Leistungsfähigkeit möglicherweise zu gering sein.
13) Kulturtechnisch gibt es ja seit den 40iger Jahren des 20.Jahrhunderts programmierbare (und prinzipiell selbst lernende) Maschinen, die rechnen können (Computer). Angeregt durch die potentiellen Möglichkeiten von Computer bildete sich eine Arbeitshypothese heraus, dass die Computer irgendwann die Menschen ersetzen können und werden (Singularity Hpothese, Transhumanismus)(Dazu gab es auch einen früheren Blogeintrag) . Dies ist eine interessante Arbeitshypothese, doch sind viele wichtige Begriffe in diesen Überlegungen noch nicht hinreichend geklärt.

COMPUTER, TRANSHUMANISMUS

14) Ich persönlich sehe das ‚biologische Leben‘, den ‚Geist in allem‘ sowie die ‚Computer‘ als Produkte des Biologischen Lebens weniger gegenläufig sondern als drei verschiedene Momente einer einzigen Wirklichkeit, die sich emergent entfaltet. So großartig die Leistungen der biologischen Wissenschaften einschließlich Molekularbiologie, Genetik, Biochemie usw. im einzelnen bislang waren, so wenig ist es ihnen bislang gelungen, die Gesamtzusammenhänge als Eigenschaften eines quantenphysikalischen Raumes sichtbar zu machen, der wiederum über sich selbst hinaus weist. Die Summe ist immer mehr als ihre Teile; aber dazu braucht man eine geeignete Sprache, die man mühsam ‚erfinden‘ muss; von alleine ist sie nicht da. Und das schiere ‚einfach nicht darüber Nachdenken‘ — als eine Form von Denkverweigerung — ist kein fruchtbarer Boden für neue Erkenntnisse.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER