Archiv der Kategorie: Menschen und Worte

Worte aufschreiben … sonst nichts …

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 15.November 2021 – 17.Nov 2021, 08:30h
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

In diesem Blog mit seinen geschätzten mehr als 6000 Seiten, die bislang geschrieben worden sind, fand — äußerlich betrachtet — ein einfacher Vorgang stand: es wurden ‚Worte aufgeschrieben‘. … sonst nichts …

Wären wir Maschinen …

Wären wir eine ‚Maschine‘, vielleicht sogar eine ‚intelligente Maschine‘, dann würden die maschinellen Strukturen uns vorgeben, ob wir schreiben, was und wie. Mit ein bisschen ‚künstlicher Intelligenz‘ könnten wir Datenquellen beimischen, ‚Variationen‘ einbauen, mit Satzformen ’spielen‘, und wir könnten vielleicht sogar den einen oder anderen Menschen verblüffen, bei ihm den Eindruck erwecken, hier schreibt ein Mensch.

Menschen brechen das Klischee

Menschen haben allerdings die Besonderheit, dass für sie die Ausdrücke einer Sprache — vornehmlich der ‚Alltagssprache‘ — nie isoliert stehen, sondern eingewoben sind in ein unfassbares Netzwerk von Eindrücken der Außenwelt, des eigenen Körpers, des eigenen ‚Inneren‘, eingebettet in eine Vielzahl von wahrnehmbaren Veränderungen … aber auch darüber hinaus: da das Gehirn sich selbst gegenüber weitgehend unbewusst arbeitet (was nicht gleichzusetzen ist mit ’sinnlos‘), sind die meisten Vorgänge ‚in uns‘ nicht bewusst zugänglich, obwohl sie für uns — soweit wir heute sehen — fundamental zu sein scheinen. Dazu gehört auch die Sprache mit ihrer ‚Bedeutungswolke‘.

Wenn Kinder in die Welt eintauchen …

Wenn Kinder in diese Welt ‚eintauchen‘, wenn sie anfangen, die Luft des Planeten zu atmen, den ‚Rausch ihrer Sinne‘ erleben, ihren eigenen Körper in einer ‚Wolke von Eindrücken‘ erspüren, dann formt das Gehirn aus all diesen Eindrücken, Muster, Abstraktionen, Kategorien als Teil assoziativer Netze, konnotiert mit einer Unzahl von Bedürfnissen und Gefühlen. Dies macht das Gehirn ‚voll automatisch‘, in ‚eigener Regie‘, folgt seiner ‚eingebauten Logik der Wahrscheinlichkeiten‘. So entsteht langsam aber stetig nicht nur ein unfassbares Netzwerk von verbundenen Ereignissen, sondern das Netzwerk wirkt wie ein ‚Bild‘, eine ‚Gesamtschau‘, wie ein ‚Modell‘ dessen ‚was ist‘: das virtuelle Bild einer Welt im Gehirn, die für das Kind, für uns, die ‚primäre Welt‘ ist.

Virtuelle Welt im Gehirn

Die Ausdrücke unserer Alltagssprache beziehen sich in ihrer ‚Bedeutungsdimension‘ ausschließlich auf diese ‚virtuelle Welt des Gehirns‘ als ‚ihrer Welt‘. Und — falls jemand darauf achtet — man kann leicht beobachten, dass die Ausdrücke der Alltagssprache meistens ‚Allgemeinbegriffe‘ sind (‚Haus‘, ‚Stuhl‘, ‚Auto‘, ‚Handy‘, ‚Tasse, …), wohingegen die Gegenstände in unserer realen Umgebung ‚konkret‘ sind, ’speziell‘, ‚einzigartig‘, usw. Wenn ich zu jemandem sage: „Kannst Du mir bitte meine Tasse rüber reichen“, dann kann das Wort (der Ausdruck) ‚Tasse‘ auf tausende verschiedene konkrete Objekte angewendet werden, in der aktuellen Situation aber — falls man über ein aktuelles ‚Situationswissen‘ verfügt — wissen alle Beteiligten, welche der vielen konkreten Gegenstände ‚meine Tasse‘ ist und genau dieses konkrete Objekt wird dann rüber gereicht.

Abstrakt – Konkret

Dies ist eines der vielen Geheimnisse von sprachlicher Bedeutung: die reale Welt um uns herum — die Alltagswelt — zeigt sich uns als eine ‚Meer an konkreten Eigenschaften‘, und unser Gehirn filtert daraus ‚Teilmengen‘ heraus, transformiert diese in einfache (abstrakte) Strukturen, die dann das ‚Baumaterial‘ für mögliche ‚abstrakte virtuelle kognitive ‚Objekte‘ sind. Das tieferliegende ‚Wunder‘ dieses Prozesses ist aber, dass das Gehirn in der Lage ist, zu späteren Zeitpunkten die ’neu erworbenen abstrakten Strukturen (Objekte)‘ auf einer unbewussten Ebene mit aktuellen sinnlichen Eindrücken so zu ‚vergleichen‘, dass es — einigermaßen — entscheiden kann, ob irgendwelche der aktuell sinnlich wahrgenommenen konkreten Strukturen zu irgendwelchen dieser neu erworbenen Strukturen ‚als Beispiel‘ passen! Also, auch wenn wir mittels Sprache immer nur mit Allgemeinbegriffen operieren können (eine geniale Erfindung), kann unser Gehirn jederzeit eine Beziehung des Allgemeinen zum aktuell sinnlich Besonderen herstellen. Es ist halt so ‚gebaut‘.[1]

Dies ist nur die ‚Spitze des Eisbergs‘ vom ‚Wunder des Gehirns‘. Wie man schon ahnen kann, gibt es ja noch die Dimension ‚der anderen Menschen‘ aus Sicht eines einzelnen Menschen.

Gehirn-Kooperationen

Man kann — muss — sich die Frage stellen, wie kann denn ein Gehirn im Körper eines Menschen A mit dem Gehirn im Körper eines Menschen B ‚kooperieren‘? Wie können beide ‚umeinander wissen‘? Wie kann das Gehirn von A, das seine eigene individuelle ‚Lerngeschichte‘ hat, seine ‚Inhalte‘ mit dem Gehirn von B ‚teilen‘?

‚Besoffen‘ vom Alltag mögen diese Fragen im ersten Moment sehr ‚künstlich‘ klingen, ‚unwirklich‘, vielleicht gar sinnlos: Reden wir nicht ständig miteinander? Tun wir denn nicht ständig etwas miteinander? Unterricht in Schulen? Projektarbeit in Firmen? Mannschaftssport? Management eines größeren Unternehmens? …

Der Verweis auf solche ‚Praxis‘ ersetzt aber keine Antwort auf die Frage. Der Alltag deutet nur an, ‚dass‘ wir es irgendwie können, sagt aber nichts darüber, warum und wie wir das können.

Offensichtlich benutzen wir sprachliche Ausdrücke, die wir ‚austauschen‘ (Sprechen, Schreiben, …). Wie oben schon angedeutet wurde, sind Ausdrücke nicht in eins zu setzen mit ihren Bedeutungen. Letztere sind ‚im‘ Sprecher-Hörer‘ lokalisiert, im jeweiligen Gehirn. Die moderne Forschung mit vielen Fachdisziplinen legt nahe, dass es koordinierende‘ Mechanismen gibt, wodurch zwei Gehirne sich für den Bereich der realen Außenwelt einigermaßen verständigen können, welche ‚Aspekte er realen Außenwelt‘ mit welchen Ausdrücken assoziiert werden. Und diese ‚Koordinierung‘ basiert nicht alleine auf den konkreten Aspekten der Außenwelt, sondern wesentlich auch auf jene ‚im Gehirn‘ anhand der Außenweltereignisse prozedural aufgearbeiteten Strukturen. Nur so kann Sprache zugreifen. Die wechselseitige Zustimmung, dass dies konkrete weiße, runde Ding da mit einer inneren Aushöhlung und einem Henkel die ‚Tasse von Gerd‘ ist, setzt also ziemlich viele ‚individuellen Lernprozesse‘ voraus, die sich in hinreichend vielen strukturellen Eigenschaften hinreichend stark ‚ähneln‘. Irrtum inbegriffen.

Fehleranfällige Kommunikation

Das alles erscheint bei näherer Betrachtung alles ’schwindelerregend komplex‘, aber nach vielen Millionen Jahren kontinuierlichen Veränderungen scheint es ‚einigermaßen‘ zu funktionieren. Allerdings weiß jeder aus seinem eigenen Alltag auch wie ‚fragil‘ solche Kommunikation ist. Selbst unter Paaren, die schon viele Jahre, gar Jahrzehnte, zusammen leben, können noch Irrtümer und Missverständnisse auftreten. Umgekehrt weiß jeder, wie aufwendig es ist, aus verschiedenen Menschen ein ‚Team‘ zu formen, das angesichts von komplexen Aufgaben in der Lage ist, sich jederzeit hinreichend gut zu koordinieren. Die hohe Quote an Projektabbrüchen spricht eine eigene Sprache.

Ähnlichkeit als Gefahr

Bei Gruppen, Teams tritt noch ein ganz anderer Aspekt hervor: die partielle ‚Ähnlichkeit‘ der Bedeutungsstrukturen der einzelnen Teammitglieder, die im Laufe der gemeinsamen Arbeit in der Regel weiter zunimmt, vereinfacht zwar die Kommunikation und Abstimmung im Team, sie bietet aber auch eine Gefahr, die umso größer wird, je länger ein Team ‚unter sich‘ ist. Dies hat wiederum damit zu tun, wie unsere Gehirne arbeiten.

Ohne unser bewusstes Zutun sammelt unser Gehirn beständig Eindrücke, verarbeitet sie, und bildet vernetzte abstrakte Einheiten. Dies ist aber nicht alles. Dieser sehr aufwendige Prozess hat den Nebeneffekt, dass die ‚aktuellen‘ sinnlichen Eindrücke mit dem, was ‚bisher Bekannt geworden ist‘ kontinuierlich ‚abgeglichen‘ wird. Das berühmte Glas, das ‚halbvoll‘ oder ‚halbleer‘ erscheinen kann, ist keine Fata Morgana. Dieses Beispiel demonstriert — wenn auch vereinfacht –, dass und wie unser Gehirn seine ‚gespeichertes Wissen‘ (Alt) mit den ‚aktuellen Eindrücken‘ (Neu) ‚abgleicht‘. Je mehr ein Gehirn weiß, um so größer die Wahrscheinlichkeit, dass es ’nichts Neues‘ mehr gibt, weil alles ’scheinbar Neue‘ mit dem ‚Alten‘ ‚erklärt‘ werden kann. [3] Dies — zur Erinnerung — immer auch mit Bedürfnissen, Emotionen und sonstigen Gefühlen/ Stimmungen ‚konnotiert‘.[2]

Tendenz zur ‚Verfestigung‘

Zwar gibt es viele Verhaltenseigenschaften und Strategien, mit denen man dieser Tendenz des Gehirns zur ‚Verfestigung‘ gegensteuern kann, aber sowohl die Geschichte wie die Gegenwart zeigen, dass es immer starke Strömungen gab und gibt, die auf dieser ‚Selbstabschließung‘ des Gehirns basieren (so eine Art ‚mentales locked-in Syndrom‘).

Da es für ein Gehirn (und damit für eine Person) ‚leichter‘ und ‚bequemer‘ ist, das Bild von der Welt — mit all den daran geknüpften Verhaltensgewohnheiten — ‚konstant‘ zu halten, ‚einfach‘, tendieren die meisten Menschen dazu, sich vorzugsweise mit solchen Menschen zu treffen, die ihnen ähnlich sind; solche Meinungen zu teilen, die die eigene Meinung verstärken; das zu tun, was die Mehrheit tut; und vieles dergleichen.

Wenn einzelne Menschen, ganze Gruppen ihr Leben so gestalten, dass sie ‚Neues‘ eher — oder sogar ‚grundsätzlich‘! — ausblenden, verurteilen, ‚verdammen‘, dann reduzieren sie ihr eigenes Potential um grundlegend wichtige Eigenschaften für eine nachhaltige Zukunft: Vielfalt, Diversität, Kreativität, Neugierde, Experimente, Alternativen. Die Biosphäre heute — und damit uns — gibt es nur, weil diese grundlegenden Eigenschaften über 3.5 Milliarden Jahre stärker waren als die reduktiven Tendenzen.

Sprache als System

Betrachtet man die Sprache von einem ‚übergeordneten‘ Standpunkt aus z.B. als ein System ‚als solches‘, dann sind die einzelnen Sprecher-Hörer individuelle Akteure, die von der Sprache individuell ‚Gebrauch machen‘. Ein Akteur kann dann Sprache lernen, weil er/sie/x die Sprache vorfindet, und der Akteur wird einen Teil der ‚möglichen Bedeutungszuordnungen‘ ‚lernen‘. Je nach Lerngeschichte können dann die verschiedenen individuellen Bedeutungsräume sich mehr oder weniger ‚überlappen‘. In dieser Perspektive ist dann klar, dass ein einzelner Akteur nicht die Sprache als solche verändern kann, es sei denn, er/sie/x ist sehr ‚prominent‘ und einzelne seiner Formulierungen werden von einer großen Teilpopulation übernommen. Entsprechend können sich in Teilpopulationen ‚Sprachmoden’/ ‚Sprachtrends‘ ausbilden, die dann zumindest partiell für eine bestimmte Zeit ‚Teil der Sprache‘ werden können.

Diese ‚Eigenwirklichkeit‘ von Sprache hat verschiedene Nebeneffekte. Einer verbindet sich mit erstellten Texten, Textsammlungen, die als Texte den individuellen Autor übersteigen/ überdauern können. Selbst wenn ein Text so alt ist, dass ein potentieller Leser aus der Gegenwart die ‚Bedeutungswelt des Autors‘ kaum oder gar nicht kennt, können Texte ‚Wirkung‘ entfalten. So zeigt z.B. die Interpretation des Buches, das allgemein als ‚Bibel‘ bezeichnet wird, im Laufe von ca. 2000 Jahren eine große Vielfalt und Breite mit offensichtlich z.T. gänzlich konträren Positionen, die selbst ca. 2000 Jahre später noch Wirkungen bei Menschen zeigen.

Tradition ist ambivalent

Dies bedeutet, nicht nur das einzelne Gehirn kann zur Ausbildung von bestimmten ‚Bildern von der Welt‘ kommen, die es mit anderen ‚Gleichgesinnten‘ teilen kann, sondern die konservierten Texte können solche Weltbilder über Jahrhunderte wenn nicht gar Jahrtausende hinweg ‚transportieren‘. Dies kann im Einzelfall konstruktiv sein, es kann aber auch ‚destruktiv‘ sein, wenn alte Weltbilder den Aufbau neuer Weltbilder in einer sich verändernden Welt verhindern.

Wunder des Schreibens

Nach diesen — keinesfalls vollständigen — Hinweisen auf sehr viele eher ‚technische‘ Aspekte von Sprache/ Sprechen/ Schreiben hier doch auch für einen Moment ein paar Worte zum ‚Wunder des Schreibens‘ selbst.

Wenn ich also Worte aufschreibe, jetzt, dann gibt es eigentlich keine bestimmte ‚Regel‘, nach der ich schreibe, kein klar definiertes ‚Ziel‘ (wie sollte solch eine Zielbeschreibung aussehen?), keine …. es ist ziemlich hoffnungslos hier eine endliche Liste von klar definierten Kriterien zu formulieren. Ich selbst bin ‚mir‘ ‚undurchsichtig‘ … ein Nebeneffekt der Tatsache, dass nahezu alles ‚in mir‘ im Jetzt ‚unbewusst‘ ist… Zu keinem Zeitpunkt weiß ich (= ist mir explizit bewusst), was ich ‚tatsächlich weiß‘. Wie denn? Unser Gedächtnis ist eine unfassbar große Sammlungen von dynamischen Strukturen, die entweder nur bei expliziten Aufgaben ‚reagieren‘ (aber nicht zuverlässig), oder aber ein gedanklicher Prozesse in mir läuft unbewusst ab und dieser tritt zu einem bestimmten Zeitpunkt an die ‚Oberfläche‘ indem ich Worte wie diese aufschreibe. Bevor ich diese Worte aufschreibe, weiß ich nicht, was ich aufschreibe. Ich kann dieses Aufschreiben auch nicht planen.’Es‘ denkt in mir, ‚es‘ schreibt… dieses ‚Es‘ ist aber nur scheinbar etwas ‚Fremdes‘; es ist Teil von mir, ich fühle mich damit verbunden, ich bin es, …. die Zuordnung von sprachlichen Ausdrücken zu ‚inneren Vorgängen‘ ist prinzipiell schwierig und ungenau. Ich selbst bin ein ganzer Kosmos von unterschiedlichen Dingen, weitgehend unbewusst, fokussiert in meinem Körper ….

Wir wissen, dass wir sehr viele Abläufe explizit, Schritt für Schritt, so trainieren können, dass sie zu scheinbar ‚automatisch ablaufenden Prozessen‘ werden. Die eigentliche Dynamik ‚dahinter‘ ist aber etwas ganz anderes. Sie bedient sich der vielen Gegebenheiten ’nach Belieben’… sie ‚ereignet sich‘ und ‚im Ereignen‘ ist sie ‚real‘ und darin partiell fassbar …. Menschen sind in ihrem ‚Inneren‘ der totale ‚Anti-Gegenstand‘. Ich kenne kein einziges Bild, keine einzige Metapher, kein irgendwie bekanntes Muster/ Schema, keine bekannte Formel, die dieser un-realen Realität irgendwie nahe kommt … [4],[5]

In diesem Konzert, ab ca. Minute 41, der Song ‚Wind of Change‘ daran erinnernd, dass es auch in Moskau einmal geschah, wenngleich die Ängste der Mächtigen wieder mal stärker waren als die Kraft der Zukunft, die in jedem Menschen anwesend ist …

ANMERKUNGEN

[1] Die Formulierung ‚ist halt so gebaut‘ ist eine ‚Abkürzung‘ für die komplexen Erkenntnisse der Evolutionsbiologie, dass sich das Gehirn des Menschen als Teil des ganzen Körpers mit diesem Körper über nicht nur Millionen, sondern hunderte von Millionen Jahre schrittweise ‚entwickelt‘ hat. Der Begriff ‚entwickelt‘ ist eine weitere Abkürzung für einen komplexen Mechanismus, durch den sich biologische Populationen aus einem Zustand zum Zeitpunkt T in einen ‚anderen Zustand‘ zu einem späteren Zeitpunkt T ‚verändern‘ können. Ob solche Veränderungen nun in irgendeinem Sinne ‚gut‘ oder ’schlecht‘ sind, entscheidet sich in erster Linie an der Frage, ob die Population zum späteren Zeitpunkt T+ noch ‚existiert‘. Die Fähigkeit ’nachhaltig zu existieren‘ ist primär eine ‚Leistungseigenschaft‘: in einer sich ständig veränderten Welt — nicht zuletzt auch deswegen, weil sich die Biosphäre selbst kontinuierlich weiter entwickelt — können nur jene Populationen überleben, die den Anforderungen einer solchen komplexen dynamischen Umwelt gerecht werden

[2] Die Psychologie kennt zahllose Beispiele, wie eigentlich ‚zufällige Ereignisse‘, in denen Menschen entweder etwas ‚Schönes‘, ‚Positives‘ erlebt haben oder umgekehrt etwas ‚Ungutes‘, ‚Trauriges‘, ‚Schreckliches‘, dass sich dann die Gefühle an konkrete Dinge/ Handlungen/ Situationen ‚anheften‘ können, und dann zukünftig die Wahrnehmung, das Verstehen und das Verhalten beeinflussen.

[3] Leute die ‚bewusst anders‘ sein wollen als ‚alle anderen‘ denken oft, sie wären damit ‚besonders‘. Das stimmt, sie sind ‚besonders‘ weil sie ‚für sich‘ sind. Vielfalt im Sinne der Nachhaltigkeit heißt aber nicht, individuell ‚für sich sein‘, sondern individuelle in einem Verbund leben, in dem man seine ‚Besonderheit‘ — so man eine hat! — im Kontext mit anderen so einbringt, dass sie auf die anderen real einwirken kann und umgekehrt. Dieses Interaktionsgeschehen realisiert einen Prozess mit ‚Zustandsfolgen‘, die so sein sollten, das nach einer gewissen Zeit möglichst alle ‚dazu gelernt haben‘. … was allerdings nicht ‚erzwingbar‘ ist … Menschen sind in einem unfassbar radikalen Sinne ‚frei‘ …

[4] Die ‚Beschreibbarkeit‘ eines Phänomens hängt generell von der Frage ab, welche Ausdrücke einer Sprache verfügbar sind, um sich auf Gegenstände, Sachverhalte, Ereignisse der Alltagswelt oder auf ‚innere Zustände‘ eines Menschen beziehen zu lassen. Hier lassen sich leicht Beispiele finden von ‚einfachen Beschreibungen von beobachtbaren Gegenständen‘ („Die Ampel da vorne ist auf Rot“) bis hin zu Asdrücken, wo man nicht mehr so richtig weiß, was gemeint sein kann („Die Demokratie ist gefährdet“; „Mein Gefühl sagt mir, dass dies nicht geht“; „Ich denke“… ).

[5] Ein Beispiel zur Frage der Zuschreibung des Ausdrucks ‚Geist‘ zum Phänomen unseres ‚Inneren‘, sofern es ‚erfahrbar‘ ist, kann das Buch von Friedhelm Decher sein „Handbuch der Philosophie des Geistes„, das ich in vier einzelnen Posts diskutiere: (i) https://www.cognitiveagent.org/2015/12/28/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-einleitung-diskurs/, (ii) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/05/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-vorsokratiker-diskurs-teil-2/, (iii) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/18/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-platon-diskurs-teil-3/, (iv) https://www.cognitiveagent.org/2016/01/25/decher-handbuch-philosophie-des-geistes-aristoteles-diskurs-teil-4/.

DER AUTOR

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EINE BUCHMESSE FÜR PROGRAMMIERER?

eJournal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 15.Okt. 2017
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THEMA

Im Fieberzustand der Frankfurter Buchmesse geht leicht verloren, worum es wirklich geht: Mit Worten die Welt zu verändern. Zwischen Mythos, Wunsch und Wirklichkeit.

ES IST BUCHMESSE

Wenn die Frankfurter Zeitungen mit dicken Zusatzbeilagen erscheinen, Hotels und Restaurants tagelang ausgebucht sind, in den Messehallen Lärm und Getriebe die Grenze zum Unerträglichen erreichen, dann findet Buchmesse statt, in Frankfurt. Die, die Geld verdienen wollen, die, die Öffentlichkeit suchen, die, …. ein kleiner Kosmos versammelt sich in den Hallen und Umgebung. Erregung liegt in der Luft, in den Gesichtern….

VERUSACHER: WORTE

Der Anlass für all dies sind Worte, schwarze Zeichen auf weißem Papier, auf Bildschirmen, als Smartphone-Textereignisse… Menschen, die so etwas wahrnehmen, lesen, aufnehmen, sich angeregt fühlen, nachdenken, Gefühle entwickeln, Erinnern, Fantasieren, betroffen sind, die dafür Geld ausgeben, um es sehen zu können.

Worte, aneinandergereiht, zusammengefügt, aus hunderten verschiedener Sprachen dieser Welt, manche kaum noch verstehbar, von gestern, von vor-vorgestern, von …

MENSCHEN MACHEN DAS

In die Welt gebracht von Menschen, die sich hingesetzt haben, stunden-, tage-, wochen-, monatelang, und länger, um irgend etwas aus ihrem Inneren nach Außen zu schaffen, auszudrücken, zu artikulieren, zu äußern, lesbar zu denken, zu manifestieren, zu bekennen, zu dokumentieren… oder vielleicht einfach, um mit Worten so zu spielen, dass sie Menschen mit ihren Ängsten, Sehnsüchten, Fantasien, ihrem Unterhaltungsbedürfnis in den Bann ziehen wollen, zu jedem Preis, zum Preis von Wahrheit?, für persönlichen Ruhm und Ehre … und Geld?

ROBOTER-AUTOREN

Heute muss man allerdings aufpassen. In Zeiten der Digitalisierung gibt es schon Computerprogramme, die Worte aufsammeln, Sprachfetzen, diese unter bestimmten Kriterien neu zusammensetzen und als Meldungen, kurze Artikel in die Welt setzen. Eine neue Art von Mimikry, die kaum als solche zu erkennen ist, nicht auf den ersten Blick. Und dies greift um sich. Viele der Texte, die Menschen in die Sprache bringen sind so, dass sie sich von Maschinen imitieren lassen, ohne dass es auffällt. Es entsteht eine Grauzone, eine Übergangsphase, ein Mensch-Maschine Waberland. Wer sind wir, wenn uns Maschinen imitieren können?

DIE WAHRE GELDBRINGER

Aus der Sicht der Wirtschaft sind es auch nicht unbedingt die Romane, die Lyrik, die Poesie, die das große Geld bringen. Es sind die schnellen und die praktischen Bücher: Bücher mit schönen Fotos, Kochbücher, Reiseberichte, Adressbücher, praktische Anleitungen, …. Dinge zum schnellen schenken oder die man braucht. Dann die vielen Unterhaltungsbücher einschließlich Krimis; das Bedienen von Emotionen, Spannungen, Ablenkungen… Sachbücher, Schulbücher, Lehrbücher, technische Standards …. irgendwo dann die, die sich Schriftsteller nennen, Dichter…. sie stehen für das Große, das Unaussprechliche, das Mystische, das Erhabene, für … für Sprache, Sprachkunst? Wer definiert dies eigentlich? Die Sprache gehört ja bekanntlich niemandem, sie schwebt über allem, sie ist in allem, findet in jedem und überall gleichzeitig statt…

SCHMUDDELKINDER

Die Schreibenden, sie alle benutzen Worte, Wortreihen, Wortmuster, Wortgebilde, mit so unterschiedlichen Interessen, so unterschiedlichen Situationen, so unterschiedlichen Themen…

Und dann gibt es die sprachlichen Schmuddelkinder, die Grenzgänger, die nicht so ins erhabenen Schema passen, die auch reden, die auch schreiben, die Sprache mit Bildern verknüpfen, die die Bedeutung durch Bilder voranstellen, und die Worte nur noch wie Anhängsel benutzen, minimalistische Kommentare eines Geschehens, das sich vor den Augen bildhaft abspielt. Das Grauen aller Sprachkünstler, der Abscheu aller Wortgewaltigen, der Schrecken der Wortmeister und Sprachmagier…

WELCHE MASS-STÄBE?

Aber, was reden wir hier über Literatur, wenn wir über Wortkunst reden?

Wonach bemessen wir die Bedeutung von aneinander gefügten Worten in einer Gesellschaft?

Sprechen wir nicht über die Digitalisierung der Gesellschaft, die alles überrollt, durchdringt, bis in die kleinsten und tiefsten Poren unseres Alltags eindringt, eingedrungen ist? Ist es denn nicht wahr, dass die digitalen Technologien uns nahezu vollständig umrundet und umzingelt haben? Benutzen nicht auch die klassischen Verlage mittlerweile alle Computer, Datenbanken, Netzwerke, Drucken-On-Demand, ebooks, eReader …. ?

Sind es nicht die Software-Firmen dieser Welt, die zu den wirtschaftlichen Giganten zählen, zu den internationalen Geldmonstern? Deren Datenpaläste alles in sich versammelt haben, was irgendwie gesagt wurde, gesagt wird, gesagt werden kann?

Und womit haben sie dies alles ermöglicht?

WORT-MASCHINEN

Irreführender Weise sprechen wir hier von ‚Software‘, von ‚Programmen‘, von ‚Sourcecode‘, von ‚Algorithmen‘, die auf den Computern Arbeit verrichten und all dies möglich machen. ‚Programme‘ sagen wir beiläufig, alltäglich verniedlichend, sehr abstrakt, dabei kaschieren wir einen Umstand, der wesentlich ist, der uns — je nach Gemütslage — begeistern oder schwer beunruhigen kann.

Diese sogenannten Computerprogramme sind letztlich auch Texte, Aneinanderreihungen von Wortmustern, nach bestimmten grammatischen und semantischen Regeln.

Wenn ich einen Kriminalroman lese, dann erzeugen die aneinandergereihten Worte Bilder von Menschen in bestimmten Situationen, die Verhalten zeigen, Gefühle haben, die ein Geschehen am Laufen halten.

Ein Programm-Text tut nichts anderes. Er lässt Bilder von Welten entstehen, mit Objekten, Eigenschaften, Akteuren. Diese haben Wünsche, Pläne, Erinnerungen, handeln konkret, verändern die Welt, die Objekte in der Welt, sich selbst. Die Worte eines Programmtextes beschreiben Wort-Maschinen, Wort-Welten, ganze Universen, die passieren können, die sich ereignen können, die sich mit uns lebenden realen Menschen zusammen ereignen können, die mit uns reden, die Geräusche, Sounds erzeugen können, Lieder, bewegte Bilder, super-realistisch, die Menschen als Sexroboterinnen in deren männlichen Einsamkeiten beglücken, als Pflege-Haustier-Roboter einsamen, älteren Menschen einen Hauch von sozialer Realität verschaffen, die als Operationsroboter und genetische Superrechner unseren Krankheiten zu Leibe rücken, die ….

WORTMEISTER ALS DUNKELMÄNNER

Während wir die klassischen Wortmeister feiern (für was?) führen die modernen Wortmeister der Wort-Maschinen ein Schattendasein. Diese sind es, die unsere Flugzeuge fliegen lassen, die unsere Städte am Leben erhalten, die eine Tourismusbranche möglich machen, die …

Wer kennt diese? Auf welcher Buchmesse werden sie gefeiert? Wer versteht überhaupt ihre Sprache? An den Schulen unseres Landes wird dies weitgehend nicht unterrichtet. An den Universitäten sind es höchsten die Informatiker, die sich damit beschäftigen, aber auch diese tun es nur sehr begrenzt, eher altmodisch, technisch verkürzt. Dabei sind sie die Wortmeister der Zukunft, die Wortmeister der digitalen Kultur, die Wortmeister unseres Alltags … es sagt ihnen aber niemand, sie bekommen keine Kulturpreise … von welcher Kultur eigentlich? Sind die Feuilletons der Zeitungen, die Spielstätten der Theater und Opern nicht letztlich Reflexe einer Minderheit, die sich von der Welt partiell verabschieden und sich einer Ereigniszone hingeben, die nurmehr noch entrückt und vergessen macht, aber vor der stattfindenden digitalen Kultur kapituliert hat, schon von Anfang an?

NEUE SPRACHEN FÜR NEUES DENKEN?

Das Bild zeigt die ersten Zeilen eines sehr einfachen Programm-Textes, tatsächlich eine erste Schreibübung, in der eine Ereigniswelt beschrieben (und damit erschaffen!) wird, die real stattfinden kann, die real eine Welt entstehen lassen kann mit Akteuren, Bedürfnissen, Nahrungsangeboten, Geboren werden und Sterben … die mit realen Menschen interagieren kann, die sich darin wiederfinden können …Die Sprache dieses Programms heißt nicht Englisch, Deutsch, oder Französisch, sondern ‚python‘, eine Kunstsprache, speziell geschaffen um Wort-Maschinen bauen zu können, ablaufbare Wort-Universen, die neuen Bücher, Filme, und Theaterstücke zugleich.

PTextfragment aus einer Wortmachine für künstliche Welten mit Akteuren
Textfragment aus einer Wortmachine für künstliche Welten mit Akteuren

Man muss sich fragen, wie weit die sogenannte ‚Wahrheit‘ der alten, sprich ‚vor-digitalen‘, Kunst letztlich nur in ihrer Selbstbezüglichkeit findet, in ihrer hermetischen Abwiegelung von real stattfindender Welt, eingesperrt in ihren klassischen Sprachkäfigen, in denen nur bestimmte Werte gelten, nur bestimmte Menschen- und Handlungsmuster vorkommen, nicht die unfassbaren Potentiale des Lebens, nicht das universale Lebensgeschehen, sondern das, was sich in alten Sprachgespinsten sagen lässt, idealistisch-romantisch, hart am Abgrund menschlicher Tragödien, die endlichen Selbstbezüglichkeit, die vielen Fixierungen auf den menschlichen Körper, Klassengesellschaften der Vorzeit, ohne mögliche kosmischen ….

HOMO SAPIENS ALLEIN ZU HAUS

Das alles sind wir, der homo sapiens, der seit ca. 200.000 bis 300.000 tausend Jahren seine Weg sucht auf diesem Planeten… nicht zufällig da, sondern Gewordener von Milliarden Jahren stattfindenden Prozessen von einer Komplexität, die unser Denken bis heute überfordert…

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