Archiv der Kategorie: Lernen – funktionell

DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE – In gewisser Weise ‚Ja‘

ANREGUNG VON PLATO & ARISTOTELES

  1. Im Kontext der Relektüre von Platon und Aristoteles, zunächst angeregt durch das Buch von Decher, dann vertiefend mit anderen Büchern, entstand immer mehr der Eindruck, dass das Ringen von Aristoteles um eine realistischere Sicht der Ganzheit des Lebens im Vergleich zu dem stark dualistisch-apriorisierenden Denken Platons, in seinem Kern, in den erkennbaren Strukturen, nicht so weit weg ist vom heutigen Denken. Natürlich muss man einige Begriffe neu übersetzen, natürlich muss man viele Details aktualisieren, aber die gesamte Ausrichtung gibt eine Fülle von Anregungen, die auch Lücken in unseren heutigen Ansätzen sichtbar machen. Die Meinungen gehen auseinander, ob Aristoteles auf der Zielgeraden letztlich dann doch Platons Sicht übernommen hat (Priorität und Andersartigkeit des Geistes über und vor allem anderen), oder ob man seine ähnlich klingenden Begriffe nicht doch von seinem Gesamtansatz her doch anders denken müsste.
  2. Bevor es aber dazu kam, dass ich mich in diese Begriffswelt von Platon, ganz besonders aber von Aristoteles, neu versenken konnte, setzte sich ein ganz anderes Karussell von Analogien in Bewegung.
Die fünf Paradoxien - Vorstufe: Geist und Materie
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Vorstufe: Geist und Materie

BIOLOGISCH VERSUS TECHNOLOGISCH

  1. Das vorausgehende Diagramm zeigt eine Gegenüberstellung von biologischen Systemen, wie z.B. dem homo sapiens, und von technischen Systemen wie z.B. intelligente Maschinen.
  2. Das Faszinierende bei biologischen Maschinen ist das Phänomen, dass rein materielle Bestandteile – wie man salopp im Alltag sagen würde – in der Lage sind, hochkomplexe Verhaltensweisen zu ermöglichen, die wir umschreiben mit Worten wie nett, liebenswürdig, gemein, aggressiv, dumm, intelligent, einfühlsam, vorausschauend, usw. Einem Menschen schreiben wir gewöhnlich geistige-emotionale Eigenschaften zu (ganz im Stile von Platon und Aristoteles; wobei beide nicht nur vom Geist sprechen, sondern auch von der Seele als dem eigentlichen Lebensprinzip mit dem Geist als Huckpackeigenschaft).
  3. Da wir heute die materiellen Bestandteile immer mehr auf ihre Zusammensetzung hin analysieren können (anders als Platon und Aristoteles), können wir wissen, dass der Körper ein Verband von vielen Billionen (10^12) Zellen darstellt, die wiederum aus einer unfassbar großen Zahl von Molekülen bestehen, diese wiederum aus Atomen, diese wiederum aus subatomaren Teilchen, die sich dann im Raum quantenphysikalischer Modelle von Wahrscheinlichkeitsverteilungen verlieren.
  4. Und dieses ganze Ensemble benötigt in jedem Moment Energie, die über Nahrung zugeführt wird; zusätzlich auch Flüssigkeit. Wird diese Zufuhr lang genug unterbrochen, bricht das System in sich zusammen. Wir sagen, es stirbt, und damit verschwindet auch sein Verhalten; die Aktivitäten, aufgrund deren wir einem Organismus Gefühle und Geist zugeschrieben haben, sind nicht mehr da. Ist damit der Geist (oder wie Platon und Aristoteles sagen würden: die Seele) auch vollständig weg (bei Aristoteles ja, bei Plato nein), oder existieren diese Nicht-Dinge Seele und Geist getrennt von den biologischen Körpern irgendwie weiter? Falls dem so wäre, müsste die Existenzform von Seele (Psyché) und Geist (Nous) im Sinne von Platon (und z.T. Aristoteles) anders sein als die Existenzform, die wir von biologischen Körpern kennen.
  5. Eher spontan hatte ich neben diese Struktur von biologischen Systemen jene von sogenannten intelligenten Maschinen aufgezeichnet. Strukturell kann man eine starke Analogie beobachten. Auch hier kann man materielle Bestandteile unterscheiden (Chips, Gatter, Verbände von Atomen), die ihre Zustände ändern können, und ein Verhalten, das man – je nach Ausführung und Kontext – auch als nett, intelligent, vorausschauend usw. beschreiben könnte.
  6. Solange Menschen wissen, dass es ja nur eine Maschine ist, sagen sie immer, das ist natürlich nicht wirklich wie beim Menschen. Ist es nicht so offensichtlich (z.B. bei Hausrobotern, die äußerlich wie echte Tiere aussehen), dann verschwindet dieser Vorbehalt und Menschen entwickeln zu den Maschinen eine – zumindest äußerlich ähnlich erscheinende – Beziehung wie zu biologischen Systemen.
  7. Auch Maschinen benötigen beständig Energie, um funktionieren zu können. In dem Fall elektrische Energie, die mittels Transformationsprozessen aus natürlichen Energiequellen gewonnen werden (Fossile Energien, biologische, Wasser- und Windenergie, Sonnenenergie, atomar, …).
  8. Im Wissen um die unterschiedlichen materiellen Substanzen, die den Verhaltensmanifestationen zugrunde liegen, stellt sich die Frage, wie kann es sein, dass so unterschiedliche Strukturen ein so ähnliches Verhalten hervorbringen können? Wie groß ist die Ähnlichkeit? Welche Rückschlüsse kann man auf den bei biologischen Systemen unterstellten Geist (bzw. auch auf das Lebensprinzip der Psychè von Platon und Aristoteles) ziehen nur aufgrund der unterschiedlichen materiellen Strukturen, die sie hervorbringen? Hätte ein Aristoteles seine Überlegungen geändert, wenn er von diesen neuen Details gewusst hätte? Platon möglicherweise ja, Aristoteles – nach meiner Einschätzung – eher nicht. Das Modell von Aristoteles könnte theoretisch mit diesen neuen Erkenntnissen umgehen.
  9. Die ganze Frage besitzt noch eine pikante Note, da die sogenannten intelligenten Maschinen ja nicht an Bäumen wachsen oder als Teil von Korallenriffen entstehen, sondern sie sind vollständig ein Produkt des homo sapiens, seines Denkens und seines Produzierens. Es ist der Mensch, der im Laufe der Jahrtausende gelernt hat, seine Wahrnehmung der Welt zu strukturieren, sie mittels Sprachen mit anderen zu teilen, sie in Handlungen zu überführen, und nach und nach es geschafft hat, die Funktionsprinzipien der Natur – einschließlich der biologischen Phänomene, also auch von sich selbst – soweit zu rekonstruieren, dass er Gebäude errichten konnte, ganze Städte baut, Flugkörper, Kommunikationsmittel, Computer, die ihm helfen können, sein eigenes Denken mehr und mehr zu imitieren und partiell sogar zu übertreffen. Anders gewendet, es ist der Mensch, der seine Art zu denken sowohl in ein gedachtes Modell übersetzt hat (Turing, von Neumann), als auch in eine reale Maschine (viele Personen), die man anschauen, mit der man konkret arbeiten kann.
  10. So betrachtet liegt eigentlich keine Parallelität vor, sondern eher so etwas wie eine Aufschichtung: die materiellen Strukturen des Menschen (sein Körper) sind in der Lage, intern Wolken von Ladungszuständen zu erzeugen und zu modifizieren, mittels denen sie die erfahrbare Welt wahrnehmen, vorstellen und denken können. Mittels diesen Bildern von der aktuellen Welt wie von denkbaren = möglichen Welten hat der Mensch ein mögliches Modell eines künstlichen Geistes gedacht und realisiert, der erkennbare Prinzipien der biologischen Natur sichtbar macht und dem Handlungs- und Denkraum des Menschen hinzufügt.
  11. Der Mensch selbst ist direkt und unmittelbar ein Produkt des evolutionären Naturprozesses. Die intelligenten Maschinen sind – vermittelt durch den biologischen Geist des Menschen – ebenfalls ein Produkt der Evolution. Allerdings finden wir hier eine dramatische Weiterentwicklung im Mechanismus der biologischen Evolution! Verfügte die Evolution bis zum Auftreten des homo sapiens nur über die Möglichkeit, anhand von (blinden! Rein zufälligen!) Änderungen im DNA-Molekül Veränderungen im Bereich des biologischen Lebens herbei zu führen, so stellte die Struktur des homo sapiens selbst schon eine Revolution dar: die biologische Möglichkeit innerer geistiger Zustände in einem biologischen System, die Fähigkeit von Selbstbewusstsein, das sich selbst als in der Welt seiend wahr zu nehmen, alternativ zu denken und zu kommunizieren, dies ermöglicht eine völlig neue Weise, Veränderungen im Kontext der biologischen Evolution einzuführen! Statt viele hundert oder tausend oder noch mehr Generationen abwarten zu müssen, bis irgendwelche zufälligen Änderungen eine brauchbare Veränderung entstehen ließen, kann jetzt jeder einzelne homo sapiens im Verbund mit allen anderen sehr schnell beliebige und komplexe Änderungen erfinden und umsetzen. Ergänzt und verstärkt durch intelligenten Maschinen kann dieser Prozess noch komplexer, noch schneller ablaufen. Einbettet in Netzwerke und verbunden mit Datenbanken ist prinzipiell noch mehr möglich.
  12. Nur der Mensch selbst, seine aktuelle körperliche und – wie wir noch immer salopp sagen – seine psychologische Struktur erweisen sich immer mehr als Hemmschuh: unsere Informationsverarbeitungskapazität ist sehr beschränkt und unser emotionales und triebhaftes Korsett erweist sich als sehr eng, schwerfällig und schlecht angepasst. Möglicherweise der größte Anteil aller Zukunftsmöglichkeiten des einzelnen und der ganzen Populationen wird aktuelle vergeudet, weil die Menschen nicht in der Lage sind, mit ihren Emotionen und Trieben nachhaltig umzugehen.
Die fünf Paradoxien der Menschheit heute - Version 2
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 2

ENTSTEHUNG VON KOMPLEXITÄT

  1. Damit kommen wir zur zweiten Skizze. Sie ist aus der ersten hervorgegangen.
  2. Ausgangspunkt waren die biologischen Strukturen, und hier das Phänomen der Entstehung der Komplexität im Laufe der Zeit.
  3. Zwar haben wir bislang eigentlich nur winzige Fragmente der vorausgehenden Zeit, aber mit den heutigen Methoden der Genetik und Molekularbiologie (ergänzt um viele Methoden aus vielen anderen Wissenschaften) ermöglichen diese Fragmente Blicke zurück in die Zeit, die bis noch vor 10 – 20 Jahren unvorstellbar waren. Immer noch verstehen wir nicht alles; immer noch bleiben viele Fragen offen; aber das Gesamtbild gewinnt immer mehr Konturen.
  4. Es gibt viele Ansätze, wie man diese Zeit des biologischen Lebens auf der Erde (ca. 4 Mrd.Jahre von heute rückwärts) strukturieren und deuten kann. Einer von vielen ist z.B. der von Nick Lane (2009), der versucht hat, die zehn wichtigsten Ereignisse der biologischen Evolution zu identifizieren und zu beschreiben. Er bezieht zwar das Phänomen des Bewusstseins (consciousness) mit ein, nicht mehr aber das, was sich auf der Basis von Bewusstsein dann getan hat. Für ihn als biologischer Chemiker ist dies nachvollziehbar, aber dem Phänomen der Evolution wird es möglicherweise nicht gerecht, weil Evolution mehr ist als das, was die Biochemie erfassen und behandeln kann.

NATUR UND GEIST

  1. Die Aufspaltung der Wissenschaft in Natur- und Geisteswissenschaften hat zwar in Europa eine lange (unglückliche?) Tradition, aber aus historischen Zufälligkeiten und Gewohnheiten folgt nicht ohne weiteres, dass dies auch dem Phänomen des Lebens als Teil der Natur gerecht wird. Der Mensch selbst erscheint aktuell als jene Revolution der Evolution, durch die sich die sogenannte materielle Natur in eine sogenannte geistige Natur transformiert hat. Die Revolte von Aristoteles gegen Plato wurzelt genau hier: Aristoteles wollte das Geistige als Teil des Natürlichen verstehen. Mit dem heutigen Wissen sind wir soweit, dass wir von dem heute Wissbaren ausgehend eigentlich nur sagen können, dass das bekannte Geistige eine Eigenschaft der bekannten materiellen Natur ist. Wer diese Aussage vorschnell als mögliche Abwertung des Geistigen versteht, sollte einen Moment innehalten: er/ sie sollte sich fragen, was er/sie denn vom sogenannten materiell Natürlichen weiß?
  2. Wenn es so ist, dass das bekannte Geistige als Eigenschaft des Natürlichen auftritt, sich zeigt, manifestiert, dann wäre die normale logische Fragerichtung jene, eben dieses materiell Natürliche einer neuen Analyse (und Interpretation) zu unterziehen. Wenn sogar intelligente Maschinen Phänomene hervorbringen können, die wir geistig zu nennen gewohnt sind, dann muss man die Frage stellen, welche inhärenten/ impliziten Eigenschaften des Materiellen sind es, die Geistiges real werden lassen?
  3. Bislang wissen wir, dass die komplexen Zellansammlungen von biologischen Lebewesen sich nur sehr langsam entwickelt haben. Allein schon der Übergang von einzelnen Zellen zu größerem Zellverbänden, die kooperieren, hat Milliarden Jahre gedauert. Und der Übergang von Molekülen zu Strukturen wie es eine Zelle ist hat mindestens einige hundert Millionen Jahre gedauert. Vollständige Erklärungsmodelle, wie man sich diesen Bildungsprozess auf der Basis der bekannten Naturgesetze vorstellen sollte, liegen noch nicht vor.
  4. Die bisherigen Denkmodelle der Physik zur Entstehung des bekannten Universums bieten nicht all zu viel: ein singuläres Energieereignis, in dessen Gefolge sich bei Abkühlung immer mehr Strukturen zeigten (subatomar, atomar, …), die zur Entstehung von Sternen führte, deren Fusionsprozesse weitere schwere Atome hervorbrachten, die wiederum zu Bausteinen jener Moleküle wurden, die im Verlauf von ca. 9 Mrd. Jahr dann bei der Entstehung biologischer Zellen beteiligt waren. Dann noch ein Entropiegesetz, das nicht wirklich ein Gesetz ist und vielfältige Interpretationen zulässt. Schließlich ein großes Schweigen angesichts des Phänomens einer nach 9 Mrd Jahren einsetzenden (biologischen) Komplexitätsbildung, für dies es bis heute keinerlei Ansatzpunkte in den bisherigen physikalischen Modellen gibt. Diejenigen Eigenschaften von Molekülen, die sich physikalisch erklären lassen, reichen nicht aus,um das Gesamtverhalten befriedigend erklären zu können.
  5. Die berühmte Formel von Einstein e=mc2 , durch die eine Beziehung zwischen dem Term Energie e und dem Term Masse m mal Quadrat der Lichtgeschwindigkeit c2 erhält ihre Bedeutung natürlich nur innerhalb des mathematischen Modells, in dem diese Terme definiert sind. In einer saloppen Interpretation kann man aber vielleicht sagen, dass die beobachtbaren (messbaren) Massen und Geschwindigkeiten mit jener Energie korrespondieren, die notwendig ist, dass sich dies beobachten lässt. Masse kombiniert mit Raumzeit ist die Manifestation von jener Energie, die die Physik bislang in ihre Modelle abgebildet hat. Dass diese Massen innerhalb der Raumzeit zu einem Prozess fähig sind, den wir als Ansteigen von funktionaler Komplexität im Bereich biologischer Systeme identifizieren, ist in den bisherigen physikalischen Modellen schlicht nicht vorgesehen. Warum auch; ein normaler Physiker interessiert sich nicht für Phänomene des Lebens (außerdem hat er ja auch ohne die biologischen Phänomene noch genügend Baustellen (dunkle Materie, dunkle Energie, Gravitation,…). Und jene Physiker, die es dann doch manchmal versucht haben (Schroedinger, Davis, ..) sind dann in den Modus des Staunens verfallen und haben immerhin dahingehend Größe gezeigt, dass sie ihr Nocht-Nicht-Verstehen zugegeben haben.
  6. Schliesslich gibt es auch noch die offene Frage, wie man den von den Möglichkeits- und Wahrscheinlichkeitsräumen der Quantenphysik zur jeweilig konkreten Welt (Universum) kommt. Zu sagen, dass unendlich viele Welten rein theoretisch möglich sind, war eine revolutionäre Einsicht. Wie kommt man aber von der Möglichkeit zur Singularität eines konkreten Universums? Und auch hier: wie verhält sich die immer mehr erkennbare evolutionäre biologische Komplexität zum physikalischen Modell einer Energie, die mit Masse und Raumzeit korrespondiert?
Die fünf Paradoxien - Bild 4
DAS GANZE IN EINER NUSSSCHALE. Fünf Themenkomplexe. Version 4
  1. Die vorausgehenden Überlegungen führten zwanglos zu einer dritten Skizze, die sich durch ein langes Telefonat mit Si.Sch. in eine Skizze mit vielen Anmerkungen verwandelte (Diagramm 4).
  2. Ich merke schon, dass eine vollständige Beschreibung dieser Version den Rahmen dieser Blogeintrags völlig sprengen würde. Daher hier nur ein paar erste Gedanken, die dann in weiteren Blogeinträgen (und Gesprächen in der Philosophiewerkstatt und im Emerging Mind Projekt) zu vertiefen sind.

SELBSTABSCHALTUNG – VERWEIGERUNG VON ZUKUNFT

  1. Der Themenkomplex 4 wird inspiriert von dem alltäglichen Phänomen der Selbstabschaltung des Menschen. Zwar ist unser kognitiver Apparat so gebaut, dass die Wahrnehmung schon vorab, ohne Zutun des Bewusstseins, den Strom der sensorischen Reize stark reduziert, abstrahiert und selektiert, aber darüber hinaus gibt es das Phänomen, dass Menschen sich in ihrem Bewusstsein, in ihrem Denken von innen heraus abschalten! Abschalten heißt hier, sich auf ein bestimmtes (meist – aber nicht notwendigerweise – vereinfachendes) Bild der Wirklichkeit festzulegen und dann alles zu tun, um es nicht mehr ändern zu müssen. Von diesem Zeitpunkt an hat in diesem Bild alles irgendwie seinen Platz. Dies ist sehr bequem. Man muss sich nicht mehr mühsam damit beschäftigen, was wirklich wahr ist, ob es wirklich so wahr, ob es wirklich nicht anders geht, ob der Andere vielleicht ganz anders ist als gedacht, usw.
  2. Im Falle von intelligenten Maschinen spricht man salopp von falsch programmiert, wenn das Programm nicht das tut, was es tun soll. Letztlich haben falsche Bilder im Kopf die gleichen Wirkungen wie falsch programmierte Maschinen: sie liefern falsche Bilder von der Welt, verstellen richtige Einsichten, begünstigen falsches Verhalten. Menschen, die nicht merken, dass sie falsche Bilder im Kopf haben (bzw. falsch programmiert sind), können Zukunft gefährden oder ganz unmöglich machen, ihre eigene wie die ganzer Gruppen oder Populationen.
  3. Da die Welt sich permanent ändert, heute womöglich schnelle denn je, ist es eine Herausforderung an das biologische Leben, dafür zu sorgen, dass die Bilder im Kopf aktuelle sind, differenziert, wahr, empathisch, also zukunftsfähig.
  4. Hier sind alle Formen des Lernens einschlägig, kulturelle Muster die vorleben, wie man mit sich selbst, den anderen, der Wirklichkeit umgeht. Die Wirklichkeit, die Wahrheit lässt sich weder verordnen noch einsperren. Wohl aber kann man Menschen einsperren, abrichten, mit Ängsten der Hass vollpumpen, um sie an eigenen, anderen Erkenntnissen zu hindern.

GESELLSCHAFTLICHE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR EVOLUTION

  1. Dies führt zum Fragenkomplex Nr.5. Die Geschichte hat verschiedene Gesellschaftssysteme hervorgebracht, u.a. auch solche, die sich demokratisch nennen. Diese Gesellschaftssysteme haben als Grundeinsicht, dass die Chance für eine mögliche nachhaltige Zukunft durch Öffnung und Beteiligung von jedem einzelnen wächst. Analog der blinden biologischen Evolution, die nur Erfolg hatte durch umfassendes radikales Experimentieren, so können auch die Menschen mit der Masse ihres falschen Wissens nur weiter kommen, wenn sie sich allen sich bietenden Möglichkeiten gegenüber öffnen, sie ausprobieren. Freiheit, Offenheit, Kreativität, Meinungsaustausch, funktionierenden Öffentlichkeit, Menschenrechte sind kein überflüssiger Luxus, sondern die biologisch motivierten und sachlich notwendigen Voraussetzungen für eine mögliche Begegnung mit einer nachhaltigen Zukunft. Schon heute kennen wir zahllose Beispiele von umfassenden Zerstörungen, die entstehen, wenn Menschen glauben, dass dies alles nicht notwendig sei.
  2. Der Slogan vom ‚Überleben der Tüchtigsten‘ wird gerne benutzt, um allerlei Arten von Egoismen und Grausamkeiten zu rechtfertigen, gepaart mit riesengroßen Dummheiten in der Zerstörung vielfältigster Ressourcen. Der Slogan beschreibt aber nur einen Teilaspekt der Evolution! Natürlich überleben nur die, die sich für die jeweilig Weltsituation fit gemacht haben, aber dies ist keine Eigenschaft eines Individuums, sondern einer ganzen Population, die nur durch vielfältige Kooperationen mit zahllosen Faktoren Leben gelingen lässt. In der aktuellen Phase der Evolution gilt mehr denn je, dass nur das Zusammenwirken aller Beteiligen eine Chance hat, und hier spielt das gemeinsam geteilte Wissen eine zentrale Rolle, das nicht von einzelnen Playern egoistisch für partielle Zwecke missbraucht wird, sondern von allen für eine gemeinsame nachhaltige Zukunft genutzt werden kann. Ohne Vertrauen und umfassende Transparenz wir die Komplexität an sich selbst scheitern. Es reicht nicht, dass einzelne mächtig und reich sind, alle müssen optimal leben, um die Aufgabe der kommenden Zeit meistern zu können. Die aktuellen Wertesysteme sind weitgehend veraltet und tödlich. Nur gemeinsam kann Neues entstehen.

Anmerkung: Diese Perspektive, die sich jetzt im Verlaufe dieser Überlegungen herausgeschält hat, ist stark verwoben mit den Überlegungen von Manfred Fassler im Blog Emergent Life Academy. Ich verdanke den intensiven Gesprächen mit Manfred sehr viele wichtige und tiefe Einsichten. Möglicherweise hilft es uns beiden, dass wir von unterschiedlichen Blickwinkeln aus auf das Geschehen schauen: er als Soziologe und Kulturanthropologe, ich als Philosoph  und Infomatiker (mit starken Einflüssen aus den Kognitionswissenschaften).

 

QUELLEN

  • Nick Lane, Life Ascending. The Ten Great Inventions of Evolution, London: Profile Books Ltd, 2009

Eine Übersicht über alle Blogbeiräge von cagent nach Titeln findet sich HIER

INTELLIGENZ, LERNEN, IMPLIZITE WERTE: ZUR BIOTECHNOLOGISCHEN KREATIVITÄT VERURTEILT

EINFÜHRUNG

1. Momentan kreuzen wieder einmal verschiedene Themen ihre Bahnen und die folgenden Zeilen stellen den Versuch dar, einige Aspekt davon festzuhalten.

2. Ein Thema rührt von dem Vortrag am 19.Mai her, bei dem es darum ging, die scheinbare Einfachheit, Begrenztheit und Langsamkeit von uns Menschen angesichts der aktuell rasant erscheinenden Entwicklungen in einen größeren Kontext einzuordnen, in den Kontext der biologischen Entwicklung, und dabei aufzuzeigen, welch fantastisches ‚Produkt‘ der homo sapiens im Kontext des biologischen Lebens darstellt und dass unsere Gegenwart nicht als ein ‚Endpunkt‘ misszuverstehen ist, sondern als eine hochaktive Transitzone in eine Zukunft, die keiner wirklich kennt.

3. Ein anderes Thema rührt her von den neuen Technologien der Informationstheorie, Informatik, Robotik, die unser Leben immer mehr begleiten, umhüllen, durchtränken in einer Weise, die unheimlich werden kann. In den Science-Fiction Filmen der letzten 40-50 Jahren werden die ‚intelligenten Maschinen‘ mehr und mehr zu den neuen Lichtgestalten während der Mensch verglichen mit diesen Visionen relativ ‚alt‘ aussieht.

4. Während viele – die meisten? – dem Akteur homo sapiens momentan wenig Aufmerksamkeit zu schenken scheinen, auf ihn keine ernsthafte Wetten abschließen wollen, traut man den intelligenten Maschinen scheinbar alles zu.

5. Ich selbst liefere sogar (neue) Argumente (in vorausgehenden Artikeln), warum eine Technologie der künstlichen Intelligenz ‚prinzipiell‘ alles kann, was auch biologische Systeme können.

6. In den Diskussionen rund um dieses Thema bin ich dabei verstärkt auf das Thema der ‚impliziten Werte‘ gestoßen, die innerhalb eines Lernprozesses Voraussetzung dafür sind, dass das Lernen eine ‚Richtung‘ nehmen kann. Dieser Punkt soll hier etwas ausführlicher diskutiert werden.

INTELLIGENZ

7. Eine Diskussion über die Möglichkeit von Intelligenz (bzw. dann sogar vielleicht einer Superintelligenz) müsste klären, wie man überhaupt Intelligenz definieren will. Was ‚Intelligenz an sich‘ sein soll, das weiß bis heute niemand. Die einzigen, die seit ca. 100 Jahren einen empirisch brauchbaren Intelligenzbegriff entwickelt haben, das sind die Psychologen. Sie definieren etwas, was niemand kennt, die ‚Intelligenz‘, ganz pragmatisch über einen Katalog von Aufgaben, die ein Kind in einem bestimmten Alter in einer bestimmten Gesellschaft so lösen kann, dass man dieses Kind in dieser Gesellschaft als ‚intelligent‘ bezeichnen würde. Bei einem Menschen mit einem anderen Alter aus einer anderen Gesellschaft kann dieser Aufgabenkatalog ganz andere Ergebnisse liefern.

8. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Kinder, denen man aufgrund ihres vermessenen Verhaltens einen hohen Intelligenzwert zugeschrieben hat, bei Langzeituntersuchung auch überdurchschnittlich ‚erfolgreich‘ (eine in sich nicht einfache Kategorie) waren. Daraus hat man die Arbeitshypothese abgeleitet, dass das messbare intelligente Verhalten ein Indikator für bestimmte ‚interne Strukturen im Kind‘ ist, die dafür verantwortlich sind, dass das Kind solch ein Verhalten hervorbringen kann. Und es sind genau diese postulierten Ermöglichungsstrukturen für de Intelligenz, die im Kind wirksam sein sollen, wenn es im Laufe seines Lebens ‚erfolgreich‘ ist.

9. Die Ingenieurwissenschaften und die Informatik benutzen Begriffe wie ’smart‘ und ‚intelligent‘ heute fast inflationär, ohne sich in der Regel die Mühe zu machen, ihre technischen Intelligenzbegriffe mit dem psychologischen Intelligenzbegriff abzugleichen. Dies führt zu großen Begriffsverwirrungen und man kann im Falle der technischen Intelligenz in der Regel nicht sagen, in welchem Sinne ein Interface oder eine Maschine ‚intelligent‘ ist, wenn sie technisch ’smart‘ oder ‚intelligent‘ genannt wird.

10. Der berühmt Turing-Test zur Feststellung, ob eine technische Vorrichtung sich in ihrem textbasierten Dialog mit einem Menschen für den beteiligten Menschen als ununterscheidbar zu einem Menschen darstellen kann, ist nach den Standards der Psychologie wenig brauchbar. Die endlosen Diskussionen um den Turing-Test dokumentieren für mich die immer noch anhaltende methodische Verwirrung, die sich im Umfeld des technischen Intelligenzbegriffs findet. Das hohe Preisgeld für den Turing-Test kann die evidenten inhärenten Schwächen des Tests nicht beheben.

11. Wenn wir also über intelligente (oder gar super intelligente) Maschinen reden wollen, sollten wir uns an bekannte, empirisch nachprüfbare und vergleichbare Standards halten, und dies sind die der empirischen Psychologie. Das gleiche gilt auch für den nächsten zentralen Begriff, dem des ‚Lernens‘.

LERNEN

12. Auch bei dem Begriff ‚Lernen‘ finden wir wieder einen inflationären Sprachgebrauch von ‚Lernen‘ in der Informatik, der in keiner Weise mit dem empirischen Begriff des Lernens in den verhaltensorientierten Wissenschaften abgestimmt ist. Was eine ‚intelligente‘ Maschine der Informatik im Vergleich zu biologischen Systemen darstellen soll, ist im allgemeinen Fall unklar. An konkreten Beispielen wie ’schachspielender Computer, ‚Routenplanung‘ für eine Reise, ‚Quizfragen beantworten‘, ‚Gegenstände erkennen‘, gibt es zwar partielle verhaltensorientierte Beschreibungen von ‚maschineller Intelligenz‘, diese sind aber nicht in eine allgemeine verhaltensorientierte Theorie ‚intelligenter Maschinen‘ integriert.

13. In den verhaltensorientierten Wissenschaften wird ‚Lernen‘ über beobachtbares Verhalten definiert. ‚Anhaltende Verhaltensänderungen‘ in ‚Abhängigkeit von bestimmten Umweltereignissen‘ bilden die Anknüpfungspunkte, um im beobachteten System allgemein Zustände anzunehmen, die sich wahrnehmungsabhängig und erinnerungsabhängig ’nachhaltig ändern‘ können. Was genau sich ändert, weiß ein Psychologe nicht, nur dass es geeignete interne Strukturen geben muss, wenn sich ein bestimmtes Verhalten zeigt.

14. Setzt man den Körper als Ermöglichungsstruktur voraus, dann beschränkt sich Lernen auf interne Veränderungen des gegebenen Körpers. Das wäre das ’normale‘ lokale individuelle Lernen. Man kann aber auch die Strukturen eine Körpers selbst als Ergebnis eines Lernprozesses auffassen, dann bezieht sich das Lernen auf den Wandel der Körperstrukturen und -formen und die dafür verantwortlichen (angenommenen) internen Zustände sind z.T. im Reproduktionsmechanismus zu verorten. Insgesamt erscheint das strukturelle Lernen aber als komplexer mehrstufiger Prozess, der Phylogenese, Ontogenese und Epigenese umfasst.

GERICHTETE KREATIVE ENTWICKLUNG

15. Solange ein System sich in seinem Lernen damit beschäftigt, Ereignisse zu identifizieren, zu klassifizieren, Muster zu erfassen, auftretende Beziehungen zu erfassen, so lange ist das Lernen ‚an sich‘ ‚wertfrei‘. Spannender wird es bei ‚Auswahlprozessen‘: womit soll sich ein System beschäftigen: eher A oder eher Nicht-A? Durch Auswahlprozesse bekommt der individuelle Lernprozess eine ‚Richtung‘, einen selektierten Ereignisraum, der sich dann auch in den Wissensstrukturen des Systems widerspiegeln wird. Jede ‚Lerngeschichte‘ korrespondiert auf diese Weise mit einer entsprechenden ‚Wissensstruktur‘. Wenn jemand Weinanbau gelernt hat, aber es gibt keinen Wein mehr, sondern nur noch Handwerk, ist er ‚arbeitslos‘ oder muss ‚umlernen‘. Wer Betriebswirtschaft gelernt hat, aber zu wenig von Qualitätsprozessen versteht, kann erfolgreiche Firmen in den Ruin steuern. Auswahlprozesse realisieren ‚Präferenzen‘: Eher A als Nicht-A. Präferenzen repräsentieren implizit ‚Werte‘: A ist besser/ wichtiger als Nicht-A.

16. Im Falle der biologischen Evolution werden die Präferenzen sowohl vom biologischen Reproduktionsmechanismus geliefert (bis dahin vorhandene Erbinformationen), wie auch durch die herrschende Umgebung, die von bestimmten Körperformen nicht gemeistert werden konnten, von anderen schon. Die in ihren Nachkommen überlebenden Körperformen repräsentierten dann mit ihren Erbinformationen eine von außen induzierte Präferenz, die ‚gespeicherten Präferenzen der Vergangenheit‘ als eine Form von ‚Erinnerung‘, als ‚Gedächtnis‘. Über die ‚Zukunft‘ weiß die biologische Entwicklung nichts! [Anmerkung: Diese Ideen finden sich u.a. auch schon in den Schriften von Stuart Alan Kauffman. Sie ergeben sich aber auch unmittelbar, wenn man mit genetischen Algorithmen arbeitet und die Lernstruktur dieser Algorithmen heraushebt.].

17. Die biologische Entwicklung lebt vielmehr von der – impliziten! – ‚Hoffnung‘, dass die umgebende Welt sich nicht schneller ändert als die gespeicherten Erbinformationen voraussetzen. Da wir heute wissen, dass sich die Welt beständig verändert hat, teilweise sehr schnell oder gar blitzartig (Vulkanausbruch, Asteroidenbeschuss, Erdbeben,…), kann man sich fragen, wie die biologische Evolution es dann geschafft hat, das Leben quasi im Spiel zu halten, ohne etwas über die Zukunft zu wissen? Die Antwort ist eindeutig: durch eine Kombination von Kreativität und von Masse!

18. Die ‚Kreativität‘ ist implizit; die Reproduktion eines neuen Körpers aus vorhandenen genetischen Informationen verläuft auf sehr vielen Ebenen und in sehr vielen aufeinanderfolgenden Phasen. Fasst man diesen ganzen Prozess als eine ‚Abbildung‘ im mathematischen Sinne auf, dann kann man sagen, dass die Zuordnung von Körpern zu Erbinformationen nicht eindeutig ist; aus der gleichen Erbinformation kann rein mathematisch eine nahezu unendlich große Anzahl von ‚Varianten‘ entstehen, mit einem möglichen ‚Variantenkern‘. In der empirischen Welt ist die Varianz erstaunlich gering und der Variantenkern erstaunlich stabil. Aber offensichtlich hat die verfügbare Varianz ausgereicht, um die sich stark verändernden Umgebungsbedingungen bedienen zu können. Voraus zur Zukunft in einer sich verändernden Welt hat man immer nur ein Teilwissen. Das ‚fehlende Wissen‘ muss man sich teuer erkaufen; es gibt nichts zu Nulltarif. Für jedes Leben, das man in der Zukunft erhalten will, muss man einen – nicht leicht genau zu bestimmenden – hohen Einsatz erbringen, in der Hoffnung, dass die Breite des Ansatzes ausreichend ist.

GEGENWART ALS TRANSIT

19. Verglichen mit den Dramen der Vergangenheit könnten uns die ‚Erfolge‘ der Gegenwart dazu verleiten, anzunehmen, dass wir Menschen ‚über dem Berg‘ sind. Dass wir jetzt so langsam alles ‚im Griff‘ haben. Diese Vorstellung könnte sehr sehr trügerisch sein. Denn das Überleben auf der Erde rechnet in Jahrhunderttausenden, Millionen oder gar hunderten von Millionen Jahren. Eine kurzfristige ‚Boomzeit‘ von ein paar Jahrzehnten besagt nichts, außer dass wir feststellen, dass schon in wenigen Jahrzehnten ungeheuer viele biologische Arten ausgestorben sind, viele weitere vom Aussterben bedroht sind, und allein wir Menschen viele zentrale Probleme der Ernährung, des Wassers und der Energie noch keineswegs gelöst haben. Außerdem haben wir nach heutigem Kenntnisstand nicht noch weitere 4 Milliarden Jahre Zeit, sondern höchstens ca. eine Milliarde Jahre, weil dann laut der Physik die Sonne sich aufgrund ihrer Kernfusionsprozess sich soweit ausgedehnt haben wird, dass ein Leben auf der Erde (nach heutigem Kenntnisstand) nicht mehr möglich sein wird.

20. Letztlich dürften wir weiterhin in dieser Position der anzustrebenden Meisterung von etwas ‚Neuem‘ sein, das wir vorab nur partiell kennen. Nur durch ein hinreichendes Maß an Kreativität und hinreichend vielfältigen Experimenten werden wir die Herausforderung meistern können. Jede Form der Festschreibung der Gegenwart als ‚unveränderlich‘ ist mittel- und langfristig tödlich.

BIOLOGIE UND TECHNIK IN EINEM BOOT

21. Aus den vorausgehenden Überlegungen ergeben sich unmittelbar einige weitreichende Folgerungen.

22. Die heute gern praktizierte Trennung von Biologie einerseits und Technologie andererseits erscheint künstlich und irreführend. Tatsache ist, dass die gesamte Technologie aus der Aktivität des biologischen Lebens – speziell durch den homo sapiens – entstanden ist. Etwas Biologisches (der homo sapiens) hat mit Mitteln der Biologie und der vorfindlichen Natur ‚Gebilde‘ geschaffen, die so vorher zwar nicht existiert haben, aber sie sind auch nicht aus dem ‚Nichts‘ entstanden. Sie sind durch und durch ‚biologisch‘, wenngleich – faktisch – mit der übrigen Natur, mit dem bisherigen Ökosystem nicht immer ‚optimal‘ angepasst. Aber die Natur selbst hat millionenfach Systeme erzeugt, die nicht optimal angepasst waren. Die Natur ist ein dynamisches Geschehen, in dem milliardenfach, billionenfach Strukturen generiert werden, die für eine Zukunft gedacht sind, die keiner explizit kennt. Es ist sozusagen ein allgemeines ‚Herantasten‘ an das ‚werdende Unbekannt‘. Wer hier glaubt, die bekannte Gegenwart als ‚Maßstab schlechthin‘ benutzen zu können, irrt schon im Ansatz.

23. Wenn nun ein Teil dieser Natur, der homo sapiens als Realisierung eines biologischen Systems, es durch seine Aktivitäten geschafft hat, seine unmittelbare Lebensumgebung umfassend und zugleich schnell so umzugestalten, dass er als Hauptakteur nun plötzlich als ‚Flaschenhals‘ erscheint, als ‚Bremsklotz‘, dann ist dies zunächst einmal keine ‚Panne‘, sondern ein riesiger Erfolg.

24. Die körperlichen Strukturen des homo sapiens, ein Wunderwerk von ca. 4 Milliarden Jahren ‚Entwicklungsarbeit‘, besitzen eine Substruktur, das Gehirn, das in der Lage ist, die strukturellen Lernprozesse der biologischen Körper in Gestalt lokaler individueller Lernprozesse dramatisch zu beschleunigen. Komplexe Gedächtnisstrukturen, komplexe Begriffsoperationen, Symbolgebrauch, Logik und Mathematik, Rechenmaschinen, Bücher, Computer, Daten-Netzwerke haben dem individuellen Gehirn eine ‚kognitive Verstärkung‘ verpasst, die die Veränderungsgeschwindigkeit des strukturellen Körperlernens von einer Dimension von etwa (optimistischen) 10^5 Jahren auf etwa (pessimistischen) 10^1 Jahren – oder weniger – verkürzt haben. Dies stellt eine absolute Revolution in der Evolution dar.

25. Hand in Hand mit der dramatischen Verkürzung der Lernzeit ging und geht eine dramatische Steigerung der Kooperationsfähigkeit durch Angleichung der Sprache(n), Angleichung der Datenräume, politisch-juristische Absicherung sozialer Räume, Verbesserung der Infrastrukturen für große Zahlen und vielem mehr.

26. Innerhalb von nur etwa 50-100 Jahren ist die Komplexitätsleistung des homo sapiens geradezu explodiert.

27. Bislang sind die neuen (noch nicht wirklich intelligenten) Technologien eindeutig eine Hilfe für den homo sapiens, sich in dieser Welt zurecht zu finden.

28. Wenn man begreift, dass die scheinbare ‚Schwäche‘ des homo sapiens nur die Kehrseite seiner ungeheuren Leistungsfähigkeit sind, sein gesamtes Umfeld dramatisch zu beschleunigen, dann würde die naheliegende Frage eigentlich sein, ob und wie der homo sapiens die neuen Technologien nutzen kann, um seine aktuellen begrenzten körperlichen Strukturen eben mit Hilfe dieser neuen Technologien soweit umzubauen, dass er selbst mit seinen eigenen Gestaltungserfolgen auf Dauer noch mithalten kann (und es ist ja kein Zufall, dass die gesamte moderne Genetik ohne Computer gar nicht existieren würde).

29. Bislang bremsen ‚veraltete‘ Ethiken in den Köpfen der Politik eine dynamische Erforschung der alternativen Strukturräume noch aus. Dies ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, da der homo sapiens als ‚Transitwesen‘ sich nicht selbst ruinieren sollte bevor er neue leistungsfähige Strukturen gefunden hat; aber Verbote als grundsätzliche Haltung sind gemessen an der erfolgreichen Logik des Lebens seit 4 Milliarden Jahre grundlegend unethisch, da lebensfeindlich.

30. Auch die heute so ‚trendige‘ Gegenüberstellung von homo sapiens und ‚intelligenten lernenden Maschinen‘ erscheint nach den vorausgehenden Überlegungen wenig wahrscheinlich.

31. Einmal hätten mögliche intelligente Maschinen das gleiche Entwicklungsproblem wie die biologischen Systeme, die ihre Überlebensfähigkeit seit 4 Milliarden Jahre demonstriert haben. Biologische Systeme haben einen ‚mehrlagigen‘ Lernmechanismus‘ ausgebildet, der ‚Kreativität‘ als wesentlichen Bestandteil enthält. Die bisherigen Konzepte für maschinelle Intelligenz sind verglichen damit höchst primitiv. Maschinelle Intelligenz ‚für sich‘ ist auch völlig ortlos, kontextfrei. Als Moment am biologischen Entwicklungsprozess jedoch,in einer symbiotischen Beziehung zu biologischen Systemen, kann künstliche Intelligenz eine maximal hohe Bedeutung gewinnen und kann von den ‚Wertfindungsmechanismen‘ der biologischen Systeme als Teil einer vorfindlichen Natur profitieren.

32. Die Gegenübersetzung von homo sapiens und (intelligenter) Technologie ist ein Artefakt, ein Denkfehler, ein gefährlicher Denkfehler, da er genau die maximale Dynamik, die in einer biotechnologischen Symbiose bestehen kann, behindert oder gar verhindert. Das wäre lebensfeindlich und darin zutiefst unethisch.

Einen Überblick über alle Blogeinträge von cagent nach Titeln findet sich HIER: cagent.

DAS NEUE MENSCHENBILD – ERSTE SKIZZE

MUSIK ZUR EINSTIMMUNG

Das Stück „Wenn die Worte aus der Dunkelheit aufsteigen wie Sterne“ entstand zunächst als ein reines Instrumentalstück (die erste Hälfte des aktuellen Stücks; diesen Teil hatte ich auch schon mal am 4.April im Blog benutzt). Doch inspirierte die Musik zum ‚Weitermachen‘, zunächst entstand eine Fortsetzung rein instrumental; dann habe ich ab der Mitte spontan einen Text dazu gesprochen. Im Nachhinein betrachtet passt dieser Text sehr gut zum heutigen Blogeintrag (ist kein Dogma … :-))

UNSCHULDIGER ANFANG

1. Als ich am 20.Januar 2007 – also vor 7 Jahren und 3 Monaten – meinen ersten Blogeintrag geschrieben habe, da wusste ich weder genau, was ich mit dem Blog wollte noch konnte ich ahnen, was durch das Niederschreiben von Gedanken alles an ‚kognitiven Bildern‘ von der Welt und dem Menschen entstehen konnte. Langsam schälte sich als Thema – wenngleich nicht messerscharf – ‚Neues Weltbild‘ heraus. Das konnte alles und nichts sein. Aber im gedanklichen Scheinwerferkegel von Theologie, Philosophie, Wissenschaftstheorie, Psychologie, Biologie, Linguistik, Informatik, Neurowissenschaften, Physik gab es Anhaltspunkte, Eckwerte, die den aktuellen Gedanken wie eine Billardkugel von einer Bande zur anderen schickten. Dazu die heutige, aktuelle Lebenserfahrung und die vielen Begegnungen und Gespräche mit anderen Menschen.

2. Die letzten beiden Blogeinträge zum Thema Bewusstsein – Nichtbewusstsein markieren einen Punkt in dieser Entwicklung, ab dem ‚wie von Zauberhand‘ viele einzelnen Gedanken von vorher sich zu einem Gesamtbild ‚zusammen schieben‘, ergänzen.

AUSGANGSPUNKT INDIVIDUELLES BEWUSSTSEIN

3. Akzeptieren wir den Ausgangspunkt des individuellen Bewusstseins B_i als primären Erkenntnisstandpunkt für jeden Menschen, dann besteht die Welt für jeden einzelnen zunächst mal aus dem, was er/ sie im Raume seines eigenen individuellen Bewusstseins erleben/ wahrnehmen kann.

4. Da es aber zur Natur des individuellen Bewusstseins gehört, dass es als solches für ‚andere‘ ‚unsichtbar‘ ist, kann man auch nicht so ohne weiteres über die Inhalte des eigenen Bewusstseins mit anderen reden. Was immer man mit Hilfe eines Ausdrucks A einer Sprache L einem anderen mitteilen möchte, wenn der Ausdruck A als Schallwelle den anderen erreicht, hat er zwar einen Schalleindruck (falls erhören kann), aber er/ sie weiß in dem Moment normalerweise nicht, welcher Inhalt des Bewusstseins des Sprechers damit ‚gemeint‘ sein könnte.

5. Dass wir uns trotzdem ‚unterhalten‘ können liegt daran, dass es offensichtlich einen ‚Trick‘ geben muss, mit dem wir diese unüberwindliche Kluft zwischen unseren verschiedenen Bewusstseinsräumen überwinden können.

KLUFT ZWISCHEN INDIVIDUELLEN BEWUSSTSEINSRÄUMEN ÜBERWINDEN

6. Der ‚Trick‘ beruht darauf, dass der individuelle Bewusstseinsraum einem ‚individuellen Körper‘ zugeordnet ist, dass es in diesen Körper Gehirne gibt, und dass das individuelle Bewusstsein eines Körpers k_i als Ereignis im Gehirn g_i des Körpers k_i zu verorten ist. Das Bewusstsein B_i partizipiert an den Gehirnzuständen des Gehirns, und dieses partizipiert an den Körperzuständen. Wie die Wissenschaft mühsam erarbeitet hat, können bestimmte Außenweltereignisse w über ‚Sinnesorgane‘ in ‚Körperereignisse‘ ‚übersetzt‘ werden‘, die über das Gehirn partiell auch das Bewusstsein erreichen können. Sofern es jetzt Außenweltereignisse w‘ gibt, die verschiedene Körper in ähnlicher Weise ‚erreichen‘ und in diesen Körpern via Gehirn bis zu dem jeweiligen individuellen Bewusstsein gelangen, haben diese verschiedenen individuellen Bewusstseinsräume zwar ‚rein private‘ Bewusstseinszustände, aber ‚gekoppelt‘ über Außenweltzustände w‘ haben die verschiedenen Bewusstseinszustände B_1, …, B_n alle Bewusstseinsereignisse b_i, die als solche ‚privat‘ sind, aber ‚zeitlich gekoppelt‘ sind und sich mit Änderung der Außenweltzustände w‘ auch ’synchron‘ ändern. Die gemeinsam geteilte Außenwelt wird damit zur ‚Brücke‘ zwischen den körperlich getrennten individuellen Bewusstseinsräumen. Diese ‚ gemeinsam geteilte Außenwelt‘ nennt man oft den ‚intersubjektiven‘ Bereich der Welt bzw. dies stellt den Raum der ‚empirischen Welt‘ [Wemp] dar. Aus Sicht des individuellen Bewusstseins ist die empirische Welt eine Arbeitshypothese, die dem individuellen Bewusstsein zugänglich ist über eine spezifische Teilmenge [PHemp] der Bewusstseinszustände [PH].

EMPIRISCHE WELT ALS SONDE INS NICHTBEWUSSTSEIN

7. In der Geschichte des menschlichen Wissens spielt die Entdeckung der empirischen Welt und ihre systematische Untersuchung im Rahmen der modernen empirischen Wissenschaften bislang – nach meiner Meinung – die größte geistige Entdeckung und Revolution dar, die der menschliche Geist vollbracht hat. Auf den ersten Blick wirkt die Beschränkung der empirischen Wissenschaften auf die empirischen Phänomene PHemp wie eine unnötige ‚Einschränkung‘ und ‚Verarmung‘ des Denkens, da ja die Menge der bewussten Ereignisse PH erheblich größer ist als die Menge der empirischen Ereignisse PHemp. Wie der Gang der Geschichte aber gezeigt hat, war es gerade diese bewusste methodische Beschränkung, die uns den Bereich ‚außerhalb des Bewusstseins‘, den Bereich des ‚Nichtbewusstseins‘, Schritt für Schritt ‚erforscht‘ und ‚erklärt‘ hat. Trotz individuell stark eingeschränktem Bewusstsein konnte wir auf diese Weise so viel über die ‚Rahmenbedingungen‘ unseres individuellen Bewusstseins lernen, dass wir nicht mehr wie die früheren Philosophen ‚wie die Fliegen am Licht‘ an den Phänomenen des Bewusstseins kleben müssen, sondern wir können zunehmend Hypothesen darüber entwickeln, wie die verschiedenen Bewusstseinsphänomene (inklusive ihrer Dynamik) durch die Strukturen des Gehirns und des Körpers bestimmt sind. M.a.W. wir stehen vor dem Paradox, dass das individuelle Bewusstsein den Bereich des Nichtbewusstseins dadurch ‚verkleinern‘ kann, dass es durch Ausnutzung der empirischen Phänomene mittels gezielter Experimente und Modellbildung immer mehr Eigenschaften des Nichtbewusstseins innerhalb des individuellen Bewusstseins ’nachkonstruiert‘ und damit ‚bewusst‘ macht. Bedenkt man wie eng und schwierig die Rahmenbedingungen des menschlichen Bewusstseins bis heute sind, gleicht es einem kleinen Wunder, was dieses primitive menschliche Bewusstsein bislang nachkonstruierend erkennen konnte.

8. Von diesem Punkt aus ergeben sich viele Perspektiven.

BIOLOGISCHE EVOLUTION

9. Eine Perspektive ist jene der ‚evolutionären Entwicklungsgeschichte‘: seit gut hundert Jahren sind wir mehr und mehr in der Lage, unsere aktuellen Körper und Gehirne – zusammen mit allen anderen Lebensformen – als einen Gesamtprozess zu begreifen, der mit den ersten Zellen vor ca. 3.8 Milliarden Jahren als biologische Evolution begonnen hat, ein Prozess, der bis heute noch viele Fragen bereit hält, die noch nicht befriedigend beantwortet sind. Und der vor allem auch klar macht, dass wir heute keinen ‚Endpunkt‘ darstellen, sondern ein ‚Durchgangsstadium‘, dessen potentieller Endzustand ebenfalls nicht ganz klar ist.

10. Ein wichtiger Teilaspekt der biologischen Evolution ist, dass der Vererbungsmechanismus im Wechselspiel von Genotyp (ein Molekül als ‚Informationsträger‘ (Chromosom mit Genen)) und Phänotyp (Körper) im Rahmen einer Population eine ‚Strukturentwicklung‘ beinhaltet: die Informationen eines Informationsmoleküls (Chromosom) werden innerhalb des Wachstumsprozesses (Ontogenese) als ‚Bauplan‘ interpretiert, wie man welche Körper konstruiert. Sowohl bei der Erstellung des Informationsmoleküls wie auch bei seiner Übersetzung in einen Wachstumsprozess und dem Wachstumsprozess selbst kann und kommt es zu partiellen ‚Änderungen‘, die dazu führen, dass die resultierenden Phänotypen Änderungen aufweisen können (verschiedene Arten von Sehsystemen, Verdauungssystemen, Knochengerüsten, usw.).

11. Im Gesamtkontext der biologischen Evolution sind diese kontinuierlich stattfindenden partiellen Änderungen lebensentscheidend! Da sich die Erde seit ihrer Entstehung permanent geologisch, klimatisch und im Verbund mit dem Sonnensystem verändert, würden Lebensformen, die sich von sich aus nicht auch ändern würden, schon nach kürzester Zeit aussterben. Dies bedeutet, dass diese Fähigkeit zur permanenten strukturellen Änderung ein wesentliches Merkmal des Lebens auf dieser Erde darstellt. In einer groben Einteilung könnte man sagen, von den jeweils ’neuen‘ Phänotypen einer ‚Generation‘ wird die ‚große Masse‘ mehr oder weniger ‚unverändert‘ erscheinen; ein kleiner Teil wir Veränderungen aufweisen, die es diesen individuellen Systemen ’schwerer‘ macht als anderen, ihre Lebensprozesse zu unterstützen; ein anderer kleiner Teil wird Veränderungen aufweisen, die es ‚leichter‘ machen, die Lebensprozesse zu unterstützen. Letztere werden sich vermutlich proportional ‚mehr vermehren‘ als die beiden anderen Gruppen.

12. Wichtig an dieser Stelle ist, dass zum Zeitpunkt der Änderungen ’niemand‘ weiß bzw. wissen kann, wie sich die ‚Änderung‘ – bzw. auch die Nicht-Änderung! – im weiteren Verlauf auswirken wird. Erst der weitergehende Gesamtprozess wird enthüllen, wie sich die verschiedenen Strukturen von Leben bewähren werden.

LEBENSNOTWENDIGE KREATIVITÄT: WOLLEN WIR SIE EINSPERREN?

13. Übertragen auf unsere heutige Zeit und unser Weltbild bedeutet dies, dass wir dieser Veränderlichkeit der Lebensformen immer Rechnung tragen sollten, um unsere Überlebensfähigkeit zu sichern. Zum Zeitpunkt einer Änderung – also jetzt und hier und heute – weiß niemand, welche dieser Änderungen morgen vielleicht wichtig sein werden, zumal Änderungen sich erst nach vielen Generationen auszuwirken beginnen.

14. Es wäre eine eigene große Untersuchung wert, zu schauen, wie wir heute in der Breite des Lebens mit den stattfindenden Änderungen umgehen. In der Agrarindustrie gibt es starke Tendenzen, die Vielzahl einzugrenzen und wenige Arten so zu monopolisieren, dass einzelne (ein einziger!) Konzern die Kontrolle weltweit über die genetischen Informationen bekommt (was in den USA z.T. schon zur Verödung ganzer Landstriche geführt hat, da das Unkraut sich schneller und effektiver geändert hat als die Laborprodukte dieser Firma).

STRUKTURELLES UND FUNKTIONALES LERNEN

15. Die ‚Struktur‘ des Phänotyps ist aber nur die eine Seite; genauso wenig wie die Hardware alleine einen funktionierenden Computer definiert, so reicht die Anordnung der Zellen als solche nicht aus, um eine funktionierende biologische Lebensform zu definieren. Im Computer ist es die Fähigkeit, die elektrischen Zustände der Hardware kontinuierlich zu verändern, dazu verknüpft mit einer impliziten ‚Schaltlogik‘. Die Menge dieser Veränderungen zeigt sich als ‚funktionaler Zusammenhang‘ phi_c:I —> O, der ‚Inputereignisse‘ [I] mit Outputereignissen [O] verknüpft. Ganz analog verhält es sich mit den Zellen in einem biologischen System. Auch hier gibt es eine implizite ‚Logik‘ nach der sich die Zellen verändern und Zustände ‚kommunizieren‘ können, so dass Zellgruppen, Zellverbände eine Vielzahl von funktionellen Zusammenhängen realisieren. Einige dieser funktionellen Zusammenhänge bezeichnen wir als ‚Lernen‘. Dies bedeutet, es gibt nicht nur die über Generationen laufenden Strukturveränderung, die eine Form von ’strukturellem Lernen‘ im Bereich der ganzen Population darstellen, sondern es gibt dann dieses ‚funktionelle Lernen‘, das sich im Bereich des individuellen Verhaltens innerhalb einer individuellen Lebenszeit ereignet.

WISSEN GARANTIERT KEINE WAHRHEIT

16. Dieses individuelle Lernen führt zum Aufbau ‚individueller Wissensstrukturen‘ mit unterschiedlichen Ausprägungsformen: Erlernen von motorischen Abläufen, von Objektkonzepten, Beziehungen, Sprachen, Verhaltensregeln usw. Wichtig ist dabei, dass diese individuellen Wissensstrukturen im individuellen Bewusstsein und individuellem Unterbewusstsein (ein Teil des Nichtbewusstseins, der im individuellen Körper verortet ist) verankert sind. Hier wirken sie als kontinuierliche ‚Kommentare‘ aus dem Unterbewusstsein in das Bewusstsein bei der ‚Interpretation der Bewusstseinsinhalte‘. Solange diese Kommentare ‚richtig‘ / ‚passend‘ / ‚wahr‘ … sind, solange helfen sie, sich in der unterstellten Außenwelt zurecht zu finden. Sind diese Wissensstrukturen ‚falsch‘ / ‚verzerrt‘ / ‚unangemessen‘ … bewirken sie in ihrer Dauerkommentierung, dass es zu Fehleinschätzungen und zu unangemessenen Entscheidungen kommt. Sofern man als einziger eine ‚unpassende Einschätzung‘ vertritt, fällt dies schnell auf und man hat eine Chance, diese zu ‚korrigieren‘; wird aber eine ‚Fehleinschätzung‘ von einer Mehrheit geteilt, ist es schwer bis unmöglich, diese Fehleinschätzung als einzelner zu bemerken. In einer solchen Situation, wo die Mehrheit eine Fehleinschätzung vertritt, kann ein einzelner, der die ‚richtige‘ Meinung hat (z.B. Galilei und Co. mit der neuen Ansicht zur Bewegung der Sonne; die moderne Wissenschaft und die alten Religionen; das damalige südafrikanische Apartheidsregime und der damalige ANC, der Sowjetkommunismus und die östlichen Friedensbewegungen vor dem Auseinanderfallen der Sowjetunion; die US-Geheimdienste und Snowden; …) als der ‚Fremdartige‘ erscheinen, der die bisherige ‚Ordnung‘ stört und den man deshalb ‚gesellschaftlich neutralisieren‘ muss).

17. Viele Menschen kennen das Phänomen von ‚Phobien‘ (vor Schlangen, vor Spinnen, vor …). Obwohl klar ist, dass eine einzelne Spinne keinerlei Gefahr darstellt, kann diese einen Menschen mit einer Phobie (= Kommentar des individuellen Unterbewusstseins an das Bewusstsein) zu einem Verhalten bewegen, was die meisten anderen als ‚unangemessen‘ bezeichnen würden.

18. Im Falle von psychischen Störungen (die heute statistisch stark zunehmen) kann dies eine Vielzahl von Phänomenen sein, die aus dem Raum des individuellen Unterbewusstseins in das individuelle Bewusstsein ‚hinein reden‘. Für den betroffenen Menschen ist dieses ‚Hineinreden‘ meistens nicht direkt ‚verstehbar‘; es findet einfach statt und kann vielfach kognitiv verwirren und emotional belasten. Diese Art von ‚Fehlkommentierung‘ aus dem individuellen Unterbewusstsein ist – so scheint es – für die meisten Menschen vielfach nur ‚behebbar‘ (therapierbar) mit Hilfe eines Experten und einer geeigneten Umgebung. Während Menschen mit körperlichen Einschränkungen in der Regel trotzdem ein einigermaßen ’normales‘ Leben führen können, können Menschen mit ‚psychischen Störungen‘ dies oft nicht mehr. Das geringe Verständnis einer Gesellschaft für Menschen mit psychischen Störungen ist auffällig.

SPRACHE ALS MEDIUM VON GEDANKEN

19. Seit der Entwicklung der ‚Sprache‘ kann ein individuelles Bewusstsein unter Voraussetzung einer einigermaßen ähnlichen Wahrnehmungs- und Gedächtnisstruktur in den einzelnen Mitgliedern einer Population Bewusstseinsinhalte aufgrund von Gedächtnisstrukturen mit Ausdrücken einer Sprache korrelieren. Sofern diese Korrelierung in hinreichender Abstimmung mit den anderen Sprachteilnehmern geschieht, lassen sich mittels sprachlicher Ausdrücke diese ‚Inhalte‘ (‚Bedeutungen‘) ‚indirekt‘ kommunizieren; nicht der Inhalt selbst wird kommuniziert, sondern der sprachliche Ausdruck als eine Art ‚Kode‘, der im Empfänger über die ‚gelernte Bedeutungszuordnung‘ entsprechende ‚Inhalte des Gedächtnisses‘ ‚aktiviert‘. Dass diese Kodierung überhaupt funktioniert liegt daran, dass die Bedeutungsstrukturen nicht ‚1-zu-1‘ kodiert werden, sondern immer nur über ‚verallgemeinerte Strukturen‘ (Kategorien), die eine gewisse ‚Invarianz‘ gegenüber den Variationen der konstituierenden Bedeutungselemente aufweisen. Dennoch sind die Grenzen sprachlicher Kommunikation immer dann erreicht, wenn Sprecher-Hörer über Bewusstseinstatsachen kommunizieren, die nur einen geringen oder gar keinen Bezug zur empirischen Welt aufweisen. Die Benutzung von Analogien,Metaphern, Bildern, Beispielen usw. lässt noch ‚irgendwie erahnen‘, was jemand ‚meinen könnte‘, aber eine letzte Klärung muss oft ausbleiben. Nichtsdestotrotz kann eine solche ‚andeutende‘ Kommunikation sehr hilfreich, schön, anregend usw. sein; sie ersetzt aber keine Wissenschaft.

20. Während das individuelle Wissen mit dem Tod des Individuums bislang ‚verschwindet‘, können ‚Texte‘ (und vergleichbare Darstellungen) ein individuelles Wissen bis zu einem gewissen Grade überdauern. Moderne Kommunikations- und Speichermittel haben die Sammlung und Verwertung von Wissen in bislang ungeahnte Dimensionen voran getrieben. Während allerdings die Menge dieses sprachbasierten Wissens exponentiell wächst, bleiben die individuellen Wissensverarbeitungskapazitäten annähernd konstant. Damit wächst die Kluft zwischen dem individuell verfügbaren Wissen und dem in Datennetzen verfügbaren Wissen ebenfalls exponentiell an. Es stellt sich die Frage, welchen Beitrag ein Wissen leisten kann, das sich faktisch nicht mehr verarbeiten lässt. Wenn man sieht, dass heute selbst Menschen mit einem abgeschlossenen Studium Ansichten vertreten, die im Lichte des verfügbaren Wissens gravierend falsch sein können, ja, dass das Wesen von Wissenschaft, wissenschaftlichem Wissen selbst bei Studierten (und nicht zuletzt auch bei sogenannten ‚Kulturschaffenden‘) starke Defizite aufweist, dann kann man ins Grübeln kommen, ob unsere heutige Kultur im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen die richtigen Formen gefunden hat.

21. Hier wäre jetzt auch noch der ganze Komplex der Bedürfnisse/ Emotionen/ Gefühle/ Stimmungen anzusprechen. Doch das soll weiteren Einträgen vorbehalten bleiben.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.