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Computerspiele, eSports, Clash of Cultures … geht es dabei möglicherweise um mehr?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 7.Mai 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Ich hatte gestern Gelegenheit an der Veranstaltung #GAMESPLACES teilzunehmen, die von der Krativabteilung der Wirtschaftsförderung Frankfurt organisiert worden ist. Diese Abteilung unter Leitung von Manuela Schiffner zeichnet für viele ähnliche Veranstaltungen verantwortlich, auf der Akteure der Szene aus allen Lagern (Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kommunen,…) zusammenkommen und sich wechselseitig informieren und austauschen können. Gestern ging es um die Dimension eSport, vornehmlich illustriert am Beispiel der Praxis und Strategie von Eintracht Frankfurt, der AG sowohl als auch dem Verein. Hier ein paar Gedanken meinerseits zum Ereignis. Diese sind rein privat.

WUCHT DER ZAHLEN

Wenn man den Zahlen des Statistik-Portals Statista.com trauen kann, dann bewegt sich die Zahl der Computerspiele in Deutschland seit 5 Jahren in der Größenordnung von 32 – 34 Mio Spieler. Die Gesamtbevölkerungszahl bewegt sich in der gleichen Zeit etwa zwischen 81 – 83 Mio. Damit liegt der Prozentsatz der Spielenden bei ca. 40%. Da das Computerspielen bislang eher noch auf die Altersgruppen unter 60 beschränkt ist, ist der Prozentsatz der aktiven Spieler eher noch höher anzusetzen. Dies sind mächtige Zahlen. Und wenn man dann vom Frankfurter Wirtschaftsdezernent Frank hört, dass allein die Kreativwirtschaft in Frankfurt 2016 4 Mrd Euro umgesetzt hat, dann schärft sich das Bild weiter, dass der Computerspielbereich eine sehr reale Größe ist. Und es passt ins Bild, dass allein der Mediencampus der Hochschule Darmstadt (Aussage des Dekans Wilhelm Weber) in Dieburg ca. 3000 Studierende zählt, Tendenz wachsend.

eSPORT

Arne Peters als unabhängiger Berater gab auf der Veranstaltung einen knappen, sachlichen Bericht zur Entwicklung und zum Stand des Phänomens eSport. Er stellte heraus, dass in diesem Bereich die Community von besonderer Bedeutung sei: was in der Community keine Anerkennung findet, fällt gnadenlos durch. Und er vertrat die Ansicht, dass die typischen Spieler in diesem Bereich grundlegend sozial orientiert seien, das gemeinsame Erleben stehe im Vordergrund.

Zu negativen Begleiterscheinungen des eSports sagte er nichts, weder bezüglich der möglichen individuellen Auswirkungen, noch auf die marktpolitischen Tendenzen zur Monopolisierung, noch auf die möglichen gesellschaftlichen Wirkungen.

Hier wurde Timm Jäger, der Referent des Vorstands von Eintracht Frankfurt für digitale Technologien und Strategien etwas konkreter. Zunächst überbrückte er den Spagat zwischen eSports als Sport oder nicht dadurch, dass er — wie viele andere aus der Szene (auch Eintracht-Vorstandsmitglied Axel Hellmann) — die Position bezog, dass diese Frage innerhalb der Szene selbst nicht diskutiert würde. Denen, die eSports machen, ist es egal. Sie machen eSport. Und nach Timm Jäger sieht Eintracht Frankfurt eSport als Teil der Arbeit mit Menschen (alle Altersgruppen, für jedes Mitglied), die von der Breite ausgeht, und dazu gezielte Schulungen, Trainings und Beratung durch zertifizierte Trainer anbietet. Mit diesem breiten Ansatz könnte Timm Jäher auch viele kritische Anfragen aus dem Publikum konstruktiv beantworten, da im Kontext von Eintracht Frankfurt Kinder, Jugendliche und Erwachsene nicht nur durch den Bezug zu jeweiligen sozialen Gruppen, sondern auch durch professionelle zertifizierte Schulungsleiter und Trainer nicht nur auf die Möglichkeiten vorbereitet werden, sondern sich auch mit allerlei Formen von Risiken auseinander setzen können. Nicht ganz befriedigen konnte die Frage nach den offiziell eingesetzten Computerspielen, die von globalen Konzernen produziert und gemanagt werden, die eine relativ abgeschottete Politik verfolgen, die sich u.a. darin ausdrückt, dass sie nach Belieben immer wieder die Spielregeln ändern, was Teilnehmer monierten.

Abschließend gab es eine live Demonstration zwischen der eSports Bundesligamannschaft von Mainz 05 und Eintracht Frankfurt. Zu Beginn der Verlängerung stand es 1:1 (ja, ich habe die letzten Minuten nicht mehr gesehen 🙂 Mainz attackierte sehr stark …

CLASH OF CULTURES

Die positive Grundstimmung der Veranstaltung mit vorwiegend am eSport oder zumindest am Computerspiel Interessierten kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Digitalisierung der Gesellschaft, hier in Form von Computerspiel Interessierten, die offiziellen Bereiche der Gesellschaft wie z.B. das gesamte Bildungssystem, den offizielle Kulturbetrieb, oder die offizielle Politik noch nicht erreicht hat.

In diesem Zusammenhang ist ein aktueller Gastbeitrag von Leander Haußmann in der Zeit online (ZEIT Wissen Nr. 3/2019, 16. April 2019) von Interesse. Haußmann, Jahrgang 1959, Theater und Filmregisseur, Schauspieler outet sich in diesem Beitrag als passionierter Gamer. Er schildert eindrücklich seine erlebnisstarken Jugend in der ehemaligen DDR; die Welt der Freunde als Gegenentwurf zur bürgerlichen Staatstheorie und deren Indoktrinationsritualen in Schule und Gesellschaft. Als erlebnisoffener Mensch und Literaturkundiger sieht er in den modernen Computerspielen eine neue Form von Weltbeschreibung, die sehr wohl dem Erlebnishunger, dem Abenteuerstreben, dem individuellen Ausagieren von Bedürfnissen und Emotionen dienen kann, vorbei am Alltagseinerlei und an Pseudomoral, die Gutes zu tun vorgibt aber faktisch Negatives befördert.

Zu diesem Beitrag gab es 348 Kommentare, die ich mir angeschaut habe. Sie sind fast genauso wichtig wie der Beitrag selbst; signalisieren sie doch einen realen Resonanzraum in den Gefühlen und Gedanken von Menschen, der vieles von der Zerrissenheit verrät, in der wir uns alle zur Zeit bewegen.

Da gibt es natürlich die große Gruppe jener, die sich in den Worten von Haußmann positiv wiederfinden; sie fühlen sich verstanden und in ihrer Lust am Spielen gestärkt. Dann gibt es die ebenso große Gruppe, die auf jeden Fall gegen Computerspiele ist; die Argumente sind unterschiedlich. Und dann gibt es eine kleine Gruppe von ‚Geläuterten‘; das sind Menschen, die intensive Computerspieljahre (auch Jahrzehnte) hinter sich haben und dann irgendwann in einen Zustand kamen, dass sie das Gefühl hatten, der Rausch des unmittelbaren Erlebens im Computerspielen ist unterm Strich nicht sehr nachhaltig, oder gar psychisch und sozial zerstörerisch. Der Ersatz des Realen durch das Virtuelle führt irgendwie zur Auflösung der realen Existenz und verhindert all jene Formen des Erlebens, die anders sind, möglicherweise nachhaltiger.

Zwischen diesen drei Positionen scheint es wenig Vermittelndes zu geben: Entweder man spielt, oder man ist dagegen, oder man gehört zum Kreis der ‚Geläuterten‘, die für die anderen einer anderen Sphäre angehören. Und in den offiziellen Bereichen der Gesellschaft, speziell Schulen und Hochschulen (von wenigen Ausnahmen abgesehen wie z.B. dem Mediencampus Hochschule Darmstadt), findet das Thema praktisch nicht statt.

FALSCH PROGRAMMIERT?

Nimmt man einen soziologischen Standpunkt ein und sieht die Computerspielenden als Teilpopulation einer offenen Gesellschaft, deren Zukunft nicht zuletzt auch von den Erlebnis- und Wissensstrukturen ihrer Bürger abhängig ist, dann kann man die Frage stellen, ob die intensive Einwirkung von Computerspielen (es geht nicht nur um Gewalt) letztlich die Wahrnehmung der realen Welt, der politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge, in einer Weise beeinflusst, die die Bürger unfähig macht, ihre Verantwortung als Bürger eines demokratischen Landes in einer technologischen und global-wirtschaftlichen und -politischen Umbruchphase hinreichend wahrnehmen zu können? Diese Frage ist weitgehend rhetorisch, da die deutsche empirische Sozialforschung zu dieser Frage mehr oder weniger ’sprachlos‘ ist. Empirische begründete Aussagen sind nicht verfügbar.

Blickt man auf das offensichtliche Versagen vieler Bundesministerien und staatlicher Behörden in den letzten Jahren und aktuell, denen man — zumindest offiziell — keine intensive Computerspieltätigkeit nachweisen kann (aufgrund der Selbstbeschreibung von Haußmann kann man diese Möglichkeit aber nicht ganz ausschließen :-)), dann scheint es noch ganz andere Faktoren zu geben, die eine ‚Demokratiefähigkeit‘ von Politik gefährden können (Lobbyismus, Dummheit, narzisstische Persönlichkeitsstrukturen, Machthunger, …).

Statt also mangels klarem Wissen in der unappetitlichen Suppe von Verschwörungstheorien zu versinken, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob sich die offensichtlich attraktiven Faktoren moderner Computerspiele nicht doch irgendwie mit dem real-weltlich Nützlichem auf neue Weise verknüpfen liesen?

SERIOUS GAME/ APPLIED GAME

Es ist möglicherweise bezeichnend, dass im Deutschen eher die englischen Ausdrücke benutzt werden als deutsche Ausdrücke wie ernsthaftes Spiel, Spiel mit praktischem Nutzen, Lehrspiel, Lernspiel oder so ähnlich. Irgendwie, intuitiv, gefühlsmäßig sträubt man sich im Deutschen, Lernen und Spielen zu verknüpfen.

Dies ist eigentlich verwunderlich, weil spieleähnliche Methoden wie z.B. Simulation, Planspiele, Spieltheorie seit Jahrzehnten in vielen Bereichen wie z.B. Ingenieurswissenschaften, Militär und Wirtschaft gang und gäbe sind. Ohne diese Methoden wären viele wichtigen Erkenntnis-, Verstehens- und Lernprozesse gar nicht möglich.

Das menschliche Gehirn ist trotz vieler phantastischer Eigenschaften nicht in der Lage, Sachverhalte mit vielen verbundenen Größen, die sich zudem in der Zeit unterschiedlich verändern können, umfassend und schnell genug mit hinreichender Präzision zu denken. Ohne Einbeziehung entsprechender Methoden, und das sind heute weitgehend computergestützte Verfahren, kann das menschliche Gehirn daher viele heute benötigten Prozessmodelle gar nicht mehr selber denken, was bedeutet, dass die moderne Wissenschaft und moderne Technologie ohne diese Methoden schlicht undenkbar geworden sind.

Macht man sich dies klar, dann verwundert es vielleicht umso mehr, warum sich Schulen und Hochschulen so schwer tun, simulationsähnliche Methoden als Standardmethoden in Lehre, Lernen und Forschen einzuführen.

Der einzige Unterschied zwischen einer interaktiven Simulation und einen Computerspiel besteht darin, dass neben dem Simulationskontext im Computerspiel bestimmte mögliche Zustände als Gewinnzustände ausgezeichnet sind. Bei geeignetem Verlauf der interaktiven Simulation kann also ein Simulationsteilnehmer bei Erreichen eines Gewinnzustandes als Gewinner bezeichnet werden. Und da ein Simulationsteilnehmer in einer interaktiven Simulation durch sein Verhalten den Gesamtverlauf zumindest Anteilhaft mit beeinflussen kann, kann ein Gewinner sich am Schluss dann den Erfolg anteilsmäßig zurechnen.

Gegenüber einer normalen interaktiven Simulation mag dieser kleine Unterschied mit den ausgezeichneten Gewinnzuständen als unscheinbar erscheinen, aber aus Sicht eines systematischen Engineeringsprozesses wie auch aus Sicht der Motivationslage eines Mitwirkenden ist dieser Unterschied weitreichend:

  1. Angesichts der wertmäßig neutralen möglichen Alternativen in einem Simulationsprozess ist die einzige Möglichkeit, interessante Zustände auszuzeichnen und gezielt zu testen, jene, durch explizite Angabe von Gewinnzuständen sogenannte Präferenzen sichtbar zu machen, an denen die Organisatoren der Simulation interessiert sind.
  2. Durch Vorgabe solcher Präferenzen besteht dann die Möglichkeit, die Auswirkungen dieser Präferenzen auf den Möglichkeitsraum zu testen.
  3. Dadurch dass möglichst viele der möglicherweise Betroffenen (z.B. die Bürger einer Stadt) selbst am Spiel teilnehmen und mit ihren eigenen Sinnen erleben können, was passiert, wenn man Handlungen einer bestimmten Art in dem angenommenen Kontext ausübt, teilen alle ähnliche Erfahrungen, können darüber besser gemeinsam kommunizieren, und müssen nicht zusätzlich überzeugt werden.
  4. In wissenschaftlichen Simulationen sind zudem alle Regeln allen zugänglich und auch jederzeit in gemeinsamer Übereinkunft änderbar. Dies schafft Vertrauen in den Prozess und stärkt die Argumentationskraft der Verläufe.
  5. Die formale Auszeichnung eines Simulationsteilnehmers als Gewinner mag formal-mathematisch unbedeutend sein, für die Motivationslage eines Menschen kann dies aber (empirisch überprüfbar) einen starken Antrieb geben, sich intensiv mit der Materie zu beschäftigen und Schwierigkeiten eher zu trotzen.

In einer Zeit, wo interdisziplinäre Teams komplexe Projekte zu realisieren haben, würde ein konsequenter Spieleansatz die Qualität und die psychologische Temperierung der Teams möglicherweise auch positiv beeinflussen.

Soundtrack, ohne Stimme
… with voice: spheres – Kugelwesen

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SEITENSPRUNG: Demographie und Philosophie?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 7.-9.April 2019
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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KONTEXT

In den letzten Beiträgen dieses Blogs ging es oft um das Thema Freiheit und die Werte = Präferenzen, die man benötigt, um mit seiner Freiheit eine Richtung einzuschlagen, die dann — vielleicht — Zustände ermöglicht/ erreicht, die im Sinne der Präferenzen gut sind. Zugleich ging es auch um Rahmenbedingungen, die eine Umsetzung der Freiheit ermöglichen oder behindern. Dies mag auf den ersten Blick abstrakt klingen. Hier eines von vielen Beispielen, wie diese Überlegungen sehr schnell sehr konkret werden können. In den letzten Tagen hatte ich zu Übungszwecken (ganz anderer Zusammenhang) ein kleines Computerprogramm geschrieben, das sich auf den ersten Blick mit etwas völlig Unbedeutendem beschäftigt, was sich mit nur drei Zahlen beschreiben lässt. Während ich das tat, merkte ich, dass diese drei Zahlen alles andere als unbedeutend sind, ja, dass sie sogar geradezu eine ‚philosophische Aura‘ besitzen, die viele der Grundfragen, die in diesem Blog schon diskutiert wurden, in einem anderen Licht erscheinen lassen. Diese Eindrücke führten zu diesem Blogeintrag.

PYTHON – Nur Python

Die Programmiersprache des kleinen Computerprogramms war python und das Übungsproblem war die Bevölkerungsentwicklung, allerdings fokussiert auf den minimalen Kern, der nur drei Größen (letztlich Zahlen) berücksichtigte: die aktuelle Bevölkerungsanzahl (p), die jährliche Geburtenrate (br, birthrate) umgelegt auf die Gesamtbevölkerung, und die jährliche Sterberate (dr, deathrate). Diese drei Größen wurden verbunden durch den einfachen Zusammenhang p’=p+(p*br)-(p*dr). (Für die Beschreibung des Programms sowie den Quellkode des Programms selbst siehe die Seite hier mit den ersten fünf Einträgen).(Anmerkung: es geht natürlich noch einfacher, nur die aktuelle Bevölkerungszahl p sowie die gemittelte Wachstumszahl g).

WELTBEZUG?

Was in der Computersprache nur drei verschiedene Zeichenketten sind {‚p‘, ‚br‘, ‚dr‘}, die als Namen für Speicherbereiche dienen, in die man irgendwelche Werte hineinschreiben kann, kann man in Beziehung setzen zur Ausschnitten der realen Welt (RW). Durch diese In-Beziehung-Setzung gibt man den neutralen Zeichenketten eine Interpretation. Im vorliegenden Fall wurde die Zeichenkette ‚p‘ betrachtet als Ausdruck, der die Anzahl der aktuell auf der Welt lebenden Menschen repräsentieren soll. Entsprechend die Zeichenkette ‚br‘ die jährliche Geburtenrate und die Zeichenkette ‚dr‘ die jährliche Sterberate.

Wenn man die entsprechenden Zahlen hat, ist einen Rechnen damit einfach. Wenn man im Computerprogramm — ein ganz normaler Text — den Zusammenhang p’=p+(p*br)-(p*dr) notiert hat, dann kann der Computer mit diesen Zeichenketten ganz einfach rechnen. Sei P=1000, br=1.9 und dr=0.77, dann liefert der Zusammenhang p‘ = 1000 + (1000 * 0.019) – (1000 * 0.0077) = 1000 + 19 – 7.7 = 1011.3, und da es keine Drittel-Menschen gibt wird man abrunden auf 1011. Dies bedeutet, im nachfolgenden Jahr wächst die Bevölkerungszahl um 11 Mitglieder von 1000 auf 1011.

DATENGEWINNUNG

Eine Institution, die seit 1948 begonnen hat, systematisch die demographischen Daten der Weltbevölkerung zu erheben, sind die Vereinigten Nationen (UN). Eine wichtige Seite zur Bevölkerungsentwicklung findet sich hier: http://data.un.org/Default.aspx Für jedes Jahr gibt es dann eine Aktualisierung mit einer Vielzahl von Tabellen, die sehr viele wichtige Parameter beleuchten: https://population.un.org/wpp/Download/Standard/Population/

Beschränkt man sich auf die drei Größen {p, br, dr}, dann kann man anhand dieser Tabellen z.B. folgenden Ausgangsgrößen für die absoluten Bevölkerungszahlen p der Welt von 2010 bis 2015 bekommen:

201020112012201320142015
6 958 169 7 043 009 7 128 177 7 213 426 7 298 4537.383.009

Dazu gibt es als allgemeine Geburtsrate (BR) und Sterberate (DR) für die Zeit 2010 – 2015: BR = 1.9% und BR = 0.77%.

Vertieft man sich in diese Tabellen und die vielen Anmerkungen und Kommentare, wird sehr schnell klar, dass es bis heute ein großes Problem ist, überhaupt verlässliche Zahlen zu bekommen und dass das endgültige Zahlenmaterial daher mit Unwägbarkeiten behaftet ist und nicht ohne diverse Schätzungen auskommt.

DATEN HOCH RECHNEN

Tut man aber für einen Moment mal so, als ob diese Zahlen die Weltwirklichkeit einigermaßen widerspiegeln, dann würde unser kleines Computerprogramm (Version: pop0e.py) folgende Zahlenreihen durch schlichtes Rechnen generieren:

  • Population number ? 6958169

  • Birthrate in % ? 1.9

  • Deathrate in % ? 0.77

  • How many cycles ? 15

  • What is your Base Year ? 2010

  • Year 2010 = Citizens. 6958169

  • Year 2011 = Citizens. 7036796

  • Year 2012 = Citizens. 7116312

  • Year 2013 = Citizens. 7196726

  • Year 2014 = Citizens. 7278049

  • Year 2015 = Citizens. 7360291

  • Year 2016 = Citizens. 7443462

  • Year 2017 = Citizens. 7527573

  • Year 2018 = Citizens. 7612635

  • Year 2019 = Citizens. 7698658

  • Year 2020 = Citizens. 7785653

  • Year 2021 = Citizens. 7873630

  • Year 2022 = Citizens. 7962602

  • Year 2023 = Citizens. 8052580

  • Year 2024 = Citizens. 8143574

  • Year 2025 = Citizens. 8235596

Bild 1: Einfacher Plot der Bevölkerungszahlen von Jahr 1 = 2010 bis Jahr 16 = 2025 (man könnte natürlich die Beschriftung der Achsen erheblich verbessern; zur Übung empfohlen :-))

MÖGLICHE FRAGEN

An dieser Stelle sind viele Fragen denkbar. Mit Blick auf das Freiheitsthema bietet es sich an, den Begriff der Geburtenrate näher zu betrachten.

Geburtenrate und Frauen

Die Geburtenrate hängt (aktuell) von jenen Frauen ab, die Kinder gebären können und dies — unter den unterschiedlichsten Umständen — auch tun. Wie aber die Zahlen aus der Vergangenheit zeigen und wie man aufgrund seiner eigenen Lebenserfahrung weiß, schwanken die Zahlen der Geburten von Gegend zu Gegend, innerhalb des Zeitverlaufs. Es gibt vielfältige Faktoren, die die Anzahl der Geburten beeinflussen.

Dynamik der Evolution

Der grundlegende Faktor ist sicher, dass die biologische Evolution im Laufe von 3.8 Mrd. Jahren bis vor kurzem noch keine andere Lösung für die menschliche Fortpflanzung gefunden hatte als eben die heute bekannte: Befruchtung der Frau und Austragen des befruchteten Eis durch eben die Frau.

Biologisch induzierte gesellschaftliche Rollen

In der Vergangenheit bedeutete dies, dass die weiblichen Exemplare des Homo sapiens generell eine besondere gesellschaftliche Funktion innehatten, da ihre Gebärfähigkeit unabdingbar für das Überleben der jeweiligen Population war. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass diese überlebenswichtige Funktion gesellschaftlich mit einer Fülle von gesellschaftlichen Normen und Verhaltensmustern abgesichert wurde. Letztlich waren die Frauen dadurch Gefangene der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse und der hohe Anteil an frauenunterdrückenden Elementen in allen Kulturen dieser Welt ist von daher kein Zufall. Dass die Religionen in allen Zeiten und in allen Kulturen dazu instrumentalisiert wurden, die gesellschaftliche Reglementierung der Frauen zu unterstützen, spricht nicht für diese sogenannten Religionen.

Evolutionäres Befreiungspotential

Seit den letzten Jahrzehnten hat die Evolution einen Punkt erreicht, an dem partiell neue Techniken existieren bzw. sich immer mehr als mögliche neue Techniken andeuten, durch die die Fortpflanzung von den Frauen immer mehr losgelöst werden kann, so dass die anhaltende Gefangenschaft der Frauen durch das Gebärprivileg sich lockern oder ganz auflösen könnte. Durch moderne demokratische, säkularisierte und industrialisierte Gesellschaftsformen hat die Befreiung der Frauen aus den klassischen engen Lebensmustern zwar schon begonnen, aber durch die nach hinkende Gebärtechnologie ist die moderne Frau einerseits noch eingebunden in die Gebärverantwortung, andererseits in ein modernes Berufsleben, und die gesellschaftliche Unterstützung für diese Doppelbelastung ist noch vielfach unzureichend.

Veraltete Ethiken

Bislang sind es fragwürdige alte Ethiken, die sich der evolutionären Entwicklung entgegen stellen. Bilder einer statischen Welt werden zum Maßstab genommen für eine Welt, die es so weder jemals gab noch jemals geben wird. Die Welt ist grundlegend anders als die bekannten Ethiken es uns einreden wollen. Neue allgemein akzeptierte Ethiken sind aber aktuell nirgends in Sicht. Die alten Weltbilder haben sich tief in die Gehirne eingenistet. Wo sollen die neuen Sichten herkommen?

Solange die Loslösung der menschlichen Fortpflanzung noch nicht von den Frauen gelöst werden kann, werden sehr viele konkrete Umstände das Entscheiden und Verhalten von Frauen beeinflussen. Je freier eine Gesellschaft wird, je selbstbestimmter eine Frau in solch einer Gesellschaft leben kann, und je mehr einer Frau auch reale materielle Ressourcen zur Verfügung stehen, um so eher wird sie mit entscheiden, ob sie Kinder haben will, wie viele, welche Erziehung, und vieles mehr.

Verunmöglichung von Freiheit

Dass heute Kinder in Situationen geboren werden, wo Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit und vieles mehr unausweichliche Folgen eines unkontrollierten Geborenwerdens sind, ist wohl kaum ethisch zu verantworten. Andererseits verbietet der grundlegende Respekt vor dem Leben, dass Dritte das Leben von anderen ohne deren Zustimmung wegnehmen.

Es obliegt der Gesellschaft als Ganzer, dafür zu sorgen, dass jeder einzelne in die Lage versetzt wird, die richtigen Entscheidungen fällen zu können. Ohne entsprechenden materiellen Aufwand ist eine verantwortlich gelebte Freiheit nicht möglich.

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Populismus – Kultur der Freiheit – Ein Rezept?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 24.März 2019
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Autor: Gerd Doeben-Henisch
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KONTEXT

In einem Beitrag vom 7.Februar 2019 hatte ich mir die Frage gestellt, warum sich das alltägliche Phänomen des Populismus nahezu überall in allen Kulturen, in allen Bildungsschichten — eigentlich auch zu allen Zeiten — mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit findet, die einem Angst und Bange machen kann. Und gerade in der Gegenwart scheinen wir geradezu wieder eine Hochblüte zu erleben. In diesem ersten Beitrag hatte ich einige Faktoren angesprochen, die unser normales menschliches Lern- und Sozialverhalten charakterisieren und die genügend Anhaltspunkte liefern, um eine erste ‚Erklärung‘ dafür zu geben, warum das Auftreten populistischer Tendenzen keine Überraschung ist, sondern eben genau in den Strukturen unserer personalen Strukturen als grundlegende Überlebensstrategie angelegt sind. In einem Folgebeitrag am 11.Februar 2019 habe ich diese Gedanken ein wenig weiter verfolgt. Auf die Frage, wie man der starken Verhaltenstendenz des Populismus gegensteuern könnte, habe ich versucht, anhand der Hauptfaktoren des alltäglichen Lernens und der Gruppenbildungen Ansatzpunkte zu identifizieren, die normalerweise die Bildung populistischer Meinungsbilder begünstigen bzw. deren Modifikation dem möglicherweise entgegen wirken könnte. Durch zahlreiche Gespräche und Veranstaltungen der letzten Wochen haben sich die Themen für mich weiter entwickelt bis dahin, dass auch erste Ideen erkennbar sind, wie man den starken Verhaltenstendenzen in jedem von uns möglicherweise entgegen wirken könnte. Gegen Verhaltenstendenzen zu arbeiten war und ist immer sehr herausfordernd.

POPULISMUS – Eine Nachbemerkung

Bislang wird das Thema ‚Populismus‘ in der Öffentlichkeit tendenziell immer noch wie eine ‚religiöse‘ Frage behandelt, stark versetzt mit ‚moralischen Kategorien‘ von ‚gut‘ und ‚böse‘, mit starken Abgrenzungen untereinander, vielfach fanatisch mit der Bereitschaft, diejenigen mit der ‚anderen Meinung‘ zu bekämpfen bis hin zur ‚Ausrottung‘. Diese Meinungen verknüpfen sich mit Ansprüchen auf politische Macht, oft mit autoritären Führungsstrukturen. Die Frage nach Transparenz und Wahrheit spielt keine zentrale Rolle. Und, falls man zu einer Meinungsgruppe gehört, die ‚anders‘ ist, versteht man selten, warum die einen jetzt so unbedingt von Meinung A überzeugt sind, weil man selbst doch eher B oder C favorisiert. Das verbal aufeinander Einschlagen und das Demonstrieren mit Gegenparolen ändert an den grundlegenden Meinungsunterschieden wenig; es fördert möglicherweise eher die Abgrenzung, verhärtet die Fronten.

Dies alles ist nicht neu; die vielen blutigen Religionskriege in der Vergangenheit sind nur ein Beispiel für das Phänomen gewalttätiger Populismen; viele weitere Beispiele liesen sich anführen.

Die Tatsache, dass wir heute, im Jahr 2019, nach vielen tausend Jahren Geschichte mit einer unfassbaren Blutspur hervorgebracht durch Meinungsunterschiede, verteufelnden Abgrenzungen, Schlechtreden ‚der Anderen‘, immer noch, und zwar weltweit (!), in diese Muster zurückfallen, ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Ursachen für diese Verhaltensmuster tief in der menschlichen Verhaltensdynamik angelegt sein müssen. Bei aller Freiheit, die jedem biologischen System zukommt und dem Menschen insbesondere, scheint es genügend Faktoren zu geben, die die Weltbilder in den Köpfen der Menschen in einer Weise beeinflussen, dass sie im großen Maßstab Bilder von der Welt — und darin auch von den anderen und sich selbst — in ihren Köpfen mit sich herumtragen, die sie in maschinenhafte Zombies verwandeln, die sie daran hindern, die Differenziertheit der Welt wahr zu nehmen, komplexe dynamische Prozesse zu denken, mit der Vielfalt und der Dynamik von biologischem Leben, ökologischen und technischen Systemen nutzbringend für das Ganze umzugehen.

Viele kluge Leute haben dazu viele dicke Bücher geschrieben und es kann hier nicht alles ausgerollt werden.

Dennoch wäre eine sachliche Analyse des Populismus als einer starken Verhaltenstendenz äußerst wichtig als Referenzpunkt für Strategien, wie sich die Menschen quasi ‚vor sich selbst‘, nämlich vor ihrer eigenen, tief sitzenden Tendenz zum Populismus, schützen könnten.

Eine Antwort kann nur in der Richtung liegen, dass die jeweilige Gesellschaft, innerhalb deren die Menschen ihr Leben organisieren, in einer Weise gestaltet sein muss, dass sie die Tendenzen zur Vereinfachung und zur überdimensionierten Emotionalisierung im Umgang miteinander im alltäglichen Leben gegen steuern. Für eine angemessene Entwicklung der grundlegenden Freiheit, über die jeder Mensch in einer faszinierenden Weise verfügt, müssten maximale Anstrengungen unternommen werden, da die Freiheit die kostbarste Eigenschaft ist, die die Evolution des Lebens als Teil der Evolution des ganzen bekannten Universums bis heute hervorgebracht hat. Ohne die Nutzung dieser Freiheit ist eine konstruktive Gestaltung der Zukunft im Ansatz unmöglich.

KULTUR DER FREIHEIT – Eine Nachbemerkung

In dem erwähnten Beitrag vom 11.Februar 2019 hatte ich erste Gedanken vorgestellt, welche Faktoren sich aus dem Geschehen der biologischen Evolution heraus andeuten, die man berücksichtigen müsste, wollte man das Geschenk der Freiheit gemeinsam weiter zum Nutzen aller gestalten.

Neben der Dimension der Kommunikation, ohne die gar nichts geht, gibt es die fundamentale Dimension der jeweiligen Präferenzen, der ‚Bevorzugung von Zuständen/ Dingen/ Handlungen …, weil man sich von ihnen mehr verspricht als von möglichen Alternativen.

KOMMUNIKATION

Obwohl die Menschen allein in den letzten 100 Jahren viele neue Technologien entwickelt haben, die den Austausch, den Transport von Kommunikationsmaterial hinsichtlich Menge und Geschwindigkeit dramatisch gesteigert haben, ist damit das zugehörige Verstehen in den Menschen selbst nicht schneller und tiefer geworden. Die Biologie des menschlichen Körpers hat sich nicht parallel zu den verfügbaren Technologien mit entwickelt. Auf diese Weise entstehen völlig neue Belastungsphänomene: zwar kann der Mensch noch wahrnehmen, dass es immer schneller immer mehr gibt, aber diese Überflutung führt nur begrenzt zu mehr Verstehen; überwiegend macht sich heute in dieser Situation ein wachsendes Ohnmachtsgefühl breit, eine Hilflosigkeit, in der nicht erkennbar ist, wie man als einzelner damit klar kommen soll. Die gleichzeitige Zunahme von ‚falschen Nachrichten‘, ‚massenhaften Manipulationen‘ und ähnlichen Phänomenen tut ihr Übriges, um in den Menschen das Gefühl zu verstärken, dass ihnen der Boden unter den Füßen gleichsam weggezogen wird. Wenn sich dann selbst in offiziellen demokratischen Gesellschaften Politiker (und Teile der Verwaltung oder Staatstragenden Institutionen) diesem Stil des Verbergens, Mauerns, geheimer Absprachen und dergleichen mehr anzuschließen scheinen, dann gerät das gesellschaftliche Referenzsystem ganz gefährlich ins Schwimmen. Was kann der einzelne dann noch tun?


PRÄFERENZEN (WERTE)

Der andere Faktor neben der aktuell mangelhaften Kommunikation sind die Präferenzen, nach denen Menschen ihr Lernen und Handeln ordnen. Ohne irgendwelche Präferenzen geht gar nichts, steht jedes System auf der Stelle, dreht sich im Kreis.

Ein Teil unserer Präferenzen ist in unserem Verhalten angelegt als unterschiedliche starke Tendenz eher A als B zu tun. Andere Präferenzen werden innerhalb gesellschaftlicher Systeme durch Mehrheiten, privilegierten Gruppen oder irgendwelche andere Mechanismen ausgezeichnet als das, was in der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppierung gelten soll (im Freundeskreis, in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz, im Strafgesetz, in einer religiösen Vereinigung, …). Zwischen den gesellschaftlich induzierten Normen und den individuellen Verhaltenstendenzen gibt es unterschiedlich viele und unterschiedliche starke Konflikte. Ebenso wissen wir durch die Geschichte und die Gegenwart, dass es zwischen den verschiedenen gesellschaftlich induzierten Präferenzsystemen immer mehr oder weniger starke Konflikte gab, die alle Formen von möglichen Auseinandersetzungen befeuert haben: zwischen kriegerischer Totalausrottung und wirtschaftlich-kultureller Vereinnahmung findet sich alles.

Der Sinn von Präferenzen ist schlicht, dass sich Gruppen von Menschen einigen müssen, wie sie ihre Fähigkeiten am besten ordnen, um für alle einen möglichst großen Nutzen in der jeweiligen Lebenswelt zu sichern.

Der eine Bezugspunkt für diese Regeln ist die Lebenswelt selbst, die sogenannte Natur, die heute mehr und mehr von technologischen Entwicklungen zu einer Art Techno-Natur mutiert ist und — das wird gerne übersehen — zu der der Mensch gehört! Der Mensch ist nicht etwas Verschiedenes oder Getrenntes von der Natur, sondern der Mensch ist vollständig Teil der Natur. Im Menschen werden Eigenschaften der Natur sichtbar, die ein besonderes Licht auf das ‚Wesen‘ der Natur werfen können, wenn man es denn überhaupt wissen will. Der andere Bezugspunkt ist die Welt der Bilder in den Köpfen der Beteiligten. Denn was immer man in einer Lebenswelt tun will, es hängt entscheidend davon ab, was jeder der Beteiligte in seinem Kopf als Bild von der Welt, von sich selbst und von den anderen mit sich herum trägt.

An diesem Punkt vermischt sich die Präferenz-/Werte-Frage mit der Wissensfrage. Man kann beide nicht wirklich auseinander dividieren, und doch repräsentieren die Präferenzen und das Weltwissen zwei unterschiedliche Dimensionen in der Innendynamik eines jeden Menschen.

EIN EPOCHALER WENDEPUNKT?

Fasst man die bisherigen ‚Befunde‘ zusammen, dann zeichnet sich ein Bild ab, dem man eine gewisse Dramatik nicht absprechen kann:

  1. In der Kommunikationsdimension hat sich eine Asymmetrie aufgebaut, in der die Technologie die Menge und die Geschwindigkeit des Informationsmaterials in einer Weise intensiviert hat, die die biologischen Strukturen des Menschen vollständig überfordern.
  2. In der Präferenzdimension haben wir eine mehrfache Explosion im Bereich Komplexität der Lebenswelt, Komplexität der Präferenzsysteme, Komplexität der Weltbilder.
  3. Die Anforderungen an mögliche ‚praktische Lösungen‘ steigen ins ‚gefühlt Unermessliche‘, während die Kommunikationsprozesse, die verfügbaren Weltbilder und die verfügbaren Präferenzen sich immer mehr zu einem ‚gefühlten unendlichen Komplexitätsknäuel‘ verdichten
  4. Alle bekannten Wissenstechnologien aus der ‚Vergangenheit (Schulen, Bücher, Bibliotheken, empirische Wissenschaften, …) scheinen nicht mehr auszureichen. Die Defizite sind täglich immer mehr spürbar.

WAS BEDEUTET DIES FÜR EINE MÖGLICHE NEUE STRATEGIE?

Obwohl die soeben aufgelisteten Punkte nur als eine sehr grobe Charakterisierung der Problemlage aufgefasst werden können, bieten sie doch Anhaltspunkte, in welcher Richtung man suchen sollte.

Ich deute die Asymmetrie zwischen der technologisch ermöglichten Turbo-Daten-Welt und dem individuellen Gehirn mit seiner nenschentypischen Arbeitsweise als eine Aufforderung, dass man die Verstehensprozesse auf Seiten des Menschen deutlich verbessern muss. Wenn jemand über ein — bildhaft gesprochen — ‚Schwarz-Weiß‘ Bild der Welt verfügt, wo er doch ein ‚Vielfarbiges‘ Bild benötigen würde, um überhaupt wichtige Dinge erkennen zu können, dann muss man bei den Bildern selbst ansetzen. Wie kommen sie zustande? Was können wir dazu beitragen, dass jeder von uns die Bilder in den Kopf bekommt, die benötigt werden, wollen wir gemeinsame eine komplexe Aufgabe erfolgreich bewältigen? Einzelne Spezialisten reichen nicht. Ein solcher würde als Einzelgänger ‚veröden‘ oder — viel wahrscheinlicher — auf lange Sicht von der Mehrheit der anderen als ‚Verrückter‘ und ‚Unruhestifter‘ ‚ausgestoßen‘ werden.

Vom Ende her gedacht, von der praktisch erwarteten Lösung, muss es möglich sein, dass die jeweilige gesellschaftliche Gruppe in der Lage ist, gemeinsam ein Bild der Welt zu erarbeiten, das die Gruppe in die Lage versetzt, aktuelle Herausforderungen so zu lösen, dass diese Lösung noch in einem überschaubaren Zeitabschnitt (wie viele Jahre? Auch noch für die Enkel?) funktionieren. Dies schließt eine sachliche Funktion genauso ein wie die Übereinstimmung mit jenen Präferenzen, auf sich die Gruppierung zu Beginn geeinigt hat.

Die Ermöglichung hinreichend leistungsfähiger Bilder von der Welt in allen Beteiligten verlangt auf jeden Fall einen Kommunikationsprozess, bei dem alle Beteiligten aktiv mitwirken können. Nun kennen wir in demokratischen Gesellschaften heute die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligungen aus vielen politischen Bekundungen und auch von zahllosen realen Initiativen. Die reale Auswirkung auf die Politik wie auch die Qualität dieser Beteiligungen ist bislang — in meiner Wahrnehmung — nicht sehr groß, meistens sehr schlecht, und auch eher folgenlos. Diese Situation kann auch die gefühlte Ohnmacht weiter verstärken.

EINE PARALLELWELT – Bislang ungenutzt

Bei der Frage, was kann man in dieser Situation tun, kann es hilfreich sein, den Blick vom ‚alltäglichen politischen Normalgeschehen‘ mal in jene Bereiche der Gesellschaft zu lenken, in denen es — unbeachtet von der öffentlichen Aufmerksamkeit und den Mainstream-Medien — weltweit eine Gruppe von Menschen gelingt, täglich die kompliziertesten Aufgaben erfolgreich zu lösen. Diese Menschen arbeiten in Gruppen von 10 bis 10.000 (oder gar mehr), sprechen viele verschiedene Sprachen, haben ganz unterschiedliches Wissen, arbeiten parallel in verschiedenen Ländern und gar auf verschiedenen Kontinenten in unterschiedlichen Zeitzonen, und errichten riesige Bauwerke, bauen riesige Flugzeuge, Raketen, ermöglichen die Arbeit von riesigen Fabriken, bauen eine Vielzahl von Autos, bauen tausende von Kraftwerken, immer komplexere Datennetzwerke mit Rechenzentren und Kontrollstrukturen, Roboter, und vieles, vieles mehr …

Was von außen vielleicht wie Magie wirken kann, wie ein Wunder aus einer anderen Welt, entpuppt sich bei näherem Zusehen als ein organisiertes Vorgehen nach transparenten Regeln, nach eingeübten und bewährten Methoden, in denen alle Beteiligten ihr Wissen nach vereinbarten Regeln gemeinsam ‚auf den Tisch‘ legen, es in einer gemeinsamen Sprache tun, die alle verstehen; wo alles ausführlich dokumentiert ist; wo man die Sachverhalte als transparente Modelle aufbaut, die alle sehen können, die alle ausprobieren können, und wo diese Modelle — schon seit vielen Jahren — immer auch Simulierbar sind, testbar und auch ausführlich getestet werden. Das, was am Ende eines solche Prozesses der Öffentlichkeit übergeben wird, funktioniert dann genauso, wie geplant (wenn nicht Manager und Politiker aus sachfremden Motiven heraus, Druck ausüben, wichtige Regel zu verletzten, damit es schneller fertig wird und/ oder billiger wird. Unfälle mit Todesfolgen sind dann nicht auszuschließen).

Normalerweise existiert die Welt des Engineerings und die soziale und politische Alltagswelt eher getrennt nebeneinander her, wenn man sie aber miteinander verknüpft, kann sich Erstaunliches ereignen.

KOMMUNALPLANUNG UND eGAMING

Bei einem Kongress im April 2018 kam es zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen Städteplanern und einem Informatiker der UAS Frankfurt. Aus dem Kongress ergab sich eine erste Einsicht in das Planungsproblem von Kommunen, das schon bei ‚kleinen‘ Kommunen mit ca. 15.000 Einwohner eigentlich alle bekannten Planungsmethoden überfordert. Von größeren Gebilden, geschweige denn ‚Mega-Cities‘, gar nicht zu reden.

Mehrere Gespräche, Workshops und Vorträge mit Bürgern aus verschiedenen Kommunen und Planungseinheiten von zwei größeren Städten ermöglichten dann die Formulierung eines umfassenden Projektes, das von Mai – August 2019 einen realen Testlauf dieser Ideen ermöglicht.

Aus nachfolgenden Diskussionen entstand eine erste Vision unter dem Titel Kommunalplanung und eGaming , in der versuchsweise die Methoden der Ingenieure auf das Feld der Kommunalplanung und der Beteiligung der Bürger angedacht wurde. Es entstand eine zwar noch sehr grobe, aber doch vielseitig elektrisierende Vision eines neuen Formates, wie die Weisheit der Ingenieure für die Interessen der Bürger einer Kommune nutzbar gemacht werden könnte.

REALWELT EXPERIMENT SOMMER 2019

Im Rahmen einer alle Fachbereiche übergreifenden Lehrveranstaltung haben Teams von Studierenden die Möglichkeit (i) die ingenieurmäßigen Methoden kennen zu lernen, mit denen man Fragestellungen in einer Kommune ausgehend von den Bürgern (!) analysieren kann; (ii) mit diesen Fragestellungen können dann — immer auch in Absprache mit den Bürgern — Analysemodelle erarbeitet werden, die dann — unter Klärung möglicher Veränderbarkeit — zu (interaktiven) Simulationsmodellen erweitert werden. Diese lassen sich dann (iii) mit allen Beteiligten durchspielen. Dadurch eröffnen sich Möglichkeiten des direkten ‚Erfahrungsaustausches zwischen Studierenden und Bürgern und ein gemeinsames Lernen, was die Wirklichkeit einer Stadt ist und welche Potentiale eine solche Kommune hat. Insbesondere eröffnet solch ein Vorgehen auch Einsichten in vielfältige Wechselwirkungen zwischen allen Faktoren, die ohne diese Methoden völlig unsichtbar blieben. In nachfolgenden Semestern soll noch die wichtige Orakelfunktion hinzugefügt werden.

Parallel zum Vorlesungsgeschehen bereitet ein eigenes Software-Team eine erste Demonstrationssoftware vor, mit der man erste Analysemodelle und Simulationsmodelle erstellen kann, um — auch interaktive — Simulationen vornehmen zu können. Wenn alles klappt, würde diese Juni/ Juli zur Verfügung stehen.

AUSBLICK

Vereinfachend — und vielleicht auch ein wenig überspitzt polemisch — ausgedrückt, kann man sagen, dass in diesem Projekt (vorläufige Abkürzung: KOMeGA) das Verhältnis zwischen Menschen und digitaler Technologie umgekehrt wird: während bislang die Menschen mehr und mehr nur dazu missbraucht werden, anonyme Algorithmen zu füttern, die globalen Interessen dienen, die nicht die des einzelnen Bürgers sind, wird hier die Technik den Interessen der Bürger vollständig untergeordnet. Die Technologie hat einzig die Aufgabe, den Bürgern zu helfen ihr gemeinsames Wissen über die Kommune :

  • zu klären
  • sichtbar zu machen
  • auszuarbeiten
  • durch zuspielen
  • zu verbessern
  • nach Regeln, die die Bürger selbst formulieren
  • für alle transparent
  • jederzeit änderbar
  • rund um die Uhr über das Smartphone abrufbar
The power of the future is your freedom … breaking the chains of the colonization of your mind …

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KANN MAN DEN POPULISMUS ÜBERWINDEN? Eine Notiz

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 11.Februar 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Der vorausgehende Eintrag zum Phänomen des Populismus als einer angeborenen Verhaltenstendenz bei jedem Menschen rief bei einigen Lesern eine zwiespältige Reaktion hervor: einerseits würden die Überlegungen einleuchten, andererseits führte dies zu einer gewissen Hilfslosigkeit und Ratlosigkeit; wie kann man sich dagegen wehren? Denn, wenn Populismus gleichsam in den Genen ‚verdrahtet‘ ist, und damit alle betroffen sind, dann müssten sich ja ‚alle gleichzeitig‘ so verhalten, dass Populismus zumindest abgeschwächt wird (also unter 100% bleibt); eine vollständige Heilung (also 0%) scheint dagegen im Ansatz unmöglich. Diese Problemstellung aktivierte folgende Überlegungen.

FREIHEITSFELD

Das folgende Schaubild deutet einige der vielen Faktoren (Parameter) an, die alle zusammen spielen müssen, soll Freiheit gelingen. Daraus folgt, dass eine ‚freie Gesellschaft‘ eine extrem anspruchsvolle Teamleistung erfordert, die nur gelingen kann, wenn ALLE an einem Strang ziehen. Und ‚Alle‘ heißt hier wirklich ‚Alle‘.

Schaubild zum Umfeld der Freiheit; ein Netzwerk von Faktoren, die alle ineinander spielen

DIE GEBURT DER WELT IM KOPF

Ein zentraler Aspekt der These dass der Populismus angeboren sei besteht darin, dass aufgrund der grundlegenden Freiheit eines biologischen Systems und seiner grundlegenden Lernfähigkeit bei Kindern und jungen Menschen (sofern die äußeren Verhältnisse es zulassen!) zwar tatsächlich ‚automatisch‘ vielfältige intensive Lernprozesse stattfinden, mit zunehmendem Wissen, zunehmender Erfahrung, und zunehmenden Fähigkeiten im Alltag dann aber der Eindruck entsteht, dass man ja jetzt ‚alles kennt‘, ‚man Bescheid weiß‘, dass es ’nichts Neues mehr gibt‘. Wenn dieser Zustand eintritt (fließend, schleichend, nicht abrupt), dann beginnt die Welt im Kopf still zu stehen, sie hat eine ‚gewisse feste Form‘ gefunden, die Dinge sind immer mehr ‚wie sie sind (im Kopf)‘. Abweichungen, Änderungen, ‚Neues‘, Anderes werden jetzt nicht mehr als Anregung zum weiteren Lernen empfunden sondern zunehmend als ‚Störungen des Bestehenden‘. Und da diese Prozesse bei jedem ablaufen, bilden sich automatisch Gruppen ‚Gleichgesinnter‘, die in der Statik ihrer Bilder gleich sind, sich aber durch — meist zufallsbedingte Unterschiede in der Biographie — unterscheiden können (Anhänger verschiedener Fußballklubs, Fans verschiedener Popstars, Mitglieder von politischen Richtungen, von verschiedenen Religionen, …),

DIE UMGEBUNG ALS NÄHRBODEN

Der Einfluss der Umgebung auf die Ausbildung der individuellen Weltbilder ist erheblich, nahezu übermächtig. Denn — wie schon im vorausgehenden Beitrag festgestellt — wenn die grundlegende Freiheit und Lernfähigkeit eines biologischen Systems in seiner Umgebung nicht die materiellen Bedingungen findet, die es zum alltäglichen Leben, zu alltäglichen Lernen braucht, dann läuft die Freiheit ins Leere. Sie kann sich nicht ‚auswirken‘, sie kann kein Individuum befördern, dass hinreichend kompetent und lebensfähig ist.

Neben den eher ‚materiellen Bedingungen‘ der Freiheitsausübung gibt es aber noch die vielfältigen gesellschaftlichen Regeln, die das tägliche Verhalten betreffen. Wenn z.B. die Beteiligung am materiellen Warenaustausch nur über Geld läuft, der Erwerb von Geld für die Mehrheit an Arbeit gekoppelt ist, eine Gesellschaft aber nicht für alle genügend Arbeit bereit stellen kann, dann verhindern diese Konventionen, das ALLE hinreichend am materiellen Warenaustausch beteiligt sind. Wenn z.B. die ‚Rechte‘ am Boden und am Wasser von ‚Stammeshäuptern‘ vergeben werden, diese sich aber auf Kosten der eigenen Stammesmitglieder bereichern, indem sie diese Rechte an lokalfremde Kapitalgeber ‚verkaufen‘, so dass die Bewohner eines Gebietes ihrem eigenen Boden und Wasser ‚enteignet‘ werden, dann kann Freiheit nicht funktionieren. Wenn z.B. viele Millionen Kinder keine Ausbildung bekommen, sondern stattdessen unentgeltlich für ihre Eltern oder für Fremde arbeiten müssen, dann wird ihnen die Grundlage für ein freies Leben genommen. usw.

Es gibt auch Varianten des Freiheitsentzugs über Verfremdung der Kognition: wenn z.B. Videoserien im Internet, (online) Computer-Spiele im Internet, oder Fernsehserien — alle jeweils mit vielen Millionen Nutzern — sich viele Stunden am Tag in Erregungszustände versetzen, die keine für den Alltag nutzbaren Inhalte vermitteln, sondern mit Phantasiebildern das Gehirn blockieren, dann ist das eine kognitive Selbstverstümmlung, die als ‚Gehirnwäsche‘ in anderen Zusammenhängen verboten ist.

KULTURELLE GESAMTLEISTUNG

Aus der Geschichte wissen wir, wie mühsam es für die Population der Menschheit war, dem Leben Wissen, Erfahrungen, Werte stückweise abzuringen, um vom Status der Jäger und Sammler zu immer komplexeren Gesellschaften mit immer mehr Handwerk, Technik, sozialen Institutionen, Rechtssystemen, Handels- und Wirtschaftssystemen, Dörfer, Städten, Regionen, lokal, national und international zu werden, mit Kommunikationssystemen, Wissensspeicherungstechniken, Bildungsstrategien usw., dann dürfte klar sein, DASS die Großgesellschaft, ihre politische, soziale, juristische usw. Verfasstheit, weder von eine einzelnen alleine noch innerhalb einer kurzen Zeit ‚aufgebaut‘ werden konnte und auch heute nicht so einfach aufgebaut werden kann. Funktionierende komplexe Gesellschaften erfordern den Einsatz von jedem einzelnen und das in einer aufeinander abgestimmten Weise. So etwas aufzubauen und dann ‚am Leben zu erhalten‘ ist schwer; es zu zerstören vergleichsweise einfach.

Wir erleben heute eine Phase der Menschheit, in der — verglichen mit der Vergangenheit — sehr komplexe Strukturen erreicht worden sind, deren ‚Erhaltung‘ schon schwierig erscheint, erst recht ihre konstruktive und nachhaltige ‚Weiterentwicklung‘.

PRÄFERENZEN (WERTE)

Was im ‚Getöse des Alltags‘ leicht und gerne untergeht, das ist die Tatsache, dass alle die vielen Konventionen, Regeln, Vorschriften und Gesetze, die zur ‚Regulierung des Alltags‘ verabredet worden sind, letztlich auf ‚Wertsetzungen‘ zurück gehen, auf ‚Präferenzen‘: man will eher A als B. So stellen z.B. die Menschenrechte für einige Verfassungen von Staaten einen ‚Wertekanon‘ dar, auf den die Staatsverfassung und alle davon abhängigen Regeln aufbauen. Bei anderen sind es Überzeugungen aus bestimmten religiösen Traditionen. Gemeinsam ist allem das Faktum der ‚primären Präferenzen‘, ohne die keine Regelung auskommt.

Und es ist sehr seltsam: über die Grundlagen der staatlichen Verfassungen wird nirgendwo diskutiert; in den meisten Staaten ist dies sogar verboten.

Dies mag vielleicht aus einem ‚Schutzbedürfnis‘ heraus motiviert sein. Wenn aber z.B. im Deutschen Grundgesetz bestimmte Werte vorausgesetzt werden, für die z.B. die empirischen Wissenschaften keine Motivation mehr liefern können, und in der täglichen Massenkommunikation die einzelnen Bürgern mit Inhalten zugedröhnt werden, die mit diesen Grundwerten ebenfalls kaum noch etwas zu tun haben, und viele alte Wertelieferanten heute eher unglaubwürdig erscheinen, dann kann man sich fragen, wie lange eine Gesellschaft noch zukunftsfähig ist, die ihre eigenen Grundlagen täglich erodieren lässt und wenig dazu zu tun scheint, sie zu erneuern. Die Freiheit dazu ist grundsätzlich gegeben, aber die Nutzung dieser Freiheit erweckt viele Fragen zum Leben …

Eine gewisse Fortsetzung des Themas findet sich HIER.

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KI UND BIOLOGIE. Blitzbericht zu einem Vortrag am 28.Nov.2018

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062
29.Nov. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

LETZTE AKTUALISIERUNG: 1.Dez.2018, Anmerkung 1

KONTEXT

Im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung des Fachbereichs 2 ‚Informatik & Ingenieurwissenschaften‘ der Frankfurt University of Applied Sciences am 28.November 2018 mit dem Rahmenthema „Künstliche Intelligenz – Arbeit für Alle?“ hielt Gerd Doeben-Henisch einen kurzen Vortrag zum Thema „Verändert KI die Welt?“ Voraus ging ein Vortrag von Herrn Helmut Geyer „Arbeitsmarkt der Zukunft. (Flyer zur Veranstaltung: FRA-UAS_Fb2_Karte_KI-Arbeit fuer alle_Webversion )

EINSTIEG INS KI-THEMA

Im Kontext der Überlegungen zur Arbeitswelt angesichts des technologischen Wandels gerät die Frage nach der Rolle der Technologie, speziell der digitalen Technologie — und hier noch spezieller der digitalen Technologie mit KI-Anteilen – sehr schnell zwischen die beiden Pole ‚Vernichter von Arbeit‘, ‚Gefährdung der Zukunft‘ einerseits und ‚Neue Potentiale‘, ‚Neue Arbeit‘, ‚Bessere Zukunft‘, wobei es dann auch einen dritten Pol gibt, den von den ‚übermächtigen Maschinen‘, die die Menschen sehr bald überrunden und beherrschen werden.

Solche Positionen, eine Mischungen aus quasi-Fakten, viel Emotionen und vielen unabgeklärten Klischees, im Gespräch sachlich zu begegnen ist schwer bis unmöglich, erst Recht, wenn wenig Zeit zur Verfügung steht.

Doeben-Henisch entschloss sich daher, das Augenmerk zentral auf den Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ zu lenken und die bislang uneinheitliche und technikintrovertierte Begrifflichkeit in einen größeren Kontext zu stellen, der das begrifflich ungeklärte Nebeneinander von Menschen und Maschinen schon im Ansatz zu überwinden sucht.

ANDERE DISZIPLINEN

Viele Probleme im Kontext der Terminologie der KI im technischen Bereich erscheinen hausgemacht, wenn man den Blick auf andere Disziplinen ausweitet. Solche andere Disziplinen sind die Biologe, die Mikrobiologie sowie die Psychologie. In diesen Disziplinen beschäftigt man sich seit z.T. deutlich mehr als 100 Jahren mit komplexen Systemen und deren Verhalten, und natürlich ist die Frage nach der ‚Leistungsfähigkeit‘ solcher Systeme im Bereich Lernen und Intelligenz dort seit langem auf der Tagesordnung.

Die zunehmenden Einsichten in die unfassbare Komplexität biologischer Systeme (siehe dazu Beiträge in diesem Blog, dort auch weitere Links), lassen umso eindrücklicher die Frage laut werden, wie sich solche unfassbar komplexen Systeme überhaupt entwickeln konnten. Für die Beantwortung dieser Frage wies Doeben-Henisch auf zwei spannende Szenarien hin.

KOMMUNIKATIONSFREIE EVOLUTION

Entwicklungslogik vor der Verfügbarkeit von Gehirnen
Entwicklungslogik vor der Verfügbarkeit von Gehirnen

In der Zeit von der ersten Zelle (ca. -3.8 Mrd Jahren) bis zur Verfügbarkeit hinreichend leistungsfähiger Nervensysteme mit Gehirnen (ab ca. -300.000, vielleicht noch etwas früher) wurde die Entwicklung der Lebensformen auf der Erde durch zwei Faktoren gesteuert: (a) die Erde als ‚Filter‘, was letztlich zu einer bestimmten Zeit geht; (b) die Biomasse mit ihrer Reproduktionsfähigkeit, die neben der angenäherten Reproduktion der bislang erfolgreichen Baupläne (DNA-Informationen) in großem Umfang mehr oder weniger starke ‚Varianten‘ erzeugte, die ‚zufallsbedingt‘ waren. Bezogen auf die Erfolge der Vergangenheit konnten die zufälligen Varianten als ’sinnlos‘ erscheinen, als ’nicht zielführend‘, tatsächlich aber waren es sehr oft diese zunächst ’sinnlos erscheinenden‘ Varianten, die bei einsetzenden Änderungen der Lebensverhältnisse ein Überleben ermöglichten. Vereinfachend könnte man also für die Phase die Formel prägen ‚(Auf der dynamischen Erde:) Frühere Erfolge + Zufällige Veränderungen = Leben‘. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung die Zukunft niemals hinreichend bekannt ist, ist die Variantenbildung die einzig mögliche Strategie. Die Geschwindigkeit der ‚Veränderung von Lebensformen‘ war in dieser Zeit auf die Generationsfolgen beschränkt.

MIT KOMMUNIKATION ANGEREICHERTE EVOLUTION

Nach einer gewissen ‚Übergangszeit‘ von einer Kommunikationsfreien zu einer mit Kommunikation angereicherte Evolution gab es in der nachfolgenden Zeit die Verfügbarkeit von hinreichend leistungsfähigen Gehirnen (spätestens mit dem Aufkommen des homo sapiens ab ca. -300.000)[1], mittels deren die Lebensformen die Umgebung und sich selbst ‚modellieren‘ und ‚abändern‘ konnten. Es war möglich, gedanklich Alternativen auszuprobieren, sich durch symbolische Kommunikation zu ‚koordinieren‘ und im Laufe der letzten ca. 10.000 Jahren konnten auf diese Weise komplexe kulturelle und technologische Strukturen hervorgebracht werden, die zuvor undenkbar waren. Zu diesen Technologien gehörten dann auch ab ca. 1940 programmierbare Maschinen, bekannt als Computer. Der Vorteil der Beschleunigung in der Veränderung der Umwelt – und zunehmend auch der Veränderung des eigenen Körpers — lies ein neues Problem sichtbar werden, das Problem der Präferenzen (Ziele, Bewertungskriterien…). Während bislang einzig die aktuelle Erde über ‚Lebensfähig‘ ‚oder nicht Lebensfähig‘ entschied, und dies das einzige Kriterium war, konnten die  Lebewesen mit den neuen Gehirnen  jetzt eine Vielzahl von Aspekten ausbilden, ‚partielle Ziele‘, nach denen sie sich verhielten, von denen oft erst in vielen Jahren oder gar Jahrzehnten oder gar noch länger sichtbar wurde, welche nachhaltigen Effekte sie haben.

Anmerkung 1: Nach Edelman (1992) gab es einfache Formen von Bewusstsein mit den zugehörigen neuronalen Strukturen ab ca. -300 Mio Jahren.(S.123) Danach hätte es  also ca. 300 Mio Jahre gedauert, bis   Gehirne, ausgehend von einem ersten einfachen Bewusstsein, zu komplexen Denkleistungen und sprachlicher Kommunikation in der Lage waren.

LERNEN und PRÄFERENZEN

Am Beispiel von biologischen Systemen kann man fundamentale Eigenschaften wie z.B. das ‚Lernen‘ und die ‚Intelligenz‘ sehr allgemein definieren.

Systematisierung von Verhalten nach Lernen und Nicht-Lernen
Systematisierung von Verhalten nach Lernen und Nicht-Lernen

In biologischer Sicht haben wir generell Input-Output-Systeme in einer unfassbar großen Zahl an Varianten bezüglich des Körperbaus und der internen Strukturen und Abläufe. Wie solch ein Input-Output-System intern im Details funktioniert spielt für das konkrete Leben nur insoweit eine Rolle, als die inneren Zustände ein äußerlich beobachtbares Verhalten ermöglichen, das wiederum das Überleben in der verfügbaren Umgebung ermöglicht und bezüglich spezieller ‚Ziele‘ ‚erfolgreich‘ ist. Für das Überleben reicht es also zunächst, einfach dieses beobachtbare Verhalten zu beschreiben.

In idealisierter Form kann man das Verhalten betrachten als Reiz-Reaktions-Paare (S = Stimulus, R = Response, (S,R)) und die Gesamtheit des beobachtbaren Verhaltens damit als eine Sequenz von solchen (S,R)-Paaren, die mathematisch eine endliche Menge bilden.

Ein so beschriebenes Verhalten kann man dann als ‚deterministisch‘ bezeichnen, wenn die beobachtbaren (S,R)-Paare ’stabil‘ bleiben, also auf einen bestimmten Reiz S immer die gleiche Antwort R erfolgt.

Ein dazu komplementäres Verhalten, also ein ’nicht-deterministisches‘ Verhalten, wäre dadurch charakterisiert, dass entweder (i) der Umfang der Menge gleich bleibt, aber manche (S,R)-Paare sich verändern oder (ii) der Umfang der Menge kann sich ändern. Dann gibt es die beiden interessanten Unterfälle (ii.1) es kommen nach und nach neue (S,R)-Paare dazu, die ‚hinreichend lang‘ ’stabil‘ bleiben, aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ‚t‘ sich nicht mehr vermehren (die Menge der stabilen Elemente wird ‚eingefroren‘, ‚fixiert‘, ‚gezähmt‘, …), oder (ii.2) die Menge der stabilen (S,R)-Paare expandiert ohne Endpunkt.

Bezeichnet man diese Expansion (zeitlich ‚befristet‘ oder ‚unbefristet‘) als ‚Lernen‘, dann wird sichtbar, dass die ‚Inhalte des Lernens‘ (die korrespondierenden Repräsentationen der (S,R)-Paare in den internen Zuständen des Systems) einmal davon abhängen, was die Umgebung der Systeme ‚erlaubt‘, zum anderen, was die ‚inneren Zustände‘ des Systems an ‚Verarbeitung ermöglichen‘, sowie – sehr indirekt – über welche welche ‚internen Selektionskriterien‘ ein System verfügt.

Die ‚internen Selektionskriterien‘ werden hier kurz ‚Präferenzen‘ genannt, also Strategien, ob eher ein A oder ein B ’selektiert‘ werden soll. Wonach sich solche Kriterien richten, bleibt dabei zunächst offen. Generell kann man sagen, dass solche Kriterien primär ‚endogen‘ begründet sein müssen, dass sie aber nachgeordnet auch von außen (‚exogen‘) übernommen werden können, wenn die inneren Kriterien eine solche Favorisierung des exogenen Inputs ‚befürworten‘ (Beispiel sind die vielen Imitationen im Lernen bzw. die Vielzahl der offiziellen Bildungsprozesse, durch die Menschen auf bestimmte Verhaltens- und Wissensmuster trainiert (programmiert) werden). Offen ist auch, ob die endogenen Präferenzen stabil sind oder sich im Laufe der Zeit ändern können; desgleichen bei den exogenen Präferenzen.

Am Beispiel der menschlichen Kulturen kann man den Eindruck gewinnen, dass das Finden und gemeinsame Befolgen von Präferenzen ein bislang offenes Problem ist. Und auch die neuere Forschung zu Robotern, die ohne Terminierung lernen sollen (‚developmental robotics‘), hat zur Zeit das Problem, dass nicht ersichtlich ist, mit welchen Werten man ein nicht-terminiertes Lernen realisieren soll. (Siehe: Merrick, 2017)) Das Problem mit der Präferenz-Findung ist bislang wenig bekannt, da die sogenannten intelligenten Programme in der Industrie immer nur für klar definierte Verhaltensprofile trainiert werden, die sie dann später beim realen Einsatz unbedingt einhalten müssen.  Im technischen Bereich spricht man hier oft von einer ’schwachen KI‘. (Siehe: VDI, 2018) Mit der hier eingeführten Terminologie  wären dies nicht-deterministische Systeme, die in ihrem Lernen ‚terminieren‘.

INTELLIGENZ

Bei der Analyse des Begriffs ‚Lernen‘ wird sichtbar, dass das, was gelernt wird, bei der Beobachtung des Verhaltens nicht direkt ’sichtbar‘ ist. Vielmehr gibt es eine allgemeine ‚Hypothese‘, dass dem äußerlich beobachtbaren Verhalten ‚interne Zustände‘ korrespondieren, die dafür verantwortlich sind, ob ein ’nicht-lernendes‘ oder ein ‚lernendes‘ Verhalten zu beobachten ist. Im Fall eines ‚lernenden‘ Verhaltens mit dem Auftreten von inkrementell sich mehrenden stabilen (S,R)-Paaren wird angenommen, das den (S,R)-Verhaltensformen ‚intern‘ entsprechende ‚interne Repräsentationen‘ existieren, anhand deren das System ‚entscheiden‘ kann, wann es wie antworten soll. Ob man diese abstrakten Repräsentationen ‚Wissen‘ nennt oder ‚Fähigkeiten‘ oder ‚Erfahrung‘ oder ‚Intelligenz‘ ist für die theoretische Betrachtung unwesentlich.

Die Psychologie hat um die Wende zum 20.Jahrhundert mit der Erfindung des Intelligenztests durch Binet und Simon (1905) sowie in Weiterführung durch W.Stern (1912) einen Ansatz gefunden, die direkt nicht messbaren internen Repräsentanten eines beobachtbaren Lernprozesses indirekt dadurch zu messen, dass sie das beobachtbare Verhalten mit einem zuvor vereinbarten Standard verglichen haben. Der vereinbarte Standard waren solche Verhaltensleistungen, die man Kindern in bestimmten Altersstufen als typisch zuordnete. Ein Standard war als ein Test formuliert, den ein Kind nach möglichst objektiven Kriterien zu durchlaufen hatte. In der Regel gab es eine ganze Liste (Katalog, Batterie) von solchen Tests. Dieses Vorgehensweisen waren sehr flexibel, universell anwendbar, zeigten allerdings schon im Ansatz, dass die Testlisten kulturabhängig stark variieren konnten. Immerhin konnte man ein beobachtbares Verhalten von einem System auf diese Weise relativ zu vorgegebenen Testlisten vergleichen und damit messen. Auf diese Weise konnte man die nicht messbaren hypothetisch unterstellten internen Repräsentationen indirekt qualitativ (Art des Tests) und quantitativ (Anteil an einer Erfüllung des Tests) indizieren.

Im vorliegenden Kontext wird ‚Intelligenz‘ daher als ein Sammelbegriff für die hypothetisch unterstellte Menge der korrespondierenden internen Repräsentanten zu den beobachtbaren (S,R)-Paaren angesehen, und mittels Tests kann man diese unterstellte Intelligenz qualitativ und quantitativ indirekt charakterisieren. Wie unterschiedlich solche Charakterisierung innerhalb der Psychologie modelliert werden können, kann man in der Übersicht von Rost (2013) nachlesen.

Wichtig ist hier zudem, dass in diesem Text die Intelligenz eine Funktion des Lernens ist, das wiederum von der Systemstruktur abhängig ist, von der Beschaffenheit der Umwelt sowie der Verfügbarkeit von Präferenzen.

Mehrdimensionaler Raum der Intelligenzrpräsentanen
Mehrdimensionaler Raum der Intelligenzrpräsentanen

Aus Sicht einer solchen allgemeinen Lerntheorie kann man statt biologischen Systemen auch programmierbare Maschinen betrachten. Verglichen mit biologischen Systemen kann man den programmierbaren Maschinen ein Äquivalent zum Körper und zur Umwelt spendieren. Grundlagentheoretisch wissen wir ferner schon seit Turing (1936/7), dass programmierbare Maschinen ihr eigenes Programm abändern können und sie prinzipiell lernfähig sind. Was allerdings (siehe zuvor das Thema Präferenz) bislang unklar ist, wo sie jeweils die Präferenzen herbekommen sollen, die sie für eine ’nachhaltige Entwicklung‘ benötigen.

ZUKUNFT VON MENSCH UND MASCHINE

Im Licht der Evolution erscheint die  sich beschleunigende Zunahme von Komplexität im Bereich der biologischen Systeme und deren Populationen darauf hinzudeuten, dass mit der Verfügbarkeit von programmierbaren Maschinen diese sicher nicht als ‚Gegensatz‘ zum Projekt des biologischen Lebens zu sehen sind, sondern als eine willkommene Unterstützung in einer Phase, wo die Verfügbarkeit der Gehirne eine rapide Beschleunigung bewirkt hat. Noch bauen die biologischen Systeme ihre eigenen Baupläne  nicht selbst um, aber der Umbau in Richtung von Cyborgs hat begonnen und schon heute ist der Einsatz von programmierbaren Maschinen existentiell: die real existierenden biologischen Kapazitätsgrenzen erzwingen den Einsatz von Computern zum Erhalt und für die weitere Entwicklung. Offen ist die Frage, ob die Computer den Menschen ersetzen sollen. Der Autor dieser Zeilen sieht die schwer deutbare Zukunft eher so, dass der Mensch den Weg der Symbiose intensivieren wird und versuchen sollte, den Computer dort zu nutzen, wo er Stärken hat und zugleich sich bewusst sein, dass das Präferenzproblem nicht von der Maschine, sondern von ihm selbst gelöst werden muss. Alles ‚Böse‘ kam in der Vergangenheit und kommt in der Gegenwart vom Menschen selbst, nicht von der Technik. Letztlich ist es der Mensch, der darüber entscheidet, wie er die Technik nutzt. Ingenieure machen sie möglich, die Gesellschaft muss entscheiden, was sie damit machen will.

BEISPIEL EINER NEUEN SYMBIOSE

Der Autor dieser Zeilen hat zusammen mit anderen KollegenInnen in diesem Sommer ein Projekt gestartet, das darauf abzielt, dass alle 11.000 Kommunen in Deutschland ihre Chancen haben sollten, ihre Kommunikation und Planungsfähigkeit untereinander dramatisch zu verbessern, indem sie die modernen programmierbaren Maschinen in neuer ‚intelligenter‘ Weise für ihre Zwecke nutzen.

QUELLEN

  • Kathryn Merrick, Value systems for developmental cognitive robotics: A survey, Cognitive Systems Research, 41:38 – 55, 2017
  • VDI, Statusreport Künstliche Intelligenz, Oktober 2018, URL: https://www.vdi.de/vdi-statusbericht-kuenstliche-intelligenz/ (zuletzt: 28.November 2018)
  • Detlef H.Rost, Handbuch der Intelligenz, 2013: Weinheim – Basel, Beltz Verlag
  • Joachim Funke (2006), Kap.2: Alfred Binet (1857 – 1911) und der erste Intelligenztest der Welt, in: Georg Lamberti (Hg.), Intelligenz auf dem Prüfstand. 100 Jahre Psychometrie, Vandenhoek & Ruprecht
  • Alfred Binet, Théodore Simon: Methodes nouvelles pour le diagnostiqc du niveau intellectuel des anormaux. In: L’Année Psychologique. Vol. 11, 1904, S. 191–244 (URL: https://www.persee.fr/doc/psy_0003-5033_1904_num_11_1_3675 )
  • William Stern, Die psychologischen Methoden der Intelligenzprüfung und deren Anwendung an Schulkinder, 19121: Leipzig, J.A.Barth
  • Alan M. Turing, On computable numbers, with an application to the Entscheidungsproblem. Proceedings of the London Mathematical Society, 42(2):230–265, 1936-7
  • Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books

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ÜBER DIE MATERIE DES GEISTES. Relektüre von Edelman 1992. Teil 8

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 27.Sept. 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Gerald M.Edelman, Bright Air, Brilliant Fire. On the Matter of the Mind, New York: 1992, Basic Books

BISHER

Für die bisherige Diskussion siehe die kumulierte Zusammenfassung HIER.

KURZFASSUNG

Mit der Skizzierung seines Modells einer neuronalen Maschinerie liefert Edelman interessante Ansatzpunkte, um in einer möglichen, noch nicht existierenden, ‚Brückentheorie‘ zwischen Psychologie und Physiologie verschiedene psychologisch definierte Eigenschaften ‚von der Maschinerie her‘ plausibel zu machen. Eher unplausibel wirkt sein Versuch, die Wertefrage in Details des Genotyps und dann in Details des Phänotyps zu verlagern. Eine alternative Sicht wird vom Autor dieses Textes angedeutet.

KAP.9 NEURONALER DARWINISMUS

  1. In diesem Kapitel will Edelman Argumente vorbringen, warum die ‚Gehirnwissenschaft‘ eine ‚Wissenschaft des Erkennens‘ bzw. ‚… der Erkennung‘ (‚recognition‘) ist.

  2. Für seine Argumentation setzt Edelman voraus, dass wir Tiere (‚animals‘) haben, die sich in einer Umgebung befinden und sich in Interaktion mit dieser langfristig ‚anpassen‘, d.h. in der Lage sind, hinreichend viele Nachkommen überlebensfähig zu erzeugen. Diese Anpassungsfähigkeit beruht NICHT auf irgendwelche Instruktionen, sondern wird von den Tieren aufgrund der ihnen innewohnenden Eigenschaften ermöglicht. Diese innewohnende Eigenschaft, sich kurzfristig im Verhalten und langfristig in der Struktur des Körpers ‚anpassen zu können‘, verbindet Edelman mit dem Begriff ‚Erkennung‘ (‚recognition‘), der gebunden ist an die Struktur eines ‚Gehirns‘. Die von Edelman gemeinte Form der Erkennung basiert nicht auf expliziten Instruktionen sondern auf ‚Selektion/ Auswahl‘, die sich im Rahmen des Verhaltens ergibt. Dieses Verhalten muss in Verbindung mit dem Gehirn von der Gehirnwissenschaft untersucht werden. (vgl. 81f)

  3. In der Umgebung, die Edelman für seine Tiere voraussetzt, gibt es Ereignisse, die ’neu‘ sind, ‚unvorhergesehen‘! Solche Ereignisse kann man nicht mit schon bekanntem Wissen oder bekannten Regeln bearbeiten. Edelman postuliert daher, dass ein System, das auf ‚Auswahl/ Selektion‘ basieren soll, in der Lage ist, vor neuen Ereignissen in der Umgebung intern, im System, ‚Varianten‘ bilden kann. Die bisherigen Forschungen zur embryonalen und anschließenden Entwicklung des Gehirns legen nahe, dass dieser Prozess der ‚Gehirnentstehung/ Gehirnwerdung‘ keine 1-zu-1 Kopie eines vorgegebenen Plans ist, sondern ein Realisierungsgeschehen umfasst, bei dem sich in einer Mischung aus Umgebungsreizen und Zufällen neue individuelle Strukturen ausbilden, so dass selbst eineiige Zwillinge über unterschiedliche Feinstrukturen verfügen. Damit liegen unterschiedliche Gehirne vor, die aufgrund ihres im Körper umgesetzten Verhaltens selektiert werden können. Solch eine Variabilität wird darüber hinaus nicht nur einmal, zu Beginn des Lebens eines Tieres benötigt, sondern während des ganzen Lebens. Wie kann ein Gehirn dies leisten? (vgl. S.82)
  4. Innerhalb der Verhaltensanforderungen benennt Edelman einige Verhaltenseigenschaften explizit, die das Gehirn zu leisten in der Lage sein muss: (i) ‚Kategorisierung‘ von Ereignissen in der Wahrnehmung — auch schon vor-sprachlich –, (ii) Kategorisierungen im Kontext des Gedächtnisses, (iii) Aufbau eines ‚Bewusstseins‘, (iv) Entwicklung von ‚Sprache‘. (vgl. S.82)
  5. Edelman formuliert dann – quasi zwischen drin – ein wissenschaftsphilosophisches Postulat, dass eine Theorie, die wissenschaftlich sein will, ausschließlich auf Prozessen und Ordnungen basieren muss, die in der physikalischen Welt (‚physical world‘) vorkommen. Und aus diesem wissenschaftsphilosophischen Postulat leitet er dann ein anderes wissenschaftsphilosophisches Postulat ab, dass nämlich eine wissenschaftliche Erklärung von ‚psychologischen‘ Prozessen aufzeigen muss, wie diese mit ‚physiologischen‘ Prozessen in Zusammenhang stehen.(vgl. S.82)

  6. Eine solche wissenschaftliche Theorie zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen psychologischen und physiologischen Prozessen hat Edelman in der ‚Theorie der neuronalen Gruppen Selektion (TNGS)‘ formuliert. Diese Theorie wurde zudem speziell entwickelt, um das Problem des ‚Bewusstsein‘ (‚consciousness‘) in den Griff zu bekommen. (vgl. S.82f)

  7. Die beiden zentralen theoretischen Konzepte in der TNGS sind ‚TNGS Wiedereintritt‘ (‚TNGS reentry‘) und ‚Globales Abbilden‘ (‚global mapping‘). (vgl. S.83)

  8. Im Zusammenhang damit muss man die Evolution neuer Formen (‚morphologies‘) sowohl vom Körper als auch vom Gehirn berücksichtigen. (vgl. S.83)

  9. Solche neuen Formbildungen finden im wesentlichen in drei Phasen statt: (i) die Entstehung von Netzwerken von Neuronen während der Entwicklung; (ii) unterschiedliche Gewichtungen der Verbindungen unter dem Einfluss von Einwirkungen von außen (und innen); (iii) Bildung von neuronalen Karten, die untereinander durch Wiedereintrittsverbindungen verbunden sind. (vgl. S.83)
  10. Bezüglich der frühen Entstehung von Netzwerken von Neuronen während der Entwicklung (Pase 1) wiederholt er die Feststellungen von vorausgehenden Kapiteln. Die Kernbotschaft ist, dass die sich herausbildenden Netzwerke genetisch nur sehr grob vor-bestimmt sind. Jedes einzelne Gehirn ist in dieser Phase sehr individuell. Die in dieser Phase verfügbaren Funktionen des Gehirns bilden ein ‚erstes Repertoire‚. (vgl. S.83)
  11. Mit der beginnenden Interaktion der Neuronen untereinander und durch Ereignisse an den Rändern (sensorische Wahrnehmung, propriozeptive Ereignisse im Körper,…) (Phase 2) werden einige Verbindungen ‚gestärkt‘, andere bleiben schwach, und mit diesen ‚Stärkungen von Verbindungen‘ bilden sich ’neue Funktionen‘ heraus, die dann insgesamt das ‚zweite Repertoire‚ bilden. (Vgl. S.83-85)
  12. Dadurch dass neuronale Karten reziprok miteinander verknüpft sind (Phase 3) können die gleichen Ausgangsreize nicht nur parallel auf unterschiedliche Weise bearbeitet werden, sondern es ist auch möglich, dass sie sich im gleichen Zeitfenster wechselseitig beeinflussen und diese Signale in übergeordneten Karten zusammen geführt werden.(vgl. S.85)

  13. In Verbindung mit Gedächtnis (‚memory‘) sieht Edelman in diesen reziproken Karten nicht nur die Grundlage für Verhalten überhaupt sondern speziell auch für eine ‚Brücke‘ zwischen Physiologie und Psychologie. (vgl. S.85)
  14. An dieser Stelle führt Edelman nun – etwas überraschend – ‚neuronale Gruppen‚ (neuronal groups‘) ein als die eigentlichen Einheiten, die der ’neuronalen Selektion‘ unterliegen. Einzelne Neuronen eignen sich dafür schlecht, weil sie entweder nur ‚anregend‘ (‚excitatory‘) sind oder nur ‚hemmend‘ (‚inhibitory‘). Außerdem sendet ein einzelnes Neuron seine Synapsen zu vielen anderen Neuronen. Will man hier eine hinreichende Schärfe in der Adressierung realisieren, dann muss man viele Neuronen kombinieren, die sich in bestimmten Bereichen dann überlappen. Von daher können eigentlich nur ‚Gruppen von Neuronen‘ solche Anforderungen erfüllen und bieten sich von daher als natürliche Einheiten der Selektion an. (vgl. S.85-87)
  15. Edelman will diese Themen dann am Beispiel der ‚Kategorisierung in der Wahrnehmung‘ (‚perceptual categorization) weiter ausführen. Er verweist dabei auch auf das Postskript mit einem Abschnitt zur Kategorisierung (S.233f). In diesem Postskript-Abschnitt kritisiert er vor allem jene Positionen, die bei der Frage der Kategorien von festen Strukturen ausgehen, die auch als solche ‚repräsentiert werden. Mit Verweis auf Wittgenstein und einigen Psychologen argumentiert er für eine Sicht der Kategorisierung, die sich aus der direkten Interaktion mit der physischen Umgebung ergibt. Ausgehend von konkreten Beispielen bilden alle Individuen konkrete Kerne, die sich im Laufe der Zeit erweitern, überlagern, ergänzen können. Einige der Elemente in solchen induktiven-dynamischen Netzen sind dann ‚typischer‘ als andere. Zwischen den Elementen können einige ‚ähnlicher‘ sein als andere, ’näher dran‘, usw. Aufgrund des induktiv-beispielhaften Charakters dieser Bildungsprozesse sind diese Strukturen bei allen Individuen grundsätzlich verschieden.

  16. Das Phänomen der ‚Kategorisierung‘, das sich im Verhalten manifestiert (= Psychologie), gründet also in neuronalen Verschaltungen (= Physiologie), die im wesentlichen auf neuronale Karten (bestehend aus neuronalen Kernen) verweisen, die jeweils unabhängige Reize (Stimuli) empfangen, die aber aufgrund der reziproken Verbindungen sich innerhalb eines Zeitfensters wechselseitig bestärken. Mit anderen Worten, Eigenschaften A in der einen Karte werden zeitgleich mit Eigenschaften B in einer anderen Karte durch wechselseitige ‚Verstärkung‘ ’synchronisiert‘. Damit können verschiedene Eigenschaften zu einem Eigenschaftsbündel koordiniert werden. Je häufiger dies passiert, umso stärker wird diese Verbindung. Diese Synchronisierungsprozess können jederzeit mit beliebig vielen verschiedenen Karten passieren. Und, wie man erkennen kann, vollziehen sich diese Synchronisierungsprozesse nicht aufgrund eines ‚Supervisors höherer Ordnung‘, nicht aufgrund irgendwelcher ‚Instruktionen‘ von ‚außen‘, sondern aufgrund von physikalischen Außenweltereignissen (oder auch körperintern (propriozeptiv) erzeugte Ereignisse), die über Sensoren und neuronale Signalverarbeitung zu den Karten geleitet werden. Der Mechanismus der reziprok verschalteten Karten extrahiert aus diesen vor-verarbeiteten sensorischen (auch propriozeptiven) Signalen dann unterschiedliche Eigenschaften, die dann die ‚Bausteine für Kategorien‘ bilden. (vgl. S.87)

  17. Da es ja sehr viele neuronale Karten mit sehr vielen reziproken Verbindungen untereinander gibt, können die Ausgänge von bestimmten Karten auch auf die Eingänge von vorausgehenden ‚Verarbeitungsstufen‘ zurück geleitet werden, um die Verarbeitung auf diese Weise zu modifizieren, oder diese reziproke Verbindungen werden für höhere Verarbeitungen benutzt, oder, oder , … Die Vielfalt der hier möglichen wechselseitigen Beeinflussungen ist groß. Edelman verweist auf ein Computermodell, das RCI (‚reentrant cortical integration‘) Modell (das reziproke kortikale Integrationsmodell), in dem er diese Theorie modellhaft umgesetzt und getestet hatte. Details dazu hat er in seinem Buch ‚The Remembert Past‘ beschrieben).(vgl. S.87-89)

  18. Für die Kopplung des wahrgenommenen (perzeptuellen) Inputs eines Systems zu seinem Output (meist über Motorkomplexe), führt Edelman ferner noch ‚globale neuronale Karten‘ ein. Diese können den Output vieler lokaler neuronaler Karten zusammenfassen, integrieren, und damit komplexe Muster zur Steuerung von Motorkomplexen und damit dem beobachtbaren Verhalten nutzen. Zugleich können diese Outputs aber auch wieder rückgekoppelt werden auf den grundlegenden Input zum ‚(neuronalen) Vergleich‘, ob tatsächlich die ‚Wirkung‘ entsteht‘, die aufgrund des Outputs ‚(neuronal) erwartet‘ wird. Auf diese Weise kann die Gehirnwissenschaft (= Physiologie) eine neuronale Maschinerie anbieten, mit denen die Psychologie das äußerlich beobachtbare Verhalten ‚erklären‘ können.(vgl. S.87-89)

  19. An dieser Stelle führt Edelman den Aspekt des ‚angemessenen‘ Verhaltens ein, das aus Sicht der Evolution und ‚Fitness‘ ‚besser geeignet ist‘ als ein anderes. Da er den Aspekt des ‚Supervisors‘ zuvor schon ausgeschlossen hat und auch keine ‚vorgegebenen Instruktionen‘ zulassen will, ist hier nicht ganz klar, wie in diesen hochdynamische induktive Struktur genetische ‚Präferenzen für Verhalten‘ eingeführt werden können. Er postuliert hier ‚interne Kriterien (‚internal criteria of value‘) dafür, dass Verhaltensweisen ‚werthaft‘ sind. Diese internen, genetisch bedingten, Kriterien bestimmen nicht konkrete Werte, sondern sie ‚beschränken die Bereiche‘ (‚constrain the domains‘), in denen Kategorisierungen stattfinden. Und er sieht diese genetisch bedingten Beschränkungen besonders in jenen Bereichen des Gehirns verortet, wo lebenswichtige Funktionen reguliert werden. Explizit nennt er: Herzschlag, Atmung, sexuelle Reaktion, Ernährungsreaktion, Drüsenfunktionen (= Ausschüttung chemischer Signalstoffe zur Steuerung von Funktionen), autonome (‚autonomic‘) Reaktionen. Diese stark vor-geprägten Kategorisierungen soll sich in einem entsprechend lebensförderndem Verhalten manifestieren.(vgl. S.90f)

  20. Um diesen noch recht abstrakten Gedanken von ‚genetisch motivierter Präferenz‘ zu präzisieren berichtet Edelman von einem Computerexperiment ‚Darwin III‘, in dem im Rahmen des visuellen Systems solche neuronale Gruppen/ Karten ‚bevorzugt‘ wurden, die Licht verarbeiteten, das auf zentrale Bereiche des Auges traf. (vgl. S.91-93)

  21. Unklar bleibt hier, wie diese ‚Bevorzugung‘ (‚Präferenz‘) überhaupt in das System kommt, so, wie es bislang von Edelman geschildert wurde. In der weiteren Erklärung zeigt Edelman einen größeren Systemzusammenhang von einem Auge, einem Arm, und das ‚Erlernen‘, einem visuellen Reiz einer bestimmten Art zu folgen und es zu greifen. Hier wird deutlich, dass sehr viele Subsysteme sich miteinander koordinieren müssen, damit Kategorisierungsleistung und Bewegung ‚zusammen passen‘. Es gibt auch eine erste Idee, wie sich diese Subsysteme über reziproke Verbindungen wechselseitig induktiv beeinflussen können. Wie ein zusätzlicher genetisch motivierter Mechanismus der ‚Bevorzugung‘ in dieses System Eingang findet, bleibt aber weiter unklar.(vgl. S.93)

  22. Das ‚Präferenz (= Wert) System‘ (‚value system‘) ist klar zu unterscheiden von dem ‚Kategorisierung-System‘. Während das Kategorisierung-System induktiv über reziproke Karten arbeitet und darin ‚epigenetisch‘ wirksam ist, liegt das genetisch motivierte Präferenz-System dem epigenetischen Kategorisierung-System voraus. Edelman berichtet, dass im Computerexperiment, wenn man das Präferenz-System ‚heraus nimmt‘, dass dann das System nicht zum Ziel kommt. Damit postuliert er ein Axiom von der Notwendigkeit von Präferenz-Systemen für Kategorisierung-Systemen, ohne dass ganz klar wird, wie diese genetische motivierten Präferenzen in das System hineinkommen.(vgl. S.94)

  23. In den folgenden Abschnitten diskutiert Edelman diverse Kritiken an seiner TNSG Theorie und kommt auf den Seiten 96f nochmals explizit auf das genetisch motivierte Präferenz-System zurück, während er sich gegen Kritik von Crick verteidigt. Grundsätzlich sieht Edelman im Rahmen der Evolution zwei selektive Systeme: (i) das ‚Evolutive‘, das aufgrund der Selektion von Individuen durch Passung/ Nicht-Passung zur Umgebung stattfindet, und (ii) das ’somatische‘, das sich primär durch Passung/ Nicht-Passung der neuronalen Gruppen zu den Reizanforderungen. Das somatische System ist aber nicht isoliert/ neutral gegenüber den genetischen Vorgaben, die als Präferenzen (‚values‘) die Selektion von geeigneten neuronalen Gruppen und Verschaltungen mit steuern. Der Ansatzpunkt für eine Einwirkung der genetischen Präferenzen auf das somatische System ohne Direktiven im Details sieht er über die wechselseitigen Wirkungen von ‚Strukturen‘, die als solche ‚genetisch motiviert‘ sein können. Wie diese ‚Motivierung bestimmter Strukturen‘ stattfinden kann, ohne den induktiven Prozesse zu stören, ist nicht ganz klar geworden.(vgl. SS.94-97)

DISKUSSION FORTSETZUNG: HIER KAP.9

  1. Die Verwendung des Ausdrucks ‚Erkennung/ Erkennen‘ (‚recogniton‘) in Nr. 2 erscheint mir sehr gewagt, da die übliche Verwendungsweise des Ausdrucks ‚Erkennung‘ ein menschliches Subjekt voraussetzt, das im Rahmen seines Bewusstseins und dem zugehörigen – weitgehend unbewussten – ‚Kognitiven System‘ die wahrgenommenen – äußerliche (Sinnesorgane) wie innerliche (Körpersensoren) – Ereignisse ‚interpretiert‘ auf der Basis der ‚bisherigen Erfahrungen‘ und im Rahmen der spezifischen Prozeduren des ‚kognitiven Systems‘. Das von Edelman unterstellte ’selektive System‘ bezieht sich primär auf Strukturen, die sich ‚evolutiv‘ ausbilden oder aber ’somatisch‘ auf die Arbeitsweise des Gehirns, wie es sich im ‚laufenden Betrieb‘ organisiert. Das somatische System ist aber Teil des weitgehend ‚unbewussten kognitiven Systems‘, das in der alltäglichen Verwendung des Begriffs ‚Erkennung‘ ohne jegliche Bezugnahme auf die Details der Maschinerie einfach voraussetzt wird. Im Alltag liegt hier die Aufspaltung der Wirklichkeit in den bewussten Teil und den unbewussten vor, dessen wir uns – normalerweise – im alltäglichen ‚Vollzug‘ nicht bewusst sind (daher ja ‚unbewusst‘). Wenn Edelman also hier einen Ausdruck wie ‚Erkennung‘ aus dem ‚bewussten Verwendungszusammenhang‘ einfach so, ohne Kommentar, für einen ‚unbewussten Verwendungszusammenhang‘ benutzt, dann kann dies nachfolgend zu nachhaltigen Verwirrungen führen.

  2. Der Punkt (3) von Edelman ist absolut fundamental. An ihm hängt alles andere.

  3. Der Punkt (4) spiegelt ein anderes fundamentales Verhältnis wieder, das Edelman immer und immer wieder thematisiert: das Verhältnis von Psychologie (die Wissenschaft vom Verhalten) und Physiologie (die Wissenschaft vom Körper, speziell vom Gehirn). Alle Eigenschaftszuschreibungen, die die Psychologie vornimmt (wie z.B. mit dem Ausdruck ‚Intelligenz‘, ‚Intelligenzquotient‘, ‚Reflex‘, usw.), basieren auf empirischen Beobachtungen von realem Verhalten von realen Menschen, die dann im Rahmen expliziter (formaler = mathematischer) Modelle/ Theorien in Beziehungen eingebracht werden. Die Psychologie schaut nicht (!) in das ‚Innere‘ des Systems. Das tut die Physiologie. Die Physiologie untersucht die Struktur und die Dynamik des Körpers; dazu gehört auch das Gehirn. Und auch die Physiologie sammelt empirische Daten von den Körperprozessen (z.B. wie ein Neuron zusammengesetzt ist, wie es physikalisch, chemisch, mikrobiologisch usw. funktioniert) und versucht diese empirische Daten in explizite Modelle/ Theorien einzubauen. Im Idealfall haben wir dann eine psychologische Theorie T_psych über beobachtbares Verhalten mit theoretisch unterstellten möglichen Faktoren ‚hinter‘ dem Verhalten, und parallel eine physiologische Theorie T_phys über körperinterne Prozesse, die die verschiedenen Einzelbeobachtungen in einen ‚Zusammenhang‘ bringen. Was wir aber NICHT haben, das ist eine Erklärung des Zusammenhangs ZWISCHEN beiden Theorien! Die Gegenstandsbereiche ‚beobachtbares Verhalten‘ und ‚beobachtbare Körperprozesse‘ sind zunächst voneinander völlig abgeschottet. Spontan vermutet man natürlich, dass es zwischen Gehirnprozessen, hormonellen Prozessen, Atmung usw. und dem beobachtbaren Verhalten einen Zusammenhang gibt, aber diesen Zusammenhang EXPLIZIT zu machen, das ist eine eigenständige Leistung mit einer ‚Brückentheorie‘ T_physpsych(T_phys, T_psych), in der dieser Zusammenhang ausdrücklich gemacht wird. Es gibt dazu sogar Ausdrücke wie ‚Psychosomatik‘, ‚Neuropsychologie‘, aber die dazu gehörigen Texte kommen bislang nicht als explizite ‚Brückentheorie‘ daher. Und wenn Edelman hier ausdrücklich die Ausdrücke ‚Wahrnehmung, ‚Gedächtnis‘, ‚Bewusstseins‘, ‚Sprache‘ nennt, dann handelt es sich ausnahmslos um hochkomplexe Sachverhalte, zu denen es bislang keine hinreichende psychologische Theorien gibt, wenngleich beeindruckende Forschungen und Forschungsansätze. Festzustellen, dass eine physiologische Theorie des Gehirns Erklärungsansätze liefern müsse, wie diese psychologischen Phänomene zu ‚erklären‘ sein ist folgerichtig, aber aktuell schwierig, da die Psychologie diese Phänomene noch keineswegs zweifelsfrei abklären konnte. Am weitesten fortgeschritten sich möglicherweise die psychologischen Forschungen zur ‚Wahrnehmung‘, zum ‚Gedächtnis‘, und irgendwie zu ‚Sprache‘, kaum zu ‚Bewusstsein‘ und dem Verhältnis zum ‚Unbewussten‘.

  4. Die beiden in (5) aufgeführten metatheoretischen (= wissenschaftsphilosophischen) Postulate sind so, wie sie Edelman formuliert, mindestens missverständlich und darum Quelle möglicher gravierender Fehler. Die Verortung von wissenschaftlichen Aussagen in der ‚physikalischen‘ Welt und von speziell psychologischen Aussagen in den ‚physiologischen Prozessen des Körpers‘ sind als solche sicher kompatibel mit dem bisherigen Verständnis von empirischer Wissenschaft generell. Allerdings, wie gerade im vorausgehenden Punkt (C) dargelegt, gibt es empirische Datenbereiche (hier: Verhaltensdaten, Körperprozesse), die direkt zunächst nichts miteinander zu tun haben. Die auf diesen unterschiedlichen Datenbereichen beruhenden Modell-/ Theoriebildungen sind von daher zunächst UNABHÄNGIG voneinander und haben ihre wissenschaftliche Daseinsberechtigung. Zu wünschen und zu fordern, dass zwei zunächst methodisch unabhängige Modelle/ Theorien T_psych und T_phys miteinander in Beziehung gesetzt werden, das liegt ‚in der Natur des wissenschaftlichen Verstehenwollens‘, aber dies wäre eine zusätzliche Theoriedimension, die die beiden anderen Teiltheorien VORAUSSETZT. Dieser methodisch-logische Zusammenhang wird in der Formulierung von Edelmann nicht sichtbar und kann dazu führen, dass man eine wichtige Voraussetzung der gewünschten Erklärungsleistung übersieht, übergeht, und damit das Ziel schon im Ansatz verfehlt.

  5. Dass – wie in (6) behauptet – die ‚Theorie der neuronalen Gruppen Selektion (TNGS)‘ jene Erklärung liefere, die die psychologischen Theorien ‚erklärt‘ ist von daher methodisch auf jeden Fall falsch. Allerdings kann man die Position von Edelman dahingehend verstehen, dass die TNGS ein physiologisches Modell liefere (was die große Schwäche besitzt, dass weder der übrige Körper, von dem das Gehirn nur ein verschwindend kleiner Teil ist, noch die jeweilige Umgebung einbezogen sind), das im Rahmen einer T_physpsych-Brückentheorie entscheidende Beiträge für solche einen Zusammenhang liefern könnte. Letzteres scheint mir in der Tat nicht ganz ausgeschlossen.

  6. In den Punkten (7) – (12) beschreibt Edelman drei Phasen der Strukturbildung, wie es zu jenen physiologischen Strukturen kommen kann, die dann – unterstellt – dem beobachtbaren Verhalten ‚zugrunde‘ liegen. Allerdings, für das aktuell beobachtbare Verhalten spielen die verschiedenen Entstehungsphasen keine Rolle, sondern nur der ‚Endzustand‘ der Struktur, die dann das aktuelle Verhalten – unterstellt – ‚ermöglicht. Der Endzustand ist das Gehirn mit seinen neuronalen Verschaltungen, seinen Versorgungsstrukturen und seiner anhaltenden ‚Plastizität‘, die auf Ereignismengen reagiert. Aus den Punkten (7) – (12) geht nicht hervor, wo und wie diese Strukturen das ‚Bewusstsein erklären‘ können.

  7. Wenn Edelman in (13) meint, dass seine neuronalen Karten mit den reziproken Verbindungen eine Grundlage für das psychologische Konzept des Gedächtnisses liefern können, dann ist dies sicher eine interessante Arbeitshypothese für eine mögliche Brückentheorie, aber die müsste man erst einmal formulieren, was wiederum eine psychologische Theorie des Gedächtnisses voraussetzt; eine solche gibt es bislang aber nicht.

  8. Der Punkt (14) adressiert mögliche Details seiner Modellvorstellung von neuronalen Karten mit reziproken Verbindungen.

  9. Der Punkt (15) greift das Thema von Punkt (13) nochmals auf. Die ‚Kategorisierung von Wahrnehmungsereignissen‘ ist letztlich nicht von dem Thema ‚Gedächtnis isolierbar. Er zitiert im Postskript auch viele namhafte PsychologenInnen, die dazu geforscht haben. Die Kerneinsicht dieser empirischen Forschungen geht dahin, dass sich solche Strukturen, die wir ‚Kategorien‘ nennen, ‚dynamisch‘ herausbilden, getriggert von konkreten Wahrnehmungsereignissen, die bei jedem individuell verschieden sind. Natürlich liegt hier die Vermutung nahe, dass entsprechend dynamische Strukturen im Körper, im Gehirn, vorhanden sein müssen, die dies ermöglichen. Dass hier Psychologie und Physiologie Hand-in-Hand arbeiten können, liegt auch auf der Hand. Aber dies stellt erhebliche methodische Herausforderungen, die Edelman kaum bis gar nicht adressiert.

  10. In Punkt (16 – 18) beschreibt Edelman auf informelle Weise, wie er sich das Zusammenspiel von psychologischen Eigenschaften (die eine explizite psychologische Theorie T_psych voraussetzen) und seinem neuronalen Modell (für das er eine physiologische Theorie T_phys beansprucht) vorstellt. Auf dieser informellen Ebene wirkt seine Argumentation zunächst mal ‚plausibel‘.

  11. Ab Punkt (19) berührt Edelman jetzt einen weiteren Fundamentalpunkt, der bis heute generell ungeklärt erscheint. Es geht um die Frage der ‚Werte‘, die ein Verhalten in einem gegeben Möglichkeitsraum in eine bestimmte ‚Richtung‘ anregen/ drängen …. (es gibt dafür eigentlich kein richtiges Wort!), so dass das System einem neuen Zustandsraum erreicht, der für es ‚günstiger‘ ist als ein anderer, auf jeden Fall ‚das Leben ermöglicht‘. Die Evolutionstheorie hat über das Phänomen der hinreichenden ‚Nachkommen‘ ein ‚operationales Kriterium‘ gefunden, mit dem sich der Ausdruck ‚Fitness‘ mit Bedeutung aufladen lässt. Über das ‚Überleben‘ bzw. ‚Nicht-Überleben‘ wirkt sich dies indirekt auf den Genotyp aus: die ‚günstigen‘ Genotypen überleben und die ’nicht günstigen‘ sterben aus. Ein ‚überlebender‘ Genotyp – einen, den man ‚fit‘ nennt – triggert dann den embryonalen Prozess und den darin gründenden ‚Entwicklungsprozess‘, der in einer ’nicht-deterministischen‘ Weise Körper- und damit Gehirnstrukturen entstehen lässt, die auf individueller Ebene immer verschieden sind. Jene Gehirnstrukturen, die für lebenserhaltende Systeme wichtig sind (letztlich die gesamte Körperarchitektur und das Zusammenspiel aller Komponenten untereinander) werden aber – trotz des nicht-deterministischen Charakters – offensichtlich dennoch herausgebildet. In all diesem lässt sich kein ‚geheimnisvoller Faktor‘ erkennen und er erscheint auch nicht notwendig. Das System ‚als Ganzes‘ repräsentiert ein ‚Erfolgsmodell‘. Hier jetzt – wie Edelman es versucht – im konkreten Details nach ‚Orten von Präferenzen‘ zu suchen erscheint unplausibel und seine Argumentation ist auch nicht schlüssig. Wenn Edelman ‚interne Kriterien für werthaftes Verhalten‘ postuliert, die genetisch bedingt sein sollen, dann postuliert er hier Eigenschaften, die sich nicht aus der Biochemie der Prozesse herauslesen lassen. Was er hier postuliert ist so eine Art von ‚genetischem Homunculus‘. Damit widerspricht er letztlich seinen eigenen wissenschaftlichen Überzeugungen. Letztlich ist es nur ein ‚Genotyp als ganzer‘, der ein ‚bislang erfolgreichen Phänotyp‘ repräsentiert. Scheiter er irgendwann – was auf lange Sicht der Normalfall ist, da die Erde sich ändert –, dann verschwindet der Genotyp einfach; jener, der ‚überlebt‘, verkörpert als ‚Ganzer‘ ein Erfolgsmodell, nicht ein einzelner, isolierter Aspekt. Mit dieser empirisch-wissenschaftlichen Sicht verschwinden die ‚Werte‘ zwar ‚aus dem System‘, aber das übergeordnete ’system-transzendente‘ Verhältnis zwischen System und Umwelt bleibt weiter erhalten und es ist dieses Verhältnis, das alleine darüber entscheidet, ob etwas ‚Leben-Ermöglichendes‘ ist oder nicht. Damit erweitert sich die Fragestellung nach der ‚Verortung möglicher Präferenzen‘ deutlich, wenn man das empirisch neue Phänomen des Bewusstseins einbezieht (das nur in Kombination mit einem Unbewussten auftritt!). Während die Umwelt-System-Beziehung primär über das Überleben entscheidet, ermöglicht das Bewusstsein in Kombination mit dem Unbewussten (z.B. dem Gedächtnis) eine ‚Extraktion‘ von Eigenschaften, Beziehungen, Dynamiken und mit kombinatorischen Varianten von dieser Umwelt-System-Beziehung, so dass eine kommunizierende Gruppe von Homo sapiens Exemplaren von nun an mögliche Zukünfte schon in der Gegenwart bis zu einem gewissen Graf ‚voraus anschauen‘ und auf ‚Lebensfähigkeit‘ ‚testen‘ kann. Insofern stellt das Bewusstsein und die Kommunikation eine radikale Erweiterung der Überlebensfähigkeit dar, nicht nur für den Homo sapiens selbst, sondern auch für die Gesamtheit des biologischen Lebens auf der Erde! Mit dem Ereignis Homo sapiens tritt das biologische Leben auf der Erde (und damit im ganzen Universum!?) in eine radikal neue Phase. Edelmans Versuch, ‚Werte‘ in einzelnen genetischen Strukturen und dann in einzelnen Strukturen des Gehirns zu finden wirken von daher unlogisch und abwegig. Edelmans Beispiele in den Punkten (20) – (23) können nicht klarmachen, wie diese interne Präferenzsystem funktionieren soll (ich werde diesen Punkt an konkreten Systemen nochmals selbst durchspielen).

  12. Zusammenfassend würde ich für mich den Text von Edelman so interpretieren, dass (i) seine Skizze der neuronalen Maschinerie mit den reziproken Verbindungen und den unterschiedlichen Verschaltungen ganzer Karten ein interessanter Ansatzpunkt ist, für ein neuronales Modell, das in einer psychologisch-physiologischen Brückentheorie getestet werden könnte und sollte, sein Versuch aber (ii), die Wertefrage in biochemische Prozesse verorten zu wollen, ist in mehrfachem Sinne unplausibel, methodisch unklar und führt vom Problem eher weg.

 

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EIN HOMO SAPIENS – VIELE BILDER. Welches ist wahr?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 28.Okt. 2017
info@cognitiveagent.org
URL: cognitiveagent.org
Autor: cagent
Email: cagent@cognitiveagent.org

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INHALT

I Vielfalt trotz Einheit
II Wahrheit, die ich meine
III Wahrheitsmechanismen
III-A Gegenwart, Gestern, Morgen . . . . . .
III-B Eigener Lebensraum, ganz woanders . .
III-C Interpretierte Wahrnehmung . . . . . . .
III-D Erfahrung liefert Bilder . . . . . . . . . .
III-E Wie das ’Richtige’ Lernen? . . . . . . . .
III-E 1 Mengenbegrenzungen . . . . .
III-E 2 Muster erkennen . . . . . . . .
III-E 3 Spezialisierungen . . . . . . .
III-E 4 Wechselwirkungen aufdecken
III-E 5 Geeignete Wissensformen . .
III-E 6 Verloren im Fragment . . . . .
III-E 7 Fehlende Präferenzen
IV Menschenbilder
V Was Tun?

ÜBERSICHT

In der realen Welt gibt es eine Lebensform, die wir homo sapiens nennen. In der Rede über diesen homo sapiens – also in den Bildern, die wir benutzen –benutzen wir aber viele verschiedene Bilder. Desgleichen in den alltäglichen Lebensformen: es gibt nur einen homo sapiens, aber in den verschiedenen Kulturen dieser Erde gibt es viele geradezu konträre Formen, wie Menschen leben oder leben müssen. Wie ein homo sapiens genau funktioniert, verstehen wir immer noch nicht genau. Die Politik bevorzugt in der Regel plakative Schlagworte, und vermeidet wissenschaftliche Modelle. Warum?

Vielfalt trotz Einheit

Wenn in einem Brettspiel jemand sagt, „ich habe gewonnen“, und ein anderer daraufhin sagt „Nein, ich habe gewonnen“, dann weiß jeder, dass da etwas nicht stimmen kann. Brettspiele sind aufgrund ihrer Regeln eindeutig, wenn nicht, würden sie nicht funktionieren.

Wenn wir uns aber die Realität anschauen, die gemeinsam geteilte empirische Welt, dann ist es mittlerweile fast der Normalfall, dass es zu einzelnen Aspekten, Vorkommnissen, Vorgängen, von verschiedenen Personen oder Personengruppen, ganz unterschiedliche Beschreibungen/ Darstellungen/ Bilder gibt, ohne dass wir dies merkwürdig finden. Wenn Politiker in Talkshows sich äußern sollen, ist es eher die Regel, dass sie konträre Meinungen vertreten. Keiner findet dies merkwürdig. Unrecht haben immer die anderen, die eine andere Meinung haben. Der Frage, warum es zu unterschiedlichen Meinungen zu ein und demselben Thema kommen kann, wird fast nie gestellt. Lieber beschimpft man sich gegenseitig, anstatt die Frage zu stellen, warum es zu unterschiedlichen Meinungen kommen kann.

Wahrheit, die ich meine

Eine klassische Auffassung von Wahrheit geht davon aus, dass das mit ‚Wahrheit‘ Gemeinte in der Übereinstimmung von eigener Auffassung und einem davon zu unterscheidenden Sachverhalt ist. Klassisches Beispiel: Jemand sagt „Es regnet“ und in der Redesituation regnet es tatsächlich oder nicht. Im ersten Fall würde man dem Sprecher zustimmen und sagen, er spricht ‚wahr‘, im anderen Fall nicht.

Schwieriger wird es, wenn der Redner über Sachverhalte spricht, die jenseits der aktuellen Redesituation liegen: räumlich entfernt, oder zeitlich weit zurück in der Vergangenheit oder in einer noch nicht stattgefundenen Zukunft. Welche Mechanismen der Klärung des Wahrheitsgehaltes gibt es dann?

Oder der Redner glaubt Sachverhalte wahrzunehmen, die aber alle anderen nicht wahrnehmen. Wer hat dann Recht? Irrt der eine, hat er eine ‚psychische Störung‘, steht er unter ‚Drogeneinfluss‘, hat er schlicht ein ‚falsches Wissen‘, oder … ? Könnten nicht alle anderen irren und er alleine hätte Recht?

Oder es gibt Sachverhalte, auch gegenwärtige, deren Status von bestimmtem ‚Wissen‘ abhängig ist, wodurch erst die ‚Eigenschaften des Sachverhalts‘ sichtbar werden. Berühmte Beispiele sind die Bewegung der Himmelskörper, das Phänomen von Magnetismus und Elektrizität, die chemischen Reaktionen der verschiedenen chemischen Substanzen, die Entdeckung der Mikroorganismen, die Entdeckung der Vererbung durch Mitwirkung der DNA, die Entdeckung der Gehirnzellen und die Tatsache, dass sie nicht miteinander direkt verbunden sind, usw.

Schon diese kurze Betrachtung zeigt, dass wir in unserem Alltag eher mehr Situationen haben, die eine ‚direkte Wahrheitsentscheidung‘ nicht zulassen als solche, die es tun. ‚Indirekte‘ Wahrheitsentscheidungen verlangen grundsätzlich eine ‚Klärung der Umstände‘ und eine ‚Klärung der Regeln der Interpretation‘.

Wahrheitsmechanismen

Gegenwart, Gestern, Morgen

Halten wir an der Fallunterscheidung fest, dass es Aussagen über Vergangenes, Zukünftiges oder Gegenwärtiges gibt.

Eigener Lebensraum, ganz woanders

In allen drei Fällen kann man nochmals unterscheiden, ob der Sachverhalt (gegenwärtig oder vergangen oder zukünftig) mit den Teilnehmern der Situation verknüpft ist oder nicht. Ob es da regnet, wo man gerade ist, oder woanders, das macht einen großen Unterschied. Oder ob in meiner Firma in der Vergangenheit ein bestimmtes Ereignis stattgefunden haben soll oder nicht, kann ich eher einschätzen, als wenn es in der Vergangenheit irgendwo ganz anders stattgefunden haben soll. Entsprechend in der Zukunft: eine Aussage über einen zukünftigen Sachverhalt in meinem persönlichen Lebensraum fasse ich anders auf als wenn es ‚irgendwo ganz anders‘ stattfinden soll.

Interpretierte Wahrnehmung

Befinden wir uns in der Gegenwart, dann können wir diese und eigene Körperzustände ‚wahrnehmen‘. Wie wir mittlerweile durch vielfältige wissenschaftliche Untersuchungen lernen konnten, nehmen wir aber niemals die Welt (und uns selbst) ‚1-zu-1‘ wahr, sondern vielfältig selektiert, abstrahiert und ‚interpretiert‘ durch die Erfahrungen, die wir vorher schon gemacht haben. Da die visuellen, akustischen, taktilen usw. Wahrnehmungen immer unvollständig sind, muss innerhalb des Wahrnehmungsprozesses kontinuierlich ‚interpretiert‘ werden. Wir sind ‚erfahrungsbasiert‘, und diese Erfahrungen sind sehr stark ’sprachlich durchtränkt‘. Wir sehen nicht einfach nur Farben, Formen; wir riechen nicht einfach nur süßlich, beizend, ätzend, usw.; wir hören nicht einfach nur Geräusche, Klänge; diese werden sofort eingeordnet in vertraute Muster, verknüpft mit bekannten Worten. Ein Geräusch identifizieren wir als ‚knarrende Schranktür‘, ‚vorbeifahrendes Auto‘, das ‚Klackern von Schuhen auf Steinplatten‘, usw., weil wir einfach ‚trainiert‘ wurden, diese Geräusche mit solchen Worten und darüber mit bestimmten Situationen zu verknüpfen. Wie wir wissen, können solche spontanen, von unserem Gehirn aufgrund von vorliegenden Erfahrungen ‚automatisch erzeugte‘ Zuordnungen falsch sein, weil die Erfahrungen falsch sind.

Erfahrung liefert Bilder

Im Alltag liefert unsere Erfahrung also die ‚Bilder‘, mit denen wir unsere Welt anschauen.

Solange jemand noch nichts von einer bestimmten genetischen Erkrankung wusste, war für ihn die Welt in Ordnung. Als er/ sie erfuhr, dass es solch eine spezielle Krankheit gibt und dass er Symptome dafür aufweist, war die Welt plötzlich eine ganz andere.

Solange jemand nicht wusste, wie ein bestimmtes Pflanzenschutzmittel wirkt, hat er es leichthändig eingesetzt. Sobald bekannt wurde, dass es die Böden und Pflanzen nachhaltig vergiftet, ein ganzes Ökosystem zum Kippen bringen kann, sogar über die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen kann und dort zu schweren Störungen führt, da war die Welt plötzlich eine andere.

Solange man noch nicht wusste, dass der Nachbar und Freund ein Spitzel für den Staat war, mit dem Ziel andere Meinungen auszuspähen und zu melden, solange war die Welt noch in Ordnung. Aber als man durch Zufall entdeckte, dass da etwas nicht stimmt, wollte man es zunächst nicht glauben, man wehrte sich dagegen, bis es dann irgendwann klar war…

Die Bilder, die wir haben, erklären uns die Welt für uns. Andere können ganz andere Bilder haben.

Wie das ‚Richtige‘ Lernen?

Wenn unsere Erfahrungen einen solchen massiven Einfluss auf unsere Weltsicht haben, stellt sich die Frage, was wir denn tun können, um im Rahmen unseres ‚Erlernens von Welt‘ die ‚richtige‘ Sicht zu bekommen?

Mengenbegrenzungen

Wie wir heute wissen können, ist unsere aktuelle Wahrnehmung von Welt zudem mengenmäßig sehr begrenzt. Wir können im Sekundenbereich nie mehr als ca. 5-7 Wahrnehmungsobjekte (Englisch ‚chunks‘) verarbeiten. Je nach Erfahrungsstand können dies einfache oder sehr komplexe Objekte sein.

Muster erkennen

Ein Schachgroßmeister sieht auf einem Schachbrett nicht einzelne Figuren, sondern er sieht die Figuren als Teil eines ‚Musters‘, das er in ’strategische Zusammenhänge‘ einordnen kann. So genügt ihm ein kurzer Blick und er hat eine Einschätzung des ganzen Spielstandes und weiß sofort, wo es günstig wäre, in dieser Stellung anzusetzen. Ein weniger erfahrene Spieler sieht dies Muster und diese Zusammenhänge nicht auf einen Blick. Daher muss er mühsam alle möglichen Kombinationen ‚durchdenken‘, ‚geistig durchspielen‘, um zu Einschätzungen zu kommen. Der Amateur benötigt dafür viel mehr ‚Bedenkzeit‘. In einem offiziellen Schachturnier würde de Amateur daher normalerweise allein schon durch seinen Verbrauch an Denkzeit verlieren, wenn er nicht schon vorher aufgrund der Stellung verliert.

Das, was hier am Schachspiel verdeutlicht wurde, gilt für alle Situationen: wir können immer nur sehr wenige Aspekte einer Situation tatsächlich wahrnehmen und verarbeiten. Wenn nun die Situation komplex ist, das heißt, ganz viele einzelne Elemente auf vielfältige Weise ineinander greifen, und dadurch bestimmte Zustände erzeugen, dann können wir diese Situation nicht wirklich verstehen, es sei denn, wir würden sehr viel Zeit aufwenden, um sie zu erforschen. Im Alltag haben wir diese Zeit normalerweise nicht.

Spezialisierungen

Andererseits leben wir täglich in einer Welt, die bis zum Rand angefüllt ist mit komplexen Sachverhalten: die Infrastruktur einer Stadt mit Energieversorgung, Wasserversorgung, Abfallwirtschaft, Verkehr, Schulen, …; die Wohnungssituation; die wirtschaftliche Entwicklung einer Region; das Funktionieren großer Konzerne; die jeweiligen Ökosysteme, in denen wir uns bewegen; die demographische Entwicklung und ihre Konsequenzen; usw.

Teilweise helfen wir uns durch Spezialisierungen: es gibt Verkehrsfachleute, Demographen, Betriebswirte, Abfallexperten, Managementberater, Biologen,… doch diese sind einzelne; selten arbeiten sie — wenn überhaupt — alle zusammen, um ein Problem in seinen Wechselwirkungen zu verstehen, Zusammenhänge sichtbar zu machen.

Wechselwirkungen aufdecken

Die eine Frage ist also, ob wir überhaupt genügend brauchbare Daten von den verschiedenen Prozessen unseres Alltags haben bzw. bekommen; die andere Frage ist, wie wir diese Daten so ‚aufbereiten‘, dass die ‚Wechselwirkungen‘ sichtbar werden, d.h. warum der eine Faktor den anderen Faktor beeinflusst und in welchem Ausmaß.

Geeignete Wissensformen

Die Wissenschaftsphilosophie hat erarbeitet, wie solche erklärenden Datenstrukturen aussehen müssten, damit sie Erklärungen liefern könnten. Die verschiedenen computerbasierten Simulationstechniken lassen erkennen, wie man solche komplexen Datenstrukturen so aufbereiten könnte, dass jeder damit arbeiten kann. Im Alltag findet man solche Instrumente aber nicht. Tägliche Entscheidungen müssen ohne solche Hilfen getroffen werden.

Wenn man die Lernformen in den Schulen und Hochschulen anschaut, dann gibt es nahezu nichts, was ein komplexes ‚Lernen von der Welt‘ unterstützen könnte.

Verloren im Fragment

Als Ergebnis dieser schwierigen Situation muss jeder Mensch mit mehr oder weniger kleinen bzw. großen Fragmenten eines großen Ganzen leben, die es nicht zulassen, das große Ganze zu erkennen. Notgedrungen versucht jeder auf seine Weise, ad hoc, unverstandene Reste mit Hilfskonstruktionen ‚verständlich‘ zu machen. Und ja, wenn jetzt ein anderer Mensch mit anderen Fragmenten auftritt, was tut man dann? Freut man sich, aus der Verschiedenheit zu lernen (eine echte Chance) oder fühlt man sich verunsichert, fühlt man sich angegriffen, sieht im anderen einen ‚Gegner‘, einen ‚Feind‘, der die eigene Meinung bedroht?

Wenn Menschen, und dies dürften die meisten sein, im Berufsleben eingespannt sind, dazu Familie, soziale Verpflichtungen, dann ist es sehr häufig so, dass dieses Leben so anfordernd ist, dass Zeit und Muße sich mit der komplexen Welt zu beschäftigen, mit anderen Anschauungen, kaum vorhanden ist. Ganz ’natürlich‘ wird man vieles abblocken, wird man einen ‚Tunnelblick‘ ‚kultivieren‘, wird ‚Seinesgleichen‘ suchen, sich einrichten, sich abschotten, und wenn es zum Schwur kommt, wird man genau nur das wiederholen können, was man bislang kennen gelernt hat. Wer und was kann hier helfen?

Fehlende Präferenzen

Bei der ‚Aneignung von Welt‘, die unter starken quantitativen Begrenzungen stattfinden muss, und die aufgrund von bisherigen Erfahrungen eine starke Beeinflussung aufweist, spielt noch ein weiterer Faktor hinein: Bewertungen, Präferenzen.

Das eine ist, Objekte, Eigenschaften, Beziehungen, Abfolgen zu identifizieren. Schwer genug. Ein einzelner Handelnder braucht aber auch Präferenzen der Art, dass er im Fall von Alternativen bewerten kann, ob nun A oder B für ihn besser sind. Soll er A oder B tun?

Wenn man weiß, dass viele Leistungen ein mehrjähriges gezieltes Training voraus setzen, durch das ein entsprechendes Wissen, eine entsprechende Handlungsfähigkeit schrittweise erarbeitet worden ist, das dann nach vielen Jahren so verfügbar ist, dann setzt dies voraus, dass es solche ’situationsübergreifende Ziele‘ gibt, die das einzelne Verhalten auf dieses Ziel in ‚orientieren‘.

Wenn solche Ziele aber schwer zu erkennen sind, wenn sie schlichtweg fehlen, wie kann dann ein einzelner, eine Gruppe, eine Firma ihre Ressourcen gezielt auf ein Ziel hin optimieren?

Präferenzen hängen stark von verfügbarem Wissen ab, aber sie sind nicht identisch mit Wissen! Aus der Tatsache, dass ich weiß, wie man einen Computer baut, folgt nicht, dass ich weiß, wofür man ihn einsetzen sollte. Aus der Tatsache, dass man Schulen mit Computern ausstatten will, folgt nicht, dass die Schulen, die Lehrer, die Schüler wissen, wofür sie die Computer einsetzen wollen/ sollen/ können.

Es scheint bis heute eher unklar, wo Präferenzen herkommen sollen.

Im Alltag gibt es viele sogenannte ‚praktische Zwänge‘ (Ernährung, Wohnen, Geld verdienen, Gesundheit, Verkehr, …), die zum Handeln zwingen. Dies sind aber weitgehend unhinterfragte Automatismen, die selbst in einen größeren Zusammenhang einzuordnen wären. Übergreifende Ziele, welche?

Menschenbilder

Schaut man sich die verfügbaren Menschenbilder im Bereich der Wissenschaften an, so kann man die wichtigsten Typen wie folgt auflisten:

  • Die biologische Evolution, unterscheidbar nach homo sapiens und Nicht-homo sapiens.
  • Im Bereich des homo sapiens sein Verhalten (Ethologie, Psychologie, Soziologie, Politik, Wirtschaft…)
  • Im Kontext des Verhaltens des homo sapiens gibt es die unterstellten inneren Mechanismen, die dafür verantwortlich sind, wie der homo sapiens auf seine wahrnehmbare Umgebung reagiert, zusammengefasst im Begriff des Verhaltens bzw. der Verhaltensfunktion. Das ‚Sichtbare (Verhalten)‘ erscheint damit als Wirkung des ‚Unsichtbaren (Inneren)‘. Für diese inneren Zustände gibt es keine wirkliche wissenschaftliche Disziplin, da Bewusstseinszustände als solche kein Gegenstand einer empirischen Wissenschaft sein können. Traditionell ist hier die Philosophie zuständig, die eben nicht als empirische Disziplin gilt. Die Neurowissenschaften behandeln die physikalisch-chemische Maschinerie des Gehirns, nicht aber seine subjektiven Erlebnisse im Bewusstseinsraum.
  • Im Bereich des Verhaltens hat der Mensch Technologien hervorgebracht, die ihm helfen können, praktische Probleme des Alltags (dazu gehören auch Konflikte bis hin zu Großkonflikten (Krieg)) zu lösen. Das Ineinander von Mensch und Maschine lässt ständig neue Situationen entstehen, in denen sich der Mensch über ein verändertes Verhalten selbst neu erfahren kann (Ersetzung menschlicher Muskelkraft, Autos, Eisenbahn, Flugzeug, Raumschiff..).
  • Im Rahmen der Technologie nehmen die Digitalen Technologien eine Sonderstellung ein. Sie erlauben es zunehmend, die inneren Mechanismen des Menschen zu imitieren und in immer mehr Bereichen zu übertreffen. Dies stellt eine extrem starke Infragestellung des Menschen dar: ist er auch nur eine Maschine, dazu eine schlechte?
  • Neben dem Biologischen gibt es das Physikalische als allgemeinen Rahmen für alles Biologische, mit unfassbar weiten Räumen und Energien, die sich als Universum präsentieren.
  • Innerhalb des Biologischen sind die inneren Mechanismen des homo sapiens wissenschaftlich noch unaufgeklärt. Dies gibt viel Spielraum für Spekulationen, Esoterik und dem Phänomen des Religiösen. Es ist schwer zu entscheiden,welch ‚harten Kern‘ all diese Interpretationen haben.

Macht man sich diese Vielfalt klar, ihren weitgehenden Fragmentcharakter aufgrund fehlender Wissensintegration, dann wundert man sich nicht, dass Ideologien, Populismen, Fanatismen und Dogmatismen reichlich Nährboden finden können. Die öffentlichen Wissenskulturen sind nicht ausreichend genug kultiviert, um solchen Verzerrungen den Boden zu entziehen. Die Bedeutung einer Wissenskultur wird in fast allen Gesellschaften stark unterschätzt und die jeweiligen Politiker erweisen sich für diese Fragen auch nicht besonders hilfreich.

Was Tun?

Es ist eines, einen Sachverhalt zu diagnostizieren. Es ist eine ganz andere Frage, ob man aus solch einer Diagnose irgendeinen Handlungsvorschlag generieren kann, der eine deutliche Verbesserung mit sich bringen würde.

Angesichts der zentralen Bedeutung des Wissens für das Verhalten des Menschen eingebettet in Präferenz/ Bewertungsstrukturen, die in einem Lernprozess verfügbar sein müssen, bei gleichzeitiger Berücksichtigung der quantitativen Beschränkungen des biologischen Systems bräuchte es neue Lernräume, die solch ein verbessertes Lernen unterstützen. Ganz wichtig wäre es dabei, das Wissen nicht nur ‚jenseits des Individuums‘ zu kumulieren (die Cloud für alle und alles), sondern den einzelnen als einzelnen zu stärken, auch als soziales Wesen. Dazu braucht es eine grundlegende Re-Analyse dessen, wie der Mensch mittels neuer digitaler und Cyber-Technologien sowie Humantechnologie seinen Möglichkeitsraum vergrößern kann.

Dies wiederum setzt voraus, dass es eine Vision von Gesellschaft der Zukunft gibt, in der der homo sapiens überhaupt noch eine Rolle spielt. Dies wird gerade von elitären Machtgruppen immer mehr in Frage gestellt.

Wo gibt es ernsthafte Visionen für humane Gesellschaften für Morgen?

Diese Aufgabenstellung ist nichts für einen allein; hier sind alle, jeder auf seine Weise, gefragt.

Autor cagent arbeitet an konkreten Lösungen einmal über das weltweite Theoriebuch für Ingenieurezum anderen an dem komplementären Projekt eines Softwarelabors für die Entwicklung solcher Lokaler Lernwelten. Ja, man kann sogar sagen, dass das Kunstprojekt Philosophy-in-Concert hier auch hingehört. Aber, wie auch immer, ein einzelner kann die Aufgabe nicht lösen. Es braucht ein ‚Gesamtkunstwerk‘, in dem sich viele miteinander vernetzen und ergänzen.

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Die Wiederentdeckung Gottes auf dem Planeten Erde für alle denkbaren Universen. Essay. Teil 2

Wahrheit ist nicht Alles

  1. Im vorausgehenden Teil  ist anhand einfacher Sprachbeispiele aus dem Alltag verdeutlicht worden, was alles zu einer ‚wahren‘ Äußerung gehört, und wie schwierig es ist, dass zwei Menschen die Voraussetzungen zu einer wahren Aussage erfüllen.
  2. In diesem Abschnitt wird aufgezeigt, wie das sprachliche Geschehen eingebettet ist in einen Kontext von Bewusstsein, Gehirn, Körper vielstufiger (hypothetisch angenommener) Außenwelt, die durch vielfältige soziale Strukturen zusätzlich angereichert sein kann und meistens ist. Alle diese Strukturen sind zugleich wirksam und spielen auf je spezifische Weise ineinander. Je mehr man dieses komplexen Netzwerke von Interaktionen versteht, um so mehr erscheint es einerseits fast unmöglich, dass überhaupt sogenannte ‚wahre‘ Aussagen zwischen Menschen zustande kommen können, auf der anderen Seite grenzt es an ein Wunder, wenn sie denn zustande kommen.
  3. Die folgenden Überlegungen erheben nicht (!) den Anspruch auf eine vollständige Erläuterungen aller Details (das müssen standardmäßig die Einzelwissenschaften leisten), sondern bilden den Versuch, die übergreifenden Zusammenhänge sichtbar zu machen, die man verstehen sollte (dazu als Hilfe das Schaubild Nr.1).

    Wissen und das Andere des Wissens
    Bild Nr.1 Wissen und das Andere des Wissens

     

    Wissen

  4. Die Sprachbeispiele aus dem vorausgehenden Abschnitt hatten schon gezeigt, dass man unterscheiden muss zwischen den sprachlichen Ausdrücken E als solchen und dem Sachverhalt Xe in der unterstellten Außenwelt. Dabei wurde ferner deutlich, dass es neben dem eigentlichen Sachverhalt, der in der Außenwelt vorliegen kann oder nicht, eine subjektive Bedeutung Y zum Ausdrucks E geben muss, die der einzelne Sprecher/Hörer für sich gelernt hat. Nur unter Voraussetzung dieser subjektiven Bedeutung Y kann ein Sprecher/ Hörer entscheiden, ob ein wahrgenommener Sachverhalt Xe mit der Bedeutung Y korrespondiert oder nicht. Und da diese Operationen sich nur im Gehirn abspielen können, wird die subjektive Bedeutung Y nicht direkt mit der Außenwelt verglichen, sondern mit der subjektiven Wahrnehmung Xs des unterstellten Sachverhalts Xe. Dass einer subjektive Wahrnehmung Xs tatsächlich ein Xe in der Außenwelt entspricht wird durch die Reaktion anderer Sprecher/ Hörer bestätigt, wenn diese den unterstellten Sachverhalt Xe auch wahrnehmen können.
  5. Diese Überlegungen führten zur Annahme der Menge der Phänomene PH, die jeder Sprecher/ Hörer in seinem Gehirn hat; sie werden entweder von sensorischen Ereignissen gespeist oder von internen Vorgängen im Gehirn (z.B. erinnern). Diese Phänomene sind subjektiv bewusst und konstituieren im Kern das, was man gewöhnlich Bewusstsein nennt. Phänomene können ‚konkret‘ sein, oder verallgemeinerte, abstrahierte ‚Strukturen‘ darstellen oder gar komplexe ‚Modelle‘ sein, innerhalb deren vielerlei Elemente in Beziehung gesetzt werden.
  6. Sofern die Strukturen des Bewusstseins gegenständlich sind, objekthaft, dazu noch verknüpft mit sprachlichen Strukturen, handelt es sich um Strukturen, die Wissen repräsentieren. Man kann z.B. Gegenstände und Eigenschaften benennen, Beziehungen zwischen Objekten, Muster, Abläufe; man kann alternative Szenarien denken oder aktuelle Zustände im Hinblick auf die vorausgehenden Zustände rekonstruieren. Dies alles ergibt aber keinerlei Präferenzen für irgend eine Bevorzugung, für irgend eine Wahl, welche Aspekte des wißbaren Möglichkeitsraumes man ‚bevorzugen‘ sollte. Wissen als solches kann aufzeigen was war oder was möglich ist, es reicht aber nicht aus, eine ‚Richtung‘ für den zukünftigen Prozess anzugeben.
  7. Dazu kommt noch ein limitierender Faktor im Zugriff auf das Wissen. Im Bewusstsein finden sich aktuelle Phänomene, die in diesem Augenblick bewusst sind. Am Beispiel des Phänomens ‚Erinnern‘ wissen wir aber, dass wir aktuell immer nur einen kleinen Bruchteil von all dem bewusst haben, was wir potentiell bewusst haben könnten. Ob wir tatsächlich etwas erinnern können, wissen wir erst, wenn wir wirklich etwas erinnern. Wie groß das tatsächlich abrufbare potentielle Wissen eines Menschen letztlich ist, wissen wir nicht wirklich. Man kann nur Schätzungen berechnen.

    Das Andere zum Wissen

  8. Im Phänomenraum haben wir neben dem ‚Wissen‘ noch andere Phänomene, die hier global als das ‚Andere zum Wissen‚ bezeichnet werden. Es ist eine Vielzahl unterschiedlicher Phänomene, die alle die Eigenschaft haben, dass sie unsere grundlegende Befindlichkeit konstituieren.
  9. Wir können uns eher ‚positiv‘, ‚hoffnungsvoll‘, ‚glücklich‘, ‚freudig‘ usw. erleben oder aber ’negativ‘, hoffnungslos‘, ‚unglücklich‘, ‚freudlos‘ usw.
  10. Zum Teil haben wir den Eindruck, dass das aktuelle Wissen um die Situation und um uns selbst ein Auslöser für die positiven oder negativen Stimmungen sein kann. Dies kann uns zusätzlich anfeuern, inspirieren, unternehmungslustig machen, neugierig, usw. bzw. umgekehrt uns ‚runter ziehen‘, uns ‚lähmen‘, ‚demotivieren‘, usw.
  11. In anderen Fällen sind es körperliche Zustände (‚Schmerzen‘) oder körperliche Vorgänge (‚Hunger‘, ‚Durst‘, ‚Müdigkeit‘, ..), die uns beeinflussen.
  12. In wieder anderen Fällen ist uns möglicherweise nicht direkt klar, was eine bestimmte Stimmungslage in uns auslöst. Der Körper bietet eine Vielzahl von Prozessen, die sich auf unsere Stimmungslage auswirken können, ohne das wir sie unmittelbar in dieser Funktion erkennen könne.
  13. Generell kann man beobachten, dass diese internen Stimmungslagen (mit ihrer riesigen Bandbreite an Varianten) sich grundsätzlich dahingehend auswirken können, ob man überhaupt Wissen entwickelt bzw. was man innerhalb des verfügbaren Wissensraumes präferiert. Diese Einwirkung auf den Wissensraum kann dem Betreffenden weitgehend bewusst sein, oder aber eher nicht, fast unbewusst; die berühmten ‚Bauchentscheidungen‘. Ob eine Entscheidung eher ‚mit Bewusstsein‘ erfolgt oder eher ‚kaum bewusst‘ muss nichts über die Qualität der Entscheidung aussagen.
  14. Dies hat damit zu tun, dass die Einwirkung des bewussten Wissens von Welt und Selbst auch auf die vielfältigen Stimmungsformen einwirken kann und in einer Art ‚emotionalen Speicher‘ abgelegt werden. Wenn es dann um bestimmte bewusste Vorstellungen geht, was man tun sollte, und ähnliche Situationen im emotionalen Speicher vorhanden sind, dann kann sich jemand daran erinnern und auf dieser Basis eine Präferenz entwickeln, die nicht sehr bewusst sein muss, aber verfügbar und wirksam ist.
  15. Die Schwierigkeit bei solchen eher ‚unklaren emotionalen Einwirkungen‘ ist, dass jegliche Form von Wissen automatisch gespeichert wird, also ohne bewusste Entscheidungen. Dies schließt mit ein, dass auch eher zufällige Konstellation abgespeichert werden, obgleich sie vielleicht ’sinnlos‘ oder gar ‚irreführend‘ sind. Wenn man sich dann ‚kritiklos‘, d.h. eher ’spontan‘ auf solche diffusen emotionalen Erinnerungen einlässt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man Präferenzen zulässt, die wenig konstruktiv sind.
  16. Auf der anderen Seite spielt natürlich die Qualität des verfügbaren Wissens eine Rolle. Wenn jemand nur wenig Wissen zur Verfügung hat, das zudem noch sehr einfach, wenig differenziert ist, dann kann diese Person die Welt in ihrer Vielfalt, in ihren tiefen Verflechtungen, kaum oder gar nicht wahrnehmen; kann nicht angemessen verstehen. Dies kann zu groben Vereinfachungen, Entstellungen, Falschurteilen führen, die im eigenen Fühlen sehr schlechte, negative, zerstörerische Stimmungen erzeugen können, die dann das Ganze noch weiter verstärken. Es kann aber auch sein, dass die ‚einfache‘ Sicht einer komplizierten Situation auch positiv wirkt, weil der/ die Betreffende viele Bedrohungen und Gefahren erst gar nicht wahrnimmt.
  17. Interessant ist noch die Variante, dass sich ein schwaches, einfaches Wissen durch zugleich positive Gefühle dennoch in eine gute Richtung entwickeln könnte. Setzt aber voraus, dass die ‚positiven Stimmung‘ im verfügbaren Wissensraum jene Bereiche und Richtungen favorisieren, die grundsätzlich für den/ die Betreffende(n) vorteilhaft sind.
  18. Damit stellt sich die grundlegende Frage, woher unsere Stimmungen kommen? Beim Wissen haben wir gelernt, dass neben körperlich bedingten Besonderheiten, eigene, aktive Lernprozesse den Erwerb und den Aufbau von Wissen ermöglichen. Dies ist kein einliniger Prozess, da er von einer Vielzahl von Faktoren (und ‚Zufällen‘) bestimmt sein kann.
  19. Bei den Stimmungen, Emotionen ist dies weniger klar. Einiges (Bedürfnisse, Triebe) ist durch Körperprozesse gesteuert; anderes hängt von bio-chemischen Prozessen im Gehirn ab; anderes sind angeborene Instinktmuster, die zu Angst, Lachen, Aggression, Wut, Freue usw. führen. Doch lässt sich nicht immer für alle bekannten Stimmungsphänomene eines der bekannten Erklärungsmuster haftbar machen. Im übrigen wäre es natürlich fatal, wenn der Mensch trotz seines elaborierten Wissens über solche angeborenen Muster hinaus keine weiteren Möglichkeiten besitzen würde, wie im Falle des Wissens auch emotional-stimmungsmäßig im echten Sinne ‚lernen‘ zu können. Bei dem engen Wechselspiel von Wissen und Stimmungen im Gesamt des Handelns wäre es eher merkwürdig, wenn dem offenen Wissensprozess nicht auch irgendwo eine ‚Offenheit im Fühlen‘ entsprechen würde. Bislang gibt es in diese Richtung allerdings noch keinerlei Forschung.

    Gehirn im Körper

  20. Was immer wir über das Bewusstsein und den Raum der Phänomene sagen können, gegenüber den Philosophen der vorausgehenden Jahrhunderte und Jahrtausende wissen wir heute, dass das Bewusstsein eine Leistung des Gehirns ist und dieses Gehirn wiederum ist eingebettet in einen komplexen Körper, der wiederum Teil einer (unterstellten) intersubjektiven Außenwelt ist.
  21. Die modernen Forschungen zum Gehirn und zum Körper haben in diesem Feld auch immer mehr Funktionalitäten am Gehirn aufgedeckt und das Zusammenspiel von Bewusstsein und Gehirn sowie Gehirn und Körper in ersten Ansätzen sichtbar gemacht. Durch die prinzipielle Nicht-Messbarkeit von Bewusstseinsphänomenen ist eine Forschung zum Zusammenhang von Bewusstsein einerseits und Gehirn/ Körper andererseits (Neuropsychologie, Neurophänomenologie) zwar notorisch schwierig, aber immerhin mehren sich Hinweise auf allerlei Wechselwirkungen.
  22. Die wichtigste Einsicht ist wohl jene, dass die bewussten Bilder von der Welt, die wir haben, nicht die Welt selbst sind, sondern jene Bilder/ Modelle, die das Gehirn aufgrund der vielen sensorischen und propriozeptiven (sensorische Daten aus dem Körper) Daten eigenständig interpretiert und zusammenbaut. Dass der einzelne im Alltag weitgehend mit der Illusion leben kann, dass er die ‚reale‘ Welt sieht und nicht nur ein virtuelles Gehirn-Modell der Welt demonstriert, wie gut die Gehirne im Laufe von vielen Millionen Jahren sich entwickelt haben.
  23. Für das praktische Überleben in dieser Welt ist diese Fähigkeit des Gehirns von einer kaum zu überschätzenden positiven Bedeutung. Der Nachteil an dieser Funktionsweise ist, dass all das Wissen, das Menschen sich aufbauen, sich ebenfalls an den virtuellen Bildern des Bewusstseins orientiert und eine Diskrepanz mit der realen Welt nicht so ohne weiteres auffallen muss.
  24. Dass Menschen sich ganz eigenwillige Modelle der Welt in ihrem Kopf zurecht legen, die sie für ‚wahr‘ halten, können wir in allen Jahrhunderten und heute in der ganzen Welt beobachten. Diese Weltbilder können ziemlich verschroben sein, aber Menschen schaffen es, mit solchen verschrobenen Bildern ihre Welt zu sehen, danach zu handeln, und andere Menschen nach diesen falschen Bildern zu be- oder dann auch zu verurteilen.

    Evolution Total

  25. So viel schon ein einzelner Körper, ein einzelner Organismus über die Welt erzählen kann, so richtig spannend wird es erst, wenn man die Dimension der Zeit hinzu nimmt.
  26. Als die Geologen entdeckten, dass die verschiedenen Ablagerungsschichten des Erdreichs aus unterschiedlichen Zeiträumen stammen, dass diese nicht nur ein paar tausend, sondern viele Millionen oder gar Milliarden Jahre auseinander lagen, da eröffnete sich für die Wissenschaft eine grandiose neue Perspektive.
  27. Mit dem immer besseren Verstehen der Erdentwicklung, der Plattenverschiebungen, der unterschiedlichen Erdteile, der z.B. rabiaten Klimaschwankungen zwischen Eiszeiten (bis zu vielen Millionen Jahren) und Warmzeiten, Meerespiegel Abfällen und Aufstiegen, Erdbeben, Vulkanismus eröffnete sich auch für die Wissenschaften vom Leben (Biologie, …) neue Ansatzpunkte, auch die Entwicklung des Lebens selbst in den verschiedenen Phasen besser untersuchen zu können.
  28. Parallel deckte auch die Physik auf, dass das ganze Universum zu sehen ist als ein gigantischer Prozess mit einem messbaren Anfang genannt ‚Big Bang‘, der dann über die Entstehung der Atome und Moleküle zu Staubwolken führte, Sternentstehungen, Planeten, Galaxien, die sich voneinander immer mehr entfernen. Außerdem lernte man, dass der Prozess der Sternentstehung und des Sternesterbens nach bestimmten Regeln abläuft, die bis heute wirksam sind. So wird unsere Heimatsonne in ca. 0.9 Mrd Jahren ab heute die kritische Temperaturgrenze für höhere Lebewesen von +30o erreichen, was ein Leben auf der Erde schwer bis unmöglich machen wird (Siehe: Wikipedia-DE, Sonne, 2017).
  29. Eine wichtige Botschaft aus all diesen neuen Erkenntnissen ist, dass das biologische Leben zu einer Steigerung der Komplexität auf der Erde geführt hat, die nahezu unvorstellbar ist. Die Komplexität eines einzelnen menschlichen Körpers entspricht in etwa 120 Galaxien im Format der Milchstraße. In jeder Sekunde redet eine Zelle im Gehirn mit bis zu 100.000 anderen Zellen im Gehirn bei einer geschätzen Gesamtzahl von ca. 80 – 100 Milliarden Gehirnzellen. Gleichzeitig kommuniziert eine einzelne Körperzelle (geschätzte Anzahl ca. 34 Billionen (= 34 x 1012) mit bis zu mehreren Millarden anderen Zellen über chemische Botenstoffe. Ein vollständiges Verständnis all dieser Vorgänge entzieht sich bislang dem wissenschaftlichen Verständnis.
  30. Innerhalb dieser allgemeinen Komplexitätszunahme gibt es ferner das Phänomen des sprachlichen Denkens bei homo sapiens. Diese extrem späte Lebensform kann die ‚Gegenwart im Wahrnehmen und Denken‘ dadurch überwinden, dass er mittels eines ‚Gedächtnisses‘ aktuelle Gegenwarte abspeichern und diese dann mit der jeweils neuen Gegenwart vergleichen kann. Dadurch lassen sich Veränderungen erfassen, Muster, Strukturen, Beziehungen, Regeln und vieles mehr. Auf diese Weise kann der homo sapiens die biologische Veränderungsgeschwindigkeit durch Vererbung über Generationen extrem beschleunigen. Im Prinzip kann er sofort Änderungen bewirken.
  31. Zugleich hat homo sapiens neue Technologien entwickelt, die Prinzipien biologischer Strukturen in Form von künstlichen Maschinen in neuer Form verfügbar macht. Dazu gehören Computer, Datenspeicher und Datennetzwerke. Damit konnte er die Veränderungsgeschwindigkeit nochmals erheblich steigern, so stark, dass er selber jetzt ein Bewältigungsproblem hat. Im Wissen des homo sapiens kann sich quasi das ganze Universum wie in einem Spiegel selbst anschauen und bei vollem Bewusstsein sich selbst umbauen. Fragt sich, wohin dies führen wird.

Für eine Fortsetzung siehe HIER.

Pausenmusik 🙂

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DENKEN UND WERTE – DER TREIBSATZ FÜR ZUKÜNFTIGE WELTEN (Teil 1)

  1. In dem Beitrag Digitalisierung und die Religionen vom 9.März 2016 gibt es neben vielen anderen Motiven zwei Motive, die besonders hervortreten: einmal das Momentum (i) kombinatorischer Räume, die gefüllt werden können, und zum anderen (ii) das Momentum der Auswahl, welche Teilräume wie gefüllt werden sollen.

KOMBINATORISCHER RAUM BIOLOGISCHE ZELLE

  1. Im Rahmen der biologischen Evolution auf Zellebene z.B. eröffnet sich der kombinatorische Raum an verschiedenen Stellen. Eine ist jene, wo das Übersetzungsmolekül (das Ribosom) von den gespeicherten potentiellen Informationen (DNA mit ihren Abwandlungen) eine Transformation in andere Moleküle (Proteine) überleitet , mit denen sich neue Zellstrukturen aufbauen lassen. Die Verfügbarkeit dieser Proteine, ihre chemischen Eigenschaften und die Umgebungseigenschaften definieren einen potentiellen kombinatorischen Raum, von dem im konkreten Übersetzungsprozess dann ein bestimmter Teilraum ausgewählt wird.
  2. Aber auch schon der potentielle Informationsspeicher (realisiert mittels DNA-Molekülen) selbst, wie auch seine verschiedenen Transformationsprozesse bis zum Übersetzungsprozess in Proteine repräsentieren ebenfalls kombinatorische Räume, deren Realisierung viel Spielraum zulässt.
  3. Man könnte diese molekülbasierte Informationsspeicherung, diese Transformationen der Moleküle, als eine Urform des Denkens ansehen: Moleküle fungieren als Repräsentanten möglicher Konstruktionsprozesse, und diese Repräsentanten können verändert, rekombiniert werden zu neuen Strukturen, die dann zu neuen Konstruktionsprozessen führen. Man hat also – vereinfacht – ein Funktion der Art repr: M_inf x M_tr x MMprot —> Z, d.h. die Reproduktionsfunktion repr die mittels Molekülen, die als Informationsträger fungieren (M_inf), mittels Molekülen (M_tr), die als Übersetzer fungieren und Molekülen (MM_prot), die als Proteine fungieren können, daraus neue Zellstrukturen entstehen lassen kann.

GELIEHENE PRÄFERENZEN

  1. So wundersam diese Urform des Denkens immer neue kombinatorische Räume strukturell aufspannen und dann im Reproduktionsprozess als reales Strukturen konkretisieren kann, so hilflos und arm ist dieser Mechanismus bei der Beurteilung, Bewertung, welche der möglichen Teilräume denn bevorzugt vor anderen realisiert werden sollten. Soll das Fell weiß oder schwarz sein? Benötigt man überhaupt Zähne? Wozu so komplizierte Hand- und Fingergelenke? Warum tausende Kilometer reisen, um zu brüten? … Die Urform des Denkens ist unfähig, ihre potentielle innere Vielfalt selbständig zu bewerten. Man kann auch sagen, die Urform des Denkens kann zwar kombinieren, ist aber blind wenn es darum geht, gezielt Teilräume auszuwählen, die sich als interessante Kandidaten für das Leben anbieten.
  2. Dabei ist schon die Wortwahl ‚interessante Kandidaten für das Leben‘ problematisch, da der Begriff Leben eine Schöpfung von Lebewesen ist, die viele Milliarden Jahre später erst auftreten und die versuchen im Nachhinein, von außen, durchtränkt von neuen Bedingungen, die zunächst bedeutungsleere Wortmarke Leben mit Bedeutung zu füllen. Die Urform des Denkens verfügt über keinen externen Begriff von Leben und es gibt keine Ingenieure, die der Urform des Denkens zuflüstern können, was sie tun sollen.

MOLEKÜLE ALS INFORMATIONSSPEICHER IMPLIZITE PRÄFERENZEN

  1. Allerdings beinhaltet schon die Urform des Denkens über ein Moment, das außerordentlich ist: jene Moleküle (DNA), die als Speicher potentieller Informationen dienen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt repräsentieren diese Informations-Moleküle einen eng umgrenzten Teilraum eines kombinatorischen Raumes und wirken für den Übersetzungsprozess wie eine Art Anweisung in Form eines Bauplans. Gemessen an dem theoretisch möglichen kombinatorischen Raum stellt der Plan des Informationsmoleküls eine Auswahl dar, eine Selektion und damit zeigt sich hier eine indirekte Präferenz für die Informationen auf dem Molekül vor allen anderen möglichen Informationen. Die Urform des Denkens kann zwar im Prinzip einen riesigen potentiellen kombinatorischen Raum repräsentieren und transformieren, die konkrete Zelle aber repräsentiert in diesem riesigen Raum einen winzigen Teilbereich, mit einem aktuellen Ausgangspunkt – gegeben durch die aktuellen Informationen auf dem Informationsmolekül M_inf – und potentiellen Veränderungsrichtungen – gegeben durch die Transformationsprozesse einschließlich der verfügbaren Materialien und Pannen im Prozess. Anders formuliert, die Informationsmoleküle repräsentieren eine komplexe Koordinate (KK) im kombinatorischen Raum und die Transformationsprozesse (einschließlich Pannen und Materialien) repräsentieren eine Menge von möglichen Veränderungsrichtungen (DD), an deren Endpunkten dann jeweils neue komplexe Koordinaten KK_neu_1, …, KK_neu_n liegen.
  2. Wichtig: eine Zelle enthält über die Informationsmoleküle zwar implizite Präferenzen/ Werte, die die Urform des Denkens steuern, diese Präferenzen werden aber nicht von der Zelle selbst generiert, sondern entstehen aus einem Wechselspiel/ aus einer Interaktion mit der Umgebung! Biologische Strukturen (bis heute nur bekannt auf dem Planeten Erde in unserem Sonnensystem in einem geschützten Bereich der Galaxie Milchstraße des uns bekannten Universums) kommen nie isoliert vor, sondern als Teil einer Umgebung, die über sogenannte freie Energie verfügt.

OHNE ENERGIE GEHT NICHTS

  1. Biologische Zellen sind Gebilde, die für ihre Konstruktion und für ihr Funktionieren solche freie Energie brauchen. Der Umfang ihrer Strukturen wie auch die Dauer ihres Funktionierens hängt direkt und ausschließlich von der Verfügbarkeit solcher freien Energie ab. Bezogen auf den kombinatorischen Raum, der durch die Kombination (Informationsmoleküle, Transformationsmolekül, Bausteine) potentiell gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der notwendigen Fähigkeit zum Finden und Verarbeiten von freier Energie nicht neutral! Definieren wir den potentiellen kombinatorischen Raum PKK für biologische Zellen als Raum für mögliche komplexe Koordination KK (also KK in PKK), dann sind im potentiellen kombinatorischen Raum nur jene Teilräume von Interesse, in denen die biologische Zelle über hinreichende Fähigkeiten verfügt, freie Energie zu finden und zu nutzen. Nennen wir die Gesamtheit dieser interessanten Teilräume PKK+, mit PKK+ subset PKK.

GEBORGTE PRÄFERENZEN

  1. Da die individuelle biologische Zelle selbst über keinerlei explizite Informationen verfügt, wo überall im potentiell kombinatorischen Raum PKK die interessanten Teilräume PKK+ liegen, stellt sie – trotz ihrer eigenen Reproduktionstätigkeit – eher ein passives Element dar, das sich mit geborgten Präferenzen im potentiellen kombinatorischen Raum PKK bewegt, ohne explizit wissen zu können, ob es auf seinem Weg durch den potentiellen kombinatorischen Raum PKK auch tatsächlich auf solche komplexen Koordinaten KK+ stößt, die ihr eine minimale Lebensfähigkeit erlauben.
  2. Da wir vom Jahr 2016 rückwärts blickend wissen, dass diese passiven Elemente es in ca. 4 Mrd Jahren geschafft haben, komplexe Strukturen unvorstellbaren Ausmaßes zu generieren (ein Exemplar des homo sapiens soll z.B. ca. 37 Billionen Körperzellen haben (davon ca. 100 Mrd als Gehirnzellen), dazu ca. 200 Billionen Bakterien in seinem Körper plus ca. 220 Milliarden auf seiner Haut (siehe dazu Kegel-Review Doeben-Henisch), muss man konstatieren, dass die permanente Interaktion zwischen biologischer Zelle und ihrer Umgebung offensichtlich in der Lage war, all diese wichtigen Informationen PKK+ im potentiellen kombinatorischen Raum PKK zu finden und zu nutzen!
  3. Für die Frage der potentiellen Präferenzen/ Werte gilt für diesen gesamten Zeitraum, dass sich die implizit gespeicherten Präferenzen nur dadurch bilden konnten, dass bestimmte generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) sich immer von einer positiven komplexen Koordinate zur nächsten positiven Koordinate bewegen konnten. Dadurch konnten die gespeicherten Informationen kumulieren. Aus der Evolutionsgeschichte wissen wir, dass ein Exemplar des homo sapiens im Jahr 2016 eine Erfolgsspur von fast 4 Mrd Jahren repräsentiert, während in diesem Zeitraum eine unfassbar große Zahl von zig Mrd anderen generierte Strukturen (M_inf, M_tr, MM_prot) irgendwann auf eine negative komplexe Koordinate KK- geraten sind. Das war ihr Ende.

ERHÖHUNG DER ERFOLGSWAHRSCHEINLICHKEIT

  1. Für den Zeitraum bis zum Auftreten des homo sapiens müssen wir konstatieren, dass es Präferenzen/ Werte für ein biologisches System nur implizit geben konnte, als Erinnerung an einen erreichten Erfolg im Kampf um freie Energie. Unter Voraussetzung, dass die umgebende Erde einigermaßen konstant war, war die Wahrscheinlichkeit, von einer positiven Koordinate KK+ zu einer weiteren komplexen Koordinate KK+ zu kommen um ein Vielfaches höher als wenn das biologische System nur rein zufällig hätte suchen müssen. Die gespeicherten Informationen in den Informationsmolekülen M_inf stellen somit sowohl erste Abstraktionen von potentiellen Eigenschaften wie auch von Prozessen dar. Damit war es Anfangshaft möglich, die impliziten Gesetzmäßigkeiten der umgebenden Welt zu erkennen und zu nutzen.

URSPRUNG VON WERTEN

  1. Es fragt sich, ob man damit einen ersten Ort, einen ersten Ursprung potentieller Werte identifizieren kann.
  2. Vom Ergebnis her, von den überlebensfähigen biologischen Strukturen her, repräsentieren diese einen partiellen Erfolg von Energienutzung entgegen der Entropie, ein Erfolg, der sich in der Existenz von Populationen von solchen erfolgreichen Strukturen als eine Erfolgsspur darstellt. Aber sie alleine bilden nur die halbe Geschichte. Ohne die umgebende Erde (im Sonnensystem, in der Galaxie…), wäre dieser Erfolg nicht möglich. Andererseits, die umgebende Erde ohne die biologischen Strukturen lässt aus sich heraus nicht erkennen, dass solche biologische Strukturen möglich noch wahrscheinlich sind. Bis heute ist die Physik mehr oder weniger sprachlos, wirkt sie wie paralysiert, da sie mit ihren bisherigen (trotz aller mathematischen Komplexität weitgehend naiven) Modellen nicht einmal ansatzweise in der Lage ist, die Entstehung dieser biologischen Strukturen zu erklären. Von daher müssen wir fordern, dass die umgebende Erde — letztlich aber das gesamte bekannte Universum — die andere Hälfte des Erfolgs darstellt; nur beide zusammen geben das ganze Phänomen. In diesem Fall würde ein reduktiver Ansatz nicht vereinfachen, sondern das Phänomen selbst zerstören!

ONTOLOGISCHE GELTUNG VON BEZIEHUNGEN

  1. Dies führt zu einem bis heute ungeklärten philosophischen Problem der ontologischen Geltung von Funktionen. In der Mathematik sind Funktionen die Grundbausteine von allem, und alle Naturwissenschaften wären ohne den Funktionsbegriff aufgeschmissen. Eine Funktion beschreibt eine Beziehung zwischen unterschiedlichen Elementen. In der Mathematik gehören diese Elemente in der Regel irgendwelchen Mengen an, die einfach unterstellt werden. Wendet man das mathematische Konzept Funktion auf die empirische Wirklichkeit an, dann kann man damit wunderbar Beziehungen beschreiben, hat aber ein Problem, die in der Mathematik unterstellten Mengen in der Realität direkt erkennen zu können; man muss sie hypothetisch unterstellen. Was man direkt beobachten und messen kann sind nicht die funktionalen Beziehungen selbst, sondern nur isolierte Ereignisse in der Zeit, die der Beobachter in seinem Kopf (Gehirn, Gehirnzellen…) verknüpft zu potentiellen Beziehungen, die dann, wenn sie sich hinreichend oft wiederholen, als gegebener empirischer Zusammenhang angenommen werden. Was ist jetzt empirisch real: nur die auslösenden konkreten individuellen Ereignisse oder das in der Zeit geordnete Nacheinander dieser Ereignisse? Da wir ja die einzelnen Ereignisse protokollieren können, können wir sagen, dass auch das Auftreten in der Zeit selbst empirisch ist. Nicht empirisch ist die Zuordnung dieser protokollierten Ereignisse zu einem bestimmten gedachten Muster/ Schema/ Modell, das wir zur gedanklichen Interpretation benutzen. Die gleichen Ereignisse lassen in der Regel eine Vielzahl von unterschiedlichen Mustern zu. Einigen wir uns kurzfristig mal auf ein bestimmtes Muster, auf den Zusammenhang R(X, …, Z), d.h. zwischen den Ereignissen X, …, Z gibt es eine Beziehung R.
  2. Biologische Systeme ohne Gehirn konnten solche Relationen in ihrem Informations-Moleküle zwar speichern, aber nicht gedanklich variieren. Wenn die Beziehung R stimmen würde, dann würde sie zur nächsten positiven komplexen Koordinate KK+ führen, was R im Nachhinein bestätigen würde; wenn R aber zu einer negativen komplexen Koordinate KK- führen würde, dann war dies im Nachhinein eine Widerlegung, die nicht mehr korrigierbar ist, weil das System selbst verschwunden (ausgestorben) ist.
  3. Im Gehirn des homo sapiens können wir ein Beziehungsmuster R(X, …, Z) denken und können es praktisch ausprobieren. In vielen Fällen kann solch ein Interpretationsversuch scheitern, weil das Muster sich nicht reproduzieren lässt, und in den meisten solchen Fällen stirbt der Beobachter nicht, sondern hat die Chance, andere Muster R‘ auszuprobieren. Über Versuch und Irrtum kann er so – möglicherweise irgendwann – jene Beziehung R+ finden, die sich hinreichend bestätigt.
  4. Wenn wir solch ein positiv bestätigtes Beziehungsmuster R+ haben, was ist dann? Können wir dann sagen, dass nicht nur die beteiligten empirischen Ereignisse empirisch real sind, sondern auch das Beziehungsmuster R+ selbst? Tatsächlich ist es ja so, dass es nicht die einzelnen empirischen Ereignisse als solche sind, die wir interessant finden, sondern nur und ausschließlich die Beziehungsmuster R+, innerhalb deren sie uns erscheinen.
  5. In der Wechselwirkung zwischen umgebender Erde und den Molekülen ergab sich ein Beziehungsmuster R+_zelle, das wir biologische Zelle nennen. Die einzelnen Elemente des Musters sind nicht uninteressant, aber das wirklich frappierende ist das Beziehungsmuster selbst, die Art und Weise, wie die Elemente kooperieren. Will man dieses Beziehungsmuster nicht wegreden, dann manifestiert sich in diesem Beziehungsmuster R+_zelle ein Stück möglicher und realer empirisches Wirklichkeit, das sich nicht auf seine Bestandteile reduzieren lässt. Es ist genau umgekehrt, man versteht die Bestandteile (die vielen Milliarden Moleküle) eigentlich nur dadurch, dass man sieht, in welchen Beziehungsmustern sie auftreten können.
  6. Vor diesem Hintergrund plädiere ich hier dafür, die empirisch validierten Beziehungsmuster als eigenständige empirische Objekte zu betrachten, sozusagen Objekte einer höheren Ordnung, denen damit eine ontologische Geltung zukommt und die damit etwas über die Struktur der Welt aussagen.
  7. Zurück zur Frage der Präferenzen/ Werte bedeutet dies, dass man weder an der Welt als solcher ohne die biologischen Systeme noch an den biologischen Strukturen als solche ohne die Welt irgendwelche Präferenzen erkennen kann. In der Wechselwirkung zwischen Erde und biologischen Strukturen unter Einbeziehung einer Irreversibilität (Zeit) werden aber indirekt Präferenzen sichtbar als jener Pfad im potentiellen Möglichkeitsraum der komplexen Koordinaten KK, der die Existenz biologischer Systeme bislang gesichert hat.
  8. Dieser Sachverhalt ist für einen potentiellen Beobachter unaufdringlich. Wenn der Beobachter nicht hinschauen will, wenn er wegschaut, kann er diesen Zusammenhang nicht erkennen. Wenn der Beobachter aber hinschaut und anfängt, die einzelnen Ereignisse zu sortieren und versucht, aktiv Beziehungsmuster am Beispiel der beobachteten Ereignispunkte auszuprobieren (was z.B. die Evolutionsbiologie tut), dann kann man diese Strukturen und Prozesse erkennen, und dann kann man als Beobachter Anfangshaft begreifen, dass hier ein Beziehungsmuster R+_zelle vorliegt, das etwas ganz Außerordentliches, ja Einzigartiges im ganzen bekannten Universum darstellt.

Keine direkte, aber eine indirekte, Fortsetzung könnte man in diesem Beitrag sehen.

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