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MEMO ZU: 6 THESEN ZUM LEBEN: KREATIVITÄT, KOOPERATION, KOMMUIKATION, MEHR ALS JETZT, SEXUALITÄT, DAS BÖSE – PHILOSOPHIESOMMER 2016 in der DENKBAR Frankfurt am So, 15.Mai 2016

Hier wieder ein kurzer Bericht zum Philosophiesommer 2016 in der Denkbar, Treffen am So 15.Mai 2016 (siehe die zugehörige Einladung)

Die Einleitung geriet etwas lang, vielleicht auch angesichts der vielen neuen Gesichter. Letztlich hielten wir aber unseren vorgeschlagenen Zeitplan ein. Sehr erfreulich war die breite Streuung der versammelten Kompetenzen, was sich dann in den Beiträgen widerspiegelte.

EINLEITUNG: SPANNUNGSFELD MENSCH – INTELLIGENTE MASCHINE

Ausgangspunkt war die spannungsvolle Diskussion vom letzten Treffen, bei dem zwar das Spannungsfeld Mensch einerseits, intelligente Maschinen andererseits, zur Sprache kam, wir uns aber nicht auf ein klares Thema für die Fortsetzung einigen konnten. Dies führte zur Formulierung von sechs Thesen zu Grundmerkmalen des biologischen Lebens, so wie sie sich am Beispiel des homo sapiens sapiens nach heutigem Kenntnisstand ablesen lassen. Diese Thesen sind gedacht als mögliche Orientierungspunkte für die weitere Diskussion des Spannungsfeldes Mensch – intelligente Maschinen.

STICHWORTE ZU INTELLIGENTE MASCHINEN

Analog zu den sechs Thesen zum biologischen Leben wurden ein paar Meilensteine zum Begriff der intelligenten Maschine in den Raum gestellt, an denen man das Reden über intelligente Maschinen fest machen kann.

STANDARD FÜR EINEN COMPUTER

Es wurde verwiesen auf den berühmten Artikel On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem. In: Proceedings of the London Mathematical Society. Band 42, 1937, S. 230–265, von Alan Mathison Turing (19121954), in dem er im Kontext eines mathematischen Beweises ein einfaches Gedankenkonstrukt einführte, was später zu seinen Ehren Turingmaschine genannt wurde. Dieses Gedankenkonstrukt, die Turingmaschine, ist bis heute der gedankliche Standard, die Norm, für Fragen der Entscheidbarkeit von Problemstellungen in der Computerwissenschaft. Nach heutigem Kenntnisstand kann kein realer Computer mehr als dieses gedankliche Konstrukt genannt Turingmaschine (und dies gilt auch für alle denkbaren reale Computer der Zukunft).

INTELLIGENTE MASCHINEN

Es war auch dann Turing, der 1950, als es gerade erste Ungetüme von Computer gab, die noch nicht allzu viel konnten, die Frage diskutierte, ob Computer einmal so intelligent werden könnten wie ein homo sapiens sapiens (siehe: Computing Machinery and Intelligence. In: Mind. LIX, Nr. 236, 1950, ISSN  0026-4423, S. 433–460 ). Er räsonierte darüber, dass Computer, wenn sie genauso lernen dürften wie Kinder, eigentlich auch alles wissen könnten, wie Kinder. Auf dem Weg zur intelligenten Maschine sah er weniger technische Probleme, sondern soziale psychologische: Menschen werden Probleme haben, intelligenten lernende Maschinen neben sich in ihrem Alltag zu haben.

EMOTIONALE MASCHINEN

Einer der einflussreichsten und wichtigsten Wissenschaftler der künstlichen Intelligenzforschung, Marvin Minsky (1927 – 2016) veröffentlichte wenige Jahre vor seinem Tod ein Buch über die emotionale Maschine ( The Emotion Machine, Simon & Schuster, New York 2006). Es ist – formal gesehen – kein streng wissenschaftliches Buch, aber dennoch bedenkenswert, da er hier im Lichte seines Wissens durchspielt, wie man die menschlichen Erfahrungen von diversen Gefühlszuständen mit dem zu diesem Zeitpunkt bekannten Wissen über Computer rekonstruieren – sprich erzeugen – könnte. Er sieht in solch einem Projekt kein prinzipielles Problem.(Anmerkung: Es könnte interessant sein, dieses Buch zusammen mit Psychologen und Psychotherapeuten zu diskutieren (evtl. ergänzt um Gehirnforscher mit einem psychologischen Training)).

SUPERINTELLIGENZ UND WERTE

Einen weiteren Aspekt bringt der in Oxford lehrende Philosoph Nick Bostrom ins Spiel. In seinem Buch Superintelligenz (Superintelligence. Paths, Dangers, Strategies. Oxford University Press, Oxford 2014) sieht er bzgl. der Möglichkeit, super-intelligenter Maschinen grundsätzlich auch keine grundsätzliche Schwierigkeit, wohl aber in der Wertefrage: nach welchen Werten (Zielgrößen, Präferenzen) werden sich diese super-intelligenten Maschinen richten? Werden sie sich gegen den Menschen wenden? Kann der Mensch ihnen solche Werte einspeisen, die diese super-intelligente Maschinen dem Menschen wohlgesonnen sein lassen? Er selbst findet auf diese Fragen keine befriedigende Antwort. Auch wird durch seine Analysen deutlich (was Bostrom nicht ganz klar stellt), dass die Wertefrage grundsätzlich offen ist. Die Menschen selbst demonstrieren seit Jahrtausenden, dass sie keine Klarheit besitzen über gemeinsame Werte, denen alle folgen wollen.

SECHS THESEN ZUM BIOLOGISCHEN LEBEN

Vom BigBang (-13.8 Mrd Jahre) bis heute; ausgewählte Ereignisse
Vom BigBang (-13.8 Mrd Jahre) bis heute; ausgewählte Ereignisse

Angesichts des zuvor skizzierten ungebrochenen Glaubens an die Möglichkeiten einer Superintelligenz bei gleichzeitigem ungelösten Werteproblem bei den Menschen selbst stellt sich die Frage, ob wir Menschen als späte Produkte des biologischen Lebens nicht doch Eigenschaften an und in uns tragen, die mehr sind als eine beliebige Meinung. Aus der Vielzahl der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum biologischen Leben und zum homo sapiens sapiens hatte Gerd Doeben-Henisch sechs in Form von Thesen ausgewählt und der Diskussion vorangestellt.

1. KREATIVITÄT JENSEITS DES BEKANNTEN: Die Explosion des Lebens fand statt auf der Basis eines Erfolgswissens aus der Vergangenheit (repräsentiert im DNA-Molekül) ohne Wissen um die Zukunft. Inmitten eines Nicht-Wissens wurde nicht nur das erprobte Wissen aus der Vergangenheit genutzt, sondern der Reproduktionsprozess erlaubte eine Vielzahl von Alternativen, die alle im Moment des Ereignisses das radikale Risiko des Scheiterns beinhalteten. Diese basale Form der Kreativität war die Methode, Leben zu finden, und das Risiko des Scheiterns der Preis: Ohne Tod kein Leben.
2. KOOPERATION ÜBR GRENZEN HINWEG: Die Explosion des Lebens fand statt durch Erlangung der Fähigkeit, mit völlig fremden Systemen (die oft lebensbedrohlich waren) in eine Kooperation geradezu galaktischen Ausmaßes einzutreten, die eine WinWin-Situation für alle Beteiligte bildete. Das Zustandekommen solcher WinWin-Situationen war in den ersten Milliarden Jahren zufällig; der Erhalt der gefundenen Vorteile beruhte auf der grundlegenden Fähigkeit des Lebens, Erfolge zu konservieren.
3. ÜBERWINDUNG DES JETZT: Solange die biologischen Systeme nicht über Gedächtnis, Abstraktionsfähigkeit, basalem Denken verfügten, waren sie im Jetzt der Sinneseindrücke gefangen. Es gab kein Gestern und kein Morgen. Nach der Explosion des Lebens ab ca. -450 Mio Jahren kam es zu einem einzigartigen Punkt: nach 13.8 Mrd Jahren konnte sich das Leben in Gestalt der Hominiden, speziell dann des homo sapiens sapiens, plötzlich selbst anschauen und verfügte ab da über das Potential, sich selbst zu verändern.
4. KOORDINIERUNG INDIVIDUELLER VIRTUELLER WELTEN: Mit der Überschreitung des Jetzt durch interne Konstruktionen entsteht im einzelnen Individuum ein rekonstruierendes virtuelles Abbild der realen Welt. Damit die vielen einzelnen dieses virtuelle Wissen gemeinsam nutzen können, braucht es neue, leistungsfähige Formen der Koordinierung durch symbolische Kommunikation. Erfindungen wie die Sprache, die Schrift, der Buchdruck usw. belegen eindrucksvoll, was symbolische Interaktion vermag.
5. JENSEITS VON SEXUALITÄT: Während die bisherige Form der Sexualität als Strategie der Mischung genetischer Informationen kombiniert mit endogenem Handlungsdruck bei den handelnden Individuen über Jahrmillionen den Erhalt des Lebens offensichtlich ermöglicht hat, führen die neuen Lebensverhältnisse der großen Siedlungsdichten und der drohenden Überbevölkerung zur Frage, wie sich der Mensch von den endogenen Handlungsdrücken hinreichend befreien kann. Mann – Frau war gestern?
6. DYNAMIK DES BÖSEN – WO LEBT DAS GUTE: tiefsitzende Triebstrukturen im Menschen (Macht, Geld, Dünkel, …) sind seit Jahrtausenden bekannt. Mit den neuen globalen Informationstechnologien können sie sich schneller und effektiver im globalen Maßstab organisieren als nationale politische Systeme. Globale Kartelle des Machtmissbrauchs und der der Kriminalität bedrohen die neuzeitlichen Freiheitsansätze des Kreativen (neben anderen Faktoren).

FREIER DISKURS
Bei diesem breiten Spektrum des Themas war klar, dass nicht alle angesprochenen Aspekte gleichzeitig diskutiert werden konnten.

Gedankenskizze zum Philosophiesommer 2016, Sitzung am 15.Mai 2016, in der DENKBAR Frankfurt
Gedankenskizze zum Philosophiesommer 2016, Sitzung am 15.Mai 2016, in der DENKBAR Frankfurt

SEXUALITÄT
Die ersten Gesprächsbeiträge griffen die These zur Sexualität auf. Eher grundsätzliche Überlegungen thematisierten, dass Sexualität als ein grundlegendes und übergreifendes Prinzip zu sehen ist; die einzelnen Individuen sind hier nur – in gewisser Weise – nur ‚Marionetten‘ in dem großen Spiel des Lebens. Das Leben will überleben, der einzelne muss entsprechend funktionieren. Dass die biologisch vorgegebene eingebaute endogene Drucksituation im Laufe der Jahrtausende innerhalb der unterschiedlichen Kulturen mit ihren Wertesystemen zu vielfältigen Formen der Regulierungen geführt hat (meist zu Lasten der Frauen), ist manifest. Versuche der Menschen, die strenge Kopplung zwischen Sexualität und Reproduktion zu lockern gab es immer. Erst in neuester Zeit verfeinerten sich die Techniken, bieten sich Möglichkeit in die chemischen oder gar genetischen Prozesse einzugreifen bzw. durch die Reproduktionsmedizin die Reproduktion mehr und mehr aus dem biologischen System auszulagern. War schon immer die Anzahl der Kinder ein Indikator für den aktuellen Wohlstand, so führt heute die zunehmende Bevölkerungsdichte erneut zu Überlegungen, den bisherigen Reproduktionsmechanismus zu verändern. Für alle die neuen Maßnahmen und Technologien zur Veränderung der Reproduktion spielt der Einsatz von Computern eine immer größere Rolle. Zugleich wird der Computern für die Sexualität in Form von Sexrobotern auch immer mehr eingesetzt. Bräuchten super-intelligente Maschinen auch ein Äquivalent zur Sexualität, um sich zu vermehren?

INTELLIGENTE MASCHINEN

Die Position der intelligenten Maschinen blieb auffällig abstrakt. Was können sie eigentlich wirklich leisten? Richtig intelligente Maschinen scheint es noch nicht wirklich zu geben. Generell wurde nicht ausgeschlossen, dass super-intelligente Maschinen eine neue Variante der Evolution ermöglichen können. Haben diese super-intelligente Maschinen dann einen eigenen Willen? Würden sie aus sich heraus zu dem Punkt kommen, dass sie die Menschen abschaffen würden? Können wir den super-intelligente Maschinen solche Werte einpflanzen, dass sie den Menschen grundsätzlich wohlgesonnen sind (hier sei erinnert an die vielen geistreichen Science Fiction von Isaak Asimov (1919 – 1992), der unter anderem die Robotergesetze erfunden hatte, die genau diese Idee umsetzen sollten: menschenfreundliche Roboter ermöglichen).

NICHT SCHWARZ-WEISS DENKEN

Im Gespräch zeichnete sich auch eine Position ab, die viele Argumente auf sich vereinte, nämlich jene, die weniger konfrontativ Mensch und super-intelligente Maschinen gegenüberstellt, sondern von einer symbiotischen Wechselbeziehung ausgeht. Der Mensch entwickelt schrittweise die neuen Technologien, und in dem Masse, wie diese real erfahrbar werden, beginnt die ganze Gesellschaft, sich damit auseinander zu setzen. Systemisch gibt es damit beständige Rückkopplungen, die – falls die gesellschaftliche Dynamik (Öffentlichkeit, freie Meinung, Diskurs..) intakt ist – nach Optimierungen im Verhältnis zwischen Menschen und Maschinen sucht. Natürlich gibt es massive wirtschaftliche Interessen, die versuchen, die neuen Möglichkeiten für sich zu nutzen und versuchen, alle Vorteile einseitig zu akkumulieren; es ist dann Aufgabe der ganzen Gesellschaft, dieser Tendenz entsprechend entgegen zu wirken. Dabei kann es sehr wohl zu Neujustierungen bisheriger Normen/ Werte kommen.

WEISHEIT DES LEBENS
Wenn man bedenkt, welch ungeheuren Leistungen das biologische Leben seit 3.8 Mrd Jahren auf der Erde vollbracht hat, wie es Lebewesen mit einer gerade zu galaktischen Komplexität geschaffen hat (der Körper des homo sapiens sapiens hat nach neuen Schätzungen ca. 34 Billionen (10^12) Körperzellen (plus noch mehr Bakterien in und am Körper), die alle als Individuen im Millisekundentakt zusammenwirken, während dagegen die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, ca. nur 100 – 300 Mrd. Sonnen besitzt), dann kann man nicht grundsätzlich ausschließen, dass diese Leben implizit über eine ‚Weisheit‘ verfügt (man könnte auch einfach von ‚Logik‘ sprechen), die möglicherweise größer, tiefer umfassender ist, als jede denkbare Superintelligenz, weil diese, wann und wo auch immer, nicht von außerhalb des Systems entsteht, sondern innerhalb des Systems.

NÄCHSTES THEMA

Da viele Teilnehmer sagten, dass sie sich unter diesen intelligenten Maschinen immer noch nichts Rechtes vorstellen können, wurde ein anwesender Experte für intelligente Maschinen (aus der Gattung homo sapiens sapiens) gebeten, für das nächste Treffen eine kleine Einführung in die aktuelle Situation zu geben.

Ein Überblick zu allen bisherigen Themen des Philosophiesommers (und seiner Vorgänger) nach Titeln findet sich HIER.

6 THESEN ZUM LEBEN: KREATIVITÄT, KOOPERATION, KOMMUIKATION, MEHR ALS JETZT, SEXUALITÄT, DAS BÖSE – Thema des PHILOSOPHIESOMMER 2016 in der DENKBAR Frankfurt am So, 15.Mai 2016

Entsprechend dem Plan vom 9.Februar 2016 kommt hier die Einladung zur nächsten Sitzung des PHILOSOPHIESOMMERS 2016 in der

DENKBAR Frankfurt

Spohrstrasse 46a

(Achtung1: Parken schwierig! Man muss wirklich im Umfeld suchen)

(Achtung 2: Veränderte Zeiten 15:00 – 18:00h)

THEMENSTELLUNG

Am Ende der letzten Sitzung im Rahmen des Philosophie-Sommers 2016 in der DENKBAR gab es – vielleicht nicht überraschend – keine klare Themenstellung für das nächste Treffen. Der Brennpunkt der Überlegungen im Spannungsfeld von biologischen Systemen (Menschen, Tiere) und nicht-biologischen Systemen (Maschinen) ist hin- und hergerissen zwischen altbekannten, vertrauten Bildern vom Leben, der Welt und dem Menschen einerseits und den neuen, radikalen, irgendwie verwirrenden Erkenntnissen um universalen Ganzen, zum Menschen, zur Technologie. Warum können die Maschinen all das? Wo liegen natürliche Grenzen? Was sagen diese Maschinen und ihre intensive Nutzung durch den Menschen über den Menschen? Sind wir nicht letztlich mit unsren Zustandsänderungen von Materie mittels Energie nicht auch nur Maschinen, die sich in den neuen Maschinen quasi zu kopieren versuchen?

Es blieben also viele offene, beunruhigende Fragen.

SECHS THESEN ALS ANKERPUNKTE FÜR DIE DISKUSSION

Um die Diskussion weiter zu befeuern und um sie durch wichtige, zentrale neue Erkenntnisse ein wenig zu fokussieren, hier 6 Thesen, hinter die wir kaum mehr zurück können:

  1. KREATIVITÄT JENSEITS DES BEKANNTEN: Die Explosion des Lebens fand statt jenseits des aktuellen Wissens unter Ausprobieren von radikalen Alternativen und unter Eingehung eines radikalen Risikos des Scheiterns.

  2. KOOPERATION ÜBR GRENZEN HINWEG: Die Explosion des Lebens fand statt durch Erlangung der Fähigkeit, mit völlig fremden Systemen (die oft lebensbedrohlich waren) in eine Kooperation geradezu galaktischen Ausmaßes einzutreten, die eine Win-Win-Situation für alle Beteiligte bildete.

  3. ÜBERWINDUNG DES JETZT: Die Explosion des Lebens führte zu einem einzigartigen Punkt: nach 13.8 Mrd Jahren konnte sich das Leben plötzlich selbst anschauen und hat das Potential, sich selbst zu verändern.

  4. KOORDINIERUNG INDIVIDUELLER VIRTUELLER WELTEN: Die Wiedergeburt des universalen Lebens im individuellen virtuellen Denken verlangt neue, intensive Formen der Koordinierung durch symbolische Kommunikation im globalen Ausmaß.

  5. JENSEITS VON SEXUALITÄT: Die bisherige Form der Sexualität als Strategie der Mischung genetischer Informationen kombiniert mit endogenem Handlungsdruck verlangt nach radialem Umbau: genetische Kombinatorik ja, endogener Handlungsdruck nein. Mann – Frau war gestern.

  6. DYNAMIK DES BÖSEN – WO LEBT DAS GUTE: tiefsitzende Triebstrukturen im Menschen (Macht, Geld, Dünkel, …) verbünden sich schneller und effektiver im globalen Maßstab als nationale politische Systeme. Sie drohen die neuzeitlichen Freiheitsansätze des Kreativen (neben anderen Faktoren) zu ersticken.

Zum Austausch über diese 6 Thesen gibt es folgenden

PROGRAMMVORSCHLAG

Moderation: Gerd Doeben-Henisch

15:00 Begrüßung

15:05 Kurze Einführung ins Thema

15:25 Gemeinsamer Diskurs I, Sichtbarmachung von Positionen

16:30 Blubberpause (Jeder kann mit jedem reden; Essen und Trinken)

17:00 Gemeinsamer Diskurs II, erste Zusammenfassungen, Tendenzen

17:45 Schlussstatements und Thema für das nächste Treffen

18:00 Ende

Langsames Wegdiffundieren der Teilnehmer ….

Siehe das Memo zu dieser Sitzung HIER.

Einen Überblick über alle bisherigen Texte zum Philosophie-Sommer/ zur Philosophiewerkstatt findet sich HIER.

Einen Überblick über alle Texte des Autors cagent findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 3

!!! Dieses Kapitel wurde als Teil des Buches vorläufig wieder gestrichen !!!

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Formen des Bösen

Im 20.Jahrhundert gebar der homo sapiens in den vielen Kriegen und Demoziden Gestalten des Bösen von unfassbarer Dunkelheit. Zugleich entsprangen seinem Gehirn Bilder, Visionen, und auch institutionelle Ansätze, eines besseren Lebens für alle Menschen, wie es sie in dieser Form und in diesem Ausmaß zuvor noch nie gegeben hatte. Wie ist so etwas möglich? Wie ist dieses möglich angesichts der Tatsache, dass wir in den nachfolgenden 15 Jahren des 21.Jahrhunderts den Eindruck haben können, dass die Hervorbringung des Grausamen bei gleichzeitigen Anzeichen eines ‚menschlicheren‘ Lebens sich fortzusetzen scheint?

Zombies und so

In den Kinos, vor dem Fernseher — oder dem Videobildschirm — gibt es Gattungen von Filmen, die sich konstant großer Beliebtheit erfreuen: Katastrophen- und Horrorfilme.

Man sieht erst ein wenig Alltag, wie man ihn kennt; Menschen wie Du und ich, Familien, Kinder, die Mitgefühl erregen.

Dann bricht etwas Furchtbares herein: aggressive Tiere bedrohen das Leben von Menschen, jene, die man sympathisch findet. Gefährliche Krankheitserreger breiten sich aus und töten Menschen. Oder, viel interessanter, infiziert Menschen töten nicht, sie greifen andere Menschen an und verwandeln diese in furchterregende Wesen, in Monster, die keine Menschen mehr sind, sondern fremdgesteuerte Wesen, die äußerlich nur noch aussehen wie Menschen.

Wenn diese Katastrophen endzeitlich-apokalyptische Ausmaße annehmen, dann tritt — zumindest in US-Amerikanischen Filmen — unweigerlich das Militär auf den Plan. Wenn überall das Leben zerbricht, das öffentliche Leben, der Verkehr im Chaos versinkt, dann erscheint das Militär als letzte Bastion der Ordnung, als letzte Zuflucht. Hier gibt es noch Oben und Unten, hier gibt es noch einen Rest an Wahrheit, hier sammeln sich die Glücklichen, die Auserwählten.

Die Erlösung naht in Form von etwas Materiellem: die Biologie der entarteten Wesen zeigt eine Schwachstelle, man findet ein Gegenmittel, der Spuk kommt zum Stillstand. Alles ist wieder gut.

In diesen Szenarien ist das ‚Böse‘ etwas konkret Fassbares, etwas Materielles. Materielles kann man im Prinzip kontrollieren. Ein endlich Böses ist besiegbar.

Die Anderen von nebenan

Das andere Drehbuch des Grauens spielt vorzugsweise in der Realität.

Soweit das geschichtliche Auge schauen kann findet sich das bizarre Phänomen, dass Menschen im ‚anderen Menschen‘ nicht nur den Freund gesehen haben, sondern auch, sehr oft, manchmal überraschend spontan, das ‚Fremde‘, das ‚Angstauslösende‘, das ‚Bedrohliche‘, den ‚Feind‘.

Der ‚Andere‘ kann in diesem Drehbuch praktisch von jedem gespielt werden: in einer Ansiedlung können es die ‚Zugezogenen‘ sein, die ‚Jenseits des Flusses‘, die ‚im Nebental‘; eine andere Sprache, eine andere Haarfarbe oder andere Hautfarbe können zum Unterscheidungsmerkmal werden; andere Sitten, andere religiöse Rituale … es muss nur irgendwie anders sein, etwas , woran man einen Unterschied festmachen kann.

Gibt es den anderen, ist er die ideale Projektionsfläche für alle Arten von Ängsten, Vorurteilen und Aggressionen. Grausamkeiten, Tötungen, Kriege leben von diesem Anderen. ‚Die da‘ ärgern uns, schränken uns ein, bedrohen uns; sie müssen weg. …

Dieses Böse im Anderen ist nur vordergründig materiell. Tatsächlich ist das Böse hier vielfach eine Projektion unserer Ängste auf die anderen gepaart mit Unwissenheit. Dieses Böse kann nicht sterben, solange unsere Ängste nicht sterben, solange wir in der Unwissenheit verharren.

Verdeckt und Unsichtbar

Wenn wir gegen wilde Tiere in den Krieg ziehen, gegen Monstermenschen und den furchtbaren Anderen, die unser Leben bedrohen, spielt die Frage nach dem ‚Warum‘ gewöhnlich keine Rolle. Das ‚Böse‘ ist für uns, die wir von Ängsten eingehüllt sind, so augenscheinlich, so greifbar, dass sich eine Diskussion zu erübrigen scheint.

Aus der Geschichte der Justizirrtümer sind zahllose Beispiele bekannt, wonach Verurteilte im Nachhinein als Unschuldige erkannt werden konnten. Eine sehr gründliche Untersuchung aus neuester Zeit im Umfeld der Todesurteile in den USA deckte auf, dass mindestens 4% der zum Tode Verurteilten zu Unrecht zum Tode verurteilt sind. Tatsächlich kann der Anteil deutlich höher sein. Dies ist erschreckend.

Nicht weniger erschreckend sind die Zahlen, die das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) in seinem Krankenhaus-Report 2014 mit dem Titel Wege zu mehr Patientensicherheit in der Pressekonferenz vom 21. Januar 2014 in Berlin vorlegte. Danach muss man von ca. 1% Behandlungsfehlern ausgehen, was 2011 ca. 188.000 Menschen betraf, und von ca. 0.1% tödlichen Fehlern, was ca. 18.800 Menschen betraf. Nach Prof. Dr. Max Geraedts sind dies etwa fünfmal so viel Tote wie im Straßenverkehr.

Das ‚Böse‘, was sich hier auswirkt, ist nicht das, was man direkt sieht oder greifen kann, sondern das, was man nicht sieht, weil man es erst gar nicht tut, das Nicht-Augenscheinliche, das im falschen Verhalten der Krankenhausteams gründet, wegen Unwissenheit oder Überlastung oder … Diese Form des Bösen wird nicht aussterben, so lange diese Krankenhausteams sich als Team nicht kritischer selbst betrachten, sich als Team nicht gemeinsam verbessern.

Im Auge des Betrachters

Etwas nicht zu sehen, etwas zu übersehen, oder es ganz anders zu sehen als es tatsächlich ist, dies sind Phänomene, die uns zum Thema Wahrnehmung führen.

Von der visuellen Wahrnehmung wissen wir, dass jedes einzelne Auge (linkes Auge, rechtes Auge) aufgrund seiner Bauweise einen sogenannten Blinden Fleck aufweist. Dies bedeutet, dass jedes Auge für sich einen bestimmten Bereich in seinem Sehfeld nicht abbilden kann; er ist quasi unsichtbar. Dass wir dennoch keine ‚Löcher‘ sehen, liegt daran, dass der blinde Fleck in jedem Auge in einem anderen Bereich des Sehfeldes liegt. Das linke Auge sieht dort etwas, wo das rechte Auge seinen blinden Fleck hat, und umgekehrt. Dass aus beiden Einzelbildern ein Gesamtbild ohne Flecken wird, das ist dann der Beitrag des Gehirns; dieses rechnet beide Bilder zu einem Bild zusammen.

Direkter erfahrbar ist diese erstaunliche Kompositionsleistung des Gehirns, wenn man sich eines der vielen Bücher zur PEP-Art nimmt, in denen nach der P.E.P.S.I.P-Methode (Periodic Pattern Stereo IllusionPicture) zweidimensionale Bilder so abgedruckt sind, dass man beim Betrachten mit dem bloßen Auge plötzlich dreidimensionale Bilder sehen kann (Quelle: PEP-ART. 3-D-Bilder der neuen Art, Südwest Verlag GmbH & Co.KG, München, 1994, ISBN 3-517-01632-2. Vgl. dazu auch den Eintrag Stereoskopie in der deutschen Wikipedia.).

Schlägt man ein beliebiges Bild aus solch einem Buch mit stereoskopischen Bildern auf, dann sieht man zunächst nur zweidimensionale Figuren auf einem Blatt. Fixiert man das Bild auf die richtige Weise, verwandelt sich das Bild ‚im Auge des Betrachters‘ plötzlich zu einem dreidimensionalen Bild, in dem dreidimensionale Objekte sichtbar werden, die man im zweidimensionalen Bild noch nicht sehen kann. Es ist nicht das gedruckte Bild im Buch, das sich ändert, sondern die Verarbeitung des Bildes im Gehirn. Das Gehirn ist dafür ausgelegt, die zweidimensionalen Informationen auf der Netzhaut in dreidimensionale Strukturen umzurechnen.

Unser Gehirn lässt uns also ganz realistisch Objekte und Räume in einer räumlichen Struktur sehen, die es ‚draußen in der Außenwelt‘ gar nicht gibt.

Analog kann man auch im Bereich des Hörens Phänomene entdecken, bei denen wir subjektiv einen realistischen Eindruck haben, die aber Eigenleistungen unseres Gehirns darstellen und denen nichts in der Außenwelt korrespondiert . Am bekanntesten ist wohl der Stereoeffekt, bei dem wir hören können, wie ein Ton im Raum hin- und herwandert, obgleich wir im einfachsten Fall nur zwei Lautsprecher haben, die fest an ihrem Ort stehen. Für viele — leidvoll — bekannt ist der Tinnitus-Effekt: Menschen hören in ihrem Ohr Töne, z.T. sehr laut, denen aber außerhalb des Ohres nichts entspricht; wieder eine Eigenleistung des Gehirns.

Die Liste von Beispielen der sogenannten Sinnestäuschungen könne man noch erheblich verlängern. Die Grundbotschaft ist die, dass unsere sinnliche Wahrnehmung der Außenwelt keine 1-zu-1 Abbildung ist und dass sie durchgehend auf einer Aktivität unseres Gehirns beruht, das dabei sehr wohl auch eigene Wege geht. Es lässt uns Dinge wahrnehmen, die es so als sinnliches Ereignis gar nicht gibt, die sich im Zusammenhang aber oft als nützlich erwiesen haben.

Das ‚wirkliche‘ Bild des Bösen wahrzunehmen, ist schon in der sinnlichen Wahrnehmung keine Selbstverständlichkeit. Die Dominanz unseres Gehirns in der Berechnung der Wirklichkeit ist immer da; unser Gehirn erzählt uns permanent eine Geschichte von einer Welt ‚da draußen‘, weil es besorgt ist, uns einen ’sinnvollen Gesamteindruck‘ zu vermitteln. Unser Gehirn trägt ‚in sich‘ ein Konzept von ‚Sinn‘, bevor wir darüber nachdenken können, was ’sinnvoll‘ ist. Und wer zweifelt schon an seinem eigenen Gehirn?

Chemischer Handlungsdruck

Hunger

Wir alle kennen das ungegenständliche, gleichwohl deutlich spürbare Gefühl von ‚Hunger‘. Ab einem bestimmten Punkt kann es uns unruhig machen, kann es uns in Bewegung setzen, um etwas zum Essen zu finden. Hält dieser Zustand länger an, wird er zum Begleiter über Tage oder gar Wochen, beginnt er die Existenz zu bedrohen; der Handlungsdruck kann übermächtig werden; man wird alles tun, um etwas zum Essen zu finden.

In glücklichen Fällen trifft man auf andere Menschen, die einem helfen, die ihr Essen mit uns teilen; der mögliche Beginn einer Freundschaft. Doch wenn diese andere Menschen nicht ans Teilen denken, wenn Sie uns Hungrige verstoßen, dann kann aus solcher einer Situation ein Konflikt entstehen: wir sind dann die Anderen, die Fremden, die Bedrohlichen, die man bekämpfen muss, und wir selbst werden — möglicherweise — zu Kämpfern für unsere eigene Existenz. Für uns sind dann die ‚Besitzenden‘ die Anderen, die Fremden, die, die man angreifen darf.

Tödliches Verhalten entsteht dann aus einer Bedürfnissituation von Menschen, die aus ihrem Innern aufsteigt, die als innerer Konflikt gefühlt wird, der die eigene Existenz bedroht.

Für die, die von uns angegriffen werden, werden wir zu den ‚Bösen‘, die ihr Leben bedrohen. Wir selbst sehen uns im Recht, da wir unser Leben erhalten wollen. Das ‚Böse‘ der anderen ist für uns das ‚Gute‘. Das Böse wie das Gute wohnt im Lebensnotwendigen; es entspringt der Art, wie Leben für uns funktioniert, wie es sich uns im Körpergefühl mitteilt.

Durst

Die Verfügbarkeit von Süßwasser bzw. das Fehlen von diesem wird seit Jahren von immer mehr Organisationen dokumentiert. Der Mangel ist schon heute sehr groß und eine Quelle von deutlichen Menschenrechtsverletzungen und von großen potentiellen Konflikten

Die Bedrohung des Lebens für die einen, kann zur Bedrohung des Lebens für die anderen werden, wenn sie nicht freundschaftlich teilen. Die wechselseitige Anerkennung der Existenz verbindet, gibt Kraft für eine gemeinsame Zukunft.

Drogen

Während Hunger und Durst zurückgehen auf Stoffwechselprozesse des Körpers, die für die Lebenserhaltung wichtig sind, kann der Mensch durch Zufuhr von unterschiedlichen Drogen im Körper einen chemischen Kreislauf in Gang setzen, der sich bis zu einem gewissen Grade verselbständigen kann. Wir sprechen dann von Sucht: der/ die Betroffene hat dann ‚in sich‘ einen chemischen Prozess ‚geboren‘, der immer neu nach ‚Nachschub‘ verlangt, nach bestimmten chemischen Stoffen, die das ‚innere Verlangen‘ stillen sollen. Wie wir wissen, führt dies bei vielen Drogen körperlich zu einer voranschreitenden Zerstörung, psychisch zu einer Abhängigkeit und sozial zu immer mehr Ausfällen in normalen Abläufen, zu Ausgrenzungen und zu Stigmatisierungen. Ohne Hilfe von außen ist ein einzelner meist kaum in der Lage, diesen chemischen Kreislauf in sich zu stoppen. Der Handlungsdruck ist so groß, dass es zur sogenannten Beschaffungskriminalität kommt oder zu Menschen erniedrigenden Abhängigkeiten. Der Zerfall, das Böse, das als Existenz zerstörend im Verhalten Ausdruck findet, ist nicht ‚in der Welt‘ verursacht, sondern ‚im Menschen selbst‘, in der Art und Weise, wie seine inneren chemischen Prozesse aus dem Gleichgewicht geraten sind.

In der Sucht verliert der Mensch die Kontrolle über die chemischen Prozesse in sich. In der Sucht zeigt sich die innere Chemie des Körpers als ein ‚wildes Tier‘, als ein ‚inneres Monster‘, das einen Menschen von innen steuert, ihn zu einem ‚Zombie‘ macht, ihn von innen auffrisst.

Sexualität

Ein anderer ‚innerer Faktor‘ ist die Sexualität. So wie Hunger und Durst angeborene Bedürfnisstrukturen sind, die sich im Verhalten auswirken, so ist auch die Sexualität eine angeborene Verhaltensstruktur, die im Normalfall kaum zu übersehen und für viele kaum zu unterdrücken ist. In der angeborenen Sexualität manifestiert sich die ‚Strategie des Lebens‘ für das ‚Überleben‘ durch variierende Reproduktion. Die Auslegung als komplementäre Verhaltensweisen in einem genetisch markierten weiblichen und männlichen Menschen sollte die genetische Variabilität unterstützen, und führte zu einer asymmetrischen Spezialisierung: nur die weiblichen Menschen können einen Embryo austragen.

Die Sexualität realisiert sich über chemische Prozesse, die das Verhalten beeinflussen können. Ausgelöst werden sie einerseits intern über periodische chemische Prozesse oder über externe ‚Auslöser‘, die über die Wahrnehmung zum Gehirn gelangen und dann chemische Prozesse auslösen kann. Die interne Ausschüttung von speziellen chemischen Molekülen (Hormone) kann – speziell bei Männern — zu einem als sehr stark erlebtem Handlungsdruck führen.

In den vergangenen Jahrtausenden haben die verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Verhaltensregeln ausgeprägt, innerhalb deren Menschen ihre Sexualität ’sozial verträglich‘ ausleben sollen. Unterm Strich entsteht der Eindruck, dass in von männlichen Menschen dominierten Gesellschaften die Privilegien einseitig auf Seiten der männlichen Menschen lagen bzw. auch heute noch liegen. Dies bedeutet, dass viele Gesellschaften ein Handlungsgefüge zeigen, das aufgrund des chemischen Faktors der Sexualität die weiblichen Menschen vielfach unterdrückt, benachteiligt, erniedrigt, verachtet, quält und damit auch eine Form von ‚Bosheit‘ in diese Welt hinein trägt. Statt über die inneren Ursachen eines solchen Verhaltens zu reden, wird über den inneren Faktor Sexualität geschwiegen und im Verhalten ‚Böses‘ gelebt. Noch heute gibt es Gesellschaften, in denen sich (junge) männliche Menschen über Gewalt, Machtausübung und der Vergewaltigung von weiblichen Menschen definieren ( Siehe einige Blogeinträge dazu unter cognitiveagent.org).

Auch hier finden wir das Muster, dass eine im Innern des Menschen chemisch erzeugte Verhaltenstendenz, die subjektiv als Verhaltensdruck empfunden wird, bei dem, der den Druck abbaut, als ‚gut‘ empfunden wird. Bei dem, an dem dieser Verhaltensdruck gewaltsam und darin verachtend ausgelebt wird, wird solch ein Verhalten als ‚böse‘ empfunden. Ein von der Sexualität ohne Kontrolle angetriebener Mensch (genetisch bedingt meist ein männlicher Mensch) erscheint dann phasenweise wie ein ‚Zombie‘, der alles niederreißt und darin für andere eine Form des ‚Bösen‘ verkörpert.

Fortsetzung mit Kapitel 4

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

SEXUALITÄT – REKONSTRUKTION – DER GEIST BEGINNT DURCHZUSCHIMMERN oder: Memo zur Philosophiewerkstatt vom 10.Mai 2014

TERMIN: die nächste Philosophiewerkstatt findet am Sa, 14.Juni 2014, 19:00h im Gewölbekeller des Confetti statt (letzte Philosophiewerkstatt vor der Sommerpause)

PRÄLUDIUM

1. Der Tag war bewölkt, regnerisch, kühl, und dann an einem Samstagabend sich aufzuraffen … aber das Confetti-Gewölbe empfing alle angenehm warm, in einer Mischung aus Atelier, Kleinkunstbühne und Wohnzimmer.

2. Da ich es geschafft hatte, meine Materialien nicht richtig abzuspeichern, waren sie irgendwie weg und es verlief trotzdem sehr spannend ….

3. Nach der üblichen Begrüßung und kurzen Einstimmung auf die gemeinsame Suche nach der Wahrheit haben wir uns zunächst das ‚Soundgemälde‘ angehört, das ich von den Tonaufnahmen der spontanen Wortspielen zum Schluss der letzten Sitzung gemacht hatte. Ich habe dem Stück spontan den Titel Die Wucht der einzelnen Momente gegeben. Es entstand – wie gesagt – zunächst als relativ schlechte Aufnahme von mehreren spontanen Äußerungen im Rahmen der Philosophiewerkstatt vom 12.April 2014. Ich hatte dann einzelne Momente aus diesen Aufnahmen extrahiert (dabei gab es Probleme mit der SW; es funktionierte nicht so wie im Handbuch beschrieben). Stoppte dann auch bald mit dem Extrahieren, da dies eine riesige Aufgabe ist; habe dann mit den Fragmenten herumgespielt, die ich hatte. Auffallend war, wie rhythmisch diese Stimmschnipsel wirkten. Ich habe dann ein Mosaik von solchen Stimmschnipseln erstellt, einzelne Worte oder Wortteile, in Wiederholung, wie in einem Gespräch; das Ganze umrahmt von etwas Orgel (mit viel Hall) und einem Streichbass. Es ist jetzt wie es ist. Wenn man die Personen kennt, die zu den Stimmen gehören, dann sind diese Personen in diesen Stimmen ‚wie sie wirklich sind‘; selbst im Fragment leuchtet das ‚Ganze‘ durch…

5. Die Reaktion auf dieses ‚Klangbild‘ war überraschend positiv.

SEXUALITÄT ALS SUBJEKTIVES PHÄNOMEN

Vom 'Bewusstsein' zu 'Modellen', die helfen, die Einzelphänomene zu deuten
Vom ‚Bewusstsein‘ zu ‚Modellen‘, die helfen, die Einzelphänomene zu deuten

6. Entsprechend der aktuellen Diskussion benutze ich das Schema Bewusstsein – Nichtbewusstsein (mit individuellem Unterbewusstsein) als roten Faden bei der Analyse des Phänomens ‚Sexualität‘.

7. Der primäre Ausgangspunkt für alle Menschen ist ihr eigenes subjektives Erleben, ihr individuelles Bewusstsein, mit dem sie sich als Kind und junger Mensch vorfinden, das sich im Laufe des Lebens weiterentwickeln kann. Zum Einstieg sprachen wir kurz über das folgende Bild, das ich für einen früheren Blogeintrag mal entwickelt hatte.

Augen der Begierde 1
Augen der Begierde 1

8. Im subjektiven Erleben zeigt sich neben vielem anderen auch die ‚Sexualität‘ in verschiedenen Gefühlsäußerungen, Spannungen, Erregungen, Ekstasen, Abfall von Erregungen, …. ein breites Spektrum. Das Ganze aber eingeflochten in die unterschiedlichen individuellen Situationsgeflechte, mit anderen Menschen. Diese anderen Menschen können nah – fern sein, können freundlich – unfreundlich – gewalttätig sein, anerkennend oder verachtend, liebevoll oder gemein, kalt; zustimmend oder ablehnend; positiv oder negativ Angst machend. Die individuelle Sexualität wird also immer verflochten sein mit all diesem und so wird jeder sein individuelles Bild haben.

9. Solange man im individuellen Erleben verharrt, erlebt man zwar all dieses, aber oft, meistens, wird man nicht verstehen, warum dies so passiert. Warum hat man diese Bedürfnisse, Spannungen, Erregungen, usw.? Warum hat man sie so? Muss das so sein? Auch wenn man nicht will, können sexuell bezogene Bwusstseinszustände auftreten, eintreten, stattfinden; sie haben eine gewisse ‚Autonomie‘ unserem Wollen gegenüber; sie sind unserer Subjektivität gegenüber ein ‚Etwas‘, oder ein ‚Es‘, wie Freud es mal sagte. Es ist zwar ‚Teil von uns‘, aber aus Sicht des individuellen Erlebens ist es ’selbständig‘, ‚fremd‘, kann ‚bedrohlich‘ wirken, wenn man es nicht ‚im Einklang mt geltenden gesellschaftlichen Normen‘ auflösen kann; es kann punktuell schön und berauschend wirken, wenn es gelingt.

10. Eine Teilnehmerin M.S-J. zeigte ein weiteres Bild, das sie zum Thema Sexualität gemalt hatte und wir sprachen darüber.

SOZIALE ROLLEN, DEUTUNGEN, NORMEN

11. Solange es keine moderne empirische Wissenschaft gab, waren die Menschen dem Phänomen ausgeliefert, so wie einem ‚Naturereignis‘, einer ‚Naturgewalt‘, und sie haben von Anfang an versucht, sich mit dem Phänomen zu arrangieren. In allen Kulturen, zu allen Zeiten finden sich ‚Rollenzuweisungen‘, was eine Frau bzw. was ein Mann zu tun hat, Verhaltensregeln in sozialen Gruppen mit z.T. drastischen Sanktionen, wenn man die Regeln nicht einhält. Von Anfang an gab es neben den ’schönen‘ Aspekten von Sexualität immer auch viel Aggressivität und Gewalt von Seiten der Männer gegenüber Frauen.

12. In den beiden Blogbeiträgen SEXARBEITERiNNEN – SIND WIR WEITER? und SEXARBEITERiNNEN – Teil 2 – GESCHICHTE UND GEGENWART habe ich von einigen Beispielen aus der Gegenwart und er Geschichte berichtet; Auffällig ist, dass die Verbindung von Sexualität und Gewalt von Männern gegenüber Frauen dominant ist. Hier nur zur Erinnerung: Aus dem ersten Weltkrieg gibt es Berichte, dass Zwangsprostitution im großen Stil durch die Regierung eingeführt werden musste, um die Gesundheit, Kampfkraft und Moral der Soldaten zu erhalten. Aus dem zweiten Weltkrieg und aus vielen lokalen Kriegen wird dies ebenfalls berichtet. Vergewaltigungen gehören fast überall dazu. Selbst in den deutschen KZs wurden Bordelle eingerichtet, um die Arbeitsleistung zu steigern, und die Frauen, die darin arbeiten mussten, waren KZ-Insassinnen gewesen, die dazu zwangsverpflichtet worden sind. Nach offiziellen Zahlen des US-Militärs kam es allein im Jahr 2010 zu rund 20.000 Vergewaltigungen von Soldatinnen innerhalb des US-Militärs. Schätzungen gehen von eine viel höheren Dunkelziffer aus,da das Militär sein eigener Richter ist, d.h. die Täter sind hier z.T. die Richter. Das ZDF berichtete im Rahmen einer Heute-Sendung (siehe: Vergewaltigungen in Kenia (im Rahmen des Oberthemas ‘Gewalt gegen Frauen’) von Kenia, wonach jede dritte Frau in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt worden ist. Im Rahmen der großen europäischen Auswanderungswelle in der Zeit 1850 – 1930 nach Süd- und Nordamerika (65 Millionen Europäer) wurden viele junge Frauen gegen ihren Willen über entsprechende Schlepperbanden in die Bordelle Südamerikas (besonders in Buenos Aires) vermittelt; der größte Anteil sind junge jüdische Frauen, weil deren Situation in den osteuropäischen Ländern und Russland aufgrund von Diskriminierung und wirtschaftlicher Not katastrophal war. Das Schema einer Verschleppung von jungen Frauen durch Vorspielung falscher Tatsachen, findet sich heute in Europa, insbesondere Deutschland, wieder. Viele zehntausend junge Frauen werden aus anderen Ländern unter Vortäuschung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt und dort zur Zwangsprostitution vermittelt. Während junge Frauen in Thailand aus freien Stücken in Bordellen arbeiten können (als einem Beruf neben anderen), sind die Frauen in Bangladesch aufgrund ihrer gesellschaftlichen Lage dazu quasi verurteilt. Sie haben praktisch keine andere Wahl. usw.

13. Interessant wäre hier eine ausführlich Analyse der verschiedenen Deutungen und Normensysteme, mit denen Gesellschaften auf das Phänomen Sexualität reagiert haben, speziell auch die Religionen wie Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam. Eine ‚Erklärung‘ hat keine der großen Religionen geliefert (was ihnen zu ihren Zeiten auch nicht möglich war). Sie haben letztlich das Phänomen ‚benannt‘ und sie haben es mit ‚Bewertungen‘ versehen und einigen ‚Verhaltensregeln‘. Die Grundrichtung geht dahin, Sexualität als Bedürfnis, Trieb und sexuelle Handlungen möglichst zu ‚kanalisieren‘: Ausübung nur in einer gesellschaftlich regulierten Form des Zusammenlebens (‚Ehe‘) mit minimalen Pflichten der Beteiligten bei eindeutiger Bevorzugung des Mannes und Benachteiligung der Frauen (entsprechend den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen). Ausübung von Sexualität außerhalb der ‚regulierten Verhältnisse‘ wurde stark negativ gesehen und wurde massiv sanktioniert (schwere Sünde, Ausschluss aus der Gemeinschaft, bis hin zu Steinigung und Todesstrafe). Andere Formen der Sexualität als zwischen Mann und Frau wurden grundsätzlich als widernatürlich ausgeschlossen. Die Radikalität dieser Verhaltensregeln kann man eventuell als Gradmesser sehen für die ‚Stärke des Sexualtriebs‘, zumindest in der Wahrnehmung dieser alten Gesellschaften. Auffällig ist aber die Asymmetrie in der Bewertung und Sanktionierung. Bei Übertretungen wird in der Regel weniger der Mann als Täter bestraft, sondern die Frau als ‚Auslöser‘ für die Tat des Mannes. Diese Tradition findet heute in vielen islamischen Ländern noch ihre Fortsetzung in der frauenfeindlichen Tradition, dass nicht die Männer bestraft werden, wenn sie Frauen vergewaltigt haben, sondern die Frauen werden geächtet und ausgeschlossen oder gar zusätzlich bestraft (Afghanistan, Bangladesch, Indien, Irak, …). Eine Verantwortung der Männer wird quasi von vornherein ausgeschlossen.

WISSENSCHAFTLICHE REKONSTRUKTION

14. Seit dem Aufkommen der modernen empirischen Wissenschaften, insbesondere seit den großen Fortschritten in der Physik, Chemie, Molekularbiologie, Biologie, Neurowissenschaften und Psychologie – um nur die wichtigsten zu nennen – wurde es möglich, die Frage nach dem Woher, Wie und Warum des subjektiven Erlebens mehr und mehr aufzuhellen. Zwar gibt es noch genügend viele ungeklärte Fragen, was aber die Sexualität angeht, so konnte man dort vieles klären (siehe auch den Blogbeitrag BEWUSSTSEIN – NICHTBEWUSSTSEIN AM BEISPIEL VON SEXUALITÄT UND GESCHLECHT). So wissen wir seit den letzten ca. 50 Jahren (! Leben gibt es seit mindestens ca. 3.8 Milliarden Jahren auf der Erde!), dass es das menschliche Genom ist, ein Molekül, das als Informationsspeicher die Anleitung für die Konstruktion möglicher Körper liefert. Diese Körper haben Strukturen, zu denen geschlechtsspezifische Sexualorgane gehören, die über das Gehirn gesteuert werden. Das Gehirn wiederum reagiert auf Körperzustände und auf Signale aus der Außenwelt und kann dadurch unterschiedliche Erregungszustände im Körper und dann auch im Bewusstsein auslösen. Dies geschieht ‚automatisch‘.

15. Die Wissenschaft weiß mittlerweile, dass der einzelne durch sein Verhalten und sein ‚Denken‘ auf diese körperbedingten Abläufe bis zum gewissen Grad einwirken kann, das genaue Ausmaß, die Stärke dieser Einwirkung, und die möglichen Randbedingungen sind noch nicht endgültig geklärt.

16. Was die Wissenschaft aber klären konnte, ist, dass der Weg vom Informationsspeicher Genom bis zum endgültigen Körper mit seinem Gehirn sehr komplex ist und die Ausformung von geschlechtsspezifischen Organen und das zugehörige Verhalten nicht vollständig deterministisch ist. Zunächst gilt, dass die männlichen geschlechtsspezifischen Merkmal die sind, die im Nachhinein (!) eingeführt werden. Das sogenannte ‚Weibliche‘ ist der normale Grundzustand, und dieser wird bedingt durch die Steuerung durch spezielle Hormone (= Moleküle) geringfügig abgeändert, so dass dann die männlichen Sexualorgane und die spezifischen männlichen Gehirnstrukturen entstehen. Kommt es bei diesem Prozess zu Störungen (die bei solchen komplexen Prozessen unausweichlich sind), dann können diese sehr vielfältig sein (zwar sind die Sexualorgane vielleicht da, aber die Gehirnstrukturen stimmen nicht oder sie sind zwar da aber die steuernden Hormone funktionieren anders oder oder oder).

17. Für Menschen, die sich selbst und die Umwelt zunächst über ihr individuelles Erleben kennen lernen, können solche ‚Störungen‘ erheblich irritierend sein; speziell dann, wenn die Umgebung darauf negativ, ausgrenzend, verächtlich, aggressiv reagiert. Der/ die Betreffende kann ja nichts dafür, das der biologische Entwicklungsprozess bei ihm ‚kreativ‘ war. Die moderne Medizin kann solche Entwicklungsvariationen immer besser erkennen und kann z.T. durch chirurgische eingriffe oder durch entsprechende Hormonpräparate hier ‚gestaltend‘ eingreifen. Nur, solche wissenschaftliche ‚Gestaltungsmöglichkeiten‘ nützen dem einzelnen nur dann etwas, wenn die ‚Öffentlichkeit‘, d.h. alle anderen Mitmenschen, sich klar machen, dass Abweichungen von der statistischen Mehrheit nichts ‚Böses‘ sind, sondern Variationen unserer biologischen Struktur, die systemimmanent sind.

18. Bezüglich der heute immer mehr um sich greifenden Verhaltensweise von ‚gleichgeschlechtlichen‘ Partnerschaften konnte die Wissenschaft zwar einerseits feststellen, dass sich bei solche Menschen Änderungen in der Biochemie der Gehirne finden, man konnte aber nicht eindeutig klären, ob dies nun von den Genen her ‚erzwungen‘ ist oder ob diese Veränderungen schlicht und einfach durch ein verändertes Verhalten induziert wurden.

19. Sollten die neuesten Erkenntnisse einer verhaltensinduzierten Variabilität stimmen, wirft dies ein zusätzliches Licht auf die menschliche Sexualität: sie ist nicht nur im Rahmen der Embryogenese und Ontogenese genetisch gerichtet, sondern sie ist auch verhaltens- (und damit umwelt-) bedingt modifizierbar.

20. Befreit man sich von den unsachlichen Denkverboten der alten Religionen, dann kann man diese Sachverhalte auch so deuten, dass es ein Stück unsere ‚Verantwortung‘ ist, immer wieder neu zu klären, wie wir als Menschheit in der Zukunft leben wollen bzw. sollten. Seit hundert Jahren verzeichnet die menschliche Gesellschaft Veränderungen in der Lebensform, die es so vorher noch nie gegeben hat. viele der biologisch vorprogrammierten Verhaltensweisen (einschliesslich der Sexualität) passen immer schlechter oder sind sogar störend und gefährlich. D.h. der Gang der Dinge erzwingt von uns Kurskorrekturen, Anpassungen. Darüber muss man offen reden, müssen wir uns Austauschen. es geht nicht um irgendwelche ‚Lust‘, es geht um das gemeinsame Leben in einer möglichst gemeinsamen Zukunft.

PHILOSOPHISCHES UND THEOLOGISCHES

21. Neben der Perspektive des individuellen Erlebens in einem individuellen (alternden, durch Verletzungen oder genetisch bedingt verändertem) Körper und der sozialen Dimension des Miteinanders durch Rollenzuweisungen gibt es auch noch die evolutionäre Dimension des ‚Werdens‘ des Lebens auf der Erde.

22. Der Kern des evolutionären Prozesses besteht aus dem Wechselspiel zwischen den Informationsspeichern und den daraus resultierenden Körpern. Die Veränderung der Informationsspeicher geschieht in der Regel über Austauschprozesse, wobei es natürlicherweise zu ‚Veränderungen‘ (‚Mutationen‘) kommt. Dieser Veränderungsprozess ist lokal und als solcher ‚blind‘ für den Kontext und eine mögliche Zukunft. Es ist wie ein gigantischer Würfelprozess, bei dem ein Teil der resultierenden Körper ganz gut ‚zurecht kommt‘, ein kleiner Teil ‚weniger gut‘ bis ‚gar nicht‘, und ein anderer kleiner Teil ‚gut‘ bis ’sehr gut‘. Auf diese Weise hat es ca. 3.8 Mrd Jahre von den ersten biologischen Zellen bis zum homo sapiens sapiens gebraucht.

23. Zwar kann man praktisch bei allen Tieren irgendwelche Formen von Intelligenz konstatieren, aber nur beim homo sapiens sapiens können wir bislang solche Formen von Intelligenz feststellen, die zu komplexen Theorien geführt haben, mit Hilfe von Theorien zu Technologien und komplex organisierten Regelsystemen, Abläufen und Megastädten.
24. Die auffälligste Errungenschaft aber ist, dass der homo sapiens sapiens durch seine geistigen Fähigkeiten in der Lage ist, seinen eigenen Körper, seine eigene Herkunft bis auf die Ebene der Moleküle und Atome so zu rekonstruieren, dass er (als Population) in der Lage ist, das ‚blinde Würfeln der Gene‘ mit Hilfe seiner theoretischen Fähigkeiten aktiv zu verändern und damit evtl. zu ‚beschleunigen‘.

25. Dies bedeutet, die ‚belebte Natur‘ in Form des biologischen Lebens auf der Erde hat sich selbst kontinuierlich so ‚umgebaut‘, dass sie jetzt ihre eigene Entstehung ‚lenken‘ kann. Ein ungeheuerlicher Vorgang. Nach insgesamt 13.8 Mrd Jahren seit dem ‚Big Bang‘ hat die Materie des Universums im homo sapiens sapiens eine ‚Form‘, eine ‚Gestalt‘ angenommen, die die Materie in die Lage versetzt, ’sich selbst‘ anzuschauen und ’sich selbst‘ bis zu einem gewissen Grad zu ‚manipulieren‘ (Schimmert hier nicht etwas durch, was wir eher ‚Geist‘ nennen sollen anstatt ‚Materie‘?).

26. Sollte jemand an ‚Gott‘ glauben, dann wird es spätestens jetzt Zeit, sich klar zu machen, dass dies bedeutet, dass dieser ‚Gott‘ ihn auf diese Weise unmittelbar auffordert, am weiteren Gang der Dinge mit zu wirken. In Gestalt des homo sapiens sapiens beginnt das Universum ’sich selbst‘ anzuschauen und versetzt den homo sapiens sapiens in die Lage, ansatzweise am weiteren Gang der Dinge mit zu wirken.

27. Bedenkt man, wie dieser homo sapiens sapiens gerade dabei ist, die Ressourcen dieser Erde nachhaltig zu zerstören, sozusagen seine eigene Lebensgrundlage, und bedenkt man, dass dieser homo sapiens sapiens noch immer ganz schnell bereit ist, andere Menschen zu Feinden zu erklären, dass er statt zu Kooperationen zu Konfrontationen neigt, dass er statt Wahrheit zu kultivieren, sich mit Fantasiegeschichten über die Welt abspeist, dass er statt sich im internationalen Miteinander wechselseitig zu stärken, dazu neigt, die aktuell Schwächeren brutal auszubeuten, usw. … bedenkt man dies alles, dann erscheint es einem auf den ersten Blick grotesk, dass dieser unfähige wilde Geselle homo sapiens sapiens ernsthaft an der substantiellen Gestalt dieses Universums mitwirken soll.

28. Fakt ist, dass der Gesamtprozess genau diese Dramaturgie bietet: der homo sapiens sapiens, also auch wir, wurden in die Lage versetzt, substantiell einzugreifen (was keiner wollte, es liegt im Prozess!) und es sind nicht unsere aktuellen ‚Idiotien‘, die uns daran hindern werden, sondern es ist das ungeheuerliche Potential des Universums, was uns in eine Richtung ‚drückt‘, in der wir die ‚Schatten der Vergangenheit‘ ablegen müssen und von dem egoistischen Hordendenken zu einer globalen Ethik finden müssen, zu einer globalen Gesellschaft, mit einem ‚fortgeschritteneren Körper‘, ermöglicht durch eine weiter entwickelten Genetik.

29. Neben den vielen Hausaufgaben, die dabei zu lösen sind, gibt es eine, die zentral und maximal schwierig ist: woher wollen wir besser wissen als die ‚würfelnden‘ Gene, in welche Richtung die Reise gehen soll?

NACHBEMERKUNG

Dieser kurze Bericht gibt nicht alle Aspekte wieder, die wir diskutiert haben, aber er kann einen groben Eindruck vermitteln, worüber wir gesprochen haben.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER

BEWUSSTSEIN – NICHTBEWUSSTSEIN AM BEISPIEL VON SEXUALITÄT UND GESCHLECHT

Letzte Änderung: 10.Mai 2014 (Links zu den vorausgehenden Beiträgen)

Genetische Informationen beeinflussen die Strukturbildung des Körpers und geschlechterspezifische Hormone beinflussen über Neuronen spezifische Verhaltenskomplexe (bis hin zur Änderung chromosomaler Strukturen)
Genetische Informationen beeinflussen die Strukturbildung des Körpers und geschlechterspezifische Hormone beinflussen über Neuronen spezifische Verhaltenskomplexe (bis hin zur Änderung chromosomaler Strukturen)

1. Im Kontext der aktuellen Diskussion zum Thema Bewusstsein – Nichtbewusstsein (siehe den letzten Beitrag hier) in diesem Blog deutet sich an, dass das Bewusstsein nicht nur nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Vorgänge im Körper repräsentiert, sondern zusätzlich geht in die Repräsentation eine spezifische ‚Formatierung‘ ein, die sich so direkt in den auslösenden Ereignissen nicht finden muss.

2. Zu den vielfältigen Phänomenen, die im Bewusstsein aufschlagen, gehören auch Phänomene im Umfeld der Sexualität und der verschiedenen Geschlechter.

3. Wie die verschiedenen Begriffe in der Liste der Kategorien verraten (Sexualität, Sexualbeziehung, SexualarbeiterIn, usw.), gab es in diesem Blog schon öfters Einträge zu diesem Thema (SEXUALITÄT GESTERN, MORGEN, UND, SEXARBEITERiNNEN – SIND WIR WEITER?, (SEXARBEITERiNNEN – Teil 2 – GESCHICHTE UND GEGENWART). Diese Beiträge behandelten grob einzelne Aspekte, z.B. wie sich Sexualität manifestiert und viele Formen (gegenwärtig und vergangen), in denen Sexualität verknüpft ist mit Gewalt gegen Frauen. Dies ist fragmentarisch und bedürfte mannigfaltiger Ergänzungen. Hier soll nun jener Aspekt angesprochen werden, bei dem es um die genetischen und neuronalen Grundlagen der Sexualität und des Geschlechts geht.

4. Zu ‚erleben‘, dass man ’sexuell angeregt‘ ist, ’sexuelle Lust‘ verspürt, man ’sexuell befriedigt‘ ist – um nur einige Aspekte zu nennen – ist eines; ein anderes ist es, zu klären, warum dies überhaupt so ist: Woher kommt das? Warum hat man überhaupt diese Erlebnisse? Verändert sich dies? Haben andere das genauso? Usw.

5. In der Vergangenheit habe ich oft heutige Neurowissenschaftler kritisiert für ihre vielfache methodische Sorglosigkeiten oder für schlechte Artikel selbst in angesehensten wissenschaftlichen Journalen; dazu stehe ich, gleichzeitig habe ich aber auch kein Problem, anzuerkennen, dass die Neurowissenschaften uns – analog wie z.B. die Physik, die Chemie, die Molekularbiologie, die evolutionäre Biologie – in einer neuen Weise Einblicke in die Grundlagen unseres Fühlens und Denkens verschafft haben, die vorher undenkbar erschienen und die unser Bild von uns selbst (und anderen Lebewesen) nachhaltig verändert haben (sofern wir uns auf diese Erkenntnisse einlassen).

6. Im Rahmen der Überlegungen zum Bewusstsein-Nichtbewusstsein angewendet auf die Phänomene im Umfeld von ‚Sexualität‘ und ‚Geschlecht‘ liefert uns die Neurowissenschaft eine Menge interessanter Eckwerte.

7. Heute morgen habe ich in meinen Bücherschrank gegriffen und spontan 8 (Hand-)Bücher aus den Regalen geholt (siehe unten), die alle zur Neurowissenschaft zu rechnen sind (oder als ‚Physiologische Psychologie‘ zumindest sehr nahe benachbart sind). Sie stammen aus dem Zeitraum 1994 – 2012. Bis auf Gazzaniga (2009) und Baars (2010) behandeln alle das Thema ‚Sexualität‘ und ‚Geschlecht‘.

8. Sehr gut lesbar und recht ausführlich ist der Beitrag ‚Sexual Differentiation of the Nervous System‘ von Shah, N.M.; Jessel, T.M.; Sanes, J.R. in Kandell et al. (2012), Kap.56. Sieht man davon ab, dass im Beitrag selbst nicht direkt zitiert wird und die methodischen Fragen unerwähnt bleiben, kann man dem Beitrag aber die Argumentation entnehmen, dass die Gene der Chromosomen zunächst einmal im Rahmen der Embryogenese die Strukturbildung des Körpers beeinflussen (z.B. Ausbildung von Geschlechtsorganen, Ausbildung spezifischer Gehirnstrukturen). Die Steuerung übernehmen dabei spezifische Hormone. Liegen die Strukturen dann vor, steuern die gleichen oder ähnliche Hormone über die Rezeptoren von Neuronen spezifische neuronale Muster, die für bestimmte Verhaltensmuster (sexuelle Erregungszustände, Balzverhalten, Aggression (gegen Konkurrenten), sexuelle Vereinigung, Brutpflege, usw.) verantwortlich sind.

9. Das komplexe Wechselspiel von Strukturen, Hormonen (mit z.T. komplexen Transformationsketten), und passenden Rezeptoren, bietet allerlei Angriffspunkte für ‚Störungen‘, so dass ein Kind zunächst äußerlich z.B. männliche Geschlechtsorgane aufweist, es in seinem hormonellen Systemen darin aber nicht unterstützt wird. Während diese Prozesse heute physiologisch nachvollzogen (und z.T. durch geeignete medizinische Eingriffe ‚korrigiert‘) werden können, ist dies alles für die ’subjektive Erlebnisseite‘, für den/ die Betroffene(n) nicht direkt einsichtig. Er/ Sie empfängt Körpersignale, die mit dem Verhalten anderer Menschen nicht so recht zu korrelieren scheinen.

10. Ferner werden manche hormonellen Prozesse über die Wahrnehmung gesteuert (Milchproduktion bei Müttern aufgrund des Saugreizes). Die sensorischen Signale triggern die Produktion bestimmter Hormone, die wiederum Neuronen aktivieren, die dann zu einem bestimmten Verhalten führen (können). Zusätzlich wurde beobachtet, dass frühkindliche sensorische Erfahrungen (‚Stress‘ oder ‚umsorgt‘ sein) auch soweit in bestimmte Chromosomen hineinwirken können, dass diese sich auf das Verhalten auswirken.

11. Aufgrund der Komplexität des menschlichen Gehirns und des menschlichen Verhaltens samt den vielfältigen Wechsel- und Rückwirkungen ist es aber bei sehr vielen Verhaltensmustern noch nicht eindeutig, ob diese genetisch bedingt sind oder aufgrund des sozialen Umfelds. Dies betrifft insbesondere die vielfältigen Formen von gleichgeschlechtlicher Sexualität. Zwar konnte man nachweisen, dass das Rezeptorverhalten mancher Aktivitäten sich bei Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen sich so geändert hat, dass Männer das Rezeptorverhalten von Frauen zeigen und Frauen das Rezeptorverhalten von Männern, aber es ist bislang nicht auszuschließen, dass diese Änderungen allein durch das Verhalten zustande kamen.

12. Soweit meine recht grobe Zusammenfassung. Für Details sollte jeder den Beitrag selber nachlesen. Aus philosophischer Sicht kommt es hier auch nicht auf die molekularbiologischen Details an, sondern auf die allgemeine Struktur, die sich hier zeigt: auch im Falle der für Lebewesen zentralen Sexualität gründet sich unser Erleben und Verhalten auf konkreten neuronalen Schaltkreisen, die mittels Hormonen getriggert werden, und zwar so, dass damit nicht nur ‚Verhalten‘ gesteuert wird, sondern auch die genetischen Grundlagen selbst können selbstreferentiell modifiziert werden.

13. Für das Selbstverständnis von uns Menschen, die wir uns im Alltag an unserer Bewusstseinserfahrung und dem beobachtbaren Verhalten orientieren, kann dies zu Irritationen und Unmenschlichkeiten im Miteinander führen, wenn Menschen aufgrund einer abweichenden genetischen – hormonellen – neuronalen Struktur anders empfinden und sich anders verhalten. In der Geschichte hat dies real zu ‚Verteuflungen‘, ‚Verurteilungen‘, ‚Unterdrückung‘, ‚Ausgrenzungen‘ und ‚Verfolgungen‘ usw. geführt. Religiöse Traditionen haben hier genauso versagt wie andere Spielarten von Moral oder Ethik. Und auch heute ist die Verurteilung und Unterdrückung von ‚Homosexualität‘ (z.B. Rußland) offizielles Recht.

14. Während man konkrete Menschen, die aufgrund ihrer genetischen – hormonellen – neuronalen Strukturen anders erleben und sich verhalten als der ’statistische Durchschnitt‘, grundsätzlich als Menschen achten und sie unterstützen sollte, muss man davon die Frage unterscheiden, wie eine Gesellschaft offiziell mit den vorliegenden genetischen und körperlichen Strukturen der Menschheit auf Zukunft hin umgehen will. Auch wenn wir JEDEN AKTUELL LEBENDEN Menschen als Mitglied der Gattung homo sapiens sapiens achten sollten, müssen wir uns als Menschen die Frage stellen, (i) welche unserer ‚Bilder von uns selbst‘ denn noch ‚angemessen‘ sind und (ii) in welche Richtung denn die Entwicklung wohl geht bzw. ‚gehen sollte‘?

15. Die Menschenbilder, die uns die großen bekannten Religionen (Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam) anbieten, sind nach meinem Verständnis vielfach zu überarbeiten. Die impliziten Menschenbilder der modernen Demokratien gehen in vielen Punkten deutlich über die Menschenbilder der Religionen hinaus, sind aber auch durch den Gang der Erkenntnis partiell überholt. Es wird nicht reichen, einfach nur das ‚Gewohnte‘ zu wiederholen.

16. ‚Sexualität‘ und darum herum aufbauend ‚Geschlecht‘ repräsentiert konkrete Prozesse (die anfällig für Störungen sind), die evolutionär geworden sind, die einem bestimmten Zweck dienten, und die im Heute neu hinterfragt werden könnten und müssten. Vieles von dem ‚Mann-Frau-Gerede‘ klebt am ‚Phänomen‘ und hilft wenig, ein wirkliches Verständnis der wirkenden Prozesse zu vermitteln.

QUELLEN

Buecher vom 12.April 2014 zum Thema genetisch-neuronale Grundlagen der Sexualität
Buecher vom 12.April 2014 zum Thema genetisch-neuronale Grundlagen der Sexualität
  1. Arbib, M.a. et.al (eds) The Handbook of Brain Theory and Neural Networks, Cambridge (MA): Bradford Book, 2003 (2nd ed.), S.680f, Motivation
  2. Baars, J.B.; Gage, N.M. Cognition, Brain, and Consciousness. Introduction to Cognitive Neuroscience, 2nd.ed., Amsterdam et: Elsevier, 2010
  3. Carlson, N.R., Physiologische Psychologie, München – Boston – San Francisco et.al:Pearson Studium, 2004 (8.Aufl.), Kap.10, Sexuelles Verhalten
  4. Gazzaniga, M. S. (Ed.), The Cognitive Neurosciences, London – Cambridge (MA): The MIT Press, 2009 (4th ed.), ‚motivation‘ als ‚Vermeidung‘ (116), als emotionale Reaktion Kap.61, Kap.11 beim Transfer-Lernen, Kap.70 bei Entscheidungsfindung
  5. Gazzaniga, M. S. (Ed.), The Cognitive Neurosciences, London – Cambridge (MA): The MIT Press, 1995, Kap.69-77, Kap.80
  6. Kandel, E.R.; Schwartz, J.H.; Jessell, T.M.; Siegelbaum, S.A.; Hudspeth, A.J.; (Eds.) Principles of Neural Science, 5th.ed., New York et.al: McGrawHill, 2012, Kap.3: Gene und Verhalten, Kap.22: Sensorik und Verarbeitung, Kap.58: Sexuelle Differenzierung des Nervensystems
  7. Nelson, C.A.; Luciana, M. (eds.), Handbook of Developmental Cognitive Neuroscience, Cambridge (MA) – London (Engl.): MIT Press, 2008 (2nd. ed.), S.394f Störungen während der Gehirnentwicklung und deren Folgen
  8. Shepherd, G.M., Neurobiology, 3rd.Ed, New York – Oxford: Oxford University Press, 1994, (ISBN-10: 0195088433, ISBN-13: 978-0195088434), Kap.24 ‚Mating‘

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

SEXARBEITERiNNEN – Teil 2 – GESCHICHTE UND GEGENWART

Erste Version: 25.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 29.Nov.2013
Letzter Nachtrag: 19.März 2014

RÜCKBLICK

Dieser Beitrag ist eine Fortsetzung zum vorausgehenden Beitrag SEXARBEITERiINNEN – SIND WIR WEITER? und einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und …. Im früheren Artikel hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann. Im letzten Beitrag — angeregt durch allerlei Zeitungsartikel und Talkshows, ein Buch sowie einigen Gesprächen — hatte ich versucht, das Thema noch weiter herunter zu brechen. Befriedigend war das noch nicht. Habe jetzt aber das schon zuvor erwähnte Buch von Irene Stratenwerth zu Ende gelesen und wollte diese Eindrücke noch einbeziehen.

SEXUALITÄT, ROLLEN

Das Grundthema der biologischen Sexualität, das sich in den genetisch determinierten Ausprägungen von ‚Mann‘ und ‚Frau‘ bzw. in ‚Mischformen‘ phänomenal Ausdruck verleiht, liefert ein Leitmotiv durch alle Zeiten, das als solches, nach meinem Eindruck, immer noch unterschätzt wird. Entsprechend den jeweiligen historischen Gegebenheiten haben alle menschlichen Gesellschaften versucht, um den ‚Mann‘ herum, um die ‚Frau‘ herum, auch um ‚alternative Geschlechter‘ herum, im Zusammenleben, ‚Rollen‘ zu vereinbaren, wie man sich als ‚Mann‘ und ‚Frau‘ oder als ‚etwas anderes‘ in bestimmten ‚Situationen‘ zu verhalten hat. Das war einerseits hilfreich — sofern alle Beteiligten diese Rollenvereinbarungen teilten –, da jeder wusste, was er tun konnte und was nicht; es war aber auch eine Reglementierung, die als ‚Festlegung‘ und damit ‚Eingrenzung‘ verstanden werden konnte, die die menschliche Freiheit und die Situation als ganze unnötig einschränkt. Je nachdem, welche Vorteile die einzelnen aus diesen Vereinbarungen ziehen konnten, und je nachdem, mit welchen Sanktionen Rollenverletzungen belegt waren, wurden diese Vereinbarungen mehr oder weniger eingehalten oder gebrochen. Die Geschichte dieser Rollenzuordnungen legt den Eindruck nahe, dass die Rollenzuordnungen für die Frauen auffällig stark mit Unterordnung, Gewalt und Leid verknüpft war und heute in vielen Ländern dieser Erde immer noch ist.

WIRTSCHAFTLICHE SITUATION

Allerdings ist das Thema Sexualität (Mann, Frau und Anderes) niemals isoliert, sondern immer eingebettet in umfassendere soziale, ökonomische Situationen. Es ging und geht immer auch um Ernährung, Wohnen, Kleidung, Arbeit, Ausbildung usw. Und in Zeiten des Ressourcenmangels stand und steht das nackte Überleben im Vordergrund.

MIGRATION IN DER GESCHICHTE

Wirtschaftliche Not war immer auch eine Haupttriebfeder für Wanderungsbewegungen (Migration) bzw. kriegerische Aktivitäten, um zusätzliche Ressourcen zu erobern. Aus dem Blickwinkel des homo sapiens, also von ‚uns‘, waren es die dramatischen Klimaänderungen in Teilen Afrikas, die in der Zeit 125.000 – 60.000 Jahren BC zu größeren Migrationsbewegungen geführt haben, wobei man den erfolgreichen Hauptschub um 60.000 BC verortet (vgl. Out-of-Africa Hypothese.) Es waren diese Wanderungsbewegungen, denen alle heutigen Menschen ihre Existenz verdanken. Diesen Wanderungsbewegungen folgten in der Geschichte viele andere. Daraus kann man ableiten, dass die einzige wirkliche Konstante auf der Erde die beständige Veränderung ist (der Plattentektonik, des Klimas, der interstellaren Vorkommnisse, der biologischen Evolution, usw.). Um zu überleben, müssen wir Menschen darauf reagieren. Und es sind in der Regel sehr tüchtig Zeitgenossen, die den Weg in die Ungewissheit suchen. Und es ist nicht zufällig, dass die menschlichen Gesellschaften dahin tendieren, zu versuchen, sich immer mehr von solchen Veränderungen unabhängig zu machen.

Unter dieses Thema fallen auch die sehr umfangreichen Auswanderungen von Europäern in der Zeit von 1815 bis ca. 1930. Laut Stratenwerth waren es 63 Millionen Europäer, die in dieser Zeit Europa verlassen haben, vorwiegend in Richtung Nord und Südamerika.

Anlass war die große Not in den europäischen Ländern. Eine ausführliche wirtschaftliche Analyse fehlt in dem Buch von Stratenwerth; eher exemplarisch wird anhand einzelner Landstriche und Regionen der Eindruck erweckt, dass es zu diesen Zeiten zwar immer mehr Menschen gab, nicht aber zugleich mehr Arbeit und nicht genügend Ernährung. Innerhalb dieses Gesamtszenarios wird hervorgehoben, dass in den meisten Ländern die jüdische Bevölkerung ein besonders schweres Los hatte, da ihnen vieles verboten war: kein normaler Schulbesuch, keine Gründung von Handwerks- oder Industriebetrieben, Ansiedlungsverbote in vielen Gebieten bzw. umgekehrt Zuweisung in bestimmte Viertel, ‚Ghettos‘ genannt. (Im Wikipediaartikel über Ghetto fehlt ein Bericht über die Situation der Juden in Osteuropa in der Zeit 1815 – 1930 vollständig). War die Lage also für jeden schwierig, galt dies natürlich auch für alle Frauen, insbesondere für die jungen Frauen. Irgendeine Arbeit zu finden oder auch einen Mann für eine Familiengründung war schwierig bis unmöglich. Im Falle von Arbeitsverhältnissen ging dies laut dem Buch von Stratenwerth nicht selten einher mit sexueller Abhängigkeit, und das Alter der hier betroffenen jungen Frauen begann bei 14 Jahren!

In dieser Situation war für junge Frauen aus den einfachen Verhältnissen jede Art von Hoffnungen und Versprechungen — so abenteuerlich sie auch von heute aus erscheinen mögen — mit mehr Perspektive verknüpft als die jeweilige Gegenwart. Und die Zahl von 63 Millionen Wanderungsbewegungen generell zeigt, dass dies damals offensichtlich einem gewissen ‚Zeitgeist‘ entsprach. Für eine junge Frau, die ohne Perspektive war, arm, auch ‚zu Hause‘ in sexueller Abhängigkeit, waren die Versprechungen der Arbeit in den Städten zu verlockend, als dass man sie nicht wahrnehmen sollte. Und da laut dem Buch von Stratenwerth überall honorige Herren herumreisten, den armen Familien Geld boten, den jungen Frauen eine Ehe (die ‚love boys‘ von früher) und ein Auskommen, war der Strom junger Frauen, die dann entweder in den großen Bordellen jener Zeit in Europa, vor allem aber in Übersee (Rio de Janeiro, Buenos Aires, New York,…) landeten, sehr groß. Und aufgrund der extremen Benachteiligungen gerade der jüdischen Bevölkerung darf es nicht wundern, dass der Anteil der jüdischen Auswanderer, speziell auch der jungen Frauen hoch war (in Buenos Aires, einer der Bordellhauptstädte der damaligen Welt, waren nach Stratenwerth 1889 – 1913 ca. 4000 jüdische Prostituierte registriert, ca 20 – 30% aller registrierten Prostituierten von Buenos Aires; in der Zeit 1910 – 1923 kommen 20% aller Prostituierten aus Russland und Polen, die meisten mit jüdischer Herkunft; 25% kommen aus Frankreich oder Argentinien, der Rest aus Italien, Spanien und weiteren Ländern (siehe Stratenwerth: S.107).

Nimmt man das Beispiel Buenos Aires, dann sagen laut Stratenwerth die Passagierlisten von Hamburg, für das Jahr 1912 beispielsweise aus, dass zwar 2089 Männer nach Buenos Aires reisten, aber nur 849 junge Frauen zwischen 16 und 23 Jahren (wobei die Papiere vielfach gefälscht sein konnten mit einem höheren als dem tatsächlichen Alter). Etwas mehr als die Hälfte reiste alleine (wobei bei den Verheirateten auch von Scheinehen ausgegangen werden kann). 80% der Frauen waren Jüdinnen (vgl. Stratenwerth:S.101).

Die osteuropäischen Auswanderer, die in Hamburg aufs Schiff gingen, kamen laut Stratenwerth überwiegend per Zug direkt von dem Ort Myslowitz im Dreiländereck Deutsches-Reich, Österreich-Ungarn und Rußland. Dort sollen 1894 ca. 1.800 Auswanderer abgefertigt worden sein, im Jahr 1913 aber ca. 240.000 (vgl. Stratenwerth:S.99). Im Rahmen eines Strafprozesses im Jahr 1914, von dem Stratenwerth berichtet, gab es Hinweise, dass dieser ungeheure Strom von Auswanderer die ganze Stadt auf allen — auch behördlichen — Ebenen zu einer Kooperative vereint hat, wo Geschenke, Schmiergelder, Gefälligkeitshandlungen zum Alltag gehört haben. Dazu gehörte es auch, dass frisch eingeschmuggelte Mädchen mit aufs Zimmer genommen wurden (weitere Details bei Stratenwerth:S.100).

AUSBEUTUNG REAL UND IMAGINIERT

Im Nachhinein und von ‚außen‘ ist es schwer bis unmöglich, zu beurteilen ob und in welchem Ausmaß damals Ausbeutung vorgelegen hat. Es gibt klare Fälle von Misshandlungen, sklavenähnlichen Zuständen, und finanzieller Ausbeutung. Es gibt aber auch Fälle, in denen Frauen über die Prostitution zu erheblichem Wohlstand gekommen sind. Und es gibt Selbstzeugnisse von Frauen, die ihr Leben — im Vergleich zu Alternativen — als positiv darstellen. Offizielle Details gibt es nicht. Im Jahr 1923 beauftragte zwar der Völkerbund eine offizielle Studie zum Mädchenhandel, aber die Hauptuntersucher waren Männer, die sich fast ausschließlich mit männlichen Bordellbesitzern und deren Sehweise beschäftigten. (vgl. Stratenwerth:Kap.14)

In einem Beitrag von Esther Sabelus im Buch von Stratenwerth wird aufgezeigt, wie sich parallel zum Phänomen des Mädchenhandelns sowohl eine ‚Entrüstungsliteratur‘ aufbaut wie auch dann immer mehr auch eine antijüdische Propaganda.

Die Entrüstungsliteratur ist in bürgerlichen Schichten verortet, deren Moralkodex zwar ausreicht, um diese Vorgänge zu verurteilen, aber nicht ausreicht, die tatsächlichen Ursachen zu analysieren und dort Abhilfe zu schaffen, wo es Not täte; denn dann müsste man die eigene Gesellschaftsordnung mit dem herrschenden Rollensystem kritisieren. Soweit reicht die Entrüstung nicht.

Die Propaganda speist sich aus schwelenden Antisemitismen, die immer wieder neue Nahrung für ihre Sehweise suchen. Aus der Beteiligung von Juden am Mädchenhandel wird dann schnell der Jude als Mädchenhändler schlechthin und auch hier wird der jeweilige gesellschaftliche Kontext vollständig ausgeblendet. So funktioniert Ideologie und Propaganda: alles weglassen, was nicht passt.

DEUTSCHLAND – PORNOGRAPHISCHES WUNDERLAND?

Wie Mehmet Ata kürzlich in dem Beitrag „Außer Kontrolle. Das Prostitutionsgesetz von 2002 sollte die Situation der Frauen verbessern. Doch vieles ist seither schlimmer geworden.“ (FAS, 24.Nov.2013, Nr.47, S.4) feststellt, ist die Kontrolle der Prostitution in Deutschland soweit gelockert worden, dass die Behörden seitdem kaum über verlässliche Daten verfügen noch haben sie rechtliche Handhaben, um schärfere Kontrollen durchzuführen, dies, obgleich verschiedene Untersuchungen den Eindruck verstärken, dass Gewalt, Ausbeutung und diverse Formen schwerer Kriminalität das Milieu durchziehen. Wie in den vorausgehenden Abschnitten beschriebenen kommen auch hier wieder 60-80% der jungen Frauen aus dem (meist osteuropäischen) Ausland; viele, weil Ihnen Anwerber falsche Tatsachen vortäuschen, viele mit Erfahrung von Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr.

KEIN RESÜMEE

Vergleicht man die heutigen Erfahrungen mit den vorausgehenden Schilderungen kann man den Eindruck gewinnen, dass sich nicht viel geändert hat. Der gesellschaftlichen Not und den jugendlichen Hoffnungen auf der einen Seite stehen viele unbefriedigte sexuelle Bedürfnisse gegenüber, und dazwischen gibt es vielfältigste Organsationsformen, die versuchen ihren Gewinn daraus zu machen, beides an einem Ort und einer Zeit zusammen zu bringen. Während wir im Fall ’normaler‘ gewerblicher Tätigkeit Schemata gefunden haben, wie ausgebildet wird, wie zertifiziert wird, wie Qualitätskontrolle stattfindet, wie Arbeitnehmer Rechte haben gegenüber Arbeitgebern und umgekehrt, die Arbeitgeber Pflichten; wie das Finanzamt nahezu jeden (und besonders die ‚Kleinen‘) akribisch zu verfolgen scheint, scheint all dies für den Bereich gewerbliche Sexualität nicht zu gelten. Warum nicht?

Andererseits sollten wir nicht so tun, als ob es nur im Bereich gewerblicher Sexualität Probleme der Ausbeutung gibt. Die Berichte zu erschreckenden Lebens- und Arbeitsverhältnissen in vielen Ländern dieser Welt (auch in Bereichen Deutschlands , wo Leiharbeiter massiv ausgebeutet werden) sind nicht weniger schlimm oder sind sogar schlimmer.

So besonders das Phänomen der Sexualität einerseits hingestellt wird, so ist es doch ein Teilphänomen im Gesamt des Menschen, des Menschenbildes, der Menschenrechte. Und hier stoßen wir auf viele liebgewordene vorherrschende Denkmodelle die nicht notwendigerweise das Letzte und Beste sind, was wir haben bzw. haben sollten. Eine dauerhafte und nachhaltige Entkriminalisierung wird wohl nur gelingen, wenn wir mit uns selbst als Menschen mehr Klarheit, und mehr Einigkeit finden, nicht nur gedacht, sondern auch real, im Alltag.

Ein Song, dazu, oder auch nicht, jedenfalls ein Song; nach der Methode ‚Radically Unplugged‘, kein Plan, kein Üben, keine Absprachen, keine Noten, kein Text, und dann eben doch ein Song: Ach, ooh, 7 Billionen, sollten wir das vergessen?(RUM100%)

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012Einen Überblick zu allen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

NACHTRAG 1
Whores Glory – Ruhm der Huren. Eine Erstausstrahlung am Donnerstag, 28.11. um 23:10 Uhr bei arte.

KURZBESCHREIBUNG VON arte

„Whores‘ Glory“ porträtiert Frauen in Thailand, Bangladesch und Mexiko, die von der Prostitution leben. Ihre Beweggründe sind so unterschiedlich wie ihre Religion und Kultur. Michael Glawogger beobachtet sie bei ihrer Arbeit, lässt sie zu Wort kommen und gibt ihnen so eine individuelle Identität.
Sie leben in Thailand, Bangladesch und Mexiko, und sie leben von der Prostitution. Der Filmemacher Michael Glawogger hat die Frauen bei ihrer Arbeit beobachtet, hat sie zu Wort kommen und ihre Geschichten erzählen lassen und ihnen so eine individuelle Identität gegeben.
Whores‘ Glory“ ist ein filmisches Triptychon zur Prostitution, ein Film über arbeitende Frauen an drei Schauplätzen. Sie sprechen unterschiedliche Sprachen und gehören unterschiedlichen Religionen an. Da sind die jungen, schönen Frauen, die sich im „Fish Tank“ in Bangkok hinter einer Scheibe zur Schau stellen, um dann ihren Freiern ein wenig Glück zu verkaufen. In Bangladesch werden die Prostituierten in ihr Schicksal hineingeboren oder in ein Prostituierten-Ghetto, einen eigenen Stadtteil, verkauft – ein anderes Leben scheint unmöglich. Und in Mexiko ist die Endstation jener Frauen „La Zona de la tolerancia“, ein Ort, an dem sie mit Drogen und Prostitution überleben – eng umschlungen mit Santa Muerta, dem heiligen Tod.
Der Dokumentarfilm gibt jeder Frau ihren eigenen Raum, lässt sie ihre Geschichten erzählen von Sehnsüchten und Hoffnungen, von der Bitterkeit , aber auch von raren Momenten der Freude – ihrer eigenen, aber auch der, für die ihre Freier bezahlen.
Produzent: ZDF
Land: Österreich, Deutschland
Jahr: 2011
Als Live verfügbar: ja
Tonformat: Stereo
Bildformat: HD, 16/9
Version: OmU
Arte+7: 28.11-05.12.2013
Regie:
Michael Glawogger

KURZKOMMENTAR VOM BLOG
Eine Filmdokumentation ist natürlich keine wissenschaftliche Untersuchung, dennoch kann sie, wenn sie gut gemacht ist, Aspekte der Wirklichkeit sichtbar machen, die einigermaßen authentisch sind und die uns etwas vom dem Leben erzählen, das wir alle teilen.
Der Film von Michael Glawogger erweckt den Eindruck, dass das, was man sieht , gut recherchiert und sehr authentisch ist (wobei man natürlich immer bedenken muss, dass das Medium Film den Blick auf die Wirklichkeit stark selektiert und fokussiert).
Mit Blick auf die vorausgehenden Überlegungen im Blog möchte ich hier nur zwei Aspekte herausgreifen: Rolle der Frauen – Rolle der Männer.

Die beiden Extreme im Film mit Blick auf die Frauen sind sicher die Frauen in Bangladesch einerseits und die Frauen in Thailand andererseits.
Für die jungen Frauen in Bangladesch erscheint ihre Tätigkeit als Prostituierte als ‚auswegslos‘: um zu überleben müssen sie ihre Arbeit machen, sind in jeder Hinsicht abhängig vom Ort und dem Umfeld. Ausbrechen erscheint sinnlos, da es keinen anderen Ort gibt, wo sie hingehen könnten. Eine junge Frau sagt es direkt in die Kamera, warum sie als Frau dies alles erleiden muss, womit sie das verdient habe. Ab einem gewissen Alter wird es für diese Frauen dann ‚höllenmäßig‘: am Beispiel einer Frau wurde deutlich, was passiert, wenn die Männer sie nicht mehr wollen: die Vermieterin der Zimmer macht ihr die Hölle heiss, beschimpft sie öffentlich, und droht ihr mit Rausschmiss ins Nichts.
Für die jungen Frauen aus Thailand sieht die Sache anders aus. Sie haben z.T. Männer und Familie, sie könnten im Prinzip andere Berufe lernen und ausüben, aber sie sagen, dass es ihnen zu Hause zu langweilig sei, die Familie den ganzen Tag zu stressig, das soziale Umfeld in einem gutorgansierten Bordell anregender, interessanter; man trifft andere junge Frauen, hat Abwechslung und Spaß; in der Freizeit geht man selber in Bars und zu Männern, die männliche Prostituierte sind. Zugleich praktiziert man religiöse Rituale, deren Sinn sich einem Betrachter nicht so richtig erschließt.

Die Männer kommen in allen Beiträgen mehr oder weniger gleich rüber: man sieht die Männer aus der Perspektive ihrer triebhaften Begierde, die Frauen sind Objekte, mit denen man zwar auch gerne redet, aber nur für die Dauer der ‚Geschäftszeit‘; daneben haben viele (ältere) Männer ihre Frauen, Partnerinnen. Für die jungen Männer erscheint es wie eine Art ‚Ventil‘ für ihren Triebdruck: sie sagen, dass sie täglich zu den Prostituierten gehen, manchen sogar mehr als einmal. Die jungen Leute aus Bangladesch meinten, dass das Prostituiertenviertel ein Segen für die Stadt sei, sonst würden viele andere Frauen unter mehr sexuell motivierter Gewalt leiden müssen.

KZ BORDELLE

ZDFinfo Mi 19.März 2014, 16:30h, System Sonderbau. Zur Geschichte der Bordelle in 10 deutschen KZs

In einer Mischung aus Dokumentation und Live-Interviews mit Zeitzeugen entsteht in Umrissen das Bild der Zwangsprostitution von Frauen in zehn deutschen KZs.

Hintergrund waren die Beschwerden deutscher Rüstungsfirmen über die mangelnde Arbeitsmoral der Häftlinge in den Rüstungsbetrieben. Dies führte dazu, dass Himmler den Plan für ein neues Belohnungssystem erdachte, das mit möglichst wenig Geld die Motivation steigern sollte.

Ab Frühjahr 1943 wurden dann nach und nach ca. 200 Frauen zwangsweise rekrutiert, die in zehn KZs zum Einsatz kamen. Kunden waren die Mithäftlinge.

Das erste Bordell wurde 1942 im KZ Mauthausen in Österreich eingerichtet. Neun weitere folgten, z.B. Juli 1943 in Buchenwald mit 16 Frauen und in Ausschwitz. Erst am Zielort erfuhren die Frauen, für welche Zwangsarbeit sie ausgesucht worden waren

Es wurde eine eigene Baracke eingerichtet, mit Bordellarzt und hohen Hygieneanforderungen. Die Bordellfrauen hatten eine bessere Ernährung, bessere Kleidung und sahen gut aus, hatten Macke up, trugen kurze Hosen und hatten Schuhe mit hohen Absätzen, Haare waren nicht abgeschnitten. Werktags hatten die Frauen tagsüber frei; abends mussten sie zwei Stunden zur Verfügung stehen. 4 Häftlinge pro Stunde. Am Sonntag schon ab 10:00h. Nach den Abrechnungsbögen kommen auf eine Bordellfrau am Sonntag im Durchschnitt 10 Häftlinge. In der Woche kommt eine Frau im Durchschnitt auf 43 Besucher. Die Abläufe der Besuche samt der Stellungen beim Geschlechtsakt sind genau von der SS geregelt. Aufseher kontrollierten regelmäßig durch ein Guckloch, ob die Vorschriften eingehalten werden. Nach jedem Geschlechtsverkehr mussten sich die Frauen ausgiebig waschen. Explizite Empfängnisverhütung gab es allerdings nicht. Bei zwei bekanntgewordenen Fälle von Schwangerschaft im KZ Buchenwald wurden diese zwangsweise beendet. Allerdings waren viele Frauen schon zuvor zwangssterilisiert worden. Für einen Bordellbesuch, der offiziell beantragt und genehmigt werden musste, wurde eine Gebühr 2 Reichsmark erhoben; 0.45 RM bekam die Bordellfrau.

Es scheint, dass überwiegend Häftlinge, die ganz oben in der Hierarchie stehen, das Bordell aufsuchten. Die meisten politischen Gefangenen lehnten einen Bordellbesuch ab. Aus den erhaltenen Zeugnissen muss man schließen, dass die Männer sich kaum bewusst gemacht haben, dass alle Frauen zu dieser Arbeit gezwungen wurden. Eine Interviewte sagte, dass dieses Leben zur Abstumpfung geführt hat bzw. es gab auch Selbstmordversuche. Die Mehrheit der Frauen hat das KZ überlebt, war aber psychisch stark gezeichnet.

Nach dem Krieg wurde die Zwangsprostitution weder von der Bundesregierung noch von der DDR als Zwangsarbeit anerkannt.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.

SEXARBEITERiNNEN – SIND WIR WEITER?

Erste Version: 20.Nov.2013
Letzter Zusatz: 27.Nov.2013

 

1) In einem früheren Beitrag zum Thema Sexualität mit dem Titel Sexualität gestern, morgen, und … hatte ich versucht, einige der Alltagsphänomene im Umfeld des Themas Sexualität einzuordnen in den größeren Kontext der biologischen Evolution. Hatte dort versucht, das Moment der Sexualität als ein — wenngleich sehr starkes — Moment im Kontext der menschlichen Psyche einzuordnen, um deutlich zu machen, dass der Versuch seiner ‚Isolierung‘ als eigenständiges Phänomen nur in die Irre führen kann.
2) Wenn man die Diskussion der letzten Monate zum Thema SexarbeiterInnen in Deutschland (und Frankreich, und Italien, und…) verfolgt, hat man nun nicht unbedingt den Eindruck, dass wir mit dem Thema ‚Sexualität‘ ‚weiter‘ wären. In den öffentlichen Diskussionen prallen noch immer unterschiedlichste Fronten schroff aufeinander und jeder versteht sich als eifriger Wiederholer seiner eigenen Auffassung ohne dass man den Eindruck hat, dass die einen von den anderen das lernen, was man lernen könnte, und ohne, dass ein Gesamtbild entsteht, in dem die verschiedenen Facetten ineinanderlaufen, sich wechselseitig erklären, und wir damit als Gesellschaft handlungsfähiger würden.
3) Im Prinzip ist es fast egal, in welcher Zeit man an welchem Ort Nachforschungen anstellt. Dem biologischen Mechanismus der Sexualität entkommt niemand. Die Wucht und Intensität der genetisch eingebauten Triebkräfte sind Teil jeder Psyche oder jeder sozialen Konstellation. Und was Menschen auch immer sonst empfinden, erleben, denken, glauben und tun, das biologisch induzierte Programm der Sexualität sitzt allen in den Knochen. Es ist bislang der intimste Teil des biologischen Lebens auf der Erde, eines Lebens, das wir bis heute kaum verstanden haben. Je älter ich werde würde ich sogar dazu tendieren, zu sagen, wir haben überhaupt noch nicht verstanden, was dieses Leben tatsächlich ist und soll.
4) Wenn in Talkshows junge, gesunde, intelligente Frauen auftreten, die in einem freien Land ihre eigenen Körper in eigener Regie gegen Geld anbieten (genaue Zahlen kennt man nicht), ist dies ein anderer Fall, als wenn junge Frauen (eher noch Kinder) aus wirtschaftlich schwachen Ländern unter Vortäuschung falscher Tatsachen von zu Hause weggelockt werden, um dann unter Gewalt und Drogen ihren Körper verkaufen zu müssen. Und es ist sicher wiederum ein anderer Fall, ob Frauen ihren Körper im direkten Kontakt anbieten müssen oder oder sie dies mit dem boomenden Online-Varianten tun: zeigen und reden ja, aber irgendwo in einem Studio (was nicht frei von Zwang und Gewalt sein muss). Und dies ist wiederum etwas anderes als ein Unternehmer, der Wohnungen und Häuser einrichtet und vermietet, und daran verdient, und des ist wiederum verschieden von der Vielzahl jener Vereinigungen, die auf unterschiedlichste Weise freiwillig sich wechselseitig sexuelle Betätigungen eröffnen, anbieten, arrangieren.
5) Dies ist nur die Spitze des Eisbergs in einem der wenigen freien Länder dieser Erde, in dem es ein einigermaßen funktionierendes Rechtssystem gibt. Die bekanntgewordenen spektakulären Vergewaltigungsfälle in Indien haben schlaglichtartig gezeigt, in welch gefährlicher und unwürdiger Situation viele indische Frauen leben; Frauen sind wie Freiwild, wenn es um Sexualität geht. In Pakistan und Afghanistan ist es nicht besser. Die Kette der hier einschlägigen Länder ist lang.
6) Vom Strom der Armutsflüchtigen heute weiß man von Zeugenaussagen, dass Frauen bevorzugte Opfer von Vergewaltigungen sind. In den zahllosen kleinen Kriegen der letzten Jahrzehnte gehören systematische Vergewaltigungen fast unausweichlich zum tödlichen Ritual (man denke beispielsweise an Ruanda oder das vormalige Jugoslawien, man denke an die japanische Besetzung von Korea und China, man denke an …). Ist es schon schlimm, dass Frauen gegen ihren Willen missbraucht werden, kommt es in vielen Gesellschaften (kenne Berichte vom Irak und Afghanistan) erschwerend hinzu, dass eine ‚geschändete Frau‘ als ein ‚gesellschaftlicher Makel‘ gilt, der so schlimm ist, dass dann weniger die bestraft werden, die dies verübt haben, sondern die geschändeten Frauen selbst werden ausgestoßen, eingesperrt oder gar von den eigenen Verwandten umgebracht. Auf jeden Fall wird es solange möglich vertuscht und verschwiegen; zur Anklage und dann Verfolgung der Schuldigen kommt es daher eher nicht. Die Geschichte von Frauen in Gefängnissen (in fast allen totalitären Regimes, aber auch während der Besetzung Iraks durch die US-Truppen) ist durchtränkt von sexueller Gewalt (zumindest, wenn man den bekannten Zeugenaussagen (darunter beteiligte Beamte) glauben darf). In Ländern mit starken lokalen Sitten und Gebräuchen, in denen — wie in Afghanistan — Frauen weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt sind, sollen — laut verschiedenen Untersuchungen — bis zu 95% aller Frauen zu Hause regelmäßig Gewalt erleiden; Frauen sind dort Eigentum des Mannes und können wie Ware verkauft werden. Weibliche Ärzte aus Afghanistan berichten von furchtbaren Verletzungen, die ‚Kinder-Bräuten‘ in der Hochzeitsnacht zugefügt werden (und dann nicht selten sterben). Frauen, die versuchen, zu fliehen, oder die direkt von Männern entführt werden, haben keine Chance. Die ‚Ehre‘ würde verlangen, dass die Familie sie wegen der Schande umbringt (aber nicht die, die ihnen die Schande zugefügt haben….).
7) Eine andere Perspektive sind die Armutsflüchtigen der vergangenen Jahrhunderte, positiv ‚Auswanderer‘ genannt, jene z.B. die von Europa aus die USA und Südamerika mit aufgebaut haben. Nicht zufällig sind es überwiegend Männer, da es für Frauen ungleich schwieriger war, ähnliche Wege zu gehen. Eine Ausstellung im Auswandererhaus in Bremerhaven belegt eindrucksvoll am Beispiel von jüdischen Frauen aus Osteuropa, wie diese — ganz ähnlich wie heute — mit der Hoffnung auf ein besseres Leben in vielerlei Abhängigkeiten gerieten, die ihnen wenig gesellschaftlichen Spielraum ließen (siehe Stratenwerth (2012)).
8) Die oben genannten Sachverhalte sind nur Splitter aus der Menge der Fakten, die hier zu nennen wären (Und die Tatsache, dass wir heute aufgrund der modernen Wissenschaft erkennen können, dass es genetisch betrachtet Variationen des Mann-Frau-Musters gibt, die sich nur schwer oder gar nicht diesen beiden Mustern zuordnen lassen, macht die Diskussion nicht einfacher, sondern verstärkt nur die Herausforderung nach der Bestimmung des Bildes, was Menschsein auf dieser Erde eigentlich heißt).
9) Was sich in historischer Tiefe und geographischer Breite andeutet, das ist jedenfalls ein tief verwurzeltes Muster dahingehend, dass man bis in die neueste Zeit versucht hat, das Phänomen der Sexualität ‚abzukapseln‘, und dies zumeist zu Lasten der einen Hälfte der Menschheit, nämlich der Frauen. Deren Leid war — und ist es heute in vielen Ländern immer noch — beispiellos.
10) Wie immer man diese Zurücksetzungen und Diskriminierungen begründet (die sogenannten religiösen Normen sind vielleicht die schlimmsten, weil sie vielfach für eine in sich schlechte Sache sogar den Namen Gottes missbrauchen), dieses Zurückdrängen als solches leistet nichts zum Verständnis unseres Menschseins. Damit leisten sie auch nichts für eine Weiterentwicklung des Humanums. Sie stabilisieren ein Nichtwissen, das alltäglich millionenfach Unrecht und Leid für konkrete Menschen bedeutet.
11) Die Frage ist, wie wir mit unserem Bild vom Leben auf der Erde ‚weiterkommen‘ können? Die Aufhebung aller Tabus im Umgang mit Sexualität ist sicher ein wichtiges Moment, um erkennen zu können. Wir wissen aber auch, dass der Sexualtrieb nur ein Moment im Profil der menschlichen Psyche ist, dass diese Psyche komplex und fragil ist, dass hier Momente wie Anerkennung, Vertrauen, Freundlichkeit — und vieles mehr — wirksam sind und ineinandergreifen. Damit Kinder zu glücklichen und psychisch gesunden Erwachsenen werden können müssen viele positive Dinge geschehen. Dass heute in einer ‚freien‘ Gesellschaft Missbrauch von Kindern und sexuelle Gewalt weiterhin ein (eher noch verdrängtes) Thema sind, sollte uns aufmerksam machen, dass die Enttabuisierung alleine nicht automatisch ein menschenwürdigeres Leben garantiert. Die Wucht des Triebes auf Seiten des Mannes bleibt ein Moment, das kulturell, sozial, psychisch (vielleicht auch physiologisch, genetisch) so gestaltet sein will, dass es in den immer enger werdenden sozialen Vernetzungen nicht zu jenem Störfaktor wird, der sowohl die anderen wie sich selbst mehr schädigt als hilft. Da niemand heute mit Sicherheit sagen kann, wo und wie es ‚lang gehen soll‘ sitzen wir alle im gleichen Boot auf der Suche nach ‚mehr Menschlichkeit‘. Jenen mit den schnellen Patentantworten sollte man grundsätzlich misstrauen, und umso mehr, je höher ihre Honorare (oder je unglaublicher ihre Versprechen) sind…

GEWALTTÄTIG – CHEMISCH PROGRAMMIERT; EIN SCHWERES ERBE

Nachträgliche Anmerkung vom 27.Nov.2013: Am 25.Nov.2013 brachte das ZDF in seiner Heute-Sendung (siehe: Vergewaltigungen in Kenia (im Rahmen des Oberthemas ‚Gewalt gegen Frauen‘) einen Bericht von Kenia, wonach jede dritte Frau  in ihrem Leben mindestens einmal vergewaltigt worden ist. Ein Filmbeitrag von einer Schülerin, die von ihren Klassenkameraden ‚einfach so, aus Spass‘ vergewaltigt worden war, zeigte, dass es bei den Schülern keinerlei Unrechtsbewusstsein gab. Die Schulleitung nahm die Schülerin nicht ernst. Diese konnten ungeschoren bei anderen mit ihrer Tat öffentlich prahlen. Offensichtlich scheint es in diesr Gesellschaft bei den männlichen Mitgliedern — und zwar auch schon bei den jungen Männern, bei Schülern — ein Rollenmodell ‚im Kopf‘ zu geben, das all denen, die dies in ihrem Kopf haben (sie sind damit ‚programmiert‘), ’sagt‘, einer Frau kannst Du Gewalt antun, deinen Trieb gegen ihren Willen ausleben, das ist für Männer ’normal‘. Man kann dies ‚Brauchtum‘ nennen, ‚Kultur‘, und vergisst dabei dann zu fragen, wie denn solch ein Modell entstehen konnte.Es gibt mittlerweile Länder auf dieser Erde, wo das Modell zumindest abgeschwächt wurde. Die Grundsatzfrage lautet aber, warum solche Modelle, speziell in den Köpfen von Männern, weltweit entstehen können? Die Antwort ist letztlich einfach: Männer stehen aufgrund ihrer genetischen Programmierung chemisch permanent unter einem Dauerdruck; biochemisch sind sie in einer Weise ‚programmiert‘, die es für sie schwer bis unerträglich erscheinen lässt, gewisse Dinge nicht zu tun (die anschliessen biochemisch verankerte ‚Belohnung‘ fällt dabei kaum ins Gewicht; der entscheidende Faktor ist der biochemisch induzierte Handlungsdruck davor). Solange Männer in einer Gesellschaft die Oberhand haben, ist es für die Männer einfacher, ein Rollenmodell zu vereinbaren, dass ihnen in der Öffentlichkeit erlaubt, ihren biochemisch ‚Druck‘ handlungsmäßig auszuleben als diesen ‚Druck‘ zu unterdrücken und in weniger offensichtlicher gewalttätiger Form auszuleben. Von sich aus haben Männer wenig Motivation, ein solches Rollenmuster zu ändern. Das genetisch bedingte biochemische Programm in ihnen ist zu mächtig, als dass man dagegen einfach mal so angeht. Dass Religion auf dieses biochemische Programm nahezu keinen Einfluss hat, zeigt die Tatsache, dass laut einer Volkszählung von 2009 in Kenia 82,6% der Bevölkerung angibt, ‚Christen‘ zu sein (siehe: Kenia, dort Religion). Eine Kernbotschaft in den Evangelien ist die einer grundsätzlichen Achtung vor allen Menschen, speziell auchvor Frauen (was eine katholische Kirche bis heute noch nicht vollständig geschafft hat). Selbst wenn Männer irgendwann erkennen würden (was die allermeisten mangels Wissen nicht erkennen können), dass sie in bestimmten Bereichen ihres eigenen Verhaltens massiv biochemisch gesteuert sind, selbst dann würde dies zunächst nahezu nichts ändern, da das genetisch bedingte Programm an der Wurzel des Verhaltens liegt. Es ist so angelegt, dass es das Verhalten ‚von innen heraus‘ beeinflusst, und zwar möglichst so, dass es alle anderen Faktoren weitgehend ’neutralisiert‘. Es sitzt so tief in der Biochemie des männlichen Körpers, dass die entwicklung einer ‚Pille für den Mann‘ (wie mir Mediziner erklärten), fast auswegslos erscheint gegenüber einer Pille für die Frau (dies ist ein Punkt, den würde ich gerne besser verstehen, ob dies wirklich so ist). Die Biochemie der Frauen lässt sich offenbar leichter ‚manipulieren‘. Solange wir nicht anfangen, über diese genetisch bedingte Programmierung des Mannes zu sprechen, reden wir — so erscheint es mir — am Problem vorbei. Das weltweite Leid von Frauen als Opfer von sexueller Gewalt ist weder zufällig noch gottgewollt; es ist das Ergebnis einer evolutionären Entwicklung der männlichen Genetik, die in früheren Zeten für den Erhalt der Population homo sapiens sapiens vielleicht wichtig war; in der heutigen Situsation einer drohenden Überbevölkerung (über 7 Mrd Menschen) mit einer extremen Wohndichte in den großen Metropolen erscheint dieses genetische Programm eher ‚unangepasst‘; es schreit nach genetischer Veränderung. Die Schwierigkeit, diesen Sachverhalt überhaupt zu thematisieren, ist ein Indiz für den ‚Erfolg‘ dieses Programms: es hat alle Männer dieser Erde fest im Griff. Von ’sich aus‘, ‚von alleine‘ wird es nicht verschwinden, sondern jeden Tag, jede Stunde, jede Minute findet es statt. Roboter, die eine soche deutliche Fehlanpassung aufweisen würden, würde man sofort aus dem Programm nehmen und umprogrammieren. Die Kunst der genetischen Umprogrammierung sind wir gerade erst dabei, zu lernen. Wo aber bleibt die gesamtgesellschaftliche Diskussion über das, ‚was wir sind‘ bzw. ’sein sollten‘?

QUELLEN

Irene Stratenwerth, „Der gelbe Schein. Mädchenhandel 1860 – 1930“, herausgegeben von Simone Blaschka-Eick, Herman Simon, Bremerhaven: Deutsches Auswandererhaus Edition DAH, 2012

Eine Fortsetzung (unter Bezugnahme auf das Buch von Stratenwerth) findet sich HIER.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

DIE ANDERE DIFFERENZ (im Gespräch über das, was ein ‘glücklicher Zustand’ sein soll)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Datum: 2.März 2012

(1) Im Nachklang zu meinem letzten Blogeintrag und in Erinnerung an ein Gespräch, das ich gestern mit einem lieben Freund hatte (und davor mit einem meiner Studenten), trat nochmals die Frage in den Mittelpunkt, was denn das Besondere am Leben sei. Als einzelne(r) erlebt man das Leben aus der individuellen Perspektive und aus dieser Perspektive eröffnen sich zahllose Paradoxien (Widersprüche): z.B. stehen die Endlichkeit des Körpers und der individuellen Lebenszeit in einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch zum persönlichen Wunsch nach einem glücklichen, unbeschwerten Leben. Denn, der Körper ist nicht nur endlich, sondern auch geschwängert mit zahllosen Bedürfnissen, Trieben, Emotionen und Gefühlen, die auf vielfältige Weise Spannungen in das Lebensgefühl hineintragen, Unruhen, Unzufriedenheiten, Ängste und dergleichen mehr. Dazu kommt für die überwiegende Anzahl der Menschen die tägliche Notwendigkeit, Zeit und Energie aufwenden zu müssen – man nennt es ‚Arbeiten‘ –, um den ‚Lebensunterhalt‘ zu sichern. Für die allerwenigsten ist diese Arbeit das, was sie tun würden, wenn sie nicht diesem ‚Zwang‘ unterliegen würden; für die meisten erscheint die Arbeit als ‚Last‘, und für nicht wenig ist sie eher ‚Hölle‘ denn ‚Himmel‘. Die täglichen Qualen, die hier sehr viele Menschen erleiden müssen, würden, könnte man sie hörbar machen, eine ‚Musik des Grauens‘ entstehen lassen, die den wenigen, die sich – aus welchen Gründen auch immer –, dieser täglichen Hölle entziehen können, das Leben unerträglich machen, wobei es sicherlich mehr ‚Höllen‘ in diesem Sinne gibt, als der äußere Anschein auf den ersten Blick an Eindruck erweckt. Denn die Endlichkeit, in der wir uns als individuelle Menschen vorfinden ist in sich eine Struktur, der niemand entfliehen kann. Das ‚Hineingeworfensein‘ in das tägliche Leben hat eine Uerbittlichkeit, die letztlich über allem und jedem steht, sie ist Teil unseres Vorkommens in dieser Welt, Teil unseres Erlebens und Fühlens, Teil unseres Denkens, unentrinnbar, wesentlich, selbst im Versuch des ‚Nicht-Denkens‘ verbleibt eine grundlegende ‚Differenz‘ ähnlich wie der kosmischen Hintergrundstrahlung, die noch 13.2 Mrd Jahre nach dem ‚BigBang‘ Kunde gibt, von diesem Anfangsereignis.

(2) Beschreibungen von ‚Glück‘ und ‚Zufriedenheit‘ orientieren sich oft an der gewünschten ‚Abwesenheit‘ der täglichen Spannungen, Abwesenheit von ‚Müssen‘, Abwesenheit von ‚Unruhen‘ oder, konkreter, durch Erfüllung konkreter Bedürfnisse und Triebe wie ‚viel Geld‘, ‚viel Macht‘, ’sexuelle Befriedigung‘, ‚tolles Essen‘, ‚eigenes Haus mit Garten‘, usw. Alle solchen ‚konkreten‘ Erfüllungswünsche tragen den Samen zu neuer Unzufriedenheit, den Samen zu neuen Spannungen schon in sich, bevor sie überhaupt so richtig ‚das Licht dieser Welt‘ erblickt haben. Es sind Wechselpositionen, bei denen man eine Unzufriedenheit gegen eine andere (neue) eintauscht. Hier sind wir alle gern und leicht ‚Wiederholungstäter‘; wir sind unzufrieden mit dem ‚Bisherigen‘, trennen uns, weil wir die Unzufriedenheit loswerden wollen, und schon sind wir im scheinbar ‚Neuen‘ genau wieder da, wo wir eigentlich herkommen: weil wir nicht wirklich etwas Neues kennen oder suchen landen wir immer wieder bei dem, was uns vertraut ist, selbst im Muster der ‚Flucht‘.

(3) Ähnlich der klassischen bewusstseinsorientierten Philosophie, in der alle – auch noch so großen – Gedanken im engen Raum des bewussten Erlebens wie Atome an die Wände eines Behälters prallen und so auf engem Raum verharren, und den Anschein von Aporien (Widersprüchen) entstehen lassen, so unterliegt unser subjektives Erleben der permanenten Gefahr, seine eigentümliche Kraft in einer Art dauerhaften ‚psychischen Selbstverbrennung‘ zu verzehren, anstatt zu erleben, dass es weit über sich selbst hinausweisen kann, dass es sehr wohl individuelle Schranken überwinden kann, dass es nicht nur dem Anschein nach, sondern ‚wirklich‘, ‚real‘ ‚grenzenlos‘ sein kann.

(4) Dies kann man aber nur erkennen, wenn man den Blick über den Augenblick hinaus ausweitet und sich der Zusammenhänge bewusst wird, die alle wirksam sind dafür, dass man selbst in dem jeweiligen Augenblick ‚da ist‘, und zwar ’so‘ da ist, wie man sich gerade vorfindet. Denn, schon der eigene Körper, in den man sich so leicht verlieben kann, ist so da, ohne dass man selbst irgend etwas dafür getan hätte; natürlich, die Ernährung dieses Körpers, die tägliche Bewegung oder Nicht-Bewegung können diese Körper beeinflussen, können ihn ‚dick‘ oder ‚dünn‘ machen, können ihn ‚verschleißen‘ und dergleichen mehr, aber dies sind nur Modulationen eines Grundthemas, das als solches uns vorgegeben ist. Grundsätzlich finden wir uns vor mit unserem Körper, mit den Eigenschaften dieses Körpers; wir finden uns vor mit anderen Menschen, die wir uns nicht ausgesucht haben, wir finden uns vor in Gebäuden, Strassen, Infrastrukturen, die wir selbst nicht gemacht haben, wir finden uns vor mit Pflanzen und Tieren, die wir nicht gemacht haben, mit einer Atmosphäre, einer Erde, usw. Strenggenommen gibt es nahezu nichts von Bedeutung, was wir selbst dazu beigetragen haben, dass das Leben ist, wie wir es vorfinden. Merkwürdigerweise scheint es es nur wenige Menschen zu geben, denen diese Grundtatsache bewusst ist. Nicht wenige zeigen ein Selbstgefühl im Sinne eines ‚Grundanspruchs auf alles‘, ‚Hier bin ich, seht doch, ich habe ein Anspruch auf…‘. Dabei sind Alle ‚Gewordene‘, ungefragt; alle sind Teil eines größeren Prozesses, der nicht nur Orte und Regionen umfasst, sondern die ganze Erde, unser Sonnensystem, unsere Milchstraße, ja sogar das gesamte Universum: wer sich dieser Perspektive verschließt, wird vermutlich niemals verstehen, verstehen können, wer er ist, was das Ganze soll. Es kann keine ‚partielle‘ Wahrheit geben; dies ist ein Widerspruch in sich.

(5) Was ist ein ‚wirklich glücklicher Zustand‘? Wir Menschen haben unzählige Bilder entwickelt von dem, was wir als ’schön‘ und ‚gut‘ empfinden wollen, unzählige (Texte, Musik, Mode, Rezepte, Bauten, soziale Gebilde, Verhaltensweisen,….), aber, was auch immer es war oder ist, im Moment des Geschehens ist klar, dass das nicht ‚voll wirklich‘ sein kann, weil es einen nächsten Moment gibt, noch einen, und noch einen und dann verfällt entweder das mühsame zubereitete Gebilde oder das Erlebnis ist vergangen, wird zur Erinnerung, oder wir selbst haben uns verändert, verändern uns beständig weiter, und noch so viele ‚Verdrängungsmassnahmen‘ können auf Dauer unser Altern und Sterben nicht verhindern, und was ist ’schön‘ und ‚wahr‘ im Moment des Sterbens?

(6) Was also ist ein ‚wahrhaft glücklicher Zustand‘? Die Logik hat uns gelehrt, dass wir nur Dinge als ‚logisch wahr‘ beweisen können, die in den akzeptierten Voraussetzungen potentiell enthalten sind. Angewandt auf unsere Fragestellungen würde dies bedeuten, dass wir nur dann ein ‚umfassendes‘ Glück finden können, wenn unsere jeweiligen Voraussetzungen solch ein umfassendes Glück prinzipiell zulassen könnten.

(7) Erinnert man sich nun, dass das biologische Leben seinen Ausgangspunkt bei der Tatsache nimmt, dass sich in einem Universum, in dem das Gesetz der Entropie gilt (salopp: Ausgleich aller Unterschiede auf Dauer) — in einer bestimmten Region dieses Universums (ob woanders als auf der Erde auch, wissen wir noch nicht; ist aber nicht auszuschließen) durch Verbrauch von Energie lokale Unterschiede gebildet haben, die die Eigenschaft besitzen, als ‚Signale für Ereignisse‘ fungieren zu können, und – mehr noch –, die nicht nur die außergewöhnliche Eigenschaft besitzen, sich ‚kopieren‘ zu können, sondern darüber hinaus auch noch, sich zu ‚immer komplexeren Differenzmustern‘ anreichern zu können, für deren ‚Ausdehnung‘ es keine ‚Grenze‘ zu geben scheint. Diese Differenzmustern verbrauchen immer mehr Energie aus der Umgebung, sind aber in der Lage, ihre ‚Signaleigenschaften‘ dahingehend ‚organisieren‘ zu können, dass Sie unterschiedliche ‚Signalebenen‘ generieren, die sich ‚wechselseitig repräsentieren‘ können. Dadurch besteht die Möglichkeit, dass ‚Ereignisprofile der Umgebung‘ als energetische Muster in die internen Signalstrukturen ‚abgebildet‘ und dort weiter ‚verarbeitet‘ werden können. Auf diese Weise hat das Universum eine Möglichkeit geschaffen, in Form ’selbstorganisierender Differenzstrukturen‘ energetisch bedingte Eigenschaften des Universums in Form von ‚Signalmodellen‘ zu ‚reformulieren‘ und damit ‚explizit‘ zu machen. Durch das Aufspannen von ‚Signalebenen‘ ist auch das entstanden, was wir ‚Bewusstsein‘ nennen. D.h. die sich selbst organisierenden und expandierenden Differenzmuster des ‚Lebens‘ können ‚in sich‘ die Struktur des Universums (einschließlich ihrer selbst) ‚wiederholen‘ und in steigendem Umfang auf diese zurückwirken. Grundsätzlich ist nicht ausgeschlossen, dass das Prinzip der vielschichtigen Differenzmuster nicht nur die wesentlichen Wirkprinzipien des Universums entschlüsselt (und dabei zu einem ‚zweiten‘ Universum, zur ’symbolischen Form‘ des Universums wird), sondern letztlich das gesamte Universum ‚mittels seiner eigenen Prinzipien‘ ‚verändert. In dem Masse, wie dies geschieht, kann das ‚erreichbare Glück‘ für solch eine Differenzstruktur ’sehr weit‘ anwachsen.

(8) Natürlich wird hier auch klar, dass es nicht die einzelne, isolierte Differenzstruktur ist, auf die es ankommt (wenngleich es ohne jede einzelne Struktur auch kein Ganzes geben kann), sondern die Gesamtheit, die nur solange eine ‚Gesamtheit‘ ist, solange es ihr gelingt, sich untereinander durch ‚Kommunikation‘ und entsprechende ‚Verarbeitung‘ zu ‚koordinieren‘. ‚Isolierte‘ hochentwickelte Differenzstrukturen haben keine Überlebenschance auf Dauer; sie vergehen, ohne möglicherweise eine ‚Wirkung‘ entfaltet zu haben. Überleben können nur solche ‚Verbände‘ von Differenzstrukturen, die einen ‚hinreichenden‘ Zusammenhang, sprich eine hinreichende ‚Koordinierung‘ haben. Dies kann bis zu einem gewissen Grad durch ‚Zwang‘ geschehen, aber auf Dauer ist ‚Zwang‘ ‚unproduktiv‘. Ein ‚Optimum‘ liegt nur vor, wenn jede einzelne Differenzstruktur ihr ‚Maximum‘ erreichen kann und diese individuellen Maxima durch ‚Kommunikation‘ miteinander im permanenten ‚Austausch‘ bestehen. Historisch beobachten wir momentan, dass die Kommunkationstechnologie zwar das Ausmaß des Austausches dramatisch erhöhen konnte, dass aber die individuellen Verarbeitungskapazitäten der einzelnen Differenzmuster quasi konstant auf einem bestimmten Niveau verharrt (daneben gibt es  kulturell und machtpolitisch errichtete Barrieren des Austausches und des ungehinderten Denkens, die erheblich sind). Dieser ‚Bottleneck‘ ist eine ernsthafte Gefahr. Es steht den Differenzmustern allerdings frei, ihre Denkpotential zu nutzen, um den ‚eigenen Bottleneck‘ durch geeignete Maßnahmen zu beheben (Denktechnologie in Verbindung mit Gentechnik, d.h. Beschleunigung der Evolution dadurch, dass die Evolution eine ihrer größten Errungenschaften, die Denkmöglichkeiten des homo sapiens, dazu benutzt, ihren Konstruktionsprozess zu beschleunigen. Viele aktuell gehandelte sogenannte ‚Ethiken‘ (salopp: Regeln des richtigen Verhaltens) sind hoffnungslos falsch und damit für das Überleben des Lebens (nicht nur auf der Erde) gefährlich).

Natürlich ist das Thema damit nicht erschöpft. Unser Schicksal ist es, ein großes Ganzes immer nur in Splittern und Bruchstücken denken zu können; viele Splitter können ‚Umrisse‘ ergeben, Umrisse …. usw.

 

 

Eine direkte Fortsetzung zum Thema findet sich hier.

 

 

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge findet sich hier.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

GEN — MEM — SEM

(1) Bei der Betrachtung der Entwicklung des (biologischen) Lebens auf der Erde tritt als markantes Ereignis (vor ca. 3.5 Mrd Jahren) die Verfügbarkeit von selbstreproduktiven Einheiten hervor: DNA-Moleküle werden dazu benutzt um unter Zuhilfenahme anderer Moleküle Proteinstrukturen in einer geordneten Weise so zu organisieren, dass daraus wieder Zellen, multizelluläre Organismen entstehen.

 

(2) In einem Abstraktionsprozeß wurden mathematische Modelle entwickelt, die die Struktur eines DNA.-Moleküls in solch einem selbstreproduktiven Kontext als ‚Informationseinheiten‚ identifizierten, die auch als ‚Gene‚ bezeichnet wurden. Der gesamte Informationsprozess wurde als ‚Genetischer Algorithmus (GA)‚ rekonstruiert. Gegenüber dem biochemischen Modell enthält er Vereinfachungen, zugleich bilden diese aber auch eine ‚Generalisierung‚, die eine mathematische Behandlung zulassen. Dadurch konnten sehr weitreichende Untersuchungen angestellt werden.

 

(3) Die Uminterpretation von genetischen Algorithmen als Classifier Systeme betrachtet die genetische Informationen als Wenn-Dann-Regeln (auch mehrere hintereinander). Je nachdem, welche Bedingungen vorliegen, werden nur bestimmte ‚Wenns‘ ‚erfüllt‘ und nur diese ‚Danns‘ werden aktiviert. Eine ‚Wenn-Dann-Regel‘ bildet einen ‚Classifier‚. Während genetische Informationen als solche eigentlich nur einmal im Leben eines (biologischen) Systems verändert werden (in der Realität natürlich auch durch Fremdeinwirkungen öfters), nämlich bei der Weitergabe der Informationen nach bestimmten Mustern/ Regeln geändert werden können (letztlich gibt es nur zwei Fälle (i) Rekombination nach einer festen Regel oder (ii) Zufällige Veränderung), können die Informationen, die als eine Menge von Classifiern kodiert sind, durch jedes einzelne Verhalten eines Systems geändert werden. Dies entspricht eher dem Organisationsniveau des Nervensystems bzw. dem des Gehirns in einem biologischen System.

 

(4) Betrachtet man Classifier Systeme auf der Organisationsebene des Gehirns, dann liegt auf der Hand, sie primär als Modell eines einfachen Gedächtnisses (Memory) zu sehen. Die ‚Wenns‘ (Engl. if) repräsentieren dann wichtige ‚Wahrnehmungszustände‘ des Systems (sensorische wie propriozeptive oder mehr), die ‚Danns‘ (Engl. ‚then‘) repräsentieren jene Aktionen des Systems, die aufgrund solcher Wahrnehmungen ausgeführt wurden und damit potentiell über die Veränderung einer (unterstellten) Situation zu einer Veränderung dieser Situation geführt haben, die wiederum die Wahrnehmung ändern kann. Da man mathematisch Wenn-Dann-Regeln (also Classifier) als Graphen interpretieren kann mit den ‚Wenns‘ als Knoten und den ‚Danns‘ als Übergänge zwischen den Knoten, sprich Kanten, bilden die Classifier als Graph den Ausgangspunkt für ein mögliches Gedächtnis.

 

(5) Nennen wir den ersten Graphen, den wir mittels Classifiern bilden können, Stufe 0 (Level 0), dann kann ein Gedächtnis mit Stufe 0 Wahrnehmungssituationen speichern, darauf basierende Handlungen, sowie Feedback-Werte. Feedbackwerte sind ‚Rückmeldungen der Umgebung (Engl. environment). Biologische Systeme verfügen im Laufe der 3.5 Miliarden dauernden Evolution mittlerweile über ein ganzes Arsenal von eingebauten (angeborenen, genetisch fixierten) Reaktionsweisen, die das System zur Orientierung benutzen kann: Hungergefühle, Durstgefühle, Müdigkeit, diverse Schutzreflexe, sexuelle Erregung usw. Im Englischen spricht man hier auch von drives bzw. verallgemeinernd von speziellen emotions (Emotionen). In diesem erweiterten Sinn kann man biologische Systeme auf der Organisationseben des Gedächtnisses auch als emotionale Classifier Systeme (emotional classifier systems) bezeichnen. Wenn man diese systemspezifischen Rückmeldungen in die Kodierung der Wenn-Dann-Regeln einbaut — was bei Classifiern der Fall ist –, dann kann ein auf Classifiern basierendes Gedächtnis die Wirkung von wahrgenommenen Situationen in Verbindung mit den eigenen Handlungen gespeichert (store) werden. Darüberhinaus könnte man diese gespeicherten Informationen mit geeigneten Such- und Auswertungsoperationen in zukünftigen Situationen nutzen, in denen man z.B. Hunger hat und man sich fragt, ob und wo und wie man an etwas Essbares kommen könnte.

 

(6) Der Begriff mem wurde in der Literatur schon vielfach und für sehr unterschiedliche Sachverhalte benutzt. In diesem Kontext soll ein mem* einen Knoten samt aller verfügbaren Kanten in einem Classifiersystem bezeichnen, das als Gedächtnis benutzt wird. Meme* sind dann — analog wie Gene — auch Informationseinheiten, allerdings nicht zur Kodierung von Wachstumsprozessen wie bei den Genen, sondern als Basis für Handlungsprozesse. Meme* ermöglichen Handlungen und die durch Handlungen ermöglichten Veränderungen in der unterstellten Umwelt können auf das handelnde System zurückwirken und dadurch die Menge der Meme* verändern.

 

(7) Wie wir heute wissen, haben biologische System — allerdings sehr, sehr spät — auch Zeichensysteme entwickelt, die schließlich als Sprachen zum grundlegenden Kommunikationsmittel des homo sapiens wurden. Kommunikation ermöglicht die Koordinierung unterschiedlicher Gehirne.

 

(8) Die allgemeine Beschreibung von Zeichen ist Gegenstand der Semiotik als Wissenschaft der Zeichen und Zeichenprozesse. Allerdings ist die Semiotik bis heute kaum anerkannt und fristet vielfach nur ein Schattendasein neben anderen Disziplinen. Dafür gibt es dann viele Teildisziplinen wie Phonetik, Linguistik, Sprachwissenschaften, Sprachpsychologie, Neurolinguistik usw. die nur Teilaspekte der menschlichen Zeichen untersuchen, aber es historisch geschafft haben, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.

 

(9) Eine Schwäche der Semiotik war — und ist es bis heute –, dass sie es nicht geschafft hat, eine einheitliche Theorie der Zeichen zu erarbeiten. Schon alleine die Vielzahl der ‚Gründer‘ der Semiotik (wie z.B. Peirce, de Saussure, Morris und viele andere) und deren unterschiedlichen begrifflichen Konzepte macht es schwer bis unmöglich, zu einer einheitlichen Zeichentheorie zu kommen.

 

(10) Ich habe mehrfach versucht, die beiden sehr unterschiedlichen Ansätze von Peirce (bewusstseinsbasiert) und Morris (Verhaltensbasiert) zu formalisieren und zu vereinheitlichen. Es scheint so zu sein, dass man bei Erweiterung des classifier-basierten Mem*-Konzeptes einen formalen Rahmen hat, der es erlaubt, sowohl die bewusstseinsorientierte Sicht von Peirce wie auch zugleich die verhaltensorientierte Sicht von Morris zusammen zu führen, ohne dass man deren Konzepte ‚verunstalten‘ müsste. Im Falle von Peirce kann man sein komplexes (und in sich selbst nicht konsistentes) System von Kategorien — so scheint es — drastisch vereinfachen.

 

(11) Stark vereinfachend gesagt kann man den Zeichenbegriff verstehen als eine Beziehung  zwischen einem Zeichenmaterial (das sowohl verhaltensrelevant  wie auch wahrnehmungsrelevant vorliegt) und einem Bedeutungsmaterial (das ebenfalls entweder verhaltensrelevant UND wahrnehmunsrelevant vorliegt oder NUR wahrnehmungsrelevant). Allerdings existiert eine solche Bedeutungsbeziehung nicht als wahrnehmbares Objekt sondern ausschliesslich als gewusste Beziehung im ‚Kopf‘ bzw. im ‚Gedächtnis‘ des Zeichenbenutzers. In Anlehnung an die griechische Philosophie möchte ich ein Zeichen als sem* bezeichnen. Ein sem* basiert zwar auf potentiell vielen memen*, stellt aber als ausgezeichnete Beziehung zwischen memen* etwas Eigenständiges dar. In diesem Sinne kann — und muss — man sagen, dass seme* eine neue Ebene der Organisation von Informationen eröffnen (was grundsätzlich keine neue Einsicht ist; ich wiederhole dies hier nur, da dies die Voraussetzung für die nächste Organisationsebene von Informationen ist).

 

Fortsetzung folgt.

 

SEXUALITÄT GESTERN, MORGEN, UND

Zuerst: 29.Juni 2011

Korrekturen: 20.Nov.2011

(1) Sexualität war und ist ein Kernthema unseres menschlichen Lebens; angefeindet, verherrlicht, verdammt, gepriesen, verfolgt, geehrt, Ware, Ideal, sündhaft, Sakrament, überlebensnotwendig, Konsumartikel, schmachtend, verwirrt, glühend, bezaubert, heiß, zart, aggressiv gewalttätig,… also schrecklich und schön zugleich.

Augen der Begierde 1
Augen der Begierde 1

(2) Die Erfahrung von Sexualität beginnt meistens irgendwo im Übergang von der Kindheit zur Jugend. Wenn die Wachstumsprozesse den Körper so zu verändern beginnen, dass Moleküle (Hormone) das Gehirn mehr und mehr in Form von Spannungs- und Erregungszuständen beeinflussen können. Die statistische Mehrheit der Körper hat irgendwann Empfindungszustände, die so vorher nicht da waren. Bei männlichen Körpern können diese Erregungszustände biologisch bedingt eine Intensität annehmen, die alle anderen Empfindungen gleichsam ‚übertönt‘ und damit zur ‚Qual‘ werden kann. Grundsätzlich sind sexuelle Erregungszustände an spezifische Auslöser gebunden, aber aufgrund des assoziativ-kreativen Charakters des menschlichen Gehirns kann dieses mehr und mehr alles und jedes in Verbindung zu sexuellen Erregungszuständen setzen, so dass dann gleichsam die ganze Welt nahezu permanent als Stimulus dienen kann, um spezifische sexuelle Erregungszustände zu erzeugen, die der Körper intern als ‚Belohnung‘ empfindet. Gehirne, die sich so verhalten, würde man in gewissem Sinne als ‚abnorm‘ bezeichnen, da sie es zulassen, dass die Vielfalt des Körpers und der Welt — ab einem bestimmten Punkt dann ‚zwanghaft‘ — einem einzigen internen Trieb ‚unterworfen‘ wird und damit das Gehirn seine Vermittlerfunktion für die ganze Breite des Leben immer mehr verliert; aber unser Gehirn kann sich einem einzelnen Bereich ‚dienstbar‘ machen; ’sich selbst überlassen‘ kann ein Gehirn sich in diesem Sinne ‚falsch programmieren‘. Dies zu ändern kann ab einem bestimmten Punkt nahezu unmöglich werden; letzte absolute Aussagen über das Verhalten unserer Gehirne sind allerdings — aus theoretischen Gründen — prinzipiell unmöglich.

(3) Diese körperlichen Prozesse von molekül-basierten Spannungs- und Erregungszuständen im Gehirn haben eine Empfindungsseite. Menschen erleben ihren Körper nicht ‚wie er ist‘, sondern so wie das Gehirn die Vielfalt der körperlichen Prozesse in Form von ‚bewussten Empfindungen‘ zur Verfügung stellt. Wir ‚empfinden‘ bestimmte Spannungen, wir ‚empfindenden‘ bestimmte Erregungen, wir ‚erleben‘ diese Spannungen und Erregungen als Momente einer jeweiligen Situationserfahrung ohne dass wir die dahinter liegende körperlichen (physiologischen) Prozesse selbst direkt erkennen könnten, da unser Gehirn uns diese ‚vorenthält‘ (würde das Gehirn uns die ungeheure Fülle aller körperlichen Vorgänge ‚ungefiltert‘ erfahren lassen, wir würden an dieser Komplexität möglicherweise ‚ersticken‘. Insofern ist das ‚Bewusstsein mit seiner Filterfunktion ein ungeheurer evolutionärer Fortschritt). In diesem Sinne ‚verstehen‘ wir im ersten Moment nicht, was mit uns passiert, sondern wir ‚erleben‘ diese Zustände passiv, als etwas, das uns geschieht, das uns betrifft, das uns beeinflusst. Für Kinder kann dies zu Beginn sehr wohl beunruhigend, ja möglicherweise erschreckend sein. Und jeder braucht seine Zeit (Monate, Jahre, Jahrzehnte (?)), um diese erlebbaren Zustände in geeignete Deutungs- und dann Handlungszusammenhänge einzuordnen. Als Kind und Jugendlicher übernimmt man Deutungszusammenhänge aus der Umgebung. Im Zeitalter von Massenmedien und Internet kann dies nahezu alles sein, was ein Kind so findet.

(4) Vom Standpunkt des ‚Lebens auf dem Planet Erde‘, das sich uns als komplexer Entwicklungsprozess zeigt — den wir bislang zwar noch nicht vollständig erklären können, aber doch in vielen Aspekten so umfangreich, dass wir einige interessante Mechanismen identifizieren können — stellt sich ‚Sexualität‘ als eine ‚revolutionäre Erfindung‘ dar, die dazu geführt hat, dass bei der Weitergabe der ‚Bauanleitung für neue Lebewesen‘ sich das Prinzip des ‚Mischens von Informationen‘ als für das ‚Überleben auf der Erde‘ als ‚erfolgreicher‘ erwiesen hatte als ein Verzicht auf dieses Mischungsprinzip. Da die Bauanleitung selbst (ein Molekül, die DNA, das Genom, die Erbsubstanz…) nicht lebensfähig ist, sondern nur ein Körper (ein Phänotyp), der sich anhand einer solchen Bauanleitung entwickeln kann (Wachsen, Ontogenese,….), war es wichtig, dass das Leben in der Phase der ‚agierenden Körper‘ ‚Vorsorge‘ dafür trifft, dass sich die Körper zum Zwecke der Mischung der Erbinformationen ‚finden‘ und ‚aktiv zusammenwirken‘. Die Konstruktionsaufgabe lautete: statte die Körper (Phänotypen) so aus, dass sich immer zwei so ‚attraktiv‘ finden, dass sie sich ‚angezogen‘ fühlen, dass diese Anziehung so stark ist, dass die umwelttypischen Widrigkeiten, Bedrohungen und Gefahren mit den daraus resultierenden Beunruhigungen und Ängsten diese Anziehung nicht vollständig neutralisieren können. Für diese Konstruktionsaufgabe fanden sich im Laufe der Jahrmillionen unterschiedliche Lösungsmodelle. Das Lösungsmodell beim homo sapiens — uns heute lebenden Menschen — kennen wir. Der Körper der Frau wirkt als ‚Reiz‘ (Stimulus) auf das Gehirn des Mannes, das diesen dann in solche Spannungszustände versetzt (volkstümlich: der Mann ist ‚Schwanzgesteuert‘), dass dieser sprichwörtlich tatsächlich nahezu alles vergessen kann, um seinen Trieb zu befriedigen. Diese Lösung, die viele tausend Jahre für das Überleben und die Weiterentwicklung des Lebens auf der Erde erfolgreich (in welchem Ausmaß ‚gewaltfrei‘?) war, hat durch die rasante Entwicklung der menschlichen Lebensformen heute — so scheint es — ‚Passungsprobleme‘ unterschiedlicher Art. Diese alle hier zu schildern würde zu weit führen; das Phänomen ist sehr bunt und vielschichtig (aber alleine eine Zahl wie ‚20.000 verschwundene (verschleppte?) junge Frauen im Jahr 2010‘ in einem (!) kleinen Ostblockland wäre – würde sie stimmen — ein grausamer Index für die soziale und ökonomische Realität eines schwer kontrollierbaren genetischen Merkmals bei männlichen homo sapiens Vertretern).

(5) Vom Standpunkt des Lebens auf der Erde ist eigentlich nur ein einziger Punkt interessant: das Leben in Gestalt des homo sapiens sapiens hat die Fähigkeit erlangt, die ‚Mischung von Erbinformationen‘ nicht mehr nur und ausschliesslich dem drei Milliarden Jahren alten Prinzip der Erbinformationsweitergabe zu überlassen, sondern wir können mehr und mehr eine solche Mischung nun mit speziell geschaffenen Techniken vornehmen. In dem Maße, wie der homo sapiens diese Technik so beherrschen kann, dass daraus lebensfähige Gebilde entstehen, wäre die bisherige Form von geschlechterspezifischen Körpern mit ihren komplexen Anziehungsmechanismen letztlich überflüssig. Salopp: zukünftigen geschlechtsneutralen Lebewesen könnte man auf Wunsch Pillen verabreichen, die für eine gewisse Zeit solche Spannungs- und Erregungszustände in den Gehirnen — und damit dann auch in bestimmten Körperteilen, sofern es noch welche gibt — induzieren würden, wie sie ‚damals‘ die ‚alten Menschen‘ hatten, die sich noch nicht aus dem genetischen Gefängnis befreit hatten. Vielleicht gäbe es dann nostalgische Geschichtsvereine, in denen man solche Pillen nehmen und entsprechende Filme ‚von früher‘ anschauen würde, begleitet von einem gewissen ‚Ekel‘, wie diese ‚primitiven Menschen von früher‘ sich von ihren ’sexuellen Zwängen‘ haben ‚knechten‘ lassen (speziell die Frauen würden den Zeiten von Schwangerschaft und schmerzhaften — bis hin zu gefährlichen — Geburten nicht unbedingt nachtrauern). Da bekannt ist, dass schon das ungeborene Kind während der Schwangerschaft mit dem Körper der Mutter und durch diesen mit der Umwelt ‚kommuniziert‘, würden entsprechende ‚Kommunikationsschnittstellen‘ entwickelt werden, um von Anfang an die Kommunikation eines neuen Lebewesens mit seiner Umgebung zu sichern.

(6) Durch die Tatsache, dass es ausschließlich der homo sapiens ist (bislang), der über das KnowHow und die Technik verfügt, Erbinformationen technisch gezielt mischen zu können, kann er dies nicht nur für die Erbinformationen der eigenen Art tun, sondern letztlich für alle Arten, ja, letztlich für das gesamte Phänomen des Lebens auf der Erde. Dies ist ziemlich ungeheuerlich. Es hat ca. 3.5 Milliarden Jahre gebraucht, bis das Leben eine Form annehmen konnte, die über diese Fähigkeit verfügt. Obwohl wir bis heute noch nicht wirklich völlig verstehen, wie es überhaupt zu den Anfängen des Lebens kommen konnte, verfügen wir im Prinzip über die Technologie, verändernd eingreifen zu können. Allerdings, bislang können wir — bildhaft gesprochen — nur die Buchstaben des Textes herumwirbeln, wie Kinder, die die herabgefallenen Blätter von den Bäumen herumwirbeln, wir haben nahezu keine Ahnung, wie man gezielt die möglichen Wirkungen (= Bedeutung, Semantik, Pragmatik) der Buchstabenkombinationen im Rahmen von Wachstumsprozessen ‚berechnen‘ kann. Eine ‚genetische Semantik‘ bzw. ‚genetische Pragmatik‘ steckt noch ganz in den Kinderschuhen. Doch, wie die bisherige Geschichte nahe legt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir dieses KnowHow haben werden. Wenn irgendetwas die Bezeichnung ‚historische Wende‘ verdient, dann diese Phase des Lebens auf der Erde; es ist der gewaltigste Umbruch, den es seit dem Beginn des Lebens auf der Erde gegeben hat.

Augen der Begierde 2
Augen der Begierde 2

(7) Wer bis hierher gelesen hat könnte den Einwand erheben, dass diese Sichtweise doch zu ‚biologistisch‘ sei und in keiner Weise der Tatsache Rechnung trägt, dass Menschen über den unmittelbaren ‚Trieb‘ hinaus noch andere ‚Emotionen‘, ‚Gefühle‘ in sich tragen, ‚Werte‘, die sie dazu befähigen, Interaktionen komplexe Institutionen zu realisieren, die nicht von sexuellen Motiven geprägt sind. Diesem Einwand würde ich zustimmen. In der Tat verfügt der Mensch über eine Bandbreite von Empfindungen, Emotionen, Gefühlen, Motivationen, Werten, die erstaunlich ist und die ihn zu Verhaltensweisen befähigen, die sich einem einfachen Verstehen entziehen. Während bei Tieren die Sexualität etwas Unausweichliches hat, kann der Mensch damit letztlich gestalterisch ‚umgehen‘, bis dahin, dass es Menschen gibt, die sich aus eigenen Stücken entschlossen haben, ‚Keusch‘, d.h. ‚frei von Sexualität‘, zu leben. D.h. die ‚Plastizität‘ des menschlichen Gehirns kann sowohl dazu ‚missbraucht‘ werden, immer mehr dem ‚Sexualtrieb‘ ‚zuzuarbeiten‘, als auch dazu, aus der großen Bandbreite von anderen Bedürfnissen, Stimmungen, Gefühlen, Emotionen usw. ‚Zufriedenheitskonstellationen‘ zu ‚erlernen‘, ‚einzuüben‘, die sexfrei sind oder wo die Sexualität nur ein bestimmter Teil eines größeren Zusammenhanges ist (die Pädagogen/ Therapeuten sprechen hier von der ‚Integration des Triebes‘). Diese Fähigkeiten des Menschen, ‚über‘ (trans…) konkrete Bedürfnisse hinaus Motivationen entwickeln zu können, macht den Menschen als Lebensform ‚auffällig‘, lässt ihn in einem ‚besonderen Licht‘ erscheinen, wirft zahllose Fragen auf, fasziniert. Zwischen Menschen — nicht nur zwischen Frau und Mann, sondern auch Frau und Frau, Mann und Mann — kann es Gefühlszustände geben, die sehr intensiv und nachhaltig sein können, ohne dass dies unmittelbar etwas mit Sexualität zu tun haben muss, Gefühle, die weder Geschlechts- noch Altersgrenzen kennen, die sich auch nicht durch abweichendes Aussehen beeinflussen lassen (Mir ist nicht bekannt, dass es dazu irgendwelche wirkliche Forschungsarbeiten gibt; dies sind aber Lebenserfahrungen).


Es gab eine Art Fortsetzung der Gedanken unter dem Titel SEXARBEITERiINNEN – Sind wir weiter?

Eine Übersicht über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.