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GRAMMATIK FÜR EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG. Skizze

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 20.Februar 2023 – 20.Februar 2023, 15:38h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (cagent@cognitiveagent.org)

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Kontext

Der folgende Text ist ein Zusammenfluss von Ideen, die mich seit vielen Monaten umtreiben. Teile davon finden sich als Texte in allen drei Blogs (Bürgerwissenschaft 2.0 für Nachhaltige Entwicklung, Integrated Engineering and the Human Factor, Philosophie jetzt (= dieser Blog)). Die Wahl des Wortes ‚Grammatik‘ [1] für den folgenden Text ist eher ungewöhnlich, scheint mir aber den Charakter der Überlegungen gut wieder zu spiegeln.

Nachhaltigkeit für Populationen

Das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung wird hier betrachtet im Kontext von ‚biologischen Populationen‘. Solche Populationen sind dynamische Gebilde mit vielen ‚komplexen Eigenschaften‘. Für die Analyse der ‚Nachhaltigkeit‘ solcher Populationen gibt es einen Aspekt, der ‚fundamental‘ für ein angemessenes Verständnis erscheint. Es handelt sich um den Aspekt, ob und wie die Mitglieder einer Population — die Akteure — untereinander verbunden sind oder nicht.

Eine ‚unverbundene‘ Menge

Wenn ich ‚Akteure‘ einer ‚Population‘ habe, die in keinerlei direkter ‚Interaktion‘ miteinander stehen, dann ist auch das ‚Handeln‘ dieser Akteure voneinander isoliert. In einem weiten Gebiet kommen sie sich einander vermutlich ’nicht in die Quere‘; auf engstem Raum könnten sie sich leicht behindern oder gar wechselseitig bekämpfen, bis hin zur gegenseitigen Zerstörung.

Festzuhalten ist, dass auch solche unverbundene Akteure über ein minimales ‚Wissen‘ über sich und die Umgebung verfügen müssen, auch über minimale ‚Emotionen‘, um überhaupt leben zu können.

Ohne direkte Interaktion wird eine unverbundene Population als Population relativ schnell dennoch aussterben.

Eine ‚verbundene‘ Menge

Eine ‚verbundene Menge‘ liegt vor, wenn die Akteure einer Population über hinreichend viele direkte Interaktion verfügen, durch die sie ihr Wissen über sich und die Welt sowie ihre Emotionen soweit ‚abstimmen‘ könnten, dass sie zu einem ‚abgestimmten Handeln‘ fähig sind. Dadurch werden die einzelnen, individuellen Handlungen bezogen auf ihre mögliche Wirkung zu einer ‚gemeinsamen (= sozialen) Handlung‘ die mehr bewirken kann, als jeder einzeln es vermocht hätte.

Die beteiligten ‚Emotionen‘ müssen eher so sein, dass sie weniger ‚abgrenzen/ ausschließen‘, als vielmehr eher ‚einbeziehen/ anerkennen‘.

Das ‚Wissen‘ muss eher so sein, dass es nicht ’statisch‘ und nicht ‚unrealistisch‘ ist, sondern vielmehr ‚offen‘, ‚lernend‘ und ‚realistisch‘.

Das ‚Überleben‘ einer verbundenen Population ist grundsätzlich möglich, wenn die wichtigsten ‚Faktoren‘ eines Überlebens hinreichend erfüllt sind.

Übergänge von – zu

Der ‚Übergang‘ von einem ‚unverbundenen‘ zu einem ‚verbundenen‘ Zustand einer Population ist nicht zwangsläufig. Das primäre Motiv ist möglicherweise einfach der ‚Wille zum Überleben‘ (eine Emotion), und die wachsende ‚Einsicht‘ (= Wissen), dass dies nur bei ‚minimaler Kooperation‘ möglich ist. Ein einzelner kann allerdings Zeit seines Lebens im Zustand des ‚Einzelgängers‘ leben, weil er seinen individuellen Tod nicht als hinreichenden Grund erleben muss, sich mit anderen zu verbünden. Eine Population als solche kann aber nur überleben, wenn hinreichend viele einzelne überleben, die minimal miteinander interagieren. Die Geschichte des Lebens auf dem Planet Erde legt die Arbeitshypothese nahe, dass es in biologischen Populationen (einschließlich der menschlichen Population) seit 3.5 Milliarden Jahren immer hinreichend viele Mitglieder einer Population gegeben hat, die den ’selbst zerstörerischen Tendenzen‘ einzelner ein ‚aufbauende Tendenz‘ entgegen setzen konnten.

Das Entstehen und der Erhalt einer ‚verbundenen Population‘ benötigt zum Gelingen ein Minimum an ‚geeignetem Wissen‘ und ‚geeigneten Emotionen‘.

Es ist für alle biologischen Populationen eine bleibende Herausforderung, die eigenen Emotionen so zu gestalten, dass sie tendenziell eher nicht ausgrenzen, verachten, sondern tendenziell eher einbeziehen und anerkennen. Desgleichen muss das Wissen geeignet sein, ein realistisches Bild von sich, den anderen und der Umwelt zu erlangen, damit das jeweilige Verhalten ’sachlich angemessen‘ ist und tendenziell eher zum ‚Erfolg‘ führen kann.

Wie die Geschichte der menschlichen Population zeigt, wird sowohl die ‚Formung der Emotionen‘ wie die ‚Formung eines leistungsfähigen Wissens‘ in der Regel weitgehend unterschätzt und schlecht bis gar nicht organisiert. Es wird der notwendige ‚Aufwand‘ gescheut, man unterschätzt die notwendige ‚Dauer‘ solcher Prozesse. Innerhalb des Wissens gibt es zusätzlich das generelle Problem, dass die ‚kurzen Zeitspannen‘ innerhalb eines individuellen Lebens ein Hindernis sind, solche Prozesse dort zu erkennen und zu gestalten, wo größere Zeitspannen dies erfordern (das betrifft fast alle ‚wichtigen‘ Prozesse).

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass ‚verbundene Zustände‘ von Populationen jederzeit auch wieder in sich zusammen fallen können, wenn jene Verhaltensweisen, die sie ermöglichen, abgeschwächt werden oder ganz verschwinden. Zusammenhänge im Bereich biologischer Populationen sind weitgehend ’nicht determiniert‘! Sie beruhen auf komplexen Prozessen in und zwischen den einzelnen Akteuren. Ganze Gesellschaften können ‚über Nacht kippen‘, wenn ein Ereignis das ‚Vertrauen in den Zusammenhang‘ zerstört. Ohne Vertrauen ist keinerlei Zusammenhang möglich. Das Entstehen und das Vergehen von Vertrauen sollte zum Grundanliegen jeder Gesellschaft im Zustand des Verbundenseins gehören.

Politische Spielregeln

‚Politik‘ umfasst die Gesamtheit der Regelungen, die die Mitglieder einer menschlichen Population vereinbaren, um gemeinsam verbindliche Entscheidungsprozesse zu organisieren.[2] In einer groben Skala könnte man zwei Extremwerte platzieren: (i) Einerseits eine Population mit einem ‚demokratischen System‘ [3] und eine Population mit einem maximal un-demokratischen System.[4]

Wie schon generell für ‚verbundene Systeme‘ angemerkt: das Gelingen von demokratischen Systeme ist in keiner Weise determiniert. Ermöglichung und Erhalt erfordern den totalen Einsatz aller Beteiligten ‚aus eigener Überzeugung‘.

Grundrealität ‚Körperlichkeit‘

Biologische Populationen sind grundlegend geprägt von einer ‚Körperlichkeit‘, die durch und durch von ‚Gesetzmäßigkeiten‘ der bekannten materiellen Strukturen bestimmt sind. In ihren ‚komplexen Ausgestaltungen‘ manifestieren biologische Systeme zwar auch ‚komplexe Eigenschaften‘, die sich nicht einfach aus ihren ‚Einzelteilen‘ ableiten lassen, aber die jeweiligen identifizierbaren ‚materiellen Bestandteile‘ ihres ‚Körpers‘ samt vieler ‚funktionalen Zusammenhänge‘ unterliegen grundlegend einer Vielzahl von ‚Gesetzen‘ die ‚vorgegeben‘ sind. Diese ‚abzuändern‘ ist — wenn überhaupt — nur unter bestimmten begrenzten Bedingungen möglich.

Alle biologischen Akteure bestehen aus ‚biologischen Zellen‘, die für alle gleich sind. Hierin sind die menschlichen Akteure Teil der Gesamtentwicklung des (biologischen) Lebens auf dem Planet Erde. Die Gesamtheit des (biologischen) Lebens nennt man auch ‚Biom‘ und den gesamten Lebensraum eines Bioms auch ‚Biosphäre‘. [5] Die Population des homo sapiens ist nur ein verschwindend kleiner Teil des Bioms, beansprucht aber mit der homo-sapiens typischen Lebensweise immer größere Teile der Biosphäre für sich zu Lasten aller anderen Lebensformen.

Das (biologische) Leben findet seit ca. 3.5 Milliarden Jahren auf dem Planet Erde statt.[6] Die Erde, als Teil des Sonnensystems [7], hatte eine sehr bewegte Geschichte und zeigt bis heute eine starke Dynamik, die sich unmittelbar auf die Lebensbedingungen des biologischen Lebens auswirkten kann und auswirkt (Kontinentalplatten-Verschiebung, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Magnetfeld-Verschiebung, Meeresströmungen, Klima, …).

Biologische Systeme benötigen generell eine kontinuierliche Aufnahme von materiellen Stoffen (mit Energiepotentialen), um ihre eigenen Stoffwechselprozesse zu ermöglichen. Sie scheiden auch Stoffe aus. Menschliche Populationen brauchen bestimmte Mengen an ‚Nahrungsmitteln‘, ‚Wasser‘, ‚Behausungen‘, ‚Lagerstätten‘, ‚Transportmittel‘, ‚Energie‘, … ‚Rohstoffe‘, … ‚Produktionsprozesse‘, ‚Austauschprozesse‘ … Mit dem Anwachsen der schieren Größe einer Population multiplizieren sich die materiellen Bedarfsmengen (und auch Abfälle) in Größenordnungen, die das Funktionieren der Biosphäre zerstören können.

Prognosefähiges Wissen

Wenn eine zusammenhängende Population mögliche zukünftige Zustände nicht dem puren Zufall überlassen will, dann braucht sie ein ‚Wissen‘, das geeignet ist, aus dem Wissen über die Gegenwart und über die Vergangenheit ‚Voraussagen‘ (‚Prognosen‘) für eine mögliche Zukunft (oder sogar vielen ‚Varianten von Zukunft‘) zu konstruieren.

In der bisherigen Geschichte des homo sapiens gibt es nur eine Wissensform, mit der nachweisbar demonstriert werden konnte, dass sie für belastbare nachhaltige Prognosen geeignet ist: die Wissensform der empirischen Wissenschaften. [8] Diese Wissensform ist bislang nicht perfekt, aber eine bessere Alternative ist nicht bekannt. Im Kern umfasst ‚empirisches Wissen‘ die folgenden Elemente: (i) Die Beschreibung einer Ausgangslage, die als ‚empirisch zutreffend‘ angenommen wird; (ii) Eine Menge von ‚Beschreibungen von Veränderungsprozessen‘, die man im Laufe der Zeit formulieren konnte, und von denen man weiß, dass es ‚hoch wahrscheinlich‘ ist, dass die beschriebenen Veränderungen unter bekannten Bedingungen immer wieder stattfinden; (iii) ein ‚Folgerungskonzept‘, das beschreibt, wie man auf die Beschreibung einer ‚gegebene aktuelle Situation‘ die bekannten Beschreibungen von Veränderungsprozessen so anwenden kann, dass man die Beschreibung der aktuellen Situation so abändern kann, dass eine ‚veränderte Beschreibung‘ entsteht, die eine neue Situation beschreibt, die als ‚hoch wahrscheinliche Fortsetzung‘ der aktuellen Situation in der Zukunft gelten kann.[9]

Die eben skizzierte ‚Grundidee‘ einer empirischen Theorie mit Prognosefähigkeit kann man konkret auf vielerlei Weise realisieren. Dies zu untersuchen und zu beschreiben ist Aufgabe der ‚Wissenschaftstheorie‘ bzw. ‚Wissenschaftsphilosophie‘. Allerdings, die Vagheiten, die sich im Umgang mit dem Begriff einer ‚empirischen Theorie‘ finden, finden sich auch im Verständnis dessen, was denn mit ‚Wissenschaftstheorie‘ gemeint sein soll.[10]

In dem vorliegenden Text wird die Auffassung vertreten, dass der ‚Grundbegriff‘ einer empirischen Theorie sich im normalen Alltagshandeln unter Benutzung der Alltagssprache vollständig realisieren lässt. Dieses Konzept einer ‚Allgemeinen Empirischen Theorie‘ kann man nach Bedarf durch beliebige spezielle Sprachen, Methoden und Teiltheorien erweitern. Damit ließe sich das bislang ungelöste Problem der vielen verschiedenen empirischen Einzeldisziplinen nahezu von selbst lösen.[11]

Nachhaltiges Wissen

Im Normalfall kann eine empirische Theorie im günstigsten Fall Prognosen generieren, denen eine gewisse empirisch begründete Wahrscheinlichkeit zugesprochen werden kann. In ‚komplexen Situationen‘ kann solch eine Prognose viele ‚Varianten‘ umfassen: A, B, …, Z. Welche dieser Varianten nun im Lichte eines ‚anzunehmenden Kriteriums‘ ‚besser‘ oder schlechter‘ ist, kann eine empirische Theorie selbst nicht bestimmen. Hier sind die ‚Produzenten‘ und die ‚Benutzer‘ der Theorie gefragt: Verfügen diese über irgendwelche ‚Präferenzen warum z.B. die Variante ‚B‘ der Variante ‚C‘ vorzuziehen sei‘?: „Fahrrad, U-Bahn, Auto oder Flugzeug?“ , „Gentechnik oder nicht?“, „Pestizide oder nicht?“, „Atomenergie oder nicht?“, „Unkontrollierter Fischfang oder nicht?“ …

Die zur Anwendung kommenden ‚Bewertungskriterien‘ verlangen selbst eigentlich einerseits nach ‚explizitem Wissen‘ zur Abschätzung eines möglichen ‚Nutzens‘, andererseits ist der Begriff des ‚Nutzens‘ verankert im Fühlen und Wollen von menschlichen Akteuren: Warum genau will ich etwas? Warum ‚fühlt sich etwas gut an‘? …

Die aktuellen Diskussionen weltweit zeigen, dass das Arsenal der ‚Bewertungskriterien‘ und ihre Umsetzung alles andere als ein klares Bild bieten.

ANMERKUNGEN

[1] Für die typische Verwendung des Begriffs ‚Grammatik‘ siehe die Deutsche Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Grammatik. In dem Text hier im Blog übertrage ich dieses Konzept von der ‚Sprache‘ auf jenen ‚komplexen Prozess‘, in dem die Population der Lebensform ‚homo sapiens‘ versucht, auf dem Planet Erde einen ‚Gesamtzustand‘ zu erreichen, der für möglichst viel ‚Leben‘ (mit den Menschen als Teilpopulation) eine ‚maximal gute Zukunft‘ ermöglicht. Eine ‚Grammatik der Nachhaltigkeit‘ setzt eine bestimmte Menge von Grundgegebenheiten, Faktoren voraus, die in einem dynamischen Prozess miteinander ‚wechselwirken‘, um in einer ‚Folge von Zuständen‘ möglichst viele Zustände realisiert, die für möglichst viele ein möglichst gutes Leben ermöglichen.

[2] Für die typische Verwendungsweise des Begriffs Politik siehe die Deutsche Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Politik. Diese Bedeutung wird in dem vorliegenden Text hier auch vorausgesetzt.

[3] Ein sehr aufschlussreiches Projekt zur empirischen Forschung zum Zustand und zur Entwicklung von ‚empirischen Systemen’Demokratien‘ auf dem Planet Erde ist das V-dem Institut: https://www.v-dem.net/

[4] Natürlich könnte man auch ganz andere Grundbegriffe für eine Skala wählen. Mit erscheint aber das Konzept eines ‚demokratischen Systems‘ (bei allen Schwächen) im Lichte der Anforderungen für eine nachhaltige Entwicklung als das ‚geeignetste‘ System zu sein; zugleich stellt es aber von allen System die höchsten Anforderungen an alle Beteiligten. Dass es überhaupt zur Ausbildung von ‚Demokratie ähnlichen‘ Systemen im Laufe der Geschichte kam, grenzt eigentlich fast an ein Wunder. Die weitere Entwicklung solcher Demokratie ähnlicher Systeme schwankt beständig zwischen Erhalt und Zerfall. Positiv könnte man sagen, dass das beständige Ringen um den Erhalt eine Art ‚Training‘ ist, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

[5] Für die typischen Verwendungsweisen der Begriffe ‚Biom‘ und ‚Biosphäre‘ siehe die entsprechenden Einträge in der Deutschen Wikipedia: Biom (https://de.wikipedia.org/wiki/Biom) und Biosphäre (https://de.wikipedia.org/wiki/Biosph%C3%A4re).

[6] Einige Grunddaten zur Erde: https://de.wikipedia.org/wiki/Erde

[7] Einige Grunddaten zum Sonnensystem: https://de.wikipedia.org/wiki/Sonnensystem

[8] Der Begriff der ‚empirischen Wissenschaft‘ wird in der Deutschen Wikipedia sehr unterbestimmt dargestellt: https://de.wikipedia.org/wiki/Empirie#Empirische_Wissenschaften. Die englische Wikipedia ist hier auch nicht besser: https://en.wikipedia.org/wiki/Science. Der Begriff ‚empirische Wissenschaft‘ kommt erst gar nicht vor, nur der vage Begriffe ‚Science‘ (‚Wissenschaft‘).

[9] Wenn man eine Uhr mit Stunden- und Minutenzeiger besitzt, die aktuell 11:04h anzeigt, und man aus alltäglicher Erfahrung weiß, dass der Minutenzeiger jede Minute um einen Strich vorrückt, dann kann man mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit folgern, dass der Minutenzeiger ’sehr bald‘ um einen Strich weiter wandert. Die Ausgangsbeschreibung ‚Die Uhr zeigt 11.04h an‘ würde dann zu der der neuen Beschreibung ‚Die Uhr zeigt 11:05h an‘ verändert werden können. Vor dem ’11:05h Ereignis‘ hätte die Aussage ‚Die Uhr zeigt 11:05h an‘ den Status einer ‚Prognose‘.

[10] In dem Übersichtsartikel in der Deutschen Wikipedia zum Begriff ‚Wissenschaftstheorie‘ (https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftstheorie) findet man eine große Zahl von Varianten zum Begriff, aber wichtige Teilgebiete, erste Recht nicht die Grundstruktur empirischer Theorien, findet man in diesem Artikel nicht. Etwas klarer erscheint hier die Englische Wikipedia, wenngleich auch sie neben dem großen Panorama keine alles zusammenfassende Arbeitshypothese für das bietet, was denn ‚empirische Wissenschaft‘ ist: https://en.wikipedia.org/wiki/Philosophy_of_science

[11] ‚Aus sich heraus‘ kann eine Einzeldisziplin (Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, …) nicht ‚das Ganze‘ begrifflich fassen; muss sie ja auch nicht. Die verschiedenen Versuche, irgendeine Einzeldisziplin auf eine andere (besonders beliebt ist hier die Physik) zu ‚reduzieren‘, sind bislang alle gescheitert. Ohne eine geeignete ‚Meta-Theorie‘ kann keine Einzeldisziplin sich aus ihrer Spezialisierung befreien. Das Konzept einer ‚Allgemeinen Empirischen Theorie‘ versteht sich als solch eine Meta-Theorie. Eine solche Meta-Theorie passt in das Konzept eines modernen philosophischen Denkens.

DER AUTOR

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KLIMA-ANTHROPOZÄN-ARTENVIELFALT-ANTHROMS-Was ist mit uns?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 9.Januar 2022, 12:00h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

VORBEMERKUNG

Dieser Text versteht sich als ein ‚Trigger‘, der auf ein Thema verweist, das von Interesse zu sein scheint, ohne dass die vielen Aspekte des Themas hier voll ausgeleuchtet werden (können).

KONTEXT

Im Jahr 2022 hat das Thema ‚Klimaänderung‘ mit den Aspekten ‚Verursachung durch den Menschen‘ und ‚Folgen für den Menschen‘ eine hohe Aufmerksamkeit. Vielfache Phänomene lassen sich als Hinweise für die Realität einer Klimaänderung interpretieren, die vom Menschen mindestens mit verursacht sein sollen [1]. Dennoch bleibt das Thema kontrovers, da es — wie bei jedem komplexen Phänomen — trotz allem offene Fragen geben kann, auch weitere Wirkfaktoren, die man berücksichtigen könnte/ sollte.

Im folgenden Text sollen diese Fragen nicht ‚geschlichtet werden. Es geht vielmehr darum, einige wichtige Aspekte zu thematisieren, die bei der Fokussierung auf den Aspekt ‚Klima‘ alleine leicht übersehen werden können bzw. tatsächlich — in der Öffentlichkeit — aus dem Blick geraten.

KLIMA IM KONTEXT

Blickt man auf die vielen Botschaften von Naturereignissen rund um den Globus mit den heftigen Auswirkungen auf Menschen in ganzen Regionen, dann erscheinen diese Phänomene als Boten eines Klimawandels bedrohlich. Und mit den Hinweisen auf den Menschen als Verursacher von z.B. Treibhausgasen und von massiven Veränderung der Erdoberfläche und der Meere gerät der Mensch selbst immer mehr in den Fokus der Betrachtung.

ANTHROPOZÄN

Seit Jahrzehnten wird diskutiert, ob der immense Einfluss des Menschen auf den Planeten Erde — mit einer deutlichen Beschleunigung seit den 1950er Jahren — mittlerweile nicht so groß ist, dass man diese aktuelle Phase mit einer neuen Erdepochenbezeichnung entsprechend kenntlich machen sollte: Anthropozän. [2],[2b], [3] Noch ist es nicht offiziell.

Erst kürzlich haben sich Forscher zu Wort gemeldet [2c], die diese Art von Benennung irreführend finden. Mit Verweis auf das große erdgeschichtliche ‚Sauerstoffereignis‘ [2a] schlagen sie vor, nicht von einer geologischen ‚Epoche‘ zu sprechen, sondern von einem globalen ‚Ereignis‘, das die Situation auf der Erde für alle Beteiligten verändert.

Die Diskussion ist kontrovers, aber aus Sicht des Autors dieser Zeilen wird die ‚Ereignissicht‘ eher der Prozesshaftigkeit gerecht, um das Wechselspiel zwischen menschlicher Population (als Teil der Biosphäre) und ‚allem anderen‘ zu beschreiben.

ARTENVIELFALT (BIODIVERSITÄT)

Im Kontext der Diskussion um die Wechselwirkung des Menschen mit ‚allem anderen‘ wird nicht nur das aktuell sehr prominente Thema der ‚Klimaänderung aufgrund der Einwirkungen des Menschen‘ diskutiert, sondern auch z.B. das Phänomen der negativen Auswirkungen des Menschen auf die vielen anderen Lebensformen: einmal ‚verdrängt‘ der Mensch viele Arten bis hin zu ihrer völligen Auslöschung; zum anderen führen die bislang erfassten Änderungen des Klimas indirekt ebenfalls zu einem massiven Artensterben.[5], [5b]

ANTHROMES (ANTHROPOGENE BIOME)

Eine Lebensform als solche kann aber nicht ‚einfach so‘ existieren; ihre Existenz verlangt immer nach einer eigenen ‚Umgebung‘, ohne die der notwendige lebenserhaltende Prozess nicht stattfinden kann. Diese Einheit von Lebensraum und spezifischer Lebensform wird allgemein ‚Biom‘ genannt. [6c]

Ein Teilaspekt der Umgebung eines Bioms ist das ‚Land‘, das eine Lebensform benötigt. Da die Lebensform des Homo sapiens mittlerweile mehr als 3/4 der verfügbaren Landflächen für sich vereinnahmt hat [6], [6a], gibt es Vorschläge, das dem Menschen zugeordnete Biom als ‚anthropogenes Biom‘ zu bezeichnen, um seine Sonderrolle zu thematisieren. Abkürzend heißt es u.a. auch ‚Anthrom‘.

Die Grundlegung für das Konzept eines Bioms kann man bei Jakob J. von Uexküll verorten, der mit seinen Untersuchungen 1909 deutlich machte, wie spezifische eine bestimmte Lebensform auf eine bestimmte Umgebung zugeschnitten ist (wobei die jeweils anderen Lebensformen in der Umgebung jeweils auch zur Umgebung gehören). [6d], [6e]

WELT UND ‚WELTBILD‘

Im Ringen um das richtige Verständnis unserer aktuellen Situation im globalen Kontext wird deutlich, dass das Verhältnis von der ‚real existierenden Welt‘ und den verschiedenen ‚Ansichten‘ zu dieser Welt sehr vielfältig bis widersprüchlich ist. Dies ist kein Zufall. Die Art und Weise, wie wir die Welt ‚beschreiben‘ ist nicht fest vorgegeben. Jede Generation muss für sich neu klären, mit welchen Konzepten, mit welcher Sprache, mit welchen Beobachtungsmethoden will man alle jene Aspekte der realen Welt ‚gedanklich so aufbereiten‘, dass sie ‚gemeinschaftlich verstehbar‘ und ‚überprüfbar‘ werden. Im Bereich der ‚Ökologie‘, der allgemeinen Erforschung unserer Umwelt unter Berücksichtigung der Biosphäre samt den vielfältigen Prozessen, die hier involviert sind, hat sich ein Vorgehen etabliert, das als ‚theoretische Ökologie‘ [7] bezeichnet wird. Hier werden die wichtigsten Konzepte, die wichtigsten theoretischen Modelle zusammengetragen, angewendet, und überprüft. Dies fördert die begriffliche Klarheit, fördert Synergieeffekte, fördert unterschiedliche Integrationen der verschiedenen Teilaspekte.

Eine fortschreitende Theoretisierung‘ besitzt aber neue Gefahren, die darin bestehen, dass ein theoretisches Modell als solches zwar faszinieren kann, dass aber sein ‚Wirklichkeitsbezug‘ immer wieder neu, z.T. sehr aufwendig, hergestellt werden muss. Ein beeindruckendes Beispiel für Theoriebildung ist hier Stephen P.Hubbell [7a] mit seiner Theorie [7b], die aber zugleich wegen ihres Bezugs zur Realität umstritten ist. Auch Volker Mosbrugger zeigt sich in seinem Beitrag sehr ‚theoriefreudig‘, ist sich aber der Problematik der oft noch unzulänglichen Abstützung durch unvollständige Daten sehr bewusst. [5] Andere Akzente setzen Robert Ulanowicz [7c] oder Stuart Kauffman [7d].

WAS IST MIT UNS?

Mit diesem versuchten Blick auf das ‚Ganze‘ (wer den Blog ‚Philosophie Jetzt‘ kennt, der weiß, dass dies natürlich nicht wirklich das ‚Ganze‘ ist), stellt sich die einfache — und zugleich schwere — Frage, was dies dann für jeden einzelnen, für seine Region, sein Land, für den ganzen Planeten bedeutet?

Was immer als bewusstes Handeln geschehen soll, es wird nur dann als ‚gemeinsames Werk‘ gelingen, wenn alle Handelnden zu einer einigermaßen einheitlichen ‚Sicht der Dinge‘ gelangen würden, und dass diese Handelnden über ‚genügend politische Macht‘ und ‚genügend materielle Ressourcen‘ verfügen müssen, um die Einsichten auch umsetzen zu können.

Entgegen dem Mainstream-Märchen, dass Künstliche Intelligenz bei genügender Versorgung mit ‚Daten‘ schon alles richten werde — die Menschen kommen in diesem Märchen praktischerweise erst gar nicht vor –, muss man festhalten, dass die Erarbeitung einer angemessenen theoretischen Sicht auf eine komplexe Realität das menschliche Erkennen an seine Grenzen führt. Dies ist kein ‚Selbstläufer‘ sondern erfordert extreme Anstrengungen. Und damit diese Bemühungen nicht nur in den Gehirnen einzelner Spezialisten stattfinden, brauchen sie eine umfassende gesellschaftliche Kommunikation auf hohem Niveau, was ohne ein entsprechend lebendiges Bildungssystem ein Wunschdenken bleibt. Die ausreichende Bereitstellung der notwendigen Ressourcen ist damit noch nicht geklärt, auch nicht die zentrale Frage der Macht. Laut dem schwedischen V-dem Institut [8] gab es weltweit 2010 noch 32 liberale Demokratien von 208 Staaten, 2020 nur noch 16! Auch wenn man über die Details dieser Klassifikationen streiten kann, der globale Trend ist eindeutig. In nicht-liberalen Demokratien, erst Recht in totalitären Regimen, können wir ständig zerstörerische Prozesse beobachten, wo sich die Bevölkerung gegen totalitäre Machthaber erheben und diese mit brutalster Gewalt zurückschlagen, d.h. ihre eigene Bevölkerung wie Kriminelle behandeln, und sie im übrigen regelrecht ausbeuten. Moderne Technologien ermöglichen totalitären Regimen — und nicht nur diesen — eine immer umfassendere Überwachung ihrer Bürger.

Diese Phänomene sind nicht neu. In den letzten Jahrtausenden gab es viele vergleichbare Phänomene. Insbesondere kann man studieren, wie die Veränderung eines gesellschaftlich geteilten Weltbildes immer viele Generationen gebraucht hat, 100 bis 200 und mehr Jahre sind normal.

Unsere Gegenwart ist hier mit Sicherheit keine Ausnahme. Seit der großen UN Konferenz zur Nachhaltigkeit 1992 sind schon 30 Jahre vergangen und die aktuelle Verfasstheit der verschiedenen Länder ist weit davon entfernt, eine wirklich gemeinsame Reaktion zu zeigen. Auch mit einem klaren Ziel vor Augen sollten wir uns darauf einstellen, dass die Klimaänderung mit all ihren verheerenden Folgen mehr oder weniger stattfinden wird.

Festzuhalten ist: Nicht das Klima ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie die Lebensform des Homo sapiens mit der Welt, der Biosphäre und sich selbst umgeht, das ist das zentrale Problem. Wir Menschen haben mittlerweile enorme Technologien entwickelt (und es gibt natürlich noch viel mehr), aber wir selbst haben uns in entscheidenden Fähigkeiten scheinbar kaum weiter entwickelt. Obwohl das biologische Leben auf dem Planet Erde das größte Wunderwerk ist, was in dem bekannten Universum vorkommt, glauben wir naiv, primitive Maschinen (die wir selbst entwickelt haben) wären uns überlegen. Welch grandioser Irrtum.

ANMERKUNGEN

wkp := Wikipedia

[1] Climate change in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Climate_change

[1b] Regina Oehler, Petra Gehring, Volker Mosbrugger (Hrsg.), 2017, Reihe: Senckenberg-Buch 78, „Biologie und Ethik: Leben als Projekt. Ein Funkkolleg Lesebuch“, Stuttgart, E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller) und Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

[2] ‚Anthropocene‚ in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Anthropocene

[2a] Great oxidation event in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Great_Oxidation_Event

[2b] Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt (Hrsg.), 2015, „Die Welt im Anthropozän“, München, Oekom-Verlag

[2c] Bauer, Andrew M.; Edgeworth, Matthew; Edwards, Lucy E.; Ellis, Erle C.; Gibbard, Philip; Merritts, Dorothy J. (Korrespondenz 16. September 2021). „Anthropocene: event or epoch?“Nature597 (7876): 332

[3] Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt: „Das Anthropozän im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität“, in [1], SS.97-105 (entnommen aus [2])

[4] Drenckhahn, D. und Hacker, J. ,(Hrsg.), 2013, “ Rolle der Wissenschaft im Globalen Wandel“, Nova Acta Leopoldina NF Bd. 118

[5] Volker Mosbrugger: „Globaler Wandel der Biodiversität“, in [1], SS. 108-117 (aus [4])

[5b] E.O.Wilson, 2016, „Die Hälfte der Erde: So retten wir die Biosphäre“ , München, Verlag C.H.Beck

[5c] E.O.Wilson, 2017, „Die Hälfte der Erde: So retten wir die Biosphäre“, in [1], SS.118-120, aus [5b]

[5d] E.O.Wilson in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/E._O._Wilson

[6] Erle C. Ellis, 2020, „Anthromes“, in: Encyclopedia of the World’s Biomes, Elevier Inc. (Autor: Department of Geography & Environmental Systems, University of Maryland, Baltimore, MD, United States)

[6a] ‚Anthromes‚ auf der Webseite von Ellis: https://anthroecology.org/anthromes

[6b] ‚Anthropogenetic Biome‚ in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Anthropogenic_biome

[6c] Biome in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Biome

[6d] Jakob Johann von Uexküll in wkp-de: https://de.wikipedia.org/wiki/Jakob_Johann_von_Uexk%C3%BCll

[6e] Jakob von Uexküll, 1909, Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin: J. Springer. (Download: https://ia802708.us.archive.org/13/items/umweltundinnenwe00uexk/umweltundinnenwe00uexk.pdf )

[7] Theoretical ecology in wkp-edn: https://en.wikipedia.org/wiki/Theoretical_ecology

[7a] Stephen P. Hubbell in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Stephen_P._Hubbell

[7b] Unified neutral theory of biodiversity in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Unified_neutral_theory_of_biodiversity

[7c] Robert Ulanowicz in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Ulanowicz

[7d] S.A.Kauffman in wkp-en: https://en.wikipedia.org/wiki/Stuart_Kauffman (siehe eine Diskussion seines Buches „Reinventing The Sacred. A new View of Science, Reason, and Religion.“  in 7 Teilen HIER).

[8] Gerd Doeben-Henisch, 2021, “ OKSIMO PARADIGMA und DEMOKRATIE – Das V-dem Forschungsinstitut für Demokratie„, in: UNIVERSELLE PROZESSPLANUNG: https://www.oksimo.org/2021/08/28/oksimo-paradigma-und-demokratie-das-v-dem-forschungsinstitut-fuer-demokratie/

DER AUTOR

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MENSCHEN IM DUNKLEN ZIMMER. Eine Allegorie

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 30.Mai 2020 (4.Juni 2020, 11.Juni 2020)

KONTEXT

Im neuen Zeitalter der Datenüberflutung erleben wir ein starkes Aufkommen von sogenannten Fake-News, von Weltverschwörungs-Bildern, von Privat-Theorien jeglicher Art.

IM GESPRÄCH

Wenn man viele Menchen kennt, dann kann man auch mit vielen sprechen … wenn man will … und wenn diese wollen. Und, ja, man trifft auf jene, die die allerneuesten Wahrheiten kundtun, die die aktuelle Situation in den Händen von bösen Mächten sehen, und die daraus das Recht ableiten, traurig zu sein, böse, aggressiv, beleidigend, und was es so alles gibt. Die Existenz des postulierten Bösen wird übersetzt in die persönliche Freiheit, alles tun zu dürfen, selbst wenn man dadurch viele gute Gewohnheiten, viele erprobte Regeln oder gar offizielle Gesetze schwächt, übertritt, verletzt.

WAHRHEIT?

Als Philosoph und Wissenschaftler bin ich trainiert, bei allen Phänomenen nach Kontexten zu fragen, Voraussetzungen, Entstehungsgeschichten, Beteiligten, Motiven, nach der Tragfähigkeit von Messmethoden, nach der Qualität von begrifflichen Rahmen, innerhalb der man einzelne Ereignisse diskutert, und vielem mehr. Ich musste dann aber feststellen, dass Mitbürger, die begeistert von Fake-News oder Verschwörungsvisionen erzählen (oder gar damit aktiv öffentlich handeln), gar nicht an Fragen interessiert sind. Sie wollen keine alternativen-Fakten zu ihren hören oder lesen. Es geht irgendwie gar nicht um Fakten, um Tatsachen, sondern es geht um mehr, um etwas ‚Größeres’…

WELTSICHT

Alle, mit denen ich sprechen konnte, haben eine bestimmte Sicht von der Welt, und diese Sicht bedient sich zwar gewisser Fakten, insofern sie diese Weltsicht bestätigen, aber tatsächlich geht es nicht um Fakten, da alle anderen Fakten, die diese Weltsicht in-Frage stellen könnten, schlicht ausgeblendet werden. Man will sie nicht hören, man will sie nicht lesen, man bezweifelt grundsätzlich die Korrektheit und/ oder Rechtmäßigkeit der Quelle dieser anderen Fakten oder, falls man die Fakten nominell anerkennt, hat man eine alternative Erklärung, die diese Fakten passend machen für die eigene Weltsicht. Es geht also um eine bestimmte Weltsicht, um jene, die im Innern des anderen da ist, wirksam ist, und alle Wahrnehmungen und Erinnerungen und andere Erklärungsmodelle dominiert, sie beherrscht, und damit keine Chance bietet, dass irgendetwas anderes diese eine Weltsicht schwächen, gefährden könnte. Ein klarer Fall von Alleinherrschaft einer einzigen Sicht, die auch jede mögliche Änderung von vornherein paralysiert.

ALLEGORIE VOM DUNKLEN ZIMMER

Heute morgen kam mir dazu das Bild eines Menschen, der in einem dunklen Zimmer sitzt, alleine. Wenn man ihn fragt, warum er denn in diesem dunklen Zimmer sitze, warum er nicht Licht anmache, die Fenster öffne oder, noch besser, auch mal vor die Tür gehe, dann kommt ein Schwall von Erklärungen, warum das alles nicht gehe, warum dieses dunkle Zimmer die beste aller Welten sei, und überhaupt, ob ich (der Frager) nicht merken würde, dass ich ja schon längst manipuliert sei; dass ich (der Frager) nicht merken würde, dass ich schon ‚für das System‘ arbeiten würde ….

EINER VON UNS – WIR

So sehr man sich über den Menschen im dunklen Zimmer vielleicht wundern mag, über die Vehemenz, wie eine Änderung von vornherein nieder geredet wird, so ist es ein Mensch, ein Mitbürger, einer von uns, die wir zur Lebensform des homo sapiens gehören. Und es sind ja nicht einzelne, sondern es sind zwischen 10 – 30% (geschätzt), vielleicht sogar mehr, die diese Präferenz für das dunkle Zimmer entwickeln. Und es sind keinesfalls nur solche Menschen, denen man ‚geringe Bildung‘ nachsagt (was immer das genau ist), sondern es sind sehr wohl — und nicht wenige — auch solche, die studiert haben, sogar mit Doktortitel oder gar mit einer Professur, die hohe Leitungsfunktionen inne haben. Es muss also etwas damit zu tun haben, wie wir als Menschen grundsätzlich funktionieren, wie wir Wahrnehmen, Erinnern, Denken, …. damit, wie sich ‚in uns‘, in unserem ‚Inneren‘, in dieser genialen Mischung aus wenig Bewusstsein und sehr viel Unbewusstheit, Eindrücke ansammeln, Bilder, Wertungen, Erklärungen, die dann ‚von innen heraus‘ unser Erleben steuern. Und, ja, natürlich, auch mit der Art, wie wir andere Menschen erleben, erlebt haben, wie wir mit anderen Menschen umgehen, mit den Dingen dieser Welt. Der berühmte Pessimist, der immer nur das halb volle Glas sieht, ist eine Realität und seine pessimistische Wahrnehmung färbt ihn kontinuierlich ein; genauso wie den Optimisten, der immer eher die Chancen sieht, die er dann auch ergreift und dabei viele Erfolgserlebnisse hat.

WARUM IST DUNKELHEIT SO BELIEBT?

Es gibt einen Grundsatz bei der Erklärung des biologischen Lebens auf dem Planet Erde, der besagt, dass das Leben zwar grundsätzlich weiter und mehr leben will, dass es aber kostensensitiv ist, d.h. wenn ich zwei Weg zu einem erstrebenswerten Ziel habe, dann wähle ich normalerweise den mit dem geringsten Aufwand.

Wer in einem dunklen Zimmer sitzt, über das er nahezu volle Kontrolle hat, der hat auch Vorteile (scheinbar). Er kennt seine Situation (meint er), er kennt sich (meint der Betreffende immer, dass er sich kennt), er kann mögliche Änderungen in seinem dunklen Zimmer weitgehend selbst bestimmen, ohne irgendein ‚Risiko‘. Jede Art von Änderung in Richtung mehr Licht, mehr Kontakte, mehr neue Erlebnisse da draußen, gelten als Risiko, als Gefahr, gelten als möglicher Kontrollverlust, könnten das Bild von der Welt möglicherweise so verändern, dass nicht mehr klar ist, wohin die Reise geht. Ein Mensch, der angefüllt ist mit Ängsten und einer unrealistischen Selbstliebe, für den sind solche Perspektiven reinstes Gift. Er wird alles tun, um mögliche Veränderungen zu verhindern.

BEFREIUNG

Die grundsätzliche Tatsache, dass es in einem scheinbar unbelebtem Universum biologisches Leben gibt — zugegeben, nach einer extrem langen Anlaufzeit von ca. 10.1 Mrd. Jahren — und dieses Leben seit 3.5 Mrd. Jahren demonstriert, dass es die unfassbarsten Situation gemeinsam, als BIOM, meistern kann, gibt Hoffnung, dass diese individuellen ‚Lock-Ins‘ zwar Schwachstellen erkennen lassen, aber ganz sicher nicht das letzte Wort dazu sind, wie sich das Leben auf der Erde — und letztlich dann im Universum — weiter ausbreiten wird. Sicher nicht einfach so wie bisher, sondern anders, ‚besser‘ ….. Wir Menschen im Jahr 2020 sind schwerlich der Maßstab für das, was noch kommen wird, aber wir gehören zum Prozess, wir beeinflussen ihn, und wir haben alle Zutaten, die notwendig sind für die nächste Phase, auch wenn die in ihren dunklen Zimmern davon nicht viel mitbekommen. Aber auch sie sind Teil vom Ganzen und ihr Dunkles-Zimmer-Lock-In Syndrom kann uns vielleicht viele neue Erkenntnisse darüber liefern, was wir falsch machen, dass es zu so etwas kommt. Einfaches Dunkles-Zimmer Bashing hilft niemandem, weder denen, die da drin sitzen, noch denen, die davor sitzen und sich vielleicht morgen auch in ihrem dunklen Zimmer wiederfinden. Das Dunkle-Zimmer-Locked-In Syndrom ist eine objektive Schwachstelle in der Art und Weise, wie wir Menschen mit uns selbst, mit den anderen, mit der Welt umgehen. Jeder kann Opfer werden; wie kommen wir gemeinsam da wieder raus????

KONTEXT ARTIKEL

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

LITERATURHINWEIS (11.Juni 2020)

1999 haben Kruger und Dunning einen Artikel veröffentlicht Unskilled and Unaware of It: How Difficulties in Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-Assessments (Journal of Personality and Social Psychology,1999, Vol. 77, No. 6.,1121-1134). In diesem beschreiben Sie einen Effekt, der von vielen anderen bestätigt worden ist (siehe z.B. die Übersicht in Wikipedia) und der im Alltag von jedem überprüft werden kann, nicht zuletzt am Beispiel des ‚Dunklen-Zimmer-Effekts‘. Sie identifizieren für das Phänomen der gravierenden falschen Selbsteinschätzung bei Menschen einen Mangel an eben dem, was man Selbstreflexion nennt. Es gibt Menschen, die stark auf sich selbst fixiert sind und kaum bis gar nicht in der Lage sind, den Kontext mit zu reflektieren. Nach 18 Jahren Unterrichtspraxis muss ich leider bestätigen, dass es die beiden großen Verhaltensweisen gibt: jene Studierenden, die beständig auf der Suche sind, sich von sich aus zu verbessern, die beständig Grenzen und Lücken in ihrem Wissen erkennen, und jene, die meinen, schon alles zu wissen, dass Sie sich nicht einsetzen müssen, da sie sowieso schon alles wissen, deren Übungsverhalten gegen Null geht, und die sich dann noch wundern und aufregen, wieso sie in Prüfungen schlechter sind als die anderen, die doch nicht besser seien…

ANMERKUNG 1 (4.Juni 2020)

Wer sich von der Idee angesprochen fühlt, die dieser eher literarisch formulierten Text transportiert, und wer Mehr verstehen will, welche konkreten Mechanismen dafür verantwortlich sind, dass wir Menschen uns so verhalten, und zwar generell, unabhängig vom Geschlecht, von der Herkunft, von religiösen Überzeugungen, von beruflicher Profession usw., wer aber auch nicht die vielen hundert Beiträge durchforsten möchte, die vom Autor cagent erwähnt werden, der findet auf wenigen Seiten eine wissenschaftsphilosophische Analyse des Buches von A.Maslow Psychology of Science (1966), die alle wichtigen Zutaten enthält, die man braucht, dieses Phänomen im Kontext der modernen Wissenschaft und der modernen westlichen Kultur zu verstehen. Die ‚Lösung‘ ist in diesem Fall keine einfache Zahl wie im Roman The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy von Douglas Adams, sondern eine Arbeitsformel für uns Menschen, wie wir uns im Umgang mit der Wirklichkeit (zu der Menschen gehören, ein ganzes BIOM) verhalten sollten, um ihrer vollen Dynamik gerecht zu werden. Gemessen an der Komplexität, mit der uns Wirklichkeit gegenübertritt, verhalten wir uns bislang eher wie Steinzeitmenschen, auch wenn wir einen Computer als Arbeitsgerät benutzen können…

SOUND

Keine Musik, aber Sound, RUM (radically unplugged music); Experiment vom 6.Juni 2020

Philosophie für Dummies [Ph4Ds]

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 24.April 2020

Letzte Änderung: zweite Audio-Datei, 2.Mai 2020 (Neuer Sound 23.Mai 2020)

KONTEXT

In den vielen hundert Beiträgen dieses Blogs blitzen viele Aspekte des philosophischen Denkens auf, teilweise werden Verbindungen sichtbar, bisweilen Umrisse von übergreifenden Strukturen, aber für einen Einsteiger ist es schwer bis unmöglich, sich aus dieser Vielfalt — auch angesichts der schieren Menge — ein klares Bild des philosophischen Denkens zu bilden. Für eine zusammenhänge systematische Darstellung war der Blog auch nie gedacht. Jetzt verstärkt sich aber der Bedarf, aus der Vielfalt doch ein zusammenhängendes Bild zu formen. Wie soll dies gehen?

Es gibt viele Strategien, wie man dies angehen kann. Aufgrund eines Anlasses in der Lehre ergab sich die Idee, mit einem kleinen Text anzufangen, der sehr wohl versucht, das Ganze im Blick zu haben, obgleich er selbst — aufgrund seiner Kürze — doch nur erste Fragmente bieten kann. Aber, es liegt in der Natur einer zusammenhängenden Vision, dass sie in der Lage ist, auch schon mit wenigen Fragmenten eine Perspektive aufblitzen zu lassen, die sich dann — quasi von selbst — in nachfolgenden Formulierungen ’selbst ergänzt‘.

Eine erste Skizze wurde im Stil einer Präsentation abgefasst (nicht Powerpoint, sondern LaTex mit der Beamer Klasse) mit 16 Seiten Inhalt plus Quellennachweisen.

Parallel dazu habe ich einen Text gesprochen, der ausgehend von der Präsentation die damit zusammenhängenden Ideen im unplugged Stil ‚laut gedacht‘ habe.

Natürlich schreit diese erste Skizze nach Weiterführung, fragt sich nur, wann sich dafür Zeit finden lässt.

Ph4Ds – PRÄSENTATION

Ph4Ds – AUDIO

(2.Mai 2020) Kürzere Fassung, erster Einstieg (17.5 Min)
Längere Fassung vom 24.April 2020 (75 Min)

BITTE UM FEEDBACK

Generell kann man ja in diesem Blog Rückmeldungen geben (was in der Vergangenheit auch immer wieder einige getan haben). Im Falle dieser beginnenden ‚Gesamtperspektive‘ fände ich es schön Rückmeldungen zu bekommen. Ob und wieweit ich dann auf die Rückmeldungen eingehe, weiß ich jetzt natürlich nicht. Aber meistens bildet jede Bemerkung, mag sie auch noch so klein sein, ein Echo das nachwirkt, ja, auch mit zeitlicher Verzögerung. Manchmal kommt es vor, dass ich einem Gedanken nachhänge, und dann poppen Erinnerungen an Gespräche, Artikel und Bücher auf, die ich viele Jahre vorher geführt oder gelesen habe …. und genau dann sind sie plötzlich von großer Bedeutung…

Soundexperiment: mehrere Drumkits, eine Melodie-Impression…

Brexit – Computerinterface – Zukunft. Wie hängt dies zusammen?

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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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19.-20.Oktober 2019

Aktualisierung: 3.Nov.2019 auf dieser Seite

LEITGEDANKE

Wenn das, was wir nicht sehen, darüber entscheidet, was wir sehen,
dann lohnt es sich, für einen Moment inne zu halten, und sich darüber klar
zu werden, was wir tun, wenn wir versuchen, die Welt zu verstehen.

INHALT

1 Der Brexit als Lehrstück … 1
2 Das Unsichtbare in Allem 3
3 Computer-Interface als ein Stück Alltag 4
4 Wir als Teil von BIOM I und II 6
5 Homo Sapiens im Blindflug? 9
6 Epilog 11

DOKUMENT (PDF)

KURZKOMMENTAR

Der Text des Dokuments ist das Ergebnis von all den vorausgegangenen Blogeinträgen bis jetzt! Es ist die erste Zusammenschließung von verschiedenen großen Themen, die bislang im Blog getrennt diskutiert wurden. Es ist die große ‚Vereinheitlichung‘ von nahezu allem, was der Autor bislang kennt. Vielleicht gelingt es, dieser Grundintention folgend, diesen Ansatz weiter auszuarbeiten.

KURZKOMMENTAR II

Der Text ist aus philosophischer Perspektive geschrieben, scheut nicht die Politik, nimmt den Alltag ernst, nimmt sich die Digitalisierung vor, bringt die Evolutionbiologie zentral ins Spiel, und diagnostiziert, dass die aktuellen smarten Technologien, insbesondere die neuen Smart City Ansätze, schlicht zu wenig sind. Die ganzen nicht-rationalen Faktoren am Menchen werden nicht als lästiges Beiwerk abgeschüttelt, sondern sie werden als ein zentraler Faktor anerkannt, den wir bislang zu wenig im Griff haben.

ERGÄNZUNG 3.Nov.2019

In dem PDF-Dokument wird erwähnt, dass die Brexit-Entscheidung in England im Vorfeld massiv aus dubiosen Quellen beeinflusst worden ist. Im PDF-Dokument selbst habe ich keine weiteren Quellenangaben gemacht. Dies möcte ich hier nachholen, da es sich um einen explosiven Sachverhalt handelt, der alle noch bestehenden demokratischen Gesellschaft bedroht. Da ds ZDF und Phoenix die Angaben zu immer wieder neuen Terminen machen, sind die zugehörigen Links möglicherweise immer nur zeitlich begrenzt verfügbar.

Der Film „Angriff auf die Demokratie. Wurde der Brexit gekauft?“ von Dirk Laabs wird einmal in einem Text kurz beschrieben, und es wird ein Link auf youtube angegeben, wo man den Film als Video abrufen kann.

Hier aus dem Worlaut der Ankündigung:

„Die britische Wahlkommission ist überzeugt: Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass große Teile der Gelder für eine Kampagne vor dem Brexit-Referendum aus dubiosen Quellen stammen.

„Im Fokus steht der britische Geschäftsmann Arron Banks, Strippenzieher und enger Freund des ehemaligen Ukip-Anführers Nigel Farage. Über seine Offshore-Konten sollen fast neun Millionen Pfund Spenden geflossen sein.“

Die Recherchen des ZDF legen nahe, „dass Wähler verdeckt und so effektiv wie möglich beeinflusst werden sollten.“ Es werden nicht nur die Geldströme vefolgt, sondern der ZDFzoom-Autor Dirk Laabs „redet mit Insidern aus der Kampagne und konfrontiert ihren Kopf, den ehemaligen Chef der Ukip, Nigel Farage. Farage redet im Interview mit dem ZDF auch darüber, welchen Einfluss US-amerikanische Berater für die Kampagne hatten. Steve Bannon, früherer Berater von US-Präsident Trump, war einer der wichtigen Berater in diesem Spiel.“

„Konkret geht es um millionenschwere Kredite, die die Pro-Brexit-Kampagne von Banks erhalten haben soll. Demnach stammte das Geld möglicherweise nicht von ihm selbst, sondern von Firmen mit Sitz auf der Isle of Man und in Gibraltar, die sich damit in den Wahlkampf eingemischt hätten. Mittlerweile ermittelt die National Crime Agency. Sie soll die bislang verschleierte Kampagnen-Finanzierung offenlegen.“

„Nigel Farage spricht im Interview mit dem „ZDFzoom“-Autor Dirk Laabs ganz offen darüber, wie eng die Lager zusammengearbeitet haben und wie wichtig auch der ehemalige Trump-Berater Steve Bannon für die Kampagne in Großbritannien war“ … Ein Whistleblower, der für die Leave-Kampagne gearbeitet hat, ist überzeugt: „Die verschiedenen Brexit-Kampagnen brachen die Gesetze, griffen dabei auf ein ganzes Netzwerk von Firmen zurück, um mehr Geld ausgeben zu können. Ohne diese Betrügereien wäre das EU-Referendum anders ausgegangen.“

„ZDFzoom“-Autor Dirk Laabs geht in der Dokumentation den Fragen nach: „Mit welchen fragwürdigen Methoden wurde die Mehrheit der Briten vom Brexit überzeugt? Welche Interessen und Profiteure stecken dahinter? Und Laabs fragt bei Akteuren in Brüssel nach, welche Maßnahmen mit Blick auf die Europawahl ergriffen werden sollten und überhaupt könnten, um den Digital-Wahlkampf der Zukunft zu regulieren oder kontrollierbarer zu machen.“

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

MOTIVATION 2. Außen und Innen

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 22.Sept. 2019
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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KONTEXT

Nach dem kurzen Überblick zum Lösen von Problemen mit den drei Faktoren Wissen (Erfahrung), Kommunikation und Motivation, sind in einem Schnelldurchgang die wichtigen Kontexte angesprochen worden, die der Mensch seit seiner Abspaltung vom homo erectus vor ca. 600.000 Jahren bis heute durchlaufen hat. Diese Kontexte sind wichtig, da die inneren Zustände des Menschen durch die kontinuierliche Interaktion mit dem jeweiligen Kontext einschneidend geprägt werden. In dieser Darstellung ist die genaue Rolle der internen Zustände, insbesondere jene, die das konstituieren, was im ersten Beitrag zusammenfassend ‚Motivation‘ genannt wurde, noch ungeklärt, offen. Dieser Punkt soll nun etwas weiter bedacht werden.

KREATIVER KERN. NUR BEDINGT ANPASSBAR

Die grundlegende Annahme, dass der Mensch durch seine Interaktionen mit der Umgebung seine inneren Zustände modifiziert, impliziert, dass der Mensch grundlegend ein lernendes System ist; dies gilt nach heutigem Kenntnisstand generell für alle biologischen Systeme. Dies bedeutet, dass der Mensch je nach dem Wandel der Verhältnisse sich unterschiedliche Strukturen, Abläufe, Konventionen, Erwartungen usw. intern aufprägt. Das so entstehende dynamische Wissen ist quasi ein inneres Bild der äußeren Welt, mehr oder weniger klar, und mehr oder weniger unterschiedlich in jedem einzelnen. Bedenkt man ferner, dass nach den neuen Erkenntnissen das Gehirn als Träger vieler geistiger Eigenschaften die Welt außerhalb des Körpers nicht direkt kennt, nur die sensorischen Fragmente, die es kunstvoll zu zusammenhängenden Strukturen zusammenbaut, dann repräsentiert das innere Bild für jeden einzelnen die Welt (wie sie vielleicht gar nicht ist), und dies für jeden ganz individuell. Vom eigenen Weltbild auf das des anderen zu schließen ist daher gefährlich; in der Regel ist das eigene Bild verschieden von dem der anderen. Es erfordert daher eine geeignete Kommunikation, um diese Verschiedenheit zu bemerken und die Gemeinsamkeiten klar zu stellen.

Jede Gesellschaft trainiert die nachwachsenden Generationen in der Regel dahingehend, den aktuellen Abläufen und damit einhergehenden Erwartungen zu folgen. Ein ‚regelkonformes Verhalten‘ ist so gesehen ein weit verbreiteter gesellschaftlicher Standard. Vielfach existieren Interventionsmechanismen, wenn einzelne oder ganze Gruppen scheinbar von den allgemeinen Normen abweichen.

Trotz einem solchen Erwartungsdruck gibt es aber die berühmten Aussteiger; gibt es Menschen die Aufbrechen und Auswandern (migrieren); gibt es die Protestler, die Alternativen und Oppositionellen, gibt es Freiheitskämpfer und Revolutionäre; andere wagen einen Neuanfang, gründen etwas; Wissenschaftler, Erfinder, kreative Köpfe schaffen neue Formen, neues Verhalten; andere sprechen von Bekehrung, vom Abwenden von Bisherigem und Zuwendung zu etwas ganz Anderem; Beziehungen zwischen Menschen über gesellschaftliche Schranken hinweg, trotz drohender Marginalisierung oder Todesdrohungen.

Diese Beispiele deuten an, dass Kontexte, die sich in das Innere von Menschen eingraben, nicht immer und überall das gesamte Innere beherrschen müssen. Aufgeprägte innere Strukturen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen sich entsprechend konform verhalten, aber sie garantieren diese Konformität nicht. Das Innere verfügt anscheinend über Möglichkeiten, äußere Verhältnisse innerlich zu überwinden, die sich dann in neuen, alternativen Verhalten niederschlagen können. Das Innere besitzt irgendwie einen ‚kreativen Kern‘, der sich nicht notwendigerweise und nicht immer ganz durch die herrschenden Verhältnisse vereinnahmen lässt.

In den bekannten gesellschaftlichen Systemen seit dem Auftreten des homo sapiens, dem modernen Menschen, gibt es neben der schlichten Präsenz von Alltagsprozessen auch jene, in denen eine Gruppe von Menschen versucht, auf die anderen besonderen Einfluss zu nehmen durch Machtstrukturen bewehrt mit empfindlichen Strafen, durch nackte Gewalt und Folter, durch spezielle Belohnungsstrukturen, durch Indoktrinationen und Propaganda, und durch spezielle Werbung. Neben rein verbalen Aktionen gibt es auch den Bereich von Doping, Drogen oder der Virtualisierung von sozialen Beziehungen mit neuartigen Manipulationsmöglichkeiten (z.B. das Vorgaukeln von sozialer Nähe in virtuellen Räumen, die gleichzeitig zum Abbau von realer sozialer Nähe führen). Aber auch bei diesen verschärften Formen der Einflussnahme von Außen gibt es zahlreiche historische Beispiele aus allen Zeiten, dass Menschen standhalten und sich gegen diese Strukturen stellen. Sie besitzen eine ‚innere Motivation‘ die sie stark macht.

Allerdings kann auch der einzelne durch sich selbst zum Opfer werden, wenn er bestimmte grundlegende Bedürfnisse des Körper nicht hinreichend unter Kontrolle bringen kann. Prominente Beispiele sind vielfältige Formen von Sucht wie z.B. Sex, Essen, Trinken, Narzissmus, Eitelkeit, Drogen, Erfolg, Berühmt sein, um nur einige zu nennen. Auch hier gilt: viele zerbrechen daran, genauso gibt es immer wieder aus allen Zeiten Beispiele, dass Menschen es schaffen, sich diesen scheinbar unüberwindlichen Mechanismen zu entziehen. Die Motivation kann stärker sein als der Druck von außen (wobei ‚außen‘ hier physiologische, chemisch Prozesse sind, die die Zustände des Gehirns beeinflussen).

DER KÖRPER ALS FILTER UND ERMÖGLICHUNG

Viele der geistigen, psychischen Eigenschaften, die wir uns Menschen zuschreiben, erscheinen aus Sicht des Verhaltens und der Physiologie mit dem Gehirn verknüpft zu sein, das räumlich ‚im‘ Körper sitzt.

Aus Biologischer Sicht lassen sich die unterschiedlichen Körperstrukturen auflösen in eine unfassbar große Menge von Zellen, die beständig miteinander kommunizieren, von denen ständig welche absterben, andere neu entstehen. Rein zahlenmäßig entsprechen alle Zellen unseres Körpersystems etwa 450 Galaxien im Format der Milchstraße. Die Auflösung in Zellen macht viele der komplexen Strukturen unsichtbar, die den Körper zu dem machen, als was er uns funktionell erscheint.

In einem weiteren Abstraktionsschritt lassen sich alle Zellen auflösen in Richtung der Moleküle, aus denen Zellen bestehen, und noch weitergehender in Richtung der Atome der Moleküle, und sogar noch weitergehender in Richtung der subatomaren Partikel. Dies ist die Sicht der Quantenmechanik. In der Quantenmechanik gibt es keine festen Strukturen, sondern nur noch Wahrscheinlichkeitsverteilungen. Bei dieser Sichtweise ist ein menschlicher Körper (samt Gehirn) ein nach allen Seiten offenes Gebilde, das über riesige Entfernungen mit nahezu allem in Verbindung stehen kann.

Nicht wenige meinen, dass diese grundlegende quantenmechanische Offenheit und Verbundenheit von jedem mit jedem alle bislang ungelöste Fragen des menschlichen Geistes oder möglicher mystischer Zustände, für die bislang keine befriedigenden wissenschaftliche Erklärungsansätze existieren, lösen können.

Dies muss man allerdings bezweifeln. Schon die Entstehung der grundlegenden biologischen Strukturen, jene der einfachen Zellen vor ca. 3.5 Milliarden Jahre, entzieht sich bislang vollständig einer physikalischen Erklärung. Mit Quantenmechanik kann man in keiner Weise die Entstehung und die Besonderheit von biologischen Zellen erklären. Biologische Zellen haben so viele neuartigen spezielle Strukturen mit Hilfe von Molekülen geschaffen, die wiederum neuartige komplexe Funktionen ermöglicht haben, für die die Physik nicht den geringsten Denkansatz bietet. Schrödinger und viele andere großen Physiker haben dies erkannt. Die weitere Entwicklung des BIOMs mit komplexen Zellen, Zellverbänden, Atmosphäre und dann komplexen Organismen mit hochkomplexen Organen mit komplexen Nervensystemen für eine neuartige Informationsverarbeitung weit über die Mechanismen der DNA hinaus, entzieht sich der heutigen Physik bislang vollständig.

Was immer also sich auf der quantenmechanischen Ebene abspielt, die jeweils komplexeren biologischen Strukturen ‚verbergen‘ diese Vorgänge so, dass sie auf den höheren Ebenen in keiner Weise direkt durchschlagen.

Für den Bereich des sogenannten Bewusstseins bedeutet dies, dass das, was wir ‚bewusst‘ wahrnehmen, durch sehr viele komplexe Strukturen und Prozesse vermittelt ist, die die zugehörigen quantenmechanischen Vorgänge völlig verdecken, ‚weg filtern‘. Will man also die inneren Zustände verstehen, insbesondere den winzig kleinen Anteil der ‚bewussten‘ Ereignisse, dann muss man sich diesen bewussten Ereignissen und den zugehörigen ‚unbewussten‘ Prozessen direkt zuwenden. Die Leistung des Gesamtsystems zeigt sich eben in seinen komplexen funktionalen Ausprägungen, nicht in seinen möglichen Bestandteilen, die im Rahmen eines funktionellen Prozesses benutzt werden.

KRITISCHES DENKEN

Die Steuerung durch die alltäglichen Strukturen und Prozesse kann, wie die erwähnten Beispiele andeuten, durch den inneren, kreativen Kern der Motivation partiell oder ganz aufgehoben werden.

Eine Ursache dafür kann jene Form des Denkens sein, die sich mit den vorliegenden Formen des Wissens beschäftigt, das vorliegende Wissen zum Gegenstand macht, und auf einer zusätzlichen Reflexionsebene mit diesem vorliegenden Wissen ‚kreativ spielt‘, was sich auch in Form von systematischen philosophischen Reflexionen niederschlagen kann. Aber auch engagierte Literatur, manche Formen von Theater und vieles mehr kann zum Medium für alternatives Denken werden.

Wie auch immer solche kreativen Diskurse aussehen mögen, ohne eine geeignete Motivation werden sie nicht stattfinden.

Und die aufgeführten Beispiele enthalten viele Fälle, in denen die alternative, kreative Motivation nicht unbedingt von einer starken Wissenskomponenten begleitet wird. Motivationen als solche können eine Kraft entfalten, die ‚aus sich heraus‘ einen Menschen bewegen können, ‚das Andere‘ zu tun. Wie kann, wie muss man sich diesen ‚kreativen, heißen Kern‘ der Motivation vorstellen?

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