Archiv der Kategorie: Kornblum

(US-amerikanische) MANDARINE DER MACHT? – Philosophische Betrachtungen dazu

VERTRETER DER MACHT

(1) In den politischen und journalistischen Auf- und Abwirbeln der letzten Monate, ausgelöst durch die Informationen von Edward Snowden, treten vermehrt US-Amerikaner in deutschen Talkshows auf, und zwar solche, die eine Affinität zur ‚politischen Macht‘ der US-Administration auszeichnet. In einer Talkshow mit Maybrit Illner am 30.01.2014 um 22:15h mit dem Thema „Geheimer Krieg um unsere Daten – sind die USA noch unsere Freunde?“, war es Fred(erick) Kempe gewesen, aktueller Präsident und Chief Executive Officer (CEO) des Atlantic Council. In einer früheren Talkshow mit Günther Jauch zur Ausstrahlung des ersten Fernsehinterviews mit Edward Snowden, trat als Gast John Kornblum auf. Mit seinen fast 40 Jahren im Dienst der US-amerikanischen Politik, immer in sehr wichtigen Rollen, davon die meiste Zeit in Europa, vor allem auch als Botschafter in Deutschland, ist er vielleicht der US-Amerikaner mit der zur Zeit größten politischen Erfahrung und dem größten Wissen über die US-amerikanische Politik in Europa und speziell auch Deutschland. Erwähnen sollte man hier auch Michael V.Hayden, der u.a. sowohl Direktor der NSA als auch der CIA war und der in einem Interview mit Maybrit Illner eingeblendet wurde.

IM AUFTRETEN VERBLÜFFEND ÄHNLICH

(2) So verschieden alle drei Persönlichkeiten sind, wo verblüffend ähnlich waren ihre Statements. Würde man einen Krimi im Fernsehen sehen und Kommissare auf der Suche nach dem Schuldigen begleiten, wären Zeugen, die nahezu identische Aussagen machen, als verdächtig einzustufen. Eine allzu große Übereinstimmung unterschiedlicher Person zu ein und derselben Sache gilt als ’nicht zufällig‘, d.h. man unterstellt automatisch eine Art von ‚Absprache‘. In den modernen Wissenschaften ist dies übrigens ähnlich. Wenn Astrophysiker feststellen, dass die Lichtstrahlen von beobachtbaren Himmelskörpern leicht verschoben sind gegenüber ihrem ‚theoretisch zu erwartenden Werten‘, dann beginnen sie eine ‚verborgene Ursache‘ anzunehmen, z.B. ein ’schwarzes Loch‘, das mit seiner ungeheuerlichen Gravitationskraft eine Abweichung im ’normalen Verhalten‘ der Lichtstrahlen bewirkt. Die Psychologen tun das gleiche. Wenn sie das Verhalten von Menschen beobachten und sie können ‚messen‘, wie ein Mensch die Batterie der Testaufgaben schneller und mit weniger Fehlern löst als der ‚Durchschnitt‘, dann unterstellen sie etwas , was sie ‚Intelligenz‘ nennen, und sagen, dieser Betreffende habe ‚mehr Intelligenz‘.

(3) Ein Punkt der sofort auffällt, ist die völlige Abwesenheit von Selbstkritik; Selbstkritik nicht bezogen auf ihre eigene Person sondern bezogen auf die politischen Institutionen, die sie vertreten. Wenn man sieht, was in den letzten mindestens 10 Jahren (und natürlich auch schon davor) an belegten Fakten über das Verhalten US-amerikanischer Regierungsinstitutionen oder von diesen beauftragten Firmen enthüllt worden ist, Fakten, die ganze Völker, Länder, Regionen, oder sogar uns alle betreffen, dann wirkt das kategorische Ausklammern dieser Dinge bzw. die aktive Ausschließung, schon von Fragen oder Vermutungen zu diesen Thema, zunächst einmal auffällig und dann – angesichts der ungeheuren Erfahrung und hohen Intelligenz der Personen – befremdlich, irritierend, beunruhigend.

(4) Diese Irritationen sind von Gewicht, weil die Personen, die durch ihre implizite kategorische Verweigerungshaltung gegenüber einer allen bekannten Realität zugleich um Vertrauen werben. Speziell Kornblum und Kempe betonen mehrfach, wie wichtig die transatlantische Beziehung zwischen den USA und Europa, speziell auch mit Deutschland, sei, und unterstreichen dabei persönliche biographische Details, die ihre Verbundenheit mit Deutschland ausdrücken. Doch gerade durch diese Beteuerungen und Werbung um Vertrauen wird die implizite Leugnung von vielen Realitäten umso bizarrer; wenn jemand um Vertrauen wirbt und sich gleichzeitig weigert, jene Fakten ernst zu nehmen, die den Gesprächspartner beunruhigen, dann hat dies eigentlich einen gegenteiligen Effekt, das Misstrauen wird größer.

FAKTEN WEG-REDEN

(5) Geradezu hervorstechend war die kategorische Einstufung von allen Dreien zu Edward Snowden als Verräter, als nicht glaubwürdig. Bedenkt man, dass mittlerweile selbst in den USA verschiedene Vereinigungen, verschiedene Zeitungen, der Kongress, einzelne Richter, ehemalige Mitglieder diverser Kontrollausschüsse, Firmenmitglieder usw. zumindest Teile von Snowdens Enthüllungen bestätigt haben, dazu Regierungen anderer Staaten (neben vielen vorausgehenden Blogeinträgen in diesem Blog siehe z.B. auch Zeitleiste beim Heise Verlag zum NSA-Abhörskandal), dann wirkt diese fast wortgleiche radikale Ablehnung und Vorverurteilung von Snowden zusätzlich beunruhigend. Da wirbt jemand um Vertrauen und während er dieses tut, zerstört er wesentliche Elemente, auf denen mögliches Vertrauen aufbaut. Festzuhalten ist, dass in der Runde mit Maybrit Illner ein aktiver Politiker, nämlich
Philipp Mißfeler (auch private Homepage (Mißfelder, private Homepage), der vielfach eher ‚konservativ‘ auftritt und eher ‚US-Amerika freundlich‘ ist (er ist auch seit Juni 2013 im Vorstand des Vereins Atlantik Brücke (siehe auch: www.atlantik-bruecke.org)), live in der Talkshow Fred Kempe bzgl. der Einschätzung von Snowden widersprach. Während Kempe (wie Kornblum und Hayden) Snowden jegliche Ernsthaftigkeit und Seriosität rundweg absprachen, sagte Mißfelder klar und deutlich in der Sendung, dass alles (!), was bislang von Snowden bekannt gemacht worden ist, als tatsächlich zutreffend erwiesen worden ist. Das hat bislang noch kein deutscher Politiker (erst recht keiner von denen, die Kraft Amtes dafür eigentlich zuständig wären) in dieser Klarheit öffentlich gesagt. Er ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte, dass sich die US-Regierung in der Ausspähaffäre ‚bewegen müsse‘.

NIBELUNGENTREUE?

(6) Wenn also drei so hoch profilierte Personen aus dem US-amerikanischen Machtnetzwerk in einer Sache Aussagen machen, die von vielen anderen ernst zu nehmenden und profilierten Personen und Institutionen ‚anders‘ eingeschätzt werden, dann liegt es nahe, zu vermuten, dass alle drei aufgrund ihrer vielfachen Verbundenheit mit dem Machtnetzwerk zunächst mal die Position ‚der Macht‘ vertreten entgegen allen Fakten. In der deutschen Geschichte gibt es das Wort von der Nibelungentreue, das Festhalten an einer Position ‚rein aus Treue‘ unter Aufgabe der Dimension der ‚Wahrheit‘ und möglicher übergreifender ‚Werte‘.

MANDARINE – CHINESICHE BEAMTE

(7) China gilt in der Geschichte als eine Region großer Kultur. Und in der Tat, schaut man sich an, wie große chinesische Dynastien über viele Jahrhunderte ihr Riesenreich von innen her organisiert haben, dann kann man selbst von heute aus in Staunen und Bewunderung geraten. Kernstück war immer ein ausgeklügeltes System von Ausbildung und Organisation. Der zentrale Akteur darin waren die Beamten, in der westlichen Überlieferung als Mandarine bezeichnet. Der ‚chinesische Beamte‘ deckte dabei eine riesige Bandbreite an Fähigkeiten und Tätigkeiten ab. Hervorstechend ist ein ausgeklügeltes System von gestufter Ausbildung mit sehr differenzierten, regelmäßigen und effektiven Überprüfungen. In der chinesischen Verwaltungen konnten und wurden Beamte bei schlechten Leistungen und Fehlverhalten auch degradiert oder gar ganz entlassen; umgekehrt wurden sie auch belohnt und befördert. Auch Personen adliger Herkunft mussten sich im Normalfall diesen Prüfungen ebenfalls unterwerfen. Allen war klar, dass – in heutiger Sprache – Beziehungen alleine oder ein Parteibuch für die Effizienz der Verwaltung und des Staates unnütz und gefährlich sind. Dies alles war eingebettet und getränkt durch eine ‚Ethik‘, in der die Treue zur Gesellschaft, zum Staat, zum Kaiser zentral war. Historisch belegte Fälle zeigen, dass diese Treue durch ihre Koppelung an Kompetenz aber auch dazu führen konnte, dass hohe und höchste Beamte die Regierung sachlich kritisierten, was dann in manchen Fällen mit der Enthauptungen eben der Kritiker endete. Hätten die Mandarine die Wahrheit hinten angestellt und sich rein auf die Erhaltung Macht beschränkt (in diesem Sinne dann ’nur‘ ‚Mandarine der Macht‘), hätten Sie vielleicht individuell länger gelebt. Wäre damit der Lauf der Geschichte ‚besser‘ gewesen?

(8) Wieweit heutige Staaten (einschließlich China selbst) diese hohen Standards der ‚Qualitätssicherung‘ weiterhin praktizieren sei hier mal dahingestellt, im Falle von demokratischen Gesellschaften (wie die USA, wie Deutschland, wie Europa …) müsste das klassische chinesische Modell der Kompetenz (= Wahrheit und Werte) und Treue ergänzt werden um jene Aspekte, die sich aus dem Konzept einer Demokratie ergeben. Während in China der oberste Herrscher ein Machtmonopol besaß, das vom Prinzip her unangreifbar war, verstehen sich Demokratien als solche Gesellschaften, in denen das Machtmonopol von der gesamten Gesellschaft – natürlich mit bestimmten Spielregeln – kontrolliert werden soll. Demokratie endet dort, wo sich die demokratisch gewählten Institutionen von der Kontrolle faktisch abgekoppelt haben. Wann dies der Fall ist, ist von Fall zu Fall zu klären, da die Handlungsmöglichkeiten in einer Demokratie vielfältig sind; zudem sind die aktuellen Demokratien in der Regel sehr jung; es gibt noch nicht viele historische Erfahrungen. Einzig die USA haben bisher der Welt schon einige Lehrstücke von Machtmissbrauch und dann auch – glücklicherweise – deren Aufdeckung gezeigt. Darin waren und sind sie ein Vorbild für alle. Doch das Ringen um die Erhaltung des Machtgleichgewichts ist ein kontinuierlicher Prozess; es gibt keinen Endpunkt; eine demokratische Gesellschaft muss immer wieder neu ‚zu ihrem Recht finden‘; muss immer wieder neu aktuelle Entwicklungen kritisch beleuchten und ‚öffentlich diskutieren‘! In einer Demokratie muss daher permanent die ‚Treue‘ zum Staat begleitend werden von einem ‚funktionierenden öffentlichen Diskurs‘, in dem es letztlich keine Tabus (‚Geheimhaltung‘!) geben kann. Eine Demokratie mit Tabus ist keine Demokratie mehr.

FALSCHE TREUE KANN VERFEHLUNGEN DECKEN

(9) Vor diesem Hintergrund ist die aktuelle Entwicklung in demokratischen Ländern (mit den USA als Vorreiter!), die darin besteht, immer mehr Bereiche des Regierungshandelns von der Öffentlichkeit abzukoppeln (durch Geheimhaltung, durch unkontrollierte Ausschüsse, durch Übertragung von staatlichen Aufgaben an private Dienstleister, durch politische Kontrolle der Justiz, durch Zensur, durch Verweigerung von Interviews, durch Verweigerung von fundierten öffentlichen Stellungnahmen, usw.) tendenziell gefährlich und kann, als schleichender ‚Umsturz von innen‘ eine Demokratie schrittweise in eine ‚Hülle‘ verwandeln, die faktisch von einem Machtmonopol betrieben wird, auf das niemand mehr einen effektiven Zugriff hat. Wenn man alle ideologischen Scheuklappen beiseite legt, dann muss man sagen, dass sich in den USA die Indizien häufen, die genau solch eine Entwicklung andeuten (aber nicht nur dort). Wenn in einer solchen Situation die Menschen, die dem Netzwerk der Macht nahe stehen, sich wie ‚Mandarine der reinen Macht‘ verhalten, indem sie bedingungslose Treue zeigen bei Ausklammerung des Aspekts der ‚Wahrheit‘ im Stile einer Demokratie, also durch Ausklammerung von bedingungsloser Öffentlichkeit und Aufklärung, dann ist der Abstand zu den bekannten Diktaturen und totalitären Regimen der Vergangenheit auf einen mikroskopisch kleinen Wert zusammengeschrumpft. Ein Machtnetzwerk, das alles tun kann ohne jegliche demokratische Kontrolle, ohne Bezug zur Wahrheit (schließt Öffentlichkeit ein) ist keine Demokratie mehr.

KEINE DEMOKRATIE OHNE WERTE

(10) Jetzt könnte man die Frage aufwerfen, ob die Zeit für Demokratien vielleicht vorbei ist; vielleicht wollen die Menschen gar keine Demokratien mehr. Vielleicht war dies ja nur so eine vorübergehende Mode und heute wollen diejenigen, die machtaffin sind lieber einen totalitären Staat, und diejenigen, denen alles zu kompliziert ist, die wollen ihr Brot-und-Spiele Dasein (mit ‚Dschungelcamp‘ am Abend, oder ‚Deutschland sucht den Superstar‘ oder ‚Wetten dass‘ oder das nächste Supermodel oder oder….) mit einem bekömmlichen Auskommen; die paar Intellektuellen, denen dies alles keinen Spaß macht, die grämen sich halt berufsmäßig, weil sie nichts Besseres können, als überall Haare in der Suppe zu suchen. Dies ist eine Frage der ‚Lebensentwürfe‘, der ‚gemeinsam geteilten Werte‘. Wo kommen diese Werte her? Wer propagiert in Deutschland (oder in den USA) aktiv Werte? Welche Werte? Das Wort ‚Wert‘ wirkt als solches eher sehr abstrakt, kühl, leer, nichtssagend. Dennoch, sobald wir konkret handeln, fällen wir implizit Entscheidungen. Wenn wir A tun, dann findet alles andere außerhalb von A nicht statt. Und wenn sehr viele A tun, finden überwiegend alles andere außer A nicht statt. Wenn sehr viele z.B. Dschungelcamp schauen und alles andere nicht tun, dann können Vertreter der Macht Dinge tun, die mit Demokratie nichts zu tun haben und keiner wird es merken?

(11) Eine Wertedebatte im Umfeld des Projektes ‚Demokratie’hätte sehr viele Aspekte. Ranga Yogeshwar (siehe auch die private Webseite von Ranga Yogeshwar) griff einen heraus, der sehr konkret ist, der alle Menschen dieser Erde betrifft, auch uns Deutsche. Es ist der Aspekt, der in vielen vorausgehenden Blogeinträgen dieses Blogs auch immer schon herausgestellt worden ist, nämlich die vollständige Rechtlosigkeit der US- und Nicht-US-Bürger aus Sicht des US-amerikanischen politischen Systems. Dies ist eigentlich an sich schon ein bizarrer Tatbestand, da die US-amerikanische Verfassung auf die Rechte aller Menschen abhebt ohne die Menschen jenseits der Landesgrenzen als Menschen anzuerkennen; dies wird aber umso bizarrer, wenn das US-amerikanische System um Vertrauen in Deutschland wirbt, zugleich aber keinem einzigen deutschen Bürger auch nur minimale Rechte vor einem US-amerikanischen Recht zugesteht. Das ist in etwa so, als ob ein ‚Menschenfresser‘ sein Opfer bitten würde, ihn doch zu lieben. Ein Vertreter der Mandarine der Macht antwortete zu dieser Feststellung Yogeshwars nur mit einem Schweigen.

(12) In diesem Zusammenhang machte Egon Bahr in der Runde mit Maybrit Illner auf einen anderen Umstand aufmerksam, der in den letzten sechs Monaten zwar immer wieder aufschien, aber in seinen politischen Verschränkungen bislang in der Öffentlichkeit noch nie so klar ausgesprochen wurde. Dass die amerikanischen Geheimdienste (vor allem die NSA) alle die Überwachungstätigkeiten, die ihnen selbst in den USA verboten sind, durch den kooperierenden englischen Geheimdienst GCHQ (Government Communications Headquarters, deutsch: Regierungskommunikationshauptquartier) (siehe auch http://www.gchq.gov.uk/Pages/homepage.aspx) ausführen lassen und umgekehrt, das ist langsam bekannt. Dass aber die britische Regierung innerhalb der EU ihre Sonderrolle möglicherweise dazu benutzt, die US-amerikanischen Interessen einzubringen, das ist in dieser Konkretheit neu. Bahr ging sogar soweit, zu unterstellen, dass die Briten ihre Sonderrolle benutzen, um europäische Maßnahmen zum Schutz gegen die Übergriffe US-amerikanischer Dienste und Firmen abzublocken.

EINE HANDELT

(13) Die deutsche Politik fällt bei all diesen Vorgängen bisher durch Schweigen auf, durch Inkompetenz, oder gar durch ‚Verniedlichung‘, die die Grenze zur Verantwortungsverweigerung bzw. Amtsmissbrauch möglicherweise schon längst überschritten hat. Dass die Bundeskanzlerin als Meisterin des ‚Nichtssagens im Sagen‘ in ihrer inhaltslosen Regierungserklärung den Bedarf an Klärung in dieser Sache überhaupt erwähnt hat, ist für ihre Verhältnisse möglicherweise viel, aber gemessen an der Schwere des Sachverhalts so etwas von Nichtssagend, dass auch hier eine Abgrenzung gegenüber einer Amtsverweigerung nicht leicht zu erklären ist.

(14) Vor diesem Hintergrund hebt sich Constanze Kurz, u.a. Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC) geradezu wie ein Leuchtfeuer ab. Hochkompetent und engagiert hat sie eine Strafanzeige gegen die Bundesregierung vorbereitet (Unterstützt durch viele andere), in der namentlich Mitglieder der Bundesregierung und Chefs deutscher Geheimdienste wegen heimlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur umfassenden Netzspionage der NSA angezeigt werden. Parallel hat sie (u.a. zusammen mit der Internationale Liga für Menschenrechte eine weitere Klage gegen den britischen Geheimdienst GCHQ beim europäischen Gerichtshof eingeleitet. Diese Klage hat in Straßburg sofort Priorität erhalten und die britische Regierung wird darin aufgefordert, die Überwachung aller Kommunikation zu rechtfertigen. Diese Klage vor dem europäischen Gerichtshof gewinnt ihre besondere Brisanz dadurch, dass drei Bürgerrechtsgruppen zuerst in Großbritannien versucht hatten, gerichtlich gegen die Überwachung vorzugehen. Doch die britische Regierung habe erklärt, britische Gerichte würden diesen Fall nicht bearbeiten. Zuständig sei stattdessen die parlamentarische Geheimdienstkontrolle. Doch weil diese Teil des Überwachungssystems sei und ihre Entscheidungen nicht gerichtlich anfechtbar ist, habe man sich stattdessen an Straßburg gewandt.

(15) Dieses Beispiel zeigt, dass die demokratische Kontrolle der Dienste nicht nur in den USA faktisch außer Kraft gesetzt worden ist, sondern dass dies auch schon in Großbritannien der Fall ist. Normale Bürger sind diesen System völlig schutzlos ausgeliefert.

DIE GESCHICHTE IST NICHT ZU ENDE

(16) Die Geschichte ist hier nicht zu Ende. Das Phänomen der ‚Macht‘, das sich in all diesen Verhaltensweisen und Ereignissen auswirkt, ist damit nicht einmal ansatzweise beschrieben. Das Fortbestehen der demokratischen Gesellschaftsformen in den USA und Europa ist offen. Die alles begründenden Wertfragen sind seit Jahrzehnten aus den Diskussionen verschwunden. Dass wir selbst in all dem das größte Problem sind, wir als Menschen, und wir auf vielfältige Weise demonstrieren, dass wir an den Grenzen unseres humanen Kapitals operieren, dass wir die Technik ungeahnt haben weiterentwickeln können, dass wir aber wertmäßig und psychologisch verglichen mit den alten Kulturen wenig oder gar nicht weiter sind, das sollte uns zu denken geben. Aber hier liegt auch das zentrale Problem: wie können wir uns selbst verbessern, wenn wir selbst so viele biologisch-psychologischen-kognitiven-seelischen-wertmäßigen Schwachstellen aufweisen? Vergessen wir die Ausrede mit Gott. Alles, was wir über den – ansonsten unbekannten – Gott wissen, wissen wir wiederum nur von Menschen, die behaupten, dass sie etwas von Gott wissen. Dementsprechend ‚allzu menschlich‘ klingt auch alles, was Menschen über Gott sagen. Möglicherweise gibt es sogar etwas, was wir mit ‚Gott‘ meinen; ich glaube sogar, dass dies wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Aber, das klingt paradox, wir werden Gott solange nicht verstehen, solange wir uns selbst nicht als Teil des gigantischen Weltprozesses verstehen lernen. Die Wahrheit ist allemal schon da, nur bräuchten wir dazu u.a. Mandarine der Macht, die die Wahrheit nicht verdrängen und die die übergreifenden Werte ernst nehmen.

IST DIE DEMOKRATIE DOCH NOCH NICHT GANZ AM ENDE? HUBERT SEIPELs INTERVIEW MIT SNOWDEN IN DER ARD So 26.Januar 2014

IN DIESEM BLOG

schreibe ich seit Juni 2013 (auch) zu den Themen, die die Veröffentlichungsaktionen von Edward Snowden ausgelöst haben. Weder war ich bis dahin sehr politisch noch hatte ich vor, über diese Themen zu schreiben. Aber, wenn man an den grundlegenden Strukturen dieser unserer Welt interessiert ist, an der allgemeinen Entwicklungsdynamik über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus, dann ist es fast unmöglich, die Entwicklung der US-amerikanischen Gesellschaft, ihres politischen Systems und ihrer Rolle in der Welt ‚zu übersehen‘. Was immer wir uns philosophisch-wissenschaftlich denken können und wollen, in der konkreten Realität unserer Welt im Jahr 2014 spielen die USA immer noch eine solch unvergleichliche Rolle, dass ein Schweigen dazu das gleiche wäre, als ob jemand vor einem lodernden Feuer stehen würde und so täte, als ob es dieses nicht gäbe. Damit will ich nicht sagen, dass Länder wie Rußland und China unwichtig wären, oder gar Europa und Südamerika, aber bei allem, was man Wichtiges über diese anderen Länder sagen kann, aus meiner Sicht kommen den USA eine absolute Sonderstellung zu, da Sie das Paradigma für die Entstehung und Praxis einer demokratischen Gesellschaft in der Neuzeit schlechthin sind, dies gepaart mit einer wirtschaftlichen und militärischen Macht, die noch immer eine Führungsrolle in der Welt innehat.

DIE BRISANZ: DEMOKRATIE AM SCHEIDEWEG

Während viele Monate die Snowden-Affäre eher rein ‚technisch‘ gesehen wurde – und bei sehr vielen (den meisten?) noch immer – , Abhöraktivitäten, die man durch technische Maßnahmen eindämmen oder unterbinden könnte, hatte ich schon ab Ende Juli 2013 (angeregt durch TomEngelhardt und seine tomdispatch.com Webseite) damit begonnen, nach den politischen Konsequenzen und Rahmenbedingungen zu fragen, innerhalb deren solche weltweiten Abhörmaßnahmen möglich waren: Die Originaltexte der US-amerikanischen Verfassung, verschiedene Gerichtsurteile, viele Veröffentlichungen und Dossiers der Washington Post und anderer engagierter demokratischer Institutionen und Bewegungen (z.B. die American Civil Liberties Union (ACLU), und mehr.

Fügt man diese verschiedenen Quellen zu einem Gesamtbild zusammen, dann kann man den Eindruck bekommen, dass (i) die Texte und die Interpretation der US-amerikanischen Verfassung mehr und mehr hinter die technische Entwicklung zurückgefallen sind. Dass ferner (ii) die Besonderheit der US-amerikanischen Verfassung mit der starken Stellung des Präsidenten zusammen mit dem politischen Universaltrigger ‚Nationale Sicherheit‘ geeignet sind, alle anderen demokratischen Elemente auf Dauer zu neutralisieren, und dass (iii) eine Gemengelage von nationalem Stolz, Bedrohungsszenarien und starken militärisch-wirtschaftlichen Partikularinteressen hinter der Regierungsmaschinerie – über Jahrzehnte — eine riesige Druckwelle aufgebaut haben, die sich diese Schwachstellen der amerikanischen Verfassung und realen Politik zu Nutze gemacht haben und machen.

Für viele (die meisten?) Menschen sind diese Gedanken so ungeheuerlich, dass sie sich spontan innerlich wehren, so etwas überhaupt zu denken (zumal es ja immer bequemer ist, nicht zu denken, als durch eigenes Denken auf unangenehme Sachverhalte zu stoßen). Denn, wäre die Realität tatsächlich so, wie die verschiedenen Veröffentlichungen und Ereignise es nahelegen, dann hätten wir nicht nur mit einer eminente technologische ‚Krise‘ aus Sicht der Anwender zu tun, sondern wir hätten eine eminente politische Krise mit Blick auf den Status und die Zukunft einer demokratischen Gesellschaft primär in den USA, dann aber auch in der ganzen Welt (aufgrund der gegeben Sonderstellung der USA (es ist nicht absehbar, wann Rußland oder China zu demokratischen Gesellschaften werden; wäre dies der Fall, würde dies natürlich die Machtverhältnisse erheblich verschieben, mehr, als durch jeden noch so großen Rüstungsetat)).

SNOWDEN, DAS ZIPFELCHEN HOFFNUNG

Vor diesem weltpolitischen Hintergrund bekommt die persönliche Aktion von Edward Snowden eine besondere Bedeutung.

Steht man auf dem Standpunkt, dass die Aktivitäten der verschiedenen Geheimdienste in den USA – insbesondere auch die der NSA — auf dem Boden der Verfassung stehen und der nationalen Sicherheit dienen, dann erscheint Snowden als ‚Verräter‘; steht man auf dem Standpunkt, dass die Dienste – insbesondere die NSA – den Boden der Verfassung längst verlassen haben (bzw. selbst wenn Sie formal mit dem geltenden Gesetz übereinstimmen, sie doch faktisch den ‚Geist‘, die ‚Intention‘ der amerikansichen Verfassung) ‚verlassen’/ ‚verletzt‘ haben)), dann erscheitn Snowden als ‚Whistleblower‘, d.h. als ein Mensch, den eine hohe ethische Verantwortung dazu treibt, erkannten Machtmissbrauch öffentlich zu machen.

Die tatsächlich Praxis im Umgang mit Whistleblower lässt den Eindruck entstehen, dass potentielle Whistleblower in der letzten Zeit verstärkt (unter Obama!?) schon im Vorfeld ’neutralisiert‘ werden, was es für einen potentiellen Whistleblower fast unmöglich erscheinen lässt, sein Anliegen vor zu bringen. Die vielfachen Aussagen von Snowden zu diesem Punkt deuten darauf hin, dass er dieses Problem des im Vorfeld ’neutralisiert Werdens‘ sehr ernst nimmt und deswegen den ungewöhnlichen Weg gewählt hat, einen vorläufigen Schutz außerhalb der USA zu suchen.

Während die ‚Regierungstreuen‘, die auf das formale Recht pochen, Snowden genau dies zum Vorwurf machen, dass er sich nicht den US-amerikanischen Behörden stellt (und sie offensichtlich das Verhalten der eigenen Behörden in einem eher positiven Licht sehen trotz aller entgegenstehenden Fakten), liegt es in der Logik der Sachverhalte, die Snowden enthüllt hat, dass die Auswirkungen der Tätigkeiten US-amerikanischer Behörden sich in diesem Fall ja nicht auf die USA beschränken, sondern nahezu alle Länder (und damit Menschen) dieser unserer Erde betreffen. Snowden ist ein Mensch , der offensichtlich die Geltung und Bedeutung von Demokratie und Menschenrechten auch jenseits der Landesgrenzen der USA sieht und persönlich für wichtig hält und deshalb eine ethische Verantwortung spürt, diesen ‚Menschen‘ außerhalb der USA ein Signal zu senden, was mit Ihnen durch die US-amerikanischen Behörden gemacht wird (natürlich auch mit den Bürgern der USA selbst).

Zum Verständnis der US-Behörden ist auch wichtig zu erinnern, dass die US-Behörden jegliche Normen und rechtliche Institutionen außerhalb der USA für sich kategorisch ablehnen. Weder erkennen sie für das Handeln von US-Behörden die Menschenrechte an noch irgendwelche Verlautbarungen der UN oder irgendwelcher Gerichte (diese Verletzungen durch US-Behörden gehen mittlerweile – nach den bekannten Fakten – in die hundert Tausende, wenn nicht Millionen). Jeder Nicht-US-Mensch ist für die US-Behörden aktuell laut Gesetzt vollständig rechtlos und kann jederzeit ohne jeglichen juristischen Beistand beliebig ‚vereinnahmt‘ werden. Rechtsverletzungen, sogar Menschenrechtsverletzungen an Nicht-US-Menschen, spielen in den Augen von US-Regierungsbehörden daher keine wirkliche Rolle. Dass Snowden möglicherweise die ethischen und juristischen Interessen von vielen Millionen Nicht-US-Menschen durch seine Aktion zu schützen versucht, ist gemessen an der offiziellen US-amerikanischen Rechtsauffassung irrelevant. Aus Sicht der US-Regierung hat er – so stellt es sich in der Außenwirkung dar – das US-Recht elementar verletzt.

Ob Snowden nun tatsächlich im Sinne der herrschenden US-Regierungsinterpretation von US-Recht anzuklagen ist oder ob er im Lichte übergreifender Rechtsauffassungen gerade das uns alle tragende und verbindende Recht, auf dem ALLE Demokratien beruhen, eher geschützt hat, wird sich so schnell nicht einvernehmlich klären lassen. Fakt ist allerdings, dass Snowden es geschafft hat, mit seiner Aktion, die Diskussion über die demokratischen Grundlagen der aktuellen Technologieentwicklung und ihrer verdeckten Nutzung durch Regierungsbehörden ansatzweise in die Öffentlichkeit und in die Diskussion zu bringen.

KORNBLUM IST KORNBLUM

Vor dem ersten Fernsehinterview von Snowden weltweit am So 26.Januar 2014 gab es eine Diskussionsrunde mit Günther Jauch, in der als Gast auch John Kornblum teilnahm (übrigens nicht zum ersten Mal). Kornblum ist zwar ingewisser Weise eben Kornblum und nicht direkt mit irgendeinem anderen direkt vergleichbar, aber dennoch leuchtet in seiner Person eine Haltung, ein Denken auf, das nach meinem Verständnis der US-Behördenhaltung sehr nahe kommt: einerseits – und auf den ersten Blick – wirkt er wie ein ’naiver Konservativer‘, der schon den leisesten Zweifel an möglichen Verfehlungen der Regierung oder ihrer Behörden im Keime einfach ablehnt (was angesichts der vielen historisch erwiesenen Fakten schwer nachvollziehbar ist; aber vielleicht daraus resultiert, dass er wirtschaftliche Interessen vertritt und massiver Lobbyist ist); andererseits hat er einen Blick in und auf die technologisch-wirtschaftliche Entwicklung und die damit einhergehenden politischen Machtprozesse, die ihn deutlich von den anderen Diskussionsteilnehmern abhoben. Einerseits eine erschreckende ‚Naivität‘, andererseits einen Tief- und Weitblick, der die Logik der aktuellen Entwicklung deutlich thematisiert. Gerade aber wenn man diese ansatzweise vorhandenen Einsichten annimmt, verwundert es aber auch, wie wenig kritisch er das demokratisch-ethische Umfeld dieser Entwicklungen sieht; zumindest hat er im Gespräch alles vermieden, um diesen Punkt anzusprechen.

Möglicherweise lag das auch an seinen Gesprächsgegenübern in Gestalt von Interview-Autor Hubert Seipel, MdB Christian Ströbele (Grüne) und der Politikerin und Bloggerin Marina Weisband (Piraten). Sie alle drei vertraten – auf unterschiedliche Weise – die Wertedimension im Umfeld von Snowdens Aktion. Die tatsächlichen politischen, wirtschaftlichen und technologischen Prozesse kamen bei Ihnen hingegen kaum zur Sprache. Die verschiedenen Bälle, die Kornblum ihnen mit seinen Aussagen zuspielte, wurden nicht aufgegriffen. Andererseits blockte Kornblum mit seiner extrem unkritischen Haltung gegenüber der US-Regierung viele interessante Ansätze ab. Jauch als Moderator gelang es nicht, die verdeckt vorhandenen Brücken auszunutzen, um über das reine Konfrontieren der verschiedenen Positionen hinaus zu kommen.

WIE GEHT ES WEITER?

Allein die Tatsache, dass das Deutsche Fernsehen in Gestalt von ARD, ZDF, arte sich engagiert des heiklen Themas Snowden und politisches Umfeld annehmen (und auch manche Zeitungen in Deutschland wie FAZ, Spiegel, die Zeit…) gibt Hoffnung, dass das bisherige nahezu totale Versagen der deutschen (und europäischen) Politik in diesen Fragen nicht das letzte Wort sind. Nachdem es viele tausend Jahre gedauert hat, bis es demokratisch verfasste Gesellschaften auf diesem Planeten Erde gab, wäre es furchtbar, wenn durch Dummheit, Feigheit der aktuellen Politikergeneration (und ihrer Behörden?) das Projekt demokratischer Gesellschaften mit all ihren Werten einem dumpfen Nationalismus und menschenverachtender Wirtschaft und Technologie zum Opfer fallen würde. Das Projekt ‚Leben auf der Erde‘ (und möglicherweise im Kosmos) ist evolutionstheoretisch gerade erst am Anfang. Wir stehen ganz am Anfang eines neuen, tieferen Verständnisses dessen, was überhaupt Leben ist, was ‚Geist‘ ist, was ‚das Ganze‘ überhaupt soll, wer ‚wir sind‘. Es wäre tragisch, wenn wir als Menschen genau an jenem historischen Punkt, an dem wir anfangen, neu zu verstehen, durch dumpfe kurzfristige Machtinteressen in die Dunkelheit des Nichtwissens zurückgeworfen werden. Dass wir eine weltweite Globalisierung durch immer mehr technische Möglichkeiten beobachten, ist in sich nicht notwendigerweise schlecht; es scheint sogar genau der Logik der Evolution zu entsprechen. Nur ist die Frage, wie wir als Menschen damit umgehen. Die große Entwicklung verlangt von uns neue Menschenbilder und eine neue, vertiefte Ethik. Die USA wären dazu prädestiniert, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen, aber viele Behörden, Regierungsvertreter und Wirtschaftsführer erwecken den Eindruck, dass sie in einem dumpfen, unreflektierten Nationalismus verharren, der unfähig ist, die Weite der Verantwortung für die grenzüberschreitenden Werte der demokratischen Ideale zu erkennen. Technologisch sind die USA ein Riese, ethisch-politisch-moralisch erwecken sie den Eindruck, dass sie (nicht alle!!!) in einer Vergangenheit verharren, die langfristig den eigenen technologischen Vorsprung zerstören wird.

Der menschliche Geist ist aber prinzipiell für Überraschungen gut. Nicht jedes totalitäre Regime muss a la Stalin – Hitler – Mao im Chaos enden. Vielleicht erweist sich im Nachhinein , dass Snowden der entscheidende Unterschied war.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.