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ÜBERLEBENSWICHTIG. CANDIDA MYKOSE und das Dilemma der deutschen Alltagsmedizin. Buchbesprechung

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 11.Oktober 2018
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Den folgenden Text habe ich zunächst als Review-Artikel  unter amazon.de veröffentlicht. Da er aber etwas grundsätzlicher Natur ist, veröffentliche ich ihn auch hier im Blog.

KONTEXT

Ich selbst bin kein Mediziner, hatte aber einmal eine extreme Mykose, die mich mehr oder weniger Alltags-untauglich gemacht hatte. Nur durch Zufall fand ich damals eine Arztpraxis, die sich auf Pilzerkrankungen spezialisiert hatte und mich dann – schon nach Wochen deutlich spürbar, nach 6-8 Monaten vollständig – von dieser Mykose befreite. Als Wissenschaftler hat mich das Thema seitdem immer wieder interessiert, allerdings eher beiläufig; wer will sich schon ständig mit Erkrankungen auseinander setzen. Ich musste dann im Laufe der Jahre zur Kenntnis nehmen, dass diese Mykosen wiederkommen können, und dass die Bereitschaft von Alltagsmedizinern, sich damit zu beschäftigen, gegen Null geht (selbst bei solchen, bei denen ich ein ernsthaftes Interesse an ihrem Beruf und ihren Patienten zu erkennen meine). Dies ist irritierend und hilft einem persönlich natürlich nicht weiter. Aufgrund meiner zurückliegenden Erfahrung konnte ich mir bislang notdürftig selbst helfen, aber dies ersetzt natürlich keine professionelle medizinische Begleitung.

AKTUALITÄT UND BEDEUTUNG DES BUCHES

Vor diesem Hintergrund erscheint das Buch ‚Candida, der entfesselte Hefepilz‘ von Dr.Markus und Hans Fink auf den ersten Blick als kleiner Rettungsanker. Doch mag manchen das hohe Alter des Buches (3.Auflage 1996) zurückschrecken. Gerade in der Medizin gibt es auch eine dynamische Forschung, die schnell voranschreitet, allerdings nicht in allen Gebieten, und Forschung ist nicht gleichzusetzen mit der medizinischen Versorgung im Alltag.

Im Bereich medizinische Forschung muss man wissen, dass es zwischen der englischsprachigen Forschung zu candida albicans und der deutschsprachigen ein krasses Missverhältnis gibt (als kleines Indiz vergleiche man mal den Beitrag zu ‚candida albicans‘ in der englischsprachigen Wikipedia und in der deutschen Wikipedia. In der englischsprachigen Wikipedia findet man eine sehr umfangreiche Darstellung, forschungsmäßig auf aller neuestem Stand, während der deutschsprachige Beitrag sich nur mit einigen wenigen Fakten begnügt.).

Dass es auch in Deutschland zu beeindruckenden systematischen Forschungen im mikrobiologischen Bereich kommen kann, wenn viele Personen und Institutionen zusammen arbeiten, zeigt das Buch von Reinhard et al. zu den ‚Cystischen Fibriosen‘, allerdings stammt auch dieses Buch schon aus dem Jahr 2001 ( wird aber als Ausgabe von 2013/2014 angeboten).

Scheint also schon die Deutsche medizinische Forschung zu diesem Thema zu schwächeln, so gibt es im Bereich der Mykologie leider ein noch viel größeres Missverhältnis zwischen medizinischer Forschung und der medizinischen Alltagspraxis . Seitdem ich ca. 1993 zum ersten Mal mit dem Thema Mykose als Patient eine sehr unerfreuliche Bekanntschaft schließen durfte, habe ich bislang noch keinen einzigen (!) Alltags-Arzt getroffen, der zu dem Thema etwas Nennenswertes wusste (und da waren engagierte Ärzte dabei). In der Regel wird das Thema mit der Bemerkung abgeblockt, das sei alles nicht ernst zu nehmen, dies ohne eine wirkliche Begründung.

Berücksichtigt man die Situation der Alltags-Ärzte, dann kann man diese Reaktion bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Da es generell zu wenig Ärzte gibt sind die wenigen – vor allem auch die, die ihren Beruf ernst nehmen – permanent völlig überlastet. Selbst wenn diese wollten, sie haben keine echte Chance, sich mit solch einem komplexen Thema wirklich auseinander zu setzen. Dann ist es psychologisch für den Arzt einfacher, es als ‚Unfug‘ abzutun. Dass damit viele tausende Patienten, eher Zehntausende und mehr, mit ihrem Leiden sich selbst überlassen werden, ist dann weniger schön. Allerdings gibt es neben Mykosen viele weitere Krankheiten, deren sich die deutsche Alltagsmedizin (und auch nicht die deutsche medizinische Forschung) nicht annimmt. Dies soll hier aber nicht weiter verfolgt werden. Dies wäre ein Thema einer engagierten kritischen Medizinsoziologie, die es in Deutschland nicht gibt…. zum Leidwesen aller Bürger.

Für das Buch ‚Candida, der entfesselte Hefepilz‘ von Dr.Markus und Hans Fink bedeutet diese alltägliche Situation, dass es trotz seines Alters immer noch eine sehr große Bedeutung besitzt!

WICHTIGE THESEN AUS DEM BUCH

Als Nicht-Mediziner kann ich die entscheidenden Thesen hier nur grob formulieren. Sollten sie so stimmen – davon muss ich bis zum Beweis des Gegenteils ausgehen – dann ist diese Krankheit sehr ernst zu nehmen und sie hat das Zeug, zu einer Massenepidemie zu werden.

Der generelle Ausgangspunkt ist, dass ein Mensch, der ’normal gesund‘ ist, sich richtig ernährt, sich genügend bewegt, ein intaktes Immunsystem hat, keine Probleme mit candida albicans (und den anderen Pilzen) hat, obwohl dieser Pilz sich – meistens — im Darm befindet (geschätzt 75% aller Menschen).

Angesichts der ungesunden Ernährung vieler Menschen (als ein Indiz unter vielen kann man die rasant ansteigende Zahl der adiposen Menschen nehmen), der zunehmenden Belastungen des Immunsystems (die sich durch die ansteigende Zahl der Allergien manifestieren, dazu weitere Umweltbelastungen wie Lärm, Luftverschmutzung, Anteil von Giften in der Nahrung (über die Landwirtschaft), …), dem zunehmenden psychischen Stress (‚burn-out‘, starker Anstieg psychischer Erkrankung, schon bei jungen Menschen (neueste Untersuchungen zur Lage der Studierenden)), verschlechtert sich dieser ’normale Gesundheitszustand‘ bei den meisten Menschen rapide. Dies bietet für Pilze – hier allen voran candida albicans – eine ideale Ausgangslage.

Eine ausgewogene Darmbesiedlung hält den Pilz normalerweise ‚in Schach‘; ein gesundes Immunsystem verhindert das Vordringen des Pilzes in das Blut und damit eine Ausbreitung in innere Organe. Wie man aber heute weiß, kann eine zahlenmäßige Überflutung ein Immunsystem überwinden. Und wie man heute auch weiß, hat gerade der Pilz candida albicans interessante Strategien entwickelt, das Immunsystem mit seinen eigenen Abwehrmechanismen zu täuschen. Wenn der Pilz also erst mal da ist, sich aufgrund einer gestörten Darmflora (z.B. auch durch Antibiotika, die viele wichtige Darmbakterien abtöten, die dem im ‚Normalfall‘ Pilz Paroli bieten) ausbreiten kann, und dann durch die einfachste und üblichste Strategie, bedroht ‚fühlt‘ (wie z.B. durch ein geeignetes Essverhalten, das auf Zucker und Alkohol verzichtet, auch auf einfachen Kohlehydrate, um damit dem Pilz seine natürliche Energieaufnahme zu entziehen), dann versucht der Pilz, sich auf eigene Faust ‚Nahrung zu verschaffen‘. Er verfügt über mikrobiologische Techniken, sich in Schleimhäute hinein und durch zu bohren,auch Darmwände zu überwinden um bis ins Blut zu gelangen. Wenn man also versucht, den Pilz nur durch eine Diät zu bekämpfen und nicht auch direkt,, dann wandert er in immer mehr Schleimhäute, gelangt ins Blut, und fängt an, innere Organe zu besiedeln. In dieser Phase einer ’systemischen Mykose‘ – also der worst case Fall aus Sicht der Gesundheit — ist der Pilz nur noch sehr schwer zu diagnostizieren. Gerade in dieser Phase muss man ihn aber direkt bekämpfen (natürlich auch schon vorher, damit es erst gar nicht zu einer systemischen Mykose kommt). Nun gibt es aber nur wenige bekannte Anti-Pilz Medikamente, und die Pilze haben mittlerweile partielle Resistenzen gegen diese entwickelt. Dieses Problem fehlender Medikamente führt mittlerweile dazu, dass weltweit jährlich 1.7 Mio Menschen an Mykosen sterben (Artikel in der Zeitschrift NATURE MICROBIOLOGY 2, 17120 (2017)), und die Zahlen steigen.

PRAKTISCHER NUTZEN

Obwohl also das Buch für medizinische Verhältnisse etwas alt ist, spricht hier doch ein Arzt, der etwa 25.000 Menschen mit Mykosen behandelt hat, der mit vielen Forschern und Deutschland intensiven Austausch hatte, und der auf wichtige Symptome, Behandlungsweisen und Medikamente hinweist. Die Grunderkenntnisse sind auf jeden Fall auch heute noch gültig, obwohl die Forschung viele Details dazu gelernt hat.

UNTERSTÜTZUNG

Sollte jemand diesen Text lesen und meinen, er habe ’sachdienliche Hinweise‘ für aktuell praktizierende Ärzte (Alltags-Medizin oder Forschung), die sich mit dem Thema ernsthaft und kompetent beschäftigen, wäre ich sehr dankbar.

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