Archiv der Kategorie: Kirche – christliche

SÄKULARES GLAUBENBEKENNTNIS? Ein Telefonat und ein Soundtrack vom April 2014

1. Seit dem Besuch des ersten religionspolitischen Kongresses der GRÜNEN gab es sehr viele anregende Impulse. Einer berührt das Thema ‚Säkularisierung‘. Im letzten sehr langen Telefonat mit einem Mitglied der säkularen GRÜNEN skizzierte dieser das Spektrum der verschiedenen Bewegungen und Initiativen, die sich in Deutschland irgendwie der Wortmarke ’säkular‘ zuordnen lassen. Nach einem beeindruckenden Überblick entstand unter dem Strich der Eindruck, dass alle diese verschiedenartigen Bewegungen irgendwie mit der Kritik an den bekannten Religionen auch gleich ‚Gott selbst‘ eliminiert hatten und haben. Am radikalsten vielleicht die ‚Naturalisten im engeren Sinne‘ mit einer ‚Geist- und Gottfreien Materie‘.

2. Im Hin und Her des Gesprächs deutete sich an, dass wir der Überzeugung sind, dass eine Kirchen- und Religionskritik nicht automatisch auch eine ‚Abschaffung Gottes‘ impliziert, da ‚Religiosität‘ etwas so Fundamentales in Empfinden der Menschen ist, dass diese Empfindsamkeitsstruktur nicht schon durch Kritik an institutionellen Fehlformen von Religion betroffen sein muss (was im übrigen die Frage, ob und wie ‚Gott‘ sei, noch weitgehend im Hintergrund lässt).

3. Auch bieten die neuen Entwicklungen in der Wissenschaft sowie der Wissenschaftsphilosophie neue Ansatzpunkte, um die schroffe Gegenüberstellung von naturwissenschaftlichem Wissen hier und religiösem Weltverständnis dort zumindest in Frage zu stellen (ein Thema in diesem Blog seit langem).

4. Dazu kommt, dass – zumindest im Bereich der christlichen Kirchen, und hier besonders im Bereich der römischen Papstkirche – das Verhältnis zwischen ‚kirchlichem Amt‘ und ‚Spiritualität‘ – also eigener religiöser Erfahrung – seit Anbeginn problematisch war. Spätestens ab dem 5. Jahrhundert befand sich das religiöse Empfinden des einzelnen unter der vollständigen Kontrolle des Amtes. Was immer ein einzelner erleben mochte, es spielte künftig keine Rolle mehr. Es galt nur noch das, was dem Amt ‚genehm‘ war. Abweichungen wurden mit Bestrafung oder direktem Ausschluss bzw. mit dem Tod bestraft.

5. Ein prominentes Opfer dieser Verhältnisse ist der Jesuitenorden. Lange Zeit und für Viele galten die Jesuiten als besonders papsttreu und ’nah an der Macht‘. Die Wahrheit ist aber komplexer.

6. Es stimmt, dass die Jesuiten aufgrund ihrer Ordenssatzung sich dem Papst direkt ‚unterworfen‘ hatten, und es stimmt, dass diese ‚Unterwerfung‘ von ihrer Spiritualität weitgehend gedeckt wurde.

7. Was man aber nicht übersehen sollte, ist, dass das Spiritualitätsmodell der Jesuiten – soweit man es an der Autobiographie des Ordensgründers Ignatius von Loyola und seinem konkreten Wirken (und dem seiner Ordensmitglieder) ablesen kann – vom Ansatz her hochmodern ist, ganz und gar erfahrungsbasiert, und ein Modell darstellt, wie es jeder Mensch – auch heute – praktizieren könnte. Dieses Modell war so leistungsfähig, dass die Jesuiten im 16. und 17.Jahrhundert in der Lage waren, in allen Kontinenten Sprachen zu lernen, sich neue Kulturen anzueignen, sich anderen Lebensformen anzupassen, neue Gesellschaftsformen zu erfinden, also auf breiter Front Dinge zu tun, die mit dem damaligen engen Kirchen- und Religionsverständnis eigentlich nicht vereinbar waren. Diese Kreativität und Dynamik wurde ihnen dann schließlich zum Verhängnis, als die Differenz zu anderen ‚konkurrierenden‘ Orden und zu verschiedenen staatlichen Machtpositionen zu groß wurde. Es kam zum ersten weltweiten Verbot des Ordens ohne einen wirklichen Prozess, für viele völlig überraschend, verbunden mit Einkerkerungen und Tod.

8. Man kann natürlich die Frage aufwerfen, warum die Jesuiten, wenn sie doch so eine großartige Spiritualität hatten, dann nicht die Problematik der römischen Papstkirche erkannt und daraus ihre Konsequenzen gezogen haben? Eine Antwort auf diese Frage würde es erfordern, tiefer in dieses Spiritualitätsmodell einzusteigen, was an dieser Stelle jetzt nicht geschehen soll. Fakt ist nur, dass auch das jesuitische Spiritualitätsmodell von jedem einzelnen mehrjährige ‚Lernphasen‘ abverlangt in Wechselwirkung mit kognitiver Verarbeitung. Die Erfahrung der ‚Nähe Gottes‘ ersetzt keine analytische Erkenntnis! (Dies erklärt auch, warum Mohammed als Prophet sehr wohl unmittelbare Gotteserfahrungen gehabt haben kann ohne deswegen zugleich auch die volle Weite der möglichen analytischen Erkenntnisse besessen zu haben. Schon die großen islamischen Theologen des 11. Jahrhunderts gingen weit über Mohammed hinaus. Aber auch hier gilt: die mögliche berechtigte Kritik an Aussagen eines Menschen ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Mensch genuine, authentische Erfahrungen gemacht haben kann, die für diesen Menschen sehr wichtig waren).

9. Außerdem sollte man bedenken, dass das allgemeine ‚religionsunabhängige‘ wissenschaftliche Weltwissen sich ja auch erst – nimmt man das Wirken von Galilei als einen Bezugspunkt – über ca. 350 Jahre mühsam im direkten Kampf gegen die römische Papstkirche entwickeln musste, d.h. selbst wenn es eine ’spirituelle Richtung‘ gegeben haben mag, ein ‚passendes Wissen‘ war schwer verfügbar.

10. Das, was man exemplarisch an der Geschichte des Jesuitenordens beobachten kann, kann man weitgehend auf alle Menschen in der römischen Papstkirche übertragen, die versucht haben, eine eigene, authentische Spiritualität zu leben: entweder mussten sie die Kirche verlassen oder die eigene Spiritualität so weitgehend verleugnen, dass von der Sprengkraft, die einer authentischen Spiritualität innewohnt, nicht mehr viel übrig blieb. Verständlicherweise ist diese destruktive Wirkung einer Amtskirche auf die Spiritualität ihrer Mitglieder in der offiziellen Theologie nie untersucht worden.

11. Im übrigen steht im Raum, dass dieses negative, menschenverachtende Verhalten gegenüber der individuellen Erfahrung – wie wir mittlerweile wissen können – ein durchgehender Zug vieler (aller?) organisierter (Offenbarungs-)Religionen ist, und sich auch in politischem Kontext in allen Staaten wiederfindet, die versuchen ohne demokratische Strukturen mit purer Macht die Bürger zu befehligen und zu bevormunden. Pluralität, Pressefreiheit, Toleranz usw. sind äußere Kennzeichen einer Gesellschaft, in der die subjektive Erfahrung des einzelnen – zumindest im Ansatz und grundsätzlich – akzeptiert und geachtet wird. Die formale Trennung von Staat und Religion in demokratischen Staaten ist daher nicht ein ‚weniger an Religion‘, sondern die einzige Voraussetzung für eine ‚wahre Religion‘, die in der Subjektivität des einzelnen wurzelt.

12. Allerdings kann man den Eindruck haben, dass die Bürger demokratischer Staaten, die sich von erfahrungsfeindlichen Religionen gelöst haben, deswegen nicht automatisch zu ihrer eigenen, authentischen Religiosität finden. Die negativen Beispiele der organisierten Religionen können – trotz Ablehnung – so blockierend wirken, dass trotz der Ablehnung von etwas Menschenfeindlichem deswegen noch nicht der Blick, das Gefühl, der Verstand frei ist für die konstruktive Alternative (in diesem Sinne kann/ muss man fragen, ob nicht die offiziellen Religionen selbst das größte Hindernis sind, um zur eigenen, wahren Religiosität zu finden? Natürlich haben die bekannten Religionen auch Großartiges hervorgebracht; das macht die Sache nicht einfach).

13. Hier wäre viel zu tun. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob und wie wir alle in diesen Fragen weiterkommen werden. Aktuell kann man den Eindruck gewinnen, dass die ‚Regression‘ auf die alten, menschenverachtende Religionsmuster mehr Attraktivität besitzen als der Aufbruch in eine neue Religiosität, die dort beginnt, wo die Aufklärung, die Wissenschaft, die demokratischen Staatsformen uns hingebracht haben, in einen Raum, in dem individuelle, subjektive Erfahrung geduldet, gefördert und offiziell geschützt wird, begleitet von einem großartigen empirischen Wissen über die Welt im Universum, eingebettet in neue globale Kommunikationsformen.
14. Angeregt durch diese Gedanken fiel mir ein Soundtrack auf, den ich im April 2014 aufgezeichnet hatte und der im Kontext dieser Gedanken eine Anregung für ein ’säkulares Glaubensbekenntnis‘ sein könnte. Hier der Soundtrack (Warnung: Laufzeit 18 Minuten! Eine entspannte, ruhige Situation wird empfohlen):

15. Soundtrack vom April 2014: Säkulares Glaubensbekenntnis?.

16. ANMERKUNG: Der Soundtrack wurde nach der Methode ‚radically unplugged‘ generiert. Diese Methode hat einen direkten Bezug zum Thema dieses Blogeintrags, da die radically unplugged Methode hier einen Musikbegriff repräsentiert, der sich gegen die etablierten Dogmen von Musik stellt und den einzelnen mit seiner Subjektivität zur primären authentischen Quelle von Musik erklärt. Radically unplugged Aufnahmetechnik bedeutet, dass jeder jederzeit jede Art von Klang erzeugen und aufzeichnen kann, Manipulationen vornehmen kann, und der entstehende Klang ist immer ‚richtig‘. Natürlich kann man solche Radically Unplugged Musik (= RUM) dann nach beliebigen Kriterien diskutieren, und natürlich wird es immer Menschen geben, die aufgrund von spezieller Begabung und langjährigem Training bestimmte Klänge hervorbringen, die ohne diese Begabung und Motorik von keinem anderen live so hervorgebracht werden können. Dennoch erscheint es mir falsch, solche – irgendwo bewunderungswürdigen – Leistungen zum einzigen Maßstab zu erklären. Ziel sollte es sein, dass jeder angeregt wird, seine individuelle Klangfähigkeit zu entwickeln, da sie, wie Lesen und Schreiben, zu Grundfähigkeiten des individuellen Selbsterfahrens und Kommunizierens gehören.

17. Im übrigen leben wir in einer Zeit, in der die moderne Technik es möglich macht, dass jeder einzelne auch ohne reale Orchester und teuerste Instrumente heute Klangräume durchwandern kann, die weit über das hinaus gehen, was klassische Musikinstrumente ermöglicht haben. Die junge Generation hat dies vielfach schon erkannt und geht hier unbekümmert neue Wege, abseits der ‚Feuilletonpäpste‘ und ‚Radiooberlehrer’…

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge von cagent nach Titeln findet sich HIER.

ERSTER RELIGIONSPOLITISCHER KONGRESS VON BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN – Sehr subjektive Betrachtungen eines Teilnehmers

KONTEXT DES BLOGS

1. Aufmerksame Leser dieses Blogs dürften bemerkt haben, dass das Thema Religion in diesem Blog seit wenigen Wochen eine neue Intensität gewonnen hat. Dies hat nichts – wie man im ersten Moment meinen könnte – mit den aktuellen Ereignissen in und um Paris zu tun, sondern damit, dass der ‚Denkweg‘ in diesem Blog nach Klärungen im Bereich ‚Philosophie und Wissenschaft‘, ‚Philosophie, Wissenschaft und Kunst‘ sowie immer wieder vereinzelt die Frage der Offenbarungsreligionen durch die Lektüre des Buches von Bergmeier Teil 1 und Teil 2 sowie meinen Reflexionen im Anschluß an die letzte philosophieWerkstatt v2.0 mit dem bisherigen Höhepunkt einer Verabschiedung der bisherigen Offenbarungsreligionen und Aufruf, jetzt, innerhalb der modernen Staatsformen jene Religiosität zu finden und zu kultivieren, die keine ‚Kirchen‘ mehr braucht, weil der Staat selbst den Rahmen liefert, in dem jeder einzeln und doch zusammen mit allen anderen eine authentische Religiosität leben kann.

2. Sensibilisiert durch all diese aktuellen Überlegungen wirkte auf mich die Nachricht von dem religionspolitischen Kongress der Grünen in Düsseldorf am 17.Januar 2015 sehr stimulierend und dank einer starken Neugierde habe ich mich dort kurzfristig angemeldet und bin hingefahren.

ZIEL DES KONGRESSES

3. Den verschiedenen Verlautbarungen und Statements im Umfeld des Kongresses entnahm ich, dass die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre es notwendig erscheinen lassen, das Verhältnis zwischen Staat, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften neu zu überdenken und in entsprechende Gesetzesinitiativen einfließen zu lassen. Eingeladen hatte die Landtagsfraktion der GRÜNEN sowie die Kommission ‚Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat‘ des GRÜNEN Bundesvorstandes. Diese Kommission hatte mehrere Themenfelder identifiziert, die dann die Plenarsitzungen wie auch die verschiedenen Arbeitskreise thematisch bestimmten.

BEEINDRUCKENDE MENSCHEN

4. Geht man von der Besetzung des Plenarsaales aus, dann waren mehr als 200 TeilnehmerInnen zu diesem Kongress gekommen. Die Vielfalt der vertretenen Auffassungen gepaart mit einer Offenheit, Fairness und Herzlichkeit im Umgang miteinander war beeindruckend. Denkt man an die Bilder von parteiischen Menschengruppen, die sich gegenseitig verdächtigen, beschimpfen oder sogar bekämpfen, die von den Medien vorzugsweise in die deutschen Wohnzimmer transportiert werden, dann erschien das hier fast wie eine Botschaft aus einer anderen Welt: Evangelische und katholische Christen, Juden, verschiedene islamische Bekenntnisse, Aleviten, Buddhisten, Humanistischer Verband – um nur einige zu nennen – diskutierten miteinander friedlich; die meisten kannten sich von Jahren gemeinsamer Arbeit vor Ort. In den Gesprächen zwischendurch und in Diskussionen während der Arbeitssitzungen begegnete einem viel Erfahrung, viel Engagement und sehr viel Fachkompetenz. Das war ermutigend.

STARKE EIGEN-INTERESSEN

5. Allerdings zeigte sich auch sehr schnell, dass es natürlich auch um handfeste Interessen ging. Immerhin ging es um Überlegungen, die Auswirkungen auf konkrete Anerkennung als Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft mit all den damit verbundenen ‚Privilegien‘ (wie z.B. Steuervergünstigungen, Sonderrechte, Religionsunterricht, Arbeitsrecht, und Feiertage) zu diskutieren.

6. So trat der Humanistische Verband unter seinem Präsidenten Dr. Wolf (zusammen mit weiteren Mitgliedern) im Rahmen des Erlaubten ziemlich massiv auf, um den Weg zur Anerkennung des Humanistischen Verbandes als Weltanschauungsgemeinschaft weiter zu ebnen um auf Dauer mit den etablierten Kirchen gleich zu ziehen. Nicht weniger selbstbewusst vertrat Herr Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland die legitimen Interessen verschiedener muslimischer Verbände. Dem standen die Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche natürlich nicht nach; allerdings konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie natürlich aus einer historischen ‚Position der Stärke‘ heraus argumentierten und sich ‚offen‘ für mögliche Änderungen zeigten, ohne diese Offenheit aber weiter zu konkretisieren.

EUROPAS ERBE AUF DER HINTERBANK?

7. So positiv dies alles im ersten Moment erscheint (friedliches, freundliches Miteinander, …), so problematisch wird dies aber, sobald man es in einen historischen und systematischen Kontext einbettet.

8. Der Key-Note Vortrag (gemeint ist ‚Einführungsvortrag‘ … :-)) von Prof. Brumlik war kenntnisreich und anregend, konnte aber die jüdische Grundüberzeugung seines Autors nicht ganz verhehlen: so versuchte er eine religiöse Grundüberzeugung schon in die Gründungsformulierung der Grünen hinein zu interpretieren (‚ökologisch‘ als ‚Erhaltung der Schöpfung‘) und unterstellte allen Menschen eine Sehnsucht nach ‚Erlösung‘ (und das mit einem Adorno-Zitat…). Entsprechend fiel seine Analyse der wichtigsten Vertragsmodelle zwischen Staat und Kirche (USA, Frankfreich, Deutschland) besonders positiv für das deutsche ‚Kooperationsmodell‘ aus, in dem der Staat den religiösen Gemeinschaften eine Reihe von Sonderrechten (Privilegien!) einräumt und sich dafür das Recht vorbehält – hier vereinfachend –, bei dem Religionsunterricht und der Ausbildung der Lehrer und Theologen eine gewisse staatliche Aufsicht zu führen. Diese Form der Kooperation wirke sich – so Brumlik – ‚moderierend‘ aus gegen zu starke Fundamentalisierungen, wie man sie z.B. in den USA beobachten könne. Eine wirkliche historische Dimension lies der Vortrag allerdings vermissen und die speziellen historischen Entstehungsbedingungen der modernen Demokratien kamen nicht zur Sprache. Dies ist bedauerlich, da damit genau jene Momente verschwiegen wurden, die wichtig wären für eine Einschätzung des aktuellen Verhältnisses von Staat und Kirche.

9. Bettina Jarasch, die Leiterin der GRÜNEN Kommission ‚Weltanschauung, Religionsgemeinschaften und Staat‘ fand – nach Wahrnehmung dieses Autors – etwas klarere Worte als Prof.Brumlik, alle zum Punkt, leider war ihr Beitrag sehr kurz und sie nahm im weiteren Verlauf nicht aktiv an den Vorträgen und Diskussionen teil.

10. Die anwesenden starken religiösen und weltanschaulichen Interessengruppen sowie die ‚religionsgeschwängerten‘ generellen Überlegungen von Prof.Brumlik deuten an, dass die gegenwärtigen religiösen Verbände und Kirchen keinen wirklichen Blick für die Menschen und die Verfassungsinteressen jenseits ihrer religiösen Bekenntnisse haben. Dies erstaunt nicht, muss aber bedenklich stimmen angesichts der Tatsache, dass die ’statistische Mehrheit der Konfessionslosen‘, die ’normalen‘ Bürger, als solche nicht organisiert sind, da sie ja in einem modernen Staat leben, der ihnen eigentliche alle Rahmenbedingungen bietet für die es keine speziellen Kirchen mehr bräuchte. Und ein Interessenvertreter der evangelischen Kirche, Prof. Jähnichen hatte keine Probleme damit, im Panel 4 festzustellen, dass es in einer modernen Demokratie üblich sei, dass sich Interessengruppen öffentlich organisieren – was die Religionen tun –, und wenn die Nichtkonfessionellen dies nicht tun, dann sei das deren Problem.

11. Nun gab es auch die ‚Nichtkonfessionellen‘ im Publikum, und zwar nicht wenige, sehr Engagierte aus vielen Bereichen, die dem Geist eines demokratischen Staates wie der Bundesrepublik ’näher schienen‘ als die verschiedenen religiösen Interessenvertreter. Diese meldeten sich auch zu Wort (in meiner Zählung waren es insgesamt die meisten Diskussionsbeiträge), aber sie waren in den Leitungen der Panels deutlich unterrepräsentiert. Besonders beeindruckt hat mich die Gruppe der Säkularen GRÜNE aus NRW. Ihre Stellungnahme zum Positionspapier des Bundeskommission enthält alle wichtigen kritischen Punkte. Dass diese grundsätzliche Position, die im Einklang mit Geschichte, Menschenrechten und dem spezifischen Staatsinteresse steht, nach meiner Wahrnehmung im Programm und in den Dokumenten keinen erkennbar ‚offiziellen Status‘ bekommen hat, halte ich für bedenklich. Auf welcher geistigen und politischen Basis operiert hier die Bundeskommission?

12. Von den 6 Vertretern im Schlusspanel war nur einer (!), der explizit eine kritische Position gegenüber den religiösen Verbänden im Verhältnis zum Staat verdeutlichte, Joachim Frank, Chefkorrespondent der Mediengruppe M. DuMont (Schauberg, Köln, Frankfurt, Berlin), Deutschland. Aber wie schon zuvor, wenn Diskussionsteilnehmer kritische Positionen ins Gespräch einbrachten, wurden diese zwar gehört, aber von den Vertretern der religiösen und weltanschaulichen Interessengruppen letztlich ‚immunisiert‘, d.h. zur Kenntnis genommen aber nicht wirklich beantwortet. Für einen ernsthaften Dialog war allerdings auch die Zeit zu kurz. Immerhin konnte man einen guten Eindruck von der Vielfal bekommen und den – trotz aller Freundlichkeit – noch bestehenden Kommunikationsdefiziten.

WIE KANN ES WEITERGEHEN?

13. Wenn man bedenkt, dass Europa ca. 4000 Jahre gebraucht hat,neben der Erfindung von drei Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum und Islam), und neben der Erfindung des modernen Staatsgedankens (Griechen, Römer mit griechischer Kultur, arabisch-islamische Kultur 700 – 1400 teilweise, die Zivilgesellschaften in den westlichen europäischen Ländern in einem zähen Kampf gegen die römische Papstkirche und die vorherrschenden elitären Feudalstrukturen über ca. 1000 Jahre …), dann den ‚modernen‘ wissenschaftsgeleiteten, auf Menschenrechten und demokratischer Partiziption basierenden Staat – wenn auch z.T. unfreiwillig – zu realisieren, dann darf man nicht erwarten, dass die Eingliederung spezieller religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse in einen ‚gemeinsamen‘ Staat schnell und ‚leicht‘ geht. Wie schon in den zurückliegenden Jahrhunderten ist Mangel an Wissen das Haupthindernis für eine Verständigung. Will man keine Gewalt anwenden, bleibt nur die kontinuierliche ‚Aufklärung‘; diese allerdings braucht leistungsfähige Bildungsinstitutionen und eine funktionierende Öffentlichkeit. Letztere, obgleich für eine Demokratie ein unverzichtbarer Lebensnerv, gerät durch eine fortschreitende Ökonomisierung in immer mehr finanzielle Abhängigkeiten von partikulären Geschäftsinteressen, die von der eigenen politischen Geschichte eines umfassenden Europas immer weniger wissen und auch – so der Eindruck – scheinbar immer weniger wissen wollen. Solange jemand noch öffentlich sagt, dass das moderne Europa, der moderne deutsche Staat, auf dem Erbe des christlichen Abendlandes beruhe, solange kann man gewiss sein, dass dieser Jemand nicht versteht, was er sagt; das historische christliche Abendland war der größte Feind der modernen Gesellschaften. Diesen überwunden zu haben, ist eine der größten kulturellen Leistungen. Die aktuelle Diskussion um einen neuen religionspolitischen Staatsvertrag erweckt bislang nicht den Eindruck, dass die aktuelle Politik sich der historischen Dimension bewusst ist.

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ISLAM, CHRISTENUM und EUROPA AUS HISTORISCHER SICHT – Kurzmemo zur philosophieWerkstatt v2.0 vom 11.Januar 2015

PLAN DER EINLADUNG

Entsprechend der Einladung zur philosophieWerkstatt v2.0 für den 11.Januar 2015 sollte es neben einem kleinen experimentellen Kunstteil ein Einführungsreferat aus religionswissenschaftlicher Sicht zum Thema „Das Gute und das Böse in den Religionen” geben.

THEMENWECHSEL: RELIGIONEN IN HISTORISCHER PERSPEKTIVE, VERHÄLTNIS ZUM STAAT

Da erst zu Beginn der Sitzung bekannt wurde, dass die geplante Referentin nicht kommen würde, musste das Thema kurzfristig etwas geändert werden. Statt eines ’strukturellen Vergleichs‘ mit Blick auf ‚Gut und Böse‘ in den Religionen sprang der Veranstalter dann ein mit Thesen aus dem Buch von Bergmeier: Christlich-abendländische Kultur – eine Legende (Teil 1) und Teil 2. Bei diesem Buch handelt es sich um eine interessante historische Studie zum Wechselspiel zwischen ‚Gesellschaft – Christentum‘ einerseits und parallel zwischen ‚Gesellschaft – Islam‘ andererseits im Zeitraum 700 – 1400.

GESELLSCHAFT OHNE RELIGION IST MÖGLICH

Aus dieser Studie — und unter Berücksichtigung der Jahrhunderte danach — kann man ersehen, dass ein blühende Gesellschaft ohne Religion möglich ist, dass aber Religion umgekehrt ganze Gesellschaften behindern oder zerstören kann. Auch wenn man es aus der Sicht des Jahres 2015 kaum glauben mag, aber die kulturell höchstentwickelte Periode und Blütezeit hatte Ganz-Europa in der Zeit ca. 800 – 1100 im arabisch-islamischen Reich. Parallel verzeichnen wir einen wirklich dramatischen Niedergang der Gesellschaft unter der römischen Papstkirche bis sich die Zivilgesellschaft von diesem Einfluss ab ca. 1200 schrittweise und mühsam im Laufe von ca. 700Jahren befreien konnte.

Diese historische – und letztlich auch soziologische – Betrachtungsweise erlaubt es, Einschätzungen zu verschiedenen Religionen zu bekommen, ohne dass man Details dieser Religion kennen noch verstehen muss.

GRIECHISCH-RÖMISCH

Wenn so z.B. (i) in der Phase der griechischen Kultur (ca. ab 500 v.u.Z.) und dann in der römisch-griechischen Kultur (ca. 200 v.u.Z. bis ca. 400) die Gesellschaft blüht weil der Staat sich für alle verantwortlich fühlt und mit Schulen, Infrastruktur, Toleranz bzgl. Weltanschauungen sowie Rechtssicherheit das Aufblühen von Handel und Wirtschaft ermöglicht, wir dann beobachten können,

ARABISCH-ISLAMISCH

wie (ii) sich diese Blüte im arabisch-islamischen Bereich ca. 700 – 1400 fortsetzt, da die neuen islamischen Machthaber dem Wissen gegenüber aufgeschlossen sind und sie Toleranz gegenüber Weltanschauungen praktizieren,

RÖMISCHE PAPSTKIRCHE

wie dann (iii) zeitgleich in den westlich christlichen Ländern die Gesellschaft geradezu dramatisch zusammenbricht, weil unter dem Einfluss der staatlich privilegierten römischen Papstkirche dem Staat die Mittel fehlen, öffentliche Schulen, Infrastrukturen weiter zu pflegen; Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen praktisch abgeschafft ist; dann finden wir einen beispiellosen Niedergang des Wissens, der Wirtschaft und der Gesellschaft.

RENAISSANCE, AUFKLÄRUNG, REVOLUTION …

In den westlichen europäischen Ländern (Abendland) kann man dann (iv) beobachten, wie die westlichen Länder sich langsam aus ihrer Schockstarre wieder befreien, indem sie sich schrittweise aus dem Machteinfluss der römischen Papstkirche lösen. Die Zauberworte hier lauten u.a. Renaissance, Aufklärung, französische Revolution, Entstehung von Demokratien. Dies bedeutet Rückgewinnung des Wissens (zu Beginn unter Hilfe der arabisch-islamischen Kultur und der des griechischen Byzanz!), Aufbau von Bildung und Infrastrukturen, und Rückkehr der Toleranz. Dieser Befreiungsprozess hat ca. 700 Jahre gedauert und er ist noch nicht wirklich vollständig abgeschlossen (die Rolle der Reformation wurde noch nicht diskutiert).

OSMANISCH

(v) In der Nachfolge des arabisch-islamischen Reiches gab es zwar das osmanische Reich (ca. 1300 bis 1923), doch hatte es zu keinem Zeitpunkt die Offenheit für Wissen, die Toleranz und die Infrastrukturen wie das vorausgehende arabisch-islamische Reich. Die Gesellschaft als solche blieb hinter der Entwicklung der westlichen europäischen Länder zurück.

SPALTUNG EUROPAS

In diesen geschilderten Entwicklungen liegen die Wurzeln für die Entstehung eines sogenannten ‚fortschrittlichen abendländischen‘ Europas und eines ‚weniger fortschrittlichen morgenländischen‘ Europas. Während im Fall des ‚morgenländischen‘ Europas der Faktor Religion in Form verschiedener islamischer Varianten eher bremsend wirksam ist, liegt der Fall bei dem ‚fortschrittlicheren morgenländischen‘ Europa anders: hier findet die Entwicklung in dem Maße statt, wie sich die Gesellschaft vom Einfluss der Religionen – – speziell vom Einfluss der römischen Papstkirche – befreit hat. Im Fall des abendländischen Europas von einer ‚christlichen Leitkultur‘ zu sprechen ist historisch und sachlich falsch. Zwar gab es starke christliche Einflüsse im abendländischen Europa, aber alles, was die heutigen Demokratien und das gesellschaftliche Funktionieren ermöglicht, wurde eindeutig GEGEN den Einfluss der christlichen Bekenntnisse mühsam – und streckenweise blutig – erkämpft! Die wahren Grundlagen des Erfolges des abendländischen Europa sind die staatlichen und Kulturen Errungenschaften des antiken Griechenlands, des antiken Roms, die Blütezeit des arabisch-islamischen Reiches und dann die fortschreitende Befreiung vom Einfluss der Religionen im Abendland.

EIN GANZES EUROPA

Ein ‚Ganzes Europa‘ (= Morgenland und Abendland) war in der Vergangenheit möglich und wäre auch heute möglich, wenn die Förderung der staatlich-gesellschaftlichen Strukturen im Vordergrund stehen würde (Bildung, Forschung, Infrastrukturen, Rechtssicherheit, Toleranz) und die Religionen dies als ihre ‚Rahmenbedingungen‘ anerkennen würden. Zugleich müssten die Religionen alle ‚weiter entwickelt‘ werden, da ihr aktueller Wissensstand weit hinter dem Wissen der Welt zurückliegt. Was immer eine Religion heute privat, individuell von Gott wissen mag, eingehüllt in eine dunkle Wolke von Nichtwissen kann dieses Wissen um Gott nur ein Zerrbild Gottes ergeben.

OFFENE GESPRÄCHSRUNDE

Die offene Gesprächsrunde folgte diesen historischen Entwicklungslinien nicht. Alle Teilnehmer standen stark unter dem Eindruck der Geschehnisse in Paris (Attentate von Islamisten in Paris) im Kontext der anhaltenden Diskussionen in der Öffentlichkeit zur Rolle des Islam in Europa. Einige artikulierten auf unterschiedliche Weise eine gewisse Hilflosigkeit der Orientierung. Diese Orientierungslosigkeit wollte nicht ganz von dem Begriff der Religion lassen und fokussierte mehrfach um die Frage, was ‚Gut‘ und ‚Böse‘ sei, was ‚Richtig‘ und ‚Falsch‘. Der Begriff der ‚Religion‘ blieb unklar trotz Unterscheidung von ‚Religion‘ – ‚Konfession‘ – ‚Kirche‘. Einige sehen ‚Religion‘ als sehr grundlegende Bedürfnisse, die sich aus der Existenz des Menschen in dieser Welt ergeben sollen. Andere zitierten den Psychologen Bauer, der die Wurzel in jener Zeit verordnen, in der die Menschen im Übergang von kleinen Gruppen (Jäger) zu größeren komplexen Gruppen (Ackerbau, Städtebildung) gezwungen sind, komplexe Regelsystem aufzustellen und zu sanktionieren. ‚Gott‘ hier als ‚virtueller Rächer‘ für Regelmissbrauch. Es gab nicht genügend Zeit, um alle aufgeworfenen Fragen ausreichend zu klären.

AUFGABENSTELLUNG FÜR DAS NÄCHSTE MAL: So, 8.Febr.2015

Für das nächste Mal gab es zwei Vorschläge

1. Jeder überlegt aus seinem Wissens- und Erfahrungsbereich, wo und wie er/sie die Begriffe ‚Gut’/ ‚Böse, ‚Richtig’/’Falsch‘ am ehesten verorten würde. Dazu den Begriff ‚Religion‘.
2. Zwei der teilnehmenden PsychologenInnen versuchen ein Kurzstatement vorzubereiten, wie diese Phänomene im Kontext von Kindern auftreten. Kann man daraus etwas entnehmen?

MUSIK(KUNST)EXPERIMENTE

Zu Beginn wurde wieder ein kleines Musik-Kunst-Experiment durchgeführt und kurz darüber gesprochen. Dies bestand aus drei Teilen: (i) 7 Bilder in Folge, die auf einem einzigen Foto beruhten, das unterschiedlich bearbeitet worden war; (ii) Die sieben Bilder mit einem ersten Klangbild nach der RUM-Methode; (iii) die gleichen Bilder mit einem zweiten Klangbild nach der RUM-Methode. sowohl die Bilder als auch die Musik sind in Finnland entstanden, und zwar zunächst unabhängig voneinander. Interessant war die große Vielfalt der Eindrücke sowohl zu den Bildern alleine wie auch zum Wechselspiel von Bild und Klang. Klangbeispiel zwei, obgleich völlig unabhängig von den Bildern gemacht, wirkte in der Einheit mit den Bildern so intensiv, als ob Bildfolge und Musik bewusst aufeinander abgestimmt war. Was sagt dies darüber, wie wir als ‚Konsumenten‘ Klangstrukturen und Bildfolgen in uns verarbeiten?

Für einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln siehe HIER.

NOTIZ: VON DEN KLISCHEES ÜBER DIE JESUITEN ZUR MODERNEN WERTEGEMEINSCHAFT? – Zu einem Film von A.Sawall über die Jesuiten, Phoenix Sa 24.Mai 2014, 20:15h

EINEN FILM ANSCHAUEN

1. Am Samstag 24.Mai 2014 fragten uns Freunde, ob wir mit Ihnen einen Film über die Jesuiten anschauen möchten zwecks anschließender Diskussion. Er hatte den Titel Die geheime Macht der Jesuiten. Verschwörer oder Heilige? von Andreas Sawall. So spontan die Anfrage war, so spontan war die Zusage.

KLISCHEES ÜBER DIE JESUITEN

2. Es scheint, dass die historisch erstmalige Ernennung eines Jesuiten zum Papst Franziskus zu diesem Filmbericht animiert hatte. Die seit Jahrhunderten kursierenden Verschwörungstheorien über die Jesuiten als geistige Giftmischer, Erfinder des absoluten Kadavergehorsams und der Jesuitenmoral bildeten weitere Aufhänger für diesen Bericht.

3. Der Bericht folgt den bekannten Klischees über die Macht (und deren möglichen Missbrauch) durch die Jesuiten im Laufe der Jahrhunderte.

4. Ein Buch aus dem Jahr 1614 – 80 Jahre nach der Ordensgründung erschienen – steht im Zentrum vieler Verschwörungstheorien: Die ‚monita secreta‘, die ‚geheimen Anweisungen‘. Ein Jesuitengeneral soll sie als Anleitung geschrieben haben, um den Orden mit allen Mitteln an die Macht zu bringen: Lüge, Intrige, Manipulation – in dieser lateinischen Schrift sind alle möglichen dubiosen Methoden der Jesuiten beschrieben. Der Filmbeitrag macht deutlich, dass es sich bei dieser so einflussreichen Schrift nach heutigem Kenntnisstand um eine gezielte Fälschung handelt.

5. Auch eine andere immer wiederholte Anklage gegen die Jesuiten, dass sie bei dem ‚Pulverattentat‘ gegen den König von England (1605) führend beteiligt gewesen sein sollen, wurde in der Sendung aufgrund neuer historischer Analysen als sehr wahrscheinliche Fälschung belegt.

GROSSE LEISTUNGEN, SPIRITUALITÄT

6. Es wurden exemplarisch die großen Leistungen der Jesuiten in der ganzen Welt angesprochen (ausführlicher nachlesbar sowohl in der deutschen Wikipedia (Jesuiten) wie auch in der Englischen Wikipedia (Jesuits).

7. Nicht ganz klar wurde, warum genau es im 18.Jahrhundert dann zu Verfolgungen und Aufhebungen der Jesuiten kam, bis hin zur vollständigen Aufhebung durch den Papst Clemens XIV. 1773. Die Rolle des Papstes war hier wenig schmeichelhaft.

8. Das wahre Geheimnis der Jesuiten ist ihre Spiritualität, die vor allem am Buch der Ignatianischen Exerziten festgemacht wurde. Allerdings, bedenkt man, dass dieses Buch für erfahrene Begleiter gedacht war, die schon ausreichend Erfahrung mit Exerzitien hatten, war im Film das bloße Zitieren einiger Gedanken aus diesem Buch wenig hilfreich. Es unterstützte eher nur gewisse Klischees, statt den potentiell revolutionären Ansatz der Exerzitien (Als Text hier herunterladbar) sichtbar zu machen.

GEISTIGER LEBENSWEG DES ORDENSGRÜNDERS ALS SCHLÜSSEL

9. Will man die Exerzitien verstehen, dann muss man sich den geistlichen Lebensweg des Ignatius von Loyola anschauen, wie er in seinem (gegen Ende seines Lebens) diktierten geistlichen Werdegang unter dem Titel Bericht des Pilgers vorliegt. Über ein paar Klischees kommt der Filmbericht aber leider nicht hinaus. Nähere und tiefere Analysen könnten aber aufzeigen, dass Ignatius von Loyola (ohne dass er sich selbst zu seiner Zeit dessen bewusst war noch bewusst sein konnte) mit seiner ‚Unterscheidung der Geister‘ eine Methode gefunden hatte, wie jeder Mensch weltweit und zu jeder Zeit seine persönliche Beziehung zu Gott klären und vertiefen kann. Methodisch unterscheidet sich diese Methode in nichts von modernen psychologischen Methoden der Selbstfindung.

10. Der radikal subjekt-akzeptierende Ansatz der Unterscheidung der Geister hatte vom Ansatz her eine gewisse Nähe zu den damals aufbrechenden neuen Strömungen im Umfeld des europäischen Humanismus, der Reformation sowie den beginnenden empirischen Wissenschaften. Wie Werner Löser, deutscher Jesuit und Theologe in der philosophische-theologischen Hochschule Sankt Georgen (in Frankfurt am Main), in einem Artikel ‚Die Regeln des Ignatius von Loyola zur kirchlichen Gesinnung – ihre historische Aussage und ihre aktuelle Bedeutung‘ in der Zeitschrift Geist und Leben 1984 herausgearbeitet hatte, war Ignatius von Loyola schon sehr früh mit dem humanistischen Gedankengut vertraut. Unter dem Eindruck beständiger Verdächtigungen seiner Person von der kirchlichen Inquisition und auch wohl im Lichte seines Kirchenverständnisses hat er aber – nach Löser – die im Konzil von Paris 1529 veröffentlichen Sätze gegen Erasmus von Rotterdam in seinen Regeln zum rechten Gespür mit der Kirche, übernommen.

PROBLEMATISCHES KIRCHENBILD

11. Es sind vor allem zwei Kerngedanken, die nicht nur damals, sondern alle Jahrhunderte hindurch bis heute das Bild der Jesuiten von außen so negativ geprägt haben, dass ihr anderer Beitrag, jener der radikalen Offenlegung der persönlichen Gottesbeziehung und des daraus entspringenden umfassenden Engagements für die Menschen, oft in den Hintergrund getreten ist. Diese finden sich in den Regeln Nr.1 und Nr.13 wieder. In diesen wird die konkrete hierarchische Kirche gesehen als vom ‚gleichen Geist geleitet wie Jesus selbst‘. Daraus folgt dann, dass, was auch immer der Einzelne in seiner subjektiven Gottesbeziehung erkennen mag, wenn diese vom göttlichen Geist geleitete Kirche sagt, es sei weiß, obwohl man selbst es als schwarz sieht, dann ist es eben weiß.

12. Dieses Prinzip ist rational kaum zu widerlegen, da es selbst nicht rational ist. Es setzt eine Glaubenseinstellung voraus, die nicht nur aus dem Menschen Jesus von Nazareth einen Sohn Gottes macht (rational nicht ableitbar), sondern die auch noch eine Vereinigung von Menschen, deren einzelne Mitglieder ganz offensichtlich begrenzt und fehlerhaft sind, als – im Sinne des Glaubens – ‚unfehlbar‘ annimmt, egal, was diese Gemeinschaft in Gestalt ihrer Hierarchie sagt und tut.

WAHRHEIT AUSSERHALB DER KRICHE

13. Im Bereich der menschlichen Erkenntnis durften wir erleben, dass – quasi zeitgleich mit Ignatius von Loyola und dem Jesuitenorden – sich die modernen empirischen Wissenschaften entwickelt haben. Galilei war den Jesuiten nicht nur bekannt, sondern sie waren als Wissenschaftler und Astronomen mit ihm im Gespräch. Es heißt sogar, dass sie seine Ansichten als richtig angesehen haben. Dennoch wurde Galilei von der Kirche gezwungen, seine Erkenntnisse zu widerrufen und für den Rest seines Lebens unter Hausarrest gestellt. Erst 1822 erteilte die Kirche eine offizielle Druckerlaubnis auf das damals umstrittene Werk und 1992 wurde Galilei formal rehabilitiert.

14. Zwar wissen wir heute, dass die empirischen Wissenschaften zu allen Zeiten von verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen instrumentalisiert wurden und auch heute noch werden (in welchem Land dieser Erde kann heute Wissenschaft wirklich frei und offen forschen?), dennoch hat die moderne Wissenschaft es immer wieder und nachhaltig geschafft, herrschende falsche Bilder und Meinungen zu korrigieren und unser Bild von der Welt weiter voran zu bringen. Das Geheimnis des Erfolgs ist die radikale Transparenz und ein experimentell verankerter Wahrheitsbezug. Während also die ’säkulare‘ Gesellschaft gelernt hat, der ‚Wahrheit‘ in einem radikalen Sinne zu dienen, erweckt die katholische Kirche immer noch den Eindruck, Wahrheit nach ’nicht rationalem Gutdünken‘ zu verwalten. Dies ist nicht nur nicht der Geist der Moderne, sondern es ist radikal anti-modern.

DEMOKRATISIERUNG DER MACHT

15. Parallel zur modernen Wissenschaft haben wir zugleich lernen können, dass die Aufgabe einer absolutistischen Monopolisierung der Macht nicht notwendigerweise zum Untergang führen muss, sondern dass – im Gegenteil – moderne demokratische Gesellschaften ein Wertesystem definieren und praktizieren können, dass deutlich über religiös motivierte und erlaubte Wertesysteme hinausreicht. Während die großen Religionen bis heute ein Problem mit der Existenz anderer religiöser (und weltanschaulicher) Anschauungen haben, haben die modernen demokratischen Gesellschaften solche Ein- und Abgrenzungen konstruktiv überwunden und einen Lebensraum geschaffen, in der alle Anschauungen leben können, solange sie andere nicht schädigen. Darüber hinaus hat die moderne Wissenschaft in diesen Gesellschaften – zumindest dem Buchstaben nach – eine privilegierte Rolle bei der Offenlegung der ‚Wahrheit dieser Wirklichkeit‘.

ZUKUNFT DER JESUITISCHEN SPIRITUALITÄT

16. Nimmt man all dies in den Blick, kann man die Frage aufwerfen, ob die radikale jesuitische Spiritualität (die die Jesuiten selbst aber nach der Gründergeneration auch für Jahrhunderte verloren hatten) nicht eine noch erheblich größere Wirkung hätte entfalten können, hätte sie sich nicht mit einem antimodernen, wahrheits- und menschenfeindlichen Kirchenbild bedingungslos verbunden.

17. Der aktuelle Papst, ein Jesuit, von vielen bewundert, da er sich rein äußerlich von einigen Insignien traditioneller päpstlicher Herrlichkeit verabschiedet hat, lässt bislang nicht erkennen, dass er das antimodernen, wahrheits- und menschenfeindlichen Kirchenbild grundsätzlich ändern möchte. Mit etwas ärmlicher Folklore kann man massenwirksame Aufmerksamkeit erregen, aber die grundlegenden geistigen Auseinandersetzungen mit einem – möglicherweise falschen – Wahrheitsideal sieht anders aus. Wer tatsächlich an einen ‚lebendigen wirkenden Gott‘ in allem glaubt, der muss sich eigentlich nicht ängstlich um politische Macht und Geld sorgen, allerdings um die richtige Erkenntnis, und die gründet bislang noch immer in der Subjektivität des einzelnen, der sich aus freien Stücken mit anderen zusammenfindet. Die dazu notwendigen ‚Regeln zur Unterscheidung der Geister‘ hat ein Ignatius von Loyola ansatzweise bekannt gemacht, aber eine wahrheitsfeindliche kirchliche Kurie hatte sie ihrer Modernität beraubt, jener Modernität, die in dieser Welt Menschenrechte, Demokratie und Wissenschaft möglich gemacht hat, gegen den Geist einer Institution, die den Namen Gottes für sich beansprucht, ohne die Weise Gottes zu akzeptieren.

18. Es bleibt offen, wie sich das Projekt einer wahrheitssuchenden und liebenden menschlichen Gesellschaft weiter entwickeln wird. Eine Kirche — nicht nur eine katholische –, die hinter dem Wertekanon einer neuzeitlichen Wissenschaft, hinter Menschenrechten und hinter einer Demokratie zurückbleibt, erscheint nicht als Hoffnungsträger und kann das Bild Gottes möglicherweise mehr verdunkeln als erhellen.

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WEIHNACHTEN 2012 – MENSCHWERDUNG GOTTES – UND WIR

  1. Wir schreiben heute den 24.Dez.2012. Für die Christen ist dies das Datum, an dem sie das Weihnachtsfest feiern.
  2. Dieses Fest geht zurück auf Texte im Neuen Testament (einem Teil der christlichen Bibel), in denen von der Geburt von Jesus von Nazareth die Rede ist.
  3. Die Texte selbst sind keine historischen Zeitzeugnisse. Sie wurden mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des Jesus von Nazareths von Menschen aufgeschrieben, die nicht dabei waren, von Menschen die von dem grausamen Tod dieses Jesus wussten und die sich im Nachhinein Gedanken darüber gemacht haben, wer er denn war, ob er ein besonderer Mensch war, vielleicht sogar der lang erwartete Messias, oder gar der Sohn Gottes?
  4. Die Geburtstexte lassen denn auch keinen Zweifel darüber, wie die Autoren dieser Texte (die genaue Identität der Autoren konnte bis heute nicht vollständig aufgeklärt werden) den Menschen Jesus von Nazareth sahen: für sie war er der Sohn Gottes. Sie bringen dies u.a. dadurch zum Ausdruck, dass sie die Mutter so darstellen, dass sie von Gott selbst schwanger wurde, ohne Einwirkung eines Mannes (natürlich auch nicht im Sinne einer künstlichen Befruchtung, was heute möglich wäre).
  5. Sehr bemerkenswert finde ich auch die Aussagerichtung des Textes, dass Gott das Kind im Bauch der Mutter unter den aller ärmlichsten Verhältnissen zur Welt bringen lies, außerhalb der Städte, außerhalb der Machtzentren, in der Nähe von Tieren.
  6. Im späteren, Jahrhunderte langen, Ringen um die ‚richtige‘ ‚theologische‘ Interpretation der ‚wahren Natur‘ des Menschen Jesus von Nazareth setzte sich in der christlichen Kirche schließlich die zum ‚Dogma‘ erhobene Formulierung durch, dass Jesus ganz und gar Mensch war, in allem uns gleich (außer der Ursünde Adams), und doch zugleich auch Gottes Sohn, ohne dass auch nur ansatzweise geklärt wird, wie beides zusammen gehen soll. Wie soll man sich das vorstellen, dass jemand ganz und gar ‚Mensch‘ ist und zugleich ‚Sohn Gottes‘? (Siehe das Konzil von Chalcedon 451 nach christlicher Zeitrechnung).
  7. Nach dem Verständnis der christlichen Kirchen haben wir es durch die Person Jesus von Nazareth also mit einer ‚Menschwerdung Gottes‘ zu tun, ohne dass uns bis heute jemand erklären konnte, wie man sich dies vorstellen soll. Obwohl die christliche Kirchen (es ist nicht nur die katholische Kirche, die dieses Lehrmeinung vertritt) im Laufe der Jahrtausende über viele Dinge gesprochen haben, diesen Kernsachverhalt haben sie bis heute nicht aufgeklärt.
  8. Mit einem Abstand von nun fast 2000 Jahren lässt sich mancher Gedanke anders denken als er in der Vergangenheit gedacht wurde.
  9. Jeder, der die Geburtstexte liest (natürlich im Urtext, im ‚Bibel-Griechischen‘, samt all den textkritischen Erkenntnissen zu den unterschiedlichen Überlieferungen der Textfragmente) wird — wie es so viele Bibelwissenschaftler (‚Exegeten‚ genannt) schon getan haben — zu der Einschätzung kommen, dass es sich um einen stark ‚interpretierenden‘ Text handelt, in dem aus dem nachträglichen Glauben an die ‚Besonderheit Jesu‚ der Text so ausgestaltet worden ist, dass alle Textelemente auf diese eine Aussage hin ‚komponiert‘ worden sind (Bezüge auf das Alte Testament, die idealisierte Jungfräulichkeit, die Rolle des Jesu gegenüber dem Täufer Johannes, usw.). Mit der ‚wahren‘ Geburtsgeschichte muss dies nicht viel zu tun gehabt haben; eher spricht alles dafür, dass es so ziemlich gar nichts mit der tatsächlichen Geburt und Kindheit Jesu zu tun hat (neben grundsätzlichen Erwägungen sind dies auch die anderen Stellen im Neuen Testament, wo von den leiblichen Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist).
  10. Noch so viele wissenschaftlichen Analysen werden aber im Nachhinein natürlich keine 100%-Klarheit in den Sachverhalt bringen können. Diejenigen, die die ‚GöttlichkeitJesu durch Hinweis auf ‚besondere göttliche Umstände‘ ‚belegt‘ sehen wollen, werden solche Umstände immer und überall sehen (unsere reale Welt hat so viele ‚kognitiven Löcher‘, dass es jeder Fantasie ein Leichtes ist, diese Lücken mit Interpretationen zu füllen, die einen ‚Sinn‘ ergeben, auch wenn die Fakten dies nicht unbedingt hergeben).
  11. Ist die Lage daher für unser Erkennen ‚hoffnungslos‘? Natürlich nicht. Es gibt einen einfachen Grundsatz des menschlichen (logischen) Denkens, der besagt ‚Aus Nichts kann ich nichts beweisen‘, oder, ausgedehnt auf das metaphysische (philosophische) Denken: ‚Wahrheit kann ich nur erkennen, wenn es Wahrheit gibt‘! Im Falle der Beziehung zwischen Menschen (und damit dem ganzen biologischen Leben) und dem, was die christlichen Kirchen als ‚Gott‘ bezeichnen (und vermutlich alle anderen Menschen auf dieser Erde auch, wenn sie in Richtung des mit ‚Gott Gemeinten‘ denken) bedeutet dies, dass wir nur dann über diese Beziehung sinnvoll etwas sagen können, wenn es eine reale Beziehung zwischen dem mit Gott Gemeinten und dem biologischen Leben auf der Erde geben würde. Die besonderen Umstände (‚Wunder‘), mit denen die Autoren der verschiedenen Texte des Neuen Testaments an verschiedenen Stellen immer wieder versuchen, solche ‚Hinweise auf das Göttliche‘ im ‚irdischen Alltag‘ einzubauen, sind ja letztlich nichts anderes als genau jene ‚kognitiven Reflexe‘, durch die man versucht, den ‚Brückenschlag‘ zwischen ‚Irdischem‘ und ‚Göttlichem‘ herzustellen wohl wissend, dass ohne jeglichen aufweisbaren Bezüge solch ein Reden über Gott sich in er ‚Nacht der puren Willkür‘ nahezu völlig auflösen würde.
  12. Während die Menschen zur Zeit und kurz nach Jesus von Nazareth sich nur dadurch behelfen konnten, dass sie ‚wundersame Mittel‘ literarisch einsetzten, um diese Brückenschläge kognitiv anzudeuten, konnten wir in den letzten 2000 Jahren sehr viel darüber dazu lernen, wie die Natur ist, wie wir Menschen als Teil dieser Natur ‚gebaut‘ sind, wie diese ganze Welt sich als Teil des Universums in atemberaubender Weise entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt. Wir haben begonnen, zu verstehen, wie unsere Körper funktionieren, wie unser Denken in den Gehirnen abläuft, was biologisch determinierte ‚Bedürfnisse‘ und ‚Gefühle‘ sind, wie der ‚Geist‘, der sich im Verhalten von Menschen zeigt, eine tiefliegende Eigenschaft nicht nur von allem biologisch-Lebendigem zu sein scheint, sondern geradezu von allem ‚Materiellen‘, das in der ‚Energie‘ gründet. Wir beginnen zu verstehen, dass es zwischen allem ‚Materiellen‘ im Universum eine viel größere, tiefere und reichere Verbindung gibt, als alles Denken der vorausgehenden Jahrtausende uns enthüllen konnte. Wenn es etwas gibt, das wir das ‚Göttliche‘ nennen, dann ist es nicht nur unendlich ‚weit entrückt‘ (transzendent), sondern es ist zugleich immer und überall ‚unendlich nah‘ (immanent)(es gibt eine Reihe von Textstellen im Neuen Testament, die die Exegeten sehr nah an Jesus heranrücken, in denen der Mensch Jesus von dieser Immanenz des Göttlichen in JEDEM Menschen zu sprechen scheint). Und es ist genau diese ‚Umkehrung‘ der Wirkungsrichtung im Denken, die ‚Licht ins Dunkle‘ bringt: es ist nicht so, dass wir ’nachträglich‘ einen Weg zum mit ‚Gott Gemeinten‘ finden, sondern weil alles, was es im Universum gibt — wenn überhaupt — von genau diesem mit ‚Gott Gemeinten‘ ‚Kommt‘, und zwar real, konkret, nur deshalb gibt es eine ‚Verbindung‘ zum mit ‚Gott Gemeinten‘ von Anfang an, immer, beständig, und nur deshalb können wir sagen, dass das ‚Leben‘ in diesem Sinne ein ‚Abbild Gottes‘ sei, nur deshalb können wir das mit ‚Gott Gemeinte‘ in uns ’spüren‘ (‚Mystik‘, ‚Gotteserfahrung‘, …), und nur deshalb zeigt das ‚Leben‘ Eigenschaften, die es vom physikalischen Eigenschaftsfeld ‚abheben‘, es zum ‚Rätsel‘ für die Physik machen und nach Erklärungen verlangen, die weit über das hinausgehen, was wir bislang an Erklärungen zu bieten hatten.
  13. Das ‚Reden über‘ den Menschen Jesus von Nazareth mag also eine Reihe von ‚bizarren Gedanken enthalten, die im Nachhinein betrachtet ‚unangemessen‘ sind, möglicherweise sogar ‚falsch‘ und ‚irreführend‘, Jesus selbst — sofern man den textkritischen Analysen trauen darf — hatte mit Wundern und ‚Extravaganzen‘ eher weniger ‚am Hut‘, da er — so ist mein Eindruck — die Tiefe des allgemeinen menschlichen Daseins mit Blick auf seine Herkunft und mögliche Bestimmung als Mensch (!) in einer Weise erahnt und erfasst zu haben scheint, wie sie ALLEN Menschen — auch uns — immer und jederzeit möglich ist. Mit dem mit ‚Gott Gemeintem‘ ‚verbunden‘ zu sein erscheint sowohl vom heutigen Wissensstand her wie auch in den Augen eines Jesus von Nazareth daher kein ‚Privileg‘ von einigen wenigen zu sein, sondern gehört zur ‚Grundausstattung‘ von allem Materiellen, insbesondere natürlich von allem Lebendigen, und hier insbesondere von der ‚jüngsten Spezies‘ auf der Erde, dem homo sapiens sapiens, also zu uns. Wer also das mit ‚Gott Gemeinte‘ suchen will, muss keine Millionenspenden an obskure Organisationen entrichten, muss seine ‚Seele‘ nicht an selbsternannte ‚Gurus‘ vermieten oder verkaufen, muss keine speziellen Trainingskurse oder Fastenpraktiken absolvieren, er muss nur anfangen sich selbst, die anderen Menschen, diese Erde, dieses Universum zu sehen, ‚wie es ist‘, sich selbst und die anderen ‚ernst‘ nehmen.
  14. Die ‚Wahrheit‘ ist da und sie wahr ‚von Anbeginn‘ da. Unser Problem ist offensichtlich, zur Kenntnis zu nehmen, was ‚da‘ ist. Wir Menschen sind extrem erfindungsreich im ‚Fabulieren‚ von Besonderheiten, da es natürlich allemal einfacher ist, irgendetwas ‚Besonderes‘ zu erfinden und es nach Belieben hoch zu stilisieren, als das zur Kenntnis zu nehmen, was tatsächlich da ist. So gesehen könnte man sagen, dass die Naturwissenschaften heute ‚eher‘ ‚das Theologische‘ enthüllen als die ‚Theologie‘ (wobei viele sogenannte Religionen ja noch nicht einmal eine systematische Theologie (als ’systematische Untersuchung von dem mit Gott Gemeintem) besitzen.

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OFFENBARUNGSRELIGIONEN – Grenzen, die man bedenken sollte

(1) VORGESCHICHTE(n)

 

In vorausgehenden Blog-Einträgen habe ich schon mehrfach in verschiedener Weise über Religion und Glauben etwas aufgeschrieben (Überblick im Wiki zum Blog). Da ich dennoch immer wieder darauf angesprochen werde hier ein weiterer Eintrag, z.T. wiederholend, z.T. ergänzend.

 

(2) UMFANG DES WISSENS

 

Abkürzungen: BP := Before Present, Vor der Gegenwart, Aktuelle Gegenwart: 2012.

 

Jede der drei großen Offenbarungsreligionen Judentum [J], Christentum [C] und Islam [I] umfasst eine lange Geschichte (J mehr als 2700 Jahre, C ca. 2000 Jahre (mit J als Vorgeschichte), I ca. 1300 (mit J+C als Vorgeschichte)). Dazu gehören unterschiedliche Länder, Religionen, Kulturen, unterschiedliche Sprachen, zahllose Schriften in vielfältigen Sprachen (manche verschollen, viele für die meisten nur schwer zugänglich). Es dürfte heute keinen einzigen Menschen geben, der auch nur von einer dieser Religionen ‚alles‘ weiß. Selbst die Besten dürften nur Bruchstücke wissen. Daraus ergibt sich, dass jeder zunächst einmal mit großem Respekt vor dem jeweiligen Phänomen stehen sollte. Insbesondere sollte man hellhörig werden, wenn jemand als einzelne Person für sich in Anspruch nimmt, wesentliche Aussagen über den ‚Inhalt‘ einer dieser Religionen zu machen. Ein jeder, der so auftritt, dass er den Eindruck erweckt, er rede jetzt mit ‚absoluter Autorität‘ ohne dass er/sie sich die Mühe macht, die konkreten Voraussetzungen seiner Rede und die darin unausweichlich mitgegebenen Grenzen zu benennen, macht sich zunächst einmal automatisch ‚verdächtig‘, Dinge sagen zu wollen, über die er eigentlich gar nicht genügend weiß. Diese Vorsicht gilt gegenüber jedem und jeder – natürlich auch gegenüber dem Schreiber dieser Zeilen. Niemand ist davor geschützt trotz bester Absicht Dinge zu sagen, die sachlich nicht zutreffend sind.

 

(3) OFENBARUNGSMEDIUM/-MEDIEN

 

Zum Selbstverständnis einer Offenbarungsreligion gehört die Überzeugung, dass die primäre Quelle der ‚Offenbarung‘ ‚Gott selbst‘ ist [G], der sich auf unterschiedliche Weise bestimmten Menschen ‚mitgeteilt‘ hat (In den verschiedenen Sprachen hat Gott unterschiedliche Namen: Elohim, Jahwe, Theos, Deus, Allah,…). Diese Menschen – meistens Propheten genannt (es gibt aber viel mehr Spielarten, wie und wo Gott sich mitgeteilt haben soll) – haben das, was sie meinten, von Gott empfangen zu haben, in der Regel mündlich weiter gegeben (zumindest im Judentum und Christentum war das so; direkte schriftliche Notizen gibt es von keinem einzigen sogenannten Propheten, nicht einmal von Jesus). Diese mündlichen Mitteilungen wurden in einer Kultur der mündlichen Überlieferung auf dem zur jeweiligen Zeit üblichen Weg weitererzählt. Später (im Falle des Neuen Testaments nach wenigen Jahrzehnten, im Fall des Alten Testaments z.T. auch noch später) wurden diese mündlichen Überlieferungen von einzelnen (meist Gruppen) aufgeschrieben und als Texte überliefert. Auf diese Weise entstanden Sammlungen von Überlieferungen aus unterschiedlichen Zeiten, die – im Falle des Alten Testaments deutlich nachweisbar – auch zu größeren Einheiten zusammengefasst wurden. Angelegentlich solcher Zusammenfassungen wurden dann auch schon mal ‚Anpassungen‘ vorgenommen, spezielle Überleitungen oder Ausleitungen geschaffen oder bestimmte Teile umgestellt, ergänzt, gekürzt oder sogar überarbeitet. Dieser Prozess erstreckte sich über viele Jahrhunderte. Dadurch nahmen sehr unterschiedliche Sprache, Kulturen, Zeitanschauungen, lokale Besonderheiten usw. Einfluss auf die Darstellung. Für die islamische Tradition gilt dies entsprechend. Nur sind die historisch-kritischen Forschungen hier noch nicht soweit fortgeschritten wie im Falle der jüdisch-christlichen Traditionen. Aus Sicht der Gegenwart sollte man aber immer bedenken, dass die Sprache des hebräischen alten Testaments nicht das Hebräisch der Gegenwart ist, das Koine-Griechisch des neuen Testaments war weder das Aramäisch-Hebräisch das Jesus und seine Jünger gesprochen haben noch gleicht es dem modernen Griechisch des heutigen Griechenlands. Genausowenig entspricht das Arabisch des Koran dem modernen gesprochenen Arabisch. Wenn wir also von dem ‚Offenbarungsinhalt‘ sprechen, von der eigentlichen ‚Botschaft‘ von G an ‚uns heute‘, dann sollten wir vor Augen haben, welch schwierige Überliefungskette zwischen G und uns heute liegt (solange wir uns auf diese Überlieferungskette beschränken).

 

(4) BOTSCHAFTEN VERSTEHEN

 

Zusätzlich zu dieser beeindruckenden Überlieferungskette wissen wir aus den philosophischen und allgemeinwissenschaftlichen Arbeiten mindestens der letzten 100 Jahre sehr viel mehr über die Bedingungen sprachlicher Kommunikation als zu jeder anderen Zeit vor uns. Eine Grundtatsache ist die, dass zwei Menschen A und B nur dann ein ‚einigermaßen gleiches Verständnis‘ mit einem bestimmten sprachlichen Ausdruck E verknüpfen können, wenn sie (i) hinreichend ähnliche Wahrnehmung haben, (ii) hinreichend ähnliches Gedächtnis, (iii) hinreichend ähnliche Denkoperationen und sie (iv) wissen, unter welchen ‚Bedingungen‘ der sprachliche Ausdruck E verwendet werden soll. Im Falle eines Ausdrucks wie ‚diese rote Tasse da‘ ist. z.B. nur verständlich, wenn es dazu eine Zeigegeste gibt, die hinreichend eindeutig vom Sprecher auf ein geeignetes Objekt zeigt und der Hörer diese Geste entsprechend einordnen kann. Zudem muss der Hörer wissen, was mit ‚rot‘ gemeint ist und mit ‚Tasse‘. Zahllose konkrete empirische Untersuchungen haben aufgezeigt, wie komplex das Bedingungsgefüge für funktionierende Kommunikation im Alltag ist. In der Regel können nur Menschen einigermaßen ‚verständnisvoll‘ miteinander reden, die hinreichend viel gemeinsames Training und gemeinsame Erfahrungen teilen. Sobald der gemeinsame Erfahrungshintergrund zu ‚dünn‘ ist, hilft selbst die gleiche Sprache nicht weiter. Sind verschiedene Sprachen im Spiel, benötigt man Übersetzungen. Diese stellen ‚Interpretationen‘ dar, die vom Verständnis und der Erfahrung des Übersetzers abhängig sind, die niemals eine 1-zu-1 Abbildung gewährleisten können. Die z.T. sehr unterschiedlichen Übersetzungen des gleichen Textes illustrieren dies (dies gilt auch für die vielen Übersetzungen der Offenbarungsschriften in andere Sprachen). Ein Übersetzungsverbot hilft hier nicht unbedingt, da dann die Gefahr besteht, dass man zwar den Wortlauf des ursprünglichen Textes erhält, aber man keine Klarheit hat über die ‚Botschaft‘ des Textes. Aber auf diese kommt es an. Handelt es sich um Botschaften, die überwiegend mit ‚inneren Anschauungen‘ zu tun haben, die sich kaum bis gar nicht in der ‚Welt zwischen den Körpern‘ verorten lässt, wird Verstehen zum ‚Glücksspiel‘. Man kann sich zwar individuell etwas vorstellen, was es sein ‚könnte‘, aber wirklich ‚wissen‘ tut man es nicht.

 

(5) KONSEQUENZEN?

 

Nun könnte man versucht sein, daraus den Schluss zu ziehen, dass das mit den Offenbarungsbotschaften ein einziges ’semantisches Chaos‘ ist, das jedem seine beliebige Interpretation erlaubt und von daher wenig erhellend ist. Solange man aus dem Horizont der verfügbaren Offenbarungsschriften die eine, einzig wahre und alles erklärende Botschaft erwarten würde, hätte man tatsächlich ein Problem, da die Schriften, so, wie Sie in ihrer beeindruckenden geschichtlichen Breite, Tiefe und Vielfalt vorliegen, eine einzige klare Botschaft für viele heutige Fragen nicht zuzulassen scheinen. Sieht man in diesen Schriften aber das Zeugnis von Menschen aus mehr als 2700 Jahren, die um die Frage des Sinns der Geschichte, der Schöpfung, des Menschen usw. ringen und gerungen haben, dann bleiben diese Schriften überwältigend und einzigartig. Dann kann man aus ihnen vieles lernen, gerade aus dem Scheitern, aus den Grenzen, aus den Fehlern usw. speziell aber auch – und dies ist vielleicht mit das Bedeutsamste – gerade über Überlieferungsprozesse, über Weitergabe von Botschaften, über den Wandel von Ideen, Wandel von Sprachen und Bedeutungen. Diese Schriften ersetzen in keiner Weise die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse; warum auch, sie liegen weit vor dem Aufkommen moderner Wissenschaften. Andererseits bilden die modernen Wissenschaften auch keinen Gegensatz zu den Offenbarungsschriften, da alles, was die Wissenschaften bislang zutage gefördert haben, in keiner Weise irgendeiner dieser Offenbarungsschriften widerspricht. Hier ist anzumerken, dass die ganze Debatte biblischer Schöpfungsbericht contra moderne Evolutionstheorie  schon in der Wurzel an der großen Verirrung leidet, dass man von einem biblischen Schöpfungsbericht ausgeht, der angeblich beschreibt, wie Gott die Erde erschaffen habe. Wer sich den hebräischen Urtext anschaut wird sehr schnell sehen, dass der sogenannte biblische Schöpfungsbericht aus mindestens zwei Texten entsteht mit ganz unterschiedlichen sprachlichen Mitteln. Im einen heißt G ‚Elohim‘, im anderen ‚Jahwe‘, ferner unterscheiden sich die Texte in Sprache, Grammatik und Aussage diametral, d.h. schon ‚innerbiblisch‘ haben wir zwei konkurrierende Deutungen zum Beginn der bekannten Welt, in der Menschen aus unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichem Wissen versucht haben, für sich die Frage zu beantworten, wie man den ‚Anfang‘ wohl verstehen sollte. Dazu kommt, dass beide sogenannte Schöpfungsberichte unterschiedliche Anleihen bei Überlieferungen aus umgebenden und älteren Kulturen machen. Dazu gibt es viele hundert exzellente Untersuchungen. Biblische Texte gegen moderne Wissenschaft auszuspielen erscheint von daher widersinnig. Umgekehrt macht es sehr wohl Sinn, die modernen Erkenntnisse zur Entstehung des Universums und zur Entstehung von Leben als Ausgangspunkt für eine vertiefende Betrachtung eines möglichen ‚Sinns‘ in dem Ganzen zu nehmen. Die Wissenschaft selbst tut dies eher nicht (ist i.e.S. nicht ihre Aufgabe). Aussagen von Wissenschaftlern (prominente Beispiele Hawking, Dawkins), dass Sie meinen, aus den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften ein Argument gegen die Existenz Gottes ableiten zu können, ist genauso widersinnig. Weder bieten die modernen wissenschaftlichen Theorien irgendeinen Ansatzpunkt, die Existenz Gottes ausschließen zu können (dazu müsste man ja erst mal wissenschaftlich definieren können, was man unter ‚Gott‘ versteht; kenne niemanden, der das schon mal versucht hat), noch bieten die Offenbarungsschriften irgendeinen sinnvollen Ansatzpunkt, sich gegen moderne Wissenschaften zu wenden. Ich würde daher dazu tendieren zu sagen, dass es nicht nur ein großes Versäumnis der Offenbarungsreligionen ist, sich nicht aktiv, konstruktiv, umfassend, vorbehaltlos den modernen Wissenschaften zu öffnen, sondern hier liegt eine Verantwortung für die Wahrheit, der man sich verweigert. Das Universum als Ganzes ist mindestens soviel Offenbarung wie Gemütsregungen in einem einzelnen Menschen zu einer bestimmten Zeit, der diese dann als ‚Mitteilungen Gottes an die Welt‘ darstellt. Hier sollten die ‚Vertreter Gottes ‚in sich gehen‘, um nicht Gefahr zu laufen, die Sache Gottes eher zu verraten als ihr zu dienen. Wenn überhaupt dann ist G das jeweils Größere und nicht zu verwechseln mit den jeweils sehr beschränkten Vorstellungen eines einzelnen Menschen.

SPÄTERE BLOGEINTRÄGE

Das Thema Religion, Glaube taucht immer wieder auf. Sehr hilfreich kann auch eine rein historisch-strukturelle Betrachtung sein, so z.B. das Buch von Bergmeier Christlich-abendländische Kultur – eine Legende (Teil 1) und Teil 2. Bei diesem Buch handelt es sich um eine interessante historische Studie zum Wechselspiel zwischen ‚Gesellschaft – Christentum‘ einerseits und parallel zwischen ‚Gesellschaft – Islam‘ andererseits im Zeitraum 700 – 1400. Aus dieser Studie — und unter Berücksichtigung der Jahrhunderte danach — kann man ersehen, dass ein blühende Gesellschaft ohne Religion möglich ist, dass aber Religion umgekehrt ganze Gesellschaften behindern oder zerstören kann. Auch wenn man es aus der Sicht des Jahres 2015 kaum glauben mag, aber die kulturell höchstentwickelte Perioe und Blütezeit hatte Ganz-Europa in der Zeit ca. 800 – 1100 im arabisch-islamischen Reich. Parallel verzeicnen wir einen wirklich dramatischen Niedergang der Gesellschaft unter der römischen Papstkirche bis sich die Zivilgesellschaft von diesem Einfluß ab ca. 1200 schrittweise und mühsam im Laufe von ca. 600Jahren befeien konnte.

Für einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln siehe HIER.