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MOTIVATION. Außen und Innen

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 20.Sept. 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Im vorausgehenden Beitrag zu Problemen und ihren Lösungen wurden im ersten Schritt drei Faktoren herausgearbeitet, die dabei unbedingt notwendig sind: ein hinreichendes Wissen (Erfahrung), die Fähigkeit, mit allen Beteiligten hinreichend zu kommunizieren, und eine hinreichende Motivation, es überhaupt zu versuchen.

Alle drei Faktoren erscheinen wichtig, wobei der Faktor Motivation möglicherweise der grundlegendere ist, da man Wissen über Lernen nur erwerben kann, wenn man hinreichend motiviert ist, desgleichen mit der Kommunikation: ohne hinreichende Motivation wird man nicht kommunizieren.

Was aber genau ist dieser Faktor ‚Motivation‘?

AUSSEN UND INNEN

Die natürlichste Herangehensweise an das Phänomen Motivation ist die über das beobachtbare Verhalten. Wenn ein Mensch nichts tut, in sich verharrt, dann ist es für einen Außenstehenden nahezu unmöglich, zu erfassen, was einen anderen Menschen antreibt, wobei Schlafen, einfaches Verharre, Warten, bekannte Formen des Nichttuns sind, die gewöhnlich eine akzeptierte Form der Interpretation finden.

Gibt es ein beobachtbares Verhalten mit identifizierbaren Eigenschaften, dann können sich Fragen anschließen, was denn wohl im Inneren des Handelnden an Zuständen, Prozessen vorliegen, die zu diesem Verhalten geführt haben oder führen. Von außen ist eine Beantwortung dieser Frage nach den begleitenden inneren Zuständen wenn überhaupt nur begrenzt und grundsätzlich nur hypothetisch möglich.

Der Handelnde selbst kann über seine innere Wahrnehmung — oft Bewusstsein genannt — vielfältigste Unterschiede anhand von internen Wahrnehmungseigenschaften unterscheiden, diese aber zu deuten, ist kein Selbstläufer. Und auch diese internen Wahrnehmungen sind möglicherweise die Wirkungen von Prozessen, die dahinter liegen, die als solche nicht direkt wahrnehmbar sind. Es ist, wie wir heute wissen können, das Gehirn, das in einem Körper sitzt, das zumindest für einen Teil dieser subjektiv wahrnehmbaren Unterschiede diese hervorbringt. Die Gesamtheit der Faktoren und Prozesse, die hier im Spiel sind, ist bis heute nicht vollständig geklärt, und auch die bislang bekannten Interpretationen in Form von sprachlich vermittelten Erklärungsmodellen (eine Form von Wissen) sind vielfach unklar oder gar widersprüchlich.

Trotz dieses tentativen Charakters unseres Wissens über innere Zustände besteht der Eindruck, dass eine Kombination aus äußerlich beobachtbaren Verhaltenseigenschaften und wahrnehmbaren internen Unterschieden ein bestimmtes Verhalten besser charakterisiert als wenn man es ohne Berücksichtigung der inneren Zustände beschreiben würde.

MOTIVATION IM VERHALTEN – Die Umgebung

Über das Verhalten des Menschen können wir natürlich nur sprechen unter Voraussetzung einer jeweiligen Situation, einer Umgebung, in der der Mensch vorkommt.Und hier spielt weiter die Zeit eine Rolle: zu verschiedenen Zeiten waren die Umgebungen verschieden, und neben der augenblicklichen Gegenwart haben wir sehr viel Vergangenheit.

Unser Wissen um die Vergangenheit ist gebunden an aufzeigbare Zeugnisse, sogenannte Artefakte, deren Vorkommen irgendwelche Hinweise auf Menschen und deren Verhalten in der Vergangenheit zulassen.

Der moderne Archäologie in Zusammenarbeit mit vielen anderen Wissenschaften, insbesondere neuerdings zusammen mit der Mikrobiologie, speziell der Genetik in Form der Archäogenetik, ist es in mühevoller Detailarbeit gelungen, die Herkunft von uns heutigen Menschen zurück zu verfolgen bis zu dem Punkt, wo sich die menschenähnliche Lebensform vor frühestens 7 Mio Jahren von der Linie abspaltete, aus der die Schimpansen hervorgingen. Über verschiedene Zwischenformen zeigte sich dann der erste Ur-Mensch — genannt homo erectus — vor ca. 1.9 Mio Jahren. Er verbreitete sich in wenigen hundert Tausend Jahren in ganz Afrika und Eurasien. Während sich aus dem homo erectus in Asien der Peking Mensch entwickelte (und der später ausstarb), spaltete sich in Afrika vor ca. 600.000 Jahren jene Linien ab, die zum modernen Menschen (homo sapiens), zum Neandertaler und — etwas später — als Abspaltung vom Neandertaler, zum Denisovaner führten. Neandertaler und Denisovaner starben beide aus, hinterließen aber genetische Spuren in allen modernen Menschen (ca. 2-7%, je nach Region).(vgl. Krause und Trappe (2019), Die Reise der Gene, S.43f, Kindle Pos.557ff)

Die Auswanderung des modernen Menschen aus Afrika begann etwa vor 60.000 Jahren und nahm ihren Weg nach Europa (etwa vor 40.000 Jahren), vorher aber schon nach Indien (etwa vor 50.000 Jahren), nach Sibirien und Australien vor etwa 45.000 Jahren, nach Alaska vor etwa 20.000 Jahren, Nordamerika vor etwa 15.000 Jahren, und Südamerika vor etwa 14.000 Jahren.(vgl. Krause und Trapp (2019)).

Überall stießen die Menschen zu dieser Zeit auf menschenleere Räume.

Lange Zeit gab es als Überlebensform nur die Jäger und Sammler. Ab ca. 12.000 gab es zunehmend feste Ansiedlungen, die nach und nach in die Ackerbau und Viehzucht Lebensform überging, die ihre erste starke Ausprägung im sogenannten fruchtbaren Halbmond fand (etwa heutiger Süd-Osten der Türkei und nordwestlicher Iran). Vor ca. 5200 Jahren bildete sich im Gebiet der heutigen Ukraine (östliche), des heutigen Russlands (süd-westlich) und Kasachstans (westlich) eine pastorale Lebensform heraus: Nomaden mit riesigen Viehherden in flachen Steppen. Sie waren Nachkommen jener Menschengruppen, von denen Gruppen Nord- und Südamerika erwandert hatten. Nach 5200 überfluteten diese pastoralen Gruppen Mitteleuropa bis hin nach England. Es entstand damit der typische europäische Genpool, der alle Europäer auszeichnet: Steppengene, Ackerbaugene, Jäger- und Sammler Gene sowie Reste vom Neandertaler und Denisovaner. Nur der prozentuale Anteil der verschiedenen Gene variiert.(vgl. Krause und Trapp (2019), viele verschiedene Stellen)

Die Verschiebung vom freien Jäger- und Sammlerdasein zum Nomadentum und dann zu Viehzucht und Ackerbau mit beginnenden Städten machte das Leben immer abhängiger von konkreten Ressourcen: fruchtbares Land und Wasser, Saatgut und Tier mit Weideflächen, Gebäude, Geräte, und Handel. Analog die Fischerei am Wasser, am Meer, der einsetzende Bergbau zur Gewinnung von Rohstoffen oder edlen Metallen. Diese konkreten Ressourcen forderten einen Rund-um-die-Uhr Einsatz, schufen den Begriff von Eigentum und Besitz, von Einkommen. Menschsein war plötzlich nur noch möglich durch Verfügbarkeit über solche Ressourcen. Erbschaft gewann an Bedeutung, die Geltung von Recht. Über Handwerk, Handel, Finanzwesen bauten sich neue, sekundäre Strukturen auf, die alle auf spezifische Weise die Teilhabe an lebenswichtigen Ressourcen definierten. Wer Mensch sein wollte musste in diesem Spektrum von Tätigkeiten Leistungen erbringen, harte Leistung durch harte Arbeit. Wer das nicht konnte war arm dran, wenn es keinen Rückhalt gab durch ein soziales Netzwerk.

Die Weiterentwicklung zu Technologien, Industrien, globalen Handels- und Finanzmärkten, und heute gar zu smarten Maschinen, lässt diese alten Fähigkeiten und gesellschaftlichen Rollen langsam verblassen. Die Rolle des einzelnen verliert an Kontur. Irgendwie ist jetzt jeder Teil von irgendetwas Größerem; schwer verstehbar, unübersichtlich, zunehmend noch mehr ersetzbar durch intelligente Maschinen; das Gefühl überflüssig zu werden macht sich breit, etwas von Ohnmacht. Zugleich beginnt die moderne Genetik mit den biologischen Bauplänen zu experimentieren. Die biologische Struktur von Pflanzen, Tieren und auch des Menschen geraten in den Fokus von Gestaltungsplänen: irgendwie noch ‚besser‘, ‚effektiver‘.

MOTIVATION IM VERHALTEN – Umgebung und Verhalten

Obwohl das nackte Überleben zu allen Zeiten die primäre Herausforderung bildete, gab es schon in der Jäger- und Sammlerzeit frühe Zeugnisse (ab ca. 41.000 Jahren) von geschnitzten Figuren, von einer Flöte aus Knochen, von vielfältiger Höhlenmalerei, und Grabbeigaben. Später kamen formen- und farbenreiche Keramiken dazu, Schmuck aller Art, Begräbnisstätten, die riesige Ausmaße annehmen konnten (Hügelgräber der Steppenvölker, Megalithgräber der nordischen Jäger und Sammler).

Dies Verhaltensweisen zeigen, dass diese frühen Menschen sich nicht nur auf das Überlebensnotwendige konzentriert hatten, sondern dass sie auch ein Bedürfnis verspürt haben müssen, ihren inneren Bildern und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, sie sichtbar, hörbar, anfassbar zu machen, innere Bilder, die sie in ihrem Alltag begleitet haben müssen.

Diese innere Fähigkeit zum Erfinden innerer Bilder in Interaktion mit der Umgebung wirkte sich dann real auch darin aus, dass sie Werkzeuge, Waffen, Pflüge mit Ochsen, Pferde zum Reiten, und vieles mehr ‚erfunden‘, ‚erdacht‘ haben,um ihren Alltag auch im Lebensnotwendigen zu verändern.

Wirken diese geschilderten Verhaltensweisen auf uns eher ‚positiv‘, lässt sich gegenläufig konstatieren, dass mit der Verdichtung der Bevölkerung einerseits und der Bindung des Lebens an konkrete, lokale, endliche Ressourcen (Weideflächen, Wasser, Wirtschaftsgebäude, Herden, …) andererseits die Existenz, das Überleben an die Verfügbarkeit und Unversehrtheit dieser Ressourcen gebunden erschien. Eine Bedrohung dieser Ressourcen wurde damit sehr direkt zu einer Bedrohung der eigenen Existenz. Und es verwundert dann nicht, dass mit dem Voranschreiten der Bindung an Ressourcen kriegerische Auseinandersetzung, Massengräber deutlich zunahmen. (vgl. Krause und Trapp (2019), S.101f)

Die späteren sozialen Ausdifferenzierungen in den wachsenden Gesellschaften verfeinerten die Abhängigkeiten der individuellen Existenz zwar (unterschiedliche gesellschaftliche Rollen mit unterschiedlichen Privilegien), aber das grundsätzliche Prinzip der Abhängigkeit der individuellen Existenz von konkreten Gegebenheit verfestigte sich weiter. Bis weit in die Neuzeit waren gesellschaftliche Strukturen ‚harte‘ Strukturen, an soziale Schichten, spezifische soziale Gruppen gebunden, in der herrschenden Moral und dem herrschenden Gesetz quasi ‚eingefroren‘, dazu weitgehend vererbbar.

Was immer also ein einzelner an inneren Empfindungen, an Bedürfnissen haben mochte, die fest verzurrten gesellschaftlichen Strukturen spiegelten sich auch in seinen inneren Bildern von der Welt wieder und bildeten so die ‚gesellschaftlich erlaubten Bereiche‘ ab, in denen sein Empfinden, sein Begehren, sein träumen stattfinden konnte, wollte er ohne gesellschaftliche Konflikte leben. Ein Bruch der geltenden Konventionen wurde meistens massiv geahndet.

Seit den demokratischen Revolutionen in Europa und Nordamerika sowie durch die industrielle Revolution und der zunehmenden Internationalisierung der Wirtschaft kam es zwar partiell zu Flexibilisierungen der Zugehörigkeit zu Rollen — weniger durch Geburt, eher durch Leistung, die wiederum stark durch Bildungsprozessen ermöglicht wurde –, aber die Verstetigung von Reichtum in den Händen weniger und die inoffizielle Besetzung der demokratischen Strukturen durch Machteliten (die die wichtigen Medien stark instrumentalisierten), setzte die neue Flexibilität in vielen wichtigen gesellschaftlichen Bereichen wieder außer Kraft. Reichtum und Macht scheinen stärkere Prinzipien zu sein als demokratische gesellschaftliche Formen. Die Zunahme an autoritären politischen Strukturen weltweit kann man als Indiz werten, dass die noch so junge Flexibilisierung durch Einbeziehung aller Bürger wieder in altbekannte Muster zurück fällt.

Die Verstetigung der gesellschaftlichen Strukturen sowie die starke Indoktrinierung vieler Medien kann sich im Inneren der einzelnen in der Weise niederschlagen, dass sie eine — von den autoritären Strukturen meist erwünschte — ‚konforme‘ Meinung ausbilden, ein ‚konformes Weltbild annehmen, das ihr Verhalten ‚von innen‘ steuert ohne zu großen Aufwand von außen. Das größte Experiment dieser Art findet zur Zeit wohl in China statt.

LITERATURHINWEIS

Johannes Krause mit Thomas Trappe (2019, 5.Aufl.), Die Reise unserer Gene. Eine Geschichte über uns und unsere Vorfahren. Propyläen Verlag

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