Archiv der Kategorie: Denken des Denkens

IN ZWEI WELTEN LEBEN …

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 23.Juli 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Nach einer längeren Schreibpause, hier ein kurzes Blitzlicht …

SCHWEIGEN IST VIELDEUTIG

Es ist ja ein beliebter Topos, über das Schweigen zu sinnieren. Korrespondiert es mit einem ‚Nichts‘ oder ist es nur ein Artefakt vielschichtiger, sich wechselseitig in Bann haltender Aktivitäten, die sich ’nach Außen quasi ‚aufheben’…

Dies ist ein Bild. Für mein Schweigen trifft weder das eine noch das andere zu. Tatsächlich ist bei mir die letzte Zeit extrem dicht angefüllt mit Aktivitäten, Denken, Schreiben, ja auch mit Programmieren, eine moderne Form des Schreibens. Letzteres leider in unserer Kultur von schöngeistigen Menschen wenig geachtet, tatsächlich aber der Stoff, aus dem das Meiste ist, was wir heute für unser Leben benutzen.

DENKEN – VIELFÄLTIG – IM DENKEN DENKEN

Die vielfältigen Formen des Denkens zu katalogisieren und zu bewerten, dann eventuell noch hierarchisch zu gewichten, ist sicher reizvoll. Bis zu einem gewissen Grade und in gewissen Situationen mag dies sogar notwendig sein (Gesetzestexte, Rezepten, Bauanleitungen, Sportberichte, Finanzberichte ….), aber man verliert die Wahrheit aus dem Blick wenn man übersieht, dass alle diese verschiedenen Spezialformen Ausdrucksformen einer einzigen Sache sind, nämlich der Bemühung des menschlichen Geistes — realisiert in den vielen einzelnen Menschen — sich im Hier und Jetzt zurecht zu finden; zu verstehen, wie denn das alles zusammenhängt. Warum das alles so ist, wie es ist. Gibt es irgendwie ein Ziel für die Zukunft? Mehrere? Welches ist am günstigsten? Für wen? Aus welchem Grund?

Für mich war das Schreiben in diesem Block seit ca. 10 Jahren mein Versuch, mich selbst in ein Gespräch zu verwickeln, das mich zwang, Eindrücken, Fragen nachzugehen, die ich ohne dies Schreiben eher achtlos beiseite gelassen hätte. Natürlich, neben viel Spaß, Lust an der Sache, Neugierde, Entdeckerfreuden usw. war es auch weite Strecken mühsam, quälend, mit der ständigen Frage: Muss das so sein? Bringt das was? Im Rückblick, nach ca. 9000 Seiten Text, würde ich sagen, es hat — zumindest für mich — sehr viel gebracht. Ich habe begonnen, Dinge zu verstehen, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie gibt, Zusammenhänge, die mir verborgen waren, überraschende neue Ausblicke, Glücksgefühle, noch mehr Neugierde, viel Hoffnung, ein wachsendes Vertrauen in dieses unfassbare Wunder genannt Leben. Ich bin jetzt soweit, dass ich zumindest ahnen kann, dass das Leben viel größer, tiefer, komplexer, reicher, gewaltiger ist, als alles, was uns die bekannten alten Traditionen — vor allem die alten Religionen, aber auch Einzelbereiche der Wissenschaften — bisher erzählt haben oder heute noch erzählen.

Insofern habe ich aus dem bisherigen Schreib- und Reflexionsprozess viel Kraft gezogen, viel Hoffnung, viel neues Vertrauen, Unternehmenslust, mit dabei zu sein, wenn es geht, die Unfassbarkeit unseres Lebens weiter zu gestalten.

MITGESTALTEN …

Je mehr man diesen Wunsch hegt, nicht nur passiv aufzunehmen, nicht nur zu verstehen, um so schwieriger wird dann die Frage, wo steigt man ein? Was kann man als einzelner mit seinen jeweiligen Möglichkeiten konkret tun?

Leute, die mit markigen Sprüchen durch die Welt laufen, die vielfarbige Slogans verteilen, die einfache schwarz-weiß Bilder austeilen, gibt es genug. Alles ist sehr einfach…

Aber, das Wunder des Lebens ist — nicht wirklich einfach. Wir selbst sind zwar zunächst als ‚Hineingeworfene‘ auf den ersten Blick einfach, weil wir etwas sehr Komplexes sind, das Komplexeste, was es im ganzen Universum gibt, aber wir haben keinen Finger dafür krumm gemacht, wir finden das alles einfach so vor, wir können sofort loslegen, ohne große umständliche Prozesse zu durchlaufen (OK, es gibt mittlerweile in den meisten Kulturen komplexe selbst definierte Lernprozesse in Kindergärten, Schulen, Betrieben, Hochschulen usw.), aber wir müssen nicht verstehen, wie wir funktionieren, um zu funktionieren. Unser Körper, das Äquivalent von ca. 450 Galaxien im Format der Milchstraße, funktioniert für uns, ohne dass wir verstehen müssen (und auch tatsächlich nicht verstehen können, bislang) wie er funktioniert. Wir sind ein Wunderwerk des Universums und können ‚funktionieren‘, obwohl wir uns praktisch nicht verstehen.

Da beginnt meine zweite Story: auf Ganze gesehen weiß ich so gut wie nichts, nah besehen weiß ich aber mittlerweile zu viel, als dass ich einfach so tun könnte, nichts zu wissen 🙂

EINZELTEILE ZUSAMMEN SUCHEN

Im Rahmen meiner unterschiedlichen Lehr- und Forschungstätigkeiten, zwischendrin auch ’normale‘ berufliche Arbeiten, habe ich schrittweise viele wissenschaftliche Bereiche kennen lernen dürfen und dabei entdeckt, dass wir aktuell ein ‚Zusammenhangs-Problem‘ haben, will sagen, wir haben immer mehr einzelne Disziplinen,die je für sich hoch spezialisiert sind, aber die Zusammenhänge mit anderen Bereichen, ein Gesamtverständnis von Wissenschaft, gar doch noch mit dem ganzen Engineering, dies geht uns zusehends ab. Dies bedeutet u.a. dass ein neuer Beitrag oft gar nicht mehr richtig gewürdigt werden kann, da die Umrisse des Ganzen, für das etwas entdeckt oder entwickelt wurde, kaum noch greifbar sind. Dies ist das Fake-News-Problem der Wissenschaften.

Ob geplant oder spontan oder zufällig, ich kann es nicht genau sagen, jedenfalls habe ich vor einigen Jahren damit begonnen, zu versuchen, die Disziplinen, in denen ich tätig sein konnte, langsam, schrittweise, häppchenweise, zu systematisieren, zu formalisieren, und sie auf die mögliche Wechselwirkungen mit den anderen Bereichen hin abzuklopfen.

Zu Beginn sah dies alles sehr bruchstückhaft, eher harmlos aus.

Doch im Laufe der Jahre entwickelten sich Umrisse, entstanden immer deutlicher Querbezüge, bis dann so langsam klar wurde, ja, es gibt hier mögliche begriffliche Rahmenkonzepte, die sehr prominente und doch bislang getrennte Disziplinen auf eine Weise zusammen führen können, die so bislang nicht sichtbar waren.

MENSCH – MASCHINE – UND MEHR …

Mein Fixpunkt war das Thema Mensch-Maschine Interaktion (MMI) (Englisch: Human-Machine Interaction, HMI), von mir dann weiter entwickelt zum allgemeinen Actor-Actor Interaction (AAI) Paradigma. Mehr zufällig bedingt, genau genommen durch einen wunderbaren Freund, einem Südafrikaner, ein begnadeter Systems Engineer, habe ich auch sehr früh begonnen, das Thema Mensch-Maschine Interaktion immer auch im Kontext des allgemeineren Systems Engineerings zu denken (im englischsprachigen Raum ist das Paradigma des Systems Engineering sehr geläufig, im deutschsprachigen Bereiche gibt es viele Sonderkonzepte). Irgendwann haben wir angefangen, das Systems Engineering zu formalisieren, und im Gefolge davon habe ich dies ausgedehnt auf das Mensch-Maschine Paradigma als Teil des Systems Engineerings. Dies führte zu aufregenden Verallgemeinerungen, Verfeinerungen und letztlich auch Optimierungen. Es war dann nur eine Frage der Zeit, bis das ganze Thema Künstliche Intelligenz (KI) integriert werden würde. KI steht bislang theoretisch ein wenig verloren im Raum der vielen Disziplinen, kaum verortet im Gesamt der Wissenschaften, des Engineering, der allgemeine Kognitions-, Lern- und Intelligenztheorien der biologischen Disziplinen. Im Rahmen des AAI Paradigmas ist KI eine Subdisziplin, die eine spezielle Teilmenge von Akteuren in ihrem Verhalten beschreiben, modellieren und simulieren kann, aber eben nicht isoliert, sondern eingeordnet in den Gesamtrahmen von Engineering und Wissenschaft. Dies eröffnet viele aufregende Perspektiven und Anwendungsmöglichkeiten.

Und so wird es auch niemanden verwunden, dass mein Engagement für ein integriertes begriffliches System für Systems Engineering, MMI und KI zugleich auch ein starkes Engagement für die philosophische Dimension wurde.

Ein Leser dieses Blocks wird nicht verwundert sein, wenn ich feststelle, dass es gerade die intensive Beschäftigung mit dem Engineering und seiner Meta-Probleme waren, die mich zur Philosophie zurück geführt hatten. Nach meiner völligen Frustration mit der klassischen Philosophie während des ersten Anlaufs einer Promotion in Philosophie an der LMU München (ca. 1980 – 1983) — ein Roman für sich — fand ich viele wertvolle Erkenntnisse im intensiven Studium der Wissenschaftsphilosophie und einiger konkreter Wissenschaften. Das Engineering (mit Schwerpunkt Informatik) war dann noch bereichernder. Aber gerade hier, im Systems Engineering, bei dem Thema Mensch-Maschine, und ausgerechnet mitten in den Lerntheorien der KI, bin ich auf so viele grundlegende philosophische Fragen gestoßen, dass ich von da ab — fast notwendigerweise — wieder angefangen habe philosophisch zu denken. Eines der Hauptmotive für diesen Block.

Natürlich, das merkt man wohl auch schon beim Lesen, führt die Breite und Fülle dieser Aspekte dazu, dass man nicht schnell, und nicht immer konzise arbeiten kann. Man muss viele Fragen mehrfach bedenken, oft von verschiedenen Seiten aus, muss immer wieder von vorne anfangen, und wenn man dann meint, jetzt habe man man den Bogen doch gut hinbekommen, entdeckt man von einer anderen Seite so viele anderen Aspekte, Löcher, Unzulänglichkeiten, dass man gerade nochmals von vorne anfangen kann.

Wie schwierig es auch sein mag, die Umrisse eines Ganzen deuten sich doch mittlerweile immer stärker an, so stark, dass ich das Gefühl habe, dass dieser andere Block — uffmm.org–, mein Blog für das Engineering, ab jetzt mehr — oder gar die ganze — Aufmerksamkeit verlangt.

Denn, eine Folge von Zusammenhangs-Sichten ist, dass man — fast unaufhaltsam — immer weitere Zusammenhänge entdeckt. So ist natürlich eng verknüpft mit dem Mensch-Maschine Paradigma der gesamte Komplex der biologischen und psychologischen Verhaltenswissenschaften, dazu gehörig auch das, was man Kognitionswissenschaft nennt, und damit ganz viele weitere spezielle Disziplinen, die irgendwie den Menschen und sein Verhalten thematisieren (Semiotik, Linguistik, Soziologie, …).

Während das Lesen und Studieren einzelner Werke und Artikel aus diesen Bereichen ohne übergreifenden Zusammenhang oft so beliebig, und damit frustrierend, wirkt, gewinnen diese Werke bei einem expliziten begrifflichen Zusammenhang eine ganz andere Farbigkeit, leuchten auf, werden interessant. So ist mir dies z.B. in den letzten Monaten mit Büchern von Edelman, Gallistel und Gärdenfors gegangen (um einige Beispiele zu nennen).

Während es also einerseits darum geht, immer mehr prominente Beispiele aus den genannten Disziplinen in den neuen begrifflichen Rahmen einzuordnen, ist mir auch klar geworden, dass dies alles — so wunderbar das für sich genommen schon ist (obgleich noch im Prozess) — heute nicht mehr ausreichend ist, ohne eine hinreichende Softwareunterstützung, ohne Software-Modellierung und vielerlei Simulationsversionen. Schon ein rein empirisches verhaltenswissenschaftliches Buch wie das grundlegende Werk von Gallistel zur Organisation des biologischen Lernens bleibt ohne zugehörige Softewaremodelle irgendwie ein Torso, entsprechend auch die Werke von Gärdenfors zu Begriffs-Räumen (Conceptual Spaces). Ein positives Beispiel für Theorie und Computersimulation liefert Edelman in vielen Büchern, Artikeln und Programmen. Und ich weiß aus eigener Vorlesungserfahrung, dass die Vorlesungen zum dynamischen Lernen erste mit der zugehörigen Softwaremodellierung jene Farbe und Tiefe bekommen haben, die es heute braucht.

Für mich ergibt sich daraus, dass ich parallel zur Text-Version der Theorie — natürlich mit hinreichenden Formalisierungen — eine vollständige Softwareabdeckung brauche. Ohne diese wird das alles nur Stückwerk bleiben.

Damit entsteht ein ziemliches Aufgabenpaket: Systems Engineering mit Actor-Actor Paradigma, dazu KI integriert, bei AAI Kognitionswissenschaften integriert, und zu allem die notwendige Software.

Allerdings eine wichtige Dimension fehlt bei dieser Aufzählung noch: die allgemeine Philosophie und die Wissenschaftsphilosophie. Die allgemeine Philosophie und die Wissenschaftsphilosophie können zwar die Einzelwissenschaften nicht ersetzen, aber die Einzelwissenschaften ohne eine explizite allgemeine Philosophie und Wissenschaftsphilosophie gleichen einem Haufen gackernder Hühner, deren Einzelbeiträge schnell in Kakophonie umschlagen kann, wenn sie nicht integriert werden.

Also, im Prinzip ist sehr klar, wie es gehen soll, es konkret zu tun ist scheinbar unmöglich. Aber genau das ist es, worum es geht: das Leben als solches in diesem Universum ist die maximale Unmöglichkeit, aber dennoch ist es da, dennoch entwickelt es sich. Dieses Mysterium einer ungeheuren Kraft, das Unmögliche möglich zu machen, das ist das, was jeden Menschen, insbesondere jeden Wissenschaftler, antreiben sollte, ansonsten sind wir tatsächlich — möglicherweise — schlechter als alle denkbaren Roboter der Zukunft.

AUF DIE BAUSTELLE

Wie schon angedeutet, hat meine Theoriebaustelle einen Namen: uffmm.org . ‚uffmm‘ ist die Abkürzung eines ganzen Satzes. Ich verrate jetzt nicht, wie dieser Satz heißt. Schön wäre es, wenn er einmal wahr werden würde.

Wer will, kann die Ereignisse auf dem uffmm-Blog verfolgen, allerdings ist dort alles auf Englisch. Es ist nicht meine Sprache, ich fühle mich damit sprachlich amputiert, aber es ist die zur Zeit beste Arbeitssprache für den internationalen Raum.

Ich habe auch keine Ahnung, wie weit ich kommen werde.

Parallel betreibe ich noch ein Anwendungsprojekt mit Überschrift ‚Kommunalplanung als eGaming‚. Damit zielen wir auf alle ca. 11.000 Kommunen in Deutschland, mit einem neuen Ansatz für mehr Demokratie in einer digitalisierten Welt. Dieser Ansatz ist ein direkter Ausfluss der zuvor angedeuteten Theoriearbeit (plus Software).

Der Philosophie-Jetzt Block war der entscheidende Inkubator für diese Weiterentwicklung. Ob und wie sich dieser Blog weiter entwickelt, wird man sehen. Er war ganz und gar ungeplant, und so wird auch die weitere Zukunft sich ereignen 🙂

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ZUR ENTDECKUNG DER VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT IN DER GEGENWART. Zwischenbemerkung

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 10.Dez. 2017
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: cagent
Email: cagent@cognitiveagent.org

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IDEE

Wenn man gedanklich in komplexen Strukturen unterwegs ist, kann es bisweilen helfen, sich zwischen drin bewusst zu machen, wo man gerade steht,
worum es eigentlich geht. Dies ist so ein Moment.

I. BILDERFLUT AUS MÖGLICHKEIT

Wir leben in einer Zeit, wo die Technik die
Möglichkeit eröffnet hat, Bilder zu erschaffen, die
mehr oder weniger alles zum Gegenstand haben, auch
Unsinniges, Idiotisches, reinste Fantasien, explizite
Lügen, Verleumdungen, … und für einen normalen homo
sapiens, der – bei intaktem Sehvermögen – primär ein
visuell orientiertes Lebewesen ist, führt diese Bilderflut
dazu, dass die wahre Realität sich immer mehr auflöst
in dieser Bildersuppe. Selbst wenn die Bilder noch als
Science Fiction, Fantasy, Crime, … gelabelt werden, im
Gehirn entsteht eine Bildersuppe, wo sich wahres Reales
mit Irrealem zu einem Gebräu mischt, das den Besitzer
dieses Gehirns in einen Dauerzustand der zunehmenden
Desorientierung versetzt. Der einzelne Bildproduzent
mag vielleicht sogar redliche Absichten haben, aber die
Masse der irrealen Bilder folgt ihren eigenen Gesetzen.
Das einzelne Gehirn verliert Orientierungsmarken.
Die Bereitschaft und Neigung von Menschen aller
Bildungsschichten selbst mit Doktortiteln (!), beliebig
wirre populistische, fundamentalistische oder esoterische
Anschauungen über die Welt als ’wahr’ zu übernehmen,
ist manifest und erschreckend. Wenn die grundlegenden
Wahrheitsfähigkeit von Menschen versagt, weil das
Gehirn über zu wenig verlässlich Ankerpunkte in der
Realität verfügt, dann ist alles möglich. Ein alter Lehrsatz
aus der Logik besagt: Aus Falschem folgt alles.

More than Noise – But What?

II. RÜCKERINNERUNG AN DIE WAHRHEIT

In einem vorausgehenden – eher grundlegenden –
Blogeintrag sind jene elementaren Grundstrukturen angesprochen worden, durch die jeder homo sapiens eine elementare Wahrheitsfähigkeit besitzt, auch in
Kommunikation und Kooperation mit anderen.
Aus diesem Text geht hervor, dass es grundsätzlich
möglich ist, dass dies aber kein Selbstgänger ist,
keinen Automatismus darstellt. Das Gelingen von
Wahrheit erfordert höchste Konzentration, erfordert
kontinuierliche Anstrengung, und vor allem auch das
Zusammenspiel vieler Faktoren. Moderne Demokratien
mit einer funktionierenden Öffentlichkeit, mit einem
ausgebauten Bildungs- und Forschungssystem kommen
diesen wissenschaftsphilosophischen Anforderungen
bislang am nächsten.

Wer die Bedeutung dieser Mechanismen zur
Voraussetzung von Wahrheit kennt und sich die
reale Welt anschaut, der kann weltweit eine
starke Rückentwicklung dieser Strukturen und
Prozesse beobachten, eine weltweite Regression
von Wahrheitsprozessen. Die Folgen sind schon jetzt
katastrophal und werden sich eher verstärken. Den Preis
werden letztlich alle zahlen. Wer glaubt, man könne sich
in einem Teilprozess isolieren, der täuscht sich.
Allerdings, im Fall der Wahrheit gelten andere Regel
als rein physikalische: Wahrheit selbst ist ein nicht-
physikalisch beschreibbares Phänomen. Es entstand
gegen alle Physik, es entstand auf eine Weise, die wir
bislang noch nicht richtig verstehen, und es macht im
Ansatz alle zu Verlierern, die sich außerhalb stellen.
Genauso irrational, wie sich weltweit eine Regression
von Wahrheit ereignen kann – und aktuell ereignet –,
genauso bizarr ist zugleich, warum so viele Mächtige
solch eine ungeheure Angst vor Wahrheit haben
(schon immer). Warum eigentlich? Warum gibt es
diesen ungeheuren Drang dazu, andere Menschen
zu kontrollieren, Ihnen Meinungen und Verhalten
vorzuschreiben, Algorithmen zu entwickeln, die die
Menschen in Richtungen leiten sollen, die schon falsch
sind, als sie ausgedacht wurden?

Solange es nur einen einzigen Menschen auf dem
Planet Erde gibt, so lange gibt es die Chance für
Wahrheit. Und so lange es die Chance für Wahrheit gibt,
muss jeder, der Wahrheit verrät, unterdrückt, verleugnet
sich als Verräter sehen, als Feind des Lebens.

More Beyond Noise – How Far away? Which kind of Distance?

III. UNIVERSUM – ERDE – LEBEN

Wenn man zu ahnen beginnt, wie kostbar Wahrheit
ist, wie schwierig sie zu gewinnen ist, und wenn man
weiß, wie viele Milliarden Jahre das Leben auf der
Erde gebraucht hat, um wahrheitsfähig zu werden, auch
noch in den späten Phase der Lebensform homo bzw.
dann des homo sapiens, dann kann man umgekehrt
zu einer geradezu andächtigen Haltung finden, wenn
man sich anschaut, was die modernen experimentellen
Wissenschaften im Laufe der letzten Jahrhundert, sogar
erst in den letzten Jahrzehnten (!!!) alles offenlegen
konnten.

Man bedenke, was wir primär wahrnehmen, das
ist Gegenwart, und die unfassbaren Blicke zurück in
die Vergangenheit der Evolution des Lebens und des
Universums (und möglicher weiterer Universen) liegen
nicht auf der Straße! Die Gegenwart ist Gegenwart und
ihr, der Gegenwart, Hinweise auf eine Zeit davor zu
entlocken, das war – und ist – eine der größten geistigen
Leistungen des homo sapiens.

Die Vergangenheit kann sich ja niemals direkt zeigen,
sondern immer nur dann, wenn eine bestimmte Zeit
mit ihren Strukturen und Prozessen Artefakte erzeugt
hat, die im Fluss der Zeit dann später als Spuren,
Hinweise, vorkommen, die ein Lebewesen dieser neuen
Gegenwart dann auch als Hinweise auf eine andere Zeit
erkennt.

So hat die Geologie irgendwann bemerkt, dass die
verschiedenen Gesteinsschichten möglicherweise
Ablagerungen aus vorausgehenden Zeiten sind.
Entsprechend haben die Biologen aus Versteinerungen
auf biologische Lebensformen schließen können,
die ’früher einmal’ gelebt hatten, heute aber nicht
mehr oder, heute auch, aber eventuell verändert. Die
Physik entdeckte, dass aufgrund der unterschiedlichen
Leuchtkraft gleicher Sternphänomene große Entfernungen im Universum anzunehmen sind, und mit der Fixierung der Geschwindigkeit des Lichts konnte
man auch auf Zeiten schließen, aus denen dieses Licht
gekommen sein muss: man war plötzlich bei vielen
Milliarden Jahren vor der Gegenwart.
Diese wenigen und vereinfachten Beispiele können
andeuten, dass und wie in der Gegenwart Zeichen einer
Vergangenheit aufleuchten können, die unsere inneren
Augen des Verstehens in die Lage versetzen, die scheinbare Absolutheit der Gegenwart zu überwinden und langsam zu begreifen, dass die Gegenwart nur
ein Moment in einer langen, sehr langen Kette von
Momenten ist, und dass es Muster zu geben scheint,
Regeln, Gesetze, Dynamiken, die man beschreiben
kann, die ansatzweise verstehbar machen, warum dies
alles heute ist, wie es ist.

Es versteht sich von selbst, dass diese unfassbaren
Erkenntnisleistungen der letzten Jahrzehnte nicht nur
möglich wurden, weil der Mensch qua Mensch über
eine grundlegende Wahrheitsfähigkeit verfügt, sondern
weil der Mensch im Laufe der letzten Jahrtausende
vielerlei Techniken, Abläufe ausgebildet hat, die ihm
bei diesen Erkenntnisprozessen unterstützen. Man
findet sie im technischen Bereich (Messgeräte, Computer,
Datenbanken, Produktionsprozesse, Materialtechniken, …..), im institutionellen Training
(langwierige Bildungsprozesse mit immer feineren
Spezialisierungen), in staatlichen Förderbereichen, aber
auch – und vielleicht vor allem! – in einer Verbesserung
der Denktechniken, und hier am wichtigsten die
Ausbildung leistungsfähiger formaler Sprachen in vielen
Bereichen, zentral die Entwicklung der modernen
Mathematik. Ohne die moderne Mathematik und formale
Logik wäre fast nichts von all dem möglich geworden,
was moderne Wissenschaft ausmacht.

Wenn man um die zentrale Rolle der modernen
Mathematik weiß und dann sieht, welche geringe Wertschätzung Mathematik sowohl im
Ausbildungssystem wie in der gesamten Kultur einer
Gesellschaft (auch in Deutschland) genießt, dann kann
man auch hier sehr wohl von einem Teilaspekt der
allgemeinen Regression von Wahrheit sprechen.(Anmerkung: Es wäre mal eine interessante empirische Untersuchung, wie viel
Prozent einer Bevölkerung überhaupt weiß, was Mathematik ist. Leider
muss man feststellen, dass das, was in den Schulen als Mathematik
verkauft wird, oft nicht viel mit Mathematik zu tun hat, sondern mit
irgendwelchen Rechenvorschriften, wie man Zeichen manipuliert, die
man Zahlen nennt. Immerhin, mehr als Nichts.)

Im Zusammenspiel von grundlegender Wahrheitsfähigkeit, eingebettet in komplexe institutionelle Lernprozesse, angereichert mit wissensdienlichen
Technologien, haben die modernen experimentellen
Wissenschaften es also geschafft, durch immer
komplexere Beschreibungen der Phänomene und ihrer
Dynamiken in Form von Modellen bzw. Theorien, den
Gang der Vergangenheit bis zum Heute ansatzweise
plausibel zu machen, sondern auf der Basis dieser
Modelle/ Theorien wurde es auch möglich, ansatzweise
wissenschaftlich begründete Vermutungen über die
Zukunft anzustellen.

In einfachen Fällen, bei wenigen beteiligten Faktoren
mit wenigen internen Freiheitsgraden und für einen
begrenzten Zeithorizont kann man solche Vermutungen ü̈ber die Zukunft (kühn auch Prognosen genannt), einigermaßen überprüfen. Je größer die Zahl der
beteiligten Faktoren, je mehr innere Freiheitsgrade, je
weitreichender der Zeitrahmen, um so schwieriger wir
solch eine Prognose. So erscheint die Berechnung des
Zeitpunktes, ab wann die Aufblähung unserer Sonne
aufgrund von Fusionsprozessen ein biologisches Leben
auf der Erde unmöglich machen wird, relativ sicher
voraussagbar, das Verhalten eines einfachen Tieres in
einer Umgebung über mehr als 24 Stunden dagegen ist
schon fast unmöglich.

Dies kann uns daran erinnern, dass wir es in der
Gegenwart mit sehr unterschiedlichen Systemen zu
tun haben. Das Universum (oder vielleicht sogar die
Universen) mag komplex sein, aber es erweist sich
bislang als grundsätzlich verstehbar, ebenfalls z.B. die
geologischen Prozesse auf unserem Heimatplaneten
Erde; das, was die Biologen Leben nennen, also
biologisches Leben, entzieht sich aber den bekannten
physikalischen Kategorien. Wir haben es hier mit
Dynamiken zu tun, die irgendwie anders sind, ohne dass
es bislang gelingt, diese spezifische Andersheit adäquat
zu erklären.

Life is Energy…

IV. KOGNITIVER BLINDER FLECK

Eine Besonderheit des Gegenstandsbereiches
biologisches Leben ist, dass diejenigen, die es
untersuchen, selbst Teil des Gegenstandes sind.
Die biologischen Forscher, die Biologen – wie überhaupt
alle Forscher dieser Welt – sind selbst ja auch Teil
des Biologischen. Als Exemplare der Lebensform
homo sapiens sind sie ganz klar einer Lebensform
zugeordnet, die ihre eigene typische Geschichte hat,
die sich als homo sapiens ca. 200.000 Jahre entwickelt
hat mit einer Inkubationszeit von ca. 100.000 Jahren, in
denen sich verschiedene ältere Menschenformen verteilt
über ganz Afrika partiell miteinander vermischt haben.
Nach neuesten Erkenntnissen hat dann jener Teil, der
dann vor ca. 60.000/ 70.000 Jahren aus Ostafrika
ausgewandert ist, einige tausend Jahre mit den damals
schon aussterbenden Neandertalern im Gebiet des
heutigen Israel friedlich zusammen gelebt, was durch
Vermischungen dann einige Prozent Neandertaler-Gene
im Genom des homo sapiens hinterließ, und zwar bei
allen Menschen auf der heutigen Welt, die gemessen
wurden.

Die Tatsache, dass die erforschenden Biologen selbst
Teil dessen sind, was sie erforschen, muss nicht per
se ein Problem sein. Es kann aber zu einem Problem
werden, wenn die Biologen Methoden zur Untersuchung
des Phänomens biologisches Leben anwenden, die
für Gegenstandsbereiche entwickelt wurden, die keine
biologischen Gegenstände sind.

In der modernen Biologie wurden bislang sehr
viele grundlegende Methoden angewendet, die
unterschiedlichste Teilbereiche zu erklären scheinen: In
Kooperation mit der Geologie konnte man verschiedenen
Phasen der Erde identifizieren, Bodenbeschaffenheiten,
Klima, Magnetfeld, und vieles mehr. In Kooperation
mit Physik, Chemie und Genetik konnten die
Feinstrukturen von Zellen erfasst werden, ihre
Dynamiken, ihre Wechselwirkungen mit den jeweiligen
Umgebungen, Vererbungsprozesse, Generierung neuer
genetischer Strukturen und vieles mehr. Der immer
komplexere Körperbau konnte von seinen physikalisch-
mechanischen wie auch chemischen Besonderheiten her
immer mehr entschlüsselt werden. Die Physiologie half,
die sich entwickelnden Nervensysteme zu analysieren,
sie in ihrer Wechselwirkung mit dem Organismus
ansatzweise zu verstehen. und vieles mehr.

Die sehr entwickelten Lebensformen, speziell dann
der homo sapiens, zeigen aber dann Dynamiken, die
sich den bisher bekannten und genutzten Methoden
entziehen. Die grundlegende Wahrheitsfähigkeit des
homo sapiens, eingebunden in grundlegende Fähigkeit
zur symbolischen Sprache, zu komplexen Kooperation,
zu komplexen Weltbildern, dies konstituiert Phänomene
einer neuen Qualität. Der biologische Gegenstand homo
sapiens ist ein Gegenstand, der sich selbst erklären
kann, und in dem Maße, wie er sich selbst erklärt,
fängt er an, sich auf eine neue, bis dahin biologisch
unbekannte Weise, zu verändern.

Traditioneller Weise gab es in den letzten
Jahrtausenden spezielle Erklärungsmodelle zum
Phänomen der Geistigkeit des homo sapiens, die
man – vereinfachend – unter dem Begriff klassisch-
philosophische Erklärung zusammen fassen kann.
Dieses Erklärungsmodell beginnt im Subjektiven und
hat immer versucht, die gesamte Wirklichkeit aus der
Perspektive des Subjektiven zu erklären.

Die Werke der großen Philosophen – beginnend
mit den Griechen – sind denkerische Großtaten,
die bis heute beeindrucken können. Sie leiden
allerdings alle an der Tatsache, dass man aus der
Perspektive des Subjektiven heraus von vornherein
auf wichtige grundlegende Erkenntnisse verzichtet
hatte (in einer Art methodischen Selbstbeschränkung,
analog der methodischen Selbstbeschränkung der
modernen experimentellen Wissenschaften). Das,
was diese subjekt-basierte und subjekt-orientierte
Philosophie im Laufe der Jahrtausende bislang erkannt
hat, wird dadurch nicht falsch, aber es leidet daran,
dass es nur einen Ausschnitt beschreibt ohne seine
Fundierungsprozesse.

Eigentlich ist das Subjektive (oder das ’Geistige’,
wie die philosophische Tradition gerne sagt) das
schwierigste Phänomen für die moderne Wissenschaft, das provozierendste, aber durch die frühzeitige Selbstbeschränkung der Biologie auf die bisherigen
Methoden und zugleich durch die Selbstbeschränkung
der klassischen Philosophie auf das Subjektive wird
das Phänomen des Lebens seiner Radikalität beraubt.
Es wird sozusagen schon in einer Vor-Verabredung der
Wissenschaften entmündigt.

In einem Folgeartikel sollte dieser blinde Fleck der
Wissenschaften in Verabredung mit der Philosophie
nochmals direkt adressiert werden, etwa: Das Subjektive
im Universum: Maximaler Störfall oder Sichtbarwerdung
von etwas radikal Neuem?

KONTEXT BLOG

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DIE NATUR DER ERKLÄRUNG – Kenneth Craig – Diskussion

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ÜBERBLICK

Craik führt in diesem Buch eine breit angelegte Diskussion im Spannungsfeld von Philosophie, Psychologie, Physiologie, Physik und Technik, die einige Hauptthemen erkennen lässt: ein Plädoyer für ein kausales Verständnis der realen Welt, für die Rekonstruktion von Bewusstsein durch Rückgriff auf das Nervensystem, für die zentrale Rolle mentaler Modelle, sowie für die wichtige Rolle von Sprache in allem Erklären.

I. KONTEXT

Alle Themen, die Craik in seinem Buch ”The Nature of Explanation” [Cra43] anspricht, sind Themen, die in verschiedenen Blogeinträgen schon zur Sprache gekommen sind. Das Buch wird daher etwas intensiver diskutiert, um damit die Position des Blogs weiter zu klären. Dabei ist zu beachten, dass Craik nicht nur eine große Linie verfolgt, sondern im Verlauf des Textes viele andere Themen anspricht, die irgendwie auch mit der großen Linie zusammenhängen. Dies macht die Lektüre manchmal etwas mühsam, wenngleich immer interessant. Dem Interesse des Blogs folgend werden daher nur einige Hauptthemen hier weiter diskutiert. Eine Lektüre dieser Themen ersetzt nicht die eigene Lektüre seines Buches.

II. ERKLÄRUNG DURCH KAUSALITÄT

K.Craik - Stichworte aus Kap.1-4
K.Craik – Stichworte aus Kap.1-4

Das Schaubild 1 enthält nur einige der einschlägigen Stichworte von Craig aus den ersten vier Kapiteln, und auch nur kursorisch.

Aus den vielen Argumenten, die gegen die Möglichkeit einer Erklärung durch Kausalität sprechen, stammt das prominenteste von David Hume (1711 – 1776), für den die Beschaffenheit der sinnlichen Wahrnehmung keinen direkten Schluss auf eine kausaler Beziehung der Art ’B ist da durch A’ zulässt. Zu einem bestimmten Augenblick
haben wir einen Momenteindruck, beim nächsten Augenblick auch. Zwischen verschiedenen Augenblicken kann es zwar Unterschiede geben, aber diese lassen nicht zwingend eine Interpretation in Richtung einer kausalen Beziehung zu.

Neben sehr vielen anderen Positionen bespricht Craik auch die Position der modernen Physik sofern sie quantenmechanische Modelle benutzt. Angesichts einer prinzipiellen Messungenauigkeit (Heisenberg, Unschärferelation) und unbeobachtbaren Objekten soll eine direkte kausale Zuschreibung nicht mehr möglich sein. Es gibt nur noch
Regelmäßigkeiten in Form von statistischen Tendenzen. Craik kritisiert in diesem Zusammenhang, dass man aus den Grenzen der Beobachtbarkeit nicht notwendigerweise darauf schließen kann, dass es deswegen grundsätzlich
keine Kausalität mehr gäbe. Ferner weist er anhand vieler Beispiele darauf hin, dass die Theorien der Wahrscheinlichkeit als Theorien starke implizite Annahmen über die vorausgesetzten Ereignismengen machen, die grundlegende Wechselwirkungen, auch in Form kausaler Beziehungen, voraussetzen.

Aus der Sicht Craiks ist die Position Humes nicht ganz korrekt, da das sinnliche Material immer schon in eine Raumstruktur eingebettet ist, die implizite Wechselbeziehungen realisiert (zwei gleichartige Objekte können nicht zugleich auf ein und derselben Raumstelle sein); ferner gehört die Zeitstruktur zur Wahrnehmung (darin über die
rein sinnlichen Anteile hinausgehend), die zumindest potentielle Abfolgen erkennen lassen (B folgt auf A in der Zeit). Dies impliziert zwar nicht unmittelbar eine kausale Beziehung, bietet aber einen Anknüpfungspunkt für eine Hypothese und Experimente. Im Rahmen der Zeitstruktur kann man z.B. allerlei Veränderungen beobachten, z.B.
auch eine Veränderung von Energieleveln. Diese bieten Ansatzpunkte für Hypothesen und Experimente.

Für Craik realisiert sich empirische Wissenschaft durch das Ernst nehmen von vorfindlichen Gegebenheiten, von Fakten, bezogen auf die man Hypothesen bzgl. möglicher Zusammenhänge formulieren kann. Diese Hypothesen kann man dann in Experimenten überprüfen. Sofern sich die Hypothesen bestätigen lassen, soll dies eine gewisse Zufriedenheit auslösen. Geprüfte Zusammenhänge ermöglichen Verstehen, Einsicht, erlauben Voraussagen, mit Voraussagen kann man zukünftige Situationen vorweg nehmen, um sich dadurch auf kommende Situation einzustellen.
Ferner erlaubten geprüfte Zusammenhänge auch unterschiedliche praktische Nutzungen.
Fehlen geprüfte Zusammenhänge, dann kann dies zu Enttäuschungen, ja zu Frustrationen führen. Man kann dann nichts ableiten, nichts voraus sagen, nicht wirklich planen; auch eine praktische Nutzung ist nicht möglich. Man versteht das auslösende Phänomen dann nicht wirklich.

III. DENKEN UND NERVENSYSTEM

K.Craik - Die Erkennungsleistung des Systems Mensch
K.Craik – Die Erkennungsleistung des Systems Mensch

Nach zahlreichen vorausgehenden kritischen Anmerkungen zu unterschiedlichen Positionen in der Philosophie und in den Wissenschaften, geht Craik davon aus, dass der Mensch in einer realen Welt vorkommt. Einige der Ereignisse in dieser Welt können von Sinnesorganen beobachtet werden. Beobachten heißt hier, dass diese Ereignisse sowohl
in interne neuronale Ereignisse übersetzt werden, zusätzlich aber auch in eine symbolischer Sprache  mittels der Bezug genommen werden kann auf viele interne Gegebenheiten, Ereignisse und Prozesse. Das Andere der Symbole ist dann ihre Bedeutung (’meaning’). Was immer auch intern im einzelnen geschieht, es gibt unterschiedliche Prozesse, die abstrakt als Denken, Schlüsse ziehen, Voraussagen machen beschrieben werden. Ein wesentliches Element dieser Prozesse ist das Generieren von internen, mentalen Modellen, deren Analogien mit der realen
Außenwelt so groß sind, dass wichtige Eigenschaften und Prozesse der Außenwelt in ihren kausalen Beziehungen so nachgebildet werden können, dass auf ihrer Basis einigermaßen zuverlässige Voraussagen über die Zukunft gemacht werden können, die sich überprüfen lassen.

Craik wirft auch die Frage auf, welche Eigenschaften am Nervensystem es wohl sind, die alle diese Leistungen ermöglichen? Anhand verschiedener Verhaltensphänomene (visueller Reiz, Retina, Adaption, Differenzierung, Ähnlichkeit, bewusst – unbewusst, Reflexe, Zahlen und deren Nutzung, Gedächtnis, Lernen, Gefühle, …) diskutiert er
dann die Anforderungen, die an das System gestellt werden und überlegt, ob und wie diese Anforderungen rein technisch bzw. mittels des Nervensystems eingelöst werden könnten. Diese Überlegungen sind in ihrem grundsätzlichen Charakter interessant, aber der Stand des Wissens in seiner Zeit zum Nervensystem und zu neuronalen Modellen
war nicht ausreichend, um alle diese Phänomene verbindlich diskutieren zu können.
Immer wieder stellt er die zentrale Rolle der symbolischen Sprache heraus, mittels der sich komplexe Strukturen und Modelle generieren lassen, mit denen Erklärungen möglich werden, Voraussagen und auch die Koordinierung zwischen den Gehirnen.

Bei seiner Beschreibung der realen Welt fällt auf, dass er stark fixiert ist auf einfache physikalische Strukturen; die Besonderheit und Komplexität biologischer Systeme tritt wenig hervor. Dies obgleich er ja die komplexen Strukturen von Menschen sehr wohl diskutiert.

Er sieht allerdings schon ein Eigengewicht der mentalen logischen Strukturen gegenüber der ’reinen Maschinerie’ des Nervensystems, insofern das Nervensystem als solches funktioniert unabhängig von Logik und Bedeutung. In wissenschaftlichen Kontexten aber muss auch Logik und Bedeutung stimmen, andernfalls gelingt die Argumentation
nicht. Allerdings, auch hier gilt, dass auch eine Logik und mögliche Bedeutungen im mentalen Bereich ebenfalls Leistungen des Nervensystems sind. Das gerade ist das Besondere. Reine Introspektion kann zwar die phänomenale Seite des Geistes enthüllen, nicht aber seine neuronale Seite. Dazu bedarf es mehr als Introspektion.

Craik postuliert auch den Faktor der Gefühle (’feelings’) und der Emotionen (’emotions’) als grundlegend für das Verhalten. Zufriedenheit und Unglücklich sein sind starke Motive für das gesamte Verhalten. Wissenschaft lebt davon, Kunst, aber auch viele psychische Krankheiten scheinen mit einem Missmanagement der Gefühle zu tun zu haben.
Das Wechselspiel zwischen Gefühlen und dem gesamten Lebensprozess umschließt nach Craik viele Faktoren, viele dabei oft unbewusst, so dass das Erkennen der Zusammenhänge in der Regel nicht einfach ist. Klassische Ethik und Moral dagegen tendieren zu Vereinfachungen, die dann sachlich unangemessen sind.

IV. DISKURS

Die vorgestellten Gedanken von Craik sind, wohlgemerkt, nur eine Art Extrakt, viele interessante Details bleiben ungesagt. Für das Anliegen des Blogs kann dies aber u.U. genügen.

Das Thema empirische Wissenschaft, Messen, Erklären usw. steht in Übereinstimmung mit dem, was bislang angenommen wurde. Craik ist sehr bemüht, die Perspektive der Introspektion zu übersteigen, da er zu Recht erkennt, dass diese allein nicht ausreicht. Zugleich sieht er sehr wohl eine gewisse Eigenständigkeit der introspektiven Dimension. Was er aber nicht leistet, das ist ein Aufweis, wie man methodisch sauber beide Dimensionen kombiniert [Anmerkung: Dass eine empirischer Herangehensweise allein die Gesamtheit des Phänomens aber auch nicht erreichen kann, dies spricht Craik nicht
an. Letztlich haben wir es hier mit einem methodischen Deadlock zu tun: Introspektion benötigt zusätzlich empirische Methoden, empirische Methoden benötigen zusätzlich sehr dringend Introspektion. Dieses methodische Problem ist bis heute nicht befriedigend gelöst.] Im Blog gab es dazu zumindest einige Versuche.

Die gezielte Nachfrage danach, wie man welche der introspektiv und im Verhalten zugänglichen Eigenschaften des Menschen mittels neuronaler Mechanismen modellieren könnte, wurde hier im Blog noch nicht diskutiert. Es gibt dazu einige Skript aus Vorlesungen, die aber bislang keinen Eingang in den Blog gefunden haben [Anmerkung: Dazu findet sich mehr in dem korrespondierenden Blog uffmm.org.4].  Die Frage
ist aber tatsächlich philosophisch relevant. Die Frage wurde vom Autor cagent bislang deswegen in diesem Blog kaum diskutiert, weil er der Frage nachging, ob und wieweit man neuronale Netze durch andere mathematisch äquivalente Mechanismen ersetzen kann um dann die Fragen nach der Substitution dann mit diesen anderen Strukturen zu untersuchen. In den letzten Jahren sind neuronale Netze so populär geworden, dass sich kaum jemand noch dafür interessiert, ob und welche alternativen Formalismen es auch tun würden und möglicherweise einfacher. Grundsätzlich ist seit langem bekannt, dass neuronalen Netze nicht mehr können als im Konzept der Turingmaschine definiert ist. Man muss also aus theoretischen Gründen keine Neuronalen Netze benutzen, wenn
sie denn nicht speziell besondere Vorteile bieten.

Die Lektüre von Craik hat allerdings dazu ermutigt, die Idee der parallelen Analyse von Verhalten, Introspektiv zugänglichem Bewusstseinsraum, sowie Physiologie des Gehirns im Körper weiter Raum zu geben, immer natürlich auch mit Blick auf evolutionäre Entwicklungen unter Einschluss der Kultur. Ferner sollte dabei die parallele Entwicklung intelligenter Maschinen mit reflektiert werden, sehr wohl in Bezugssetzung zu den biologischen Systemen.

Vor lauter Faszination durch die moderne Technik geht vielfach unter, dass die Naturwissenschaften in den letzten 10 Jahren ungeheuerlich interessante Aspekte des biologischen Lebens (und der umgebenden Welt) zutage gefördert haben, die das Bild vom Menschen im Universum eigentlich radikal verändern könnten. Obwohl die Roboter und die KI-Programme vergleichsweise simple Strukturen darstellen, die jeder intelligente Schüler verstehen könnte, wenn man es ihm denn erzählen würde, stoßen wir im biologischen Leben auf immer unfassbare Komplexitäten und Verschiebungen von Perspektiven, die eigentlich alle Aufmerksamkeit erfordern würden.

QUELLEN
[Cra43] Kenneth Craik. The Nature of Explanation. Cambridge University Press, Cambridge (UK), 1 edition, 1943.

FORTSETZUNG

Für eine Fortsetzung der Diskussion siehe HIER.

 KONTEXTE

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EINLADUNG ZUM PHILOSOPHIE-JETZT-LABOR AM So, 27.November 2016. DENKEN DES DENKENS

THEMA

PHILOSOPHIE-JETZT-LABOR AM So, 27.November 2016. Unter dem Oberthema DENKEN & FÜHLEN an diesem Tag das spezielle Thema: DENKEN DES DENKENS

WER

Einleitung und Moderation: Prof.Dr.phil Dipl.theol Gerd Doeben-Henisch (Frankfurt University of Applied Sciences, Institut für Neue Medien)

ORT

INM – Institut für Neue Medien, Schmickstrasse 18, 60314 Frankfurt am Main (siehe Anfahrtsskizze) Parken: Vor und hinter dem Haus sowie im Umfeld gut möglich.

ZEIT

Beginn 15:00h, Ende 18:00h. Bitte unbedingt pünktlich, ab 15:00h kein Einlass mehr!

ESSEN UND TRINKEN

Es gibt im INM keine eigene Bewirtung. Bitte Getränke und Essbares nach Bedarf selbst mitbringen

PROGRAMM

Bis 15:00h ANKOMMEN

15:00 – 15:30h Impulsreferat zu DENKEN DES DENKENS

15:30– 15:50h Zeit zum INDIVIDUELLEN FÜHLEN

15:50 – 16:00h ASSOZIATIONEN INDIVIDUELL NOTIEREN

16:00 – 16:40h Erste Diskursrunde (Mit Gedankenbild)

16:40 – 16:55h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

16:55 – 17:30h Zweite Diskursrunde (Mit Gedankenbild)

17:30 – 17:45h BEWEGUNG, TEE TRINKEN, REDEN

17:45 – 18:00h AUSBLICK, wie weiter

Ab 18:00h VERABSCHIEDUNG VOM ORT

Stunden, Tage danach: ABSTAND NEHMEN, NACHSINNEN

Irgendwann: BERICHT(e) ZUM TREFFEN, EINZELN, IM BLOG

Irgendwann: KOMMENTARE ZU(M) BERICHT(en), EINZELN, IM BLOG

ERSTE GEDANKEN ZUM THEMA

In der vorausgehenden Sitzung des Philosophie-Jetzt Labors wurden im Spannungsfeld von Fühlen und Denken sehr viele Aspekte angesprochen. Ein Übergewicht hatten in jener Sitzung die Überlegungen zur Frage, was denn überhaupt ein Fühlen im philosophischen Sinne sein könne, und welche Rolle diese Gefühle für ein Lebewesen mit Bewusstsein spielen bzw. spielen könnten.

In der Sitzung am 27.11. soll der Brennpunkt beim Phänomen des Denkens legen. Was ist eigentlich unser Denken? Was heißt es, dass wir mit unserem Denken über unser eigenes Denken nachdenken?

Eckpunkte des philosophischen Denkens Ausgang 3.Jh bis 13.Jh
Eckpunkte des philosophischen Denkens Ausgang 3.Jh bis 13.Jh

Wir wählen dazu einen historischen Kontext, der sich vom Ausgang des römischen Denkens und dem Beginn des mittelalterlichen Denkens spannt.

In dieser Zeit kann man wie in einer Zeitlupenaufnahme beobachten, wie das europäische Denken zunächst das Denken einiger überlieferter griechischer Texten quasi ‚imitiert‘, um sich dann, langsam, schrittweise, immer mehr davon zu unterscheiden, um schließlich – viele Jahrhunderte später – zu eigenen, neuen Denkmustern aufzubrechen. Allerdings, und dies zeigt vielleicht ein bisschen die Tragik des europäischen Denkens, mit der Betonung des Formalen im modernen Denken hat es sich von seinen eigentlichen Grundlagen, der Verankerung im körperhaften Fühlen und Sinnen, verabschiedet, geradezu abgekoppelt. Dies impliziert eine tiefe Selbstentfremdung im Kern.

In der Sitzung am 27.November soll anhand von ganz einfachen Beispielen aus dem alltäglichen Denken illustriert werden, was im Kern sprachlich vermitteltes Denken ist/ sein kann. Im verfügbaren zeitlichen Rahmen wird es zu keiner erschöpfenden Erklärung der Phänomene kommen können, aber vielleicht zu ersten Einsichten, auf denen weiter aufgebaut werden kann.

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