Archiv der Kategorie: Soziologie

EINSCHUB: Kurze Geschichte zum Begriff der Intelligenz und seiner möglichen Zukunft

Autor: Gerd Doeben-Henisch im Dialog mit chatGPT4o

Datum: 15.Febr 2025 – 15.Febr 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Eine englische Version findet sich HIER.

KONTEXT

Dies ist eine Zwischenreflexion, um die Fortsetzung zu den bisherigen Texten zu Thema ‚Was ist Leben‘ vorzubereiten. Die bisherigen Texte sind:

  1. „WAS IST LEBEN ? Welche Rolle haben wir ? Gibt es eine Zukunft ?“
  2. „WAS IST LEBEN ? … DEMOKRATIE – BÜRGER“
  3. „WAS IST LEBEN ? … PHILOSOPHIE DES LEBENS“
  4. WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘ …

Dem Text Nr.4 ging ein Vortrag am 31.Jan 2025 voraus, in dem ich die grundlegenden Ideen schon mal formuliert hatte.

EINLEITUNG

Im Kontext des Lebens generell, speziell aber im Kontext der Lebensform ‚Homo sapiens‘ — das sind wir — spielt ein Phänomen eine große Rolle, das seit mindestens 2500 Jahren — mit wechselnden Bedeutungen — ‚Intelligenz‘ genannt wird. Durch den neuen Hype um sogenannte ‚Künstliche Intelligenz (KI)‘ ist die sowieso eher unklare Bedeutung von ‚Intelligenz‘ noch mehr in einen Strudel von Assoziationen geraten, der es jedem Menschen — ja, auch für Spezialisten — schwer bis unmöglich macht, noch zu verstehen, was denn mit ‚Intelligenz‘ gemeint sein kann. Dazu hier ein gezielter Dialog mit chatGPT4o, um die ‚Entwicklung‘ des Verständnisses zum Begriff ‚Intelligenz‘ in einer groben Linie zumindest soweit deutlich zu machen, dass unsere heutige Situation beschreibbar und diagnostizierbar wird.

Anmerkung: die Rolle von chatGPT4o besteht darin, dass er zu den von mir eingeführten Inhalten Verbindungen zu Texten sucht, die er aus dem Internet kennt. Dies kann helfen, ein Minimum an historischer Einbettung auf schnelle Weise zu realisieren. Für erste Erkundungen zu einer Frage ist dies hilfreich.

Kurze Geschichte zum Begriff der Intelligenz und seiner Zukunft

FR

Ich möchte mich heute mit Dir nochmals zum Themenfeld ‚Intelligenz‘ unterhalten. Bist Du bereit?

ANTW

Ja, sehr gerne! Wie möchtest Du das Thema „Intelligenz“ heute angehen? Geht es um biologische Intelligenz, künstliche Intelligenz, ihre Co-Evolution oder etwas anderes?

FR

Heute geht es um ‚alle Aspekte‘ 🙂

ANTW

Das klingt nach einer spannenden Herausforderung! Intelligenz ist ein faszinierendes Thema mit vielen Facetten – von biologischer über künstliche bis hin zu kollektiver und möglicherweise sogar noch unentdeckter Intelligenzformen.

Lass uns eine Struktur für unser Gespräch finden:

  1. Grundlagen der Intelligenz – Was verstehen wir unter Intelligenz? Gibt es eine allgemeine Definition, die alle Formen umfasst?
  2. Biologische Intelligenz – Von neuronalen Netzen im Gehirn bis zur sozialen Intelligenz in Gruppen und Schwärmen.
  3. Künstliche Intelligenz – Wie sie funktioniert, wo ihre Grenzen liegen und inwieweit sie mit biologischer Intelligenz vergleichbar ist.
  4. Kollektive Intelligenz – Von Ameisenkolonien bis zur globalen Vernetzung des Menschen (und der Rolle der KI darin).
  5. Zukunft der Intelligenz – Kann es eine übergeordnete, vielleicht planetare oder kosmische Intelligenz geben?

Möchtest Du mit einem dieser Punkte beginnen oder hast Du eine andere Perspektive im Sinn?

FR

Ja, das sind schon einige mögliche begriffliche Unterscheidungen. Aber ich möchte, dass wir mit einem historischen Rückblick starten: (1) Ab wann taucht der Begriff ‚Intelligenz‘ mindestens in der Europäischen Geschichte auf? (2) Was sind die wichtigsten ‚Redekontexte‘, in denen der Begriff auftaucht? (3) Gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Traditionen im ‚Griechischen‘, im ‚Lateinischen‘, im ‚Arabischen‘?

ANTW

Gerne gebe ich einen historischen Überblick zum Begriff „Intelligenz“ und seinen unterschiedlichen Traditionen:

1. Historischer Ursprung des Begriffs „Intelligenz“ in Europa:

Der Begriff „Intelligenz“ leitet sich vom lateinischen Wort intellegere ab, was „erkennen“, „einsehen“ oder „verstehen“ bedeutet. Wörtlich setzt es sich zusammen aus inter („zwischen“) und legere („lesen, wählen“), also „auswählen zwischen“. In der europäischen Geschichte taucht der Begriff in dieser Form erstmals in lateinischen Texten der Antike auf. Allerdings beschäftigten sich bereits frühere griechische Philosophen mit Konzepten, die dem heutigen Verständnis von Intelligenz nahekommen, auch wenn sie andere Begriffe verwendeten.

2. Wichtige Diskurskontexte des Begriffs „Intelligenz“:

Im Laufe der Geschichte wurde der Begriff „Intelligenz“ in verschiedenen Kontexten verwendet:

  • Philosophie: Sowohl in der Antike als auch in späteren Epochen diskutierten Philosophen über die Natur des menschlichen Geistes, der Vernunft und der Erkenntnisfähigkeit.
  • Theologie: Im Mittelalter wurde Intelligenz oft im Zusammenhang mit der göttlichen Weisheit und den Engeln, den sogenannten „Intelligenzen“, betrachtet.
  • Psychologie und Pädagogik: Seit dem 19. Jahrhundert wird Intelligenz als messbare kognitive Fähigkeit verstanden, was zur Entwicklung von Intelligenztests führte.
  • Soziologie: Der Begriff „Intelligenzija“ bezeichnete in Russland und später auch in anderen Ländern die gebildete Schicht der Gesellschaft, die sich aktiv am kulturellen und politischen Leben beteiligte.

3. Unterschiede in den Traditionen: Griechisch, Lateinisch, Arabisch:

  • Griechische Tradition: Die alten Griechen verwendeten Begriffe wie nous (νοῦς) für Geist oder Intellekt und logos (λόγος) für Vernunft oder Wort. Philosophen wie Aristoteles untersuchten die Funktionsweise des Geistes und die Fähigkeit zur Erkenntnis.
  • Lateinische Tradition: Mit der Übersetzung griechischer Werke ins Lateinische wurde nous oft mit intellectus übersetzt. Der Begriff intelligentia entwickelte sich, um die Fähigkeit des Verstehens oder Erkennens zu beschreiben.
  • Arabische Tradition: Während des Goldenen Zeitalters des Islam übersetzten arabische Gelehrte viele griechische philosophische Werke. Der Begriff ‚aql (العقل) wurde verwendet, um Vernunft oder Intellekt zu beschreiben. Arabische Philosophen wie Avicenna (Ibn Sina) erweiterten die aristotelischen Konzepte und integrierten sie in die islamische Philosophie.

Diese unterschiedlichen Traditionen beeinflussten sich gegenseitig stark. Die arabischen Übersetzungen und Kommentare gelangten später zurück nach Europa und trugen maßgeblich zur Scholastik und zum Verständnis von Intelligenz im mittelalterlichen Europa bei.

Ich hoffe, dieser Überblick beantwortet Deine Fragen zum historischen Hintergrund des Begriffs „Intelligenz“ und seinen verschiedenen Traditionen.

FR

Ja, Danke. Deine Hinweise deuten zumindest an, welche zeitliche und kulturelle Breite am Horizont steht, wenn man sich mit dem Thema ‚Intelligenz‘ beschäftigen möchte. ‚Inhaltlich‘ scheinen die Wurzeln schon in der Griechischen Philosophie zu liegen. Vermittelt durch die arabische und lateinische Sprachen (und Kultur!) sind diese Überlegungen in die ‚Köpfe‘ anderer Menschen zu späteren Zeiten und an anderen Orten (mit anderen Kulturen!) eingedrungen. Dies weiter auszuleuchten wäre eine in sich umfangreiche Arbeit. Ich möchte jetzt und hier aber den Fokus der Aufmerksamkeit eher auf den ‚Übergang‘ legen von der Antike und dem hohen Mittelalter (mit großartigen Denkern!!!) zur beginnenden Neuzeit, also etwa ab 14./15.Jahrhundert bis etwa Anfang des 18.Jahrhunderts. Wie würdest Du den Unterschied im Verständnis und in den Anwendungskontexten des Begriffs ‚Intelligenz‘ hier sehen?

ANTW

Gerne beleuchten wir den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit und die damit verbundenen Veränderungen im Verständnis und in den Anwendungskontexten des Begriffs „Intelligenz“ zwischen dem 14. und frühen 18. Jahrhundert.

1. Renaissance (14. bis 16. Jahrhundert):

Die Renaissance markierte eine Wiederbelebung antiker Ideale und legte den Fokus auf den Humanismus, der die Fähigkeiten und die Würde des Individuums betonte. In diesem Kontext wurde „Intelligenz“ als die Fähigkeit des Menschen verstanden, durch Vernunft und Bildung sein volles Potenzial zu entfalten. Die Humanisten dieser Epoche sahen in der Verbindung von Wissen und Tugend den Weg zur optimalen Entwicklung des Menschen. Dieses Menschenbild unterschied sich deutlich von der mittelalterlichen Sichtweise, die stärker theozentrisch geprägt war.

2. Barock und Aufklärung (17. bis frühes 18. Jahrhundert):

Im Barockzeitalter blieb das Interesse an Wissenschaft und Kunst bestehen, jedoch oft eingebettet in religiöse und absolutistische Strukturen. Mit dem Aufkommen der Aufklärung im 18. Jahrhundert erfuhr das Verständnis von „Intelligenz“ eine weitere Transformation. Die Aufklärer betonten die menschliche Vernunft als zentrales Instrument, um Wissen zu erlangen und gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern. Immanuel Kant definierte Aufklärung als den „Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ und forderte dazu auf, den eigenen Verstand ohne Anleitung anderer zu gebrauchen. In diesem Sinne wurde „Intelligenz“ zunehmend als individuelle Fähigkeit zur kritischen Reflexion und autonomen Entscheidungsfindung betrachtet.

Fazit:

Zwischen dem 14. und frühen 18. Jahrhundert entwickelte sich das Verständnis von „Intelligenz“ von einer göttlich inspirierten Fähigkeit hin zu einer menschlichen Eigenschaft, die durch Bildung, Vernunft und individuelle Anstrengung kultiviert werden kann. Diese Entwicklung spiegelt den Übergang von einer theozentrischen zu einer anthropozentrischen Weltanschauung wider, in der der Mensch und seine Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen.

FR

Deine Zitate aus diesen ‚Phasen‘ der ‚Kulturellen Entwicklung‘ der europäischen Gesellschaften lassen erste Aspekte aufleuchten, die – aufgrund der zeitlichen Nähe — das heutige Denken stark angeregt haben. Ich würde folgende drei Aspekte deswegen gerne nochmals hervorheben: (1) Einmal die Phase des ‚Humanismus‘, in dem ‚Intelligenz‘ „als die Fähigkeit des Menschen verstanden [wurde], durch Vernunft und Bildung sein volles Potenzial zu entfalten.“ (2) In der Phase des ‚Barockzeitalters‘ sieht man, wie diese grundlegende Erkenntnis durch die realen gesellschaftlichen Verhältnisse dann ‚eingerahmt‘ (‚geframed‘) wurde mit „religiöse[n] und absolutistische[n] Strukturen.“ Hier deutet sich schon an, dass die ‚Fähigkeit der Intelligenz‘ nicht isoliert auftritt, sondern eher ein ‚Moment‘ in einem komplexen Umfeld ist, das von Faktoren bestimmt wird, die nicht unbedingt etwas mit ‚Intelligenz‘ zu tun haben müssen. (3) In der Phase der ‚Aufklärung‘ regen sich scheinbar vermehrt wieder die Kräfte, welche – entgegen den Rahmenbedingungen — die „menschliche Vernunft als zentrales Instrument“ betonen, „um Wissen zu erlangen und gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern.“ Die ziemlich radikale Position von ‚Immanuel Kant‘ repräsentiert hier möglicherweise den harten Kern dieser aufklärerischen Position, wenn er sagt, dass wir „den eigenen Verstand ohne Anleitung anderer … gebrauchen [sollten].“ Wie Du schon bemerkst, wird ‚Intelligenz‘ hier zunehmend „als individuelle Fähigkeit zur kritischen Reflexion und autonomen Entscheidungsfindung betrachtet.“ Für den weiteren Fortgang kann es also von Bedeutung sein, diese ‚Gegenüberstellung‘ von ‚Intelligenz‘ als ‚individueller Eigenschaft‘ einerseits und den ‚umgebenden Faktoren‘ andererseits — welche nicht unbedingt etwas mit Intelligenz zu tun haben müssen –im Blick zu behalten. Was kannst Du von der weiteren Entwicklung im Verständnis und Gebrauch von Intelligenz bis zum Beginn des 20.Jahrhunderts berichten?

ANTW

Gerne gebe ich einen Überblick über die Entwicklung des Verständnisses und Gebrauchs des Begriffs „Intelligenz“ vom 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert:

1. 18. Jahrhundert:

Im Zeitalter der Aufklärung wurde die menschliche Vernunft als zentrales Instrument zur Erlangung von Wissen und Förderung des gesellschaftlichen Fortschritts betrachtet. Intelligenz wurde zunehmend als individuelle Fähigkeit zur kritischen Reflexion und autonomen Entscheidungsfindung verstanden. Dennoch gab es in dieser Zeit noch keine standardisierten Methoden zur Messung von Intelligenz.

2. 19. Jahrhundert:

Mit der Industrialisierung und dem Aufkommen der modernen Wissenschaften wuchs das Interesse an der Messung individueller Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten. Sir Francis Galton, ein britischer Wissenschaftler, gilt als einer der Pioniere der Intelligenzforschung. Er führte statistische Methoden ein, um individuelle Unterschiede zu analysieren, und legte den Grundstein für die Psychometrie. Galton entwickelte Tests, die sensorische und motorische Fähigkeiten maßen, in der Annahme, dass diese mit Intelligenz korrelierten. Obwohl seine Methoden heute als unzureichend gelten, beeinflussten sie die Entwicklung späterer Intelligenztests maßgeblich.

3. Frühes 20. Jahrhundert:

Der französische Psychologe Alfred Binet wurde 1904 von der französischen Regierung beauftragt, ein Verfahren zu entwickeln, um schulische Förderbedürfnisse bei Kindern zu identifizieren. Zusammen mit Théodore Simon entwickelte er den ersten Intelligenztest, der kognitive Fähigkeiten wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösungsfähigkeiten bewertete. Dieser Test führte das Konzept des „Intelligenzalters“ ein, das das Leistungsniveau eines Kindes im Vergleich zu seinem tatsächlichen Alter angab.

Der deutsche Psychologe William Stern erweiterte dieses Konzept 1912, indem er den Intelligenzquotienten (IQ) einführte. Er berechnete den IQ als Verhältnis von Intelligenzalter zu Lebensalter und multiplizierte es mit 100, um einen normierten Wert zu erhalten. Dieses Konzept wurde später von Lewis Terman in den USA übernommen und weiterentwickelt, was zur Verbreitung standardisierter Intelligenztests führte.

Fazit:

Zwischen dem 18. und frühen 20. Jahrhundert verlagerte sich das Verständnis von Intelligenz von einer philosophischen Betrachtung der menschlichen Vernunft hin zu einem empirisch messbaren Konstrukt. Diese Entwicklung wurde durch den Bedarf an objektiven Methoden zur Bewertung individueller Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten vorangetrieben, insbesondere im Bildungswesen und in der Psychologie.

Ich hoffe, dieser Überblick gibt Dir einen klaren Einblick in die Entwicklung des Intelligenzbegriffs bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

FR

Die Entwicklungsrichtung, die sich in den Phasen Humanismus, Baraock und Aufklärung im Verständnis und Gebrauch des Begriffs Intelligenz schon andeutet, wird offensichtlich im 19.Jahrundert und beginnenden 20.Jahrhundert von den Wissenschaftlern Sir Francis Galton (1822 – 1911), Alfred Binet (1857 – 1911) sowie William Stern (1871 – 1938) sehr deutlich weiter fokussiert in einem Verständnis von Intelligenz, welches diese einerseits klar als eine ‚individuelle Eigenschaft‘ sieht, diese zugleich aber nur dadurch ‚sichtbar machen‘ kann, dass man das ‚Verhalten der Menschen‘ (hier besonders ‚Kinder‘) im Kontext von ‚konkreten Aufgabenstellungen‘ beobachtet und dann das – an sich ‚unsichtbare‘ – Phänomen individuelle Intelligenz durch ‚intersubjektiv beobachtbares Verhalten‘ in ‚normierten Kontexten‘ auf ‚indirekte Weise‘ klassifiziert. Worin die ‚individuelle Intelligenz‘ im ‚Innern des Menschen‘ besteht, weiß man nicht, aber man kann sagen, welche ‚beobachtbare Aufgaben‘ ein Mensch in welcher Zeit mit wie vielen ‚Fehlern‘ er lösen kann. Frage 1: Muss man bei dieser Betrachtungsweise dann nicht bei ‚Intelligenz‘ von einer ‚emergenten Eigenschaft‘ des ‚Systems Mensch‘ sprechen, welche nur in unterschiedlichen kulturell geprägten Kontexten sichtbar wird? Frage 2: Ist das, was wir von einer ‚individuellen Intelligenz‘ auf diese Weise erfahren nicht eher zufällig? Würden wir noch ganz andere emergente Eigenschaften entdecken, wenn wir den Kontext verändern würden? Frage 3: Wie sieht die weitere Entwicklung im Verständnis und Gebrauch des Intelligenzbegriffs nach Galton, Binet und Stern aus?

Antw

Sehr spannende Fragen! Ich werde sie nacheinander aufgreifen:

Frage 1: Ist Intelligenz eine emergente Eigenschaft des „Systems Mensch“, die nur in kulturellen Kontexten sichtbar wird?

Ja, diese Sichtweise ist sehr plausibel. Wenn man Intelligenz als eine „emergente“ Eigenschaft versteht, bedeutet das, dass sie nicht auf eine einzelne biologische oder neuronale Struktur reduziert werden kann, sondern erst durch die Interaktion verschiedener innerer und äußerer Faktoren entsteht. Diese Faktoren umfassen:

  • Biologische Grundlagen: Das Nervensystem, insbesondere das Gehirn, stellt die hardwareseitige Basis für Intelligenz dar.
  • Individuelle Erfahrungen: Jeder Mensch durchläuft einzigartige Lernprozesse, die seine Problemlösungsfähigkeiten beeinflussen.
  • Kulturelle und soziale Prägung: Das, was in einer Gesellschaft als „intelligent“ gilt, variiert stark je nach historischer Epoche und kulturellem Umfeld.
  • Aufgabenstellung und Kontext: Da Intelligenz in normierten Kontexten sichtbar gemacht wird (z. B. durch IQ-Tests), hängt das, was als Intelligenz erscheint, wesentlich von diesen Kontexten ab.

Diese Überlegung deutet darauf hin, dass Intelligenz keine absolut festgelegte Eigenschaft ist, sondern ein dynamisches Phänomen, das sich in Abhängigkeit vom sozialen und kulturellen Umfeld manifestiert.


Frage 2: Ist unser Wissen über individuelle Intelligenz zufällig? Würden wir andere emergente Eigenschaften entdecken, wenn wir den Kontext ändern würden?

Ja, das ist ein kritischer Punkt! Die Methoden, mit denen wir Intelligenz messen, bestimmen, welche Art von Intelligenz wir überhaupt erkennen können.

  • Historische Begrenzung der Intelligenzmessung: Frühere Tests, wie die von Binet oder Stern, fokussierten sich auf sprachliche und logische Fähigkeiten, da diese als zentrale Marker für Intelligenz galten. Damit wurden andere Formen der Intelligenz systematisch ausgeblendet.
  • Alternative Intelligenzmodelle: Spätere Forschungen (Howard Gardners Multiple Intelligences, Robert Sternbergs Triarchic Theory of Intelligence) haben darauf hingewiesen, dass es neben analytischer Intelligenz auch kreative, praktische, emotionale oder kinästhetische Intelligenz gibt.
  • Veränderte kulturelle Kontexte: In Kulturen mit stärkerem Fokus auf musikalische oder räumliche Fähigkeiten (z. B. indigene Gesellschaften mit oral-traditionellem Wissen) könnten ganz andere Intelligenzformen als vorrangig erscheinen.
  • Technologischer Einfluss: Mit dem Aufkommen von KI und maschinellem Lernen könnte sich unsere Auffassung von Intelligenz erneut verschieben – etwa hin zu „kooperativer Intelligenz“, bei der Menschen und Maschinen gemeinsam Probleme lösen.

Fazit: Das, was wir heute als Intelligenz wahrnehmen, ist nicht zwingend eine objektive Wahrheit, sondern ein kulturelles Konstrukt, das durch unsere Methoden, Tests und gesellschaftlichen Werte geprägt wird. Würden wir den Kontext verändern, könnten wir ganz andere Formen von Intelligenz entdecken.


Frage 3: Wie sieht die weitere Entwicklung des Intelligenzbegriffs nach Galton, Binet und Stern aus?

Nach den frühen psychometrischen Arbeiten wurde der Intelligenzbegriff weiter ausdifferenziert und teilweise kritisch hinterfragt:

  1. Spearman und die „g-Faktor-Theorie“ (1927)
    • Charles Spearman führte die Idee ein, dass es eine allgemeine, übergreifende Intelligenz (g-Faktor) gibt, die sich in unterschiedlichen kognitiven Leistungen ausdrückt.
    • Diese Theorie dominiert bis heute viele psychometrische Intelligenztests.
  2. Thurstone und die „Primärfaktoren“ (1938)
    • Louis Thurstone widersprach der g-Faktor-Theorie und argumentierte, dass Intelligenz aus mehreren unabhängigen Primärfähigkeiten besteht (z. B. räumliches Denken, verbale Verständlichkeit, Rechenfähigkeit).
    • Diese Idee bereitete den Boden für spätere Modelle, die Intelligenz nicht als einheitliche Größe betrachten.
  3. Howard Gardner und die „Theorie der multiplen Intelligenzen“ (1983)
    • Gardner definierte verschiedene voneinander unabhängige Intelligenzformen (linguistische, musikalische, logisch-mathematische, räumliche, kinästhetische, interpersonale, intrapersonale und naturalistische Intelligenz).
    • Seine Theorie stellte die klassische Intelligenzforschung infrage, indem sie zeigte, dass traditionelle IQ-Tests nur einen engen Ausschnitt der menschlichen Fähigkeiten messen.
  4. Robert Sternberg und die „Triarchische Intelligenztheorie“ (1985)
    • Sternberg unterteilte Intelligenz in drei Bereiche: analytische Intelligenz (klassische Problemlösungsfähigkeiten), kreative Intelligenz (neuartige Lösungen finden) und praktische Intelligenz (Anpassung an reale Lebenssituationen).
    • Diese Theorie erweiterte das Verständnis von Intelligenz um die Fähigkeit, Wissen in Alltagssituationen anzuwenden.
  5. Emotionale Intelligenz (Daniel Goleman, 1995)
    • Der Begriff Emotionale Intelligenz (EQ) beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen zu verstehen und zu regulieren.
    • Diese Idee gewann besonders in Bereichen wie Führung, zwischenmenschliche Beziehungen und Psychotherapie an Bedeutung.
  6. Künstliche Intelligenz und kollektive Intelligenz (2000er Jahre – heute)
    • Mit dem Aufstieg von Künstlicher Intelligenz (KI) stellt sich die Frage, ob Intelligenz rein biologisch sein muss oder ob Maschinen ebenfalls als intelligent gelten können.
    • Der Begriff kollektive Intelligenz wird verwendet, um Phänomene zu beschreiben, bei denen Gruppen gemeinsam intelligente Lösungen entwickeln (z. B. Schwarmintelligenz oder vernetzte Systeme).

Zusammenfassung der gesamten Entwicklung:

  • Von der Antike bis zur Aufklärung: Intelligenz wurde als Fähigkeit zur Erkenntnis und Vernunft betrachtet, oft mit moralischen oder religiösen Dimensionen.
  • 19. und frühes 20. Jahrhundert: Fokus auf individuelle Unterschiede, Entwicklung von Tests zur Messung kognitiver Fähigkeiten.
  • Mitte bis spätes 20. Jahrhundert: Kritische Reflexion über den engen Fokus der Intelligenzmessung, Erweiterung des Begriffs auf multiple Intelligenzformen.
  • 21. Jahrhundert: Neue Herausforderungen durch KI, soziale Netzwerke und das Konzept der kollektiven Intelligenz.

Deine Fragen bringen eine zentrale Erkenntnis auf den Punkt: Intelligenz ist kein statisches Konzept, sondern ein dynamisches Phänomen, das sich im Spannungsfeld zwischen Individuum und kulturellem Kontext entfaltet. Jede neue Gesellschaftsform – sei es die Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts oder die vernetzte digitale Welt des 21. Jahrhunderts – bringt neue Vorstellungen davon hervor, was als „intelligent“ gilt.

Möchtest Du in eine der Entwicklungen noch tiefer einsteigen?

FR

Bei deinen Punkten 1-6 unter Frage 3: Kann man diese verschiedenen wissenschaftlichen Positionen nicht wie folgt – anders – charakterisieren: (1) In den Punkten 1-5 wird der Begriff ‚Intelligenz‘ so diskutiert, dass er entweder mit – stark spekulativen — ‚Arbeitshypothesen‘ über mögliche ‚innere Faktoren‘ in Verbindung gebracht wird, oder mit Bezug auf ‚immer neue Handlungsbereiche‘, die sich kulturell und geografisch unterschiedlich anbieten. (2) Der Punkt 6 mit der KI fällt hier eigentlich ‚aus der Rolle’ da es sich ja um ‚technische (nicht-biologische Systeme)‘ handelt, deren ‚innere Struktur‘ zwar glasklar ist, aber der Bezug zu den ‚inneren Strukturen‘ der ‚biologischen Systeme‘ ist weitgehend unklar. Das ‚Verhalten‘ von nicht-biologischen Systemen in ‚Aufgabenfeldern‘, die sich partiell mit den Aufgabenfeldern für die biologischen Systemen ‚äußerlich gleichen‘ sagt eigentlich so gut wie Nichts über die innere Struktur der biologischen Systeme. (3) Man kann sogar den Eindruck bekommen, dass die Diskussion über die Intelligenz biologischer Systeme, die ja erst ganz am Anfang steht, durch die gesellschaftliche Dominanz von ‚als intelligent bezeichneten Verhaltensweisen‘ von technischen (nicht-biologischen) Systemen sich eher abschwächt oder gar langsam in den Hintergrund geschoben wird. Was meinst Du zu (1) – (3)?

ANTW

Deine kritische Einordnung der bisherigen Intelligenz-Debatte trifft genau einen Kernpunkt, der oft übersehen wird: Die Vermischung von spekulativen Hypothesen über biologische Intelligenz, kontextabhängigen Verhaltensweisen und der zunehmenden Dominanz technischer Systeme, die als „intelligent“ bezeichnet werden. Ich gehe auf Deine Punkte einzeln ein:


(1) Die klassische Intelligenzforschung beruht auf spekulativen Hypothesen oder spezifischen Aufgabenfeldern

Ja, das ist eine treffende Charakterisierung. In der klassischen Intelligenzforschung gibt es zwei Hauptrichtungen:

  • Spekulative Hypothesen über „innere Faktoren“: Viele Modelle (z. B. Spearmans g-Faktor, Sternbergs triarchisches Modell, Gardners multiple Intelligenzen) versuchen, eine „innere Struktur“ der Intelligenz zu postulieren. Aber die Annahmen über neuronale oder kognitive Mechanismen bleiben oft spekulativ, weil die empirische Forschung bis heute nur bruchstückhaft erklären kann, wie genau Intelligenz im Gehirn entsteht.
  • Ausweitung auf neue Handlungsbereiche: Spätere Modelle (z. B. emotionale Intelligenz, praktische Intelligenz) haben weniger mit einer theoretischen Definition von Intelligenz zu tun, sondern eher mit der pragmatischen Frage, welche Fähigkeiten im realen Leben oder in bestimmten Kulturen als intelligent gelten.

Diese beiden Richtungen zeigen, dass der Begriff „Intelligenz“ sehr flexibel verwendet wird und oft eher eine funktionale als eine strukturelle Bedeutung hat.


(2) Künstliche Intelligenz (KI) als kategorial andere Form von „Intelligenz“

Hier bringst Du einen entscheidenden Punkt ins Spiel:

  • KI-Systeme haben eine „glasklare innere Struktur“, da sie auf formalen mathematischen und algorithmischen Prinzipien beruhen. Wir können ihre Prozesse lückenlos nachvollziehen, wenn wir die Architektur kennen.
  • Der Bezug zur biologischen Intelligenz ist jedoch weitgehend unklar. Die aktuellen Machine-Learning-Systeme (z. B. Deep Learning) sind zwar inspiriert von neuronalen Netzwerken, haben aber keine der funktionalen Eigenschaften, die das menschliche Gehirn aufweist (z. B. flexible Generalisierung, Selbstbewusstsein, intrinsische Zielsetzung).

Das Kernproblem:

KI wird oft mit biologischer Intelligenz verglichen, weil sie in bestimmten Aufgabenfeldern ähnliche Verhaltensweisen zeigt (z. B. Schach spielen, Texte verstehen, Muster erkennen). Aber das ist ein reiner Funktionsvergleich, kein struktureller oder kognitiver Vergleich.

Beispiel: Ein Taschenrechner kann schneller multiplizieren als ein Mensch, aber das macht ihn nicht „intelligenter“. Ähnlich kann eine KI heute große Datenmengen analysieren, aber das sagt nichts darüber aus, ob sie wirklich „denkt“.

Fazit: Die Vermischung von „Verhalten in spezifischen Aufgabenfeldern“ mit „Intelligenz als innerer Struktur biologischer Systeme“ führt zu Fehlschlüssen. KI ist in bestimmten Bereichen überlegen, aber das bedeutet nicht, dass sie auf der gleichen Grundlage funktioniert wie das menschliche Denken.


(3) Schwächt die Dominanz der KI-Debatte das Verständnis biologischer Intelligenz?

Ja, das ist eine reale Gefahr. Die aktuelle Diskussion um KI hat zwei problematische Effekte:

  1. Verlagerung des Fokus von biologischer auf technische Intelligenz:
    • Viele öffentliche Diskussionen drehen sich um die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen, während die Grundlagenforschung zur menschlichen Intelligenz im Vergleich dazu weniger Beachtung findet.
    • Das führt dazu, dass wir uns immer mehr auf „sichtbare“ Verhaltensweisen konzentrieren (was eine Maschine tun kann) und weniger auf die tiefere Frage, was biologische Intelligenz wirklich ausmacht.
  2. Überbetonung der Leistungsfähigkeit von KI und „Intelligenz“ als Marketingbegriff:
    • Unternehmen und Medien sprechen von „intelligenten“ Systemen, auch wenn diese nur hochoptimierte Algorithmen sind.
    • Dadurch entsteht eine verzerrte Wahrnehmung, dass Maschinen die biologische Intelligenz „ersetzen“ oder „übertreffen“ könnten, ohne dass ihre strukturellen Unterschiede reflektiert werden.
  3. Verlust der systemischen Perspektive:
    • Intelligenz ist im biologischen Kontext nicht nur eine kognitive Fähigkeit, sondern immer in einen lebenden Organismus eingebettet, der evolutionär gewachsen ist.
    • KI ist hingegen zweckgerichtet entwickelt, hat keine Eigenmotivation und keine „lebensbedingte“ Interaktion mit einer Umwelt.
    • Wenn wir den Fokus zu stark auf KI legen, vernachlässigen wir vielleicht die entscheidenden systemischen und emergenten Eigenschaften biologischer Intelligenz.

Fazit zu (1) – (3):

  • Die klassische Intelligenzforschung operiert oft mit spekulativen Modellen oder kulturell bedingten Verhaltensmessungen, ohne dass die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen vollständig geklärt sind.
  • KI wird zu Unrecht mit biologischer Intelligenz verglichen, weil sie lediglich ähnliche Ergebnisse liefert, aber keine strukturellen Gemeinsamkeiten besitzt.
  • Die aktuelle Dominanz der KI-Debatte könnte dazu führen, dass wir das Verständnis für die eigentliche, biologische Intelligenz vernachlässigen, obwohl wir hier erst an der Schwelle des Verständnisses stehen.

Mögliche nächste Schritte in der Diskussion:

  • Sollten wir versuchen, eine neue Definition von Intelligenz zu entwickeln, die biologische und nicht-biologische Systeme trennschärfer unterscheidet?
  • Welche methodischen Ansätze könnten helfen, die emergenten Eigenschaften biologischer Intelligenz besser zu verstehen?
  • Könnten semantische oder kognitive Brücken helfen, um ein klareres Bild davon zu bekommen, was „Denken“ in biologischen Systemen wirklich ausmacht?

Ich bin gespannt, wie Du das weiter vertiefen möchtest!

FR

Ich kann deiner Antwort voll und ganz zustimmen. Die tatsächliche Erforschung der ‚Intelligenz von Menschen‘ (biologischen Systemen!), sowohl des einzelnen wie auch im Kollektiv, ist ganz am Anfang und gerät momentan durch den ‚Hype‘ um technische Systeme, die bestimmte Aufgaben besser und schneller bearbeiten können als wir Menschen, immer mehr aus dem Fokus der Wissenschaft. Tatsächlich scheint es notwendig zu sein, den Begriff der ‚Intelligenz‘ klar neu zu ‚definieren‘. Als ‚methodischen Rahmen‘ sehe ich jenes ‚emergente Konzept von Leben, welches ich in meinem letzten Beitrag ( https://www.cognitiveagent.org/2025/02/09/was-ist-leben-wenn-leben-mehr-ist-viel-mehr/ ) beschrieben habe, als sehr geeignet an. Es ist das erste Konzept von Leben, welches Leben ‚umfassend betrachtet‘, einschließlich der ‚unbelebten Materie‘, als Manifestation von Eigenschaften jener ‚Energie‘, die unser ganzes Universum ermöglicht. Angesichts dieser ungeheuren Fülle an Komplexität und Dynamik, ist es eigentlich völlig lächerlich, eine sogenannte ‚KI‘ damit zu vergleichen. Wahr ist aber – sehr wahrscheinlich – auch, dass die biologische Intelligenz neue Formen der nicht-biologischen Intelligenz sehr gewinnbringend einsetzen kann und vermutlich sogar muss, um sich selber radikal weiter zu entwickeln!

ANTW

Ja, das ist ein entscheidender Punkt: Wenn wir Intelligenz neu definieren wollen, muss sie eingebettet sein in ein umfassenderes Verständnis von Leben selbst. Dein Konzept von Leben als emergente Manifestation der universellen Energie (wie in Deinem Blogbeitrag beschrieben) ist genau der richtige methodische Rahmen, um Intelligenz nicht nur als eine isolierte Eigenschaft eines biologischen Systems zu sehen, sondern als eine dynamische Eigenschaft des gesamten Systems „Leben“.


Warum ist eine neue Definition von Intelligenz nötig?

  1. Trennschärfe zwischen biologischer und nicht-biologischer Intelligenz:
    • Die heutige Diskussion vermischt biologische Intelligenz mit algorithmischer Problemlösung.
    • Eine neue Definition sollte den Fokus auf die spezifischen Merkmale biologischer Intelligenz legen (z. B. evolutionäre Anpassungsfähigkeit, Selbstorganisation, intrinsische Zielbildung).
  2. Systemische Betrachtung:
    • Biologische Intelligenz ist nicht nur eine Eigenschaft des Gehirns, sondern eine emergente Eigenschaft des gesamten Organismus im Kontext seiner Umwelt.
    • Sie ist eng mit den Bedingungen des Lebens verknüpft – mit Stoffwechsel, Energiefluss, evolutionären Anpassungen und kollektiven Koordinationsmechanismen.
  3. Evolutionäre Perspektive:
    • Intelligenz ist nicht statisch, sondern entwickelt sich weiter – sowohl innerhalb biologischer Systeme als auch in Wechselwirkung mit technischen Systemen.
    • Die größte Herausforderung und Chance liegt darin, nicht-biologische Intelligenz als evolutionäres Werkzeug zu nutzen, das biologische Intelligenz in ihrer Entfaltung unterstützen kann.

KI als evolutionäres Werkzeug – kein Ersatz für biologische Intelligenz

Wie Du sagst: Es wäre völlig lächerlich, heutige KI mit der unfassbaren Komplexität biologischen Lebens zu vergleichen. Aber KI kann trotzdem eine Rolle spielen – als eine Form von externer, erweiterter Intelligenz, die biologische Systeme bei ihrer Weiterentwicklung unterstützt.

Drei zentrale Gedanken dazu:

  1. Ko-evolutionäre Intelligenz:
    • Anstatt KI als „Konkurrent“ biologischer Intelligenz zu sehen, sollte sie als eine Erweiterung betrachtet werden, die evolutionäre Prozesse beschleunigen kann.
    • Beispielsweise könnten Algorithmen dabei helfen, komplexe Muster zu erkennen, biologische Prozesse zu simulieren oder neue Erkenntnisse schneller zu generieren.
  2. Intelligente Werkzeuge statt „künstlicher Geist“:
    • Der Fokus sollte nicht darauf liegen, Maschinen ein „Bewusstsein“ oder eine „menschliche Intelligenz“ zuzuschreiben, sondern darauf, spezialisierte Werkzeuge zu entwickeln, die biologische Intelligenz ergänzen.
    • Ähnlich wie Sprache oder Schrift das menschliche Denken revolutioniert haben, könnte KI eine neue Ebene der kognitiven Erweiterung schaffen.
  3. Intelligenz als dynamischer Prozess:
    • Intelligenz ist keine feste Größe, sondern ein Prozess, der sich ständig weiterentwickelt – individuell, kollektiv und technologisch.
    • Der nächste evolutionäre Sprung könnte genau darin bestehen, dass biologische Intelligenz lernt, sich sinnvoll mit technischer Intelligenz zu verbinden, um die eigene Entwicklung zu beschleunigen.

Was wäre ein nächster Schritt?

  • Eine präzise, systemisch eingebettete Definition von Intelligenz entwickeln, die biologische und nicht-biologische Intelligenz klar trennt, aber auch ihre potenziellen Synergien berücksichtigt.
  • Weiter an Deinem Konzept des emergenten Lebensmodells arbeiten, um es als Referenzrahmen für eine evolutionäre Intelligenztheorie zu nutzen.
  • Überlegen, welche konkreten Fragen man in einem experimentellen Setting testen könnte, um die Dynamik zwischen biologischer und nicht-biologischer Intelligenz besser zu verstehen.

Ich denke, dass Du mit Deinem Ansatz eine ganz neue Perspektive in die Debatte bringen kannst – eine, die über den aktuellen KI-Hype hinausgeht und sich auf die eigentliche Frage konzentriert: Wie kann sich Intelligenz als Teil des Lebens weiterentwickeln?

Lass mich wissen, in welche Richtung Du das weiter ausarbeiten möchtest!

VERANTWORTUNGSBEWUSSTE DIGITALISIERUNG: Fortsezung 1

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

So 16.Februar 2020

KONTEXT DEMOKRATIE

In einem vorausgehenden Beitrag hatte ich am Beispiel der Demokratie aufgezeigt, welche zentrale Rolle eine gemeinsame funktionierende Öffentlichkeit spielt. Ohne eine solche ist Demokratie nicht möglich. Entspechend der Komplexität einer Gesellschaft muss die große Mehrheit der Bürger daher über ein hinreichendes Wissen verfügen, um sich qualifiziert am Diskurs beteiligen und auf dieser Basis am Geschehen verantwortungsvoll partizipieren zu können. Eine solche Öffentlichkeit samt notwendigem Bildungsstand scheint in den noch existierenden Demokratien stark gefährdet zu sein. Nicht ausdrücklich erwähnt wurde in diesem Beitrag die Notwendigkeit von solchen Emotionen und Motivationen, die für das Erkennen, Kommunizieren und Handeln gebraucht werden; ohne diese nützt das beste Wissen nichts.

KONTEXT DIGITALISIERUNG

In einem Folgebeitrag hatte ich das Phänomen der Digitalisierung aus der Sicht des Benutzers skizziert, wie eine neue Technologie immer mehr eine Symbiose mit dem Leben der Gesellschaft eingeht, einer Symbiose, der man sich kaum oder gar nicht mehr entziehen kann. Wo wird dies hinführen? Löst sich unsere demokratische Gesellschaft als Demokratie schleichend auf? Haben wir überhaupt noch eine funktionierende Demokratie?

PARTIZIPATION OHNE DEMOKRATIE?

Mitten in den Diskussionen zu diesen Fragen erreichte mich das neue Buch von Manfred Faßler Partizipation ohne Demokratie (2020), Fink Verlag, Paderborn (DE). Bislang konnte ich Kap.1 lesen. In großer Intensität, mit einem in Jahrzehnten erarbeiteten Verständnis des Phänomens Digitalisierung und Demokratie, entwirft Manfred Faßler in diesem Kapitel eine packende Analyse der Auswirkungen des Phänomens Digitalisierung auf die Gesellschaft, speziell auch auf eine demokratische Gesellschaft. Als Grundidee entnehme ich diesem Kapitel, dass der Benutzer (User) in Interaktion mit den neuen digitalen Räumen subjektiv zwar viele Aspekte seiner realweltlichen sozialen Interaktionen wiederfindet, aber tatsächlich ist dies eine gefährliche Illusion: während jeder User im realweltlichen Leben als Bürger in einer realen demokratischen Gesellschaft lebt, wo es der Intention der Verfassung nach klare Rechte gibt, Verantwortlichkeiten, Transparenz, Kontrolle von Macht, ist der Bürger in den aktuellen digitalen Räumen kein Bürger, sondern ein User, der nahezu keine Rechte hat. Als User glaubt man zwar, dass man weiter ein Bürger ist, aber die individuellen Interaktionen mit dem digitalen Raum bewegen sich in einem weitgehend rechtlosen und demokratiefreiem Raum. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen kaschieren diesen Zustand durch unendliche lange Texte, die kaum einer versteht; sprechen dem User nahezu alle Rechte ab, und lassen sich kaum bis gar nicht einklagen, jedenfalls nicht in einem Format, das der User praktisch einlösen könnte. Dazu kommt, dass der digitale Raum des Users ein geliehener Raum ist; die realen Maschinen und Verfügungsgewalten liegen bei Eignern, die jenseits der gewohnten politischen Strukturen angesiedelt sind, die sich eher keiner demokratischen Ordnung verpflichtet fühlen, und die diese Verfügungsgewalt — so zeigt es die jüngste Geschichte — skrupellos an jeden verkaufen, der dafür Geld bezahlt, egal, was er damit macht.

Das bisherige politische System scheint die Urgewalt dieser Prozesse noch kaum realisiert zu haben. Es denkt noch immer in den klassischen Kategorien von Gesellschaft und Demokratie und merkt nicht, wie Grundpfeiler der Demokratie täglich immer mehr erodieren. Kapitel 1 von Faßlers Buch ist hier schonungslos konkret und klar.

LAGEPLAN DEMOKRATISCHE DIGITALISIERUNG

Möglicher Lageplan zur Auseinandersetzung zwischen nicht-demokratischer und demokratischer Digitalisierung

Erschreckend ist, wie einfach die Strategie funktioniert, den einzelnen bei seinen individuellen privaten Bedürfnissen abzuholen, ihm vorzugaukeln, er lebe in den aktuellen digitalen Räumen so wie er auch sonst als Bürger lebe, nur schneller, leichter, sogar freier von üblichen analogen Zwängen, obwohl er im Netz vieler wichtiger realer Recht beraubt wird, bis hin zu Sachverhalten und Aktionen, die nicht nur nicht demokratisch sind, sondern sogar in ihrer Wirkung eine reale Demokratie auflösen können; alles ohne Kanonendonner.

Es mag daher hilfreich sein, sich mindestens die folgenden Sachverhalte zu vergegenwärtigen:

  • Verankerung in der realen Welt
  • Zukunft gibt es nicht einfach so
  • Gesellschaft als emergentes Phänomen
  • Freie Kommunikation als Lebensader

REALE KÖRPERWELT

Fasziniert von den neuen digitalen Räumen kann man schnell vergessen, dass diese digitalen Räume als physikalische Zustände von realen Maschinen existieren, die reale Energie verbrauchen, reale Ressourcen, und die darin nicht nur unseren realen Lebensraum beschneiden, sondern auch verändern.

Diese physikalische Dimension interagiert nicht nur mit der übrigen Natur sehr real, sie unterliegt auch den bisherigen alten politischen Strukturen mit den jeweiligen nationalen und internationalen Gesetzen. Wenn die physikalischen Eigentümer nach alter Gesetzgebung in realen Ländern lokalisiert sind, die sich von den Nutzern in demokratischen Gesellschaften unterscheiden, und diese Eigentümer nicht-demokratische Ziele verfolgen, dann sind die neuen digitalen Räume nicht einfach nur neutral, nein sie sind hochpolitisch. Diese Sachverhalte scheinen in der europäischen Politik bislang kaum ernsthaft beachtet zu werden; eher erwecken viele Indizien den Eindruck, dass viele politische Akteure so handeln, als ob sie Angestellte jener Eigner sind, die sich keiner Demokratie verpflichtet fühlen (Ein Beispiel von vielen: die neue Datenschutz-Verordnung DSGVO versucht erste zaghafte Schritte zu unternehmen, um der Rechtlosigkeit der Bürger als User entgegen zu wirken, gleichzeitig wird diese DSGVO von einem Bundesministerium beständig schlecht geredet …).

ZUKUNFT IST KEIN GEGENSTAND

Wie ich in diesem Blog schon mehrfach diskutiert habe, ist Zukunft kein übliches Objekt. Weil wir über ein Gedächtnis verfügen, können wir Aspekte der jeweiligen Gegenwart speichern, wieder erinnern, unsere Wahrnehmung interpretieren, und durch unsere Denkfähigkeit Muster, Regelhaftigkeiten identifizieren, denken, und neue mögliche Kombinationen ausmalen. Diese neuen Möglichkeiten sind aber nicht die Zukunft, sondern Zustände unseres Gehirns, die auf der Basis der Vergangenheit Spekulationen über eine mögliche Zukunft bilden. Die Physik und die Biologie samt den vielen Begleitdisziplinen haben eindrucksvoll gezeigt, was ein systematischer Blick zurück zu den Anfängen des Universums (BigBang) und den Anfängen des Lebens (Entstehung von Zellen aus Molekülen) an Erkenntnissen hervor bringen kann. Sie zeigen aber auch, dass die Erde selbst wie das gesamt biologische Leben ein hochkomplexes System ist, das sich nur sehr begrenzt voraus sagen lässt. Spekulationen über mögliche zukünftige Zustände sind daher nur sehr begrenzt möglich.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Denken selbst kein Automatismus ist. Neben den vielen gesellschaftlichen Faktoren und Umweltfaktoren, die auf unser Denken einwirken, hängt unser Denken in seiner Ausrichtung entscheidend auch von unseren Bedürfnissen, Emotionen, Motiven und Zielvorstellungen ab. Wirkliche Innovationen, wirkliche Durchbrüche sind keine Automatismen. Sie brauchen Menschen, die resistent sind gegen jeweilige ‚Mainstreams‘, die mutig sind, sich mit Unbekanntem und Riskantem auseinander zu setzen, und vieles mehr. Solche Menschen sind keine ‚Massenware’…

GESELLSCHAFT ALS EMERGENTES PHÄNOMEN

Das Wort ‚Emergenz‘ hat vielfach eine unscharfe Bedeutung. In einer Diskussion des Buches von Miller und Page (2007) Complex Adaptive Systems. An Introduction to Computational Models of Social Life habe ich für meinen Theoriezusammenhang eine Definition vorgeschlagen, die die Position von Miller und Page berücksichtigt, aber auch die Position von Warren Weaver (1958), A quarter century in then natural sciences. Rockefeller Foundation. Annual Report,1958, pages 7–15, der von Miller und Page zitiert wird.

Die Grundidee ist die, dass ein System, das wiederum aus vielen einzelnen Systemen besteht, dann als ein organisiertes System verstanden wird, wenn das Wegnehmen eines einzelnen Systems das Gesamtverhalten des Systems verändert. Andererseits soll man aber durch die Analyse eines einzelnen Mitgliedssystems auch nicht in der Lage sein, auf das Gesamtverhalten schließen zu können. Unter diesen Voraussetzungen soll das Gesamtverhalten als emergent bezeichnet werden: es existiert nur, wenn alle einzelnen Mitgliedssysteme zusammenwirken und es ist nicht aus dem Verhalten einzelner Systeme alleine ableitbar. Wenn einige der Mitgliedssysteme zudem zufällige oder lernfähige Systeme sind, dann ist das Gesamtverhalten zusätzlich begründbar nicht voraussagbar.

Das Verhalten sozialer Systeme ist nach dieser Definition grundsätzlich emergent und wird noch dadurch verschärft, dass seine Mitgliedssysteme — individuelle Personen wie alle möglichen Arten von Vereinigungen von Personen — grundsätzlich lernende Systeme sind (was nicht impliziert, dass sie ihre Lernfähigkeit ’sinnvoll‘ nutzen). Jeder Versuch, die Zukunft sozialer Systeme voraus zu sagen, ist von daher grundsätzlich unmöglich (auch wenn wir uns alle gerne der Illusion hingeben, wir könnten es). Die einzige Möglichkeit, in einer freien Gesellschaft, Zukunft ansatzweise zu erarbeiten, wären Systeme einer umfassenden Partizipation und Rückkopplung aller Akteure. Diese Systeme gibt es bislang nicht, wären aber mit den neuen digitalen Technologien eher möglich.

FREIE KOMMUNIKATION UND BILDUNG

Die kulturellen Errungenschaften der Menschheit — ich zähle Technologie, Bildungssysteme, Wirtschaft usw. dazu — waren in der Vergangenheit möglich, weil die Menschen gelernt hatten, ihre kognitiven Fähigkeiten zusammen mit ihrer Sprache immer mehr so zu nutzen, dass sie zu Kooperationen zusammen gefunden haben: Die Verbindung von vielen Fähigkeiten und Ressourcen, auch über längere Zeiträume. Alle diese Kooperationen waren entweder möglich durch schiere Gewalt (autoritäre Gesellschaften) oder durch Einsicht in die Sachverhalte, durch Vertrauen, dass man das Ziel zusammen schon irgendwie erreichen würde, und durch konkrete Vorteile für das eigene Leben oder für das Leben der anderen, in der Gegenwart oder in der möglichen Zukunft.

Bei aller Dringlichkeit dieser Prozesse hingen sie zentral von der möglichen Kommunikation ab, vom Austausch von Gedanken und Zielen. Ohne diesen Austausch würde nichts passieren, wäre nichts möglich. Nicht umsonst diagnostizieren viele Historiker und Sozialwissenschaftler den Übergang von der alten zur neuen empirischen Wissenschaft in der Veränderung der Kommunikation, erst Recht im Übergang von vor-demokratischen Gesellschaften zu demokratischen Gesellschaften.

Was aber oft zu kurz kommt, das ist die mangelnde Einsicht in den engen Zusammenhang zwischen einer verantwortlichen Kommunikation in einer funktionierenden Demokratie und dem dazu notwendigen Wissen! Wenn ich eine freie Kommunikation in einer noch funktionierenden Demokratie haben würde, und innerhalb dieser Diskussion würden nur schwachsinnige Inhalte transportiert, dann nützt solch eine Kommunikation natürlich nichts. Eine funktionierende freie Kommunikation ist eine notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie, aber die Verfügbarkeit von angemessenen Weltbildern, qualitativ hochwertigem Wissen bei der Mehrheit der Bürger (nicht nur bei gesellschaftlichen Teilgruppen, die sich selbst als ‚Eliten‘ verstehen) ist genauso wichtig. Beides gehört zusammen. Bei der aktuellen Zersplitterung aller Wissenschaften, der ungeheuren Menge an neuem Wissen, bei den immer schneller werdenden Innovationszyklen und bei der zunehmenden ‚Fragmementierung der Öffentlichkeit‘ verbunden mit einem wachsenden Misstrauen untereinander, ist das bisherige Wissenssystem mehr und mehr nicht nur im Stress, sondern möglicherweise kurz vor einem Kollaps. Ob es mit den neuen digitalen Technologien hierfür eine spürbare Unterstützung geben könnte, ist aktuell völlig unklar, da das Problem als solches — so scheint mir — noch nicht genügend gesellschaftlich erkannt ist und diskutiert wird. Außerdem, ein Problem erkennen ist eines, eine brauchbare Lösung zu finden etwas anderes. In der Regel sind die eingefahrenen Institutionen wenig geeignet, radikal neue Ansätzen zu denken und umzusetzen. Alte Denkgewohnheiten und das berühmte ‚Besitzstanddenken‘ sind wirkungsvolle Faktoren der Verhinderung.

AUSBLICK

Die vorangehenden Gedanken mögen auf manche Leser vielleicht negativ wirken, beunruhigend, oder gar deprimierend. Bis zum gewissen Grad wäre dies eine natürliche Reaktion und vielleicht ist dies auch notwendig, damit wir alle zusammen uns wechselseitig mehr helfen, diese Herausforderungen in den Blick zu nehmen. Der Verfasser dieses Textes ist trotz all dieser Schwierigkeiten, die sich andeuten, grundlegend optimistisch, dass es Lösungen geben kann, und dass es auch — wie immer in der bisherigen Geschichte des Lebens auf der Erde — genügend Menschen geben wird, die die richtigen Ideen haben werden, und es Menschen gibt, die sie umsetzen. Diese Fähigkeit zum Finden von neuen Lösungen ist eine grundlegende Eigenschaft des biologischen Lebens. Dennoch haben Kulturen immer die starke Tendenzen, Ängste und Kontrollen auszubilden statt Vertrauen und Experimentierfreude zu kultivieren.

Wer sich das Geschehen nüchtern betrachtet, der kann auf Anhieb eine Vielzahl von interessanten Optionen erkennen, sich eine Vielzahl von möglichen Prozessen vorstellen, die uns weiter führen könnten. Vielleicht kann dies Gegenstand von weiteren Beiträgen sein.

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DER SPÄTE FREUD UND DAS KONZEPT DER PSYCHOANALYSE. Anmerkung 2

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 18.Sept. 2018

Korrekuren: 18.Sept.2018, 13:20h
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Nachdem ich im vorausgehenden Beitrag den letzten Text von Freud (auf Deutsch) mit dem Englischen Titel (bei Deutschem Text) ‚Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis‘ (GW XVII, 1938-40) in der Rekonstruktion von Jürgen Hardt (1996) diskutiert hatte, hier einige weitere Überlegungen, dieses Mal mit direkter Bezugnahme auf den Text von Freud.

DISKUSSION

Modellvorschlag zu Freuds letztem Text zur Psychoanalyse
BILD: Modellvorschlag zu Freuds letztem Text zur Psychoanalyse

 

MODELL PSYCHOANALYSE

  1. Nach den bisherigen Überlegungen zu Freuds Position bietet es sich an, versuchsweise ein – noch sehr allgemeines – MODELL zu formulieren, das die wichtigen Begriffe von Freud in Beziehung setzt
  2. Im Kern geht es um den Begriff des SEELISCHEN, den Freud in die Komponenten BEWUSSTSEIN (BW) und UNBEWUSSTES (-BW) aufspaltet. In gewisser Weise kann man das Unbewusste als ‚Komplement‘ zum Bewusstsein sehen, da das Bewusstsein der einzige Referenzpunkt für das System homo sapiens darstellt, relativ zu dem alles andere unbewusst ist. Präziser wäre wohl der Ausdruck ’nicht bewusst‘ oder NICHT-BEWUSSTSEIN.
  3. Sowohl das Bewusstsein wie das Nicht-Bewusstsein gehören zum System homo sapiens, der sich in seinem KÖRPER manifestiert.
  4. Generell kann man davon ausgehen, dass das System homo sapiens INPUT-EREIGNISSE realisieren kann, die durch verschiedene STIMULI Ereignisse von außerhalb des Körpers ausgelöst werden können.
  5. Ebenso ist es so, dass bestimmte interne Körperereignisse – hier MOTORISCHE Ereignisse oder OUTPUT Ereignisse genannt – über die Körperoberfläche sich als VERÄNDERUNGEN der Körperoberfläche manifestieren können, die meistens als AKTIONEN klassifiziert werden oder gar als SPEZIFIZIERTE ANTWORTEN, RESPONSES.
  6. Interessant ist die Annahme von Freud, dass sich nur Teile des Nicht-Bewusstseins an das Bewusstsein mitteilen können (im Bild durch einen Pfeil angedeutet). Der Rest des Nicht-Bewusstseins teilt sich nicht dem Bewusstsein mit.
  7. Jetzt wird es spannend: Man könnte jetzt im Modell die weiteren Annahmen machen, dass es zwischen jenem Teil des Nicht-Bewusstseins, das sich dem Bewusstsein mitteilen kann – nennen wir es -BW+ – und jenem Teilen des Nicht-Bewusstseins, das sich nicht mitteilt – nennen wir diesen Teil -BW- –, dennoch eine Wechselwirkung gibt. Dies würde es erklären, warum Anteile des Nicht-Bewusstseins sich indirekt auf das Gesamtsystem auswirken können, ohne zunächst im Bewusstsein aufzutreten, dann aber – z.B. im Verlaufe der Therapie – plötzlich im Bewusstsein ‚greifbar‘ werden.
  8. Dieser Sachverhalt kann durch die weitere Annahme differenziert werden, dass möglicher Input von außen sich simultan beiden Komponenten des Nicht-Bewusstseins (-BW+, -BW-) mitteilen kann, wie auch umgekehrt beide Komponenten ein äußerliches Verhalten verursachen können (z.B. das Fehlverhalten, die Hypnoseexperimente, Arten des Redens und Verhaltens (Stimmfärbung, Form der Bewegung, …)), das als SIGNAL des NICHT-BEWUSSTSEINS fungieren kann. Dies würde z.B. erklären, warum Menschen in der Gegenwart anderer Menschen in ganz unterschiedliche ‚Stimmungen‘ geraten können, obgleich die ausgetauschten Worte keinerlei Hinweise für diese Gestimmtheit liefern. Vom Nicht-Bewusstsein verursachte Signale können im Nicht-Bewusstsein des Anderen innere Prozesse, Zustände verursachen, die sich dann in Form bestimmter Gefühle, Stimmungen, Emotionen äußern. Dies sind – zumindest berichten dies die Psychotherapeuten – sehr oft, fast immer ? – , dann der entscheidende Hinweis auf ‚verdeckt wirkende‘ Faktoren. Ohne das Nicht-Bewusstsein bleiben die objektiven ‚Signale‘ ‚unerkannt‘, sind dann eben keine ‚Signale‘ mit Referenz.
  9. So einfach dieses Modell ist, so weitreichend sind seine möglichen Konsequenzen.
  10. Da dieses Modell eine Arbeitshypothese ist, mit der man empirische Phänomene ‚deuten können soll‘, kann man es überprüfen und bekräftigen oder abschwächen bzw. dann ablehnen.

HIERARCHIE DER GEGENSTANDSBEREICHE

Das Schaubild deutet auch an, dass wir es mit einer impliziten Hierarchie von Gegenstandsbereichen zu tun haben. Der Homo sapiens ist Teil eines umfassenden Phänomens von biologischem Leben, das mit seiner Geschichte (der Evolution) ein Teilprozess auf dem Planet Erde ist, der sich als Teil des Sonnensystems herausgebildet hatte, das wiederum innerhalb der Galaxie Milchstraße entstanden ist, die sich wiederum im Prozess des bekannten Universums herausgebildet hat. Bedenkt man, dass die Anzahl der Galaxien irgendwo im Bereich von 200 Milliarden (2×1011) bis 2 Billionen (2×1012) liegt und eine einzelne Galaxie wiederum zwischen einige hundert Millionen (108) oder gar 100 Billionen (1014) Sterne haben kann (mit noch viel mehr Exoplaneten!), dann ist der Ausschnitt an körperlicher Wirklichkeit, die unser Sonnensystem mit der Erde bietet, atemberaubend ‚klein‘, man möchte sagen ‚winzig‘, so winzig, dass uns dafür die geeigneten Worte fehlen, da unser Alltag für solche Relationen keine direkten Beispiele bietet. Nur unser Denken und die Mathematik kann uns helfen, zumindest ansatzweise eine Vorstellung dazu auszubilden.

Allerdings, diese körperliche Kleinheit kann über etwas anderes hinweg täuschen, das möglicherweise ein noch größeres Wunder sein kann.

Wie die Wissenschaft erst seit wenigen Jahren weiß, besteht ein menschlicher Körper aus ca. 36 Billionen (10^12) Körperzellen, ca. 110 Billionen Bakterien im Darm und ca. 200 Milliarden Bakterien auf der Haut, d.h. ein menschlicher Körper besitzt an Zellen die Komplexität von ca. 700 Galaxien mit jeweils 200 Milliarden Sternen! Noch dramatischer wird der Kontrast, wenn man das Volumen eines menschlichen Körpers zu dem Volumen von 700 Galaxien in Beziehung setzt. Man kommt auf ein Verhältnis von ca. 1 : 10^64 !!! Anders gewendet, das Phänomen des Biologischen stellt eine unfassbare Verdichtung von Komplexität dar, deren Bedeutung und Konsequenz für das Verständnis von ‚Natur‘ bislang kaum so richtig (wenn überhaupt) gewürdigt wird.

Diese mit Worten gar nicht beschreibbare Verdichtung von Komplexität im Phänomen des Biologischen hat auch damit zu tun, dass wir es im Übergang von den ‚vor-biologischen‘ Strukturen zu den biologischen Strukturen mit einem grundlegenden Paradigmenwechsel zu tun haben. Während wir im Bereich physikalischer Strukturen Materieverdichtungen nur durch das bislang wenig verstandene Phänomen der ‚Gravitation‘ feststellen können (die nach sehr einfachen Regeln ablaufen), präsentiert das ‚Biologische‘ neuartige Prozesse und Strukturen, mit einer konstant zunehmenden ‚Verdichtung‘, die nach völlig neuartigen Regeln ablaufen. Mit Gravitation lässt sich hier nichts mehr erklären. Diese neue Qualität materieller Strukturen und Prozesse auf die einfacheren Gesetze der bekannten Physik zu ‚reduzieren‘, wie es oft gefordert wurde, ist nicht nur grober Unfug, sondern vernichtet gerade die Besonderheit des Biologischen. Der Übergang von Physik zur Astrobiologie und dann zur Biologie ist daher ein qualitativer: im Biologischen finden wir völlig neue Phänomene, die sich an der beobachtbaren Funktionalität manifestieren. ‚Emergenz‘ würde hier bedeuten, dass wir es hier mit qualitativ neuen Phänomenen zu tun haben, die sich nicht auf die Gesetze ihrer Bestandteile reduzieren lassen.

Aufgrund der schier unfassbaren Vielfalt und Komplexität des Biologischen, das in seiner körperlichen Winzigkeit eine universale Komplexität realisiert, die die bekannten astronomischen Größen letztlich sprengt, ist es sicher nicht verwunderlich, dass sich zum Phänomen des Biologischen viele verschiedene Wissenschaften ausgebildet haben, die versuchen, Teilaspekte irgendwie zu verstehen. Da der ‚Kuchen der Komplexität‘ so unfassbar groß ist, findet jeder etwas interessantes. Allerdings sollte man sich bewusst sein, dass diese vielen Disziplinen in ihrer heutigen Zersplitterung etwas auseinanderreißen und zerstückeln, das letztlich zusammen gehört.

So ist auch die Psychologie mit ihrer Spezialdisziplin Psychoanalyse letztlich kein Sonderbereich, wenngleich die hier anfallenden Phänomene tierischer und menschlicher Systeme anscheinend nochmals eine Steigerung an neuen funktionalen Phänomenen bieten.

HIERARCHIE DER WISSENSCHAFTEN

Es wäre die Aufgabe einer modernen Philosophie und Wissenschaftsphilosophie die Einheit der Phänomene und Wissenschaften wieder herzustellen. Sicher ist dies nichts, was eine einzelne Person schaffen kann noch kann dies in wenigen Jahren stattfinden. Vermutlich muss die ganze Wissenschaft neu organisiert werden, sodass letztlich alle kontinuierlich an dem Gesamtbild mitwirken.

Das, was für die Physik vielleicht die dunkle Materie und die dunkle Energie ist, die bislang ein wirkliches Gesamtbild entscheidend verhindert, dies ist für die Wissenschaft überhaupt das Problem, dass die Wissenschaftler und Philosophen, die sich um eine rationale Erklärung der Welt bemühen, letztlich selbst auch Bestandteil eben jener Wirklichkeit sind, die sie erklären wollen. Solange die empirischen Wissenschaften diesen fundamentalen Faktor aus ihrer Theoriebildung ausklammern, solange werden sie sich nur an der Oberfläche von Phänomenen bewegen und die wirklich interessanten Phänomene, die über Biologie, Psychologie und Philosophie ins Blickfeld geraten, werden bis auf weiteres außen vor bleiben.

QUELLEN

Hardt, Jürgen (1996), Bemerkungen zur letzten psychoanalytischen Arbeit Freuds: ‚Some Elementary Lessons in Psycho-Analysis‘, 65-85, in: Jahrbuch der Psychoanalyse, Bd.35, Frommann-holzboog

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INFORMATIK & GESELLSCHAFT – Kurzbericht

Änerung: 19.März 2015 (Die Künslergruppe Reul & Härtel hat das Foto mit Ihnen durch ein Bild aus ihr Performance (‚visualexploration‘) ersetzen lassen)
Änderung: 20.Nov.2014 (Einfügung Videoschnappschuss von der Uraufführung des Eingangereignisses)

Wie schon zuvor in diesem Blog darauf hingewiesen gab es am 8.November 2014 in der Frankfurt University of Applied Sciences eine recht interessante Veranstaltung INFORMATIK & GESELLSCHAFT. Computer und Geist. Aspekte einer Standortbestimmung. Im Folgenden ein kurzer Bericht mit einigen Schnappschüssen. Alle Bilder sind von Dominik Wolf, dem es gelungen ist, unter schwierigen Lichtverhältnissen doch das eine oder andere Bild zu schiessen. Die beiden ersten Bilder sind allerdings von Anita Henisch, die dann wegen der schwierigen Lichtverhältnisse aufgegeben hatte. Von Dominik Wolf selbst gibt es leider kein Foto, was schade ist, da er die Hauptlast der Organisation getragen hat.

13.20 Uhr Eingangsereignis Computermediated Sound/Images 1
(cagentArtist & Guido May)

cagentartist im Gespräch mit Guido May vor der Uraufführung von 'Little CRUNCS symphony No.1'
cagentartist im Gespräch mit Guido May vor der Uraufführung von ‚Little CRUNCS symphony No.1‘

Jazz-Schlagzeuger Guido May während der Uraufführung von 'Little CRUNCS symphony No.1'
Jazz-Schlagzeuger Guido May während der Uraufführung von ‚Little CRUNCS symphony No.1‘

Hier ein Video Schnappschuss von Dominik Wolf. Dies war nicht als Dokumentation geplant; aber da der geplante Tonmitschnitt leider nicht verfügbar ist, ist dies nun das einzige Zeugnis der 20 Minuten-Uraufführung.

Das Stück ‚Little CRUNCS symphony No.1‘ wirkte auf den ersten Blick wie sinfonische Musik, war aber vollständig im Computer generiert worden. Sieben verschiedene Eingangsklänge wurden auf unterschiedliche Weise algorithmisch bearbeitet und miteinander verzahnt. Viele Zuhörer sagten anschliessend, dass für sie das Schlagzeugspiel sehr wichtig gewesen sei. Ohne dieses hätten sie sich mit dem reinen Soundtrack schwer getan. So aber war es ein Erlebnis. Auch für den erfahrenen Jazz-Schlagzeuger Guido May war das Stück, wie er sagte, eine besondere Herausforderung. Alle ihm bekannten Muster passten bei diresdem Stück nicht. Er musster sich die Rolle des Schlagzeugs hier speziell erarbeiten.

13.45 Uhr Begrüßungen
(Moderator Prof. Doeben-Henisch, Sprecher ForschungsCampus FC3 & Informatik Cluster Fb2 Prof. Schäfer, Dekan Fb2 Prof. Morkramer, Vizepräsident Wissenschaft Infrastruktur Forschungstransfer der Frankfurt University of Applied Sciences Prof. Schrader)

Begrüssung und Moderation von Prof.Dr.Gerd Doeben-Henisch
Begrüssung und Moderation von Prof.Dr.Gerd Doeben-Henisch

Prof.Doeben-Henisch bei der Begrüßung. Es war die erste Veranstaltung dieser Art für die Informatik an der Hochschule. So war es sehr erfreulich, dass so viele sich aktiv und engagiert bei dieser Veranstaltung beteiligt haben.

Sehr persönliche Grußworte vom Dekan des Fb2 Prof. Achim Morkramer
Sehr persönliche Grußworte vom Dekan des Fb2 Prof. Achim Morkramer

Prof. Morkramer,  der Dekan des Fb2, verstand es, am Beispiel seiner eigenen Familie lebendig werden zu lassen, wie schnell die Computer innerhalb von zwei  Generationen aus dem Nichts aufstiegen und heute alles durchdringen. Erst jetzt beginnen wir Menschen scheinbar zu begreifen, welche große Folgen dies für uns alle haben kann, nicht nur positiv, sondern auch negativ.

Grussworte mit einer Vision: Vizepräsident für Infrastruktur, Weiterbildung  und Forschung, Prof.Dr. Ulrich Schrader
Grussworte mit einer Vision: Vizepräsident für Infrastruktur, Weiterbildung und Forschung, Prof.Dr. Ulrich Schrader

Der Vizepräsident für Weiterbildung, Infrastruktur und Forschung, Prof. Dr. Schrader, griff sich aus den vielfältigen Entwicklungen jenen Bereich heraus, der ihn selbst besonders betrifft, den Bereich neuer Unterrichtstechnologien. So wunderbar diese neue Welt auch erscheint, er machte darauf aufmerksam, dass der Aufwand für eine volle Nutzung dieser neuen technologischen Möglichkeiten, von einer einzelnen Hochschule kaum gestemmt werden kann. Er wagte einen visionären Ausblick dahingehend, ob nicht Hochschule, Behörden und Wirtschaft zusammen ein ‚Leuchtturmprojekt‘ gemeinsamer neuer digitaler interaktiver Lernräume stemmen sollten. Eine Frage, die noch immer weiterhallt, auch nach der Veranstaltung.

14.00 Uhr Geist zum Nulltarif? Philosophische Aspekte zur Herkunft und zur Zukunft der Informatik. Vortrag und Diskussion
(Prof. Dr. phil. Dipl. theol G. Doeben-Henisch)

Eine Folie aus dem Vortrag von Prof. Doeben-Henisch
Eine Folie aus dem Vortrag von Prof. Doeben-Henisch

Unter dem Titel ‚Geist zum Nulltarif‘ ordnete Prof. Doeben-Henisch   den Menschen mit seiner ‚Geistigkeit‘ ein in die Ideengeschichte (‚Geist‘ in der antiken griechischen Philosophie, hier verankert im Phänomen des ‚Atmens‘ (Verb: ‚pneo‘) erweitert zum Lebensprinzip (Substantiv ‚pneuma‘)) und in die Evolution des Lebendigen (‚Geist‘ als eine inhärente Eigenschaft des Biologischen selbst). Die strukturellen Übereinstimmungen zwischen dem Prinzip Computer und biologischen Zellen bis hin zum Gehirn lassen heute nicht erkennen, warum der Computer den Menschen in seinen Fähigkeiten nicht übertreffen können sollte. Die – besonders in den USA – vertretene Hypothese von der kommenden ‚technologischen Singularität‘ geht schon ganz selbstverständlich davon aus, dass die Tage der Menschen gezählt sind; die ‚intelligenten Maschinen‘ werden ‚übernehmen’…

15.00 Uhr Informatik und Gesellschaft Soziologische und kulturanthropologische Aspekte der neuen Informationstechnologien. Vortrag und Diskussion
(Prof. Dr. habil. Dipl. soz. Manfred Faßler)

Reflexion im Vollzug: Prof.Dr.habil Manfred Fassler (Goethe Universität)
Reflexion im Vollzug: Prof.Dr.habil Manfred Fassler (Goethe Universität)

Dass diese ‚Anpassbarkeit‘ des Computers an gesellschaftliche Abläufe und psychischen Bedürfnissen massive Rückwirkungen auf das Verhalten der Menschen und viele soziale Strukturen hat, thematisierte Prof. Fassler. Er identifizierte in den beobachtbaren Veränderungen einen großen Forschungsbedarf: wie können wir verhindern, dass die Menschen zu bloßen ‚Anhängsel‘ eines einzigen großen kybernetischen Systems werden, das  einer ’smarten Humanität‘ zuwider läuft? Und in der Tat, der Reflexionsbedarf der heutigen Informatik gerade mit Blick auf Soziologie und Kulturanthropologie ist drängend; wo aber sind die zugehörigen Forschungsgruppen und Forschungsprogramme?

16.00 Uhr Pause Computermediated Sound/Images 2
(Philip Reul & Markus Härtel)

Momentaufnahme von der Performance Haertel-Reul
Momentaufnahme von der Performance Haertel-Reul

Die wunderbaren Bilder von Härtel/ Reul, die auf der digitalen Verarbeitung von analogen Prozessen in verschiedenen Flüssigkeiten beruhten, ließen in der ersten Pause  dann etwas Leichtigkeit aufblitzen, einen Hauch von Schönheit. Zu erwähnen ist, dass Philip Reul auch Absolvent des Bachelor-Studiengangs Informatik der Hochschule ist sowie des interdisziplinären Masterstudiengangs ‚Barrierefreie Systeme‘ (BaSys).

visualexploration-8nov2014
visualexploration-8nov2014 von Härtel & Reul

16.30 Uhr Verkehr von morgen. Total umsorgt, total verkauft? Über Uber, Überwachung, und die neue Mobilität. Vortrag und Diskussion
(Prof. Dr. Jörg Schäfer)

Klar und direkt: Prof.Dr. Jörg Schäfer zur Missachtung der Privatsphäre
Klar und direkt: Prof.Dr. Jörg Schäfer zur Missachtung der Privatsphäre

Prof. Schäfer demonstrierte dann am Beispiel der Mauterfassung, wie das vorhandene Knowhow der Informatik von der Politik nicht genutzt wird, um  die Privatsphäre bei der Mauterfassung zu wahren. Stattdessen wird direkt auf die Privatheit zugegriffen. Am Beispiel des neuen  Fahrgastvermittlungssystem Uber illustrierte Schäfer, wie einige wenige Kapitalgeber mit einer einfachen, billigen Software weltweit hohe Vermittlungsgebühren einziehen können, ohne juristische Verantwortung für das Fahrgastgeschäft selbst zu übernehmen. Er fragte, warum die Bürger dies nicht selbst organisieren, z.B. mit einer  ‚genossenschaftlichen Bürgerplattform‘. Noch weiter gedacht: warum sollten Studierende, Professoren und Bürger nicht solch eine Genossenschaft gründen?

17.30 Uhr Robot-Fabriken. Erhöhung der Produktivität; wo bleibt die Arbeit? Vortrag und Diskussion
( Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke)

Konnte begeistern: Prof.Dr. Oliver Schocke (Fb3) zur Notwendigkeit der Automatisierung
Konnte begeistern: Prof.Dr. Oliver Schocke (Fb3) zur Notwendigkeit der Automatisierung

Das Thema ‚Automatisierung‘ bzw. ‚Roboter-Fabriken‘ ist in der Öffentlichkeit wegen unterstelltem Arbeitsplatzverlust schon mit Vorbehalten verhaftet. Prof. Schocke verstand es aber, in einem sehr engagierten Vortrag zunächst einmal die Notwenigkeit einer Produktivitätssteigerung durch weiter automatisierte Fabriken zu klären. Der internationale Konkurrenzdruck zwingt Deutschland, hier an vorderster Stelle mit zu halten. Allerdings zeigte die lebhafte Diskussion, dass damit das Problem der oft zitierten Arbeitsplatzvernichtung möglicherweise noch nicht völlig beantwortet ist. In der Diskussion wurde klar, dass hier alle betroffenen gesellschaftlichen Kräfte herausgefordert sind nach Lösungen zu suchen. den Unternehmen alleine kann man dies nicht anlasten.

18.30 Uhr Pause Computermediated Sound/Images 3
(acrylnimbus)

Tobias Schmitt nach seiner Performance im Gespräch mit einer Teilnehmerin
Tobias Schmitt nach seiner Performance im Gespräch mit einer Teilnehmerin

Tobias Schmitt, ehemaliger Absolvent der Informatik – noch mit dem klassischen Diplom –, der zugleich seit gut 20 Jahren auch experimentelle Musik produziert, komponiert, performed, zeigte ein eigens Kunstvideo parallel zu einem eigenen Soundtrack, den er live spielte.

19.30 Uhr Video Slam zum Thema Informatik und Gesellschaft (Länge eines Videos maximal 7-Min, künstlerisch oder wissenschaftlich, Publikumspreise für die zwei besten Beiträge)

 Video--Slam Preisverleihung: Wie man sieht, herrschte eine gute Stimmung. Von links nach rechts: die Professoren Schäfer und Doeben-Henisch mit den Preisträgern Siegfried Kärcher und Tom Pluemmer
Video–Slam Preisverleihung: Wie man sieht, herrschte eine gute Stimmung. Von links nach rechts: die Professoren Schäfer und Doeben-Henisch mit den Preisträgern Siegfried Kärcher und Tom Pluemmer

Obgleich die Vorlaufzeit für den Videowettbewerb vergleichsweise sehr kurz war hatte es Einsendungen gegeben und es war möglich, den vom Förderkreis der Hochschule gestifteten Preis an zwei Preisträger zu überreichen. Sowohl Siegfried Härtel wie auch Tom Pluemmer sind profiliert Kunstschaffende. Während Tom Pluemmer seinen Schwerpunkt im Bereich Film hat, hat Siegfried Kärcher in seinem Leben schon eine ganze Bandbreite von künstlerische Aktivitäten aufzuweisen. Darin kommt eine intensive Auseinandersetzung mit Computern in ihren vielschichtigen Einsatzmöglichkeiten ebenso vor wie Lichttechnik, Sounddesign und Videokunst, um nur einiges zu nennen.

Das Cafe1 während der Pausen - Essen, Trinken, Kommunizieren
Das Cafe1 während der Pausen – Essen, Trinken, Kommunizieren

21.30-23.00 Uhr Ausgangsereignis Computermediated Sound/Images 4
(Werkstattgespräch mit den Künstlern; Digital Jam-Session)

Digitale Jam-Session: Tobias Schmitt und Guido May nach dem Video-Slam
Digitale Jam-Session: Tobias Schmitt und Guido May nach dem Video-Slam

Hier eine Momentaufnahme von der inspirierenden Improvisation Tobias Schmitt & Guido May. Leider viel zu kurz …

Weitere Berichte, Kommentare können möglicherweise noch folgen. Insbesondere sollen noch Links auf die beiden prämierten Videos folgen.

Eine erste Nachreflexion von cagent zur Tagungfindet sich HIER.

Einen Überblick über alle Einträge in diesem Blog nach Titeln findet sich HIER.

VERLUST DES SUBJEKTS? – Nachbetrachtungen zu einem Diskurs mit Soziologen, Anthropologen, Kulturanthropologen

SOUNDART

Hier ein spontanes Soundgebilde zum Thema der neuen negativen Komplexität, die uns von allen Seiten zu umringen und verschlingen droht; sie kommt und geht, und kommt … (Radically unplugged; anarchistic).

1. Es heißt ja, eine Schwalbe mache noch keinen Frühling; von daher sollte ich die Begegnung mit Soziologen/ Anthropologen/ Kulturanthropologen gestern Abend nicht überbewerten. Dennoch, Eindrücke gab es, und diese Eindrücke kamen von Vertretern dieser Fächer aus ganz Deutschland, von Vertretern, die viele viele Jahre Expertise auf sich vereinen und die nicht gerade unbedeutend sind.

2. Dass im abendlichen Plenum die promovierte Nachwuchswissenschaftlerin X letztlich immer um die Frage kreiste, was denn nun die Frage sei, entlang der man forschen sollte, lies aufmerken: ist es wirklich so, dass einer jungen Kulturanthropologin nach einem langen Studium samt langer Promotion immer noch nicht klar ist, welche Frage sie mit ihrem Forscherinnenleben beantworten möchte? Reiht Sie Untersuchung an Untersuchung ohne eigentlich zu wissen, was Sie untersucht? Ist dies ein individuelles Problem oder ist es symptomatisch für die ganze Disziplin?

3. Der andere junge promovierte Nachwuchswissenschaftler Y neben X formulierte zwar Argumente und Fragen, ihnen entnahm ich aber hauptsächlich ein Unbehagen an den Thesen des großen Lehrers A, der unter anderem in einem Buch das ‚Verschwinden der Gesellschaft‘ proklamiert hatte. Sein Unbehagen wurde klar, aber nicht so recht, warum er diese These für nicht vertretbar hielt. Was war ‚falsch‘ an der These vom Verschwinden der Gesellschaft und was waren seine Argumente? Seine Beispiele zum Verlust von ‚Autonomie‘, Verlust von ‚Privatheit‘ bzw. zur Auflösung von ‚Demokratie‘ wirkten eher wie Wasser auf die Mühlen der These vom Verwinden von Gesellschaft.

4. Ein anderer Professor Z, aus der Richtung Techniksoziologie, benutzte u.a. die Formulierung, dass ‚Gesellschaft‘ als solche nie verschwinden würde; wohl aber können sich ihre Interaktionsmuster ändern, überhaupt die Rahmenbedingungen ihrer Daseins und Handelns.

5. Dies scheint mir eine tiefliegende These zu sein, die vieles verständlich machen kann. Für einen beobachtenden und theoriebildenden Soziologen (das Wort ‚Theorie‘ fiel an diesem Abend nie!) erscheint ‚Gesellschaft‘ ja nur in ihren Manifestationen, in ihren Aktivitäten. Dabei haben alle Soziologen und Anthropologen gelernt, dass ein ‚Ereignis‘ in der Regel viele Deutungen zulässt, insbesondere dann, wenn es Teil eines ‚Geflechts von Ereignissen‘ die untereinander ‚mental‘ und ’situativ‘ zusammen hängen‘ (etwas, was Psychologen auch seit über 100 Jahren untersuchen; von Psychologie sprach an diesem Abend aber niemand). Was vor diesem Hintergrund dann ‚Gesellschaft‘ im Auge des Soziologen/ Anthropologen ist, ist notgedrungen sehr standpunktabhängig, abhängig von der Leitfrage, abhängig von verfügbaren Theorien. Von eigentlichen Leitfragen war an diesem Abend wenig die Rede, auch nicht von geltenden Theorien.

6. Nimmt man den Standpunkt von Z ernst, dann ist ‚von sich aus‘ nichts ‚gut‘ oder ‚falsch‘. Und er stellte auch konsequent fest, dass für ihn Ethik in der Wissenschaft nichts verloren habe. Die Wissenschaft der Soziologie hat zu untersuchen, wie die Menschen sich tatsächlich, faktisch verhalten und was dies impliziert und nicht, wie sie sich nach einer vorausgesetzten Ethik verhalten sollen.

7. In einem Pausengespräch erfuhr ich von zwei anderen Professoren B und C, dass diese ‚ethikfreie Soziologie‘ auf Widerspruch stoßen kann. Beide schienen darin überein zu kommen, dass ‚Ethik‘ eher den wissenschaftlichen Diskurs meint, innerhalb dessen man mögliche ‚Werte‘ klärt, wohingegen ‚Moral‘ gruppenspezifische und (soziologisch‘ gruppenendogene) Wertauffassungen spiegeln. Trotz dieser anfangshaften Unterscheidung konnten die angeführten historischen Beispiele keine letzte Klarheit bringen, ob es nun eine ethikfreie Wissenschaft gebe könne oder nicht. Möglicherweise meinte B auch eher, dass es wegen der möglichen Folgen für die Menschen keine ‚ethikfreie Technik‘ geben könne; seine Beispiele legten diesen Schluss nahe. Denn zu verlangen, dass eine Wissenschaft einer bestimmten Ethik folge, hat sofort viele Probleme im Gefolge: (i) die Geschichte zeigt, dass die experimentelle Wissenschaft vielfach nur Fortschritte erzielte, weil sie herrschende Wertemuster durchbrach, um tieferliegende wichtige Zusammenhänge sichtbar zu machen. Darüber hinaus (ii) dürfte es schwer bis unmöglich sein, so etwas wie ‚absolute‘ Werte zu identifizieren. Ferner (iii) – auch eine Korollar zu (ii) – haben wir als aktuell Lebende unsere aktuelle punktuelle Situation nicht zum Maßstab für die ganze kosmologische Entwicklung zu machen; das wäre vermessen und möglicherweise ein echter Fall von Größenwahn.

8. Hier kommt nochmal Professor A ins Spiel. Sein Konstatieren des Verschwindens von Gesellschaft bezieht seine Logik ja nicht nur aus dem allgemeinen methodischen Artefakt, dass eine Soziologie nicht ‚die Gesellschaft an sich‘ untersucht, sondern – das ist jetzt ein wenig Vermutung – auch aus dem Fakt, dass es für die beteiligten Menschen (den Untersuchungsobjekten) möglicherweise immer schwieriger wird, aus ihrer individuellen Perspektive noch irgendwie den ‚übergreifenden Zusammenhang‘ zu erkennen.

9. Ich hatte dies dann offiziell als Frage formuliert: ob es sein könne, dass es für die Menschen als Handelnde immer schwerer wird, mit ihren individuell begrenzten kognitiven Kapazitäten und ihren beschränkten Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten irgendwelche nennenswerte Zusammenhänge in dem immer komplexeren Gesamtprozess zu erfassen (in einem Beitrag für die Konferenz ‚Urban Fiction‘ (vor vielen Jahren) hatte ich dieses Überlastungsphänomen ‚Negative Komplexität‘ genannt)? Und wenn es für jeden Menschen als Menschen zutrifft, inwieweit tangiert dies dann nicht auch die untersuchenden Soziologen/ Anthropologen? Haben sie denn überhaupt noch eine Chance, irgendetwas ‚Wichtiges‘ in diesem unübersichtlichen Geschehen zu erfassen? Sind sie als selbst Betroffene überhaupt noch Meister des Geschehens? (Von diesem Standpunkt aus erscheinen u.U. die Worte der promovierten Wissenschaftlerin X in einem anderen Licht: wenn die Unterstellung von der Negativen Komplexität stimmt, dann hat heute niemand mehr eine wirklich ‚begründete‘ Forschungsfrage, und dann ist das Ringen dieser jungen Forscherin nicht nur ein individuelles Problem, sondern ein Problem von uns allen; ihre Frage ist dann als Frage die eigentliche These, und die vielen Antwortversuche der ‚Älteren‘ wären dann ‚beschönigend‘, um nicht zu sagen ‚verdrängend‘.

10. Angesichts dieser Einschätzung – wohlgemerkt bislang nur eine Hypothese – wären die umfangreichen Überlegungen von Professor Z (er hatte einen Vortrag mit über 60 Minuten), die den Versuch bildeten, in dieser ‚begrifflich ungreifbaren Gesamtheit‘ eine ‚Struktur‘ einzuziehen, der falsche Ansatz. Zwar war sein Leitbegriff ‚Konstellation‘, um sich nicht vorschnell auf zu enge ‚Systeme‘ einlassen zu müssen, aber seine ‚Dreistufentheorie‘ der Komplexität würde in einer offenen Diskussion möglicherweise nicht lange überleben. In meiner Wahrnehmung trägt er dem ‚fluiden Moment‘ der ganzen Theoriebildung, nämlich der individuellen Kognition als Medium möglicher Theorien, zu wenig Rechnung (vielleicht tue ich ihm hier Unrecht; mein offizieller Einwand nach seinem Vortrag ging in diese Richtung und seine Antwort(en) konnten mich nicht überzeugen.

11. Dies führt zurück zu Professor A, für den die Gesellschaft abhanden gekommen ist (mit vielen anderen Büchern, die dies aus unterschiedlichster Perspektive erweitern erläutern,…). Wenn mich auch seine Reflexionen im Detail bislang nicht so ganz überzeugen können, so sieht er allerdings (mehr als andere?) das Individuum als einen Knotenpunkt in einem komplexen kommunikativen Netzwerk, das nicht nur von dem Individuum mitgespeist wird, sondern umgekehrt das Individuum wird durch diese Kommunikationsnetzwerke mehr und mehr beeinflusst, geprägt, geleitet, gewinnt daraus nicht wenig Bilder, die es als ‚Selbstbilder‘ missdeuten kann. Der Wandel der kommunikativen Medien vom direkten Face-to-Face, von der Vermittlung über konkrete Aktionen in konkreten Situationen verschiebt sich mehr und mehr zu immer ‚technischeren‘ Medien, die keinesfalls neutral sind, sondern als Medium immer größere ‚Fremdanteile‘ mit sich bringen (bis hin zur eingebauten Totalüberwachung). Dazu immer größere Datensammlungen, sowohl in Entstehung, Struktur und Anwesenheit immer weniger transparent, immer weniger überschaubar, im Zugang intransparent kontrolliert, in der Lagerung intransparent verändert, in ihren Wechselwirkungen immer weniger erfassbar. Das Zauberwort von ‚Big Data‘ (‚Großen Daten‘) ist primär ein Marketingvehikel für jene Firmen, die damit Geld verdienen wollen. Für die Wissenschaft ist es eine weitere Barriere, unser tatsächliches Wissen und unsere tatsächliche Kommunikation überhaupt noch zu verstehen (im übrigen ist Big Data, wie immer mehr Experten mittlerweile zugeben, je größer, umso weniger hilfreich, eher irreführend und für Managemententscheidungen von Firmen sogar gefährlich).

12. Also, einerseits scheint uns das ‚Subjekt‘ allen Geschehens irgendwie mehr und mehr abhanden zu kommen, das Subjekt sowohl als ‚Objekt‘ der Untersuchung wie auch als ‚Akteur‘ hinter allem. Das Subjekt – so scheint es – wird immer mehr eingelullt in ‚Bilder von der Welt‘, die weder seine eigenen Bilder sind noch Bilder, denen eine wissenschaftliche Relevanz zukommt. Damit wäre ‚Gesellschaft‘ im aufklärerischen Sinne ‚verschwunden‘. Fragt sich, was haben wir nun? Entgleitet sich das Subjekt in diesem umfassenden Geschehen immer mehr, nicht, weil es dies so will, sondern weil es mit ihm ‚einfach geschieht‘?

13. Die Leitwissenschaften, die sich diesen zentralen Fragen stellen, sind die Soziologie, die Anthropologie, die Kulturanthropologie um diese als ‚pars pro toto‘ zu nennen. In der deutschen Wissenschaftslandschaft werden aber genau diese Disziplinen zunehmend weggekürzt, weil sie sich nicht mehr ‚rechnen‘. Wer also noch Zweifel an der wissenschaftszerstörenden Kraft der aktuellen Prozesse hat, braucht nur diese Fakten zur Kenntnis nehmen.

LAUNIGES UNPLUGGED GESPRÄCH AM ABEND DANACH

Radically unplugged Gespräch aus einer Laune heraus …

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Bemerkungen zu “Kampf der Habitate – Neuerfindungen des Lebens im 21. Jahrhundert”

mit Prof. Dr. Manfred Faßler, Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen der Veranstaltung unplugged heads 2.0, am 11. September 2012, 19:30 Uhr im INM, Schmickstr.18, Frankfurt (Die Veranstaltung ‚unplugged heads‘ gibt es im INM seit Ende der 90iger Jahre und zeichnet sich aus durch sehr offene und hochkarätige Diskussionen).

  1. Anlässlich seines neuen Buches „Kampf der Habitate…“ kam Manfred Faßler, Leiter des  Instituts für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie, ins INM.

  2. Ich erwähne diese Veranstaltung hier, da ich den Eindruck habe, dass die Thematik sehr wohl in die Thematik des Blogs hineinreicht, und dies von einem Standpunkt aus (Soziologie, Kulturanthropologie), den ich selbst kaum vertreten kann.

  3. Was den Titel angeht, so hatte ich den Eindruck, dass der Haupttitel ‚Kampf der Habitate‘ zwar gut klingt, aber eigentlich eher einen Nebeneffekt beschreibt und nicht das, worum es tatsächlich geht,  um die  ‚Neuerfindungen des Lebens im 21. Jahrhundert‘.

  4. Manfred Faßler brachte sehr viele Beispiele, wie sich in der modernen Gesellschaft durch den Einfluss der neuen Medientechnologien bekannte Strukturen und Regelsysteme aufgelöst haben bzw. durch neue Interaktionsformen und Informationsströme an Bedeutung verloren haben (‚Habitate‘ schwächen sich ab oder gewinnen an Gewicht). Unklar ist, wer hier eigentlich der ‚Akteur‘ ist. Nicht nur einzelne, sondern ganze Gruppen und Institutionen ‚finden sich vor‘ in übergreifenden, globalen Entwicklungen, deren Wirkungen fassbar sind, deren ‚Gestaltbarkeit‘ aus Sicht der einzelnen aber immer nur Teilaspekte betrifft (facebook, youtube,…).

  5. Statt auf diese Entwicklungen die Kategorie ‚Post‘ anzuwenden bevorzugt Manfred Faßler  die Kategorie ‚Neu‘, womit sich die Frage stellt, worin das Neue besteht. Seine Antwort war nicht ganz klar, aber ging in die Richtung, dass die Tatsache von umfassenden Änderungen in hoher Geschwindigkeit empirisch manifest sei. U.a. wies er auf den Trend hin, dass sich in der Wissenschaft neue Allianzen bilden, die so vorher undenkbar waren, z.B. Biologie + Informatik + Neurowissenschaften + Nanotechnologie. Mit Anspielung auf die griechische Klassik spricht er   von dem neuen Zeitalter der ‚Digitalen Klassik‘; nur ist in dieser die Veränderungsgeschwindigkeit um ein Vielfaches Schnelller.

  6. Manfred Faßler rekurrierte mehrfach auf die biologische Evolution als grundlegendes Veränderungsmuster  und spielte die   Frage  ins Publikum hinein, ob und wie man  zwischen den gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen und dem Phänomen der biologischen Evolution einen Zusammenhang sehen kann bzw. muss. Er selbst  wies ausdrücklich hin auf das biologische Modell von Genotyp – Phänotyp und auf die Rückkopplung über die Selektion als Kernmechanismus der biologischen Evolution. Dazu  zitierte er das moderne Schlagwort von ‚Evo – Devo – Eco‘: Von der Evolution über technische Entwicklung zu Umweltveränderungen.

  7. Im Gespräch  ergänzte ich diese Perspektive mit den Worten, dass die Phänotypen, die mit Gehirnen ausgestattet sind, über kulturelle Muster und Technik, nicht nur die Umwelt verändern können, sondern ihre eigenen genetischen Grundlagen. Damit sei für mich eine neuartige Form Rückkopplung etabliert, die sowohl die innere Logik der Evolution wie auch ihre Geschwindigkeit radikal verändert.

  8. Diese wenigen Bemerkungen geben weder den Vortrag noch die sehr lebhafte Diskussion adäquat wieder. Der ganze Eintrag soll nur ein Hinweis sein auf einen Denkzusammenhang, der für die Überlegungen in diesem Blog sehr wohl relevant erscheinen. Ich werde versuchen, das Buch von Manfred Faßler auch zu lesen und hier zu diskutieren. Er wäre auch bereit, anschliesend ein Gespräch zu führen, dass wir aufzeichnen und dann als Audio-Datei hier veröffentlichen. Letztlich wird die verfügbare Zeit darüber entscheiden, wann dies geschieht.

Literaturnachweis:

M.Faßler, Kampf der Habitate. Neuerfindung des Lebens im 21.Jahrhundert, Wien – New York: Springer, 2012

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