Archiv der Kategorie: Vernunft

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1

VORGESCHICHTE

1. In einem vorausgehenden Beitrag Avicennas Metaphysik hatte ich meine erste Begegnung mit der Person und dem Werk Avicennas (Ibn Sina (980 – 1038)) geschildert. Nach einer ersten begeisterten Lektüre der ersten 100 Seiten gab es aber dann eine lange Unterbrechung; andere Dinge mussten getan werden und forderten meine ganze Kraft.

TEXT ÜBER LOGIK

2. Immerhin ist es mir in dieser Zeit gelungen, die englische Übersetzung eines Werkes von Avicenna über die Logik zu bekommen, eingeleitet und kommentiert von Faran Zabeeh (siehe Quellenangabe unten). Dieser Text lag seitdem die ganze Zeit auf meinem Nachttisch, um gelesen zu werden. Heute habe ich beschlossen, es mit der Lektüre zu versuchen.

GLAUBE UND WISSEN

3. In der vierseitigen Einleitung zum Text über die Logik ordnet Zabeeh Avicenna der Gruppe der islamischen Philosophen zu, die sich aus vielen verschiedenen Nationen rekrutieren. Ein gemeinsames Charakteristikum dieser islamischen Philosophen war es (hierin vergleichbar auch den christlichen Philosophen), die griechische Philosophie – vornehmlich Aristoteles (384-322 v. Chr.) – mit den Grundaussagen ihrer Religion entweder zu ‚harmonisieren‘ oder zu ‚verurteilen‘.

4. Zabeeh erwähnt beispielsweise einen Landsmann von Avicenna, den Theologen Ghazali (1058 – 1111), der sich z.B. die Frage stellte, wie man die religiöse Lehre der ‚Schöpfung aus dem Nichts‘ mit der griechischen Auffassung versöhnen könnte, das ‚Aus Nichts nichts entstehen kann‘. Ein anderer Punkt war die Verträglichkeit des Glaubens an ‚Wunder‘ mit dem Anspruch ‚wissenschaftlicher Erklärung aus Gründen‘, also ganz allgemein: das Verhältnis von ‚Glauben‘ und ‚rationale Vernunft‘ (Englisch: ‚reason‘). Ghazali selbst vertrat die Auffassung, dass eine Versöhnung zwischen Glauben und rationaler Vernunft letztlich nicht möglich sei, was schlecht sei für den Glauben.

5. Eine Gegenposition zu Ghazali wurde von dem spanischen (islamischen) Philosophen Averroes (Ibn Ruschd (1126 – 1198)) repräsentiert. Er sah eine Vereinbarkeit zwischen Aristoteles und dem Glauben dadurch, dass er die religiösen Texte nicht ‚wortwörtlich‘ interpretierte, sondern in ihnen auch eine ‚allegorisierende‘ Darstellungsweise sah, die einen breiteren Interpretationsspielraum bietet.

6. [Anmerkung: Averroes nimmt mit dieser Position eine spätere Entwicklung in der christlichen Bibelwissenschaft vorweg, die ca. 750 Jahre später damit begonnen hatte, die biblischen Texte von ihrer historischen Entstehung her kritisch zu lesen, und dann, auf dieser neu gewonnenen kritischen Basis, neu interpretieren zu können. Mit dieser ‚kritischen‘ Bibelwissenschaften wurde der Blick frei für das größere Ganze und viel weitreichenderen Interpretationen, als sie bis dahin möglich waren. Damit begann eine neue Theologie und eine Versöhnung von Glauben und Wissen wurde unbeschränkt möglich. Allerdings kam diese Entwicklung dann irgendwie wieder zum Stillstand, da ab ca. 1970 die gesellschaftliche Bedeutung der Religionen in den westlichen Ländern kontinuierlich abnahm und es immer weniger Wissenschaftler gab, die sich dieser Aufgabe auf hohem Niveau widmeten.]

WELTANSCHAULICH NEUTRAL: LOGIK

7. Neben den verschiedenen philosophischen Disziplinen Erkenntnistheorie, Metaphysik, Politik und Ethik, die alle irgendwie direkt in Wechselwirkung zu religiösen Auffassungen treten konnten, gab es eine Disziplin, von der selbst ein philosophie-kritischer Theologe wie Ghazali sagte, sie sei weltanschauungsmäßig neutral: die Logik.

8. Zur antiken Logik (Lateinisch: ‚logica vetus‘) gibt es in der deutschen Wikipedia einen sehr guten ersten Überblick.

9. Während die meisten islamischen Philosophen und Wissenschaftler sich – wie auch die christlichen – im Kommentieren und Interpretieren der aristotelischen Texte erschöpften, soll Avicenna streckenweise eine eigenständige Position bezogen haben (vgl. Zabeeh, S.3). Die vorliegende Abhandlung ‚Danesh-Name Alai‘ ist einer von vier Texten, in denen Avicenna über Logik schreibt; sie alle ähneln sich sehr. Der vollständige Text von ‚Danesh-Name Alai‘ ist eine komplette Enzyklopädie mit den Themenbereichen ‚Logik‘, ‚Metaphysik‘, ‚Naturphilosophie‘, ‚Geometrie‘, ‚Astronomie‘ und ‚Musik‘. Im vorliegenden Text geht es nur um den Teil der Logik.

AVICENNA (AUTO-)BIOGRAPHIE

10. Es folgt dann eine Übersetzung der Autobiographie von Avicenna, vollendet von seinem langjährigen Schüler Abu-Abid Gorgani. Lässt man die Details weg, dann zeigen sich folgende große Linien. (i) Aufgrund der herausgehobenen Position seines Vaters konnte Avicenna sich von ’sehr frühen Jugendjahren an‘ bis zu seinem 21.Lebensjahr vollständig dem Lernen und Experimentieren widmen, dies unterstützt durch sehr kundige Lehrer und fürstlichen Bibliotheken. So kam es, dass er (ii) schon mit 18 Jahren von sich sagen konnte, er habe alle Wissenschaften vollständig gelernt, hatte in dieser Zeit auch schon mehrere Bücher verfasst und begann dann (iii) ein Leben als hoher Beamter und Mediziner an verschiedenen Fürstenhäusern. Obgleich er immer sehr belastet war, setzte er seine Studien kontinuierlich (meist Nachts) fort und schrieb eine Unzahl von Büchern, oft mehrbändig.

Zur Fortsetzung HIER klicken.

QUELLEN

Avicenny, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.

Digital Averroes Research Environment

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

CARTESIANISCHE MEDITATIONEN III, Teil 3

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 11.Dezember 2011,
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

ÄNDERUNGEN: Letzte Änderung Mo, 13. Dez. 2011, vor 10:30h

(40) Zurück zu Husserl. Bei der phänomenologischen Analyse der allgemeinen (intentionalen) Strukturen des Erlebens bilden die sich im Denken  automatisch bildenden Einheiten (jedes einzelne cogitatum ist eine ‚Identitätssynthese‘ (vgl. CM2,S21,Z9-11) jeweils einen ‚Leitfaden für die subjektiven Mannigfaltigkeien‘. (vgl. CM2,S21,Z12f) In der entstehenden Abstraktion auf der Grundlage der phänomenologischen  ‚Typen‘ spielen diese konstituierenden Mannigfaltigkeiten dann aber keine wichtige Rolle mehr; es geht dann um die gefundenen allgemeinen Strukturen.

(41)  Nehmen wir einmal an, dass es diese allgemeine Strukturen sind, die in eine phänomenologische Theorie Th_ph eingehen würden (mir ist niemand bekannt, der bislang solch eine phänomenologische Theorie Th_ph tatsächlich ausgearbeitet hätte; Husserl selbst war weit entfernt davon).

(42) Husserl behauptet nun, dass das ‚Phänomen der Welt‘ einen eigenen Typus, bildet, nämlich den ‚wundersamen Typus universale Weltwahrnehmung‘, der uns als dieser Typus ‚bewusst‘ sei. (vgl. CM2,S21,Z18-21) Er bildet den ‚Leitfaden‘ zur Analyse der ‚Unendlichkeitsstruktur der Erfahrungsintentionalität‘ von der Welt. (vgl. CM2,S21,Z22-27) Innerhalb der phänomenologischen Analyse von der einen Welt gibt es aber viele unterscheidbare Einzelobjekte, die in diesem größeren Zusammenhang so vorkommen, dass sie aus diesem Zusammenhang ’nicht weggedacht‘ werden können. (vgl. CM2,S21,Z35f)

(43) Dass jedes erkennbare Einzelobjekt samt zugehöriger Typik und intentionaler Potentialität im Kontext der synthetischen Einheit des transzendentalen ego ohne diesen Zusammenhang nicht gedacht werden kann, ist gewissermaßen eine Tautologie, da Husserl die transzendentale Analyse genau über jenen unauflöslichen –letztlich a priori vorgegebenen– Denkzusammenhang definiert. Davon zu unterscheiden ist aber die phänomenbezogene Aussage, dass es über diese im Denken verankerte Einheit auch noch eine durch die Sachen selbst induzierte Einheit geben soll. Dass wir in allen Wahrnehmungen eine raum-zeitliche Struktur vorfinden (über die Husserl hier nicht spricht), durch die unsere unterschiedlichen Gegenstände, Objekte in einem Beziehungsgeflecht vorkommen, das wir nicht weg-denken können, ist eine Sache. Zusätzlich dazu ein ‚Superobjekt‘ Welt als vorfindliche Erkenntnis annehmen zu müssen, ist eine Feststellung, die sich –zumindest mir– nicht ohne weiteres erschließt. Diese Unsicherheit zeigt an, dass die Inhalte einer phänomenologischen Analyse, selbst dort, wo sie versucht, ‚allgemeine‘ Strukturen der vorfindlichen Gegebenheitstypen aufzugreifen, zu analysieren und zu beschreiben, nicht immer und überall diese Transparenz und Evidenz besitzt, die Husserl fordert (und bei seinen Aussagen auch unterstellt). Im Zweifelsfall würde ich dafür plädieren, solche unklaren Allgemeinheits-Feststellungen dann zurück zu stellen. Ferner zeigt diese Unsicherheit die Besonderheit einer möglichen phänomenologischen Theoriebildung: dadurch, dass es sich bei den ‚Gegenständen‘ einer phänomenologischen Analyse um Eigenschaften unseres bewussten Denkens handelt, die nicht ‚direkt‘ vorzeigbar sind, sondern nur indirekt im Rahmen einer Kommunikation ‚erschlossen‘ werden können, ist jede phänomenologische Feststellung eine kommunikationsabhängige Hypothese, die voraussetzt, dass es in jedem Kommunikationsteilnehmer prinzipiell die gleichen allgemeinen Strukturen des Denkens gibt. Die von Husserl programmatisch geforderte Letztbegründung von Philosophie wird auf diese Weise trotz ihrer subjektiven Denknotwendigkeit durch ihre Sprachabhängigkeit zu einem relativierbaren kulturellen Phänomen. Zwischenmenschlich kann Philosophie niemals absolut sein, nur individuell-subjektiv für die persönliche Orientierung.

(44) Kommen wir zurück zur formalen Seite der phänomenologischen Analyse. Generell bezieht die phänomenologische Analyse ihre Denknotwendigkeit aus der vorfindlichen Einheit des Denkens. Innerhalb dieser allgemeinen Einheit postuliert Husserl aber weitere begrenztere Einheiten,  die aus der Mannigfaltigkeit des Gegebenen als ‚Objekte‘ und zugleich als ‚Objekttypen‘ entstehen. Und er stellt explizit fest ‚Jedes Objekt bezeichnet eine Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität‘. (vgl. CM2,S22,Z5-7) Hier stellen sich sehr viele Fragen. Einige seien genannt.

(45)  Der Ausdruck ‚Regelstruktur für die transzendentale Subjektivität‘ ist nicht ohne weiteres klar, da Husserl bislang noch nirgends erklärt hat, was eine ‚Regel‘ sein soll, er hat den Begriff ‚Struktur‘ ebenfalls nicht explizit erklärt, geschweige denn den neuen Begriff ‚Regelstruktur‘. Aus der Vielzahl möglicher Interpretationen wird hier versuchsweise angenommen, dass es Husserl darauf ankam, zu erklären, dass die durch die Objekteinheit gegebene Typik im Rahmen der transzendentalen Synthese etwas ‚Nicht-Zufälliges‘, etwas ‚Nicht-Kontingentes‘ hat. Damit wäre die Basis  für eine Grundlegung der Philosophie über die allgemeine transzendentale Einheit hinaus durch Ausdifferenzierung der allgemeinen Einheit ‚erweitert‘. Diese Annahme macht nur Sinn, wenn die auf die Objekt-Typik bezogene Einheit vom einzelnen Objekt ‚unabhängig‘ ist. Die vorausgehenden Abschnitte legen diese Interpretation nahe. Daraus folgt, dass diese Objekt-Typik durch die Art des Denkens selbst (DLOG) ‚induziert‘ wird. D.h. egal, welches einzelne Objekt durch die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmung sich im Denken ‚zeigt‘, jede dieser objektbezogenen Typen ergibt sich aus der Art und Weise, wie das Denken Mannigfaltigkeiten ‚organisiert‘, ‚verarbeitet‘, ‚aufbereitet‘ –oder wie immer man die Leistung des Denkens bezeichnen möchte–. Mit solch einem Interpretationsansatz erscheint die Einheit der Objekte als denknotwendig, sprich von transzendentaler Natur. Es bleibt dann nur die Frage nach dem ‚Sachanteil‘ der Erkenntnis. Wenn die Mannigfaltigkeit, die letztlich die Unterscheidung zwischen Objekten möglich macht und die die Voraussetzung für sprachliche Benennungen ist, im ‚eigentlichen‘ Denken keine Rolle mehr zu spielen scheint, dann fragt man sich, was denn letztlich den ‚Inhalt‘ des denknotwendigen Denkens ausmacht?

(46) Eine weitere Interpretation könnte sein, dass diese allgemeinen Strukturen des Denkens zwar vom Denken selbst induziert sind, aber nur gelegentlich des Auftretens von Mannigfaltigkeiten ’sichtbar‘ werden. Damit hätten die Mannigfaltigkeiten zumindest eine Art ‚Triggerfunktion‘.  Dies scheint der Weise unseres Denkens zu entsprechen. Wir können über die Strukturen unseres Denkens nur anlässlich des aktiven Denkens ‚denken‘. Der ‚Inhalt‘ dieses Denkens wird aber nur in dem Masse ’nutzbar‘, als es uns gelingt, diesen Inhalt zu analysieren und zu beschreiben (als Th_ph). Das Gleiche gilt natürlich auch von den eher ‚kontingenten Inhalten‘, anlässlich deren die allgemeinen Strukturen sichtbar werden. Auch diese kann man in ihrer Eigenart analysieren und beschreiben. Die ‚Daten‘ DAT_ph einer phänomenologischen Theorie Th_ph enthalten also sowohl Beschreibungen von ‚kontingenten‘ Daten wie auch Daten über ‚allgemeine Struktureigenschaften‘ des Denkkontextes, in dem diese Daten auftraten. Diese Daten DAT_ph zu einer konsistenten phänomenologischen Theorie Th_ph auszuarbeiten stellt dann die eigentliche theoretische (und philosophische) Leistung dar.

(47) Bzgl. der Feststellung über das Super-Objekt Welt (bei Husserl ‚universale Weltwahrnehmung‘) hatte ich angemerkt, dass die Behauptung der universalen Gültigkeit dieser Erkenntnis mir nicht direkt zwingend erscheint. Husserl läßt hier aber nicht locker. Für ihn resultiert die Einheit des Phänomens ‚Natur‘ bzw. ‚Welt‘ als transzendentale Einsicht aus dem Kontext von ‚Vernunft und Unvernunft‘; letztere gehören für ihn zur ‚allgemeinsten Strukturform der transzendentalen Subjektivität überhaupt‘. (vgl. CM2,S22,Z8-17)

(48) Trotz dieser Wiederholung ist nicht erkennbar, woher Husserl die hierzu notwendigen Evidenzen rekrutiert.  Das Wort ‚überhaupt‘ im Ausdruck ‚transzendentale Subjektivität überhaupt‘  lässt zwar Emphase‘ erkennen, deutet an, dass sein Autor auf die immanenten ‚Grenzen‘ des Gemeinten zielt, doch ist die ‚transzendentale Subjektivität‘ von Husserl auf die apriorische Einheit des transzendentalen ego bezogen, die als solche ‚eine‘ ist und nicht weiter hintergehbar. In diese letzte Einheit eine noch allgemeinere Einheit mit der Formulierung ‚transzendental überhaupt‘  hinein zu projizieren, erscheint wenig überzeugend. Zumal Begriffe wie ‚Vernunft‘ und ‚Un-Vernunft‘ hochgradig unbestimmt und ‚leer‘ sind. Von etwas Unbestimmtem und Undefiniertem wie ‚Vernunft‘ zu sagen es sei die ‚allgemeinste Form‘ und zugleich die ‚Einheit überhaupt‘ überzeugt mich nicht. Es mag sein dass der Begriff ‚Vernunft‘ in anderen begrifflichen Kontexten einen fassbaren Sinn haben kann, in dem von Husserl bislang skizzierten Zusammenhang einer transzendentalen Phänomenologie sehe ich dies nicht.

(49) Husserl spricht dann über ‚Evidenz‘ im Kontext des Transzendentalen als etwas ’nicht zufällig Vorkommendes‘.(vgl. CM2,S22,Z18-21) Er benutzt dabei das Wort ’selbst‘ fast inflatorisch (analog dem Wort ‚überhaupt‘ in vorausgehenden Abschnitten), etwa nach dem Schema nicht nur ein ‚X‘, sondern das ‚X selbst‘, oder –mit Husserls Worten– ‚das cogitatum als es selbst habend‘.(vgl. CM2,S22,Z22f) Was aber macht den Unterschied aus zwischen einem ‚X‘ und dem ‚X selbst‘? Nach den bisherigen Ausführungen zur transzendentalen Phänomenologie ist sich das transzendentale ego entweder ’seiner selbst‘ nicht bewusst sondern ist  ‚bei‘ oder ‚in‘ den cogitata als den intentionalen Gegenständen des Denkens (ohne epoché) oder das transzendentale ego ist sich seiner bewusst und damit werden die cogitata eingebettet in eine intentionale Beziehung, die sich ihrer bewusst ist und die ‚in sich‘ oder ‚aus sich heraus‘ alle cogitata innerhalb der Einheit des Denkens ‚als cogitata‘ bewusst denken kann. In diesem Schema wäre eine Interpretationsmöglichkeit, den Fall ‚X‘ zu assoziieren mit dem ‚bei/ in den cogitata‘ sein ohne eingeschaltete kritische Reflexion und den Fall ‚X selbst‘ zu assoziieren mit der eingeschalteten Reflexion, in der die cogitata als Momente einer intentionalen Beziehung ‚bewusst‘ sind, darin ’sie selbst‘. Dies scheint Husserl gemeint zu haben, wenn er sagt ‚…alle Intentionalität ist… selbst ein Evidenzbewusstsein, das ist das cogitatum als es selbst habend…‘. (vgl. CM2,S22,Z21-23)

(50) Man kann natürlich fragen, ob es glücklich ist, das cogitatum, sofern es in der Reflexion als ein ‚Eingebettetes in einer größeren Einheit‘ erscheint, als ‚es selbst‘ zu bezeichnen, aber es entspricht dem Sprachgebrauch deutscher Bewusstseinsphilosophen.

(51) Schwierig wird es, wenn Husserl von dem unmittelbar im Denken Gegebenen ‚X selbst‘ auf das potentielle X rekurriert, auf das vor jeder Klarheit gegebene ‚vage, leere, unklare‘ Bewusstsein, (vgl. CM2,S22,Z25) das ‚auf dem Weg der Klärung‘ dann als Vorgestelltes, Fantasiertes, Gedachtes, Erinnertes usw. bewusst und darin wirklich, reell wird. Da man sich sofort fragt, wie etwas nicht Bewusstes Gegenstand des bewussten Denkens sein kann (nicht bewusst ist ja gerade das Gegenteil von bewusst), hakt man sich fest an der Formulierung Husserls, dass ein leeres Bewusstsein nur ‚Bewusstsein von dem und dem‘ sein kann, ’sofern es auf einen Weg der Klärung verweist‘.(vgl. CM2,S22,Z26f) Dies wirkt mindestens paradox, wenn nicht gar falsch.

(52) Wenn wir zunächst mal davon ausgehen, dass das Komplementäre zum Bewusstsein C das Nicht-Bewusstsein C‘ ist, d.h. Alle jene ‚Dinge‘ die es zwar ‚irgendwie geben mag‘, die aber eben per definitionem nicht bewusstseinsmässig zugänglich sind, dann gibt es für das Bewusstsein C keinerlei Möglichkeit auf irgendein x‘ in C‘ zu schließen. Die Formulierung von Husserl ’sofern es auf einen Weg der Klärung verweist‘ ist also bei Annahme der Definition von Bewusstsein und Nicht-Bewusstsein im vorausgehenden Sinne im Ansatz nicht möglich. Im Nichtbewusstsein C‘ gibt es kein etwas x‘ in C‘, das in irgendeiner Weise dem Bewusstsein C zugänglich ist.

(53) Will man die Aussage Husserls retten, dann könnte man ein ‚Drittes‘ postulieren, nämlich einen Zwischenbereich zwischen Bewusstsein C und Nichtbewusstsein C‘; nennen wir dieses Dritte hypothetisch ‚Un-Bewusstes‘ C*. Das Un-Bewusste wäre dann ein etwas x* in C*, dessen konkrete Ausgestaltung als solche aktuell nicht gerade bewusst ist, aber ‚irgendwie‘ gibt es ein ‚leeres, vages‘ Bewusstsein von seiner Verfügbarkeit. Ein möglicher Zusammenhang (Hypothese) zwischen einem bewussten Phänomen x in C und einem unbewussten x* in C* wäre möglicherweise, dass jedes bewusstes Phänomen x in den ‚Zustand‘ eines unbewussten x* übergehen kann und umgekehrt. Die Details dieser Übergänge von x nach X* und zurück lassen wir an dieser Stelle einmal offen. Wichtig ist nur, dass es keinerlei Übergänge von einem nicht bewussten x‘ in C‘ zu einem bewussten x in C geben kann. Möglicherweise aber von einem unbewussten x* in C* zu einem nicht bewussten x‘ in C‘. Die Formulierung von Husserl ‚Jedes vage Bewusstsein kann ich befragen, wie sein Gegenstand aussehen müsste‘, kann man als Bekräftigung der Hypothese zum Un-Bewussten C* lesen.

(54) In diesem Zusammenhang führt Husserl auch die Begriffe ‚Bestätigung‘, ‚Erfüllung‘ einerseits ein wie auch die Begriffe ‚Enttäuschung‘, ‚Aufhebung‘, ‚Negation‘ andererseits ein.(vgl. CM2,S22,Z36-38) Alle diese Begriffe setzen eine Beziehung (Relation) voraus: Ich habe ein X, das sich in einem Zustand befindet, von dem ich noch nicht sagen kann, dass er ‚bestätigt‘ oder ‚enttäuscht‘ sei oder ich habe –zeitlich danach– einen Zustand, in dem ich von X sagen kann, er sei bestätigt oder er sei enttäuscht.

(55) Man kann sich jetzt fragen, wo und wie sich dieses Schema innerhalb der transzendentalen Phänomenologie ‚interpretieren‘ lässt. Da man von den allgemeinen Strukturen annehmen muss, dass sie ’sind wie sie sind‘, kann ein Bestätigen bzw. Enttäuschen nur bei jenen Gegebenheiten (Tatsachen) des Bewusstseins auftreten, die in einer Beziehung vorkommen können, in denen sich etwas ändert. Dies sind eigentlich nur jene Objekte, die auf kontingenten Mannigfaltigkeiten beruhen, die mal so und mal so sein können. Während ‚Erinnerbares‘ (das ein Bewusstes x in C war, das zu einem unbewussten x* in C* überging und von dort wieder zu einem bewussten x in C werden kann) tendenziell eher seine Beschaffenheit ‚bewahrt‘ (obgleich wir heute wissen, dass das Erinnerte immer Verschieden ist von dem initialen Bewussten), ist es das sinnlich Wahrgenommene, das sich ‚autonom‘ ändert. Man könnte also ein erinnertes bewusstes x_mem in C mit einem sinnlich wahrgenommenen x_emp in C vergleichen. In der Tat sagt unsere Erfahrung, dass zwischen Erinnertem x_mem und sinnlich Wahrgenommenen x_emp Bestätigung oder Enttäuschung stattfinden kann (z.B. bestaetigung(x_mem, x_emp) = 1 oder  bestaetigung(x_mem, x_emp) = 0). Natürlich kann sowohl unsere ‚Fantasie‘ wie auch unser ‚rationales Denken‘ als Teile von DLOG eine Menge von bewussten x_i in C ‚verarbeiten‘ zu einem ’neuen‘ x_neu in C. Auch bzgl. eines solchen ’neuen‘ x_neu kann man einen Vergleich mit einem x_emp anstellen (oder auch einem x_mem):  bestaetigung(x_neu, x_emp) = 1 oder  bestaetigung(x_neu, x_emp) = 0.

(56) Husserl benutzt im vorausgehenden Kontext das Begriffspaar ‚anschaulich‘ und ‚unanschaulich‘.(vgl. CM2,S23,Z3f) Der systematische Bezug zur Themaik ‚Bestätigung‘ und ‚Enttäuschung‘ ist nicht ganz klar.

Zur Fortsetzung siehe CM3, Teil 4

HINWEIS: Einen Überblick über alle Blog-Einträge nach Titeln findet sich hier: Übersicht nach Titeln