Archiv für den Monat: Januar 2012

PHILOSOPHIE JETZT

(1) Dieser Blog steht unter dem Thema ‚Philosophie Jetzt‘. Lange Zeit war mir selbst nicht klar, was dies genau heißt… so eigentümlich dies für einen Leser auch klingen mag. Es gab nur so ein unbestimmtes, dennoch sehr starkes, ‚Gefühl‘, dass eine begriffliche Vermittlung zwischen all den heute umher schwirrenden Denkkonzepten notwendig sei, für uns alle.

(2) Ein bischen wie ‚herumstochernd im Nebel‘ habe ich versucht, mich über verschiedene kleine Reflexionen an das ‚Thema‘ heran zu tasten.

(3) Dem Vortag in Bremerhaven kommt insoweit eine besondere Bedeutung zu als er jenen Punkt markiert, bei dem die vorangehende Suche einen ersten ‚Teilerfolg‘ erzielen konnte: die Rolle der Philosophie und darin ihre ‚Notwendigkeit‘ für unser heutiges Denken wurde mir persönlich so weit klar, dass ich ab jetzt mit Überzeugung sagen kann, dass wir philosophisches Denken brauchen.

(4) Das philosophische Denken richtet sich ‚auf sich selbst‘; das Denken versucht, ’sich selbst‘ zu denken. Dieses ‚Wissen um sich selbst‘ ist spezifisch für den homo sapiens (nicht absolut, wie die moderne Verhaltensforschung zeigt) und dieses Wissen unterscheidet sich deutlich vom empirisch-wissenschaftlichen Denken, das sich in seinem Gegenstandsbereich auf jene Phänomene beschränkt, denen ‚etwas in der Außenwelt‘ korrespondiert.

 

(5) Zugleich wurden aber auch die Grenzen eines philosophischen Denkens sichtbar: die biologischen Voraussetzungen des Denkens sind nach heutigem Kenntnisstand ‚real‘: wir können nur denken, weil wir ein Gehirn in einem Körper haben, die beide im Laufe von 3.2 Milliarden Jahren ihre heutige Form gefunden haben. Die Erforschung der Evolution als Teilgeschehen in der Entstehung des messbaren Universums hat sehr viele neue Perspektiven eröffnet, die zum Verständnis des Körpers, des Gehirns und des Bewusstseins beigetragen haben.

(6) Das Fortschreiten der empirischen Wissenschaften –-insbesondere der Physik– zeigt aber auch, dass die methodische Ausklammerung des Subjektiven durch Festlegung auf empirische Phänomene, reproduzierbaren Messverfahren und mathematische Modelle mehr und mehr die Grenzen dieser Methode erkennen lässt. Die meisten Wissenschaftler wenden diese Methoden an, sind sich aber deren Voraussetzungen und deren Einbettung in das subjektive Denken nicht bewusst.

(7) Die Grenzen des empirischen Verfahrens sind vielfältiger Natur: (i) Schon die Quantenphysik enthüllte mit dem ‚Unschärfeproblem‘ die Grenzen der Messbarkeit. Wenn ‚Messen‘ bedeutet, den Gegenstand des Messens zu ‚verändern‘, so dass das, was man messen will, durch das Messen nicht mehr das ist, was man eigentlich messen will (Heisenberg). (ii) Die Mathematik und Meta-Mathematik macht deutlich, dass die verschiedenen verfügbaren physikalischen Erklärungsmodelle noch kein einheitliches Modell bieten; ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die Phänomene des ‚Lebendigen‘ nicht in das Schema der bekannten physikalischen Prinzipien zu passen scheinen (Schrödinger, Heisenberg). (iii) Die Meta-Mathematik und Logik haben ferner aufgezeigt, dass formale Theorien ab der Ausdrucksstärke von Theorien erster Stufe (und das betrifft nahezu alle mathematischen und physikalischen Theorien) nicht mehr absolut entscheidbar sind (Gödel, Turing). (iv) Auch empirische Wissenschaftler leben letztlich von der Kommunikation ihres Wissens. Dazu müssen sie eine Sprache L benutzen, die in der Lage ist, sowohl ihre Messwerte, die Umstände des Messens wie auch die mathematisch formulierten Sachverhalte mit einer ‚klaren Bedeutung‘ zu benutzen. Eine semiotische (= zeichentheoretische, auch linguistisch/ sprachpsychologische/ sprachphilosophische) Analyse kann aber aufzeigen, dass übliche mathematische Modelle in dieser Weise nicht zweifelsfrei kommunizierbar sind (Suppe). (i) – (iv) zusammenfassend bedarf es einer Reflexion auf diese Sachverhalte und deren Voraussetzung. Dies kann nur eine philosophische Reflexion sein, die in Gestalt von Wissenschaftsphilosophie (oder Wissenschaftstheorie) genau dies tut.

(9) Damit schließt sich der Kreis. Den Ausgangspunkt jeglichen Denkens des Denkens bildet zwangsläufig das philosophische Denken. Dieses wird durch das partielle Denken im empirischen Muster ergänzt/ korrigiert. Das empirische Denken hat selbst Voraussetzungen und Grenzen, die wiederum auf das philosophische Denken verweisen.

(10) Dieser sich hier andeutende ‚Zirkel‘ besitzt eine gewisse ‚unendliche Endlichkeit‘, da das in sich unabschließbare philosophische Denken keinen natürlichen Endpunkt (‚Fixpunkt‘) finden kann. Auch das partielle empirische Denken findet offensichtlich in seinem Gegenstandsbereich der empirischen Welt bislang keine absoluten Haltepunkte: in Richtung der ‚kleinsten‘ Teilchen und der ‚größten Distanzen‘ gibt es bislang keinen klaren Endpunkt (‚Fixpunkt‘).

(11) Bei der Vermittlung dieser neuen Perspektive kann es –zumindest nicht in erster Linie– darum gehen, ein weiteres neues Buch zu schreiben. Wichtig ist vor allem, dass möglichst viele Menschen durch Gespräche in ihrem Alltag diese neuen Perspektiven kennen- und verstehen lernen. Eine der erhofften Wirkungen wäre die einer neuen Klarheit und einer daraus resultierenden neuen Offenheit, nicht Verwirrung und Dogmatismus.

(12) Ich persönliche sehe drei Dimensionen der Realisierung dieses neuen Denkens: (i) Philosophische Gespräche und Texte für die allgemeine Perspektive; (ii) formale Strukturen und Modelle (einschließlich Softwaresimulationen) zur Klärung von Details; (iii) Verbesserung von Serviceleistungen und Produkten im Alltag, die dazu beitragen, im Alltag diese Klarheit zu finden. Dazu gehören z.B. Informations- und Lernprozesse im Alltag.

Philosophie der Zukunft – Literaturverweise

Anmerkung:

Auf eine ausführliche Angabe aller hier einschlägigen Literaturstellen wurde verzichtet, da es hier primäre darauf ankam, eine bestimmte Argmentationslinie zu verdeutlichen. Detaillierte Angaben wären im Rahmen einer ausführlicheren Diskussion notwendig. Einige wenige Quellen, auf die dennoch explizit Bezug genommen wurden, finden sich hier:

 

Derrida, J. “La voix et le phénomene. Introduction au Problème du Signe dans la Phénoménologie de Husserl“, Paris: Presses Universitaires de France, 1967 (Deutsch von Gondeck, H-D., „Die Stimme und das Phänomen. Einführung in das Problem des Zeichens in der Phänomenologie Husserls“, Frankfurt. Suhrkamp, 2003

 

M.Davis (ed): The Undecidable. Basic Papers On Undecidable Propositions, Unsolvable Problems And Computable Functions, Hewlett (NY): Raven Press, 1965 pp. 34–39, Jan. 1959

 

Descartes, R. „Meditationes de prima philosophia – Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“, ed. by Gäbe, L., Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1959 (lat. 1641/42)

 

Kurt Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I. In: Mh.Math.Phys., vol.38(1931),pp:175-198

 

Kurt Gödel, „Remarks before the princeton bicentennial conference on problems in mathematics“, 1946. In: Martin Davis, 1965: pp.84-87

 

Hartmann, N.; „Der Aufbau der realen Welt“, Berlin: de Gruyter, 3.Aufl., 1964

 

Husserl, E. „Logische Untersuchungen, II, Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis“. Husserliana XIX, Ursula Panzer (Ed.), Halle: 1901; rev. ed. 1922. The Hague, Netherlands: Martinus Nijhoff, 1984.   [ISBN:   90-247-2517-8]

 

Husserl, E. „Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch: Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie“, Halle : Max Niemeyer Verlag, 1913; Husserliana III/1, Schuhmann, K. (Ed.), The Hague: Martinus Nijhoff Publishers, 1976.

 

Husserl, E. „Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge“, repr. 2.rev.Aufl., Husserliana: Edmund Husserl – Gesammelte Werke, ed. by Strasser, S., Springer Verlag, Netherlands, 1973, ISBN-10: 9024702143, ISBN-13: 978-9024702145 (Text der Vorträge an der Sorbonne, 1929)

 

Husserl, E., „Méditations cartésiennes“, Vrin, 1947; und“Méditations cartésiennes“, PUF, coll. épiméthée, Paris, und Lavigne, J-F., (ed.), „Les Méditations cartésiennes de Husserl“, Librairie Philosophique J.Vrin, 2008.

 

Kolb, B.; Whishaw, I.Q. „An Introduction to Brain and Behavior“, 2nd.ed., New York: Worth Publishers, 2006 (2001)

 

Thomas S.Kuhn (1957), „The Copernican Revolution.Planetary Astronomy in the Development of Western Thought“, Harvard University Press

 

Thomas S.Kuhn (1962), „The Structure of Scientific Revolution“, University of Chicago Press

 

Lorenz, K. „Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens“, München: Deutsche Taschenbuch Verlag GmbH  & Co.KG, 1975 (Zuerst 1973)

 

Maturana, H.R. (Ed.) „Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit“, Braunschweig – Wiesbaden: Friedr. Vieweg & Sohn, 1982

 

Maturane, H.R.; Varela, F.J. „Der Baum der Erkenntnis“, Bern-München-Wien: Scherz Verlag, 1987 (Spanisch 1984)

 

Saussure, F. de. „Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft“, 2nd ed., Dt.Übersetzung des posthum erschienen „Cours de linguistic général“ von 1916, H.Lommel (Ed.), Berlin: Walter de Gruyter & Co., 1967

 

Saussure, F. de. „Course in General Linguistics“, English translation of the original posthumously publication of the „Cours de linguistic général“ from 1916, London: Fontana, 1974

 

Saussure, F. de. „Cours de linguistique général“, Édition Critique Par Rudolf Engler, Tome 1,Wiesbaden: Otto Harrassowitz, 1989. Kritische Ausgabe des Cours von 1916,

 

Suppe, F. (Ed.), „The Structure of Scientific Theories“, 2nd. ed., Urbana: University of Illinois Press, 1979

 

A.M.Turing,:“ On Computable Numbers with an Application to the Entscheidungsproblem“, in: Proc. London Math. Soc., Ser.2, vol.42(1936), pp.230-265; received May 25, 1936; Appendix added August 28; read November 12, 1936; corr. Ibid. vol.43(1937), pp.544-546. Turing’s paper appeared in Part 2 of vol.42 which was issued in December 1936 (Reprint in M.DAVIS 1965, pp.116-151; corr. ibid. pp.151-154).

 

Vollmer, G. „Evolutionäre Erkenntnistheorie“, Stutgart: S.Hirzel Verlag, 1981

 

Wuketis, F.M. „Evolution, Erkenntnis, Ethik. Folgerungen aus der modernen Biologie“, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1984

Philosophie der Zukunft – Teil 9 – In der Zukunft eine Philosophierende Wissenschaft?

Damit ergibt sich:

Nicht nur braucht eine phänomenologische Philosophie die empirischen Wissenschaften um sich auf dem langen Weg der Erkenntnis nicht zu verirren, sondern die empirischen Wissenschaften benötigen genauso eine phänomenologische Philosophie, um gerade an den Grenzen des Erkennbaren nicht zu straucheln, sondern die Grenzen zu überwinden. Diese wechselseitige Verwiesenheit von Philosophie und empirischer Wissenschaft deutet auf einen idealerweise unendlichen Prozess einer philosophierenden Wissenschaft, die in der wechselseitigen Durchleuchtung von Subjektivem durch Empirisches und Empirisches durch Subjektives die Begriffe von ‚Geist‘, ‚Materie‘, ‚Absolutem‘ usw. möglicherweise immer mehr neu denken wird.

Eine Schema, wie Leben im Universum entstehen konnte (in späteren Blogeinträgen weiter verfeinert)

Das abschließende Bild lässt nach den bisherigen Überlegungen nun mehr als eine Deutung zu: (1) ein dualistisches Bild vom Universum mit dem Aspekt von Materie und Geist getrennt oder (2) ein dialektisches Bild von Materie und Geist als zwei Seiten einer Sache. Das dunkle seelenlose Universum wäre dann nur ein Artefakt unseres noch unvollendeten Denkens, dass seine Herkunft aus der Weite dieses Raumes noch nicht vollständig realisiert hat. Es ist nicht einfach nur das Ganze was mehr ist als seine Teile, sondern die erlebbare Geistigkeit beleuchtet quasi die Innenseite der Materie, die von außen tot erscheint, die sich selbst aber nicht als tot empfindet.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Fortsetzung: Literaturverweise

(Eine inhaltliche Fortsetzung der philosophischen Diskussion findet sich hier mit Überlegungen zur Metaphysik der Erkenntnis bei Nicolai Hartmann)

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

Philosophie der Zukunft – Teil 8 – Empirische Wissenschaften brauchen Phänomenologische Philosophie

Links zentrale Begriffe empirischer Wisenschaft, rechts die Struktur der Phänomene

Zu Beginn hatte ich gesagt, dass ich versuchen möchte, aufzuzeigen, dass es keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen einem phänomenologisch philosophischen Denken und einem empirischen Denken geben muss.

Bisher haben wir nur gesehen, dass auch ein Denken, das sich auf die Objekte der Aussenwelt fokussiert, dies nicht tun kann ohne Voraussetzung der zugrunde liegenden Bewusstseinstatsachen. Insofern ist die Hinwendung und Fokussierung auf sogenannte empirische Gegebenheiten kein Herausgehen aus der Menge der Phänomene, sondern letztlich nur eine Beschränkung auf eine bestimmte Teilmenge. Was immer also eine empirische Wissenschaft tut, sie tut es innerhalb des phänomenologischen Raumes und sie tut es, indem sie sich ganz bewusst methodische Beschränkungen auferlegt, wie sie mit Phänomenen umgeht. Wenn man genauer hinschaut, könnte man diese methodische Beschränkung als einen speziellen Fall von Epoché bezeichnen.

Denn, halten wir uns dies vor Augen, Epoché bedeutet für Husserl die Einklammerung eines automatisierten Geltungsanspruchs. Aber genau dies will auch die empirische Wissenschaft. Durch viele falsche Geltungsansprüche gebeutelt versuchten großen Forscher wie Galilei und seine Nachfolger ‚falsche Geltungsansprüche‚ abzuwehren (sihe dazu Kuhn).

Das Schaubild zeigt die Grundelemente im Paradigma der formalisierten empirischen Wissenschaften, wie sie sich seit dem 16.Jahrhundert in Europa herausgebildet haben und wie sie heute weltweit quasi zum Standard gehören (für einen umfassenden Überblick zum modernen Wissenschaftsbegriff siehe Suppe (1979)).

Die allgemein akzeptierten Grundpfeiler empirischer Theorien umfassen die folgenden stark vereinfachten Elemente:

  • Wiederholbare standardisierte Messverfahren (MEAS), die empirische Daten liefern können

  • Eine formale Theorie, die die Messwerte in Zusammenhänge einordnen kann, durch die Voraussagen möglich werden können.

  • Ein Folgerungsbegriff, der es erlaubt, aus einer formalen Theorie Aussagen abzuleiten, die man als Voraussagen nutzen kann

Vorab zu allen möglichen Details dieses Wissenschaftskonzeptes ist an dieser Stelle philosophisch wichtig, dass all das, was ein empirischer Wissenschaftler im Rahmen seiner wissenschaftlichen Praxis tut, er dies nur dann mit Bewusstsein tun kann, wenn sich alle seine Wahrnehmungen, alle seine sprachlichen Beschreibungen, alle seine logischen Schlüsse innerhalb seines Bewusstseins widerspiegeln. Und mehr noch, er wird auch nur genau das wahrnehmen, abstrahieren, denken, folgern usw. können, was ihm durch die Struktur seines Bewusstseins quasi ‚erlaubt‚ wird. D.h. der Versuch der empirischen Wissenschaften sich methodisch gegen falsche Behauptungen dadurch zu schützen, dass man sich auf eine spezifische Teilmenge der Phänomene einschränkt und Aussagen über das Verhalten dieser Phänomene an genau definierten Vorgehensweisen geknüpft werden, die nur jene allgemeine Strukturen gelten lassen sollen, die sich zwischen verschiedenen Bewusstseinen als gültig erweisen, dieser Versuch ist offensichtlich ein erfolgreiches Konzept.

Dennoch zeigen aber gerade die großen Erfolge der empirischen Wissenschaft, dass sie im Vordringen in immer komplexere Sachverhalte der Strukturen von Materie, von Raum und Zeit, von komplexen emergenten Phänomenen in einen immer größeren Konflikt geraten zwischen dem, was mathematisch-intersubjektv formulierbar und messbar ist und dem, wie wir mit unseren konkreten Gehirnen diese Strukturen noch sinnvoll denken können. Viele neueren Konzepte z.B. der modernen Physik erweisen sich für unser bewusstseinsbasiertes Denken immer sperriger, immer weniger ‚intuitiv‘.

Beispiel: In der Sprache der Mathematik ist es sehr einfach, beliebig viele n-dimensionale Gebilde miteinander auf komplexeste Weise in Beziehung zu setzen, wenn aber unsere aktuellen Gehirne, die damit zu kodierende Wirklichkeit nicht mehr denken können, fragt sich, was man von diesem Ausdrucksmittel halten soll. Außerdem, schon Gödel hatte 1931 gezeigt, dass nahezu alle interessanten Teile der neueren Mathematik gar nicht entscheidbar sind, d.h. wir könnten diese Aufgaben auch an keine Maschine delegieren. Meines Wissens hat sich noch kein empirischer Wissenschaftler ernsthaft die Frage gestellt, was solcherart kognitiven Grenzen letztlich für die empirische Theoriebildung bedeuten. Gibt es gehirnbedingte kognitive Schranke unserer Verstehensmöglichkeit von mathematischen Strukturen? Falls ja –und alle bisherigen Erlenntnisse beweisen genau dies– was heisst dies für die empirische Wissenschaften?

Ist dieses Problem das, wofür man es halten kann, nämlich ein sich verstärkender Hinweis darauf, dass die Denkfähigkeit unserer aktueller Gehirne gemessen an den um uns herum im Universum vorfindlichen Strukturen möglicherweise nicht optimal sind, dann zeigt sich hier, dass die subjektiven Denkvoraussetzungen sehr wohl für das mathematisch-naturwissenschaftliche Denken eine Rolle spielen kann. Die methodischeAusklammerung des Subjektiven durch die Reduktion auf die Teilmenge der empirischen Phänomene ist sicher einer der genialsten Erfindungen der Menschheit im Versuch, die umgebenden Strukturen zu erkennen. Doch übersieht diese Methodik, dass bei und trotz aller empirischen Epoché der aktive Träger des Erkenntnisprozesses immer noch das aktive Gehirn bleibt, das in der Wechselwirkung zwischen gemessenen empirischen Daten und komplexen mathematischen Modellen vor der immer schwierigeren Aufgabe steht, genau diese Wechselwirkung aufzubauen und zu managen. Dies aber ist genau der subjektive Faktor, der sowohl die Möglichkeiten zum Denken liefert, wie auch die immanenten Schranken. Ohne eine phänomenologisch-philosophische Reflexion auf diese Sachverhalte gerät das gigantische Projekt der Neuzeit, das Projekt einer umfassenden Naturerkenntnis, in die Gefahr, schließlich doch wieder in die trüben Gewässer einer schlechten Metaphysik abzudriften.

Fortsetzung: Materie und Geist

Philosophie der Zukunft – Teil 7 – Phänomenologische Philosophie benötigt Empirische Wissenschaften

Die phänomenologische Reduktion auf das bewusste Erleben als primäre Seinstatsache ist ein Schritt, um sich der Voraussetzungen unseres Denkens zu vergewissern. Der weitere Schritt dann in diesen Bewusstseinstatsachen allgemeingültige, denknotwendige Strukturen zu finden, auf die man weitergehende Schlüsse aufbauen kann, ist aber dann –wie die auf Husserl folgende Denkgeschichte zeigt– sehr gefährlich. Denn, selbst wenn es solche allgemeingültigen Strukturen des Denkens gibt –und es gibt sie–, dann bedeutet dies nicht automatisch, dass diese Strukturen über das subjektive Denken hinaus in der umgebenden Welt tatsächlich gelten. Im subjektiven Denken selbst ist diese Frage nicht entscheidbar, da das Denken nur sich selbst als Maßstab besitzt. Wie wir heute aber stark begründet wissen, und zwar durch das naturwissenschaftliche Denken, sind die Strukturen und Inhalte unseres Denkens an die Struktur des Gehirns gekoppelt, das sich im Laufe von siebenhundert Millionen Jahren von ersten Nervenzellen bis hin zu der heutigen Form entwickelt hat (vgl. Kolb et. (2006), S.14), und das sich mehr und mehr darauf spezialisiert hat, die Wirklichkeit der Außenwelt auf der Basis von speziellen Sensor- und Körperdaten zu modellieren und auch interpolierend zu simulieren. D.h. Unser Gehirn selbst ist eine Art Hypothesengenerator, dessen Arbeitsweise die nicht weiter hintergehbaren Randbedingungen für unser Denken liefert.

Links die materiale Struktur des Gehirns, rechts Andeutung von funktionalen Strukturen, die damit realisierbar sind

Kurze Erläuterung der Informationsfluss-Architektur des Gehirns im Bild und deren Entsprechung im phänomenalen Erleben.

Wenn man dies weiß [der eben explizierte Zusammenhang], dann wird klar, dass nicht die Epoché als solche ein Problem ist, sondern der nächste Schritt, den im Denken vorfindlichen Strukturen quasi blindlings zu vertrauen, denn das wir wir im Denken punktuell unverrückbar vorfinden, ist dynamisch betrachtet eine gewordene Struktur, die schon in sich eine bestimmte Passung mit der umgebenden Welt quasi ‚einprogrammiert‘ hat. Es sind nicht die Strukturen für beliebige Wirklichkeitserkenntnisse, sondern für genau solche unter den Bedingungen des Planet Erde.

Daraus folgt jetzt nicht, dass man aufhören soll, das Denken phänomenologisch zu analysieren (wir haben überhaupt keine Alternative dazu), sondern man muss methodische Vorkehrungen treffen, wie eine phänomenologische Analyse sich vor Fehlschlüssen bewahren kann. Und dies kann –die bisherigen Überlegungen deuten es schon an– nur geschehen, indem das phänomenologische Denken seine eigenen transzendentalen Voraussetzungen evaluiert, was nur und das müssen wir akzeptieren– mit Hilfe des empirischen Denkens geschehen kann.

Damit ist die Abhängigkeit einer phänomenologischen Philosophie von der empirischen Wissenschaft skizziert. Dass dies auch umgekehrt gilt, dass also in einem sehr fundamentalen Sinne die empirischen Wissenschaften eine phänomenologische Philosophie brauchen, dies sollen uns kurz die folgenden Überlegungen verdeutlichen.

Fortsetzung: Empirische Wissenschaft braucht Philosophie

Philosophie der Zukunft – Teil 6 – Begriffliche Explikation von Phänomen

Husserl sagt nämlich auch, dass ein (phänomenologischer) Philosoph unter Voraussetzung der vielfältigen Gegebenheiten innerhalb des Wissens-um-sich alles ‚ansehen‘, soll, und es ‚explizierend‚ analysieren soll, und zwar mittels ‚Begriffen‚ und ‚Urteilen‚ beschreiben soll. (CM2,14).

Begriffe sind im Augenblick ihrer Entstehung sekundär zum Gegebenen

Dies bedeutet, dass es für ein Philosophieren nicht genug ist, nur einen ‚Inhalt des Wissens‘, nur bloße Phänomene, zu haben. Man muss auch einen Weg finden, wie man das, was man in seinem Wissen ‚vorfindet‘, hinsichtlich seiner unterscheidbaren Eigenschaften mittels ‚Begriffen‘ und ‚Urteilen‘ beschreiben und damit mit anderen kommunizieren kann.

Wie soll man sich dies vorstellen?

Zeichen entstehen durch Verknüpfung von sprachlichem Ausdrucksmaterial und sonstigen Phänomenen

Wie das nächste Schaubild andeutet, wird angenommen, dass wir im Raum unseres Wissens-um, im Bereich der Phänomene, nicht nur zwischen Phänomeneigenschaften wie ‚gegenständlich‘ und ’nicht-gegenständlich‘ unterscheiden müssen, sondern noch umfassender zwischen einerseits ‚Konkret‚ in einer ‚empirischen‘ oder einer ’nicht-empirischen‘ Auftretensweise sowie einer nicht-gegenständlichen abstrakten Auftretensweise.

Beispiele hierfür sind die vielerlei konkreten Gegenstände des Alltags, z.B. verschiedene konkrete Tassen, die wir jeweils als Instanzen, unterschiedliche Realisierungen eines einzigen allgemeinen Konzepts ‚Tasse‘ verstehen.

D.h. etwas in uns, allgemein unser Denken, spezifischer das, was wir Gedächtnis nennen, generiert aus den konkreten Phänomenen ohne unser eigenes bewusstes Zutun abstrakte Konzepte, die so sind, dass wir einzeln auftretende konkrete Phänomene als Beispiele, Instanzen solcher Klassen wiedererkennen können.

Zusätzlich können wir auch Zeichenkombinationen einer Sprache dazu benutzen, solche Wissensinhalte zu kodieren. In dem Moment, in dem wir solche Zeichenkombinationen einführen, erzeugen wir neue Phänomene, die als konkrete Zeichen empirische sind, als Zeichenkategorien aber nicht-gegenständlich, abstrakt sind, und die in konkreten Beziehungen zu den anderen Phänomenen stehen, die sie als Zeichen explizieren sollen.

Beispiele für Zeichenkategorien sind die unterschiedlichen Sprechweisen eines Wortes wie ‚Tasse‘, die wir gewohnt sind als unterschiedliche Realisierungen eines einzigen Wortes, nämlich des Wortes ‚Tasse‘ aufzufassen. Ähnlich mit verschiedenen Schreibweisen von Buchstaben und ganzen Worten.

Allerdings sind konkrete und allgemeine Zeichenphänomene für sich genommen noch keine vollständigen Zeichen, sondern –ich folge hier dem sehr allgemeingültigen Konzept von Saussure- (1916)- erst dann, wenn das Zeichenmaterial (signifiant, Signifikant, signifier) in einer gewussten Bedeutungsbeziehung M() mit einem anderen Phänomen Ω verbunden ist. Durch eine Bedeutungsbeziehung M(Σ,Ω) wird das jeweilige Phänomen Ω zur ‚Bedeutung‘ für ein Zeichenmaterial Σ und das Zeichenmaterial Σ wird durch die gleiche Beziehung zum Zeichen für das bedeutete Phänomen Ω. Dabei kann alles zur Bedeutung gemacht werden, was als Phänomen vorkommen kann, sogar Zeichenmaterial (Beispiel: Wenn man über eine Zeichenkette wie ‚Haus‘ spricht und z.B. sagt dass das Wort ‚Haus‘ vier Buchstaben hat oder dass man das Wort Haus innerhalb einer bestimmten Grammatiktheorie als ‚Substantiv‘ bezeichnet, usw.). Man könnte auch sagen, in einer Zeichenbeziehung verbinden sich eine Objektebene –das, was bezeichnet werden soll– mit einer Metaebene –das, womit auf das Objekt Bezug genommen wird.

Da alles, was im Raum des Wissens ‚gewusst werden kann‘ zum Gegenstand einer Zeichenbeziehung gemacht werden kann, ist der mögliche Diskursraum für eine phänomenologisch begriffliche Analyse in seinen möglichen Grenzen schwer bestimmbar. Die Grenze verläuft dort, wo das Wissbare aufhört; aber wo ist das in diesem Modell?

Sie beginnen vielleicht an dieser Stelle zu ahnen, wie komplex eine detaillierte und erschöpfende Analyse einer phänomenologischen begrifflichen Explikation werden kann, wenn man die bisherigen groben Eckwerte weiterdenkt.

Das Prinzip derVerknüpfung (Assoziationen) ist generisch anwendbar auf alles, was sich im Bewußtsein befindet

Im Bild mit den komplexen Objekten, ganzen Situationen und Episoden werden diese Sachverhalte kurz angedeutet. Dieses Bild versteht sich als ein mögliches Modell des Zeichenkonzeptes, wie es Husserl im 2.Band seiner Logischen Untersuchung, im 1.Teil darlegt. Eine detaillierte Diskussion ist hier jetzt leider nicht möglich.

Stattdessen möchte ich kurz auf die sich andeutenden Grenzen einer phänomenologischen Philosophie eingehen, Grenzen, die eine ernsthafte Annäherung an die empirischen Wissenschaften nahe legen.

Fortsetzung: Philosophie brauch Empirie

Philosophie der Zukunft – Teil 5 – Vom Phänomen zum Bewusstsein

Was bislang als empirisch motivierte Hypothese daher kam kann zum Beginn einer philosophischen Reflexion werden. Wie es schon Descartes in seinen „meditationes de prima philosophia“ (1641/42) vorexerziert hat und dann von Husserl in seinem Werk weitergeführt wurde, sind wir offensichtlich in der Lage, nicht nur im Erleben ein ‚Etwas‘ zu erleben, eine Sache, einen Gegenstand, ein Objekt, sondern wir können uns auch der Tatsache des Erlebens selbst bewusst sein.

In praktischen Zusammenhängen kommt es vor allem darauf an, was ich wahrnehme, und nur indirekt darauf, dass ich wahrnehme, in der philosophischen Reflexion beginnt man sich dagegen zu fragen, unter welchen Bedingungen ich das erkenne, was ich erkenne, und was daraus dann an weiteren allgemeingültigen Erkenntnissen folgt.

Es ist genau diese Fähigkeit des Wissens-um etwas, die ein Denken des Denkens ermöglicht. Diese Einsicht, dass es nicht die Tasse auf dem Tisch ist, sondern die Tatsache meines Wahrnehmens, Erlebens dieser Tasse, dass ich dies wissen kann, diese Einsicht führte Husserl in seinen Werken –hier besonders die Logischen Untersuchungen (1901) und die Cartesianischen Meditationen (1929)– zur Einführung des Begriffs der Epoché, der bewussten Ausklammerung des Außenweltbezuges bestimmter Phänomene. In der Epoché wird die gewohnte Unterstellung eines Außenweltbezuges eingeklammert/ aufgehoben, um damit den Blick von diesen speziellen, von Husserl auch ‚kontingent‘ genannten, Phänomenen weg hin zu den Phänomenen überhaupt zu lenken, hin zum Wissen um das Faktum von Gegebensein schlechthin, hin zur allgemeinen intentionalen Struktur des Bewusstseins, in dem allgemeines ‚Wissen-um‘ mit jeweils vorkommenden Erscheinungen, Phänomenen korreliert.

Eine Konsequenz des Perspektivwechsels von den Aussenweltgegebenheiten hin zu den Phänomenen als Bewusstseinstatsachen ist, dass die Sinn und Seinsgeltung ab jetzt primär in diesen Raum des ‚Wissens um Etwas‘ verlagert wird (CM2,9). Die Existenz eines Objektes in der Außenwelt wird zu einer abgeleiteten Existenz aus Sicht des Bewusstseins. Dennoch ist für Husserl dieser Raum des Wissens-um nicht unveränderlich, sondern er stellt sich dar als ein ‚beständiger Fluss‘ von Gegebenem (vgl. CM2, 14). Durch diese kontinuierliche Veränderung gibt es ein ‚Aktuelles‘ und ein ‚Vorher‘.

Das allgemeine abstrakte ‚Wissen-um‘ nennt Husserl das ‚transzendnetale ego‚. Es ist keine Sache, keine Substanz, kein greifbares Etwas sondern dieser allgemeine ungegenständliche Raum des Wissens ‚um etwas‘, in dem dieses jeweils ‚gewusste Etwas‘ den aktuellen Bezug in einer Wissensbeziehung bildet, die als solche stetig ist, bleibt, unveränderlich erscheint, allgemeingültig, der Grund für alles Wissbare, darin Bedingung für ‚etwas wissen‘ überhaupt, ein Transzendentales.

Mathematisch kann man das abstrakte ‚Wissen um‘ als eine Abbildung rekonstruieren; eine Abbildung von ‚aktuell Gegebenem‘ zu einem davon unterschiedenen neuem ‚aktuell Gegebenen‘. In einer solchen formalen Rekonstruktion kann man zulassen, dass die ‚Vermittlung zwischen ‚Aktuellem‘ und ’neuem Aktuellem‘ basiert auf der Fähigkeit des Erinnerns von Vorausgehendem durch das, was wir gewöhnlich ‚Gedächtnis‘ nennen.

Anmerkung: ein Begriff der bei Husserl nicht vorkommt, dafür spricht er auf unterschiedliche Weise von einer ‚Genesis‘, die allerdings Gedächtnis als transzendentale Bedingung voraussetzt.

Ferner erlaubt es solch eine formale Rekonstruktion, weitere Faktoren anzunehmen, die innerhalb solch einer Abbildung wirksam werden, z.B. die unterschiedlichen Aktivitäten des Denkens, die sich in den statthabenden Veränderungen niederschlagen.

Zu den Details dieser Dynamik der Phänomene innerhalb des allgemeinen Wissens gleich mehr. Zuvor aber noch ein anderer ganz wichtiger Aspekt, jener des ‚explizierenden Wissens‘.

Fortsetzung: Begriffliche Explikation

Philosophie der Zukunft – Teil 4 – Außenwelt vor Erleben

Allerdings, auch wenn wir uns anhand der empirischen Hypothesen leicht klarmachen können, dass die Welt, die unser Gehirn für uns aufbereitet, nicht die Welt ist, die ‚da draussen‘ ausserhalb des Körpers irgendwo existiert, unser Erleben des Alltags ist anders.

Im ‚naiven‘ alltagsbezogenen Denken erscheint die externe Realität als die eigentliche Realität, und das gerade für den Philosophen so wichtige Bewusstsein um das Erleben selbst spielt eher keine Rolle.

Bsp: die Tassen auf dem Tisch, die Butter, das Brot,…..der Rasenmäher, der nicht anspringt, das Auto in der Parkgarage, das man nicht findet, der Computer, der spinnt,…

Aus praktischer Sicht ist dies verständlich, da wir ja im Alltag unseren Körper in einer Außenwelt so navigieren müssen, dass er möglichst wenig Schaden nimmt und wir möglichst viele unserer praktischen Ziele erreichen. Und nach 250 Millionen Jahren Training ist unser Gehirn mittlerweile so gut in der Simulation der hypothetischen Realität außerhalb des Körpers, dass wir im alltäglichen Verhalten den simulierten Charakter kaum bemerken (zur Gehirnentwicklung Kolb et. (2006), S.14 ).

Oder, anders formuliert, berücksichtigt man die Entwicklung des Lebens, es ist ja gerade der Zweck des Gehirns, seine geniale Leistung, uns den Zugang zur Außenwelt so einfach und effizient wie möglich zu gestalten. Je weniger wir den künstlichen Charakter dieser im Gehirn erzeugten Pseudo-Welt erkennen, um so mehr hat das Gehirn sein Ziel erreicht; es lässt uns die Welt da draußen so erleben, als ob wir ‚in‘ dieser Welt sind obgleich das Gehirn selbst ja außerhalb dieser Welt ist.

Und je leichter und selbstverständlicher uns dieser Weltbezug daherkommt, um so mehr können wir uns auf die eigentlichen Aufgaben in dieser Welt konzentrieren die da heißen Navigieren, Bewegen, Kooperieren, Objekte benutzen, usw.

Anmerkung: Das Thema der ‚Passung‘ unseres Erkennens zur Umwelt aufgrund von evolutionärer Entwicklung wird im Rahmen der evolutionären Verhaltensforschung und der evolutionären Erkenntnistheorie behandelt (z.B. Lorenz 1977 (1973), Vollmer 1981, Maturana 1982, Wuketis 1984, Maturana et. 1987 (1984) )

Und dennoch, so suggestiv das Gehirn uns auch die Realität der Außenwelt vorgaukeln mag, schon vor-philosophisch, rein empirisch, können wir uns klar machen, dass dieser Schein einer naiven Realität trügt. Es gilt –wie schon zuvor angedeutet– die Arbeitshypothese, dass sich unser primäres Erkennen innerhalb des Gehirns abspielt in einer Form, die wir ‚Erleben‘ nennen, bewusstes Erleben. Das bewusste Erleben selbst ist zwar direkt kein Gegenstand der empirischen Wissenschaften, aber in beständigen Korrelationen von beobachtbarem Verhalten, von neuronalen Erregungsmustern mit Selbstaussagen von Personen bzw. korreliert mit dem eigenen Erleben lässt sich eine starke Hypothese von der primären Rolle des bewussten Erlebens für unseren Weltzugang aufbauen. Was immer wir erkennen wollen, bewusst haben wir nur jene Inhalte, die unseren primären Raum des bewussten Erlebens ‚füllen‘. Philosophen sprechen hier gerne von ‚Qualia‚ oder von ‚Phänomenen‘. Aus Sicht des Bewusstseins bilden dann die Phänomene des Bewusstseins unsere primäre Realitätsschicht.

Aus dieser Annahme folgt unter anderem, dass die sogenannte Außenwelt im Gehirn auch nur als solch eine spezielle Menge von Erlebnissen, von Phänomenen, existiert, die sich grundsätzlich nicht von anderen Erlebnissen, Phänomenen, unterscheiden, die z.B. aus Körpererleben stammen. Sie unterscheiden sich nur im jeweiligen Besonderen, in spezifischen Eigenschaftsmustern, in denen sich die Unterschiede zwischen Phänomenen fundieren.

Daraus folgt der grundsätzliche Zusammenhang, dass sich die Menge aller Phänomene Ph zusammensetzt aus den empirischen Phänomenen Ph_e und den nicht-empirischen Phänomenen Ph_ne, kurz Ph = Ph_e und Ph_ne

Fortsetzung: Phänomenologisch

Philosophie der Zukunft – Teil 3- Realität als Simulation

Bleiben wir für einen Moment noch in der vor-philosophischen Perspektive. Verschiedene empirische Disziplinen haben dazu beigetragen, dass wir den Menschen mit seinen bekannten Eigenschaften in einen historischen Zusammenhang stellen, der mit ‚Evolution‘ nur unscharf umschrieben ist.

In dem Schaubild kommt es weniger auf die Details an –also weniger darauf ob es bei der Entstehung der Erde 4.5/6/7 Milliarden Jahre her sind oder ob es bei den ersten auftretenden Zellen 3.1/2/3 Milliarden Jahre waren–, sondern auf die generelle Perspektive eines Werdens von Strukturen, die miteinander in intensivster Wechselwirkung stehen.

Von den vielen interessanten Aspekten, die hier diskutiert werden könnten, möchte ich momentan speziell den Aspekt hervorheben, dass das Gehirn als Träger der Informationsverarbeitung im Körper keinen direkten Kontakt mit der Welt außerhalb des Körpers hat. Es kennt die Welt nur insoweit, als der Körper mit seinen diversen Strukturen, zu denen auch die Sinnesorgane gehören, dem Gehirn Ereignisse der Außenwelt auf physikalisch-chemische Weise übermittelt.

Zusätzlich sagt uns die Neuro-Psychologie, dass Erlebnisse unseres Bewusstseins –nach den bisher vorliegenden Experimenten– normalerweise mit Ereignissen im Gehirn korrelieren. Nach dieser Hypothese wären dann auch unsere Bewusstseinsinhalte nur insoweit mit der Welt außerhalb des Körpers verknüpft, als unsere Bewusstseinsinhalte mit Ereignissen im Gehirn korrelieren, das von diesen Ereignissen außerhalb des Körpers durch eben den zugehörigen Körper ‚informiert‘ wurde.

Dies wird in dem nächsten Schaubild noch deutlicher.

Im Rahmen der empirisch motivierten Hypothese von der Gehirnabhängigkeit bewusster Erlebnisse, die die Welt außerhalb des Körpers in einer ‚abgeleiteten‘ Version präsentieren, muss man folgern, dass all das, was wir in unserem Erleben als ‚real‘ empfinden, Projektionen eines Gehirns sind, das in seiner ihm eigenen Weise eine unglaubliche Fülle von Einzelinformationen verarbeitet.

Wie wir aus zahlreichen neuropsychologischen und kognitionspsychologischen Experimenten wissen, sind die erlebbaren Inhalte in der Regel stark verdichtete, abstrahierte Strukturen auf der Basis von diversen Einzelinformationen aus den Informationen von Außenweltereignissen wie auch von körperinternen Prozessen. Dazu ‚Eigenleistungen‘ des Gehirns sowohl durch vielfältigste Interpolationen wie auch durch Erinnerungsleistungen, die als solche in der Regel keine 1-zu-1 Repräsentationen darstellen. Aufgrund des stark konstruktiven Charakters der Leistung des Gehirns (und des Körpers) bei der Projektion von Außenweltereignissen in den bewussten Erlebnisraum erscheint es angemessener eher von einer ‚Interpolierenden Simulation‘ der Außenwelt durch das Gehirn zu sprechen als von einer bloßen ‚Projektion‘.

Beispiele: 3D-Modelle aus 2D-Informationen (3D-Bilder Bücher), Objektkonstanz trotz Änderung der Distanz, Perspektive und Drehungen, Bild-über-Ton, Erinnerungen mischen sich mit Aktuellem, Projektion von eigenen Vorstellungen in das Bild des anderen,.. Sinnestäuschungen, Träume, Gedankenexperimente,…

Anmerkung Selbstbild – Fremdbild: Letztlich simuliert das Gehirn auch ein Bild des einzelnen Menschen, wie er sich ’sehen‘ und ‚fühlen‘ soll. Dieses ‚innere Bild der Persönlichkeit‘ kann –genau wie das Bild von der Außenwelt– von dem tatsächlichen Zustand bzw. der tatsächlichen Wirkung eines Menschen abweichen.

Fortsetzung: Außenwelt vor Erleben

Philosophie der Zukunft – Teil 2 – Interdisziplinäre Ausgangslage

Es fragt sich, wo beginnt man, wenn man das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft beschreiben will? Nach längerem Überlegen habe ich folgendes Schaubild als Startpunkt gewählt, das eher un-philosophisch daherkommt:

Das Schaubild versucht deutlich zu machen, wie das Thema ‚Bewusstsein‚ auf vielfältige Weise mit anderen Themenkomplexen verbunden erscheint, und dadurch als Gegenstand unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen auftritt.

In dieser Darstellung erscheint das ‚Bewusstsein‘ als ein Erfahrungsbereich, der eine starke Beziehung zum ‚Gehirn‚ aufweist. Wir wissen heute immer mehr über Zusammenhänge zwischen physiologischen Störungen im Gehirn und korrelierenden Veränderungen in der berichteten bewussten Erfahrung. Einschlägige Disziplinen sind hier z.B. die Neurowissenschaften und die Neuro-Psychologie.

Das ‚Gehirn‘ tritt nicht isoliert auf, sondern nur eingebettet in einen komplexen ‚Körper‚, der das Gehirn u.a. mit Energie versorgt. Zuständige Disziplinen sind hier u.a. die Physiologie, die Anatomie, die Chemie und Molekularbiologie, sowie die Biologie.

Ein einzelner Körper kann nicht leben; er benötigt immer eine Population, um geboren zu werden, um zu lernen und um sich fortzupflanzen. Dies setzt eine Vielzahl von Interaktionen sowohl mit der Population als auch mit der jeweiligen Umgebung voraus. Eine Interaktion ist ein Wechselspiel von empfangenen Reizen (Stimuli, [S]) aus der Umgebung wie auch von Reaktionen [R] des Körpers in die Umgebung hinein. Je nach Komplexität dieser Aktionen, eventuell angereichert mit Zeichengebrauch, Werkzeuggebrauch, Ritualen, Kunst, komplexen juristischen Mustern, usw. sind hier eine Vielzahl von Wissenschaften einschlägig, z.B. Psychologie, Ethologie, Soziologie, Sprachwissenschaften, Anthropologie, Rechtswissenschaften, usw.

Wir haben außerdem gelernt, dass jene Strukturen, die wir ‚heute‘ vorfinden, keine statischen Gebilde sind, sondern Elemente eines Entwicklungsprozesses, der viele Milliarden Jahre vor unserer Gegenwart begonnen hat. Was wir heute vorfinden sind also ‚gewordene Strukturen‘, Zustandsaufnahmen diverser Entwicklungslinien, die ihrer Natur nach über unsere Gegenwart hinaus weisen. Punktuell betrachtet repräsentieren diese Strukturen ‚Endpunkte‘; dynamisch betrachtet markieren diese Strukturen Durchgangspunkte. Disziplinen, die hier einschlägig sind, sind z.B. die evolutionäre Psychologie und Biologie, die Geologie, die Geschichtswissenschaften, die Chemie und Molekularbiologie, die Genetik, und die Physik. Letztere z.B. mit ihren verschiedenen Modellen zur Struktur der Materie und damit zusammenhängend zu den möglichen Entwicklungsphasen unseres Universums, in dem wir am Rande der Milchstraße mit unserem Sonnensystem angesiedelt sind.

Erwähnen möchte ich aber auch Disziplinen wie Mathematik, formale Logik und die Informatik. Direkt haben diese Disziplinen keinen Gegenstandsbereich in der erfahrbaren Welt. Aber ihre Denkmodelle gehen unterschiedlich intensiv ein in das Denken der verschiedenen Disziplinen. Dort entfalten sie –richtig genutzt– eine Ordnungskraft im Denken, die das Alltagsdenken bei weitem übersteigen kann.

Wenn man sich dieses vielfältige Netzwerk von Disziplinen vergegenwärtigt, dann wundert es nicht mehr, dass unser Bild vom Menschen und der Wirklichkeit je nach Standpunkt sehr unterschiedlich ausfallen kann. Und die Wissensexplosion tut das ihre, um den einzelnen Wissenschaftler immer mehr in die Isolation seines eigenen Faches hinein zu treiben. Wer die Fakultäten deutscher Universitäten von innen kennt, weiß, wovon ich rede. Und als Studiengangsleiter eines interdisziplinären Studienganges mit mehr als 5 verschiedenen Disziplinen von glücklicherweise sehr positiv eingestellten KollegenInnen weiß ich, dass das erlernte Denken in den Köpfen aller Beteiligten eine Realität ist, die härter sein kann als jede reale Wand; wohlgemerkt, nicht weil wir als einzelne ‚böse‘ sind, sondern weil das Denken in unseren Köpfen eine Realität ist, die wir nicht so ohne weiteres verflüssigen können. Ein ‚Denken des Denkens‘ muss geübt werden. Darum sind wir heute auch zusammen.

Fortsetzung: Geworden, Realität als Simulation