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Genom – Kultur – (Evolution —> Evolution 2.0)

In dem vorausgehenden Text „WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘“ wurde sichtbar gemacht, dass die verschiedenen Phasen der bisherigen Evolution des Lebens auf dem Planet Erde unmissverständlich eine deutliche Beschleunigung erkennen lassen, die zudem einhergeht, mit einer Zunahme der Komplexität biologischer Strukturen. Ein Kandidat, der in diesem Prozess anwachsender Komplexität real hervortritt, ist die Lebensform des ‚Homo sapiens‘. In diesem Text wird die Besonderheit des Homo sapiens ein wenig genauer betrachtet, aber nicht ‚isoliert‘, sondern als ‚genuiner Teil des gesamten Lebens‘. Dadurch wird eine Dramaturgie in Umrissen sichtbar, die viele Fragen ermöglicht, die in eine mögliche Zukunft der Evolution des Lebens deuten, anders als es bislang thematisiert wurde.

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Datum: 18.April 2025 – 24.April 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Eine englische Version findet sich HIER.

GENE ODER UMWELT?

So — oder so ähnlich — lautete viele Jahrzehnte die Überschrift über eine intensive Diskussion, wodurch das Verhalten von Menschen im Alltag und dann auch im weiteren Verlauf stark geprägt wurde.

Dass ‚Gene‘ verantwortlich gemacht werden können für bestimmte ‚Verformungen des Körpers‘ (oft als ‚Missbildungen‘ empfunden), für bestimmte Krankheiten, für besondere ‚Begabungen‘ wird heute vielfach angenommen. Gleichzeitig wurde aber auch immer wieder betont, dass die jeweilige Umwelt, in der ein Mensch lebt, aufwächst, und arbeitet einen Einfluß auf sein Verhalten, auf seine Persönlichkeit haben kann.

Die Forschungsergebisse der neueren ‚Soziogenomik‘ [1] wirken in diesem Meinungskonflikt eher versöhnlich: anhand vieler Experimente und Untersuchungen findet sich hier die Arbeitshypothese, dass bestimmte ‚Gene‘ (Bestandteil des umfaassenden ‚Genoms‘ eines Menschen) zwar eine Art ‚Potenzial‘ für eine höhere Wahrscheinlichkeit des Auftretens von bestimmten Verhaltensweisen mit sich bringen, dass die tatsächliche ‚Verwirklichung‘ dieses Potentials dann aber sehr wohl von der Beschaffenheit der Umwelt abhängig sind. Krass ausgesprochen: ein hohes musikalisches Potential wird nicht zur Wirkung kommen, wenn das Kind in einer gesellschaftlichen Situation von großer Armut, Kinderarbeit, Kindersoldaten und Ähnlichem aufwachsen muss. Umgekehrt kann aber die gezielte Förderung von Musikalität bei einem Kind zu einer besonderen Förderung der Fähigkleiten beitragen, zugleich aber auch — möglicherweise — auf Kosten der Unterdrückung vieler anderer Fähigkeiten, über die das Kind auch noch verfügt.

[1] Artikel von Dalton Conley, „A New Scientific Field Is Recasting:
Who We Are and How We Got That Way“, 13.März 2025, New York Times, https://www.nytimes.com/2025/03/13/opinion/genetics-nature-nurturesociogenomics.html . Dazu das Buch von Dalton Conley: „THE SOCIAL GENOME: The New Science of Nature and Nurture“, 18.März 2025 , WW Norton – Penguin Random House

Eine weitergehende Betrachtung kann zu weiteren Aspekten führen, die geeignet erscheinen, die ganze Diskussion in eine gänzlich andere Sicht zu leiten.

Weiterhin eher Black-Box?

Was wir in der Diskussion vorfinden sind die beiden Größen ‚Gene‘ als Teil des Menschlichen Genoms und ‚kulturelle Muster‘, die im Alltag als wirksam angenommen werden.

Klar ist, dass die Gene des Genoms nicht direkt mit den kulturellen Mustern des Alltags interagieren. Wir wissen so viel, dass Gene auf höchst komplexe Weise Teile des Körpers und verschiedene Teile des Gehirns beeinflussen. Man kann aber nicht sagen, dass dieses Wechselspiel zwischen Körper und Gehirn unter Einfluss der Gene hinreichend aufgeklärt ist. Für den Start macht es daher vielleicht Sinn, den Körper – trotz des Wissens, welches wir schon haben – als eine ‚Black Box‘ zu betrachten, die mit der konkreten realen Umgebung in Interaktion tritt. Nennen wir einen menschlichen Akteur mit seinem Genom dazu vorläufig einen ‚Black-Box Akteur‘ – kurz: BBActor –.

Menschliche Akteure sind aber über die Umwelt selbst wieder Teil anderer menschlicher Akteure. Es wird angenommen, dass das beobachtbare Verhalten eines menschlichen BBActors von unterschiedlichen ‚kulturellen Mustern‘ beeinflusst wird, welche sich in ‚Form von Regeln‘ auf das konkrete Verhalten auswirken können. Dies führt zu einer Vielzahl von Perspektiven:

(1) VIELFÄLTIGE UMGEBUNGEN : Aufgrund der großen Bandbreite an kulturellen Mustern in einer Gesellschaft können die gleichen Aktionen eines BBActors völlig verschiedene Reaktionen auslösen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine besondere genetische Disposition von der Umgebung gefördert wird, hängt daher sehr stark von der Umgebung ab (Krieg, Kinderarbeit, große Armut, religiöse Anschauungen mit einer Vielzahl von Verboten, destruktive Verhaltensweisen, …)

(2) PERSÖNLICHKEIT : Ein Verhalten, welches Kindern und Jugendlichen mittelfristig hilft, zu einer ‚Persönlichkeit‘ heran zu wachsen, besteht zudem in der Regel aus verschiedenen ‚Bündeln unterschiedlichster Verhaltensweisen‘, die zusammen eine Art ‚Profil‘ bilden, welches nur begrenzt statisch ist. Diese wechselwirkenden Faktoren in verschiedenen Umgebungen müssen über viele Jahre hin wirksam sein , um ‚konstruktive‘ und ‚stabile‘ ‚innere Verhaltensmodelle‘ entstehen zu lassen.

(3) SOZIAL : Ein wichtiger Teil stabilisierender Faktoren gehört zum großen Komplex ‚sozialer Verhaltensweisen‘ und ‚sozialer Gruppen‘, denen sich ein BBActor ‚zugehörig fühlt‘ und in denen er auch ‚positiv akzeptiert‘ wird. Solche sozialen Beziehungen brauchen kontinuierliches Engagement über viele Jahre.

Soweit die individuelle Perspektive.

Wie hängt diese mit dem größeren Ganzen der Evolution zusammen?

Klar ist, dass jedes einzelne biologische System — und damit auch ein Mensch — vollstänig Teil des gesamten Lebens ist, dass in jedem Augenblick Veränderungen unterworfen ist, die in ihrer Summe das repräsentieren, was wir ‚(biologische) Evolution‘ nennen.

Evolution —> Evolution 2.0 (Evo2)

Mit dem Auftreten des Homo sapiens hat sich die Situation des Lebens auf dem Planet Erde allerdings grundlegend geändert, so sehr geändert, dass wir von einer ‚Evolution 2.0 (Evo2)‘ sprechen sollten.

Die Beschreibung von Evo2 kann hier nur als grobe konzeptuelle Skizze stattfinden, da die Komplexität von Evo2 sehr hoch ist; man benötigt aber eine ‚grobe Idee‘ zu Beginn, um sich nicht von Beginn an in den vielen Details zu verlieren. Außerdem finden sich aktuell in der wissenschaftlichen Diskussion nahezu keine Dialogansätze, um das hier im Fokus stehende Evo2-Konzept ausführlich zu schildern.

Falls die Grundidee des Evo2-Konzepts stimmt, wird aber kein Weg daran vorbeiführen, dieses Konzept zur allgemeinen Grundlage für mögliche Planungen und Ausgestaltungen für die Zukunft zu benutzen.

Logik des Alltags

Wenn man die Evolution ’seit dem Auftreten des Homo sapiens‘ neu ‚Klassifizieren‘ möchte als ‚Evo2‘, dann benötigt man hinreichend viele ‚Eigenschaften‘, die man in Verbindung mit dem Auftreten des Homo sapiens erkennen kann als solche, die es so ‚vorher‘ noch nicht gegeben hat.

Hier einige solcher Eigenschaften, die vom Autor identifiziert werden, eingebettet in angedeuteten Beziehungen, die später konkreter ausgeführt werden müssen.

  • ABSTRAKTION : Auffällig ist, wie leicht ein HS verschiedene ‚einzelne Phänomene‘ in einem ‚abstrakten Konzept‘ ‚zusammenfassen kann‘. So kann ein abstraktes Konzept wie ‚Baum‘ nicht nur viele verschiedene Arten von Bäumen ‚meinen‘, sondern einem Baum können ‚beliebig viele Eigenschaften‘ zugeordnet werden. Und ein abstraktes Konzept kann selbst wieder Element für ein ’noch abstrakteres Konzept‘ werden, z.B. können viele Bäume unter dem Konzept ‚Wald‘ versammelt werden. Denkt man in den Kategorien ‚Element‘ und ‚abstraktes Konzept‘, dann bilden abstrakte Konzepte eine ‚Meta-Ebene‘ und die zugehörigen Elemente eine ‚Objekt-Ebene‘. Und da ein HS offensichtlich Elemente einer Meta-Ebene zu einer ‚Objekt-Ebene‘ ‚höherer Stufe‘ machen kann, indem er einfach eine neue ‚Meta-Ebene‘ einführt, erscheint dieser ‚Mechanismus der Objekt-Meta-Ebenen‘ wie eine Art ‚Fahrstuhl in die Abstraktheit‘, für die es keine festen Grenzen zu geben scheint.
  • ZEIT ALS VERÄNDERUNG : Der HS verfügt über die Fähigkeit, ‚Veränderungen‘ zu erfassen. Veränderungen implizieren ein ‚Vorher‘ und ein ‚Nachher‘. Indirekt manifestiert sich in dieser ‚Vorher-Nachher-Struktur‘ das Phänomen der Zeit‘. Zeit erscheint damit als eine Art ‚Meta-Eigenschaft‘ von jeglicher Art von Veränderung. Sie lässt sich begreifen als eine ‚lineare Struktur‘, auf der ein ‚Nachher‘ wieder zu einem ‚Vorher‘ von einem anderen nachfolgenden ‚Nachher‘ werden kann. Diese Linearität hat zur Konstruktion von ‚Zeitmaschinen (Uhren)‘ geführt, die in regelmäßigen Abständen ‚Ereignisse‘ erzeugen, die man ‚Zeitpunkte‘ nennen kann, und die sich mittels ‚Zahlzeichen‘ quantitativ als ‚Zeitpunkte‘ in einer Weise benutzen lassen, wodurch man den Begriff der ‚Zeitdauer‘ bilden kann. Die Zuordnung von ‚realen Ereignissen‘ zu ‚abstrakten Zeitpunkten‘ bildet ein grundlegendes Instrument zur ‚Vermessung der Welt‘.
  • RAUM-STRUKTUR : Der HS mit seinem eigenen Körper in der Welt verfügt über eine Art von Wahrnehmung, in der ‚alles Wahrnehmbare‘ in einer ‚räumlichen Anordnung‘ erscheint. Es gibt ‚viele einzelne Phänomene‘ angeordnet in einer ‚Menge‘, die indirekt (wie bei der Zeit) eine ‚Fläche‘ oder gar einen ‚Raum‘ manifestieren. Durch das ‚Vorkommen in einem Raum‘ gibt es ‚räumliche Beziehungen‘ wie ‚oben – unten‘, ‚davor – dahinter‘, ‚kleiner – größer‘ usw.

Diese Meta-Eigenchaften wie ‚Raum, Zeit und Abstraktion‘ bilden eine Art ‚Koordinatensystem‘, welches dem HS erlaubt, die Gesamtheit seiner ‚Außenwelt-Wahrnehmung‘ in einer ‚Struktur‘ zu ‚ordnen‘, die ihm die ‚äußere Welt‘ in einer ‚vereinfachten Darstellung‘ ‚verfügbar‘ macht. (Anmerkung: besonders die beiden ‚Koordinaten Raum und Zeit‘ finden sich mit anderen Bezeichnungen und in einem anderen Setting schon bei Kant in seiner ‚Kritik der reinen Vernunft‘ von 1781/1789).

Ergänzend zur Erfassung der Meta-Eigenschaft der Zeit besitzt der HS aber auch noch folgende Fähigkeit:

  • MÖGLICHE VERÄNDERUNG (ZIEL(e)) : Die Fähigkeit, ‚Veränderungen‘ in einer Struktur von ‚Vorher‘ und ‚Nachher‘ zu erkennen, wird beim HS noch ergänzt um die Fähigkeit, ‚künstliche Nachher‘ zu einem ‚Vorher‘ zu generieren. Ob man diese Fähigkeit nun ‚Vorstellen‘ nennt, ‚Denken‘ oder irgendwie mit ‚Kreativität/ Fantasie‘ umschreibt, Fakt ist, ein HS kann die ‚real erlebte Kette von Ereignissen‘ auch in Form einer ‚Kette von bloß vorgestellten Ereignissen‘ generieren. Sofern diese ‚vorgestellte Kette von Ereignissen‘ sich auf ‚mögliche reale Ereignisse‘ beziehen lässt, die aufgrund von ‚möglichen Veränderungen stattfinden‘ können, erlauben solche ‚vorgestellten Ereignisketten‘ eine Art von ‚Planung‘ dafür, dass man ‚Heute planen‘ kann, was ‚Morgen‘ dann vielleicht ‚der Fall sein sollte‘. Dasjenige, was in dieser Kette dann ‚der Fall sein sollte‘ wäre dann so eine Art ‚Ziel‘: ein Zustand, den man ‚erreichen‘ möchte. Offensichtlich kann ein HS sich solche ‚möglichen Ziele‘ auch vorstellen, bevor er eine ‚Kette von möglichen Ereignissen‘ konstruiert hat. In diesem Fall kann die ‚Vorgabe eines Zieles‘ dazu anzuregen, eine ‚Kette von möglichen Ereignissen‘ zu konstruieren, die ein ‚zunächst bloß vorgestelltes Ziel‘ erreichbar erscheinen lässt.

Soweit erste Grundelemente einer ‚Logik des Alltags‘.

Diese, allein für sich genommen, können allerdings noch nichts bewirken. Dazu braucht es noch mehr. Der HS verfügt über dieses ‚Mehr‘.

Kommunikation und Kooperation

Über welche ‚inneren Zustände‘ ein HS auch verfügt, solange er diese inneren Zustände — oder zumindest Teile davon — nicht mit anderen Menschen ‚teilen‘ kann, bleibt ein HS ein ‚isolierter Körper‘ in Raum und Zeit, der mit niemandem kooperieren kann.

  • KOOPERATION : Zur Kooperation gehört, dass ein einzelner HS sich mit beliebigen anderen Menschen über ‚Ziele‘ verständigen kann, die erreicht werden sollten, und über die ‚Prozesse‘, die gemeinsam durchlaufen werden müssten, um die Ziele einzulösen. Der Begriff ‚Kooperation‘ ist in diesem Zusammenhang auch ein ‚Meta-Konzept‘, welches sehr viele — nicht gerade ‚einfache‘ — Eigenschaften zusammen fasst.
  • SYMBOLISCHE SPRACHE : Ein Standardmittel zur Ermöglichung von ‚Kooperation‘ besteht darin, einen ‚Austausch‘ von ‚Zeichen‘ zu organisieren, der so ist, dass die ‚verwendeten Zeichen‘ mit einer ‚Bedeutung‘ korrelieren, die beim ‚Sprecher (Schreiber)‘ wie beim ‚Hörer (Leser)‘ ‚annähernd gleich‘ sind. Ist dies der Fall, dann kann z.B. ein HS von bestimmten ‚Pflanzen‘ sprechen, die ‚gefunden‘ werden sollen, und ein anderer HS ‚versteht‘ die gesprochenen Worte so, dass er mit den ‚vom Sprecher benutzten Worten‘ in seinem Innern eine ‚Vorstellung von jenen Pflanzen‘ aktivieren kann, die vom Sprecher mit seinen Worten ‚intendiert‘ waren. Zugleich kann er ein ‚inneres Bild‘ von ‚möglichen Orten‘ und ‚dazu passenden Wegen‘ aktivieren. Damit ausgestattet, kann der Hörer sich ‚auf den Weg machen‘, um die ‚intendierten/ gewünschten‘ Pflanzen zu finden, einzusammeln und ’nach Hause‘ zu bringen.

Schon diese wenigen Ausführungen lassen erahnen, wie schnell eine Kooperation mittels sprachlicher Kommunikation an ‚Komplexität zunehmen kann‘. Ein ‚gemeinsames Handeln‘ mit vielen beteiligten Menschen in einer unübersichtlichen ‚dynamischen‘ Situation, die über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Orten stattfinden soll, erfordert neben starken sprachlichen Fähigkeiten sehr viel mehr:

  • MOTIVATION : Warum sollte jemand über das ‚Motiv‘ verfügen, sich einer gemeinsamen Handlung anzuschließen?
  • KNOWHOW : Verfügen die Teilnehmer über genügend Wissen/ Erfahrung, so dass ein gemeinsam gesetztes Ziel erreicht werden kann?
  • SOZIALE AKZEPTANZ : Gibt es in der potentiellen ‚Gruppe‘ genügend viele Mitglieder, die über eine ‚hinreichende soziale Akzeptanz‘ verfügen, dass ‚Vorschläge‘ als mögliche Ziele von anderen übernommen werden?
  • RESSOURCEN : Gemeinsame Aktionen in Raum und Zeit benötigen ein Vielerlei an ‚Ressourcen‘, damit die notwendigen Aktionen ausgeführt werden können. Die aktiven Menschen benötigen selbst genügend ‚Energie‘ und ‚Wasser‘ für ihre Körper; ferner muss ‚genügend Zeit‘ verfügbar sein, dazu verschiedene ‚Werkzeuge‘, und manches mehr.

Werkzeuge : Materie und Zukunft

Neben den bislang genannten Faktoren, welche das besondere Potential des Homo sapiens auszeichnen, gibt es noch viele weitere, die genannt werden müssen. Zwei stechen besonders hervor:

(1) ‚Werkzeuge‘, mit denen der HS die materielle Umgebung (einschließlich biologischer Systeme) nahezu ‚vollständig bearbeiten‘ kann, und zwar so, dass sie durch die Bearbeitung eine ‚völlig veränderte Gestalt‘ inklusive ’neuartiger Funktionen‘ annehmen kann.

(2) Werzeuge, mit denen der HS ‚abstrakte Repräsentanten (= Bilder, Modelle,…)‘ der realen Welt (inklusive biologischer Systeme) mit Berücksichtigung einer ‚möglichen Dynamik (Veränderungsformen)‘ über ‚abstrakte Zeitstrecken‘ in einer Weise ‚ausloten‘ kann, dass damit ‚mögliche zukünftige Zustände‘ der Welt und des Lebens in dieser Welt umrisshaft sichtbar gemacht werden können.

Diese beiden Faktoren bilden die Grundbausteine einer ‚evolutionären Revolution‘, wodurch der bisherige Gang der Evolution in einen Zustand versetzt wird, der historisch einmalig ist und dessen Potential bislang weder angemessen erkannt noch ausgelotet ist. Diese Möglichkeiten markieren damit tatsächlich eine völlig neue Phase der Evolution, eben eine ‚Evolution 2.0‘.

Folgende Anmerkungen verdienen hier aber Beachtung:

Technische Werkzeuge für die ‚Sichtbarmachung möglicher zukünftiger Zustände der Welt und des Lebens‚ sind Maschinen, angereichert mit Algorithmen, welche die hierzu notwendigen simulativen Operationen zwar faktisch ausführen können, aber sie hängen fundamental von folgenden Faktoren ab:

(1) Auch sie benötigen für ihre ‚Arbeit‘ ‚Energie‘, und nicht wenig.

(2) Sie benötigen für ihre Simulationen ‚Repräsentationen von Sachverhalten‘, welche

(2.1) ‚empirisch zutreffend‘ sind

(2.2) der ‚Dynamik hinter den Phänomenen‘ gerecht werden

(2.3) die ‚Wechselwirkungen zwischen Faktoren‘ berücksichtigen

(3) benötigen ‚Zielvorstellungen‘, die aus der großen Menge möglicher zukünftiger Zustände jene ‚aussortieren‘, die den ‚Kriterien für eine nachhaltige Zukunft des Lebens‚ auf dem Planeten oder ‚woanders‘ berücksichtigen.

Dabei dürfte der Punkt mit den ‚Zielvorstellungen‘ der schwierigste sein: Wer verfügt über diese Zielvorstellungen? Maschinen als solche haben keinen Zugang dazu. ‚Menschen‘ als Teil des Lebens‘ haben im Laufe ihrer Gegenwart auf dem Planeten zwar gezeigt, dass sie grundsätzlich ‚zielfähig‘ sind, dass sie aber ihre Ziele im Laufe von ca. 300.000 Jahren beständig verändert haben, was verschiedene Ursachen hat. Ungeklärt ist das riesige Potential an Zielen in den übrigen Bereichen des Lebens außer dem Menschen.

Frage nach dem letzten Sinn

In diesem Szenario ist somit zwar das Leben generell — und darin möglicherweise der Homo sapiens ganz besonders — der zentrale Kandidat für das ‚Auffinden der angemessenen Ziele‘ für eine weitere spannende Zukunft des Lebens im bekannten Universum (oder auch jenseits davon), aber wie definieren Menschen Ziele für das Ganze, wenn sie sich selbst noch in einer ‚Ziel-Klärungs-Phase‘ befinden?

Der Zuwachs an Handlungsfreiheit und Gestaltungsmacht ist zugleich ein Zuwachs an Herausforderung an das ‚Selbstbewusstsein‘ des Lebens auf dem Planeten, in diesem Universum: Was wollt ihr hier überhaupt? Auf wen wartet ihr? Merkt ihr nicht, dass ihr jetzt gefordert seid?

Die Wiederentdeckung Gottes auf dem Planeten Erde für alle denkbaren Universen. Essay. Teil 3

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ÜBERBLICK

Voraus ging ein anderer  Beitrag, siehe HIER.

Im Folgenden weitere Aspekte zur Wiederentdeckung Gottes auf dem Planet Erde … Wir sind da. Die Dinge sind da. Wir selbst sind ein ‚Ding‘. Raum und Zeit. Konservierte Zeit.

WAS DA IST

Naturgesetz im Alltag

  1. Wenn etwas, was da ist, so da ist, weil es nach unserem Verständnis einem ‚Naturgesetz‘ folgt, dann ist es nach unserem alltäglichen Verständnis erzwungener Maßen da, notwendigerweise, deterministisch. Bei gleichen Voraussetzungen würde es immer genau so sich wiederholen. Der berühmte Apfel löst sich aus dem Baum, fällt ’nach unten‘ und bleibt liegen.

Gegenstand im Raum

  1. Und es ist auch wahr, dass in unserem alltäglichem Erleben der Apfel nicht isoliert vorkommt sondern als abgrenzbares Etwas in dem, was wir ‚Raum‘ nennen; an derselben Stelle, an der sich der Apfel befindet, kann kein zweiter Apfel sein, und der Apfel hat eine ‚Umgebung‘, die wir hemdsärmelig mit ‚Oben‘, ‚Unten‘, ‚links‘, ‚rechts‘, ‚vorne‘ und ‚hinten‘ usw. beschreiben. In unserem alltäglichen Raum fällt der Apfel immer nach ‚unten‘, nie nach ‚oben‘.
  2. Auf den Apfel können wir als Gegenstand, als Objekt hinweisen, ihn abgrenzen von seiner Umgebung; auf den Raum können wir nicht direkt hinweisen; der Raum ist kein Objekt wie der Apfel. Der Raum ist wie eine Art ‚Behälter‘ aber ohne Begrenzung. Für uns erscheint der Raum in der alltäglichen Erfahrung quasi ‚unendlich‘. Wir sprechen über den Raum relativ durch Bezug über das, was ‚in dem Raum‘ vorkommt. Wir kennen ‚Objekte‘ nur als ‚in einem Raum vorkommend‘. Die Erfahrung von Objekten und Raum ist simultan.
  3. Was ist, wenn jemand blind ist, absolut nichts sieht? Ist der Raum dann weg?
  4. Wenn wir unsere Augen schließen können wir (im Normalfall (was ist ’normal?)) mit unseren Händen Oberflächen spüren, denen wir durch Bewegung unserer Finger, Hände, Arme, eventuell auch des Körpers, folgen können. Die Bewegung unseres Körpers verändern die jeweilige ‚Stellung‘ von Körperteilen, Muskeln, Knochen… Diese ‚Stellungen‘ sind subjektiv, sie spiegeln sich ‚in uns selbst‘ wieder; wir können sie im Erleben unterscheiden. ‚In uns‘ versammeln wir alle diese Erlebnisse unterschiedlicher Stellungen und können sie ‚in Beziehung‘ setzen: wenn das Objekt selbst sich nicht verändert, dann sind diese Stellungen nicht beliebig. Das Verhältnis der verschiedenen erlebbaren Stellungen bildet ein Beziehungsgeflecht, das man auch als ‚räumlich‘ interpretieren kann, das dann auch ein ‚oben‘, ‚unten‘, ‚links‘ und ‚rechts‘ usw. zulässt. Die unterschiedlichen Stellungen markieren dann in diesem Beziehungsgeflecht eine ‚Position‘. Mit anderen Worten: auch ohne Sehen, nur mit unseren körperlichen Bewegungen zusammen mit den Tastempfindungen ist unser Erleben von etwas anderem, von Gegenständen, von Objekten, mit der ‚Vorstellung eines Raumes‘ verbunden.
  5. Wenn wir ‚Sehen‘ und ‚Tasten‘ können, dann lässt sich der ‚Seh-Raum‘ und der ‚Tast-Raum‘ miteinander in Beziehung setzen.

Wir sind auch ein Objekt

  1. Eine Besonderheit ist, dass wir in beiden Räumen ‚uns selbst‘, ‚unseren Körper‘ als Teil des Raumes, als Gegenstand neben anderen Gegenständen erleben können. Wir erleben uns als Gegenstand, als Objekt in einem ‚Raum‘ von vielen Objekten. Die Gegenstände erscheinen als ‚endlich‘, der Raum als ‚unendlich‘.

Sprache kann verbinden

  1. Wenn wir weder sehen noch tasten können, wird es schwierig. Mir persönlich versagt da die Vorstellung, und unsere Sprache verliert den Weltbezug, den sie braucht, um zwischen verschiedenen Menschen zu funktionieren. Was immer ein einzelner Mensch ‚in sich‘ erlebt, sofern jeder Mensch als Objekt in einem Raum von Objekten vorkommt, den er mit einem anderen Menschen teilt, so lange kann er mittels der Sprache ein gemeinsames Bezugssystem aufspannen, innerhalb dessen er sich selbst und sein Erleben ‚verorten‘ kann.

Zeit subjektiv

  1. Die Situation des fallenden Apfels lässt aber noch mehr erkennen. Es ist nicht nur ein ‚Raum‘, der sich mit dem Apfel zum Erleben bringt, es ist auch etwas, das wir ‚Zeit‘ nennen.
  2. Wie selbstverständlich sagen wir im Alltag, dass der Apfel ‚zuerst‘ am Baum war, und ‚dann‘, ’später‘ auf dem Boden lag. Wir verfügen (als Menschen) über die Fähigkeit, nicht nur den ‚jeweiligen Augenblick‘ erleben zu können, sondern wir können auch ‚vergangene Augenblicke erinnern‘, weil wir uns Erlebnisse ‚merken‘ können (nicht unbedingt 1-zu-1), und weil wir ‚vergangene Augenblicke‘ erinnern können, können wir zwischen einem ‚aktuellen Augenblick‘ und einem ‚erinnerten Augenblick‘ vergleichen. Im aktuellen Augenblick liegt der Apfel z.B. auf dem Boden, wir können aber erinnern, dass es einen Augenblick gab, da war der Apfel noch am Baum, also ‚vorher‘ an einer anderen Position im Raum als ‚jetzt‘.

Konservierte Zeit

  1. Diese Unterscheidung von ‚vorher‘ und ’nachher‘ relativ zu einem ‚jetzt‘ können wir erleben, weil wir erinnern können. In der Welt des Raumes für sich, ohne das menschliche Erleben, gibt es nur ein Jetzt! Die Raumwelt ist reine Gegenwart, allerdings, wenn man die Gegenwart der Raumwelt ‚lesen‘ kann, dann kann man in der Gegenwart der Raumwelt ‚Hinweise‘ finden, ‚Indizien‘, die auf eine ‚andere (vorausgehende) Gegenwart‘ hindeuten können. In der Gegenwart des Raumes ist die Zeit des Entstehens quasi ‚konserviert‘, ‚eingefroren‘, ‚eingebrannt‘ in die Welt. Die Raumwelt enthält ihre ‚Geschichte‘ quasi ‚in sich selbst‘, ‚an sich‘.
  2. Am Beispiel des fallenden Apfels ‚lernt‘ schon jedes Kind, dass Äpfel, die am Boden liegen, vorher am Baum hingen und dann irgendwann herunter fallen. Wenn also ein Kind einen Apfel liegen sieht, erinnert es sich an die ‚Regel‘ die es gelernt hat, und schließt vom Apfel am Boden mittels dieser Regel darauf, dass es ‚vorher‘ einen Zustand gegeben hat, bei dem der Apfel am Baum war. Mit der gelernten Regel wird der Apfel am Boden zu einem Anzeichen, einem Hinweis, einem Indiz, dass es vorher einen anderen Zustand gegeben hat.
  3. Es war eine große Sternstunde der menschlichen Wissenschaft, als die Geologen — wie jedes Kind — lernten, in der Gegenwart der Erde ‚Spuren‘, ‚Hinweise‘, ‚Indizien‘ zu entdecken, die darauf hindeuteten, dass aktuelle Erdschichten ‚Ablagerungen‘ sind aus vorausgehenden Zeiten, und dass diese Ablagerungen mit ihren spezifischen Eigenschaften Hinweise enthalten auf die Besonderheiten dieser vorausgehenden Zeiten.
  4. So konnten die Geologen durch Vulkane der Gegenwart lernen, wie ihre Ablagerungen aussehen, und dadurch auf Vulkane der Vergangenheit schließen. Durch die Meere der Gegenwart konnte man auf Meere der Vergangenheit schließen, die oft da waren, wo heute Land ist oder gar Wüste. Und sie entdeckten, dass die heutigen Kontinente in Bewegung sind; dass sie vor vielen Millionen Jahren anders angeordnet waren. Dass sich das Klima im Laufe von vielen Milliarden Jahren mehrfach dramatisch geändert hatte; es gab allein in den letzten 2.5 Millionen Jahren abwechselnd 50 Kalt- und Warmzeiten, und insgesamt gab es viele große Eiszeiten mit Dauern von Millionen von Jahren. Dabei schwankte die ‚Höhe‘ des Meeresspiegels um viele hundert Meter. Und vieles mehr.
  5. Parallel zu den Geologen konnten dann auch die Biologen die Funde aus den verschiedenen Ablagerungen verschiedenen Zeiten zuordnen und so schrittweise entdecken, dass die Formen des Lebens sich seit mindestens 3.5 Milliarden Jahre beständig verändert haben. Von unfassbar klein und vielfältig bis immer komplexer, mit großen dramatischen Einbrüchen bedingt durch dramatische Veränderungen der Geologie und des Klimas (Supervulkanausbrüche, Asteroideneinfall auf der Erdoberfläche, lange Eiszeiten, Trockenheiten, …). Seit kurzem können die Biologen auch über die Struktur der Zellen und Moleküle Beziehungen zwischen den verschiedenen Lebensformen über ihre direkte biologische Abstammung aufgrund ihrer ‚Baupläne‘ untersuchen; vorher waren sie allein auf den Körperbau und das Aussehen (den Phänotyp) angewiesen.
  6. Und noch mehr. Parallel zu Geologie und Biologie haben auch die Physiker entdeckt, dass es in der Gegenwart des physikalischen Universums Hinweise auf eine mögliche Vergangenheit gibt. Und, wie so oft, wenn erst einmal eine Entdeckung gemacht wird, zieht diese viele weitere nach sich. Schrittweise konnte man rekonstruieren, dass das Universum sich immer noch ausdehnt, von daher zurück verweist auf einen physikalischen Anfangspunkt, den man ‚Big Bang‘ nannte, von dem aus sich Energie in Teilchen verwandelte, Atome, Moleküle, dazu gigantische Gaswolken, Sternenbildung, Bildung von Galaxien und Superclustern, Neuwerdung von Sternen, aber auch das Sterben von Sternen, Verschmelzung von Galaxien, und vieles mehr.
  7. Zu beachten ist hier, dass die subjektive Zeit des Erlebens und die Zeit der Physik zwei verschiedene Sachverhalte bezeichnen.

Technische Zeit: Uhren

  1. Die subjektive Zeit des Erlebens basiert auf der Erinnerung von vorausgehenden Augenblicken und erlaubt durch Vergleich von aktuellem Jetzt und erinnertem Jetzt eine ‚relative‘ Bestimmung von ‚Vorher‘ und ‚Nachher‘. Dieses ‚Vorher-Nachher‘ lässt sich mit konkreten Objekten und deren Eigenschaften verknüpfen, z.B. auch mit periodischen Vorgängen in unserem Erlebnisraum wie ‚Wachen – Schlafen‘, ‚Tag und Nacht‘, ‚Jahreszeiten‘ oder auch Vorrichtungen zur künstlichen Erzeugung von periodischen Ereignissen, die wir ‚Uhren‘ nennen.
  2. In der Physik gibt es kein ’subjektives Erleben‘ (nur indirekt, über das Erleben der Physiker, das aber ausgeklammert werden soll). Wenn die Physik von ‚Zeit‘ spricht, dann nur als ein theoretischer Begriff innerhalb einer formalen Theorie, die sich mit einer definierten Messprozedur zur empirischen Welt in Beziehung setzen lässt. Und hier gibt es in der Physik mindestens zwei Szenarien.
  3. In dem einen Szenario hat die Physik z.B. die Zeitdauer von ‚1 Sekunde‘ an Eigenschaften einer technischen Vorrichtung gekoppelt, die man ‚Atomuhr‘ nennt. Innerhalb eines bestimmten Genauigkeitsgrades sind alle Atomuhren ‚gleich‘ (andererseits, wenn eine Atomuhr in Nordamerika steht, eine andere in Europa, wieder eine andere in Asien, usw., dann erfordert die Abstimmung der ‚Gleichzeitigkeit‘ eine Kommunikation zwischen den Betreibern der Atomuhren. Diese Kommunikation erfolgt mittels elektromagnetischer Wellen durch die Atmosphäre. Diese Kommunikation ist um Dimensionen langsamer und ungenauer als die Atomuhren selbst. Dennoch sprechen die zuständigen ‚Behörden für die Zeit‘ (meistens die nationalen metrologischen Institute) von einer gleichen Zeit. (Es ist eine interessante Aufgabe, zu verstehen, wie dies möglich ist). Ferner ist zu beachten, dass der Alltag der Menschen primär natürlich nicht von den Atomuhren bestimmt wird, sondern von den Tag-Nacht Perioden und den Jahreszeiten, auf die auch alle Kalender aufbauen. Die Physik muss also ihre Atomuhren-Zeit mit den Erdzeiten abgleichen. Da die Erdzeiten nicht vollständig exakt zu der Atomzeit passen, müssen immer wieder ‚Zeit-Ausgleiche‘ vorgenommen werden. Im Alltag haben wir die Kalender und unsere ‚Normaluhren‘, hinter der Oberfläche haben wir aber eine exakte Atomzeit, die den Physikern hilft, die Zeit des Alltags immer wieder auszutarieren.

Die Zeit des Lichts

  1. Mitten in einem schier unendlich erscheinenden Universums wird das Beobachten zu einem Problem: wenn alles in Bewegung ist, wo ist der gemeinsame, stabile Bezugspunkt? Im Alltag setzen wir voraus, dass die Situation, das Land, die Erde ’stabil‘ genug ist, so dass wir diese Umgebung als gemeinsamen Bezugspunkt benutzen können (Landkarten, Navis, …). Im Universum gibt es aber keinen festen Punkt; alles bewegt sich, auch der Beobachter auf der Erde, die sich um sich selbst dreht, die sich zur Sonne hin unterschiedlich neigt, die sich um die Sonne bewegt, und der Beobachter bewegt sich auf der Erde, vielleicht fliegt er mit einem Flugzeug, einem Raumschiff … Woran soll man sich hier noch festmachen?
  2. Glücklicherweise konnten die Physiker herausfinden, dass das Licht eine konstante Geschwindigkeit c hat (siehe: \url{https://de.wikipedia.org/wiki/Lichtgeschwindigkeit}). Je nach dem umgebenden Medium kann sich diese zwar verringern, aber man kann für jedes Medium ermitteln, wie stark das Licht verlangsamt wird, so dass man am Ende heraus rechnen kann, wie schnell das Licht unterwegs war und ist. Mit diesem Wissen kann man unter Berücksichtigung der verschiedenen Beobachter dann Entfernungen fixieren und eine Gleichzeitigkeit ermitteln. Im mathematischen Konzept der Raum-Zeit hat Einstein diesen Überlegungen mit seiner speziellen Relativitätstheorie (SRT) einen konzeptuellen Rahmen gegeben.
  3. Wie schon angemerkt, kann die Umgebung des Lichts dessen Geschwindigkeit verändern. Eine besondere Beeinflussung geschieht auch durch die sogenannte ‚Gravitation‘, die durch die Masse der Körper aufeinander stattfindet. Die Gravitation kann den Weg des Lichts im Raum beeinflussen, indem es dieses ‚ablenkt‘. Das Licht breitet sich dann nicht ‚gerade‘ aus, sondern wird ‚gebogen‘. Für einen Beobachter bewirkt dies, dass er die Lichtquelle (ein Stern) mit einer anderen Form/ Gestalt wahrnimmt, als sie tatsächlich hat. Um diese besondere Wirkung der Gravitation berücksichtigen zu können hat Einstein dann den begrifflichen Rahmen der speziellen Relativitätstheorie zur allgemeinen Relativitätstheorie (ART) erweitert.  Das Konzept der Raum-Zeit wurde durch den Aspekt der Raum-Zeit-Krümmung erweitert, d.h. man gab dem physikalischen Phänomen der Beeinflussung der Lichtbahn durch die Gravitation eine mathematische Deutung als ‚Krümmung‘ in einem geometrischen Modell.
  4. Obwohl mit der speziellen wie mit der allgemeinen Relativitätstheorie bislang sehr viele physikalische Phänomene ‚erklärt‘ werden konnten, indem man sagen konnte, dass das B, was man im aktuellen Augenblick beobachten kann, von einem vorausgehenden A kommt, und der Weg von A nach B durch die spezielle oder der allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben werden kann, herrscht in der Physik die Überzeugung, dass man noch nicht am Ende der theoretischen Erklärungen angekommen sei, da eine Vereinigung der Quantenphysik und der allgemeinen Relativitätstheorie noch ausstehe.

UND WIR?

  1. Wenn man den Gesprächen der Physiker lauscht, dann kann man ergriffen werden von einem großen Wundern und Staunen über dieses Universum, seinen unfassbaren Dimensionen, die uns umgeben. Zugleich kann es auch nieder schmettern, das Gefühl einer tiefen Verlorenheit erzeugen, wir, auf dieser Erde, so winzig in einer Galaxie, diese so winzig in einem Meer von Galaxien, alles auseinander fliegend … und man selbst so klein, so endlich in der Zeit. Was sind schon 100 Jahre Lebenszeit angesichts dieser Millionen, ja Milliarden von Jahren?

Fortsetzung folgt.

Pausenmusik 🙂

KONTEXT BLOG

Einen Überblick über alle Blogeinträge von Autor cagent nach Titeln findet sich HIER.

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Das aktuelle Publikationsinteresse des Blogs findet sich HIER

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 5

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Das Wunder des Zeichens

Wenn wir zu verstehen beginnen, dass die wunderbare Welt unseres Erkennens im Gehirn stattfindet, das in unserem Körper eingeschlossen getrennt von der Welt existiert, kann sich die Frage stellen, wie denn das Gehirn von Dir und mein Gehirn miteinander kommunizieren können. Wie erfahre ich, was Du willst, und Du, was ich will? Woher kann ich wissen, warum Du diese Handlung gut findest, und wie erfährst Du, warum ich die andere Handlung gut finde?

Diese Fragen zielen auf das Wunder der Koordination zwischen Menschen, aber letztlich auch zwischen Tieren, auch zwischen Pflanzen, ja generell: wieso können biologische Zellen ihr Verhalten koordinieren?

Hier gibt es noch viele Fragen, auf die die Wissenschaften bis heute keine voll befriedigenden Antworten gefunden hat. Auf einige dieser Fragen werde ich weiter unten noch eingehen. Jetzt, hier, in diesem Kapitel, soll es um die Frage gehen, wie wir Menschen die Frage der Kommunikation mittels Sprache — zumindest ansatzweise — gelöst haben.

Auf etwas zeigen

Wenn Menschen mit anderen zusammen am Tisch sitzen und Essen ist es oft so, dass man einen Gegenstand vom Tisch benötigt, der weiter weg steht und man denjenigen bittet, der am nächsten dran sitzt, einem den Gegenstand zu reichen.

Man kann dies tun, indem man mit der Hand, den Fingern, mit dem Gesicht in die Richtung des Gegenstandes deutet und die andere Person ‚erkennt‘ aus der Richtung und dem, was sich auf dem Tisch befindet, was ‚gemeint‘ ist; die andere Person deutet dann vielleicht selbst auf diesen Gegenstand, mit einem fragenden Blick, und wenn es der Gegenstand ist, den man meint, dann nickt man vielleicht, freundlich, mit einem Lächeln, und die andere Person reicht einem den Gegenstand.

In diesem Fall waren es Bewegungen des Körpers und bestimmte Körperhaltungen die in einer konkreten Situation mit Teilen der Situation in Interaktion treten und die, eine andere ‚kooperierenden Person‘ vorausgesetzt, von dieser anderen kooperierenden Person mit bestimmten Teilen der Situation ‚in Beziehung gesetzt‘ werden. Eine Handbewegung ist in diesem Fall nicht einfach eine Handbewegung ‚für sich‘, sondern eine Handbewegung als Teil einer größeren Situation, wo der ‚Andere‘ die Handbewegung mit einem bestimmten Teil der Situation, einem Gegenstand G, in eine ‚Beziehung‘ bringt. Diese Beziehung ist selbst kein realer Gegenstand sondern ist eine der vielen ‚möglichen gedachten Beziehungen‘ im Kopf des Anderen zwischen der beobachteten Handbewegung und den verschiedenen Gegenständen auf dem Tisch. Durch den fragenden Blick will der Andere wissen, ob seine ‚gedachte Beziehung‘ jene Beziehung ist, die der Bittende ‚intendiert‘ (sich vorgestellt, gedacht, …) hatte. Wenn der Bittende bestätigend nickt, dann fühlt der Andere sich ‚bestätigt‘ und nimmt die hypothetische gedachte Beziehung als jene Beziehung, die jetzt in dieser Situation vom Bittenden ‚gemeint‘ ist. Punktuell, kurzfristig wurde also im Raum der vielen Möglichkeiten eine bestimmte mögliche Beziehung als hier und jetzt gewollte gedacht und durch Bewegungen ‚manifestiert‘ (ausgedrückt, mitgeteilt, …).

Wenn wir dieses alltägliche Beispiel verallgemeinern, dann haben wir folgende (theoretische) Zutaten:

  1. Wir haben mindestens zwei Teilnehmer A und B, die ein Kommunikationsspiel spielen.
  2. Wir unterstellen bei jedem Teilnehmer ein Bewusstsein, das einem Teilnehmer ermöglicht, Eigenschaften der Außenwelt W in seinem Bewusstsein ‚hinreichend gut‘ zu ‚repräsentieren‘.
  3. Jeder Teilnehmer hat einen Körper, der von dem anderen wahrgenommen werden kann und der Eigenschaften besitzt, die eine Unterscheidung von Körperhaltungen und Körperbewegungen erlauben.
  4. In der gemeinsam geteilten Situation (als Teil der Außenwelt) gibt es Objekte, die Eigenschaften besitzen, wodurch sie sich voneinander unterscheiden und aufgrund deren sie von den Teilnehmern ‚wahrgenommen‘ werden können.
  5. Wir unterscheiden zwischen der ‚Stimulation‘ der Sinnesorgane in Gestalt von sensorischem Input I durch die Objekte OBJ der Außenwelt (als $latex stim: SIT \times OBJ \longmapsto I$) und der eigentlichen Wahrnehmung als Ergebnis der internen Verarbeitung der Stimulation I in bewusste Perzepte P (als $latex perc: I \times IS \longmapsto IS \times P$) (‚IS‘ steht für irgendwelche internen Zustände, die bei diesem Prozess auch noch eine Rolle spielen.). Dies berücksichtigt, dass die gleichen Außenweltreize von verschiedenen Anderen unterschiedlich verarbeitet werden können.
  6. Objekte in der Außenwelt werden — auf unterschiedliche Weise — so wahrgenommen, als ob sie sich in einem dreidimensionalen Raum befinden. Dies bedeutet, eine Situation hat eine ‚Raumstruktur‘, in der die Objekte in bestimmten Positionen und Lagen vorkommen. Dadurch ergeben sich zwischen den Objekten charakteristische räumliche Beziehungen. Während die Stimulation der Sinnesorgane diese räumlichen Strukturen partiell ‚vereinfacht‘, kann die Wahrnehmung mit Unterstützung des Gehirns daraus partiell räumliche Strukturen ‚zurückrechnen‘.
  7. Wenn zwei Gegenstände sich im Raum der Außenwelt so befinden, dass wir sie wahrnehmen können (z.B. eine Schüssel auf dem Tisch und eine Hand, die in diese ‚Richtung‘ deutet), können wir außer der räumlichen Beziehung auch andere mögliche Beziehungen (z.B. eine ‚Zeigebeziehung‘) wahrnehmen. Diese Beziehungen existieren als mögliche ‚gedachte Beziehungen‘ im Bewusstsein eines Teilnehmers. Ein Teilnehmer kann sich unendlich viele Beziehungen denken.
  8. Dass ein Anderer A zwei Objekte der Außenwelt mit einer ‚gedachten Beziehung‘ verbinden kann, die der Bittende B in seinem Bewusstsein ’sich vorstellt’/ ‚denkt‘, setzt ferner voraus, dass es zwischen der Wahrnehmung und dem ‚Vorstellen’/ ‚Denken‘ zwischen A und B hinreichend viel ‚Ähnlichkeit‘ gibt. Könnte ein A grundsätzlich sich nicht jene ‚Beziehungen‘ ‚vorstellen‘, die sich B vorstellt, wenn er mit seiner Hand in Richtung eines bestimmten Gegenstands (z.B. der einen roten Schüssel …) deutet, dann könnte B so viel deuten wie er will, der Andere A würde sich einfach nicht vorstellen

Nach dieser — noch immer vereinfachenden — Darstellung des Sachverhalts, können wir uns dem Begriff des Zeichens zuwenden.

Der Begriff des Zeichens

Mit dieser Frage gerät man in den Bereich der allgemeinen Wissenschaft von den Zeichen, der Semiotik (Anmerkung: Die Geschichte der Semiotik ist lang und vielschichtig. Einen guten Überblick bietet Winfried Noeth in seinem ‚Handbuch der Semiotik‘ von 2000, publiziert von J.B. Metzler (Stuttgart/Weimar)). Obwohl es je nach Zeit und Denkmode sehr unterschiedliche Formulierungen gibt, kann man eine Kernstruktur erkennen, die sich in allen unterschiedlichen Positionen durchhält.

Allerdings sollte man sich vorab klar machen, ob man — wie es historisch zunächst der Fall war — den Begriff des Zeichens primär durch Bezugnahme auf den Raum des Bewusstseins charakterisieren will, oder durch Bezugnahme auf das beobachtbare Verhalten (wie es die empirischen Wissenschaften favorisieren).

Der berühmteste Vertreter einer bewusstseinszentrierten Vorgehensweise ist Charles Sanders Peirce (1839 – 1914). Für den verhaltensorientierten Ansatz einflussreich war Charles William Morris (1901 – 1979). Eine Kombination aus bewusstseinsbasierten und verhaltensorientierten Aspekten bietet Ferdinand de Saussure (1857 – 1913).

Der Gebrauch eines Zeichens setzt — wie zuvor — eine Kommunikationssituation voraus mit mindestens zwei Teilnehmern, die mit ihren Körpern in der Situation anwesend sind und über hinreichend gleiche Körperstrukturen für Wahrnehmung und Denken verfügen.

Am Beispiel der Situation des Essens möchte ich die rote Schüssel mit dem Nachtisch gereicht bekommen; diese steht nicht in meiner Griffweite. Ich sehe meine Schwester Martina so sitzen, dass Sie mir die Schüssel reichen könnte. Ohne Sprache könnte ich nur mit Handbewegungen und Gesichtsausdrücken versuchen, ihr klar zu machen, was ich möchte. Mit Sprache könnte ich Laute erzeugen, die als Schallwellen ihr Ohr erreichen und sagen würden ‚Hallo M, kannst Du mir bitte mal die rote Schüssel reichen?‘. Sofern meine Schwester Deutsch kann (was der Fall ist), wird sie diese Schallwellen in ihrem Kopf so ‚übersetzen‘, dass sie einen Bezug herstellt zu ihrer Wahrnehmung der roten Schüssel, zur Wahrnehmung von mir, und wird eine Aktion einleiten, mir die Schüssel zu reichen.

Der gesprochene Satz ‚Hallo M, kannst Du mir bitte mal die rote Schüssel reichen?‘ als ganzer stellt ein Ausdrucksmittel dar, bildet ein Material, mittels dessen ein Sprecher (in dem Fall ich), einen Hörer (in dem Fall meine Schwester) in die Lage versetzt, nur aufgrund des Schalls einen Bezug zu einem realen Objekt herzustellen und dieses Objekt in eine Handlung (mir das Objekt rüber reichen) einzubetten. Meine Schwester als Hörerin ist damit interpretierend tätig; sie stellt aktiv eine Verbindung her zwischen dem gehörten Schall und Elementen ihrer Wahrnehmung der Situation. Diese Interpretation befähigt sie, eine Handlung zu planen und auszuführen.

Rein verhaltensorientiert kann man sagen, dass die gesamte sprachliche Äußerung ein Zeichenmaterial darstellt, das vom Hörer intern ‚verarbeitet‘ wird, was zu einer bestimmten Handlung führt (die rote Schüssel reichen). Der Hörer nimmt hier eine Interpretation (Int) vor, durch die der Schall, das Zeichenmaterial (ZM) in Beziehung gesetzt wird zu etwas Wahrgenommenem; dies führt wiederum zu einer beobachtbaren Handlung, die damit zur Bedeutung (M) des Zeichenmaterials wird: $latex Int: ZM \longmapsto M$. Anders ausgedrückt, das Gesagte, der Sprachschall, bekommt durch diesen Zusammenhang eine neue Funktion; der Schall steht nicht mehr nur ‚für sich alleine‘, sondern es spielt eine Rolle in einer Beziehung. Damit wird das an sich neutrale Schallereignis zu einem ‚Zeichen‘. Ein Hörer verwandelt mit seiner Interpretation ein an sich neutrales Ereignis in ein Zeichen für etwas anderes, was man die Bedeutung des Zeichens nennt.

Als Wissenschaftler kann man hier weiter verallgemeinern und den Hörer als ein Input-Output-System betrachten mit dem Sprachschall und den visuellen Wahrnehmungen als Input I und dem beobachtbaren Verhalten als Output O und der Interpretation Int als Verhaltensfunktion $latex \phi$, geschrieben $latex \phi: I \times IS \longmapsto IS \times O$

Interpretieren

Wer die Thematik ‚Zeichen‘, ‚Semiotik‘, ‚Sprache‘, Sprachverstehen‘ usw. ein wenig kennt, der weiß, dass wir uns damit einer Materie genähert haben, die sehr umfangreich und beliebig kompliziert ist, so kompliziert, dass fast alle wirklich interessanten Fragen noch kaum als gelöst bezeichnet werden können. Ich beschränke mich daher hier nur auf einige Kernpunkte. Nach Bedarf müssten wir das vertiefen.

Wie man an dieser Stelle ahnen kann, ist der Vorgang des Interpretierens das eigentliche Herzstück des Zeichenbegriffs. Hier geschieht die Zuordnung zwischen gehörtem Schall (oder gelesenem Text, oder gesehenen Gesten, oder …) zu anderen bekannten Wissensinhalten, vorzugsweise zu Wahrnehmungselementen der aktuellen Situation. Will man die Details dieses Interpretationsprozesses beschreiben, hat man mit einem verhaltensbasierten Ansatz ein Problem: alles, was sich im ‚Innern‘ eines biologischen Systems abspielt, ist zunächst nicht beobachtbar. Da hilft es auch nicht, wenn man heute einen Körper ‚aufmachen‘ kann und Körperorgane, Zellen, Prozesse in den Zellen untersuchen kann. Schaltzustände von Zellen, speziell Gehirnzellen, sagen als solche nichts über das Verhalten. Es sei denn, man ist in der Lage, explizit einen Zusammenhang zwischen den Zuständen von Gehirnzellen und beobachtbarem Verhalten herzustellen, was in der Neuropsychologie zur Methode gehört. Ähnlich könnte man bei der expliziten Parallelisierung von beobachtbarem Verhalten und rein subjektiven Phänomenen vorgehen oder eine explizite Parallelisierung zwischen Aktivitäten von Gehirnzellen (oder auch anderer Zellen) mit rein subjektiven Phänomenen.

Die verhaltensbasierte empirische Psychologie hat in zahllosen Modellbildungen gezeigt, wie man auf der Basis von Verhaltensdaten empirisch kontrollierte Hypothesen über mögliche Verarbeitungsmechanismen im System formulieren kann. Wieweit diese Modelle sich im Rahmen von neuropsychologischen Studien in der Zukunft bestätigen lassen oder diese modifiziert werden müssen, das wird die Zukunft zeigen.

Abstraktionen – Allgemeinbegriffe

Wenn wir mittels sprachlicher Ausdrücke Gegenstände unserer Alltagswelt ansprechen, benutzen wir fast ausnahmslos sogenannte Allgemeinbegriffe. Ich frage nach der ‚Schüssel‘ wohl wissend, dass es hunderte von Gegenständen geben kann, die konkret verschieden sind, die wir aber alle als ‚Schüssel‘ bezeichnen würden; desgleichen mit Ausdrücken wie ‚Tasse‘, ‚Flasche‘, ‚Tisch‘, Stuhl‘, usw.

Indem wir sprachliche Ausdrücke benutzen machen wir stillschweigend Gebrauch von der Fähigkeit unseres Gedächtnisses, dass alles, was wir gegenständlich wahrnehmen, ‚verallgemeinert‘ wird, d.h. von Details abgesehen wird und Kerneigenschaften abstrahiert werden (die Philosophen sprechen auch von Kategorisierung, der Bildung von Kategorien; eine andere Bezeichnung ist das Wort ‚Klasse‘). Dies geschieht offensichtlich unbewusst, ‚automatisch‘; unser Gedächtnis arbeitet einfach so, stillschweigend, lautlos. Was immer wir wahrnehmen, es wird in ein abstraktes Konzept ‚übersetzt‘, und alles, was zukünftig diesem Konzept ‚ähnlicher‘ ist als anderen Konzepten, das wird dann diesem Konzept zugerechnet. Ein gedankliches Gegenstandskonzept kann auf diese Weise für viele hundert unterschiedliche konkrete Gegenstände stehen. Und die Sprache braucht immer nur ein einziges Wort für ein solches abstraktes Gegenstands-Konzept.

Im konkreten Fall (wie z.B. dem Essen) ist die Verständigung meist einfach, da vielleicht nur eine einzige Schüssel auf dem Tisch steht. Wenn nicht, dann haben diese Schüsseln eventuell eine unterscheidende Eigenschaft (anhand ihrer räumlichen Position, Farbe, Größe, Inhalt, …). Die Schüssel ’neben‘ …, die ‚rote‘ Schüssel…, die ‚kleine weiße Schüssel‘ …, die Schüssel mit dem Reis ….

Wenn wir den Interpretationsprozess genauer beschreiben wollen, dann müssten wir diese Abstraktionsprozesse und ihre Anwendung in die Theoriebildung mit einbeziehen.

Diese Abstraktionsprozesse finden wir nicht nur bei ‚Gegenständen‘, sondern auch bei der Lautwahrnehmung. Wen wir ein gesprochenes Wort wie ‚Tasse‘ hören, dann hören wir dieses gesprochene Wort auch dann, wenn es schneller, langsamer, höher, tiefer, lauter oder leiser usw. gesprochen wird. Alle diese verschiedenen Äußerungsereignisse sind physikalisch sehr unterschiedlich und die moderne Sprachtechnologie hat viele Jahrzehnte gebraucht, um ‚in den meisten Fällen‘ das ‚richtige‘ Wort zu erkennen. Wir Menschen gehen mit diesen vielen unterschiedlichen Realisierungen vergleichsweise mühelos um. Auch hier verfügt unser Wahrnehmungs- und Gedächtnissystem über sehr leistungsfähige Abstraktionsprozesse, die zur Ausbildung von Lautkategorien und dann Wortklassen führen.

Wechselwirkungen zwischen Kategorien und Sprache

Damit finden wir auf der untersten Ebene des sprachlichen Zeichengebrauchs zwei selbständige Abstraktions- und Kategoriensysteme (Laute, Gegenstände), die im Zeichengebrauch zusammen geführt werden. Bevor Kinder diese beiden Systeme nicht meistern, können sie nicht wirklich Sprache lernen. Wenn sie es aber geschafft haben, diese Laut- und Gegenstandskategorien in sich zu realisieren, dann explodiert ihr Sprachlernen. (Anmerkung: Für einen Überblick siehe: Language development. Besonders aufschlussreich sind die empirischen Daten zur Entwicklung der Lautbildung, des Bedeutungserwerbs und der Grammatik. Umfassendere Theoriebildungen sind meist sehr spekulativ.)

Eine oft diskutierte Frage ist, in wieweit die Kategorienbildung bei den Gegenständen unabhängig ist von der Korrelation mit den Laut- und Wortkategorien (Anmerkung: Siehe einen Überblick zum Streit über die Sapir-Whorf-Hypothese.). Sofern diese Abstraktionsprozesse in genetisch bedingten Verarbeitungsprozessen gründen (wie z.B. der Farbwahrnehmung) darf man davon ausgehen, dass die sprachlichen Besonderheiten diese grundsätzlichen Kategorienbildung im Gegenstandsbereich nicht verändern, höchstens unterschiedlich nutzen. Für das gemeinsame Erlernen von Sprache bildet die Unabhängigkeit der vorsprachlichen Kategorienbildung eine Voraussetzung, dass eine Sprache gelernt werden kann. Gibt es hier Abweichungen (Anmerkung: wie z.B. bei Farbblindheit, generell Sehstörungen oder gar Blindheit, bei Taubheit, bei Störungen der Sinneswahrnehmungen, usw.), dann wird das gemeinsame Erlernen von Sprache in unterschiedlichen Graden erschwert bzw. eingeschränkt.

Bedeutung als Werden

Man kann erkennen, dass schon auf dieser untersten Ebene des Sprachgebrauchs Menschen, obgleich sie das gleiche Wort benutzen (wie ‚Flasche‘, ‚Tasse‘, …), damit ganz unterschiedliche Dinge verbinden können, je nachdem welche konkreten Gegenstände sie im Laufe ihrer Lerngeschichte sie wahrnehmen konnten. Je weiter sich diese Gegenstände von einfachen Alltagsgegenständen entfernen und komplexere Gegenstände benennen wie Tätigkeiten (‚Autofahren‘, ‚Einkaufen‘, ‚Reparieren‘, ..), komplexe Situationen (‚Parkhaus‘, ‚Jahrmarkt‘, ‚Sportveranstaltung‘, …) oder komplexe Organisationen (‚Gemeindeverwaltung‘, ‚politische Partei‘, ‚Demokratie‘, …), umso vielfältiger und umso unschärfer (‚fuzzy‘) werden die damit eingeschlossenen konkreten Eigenschaften. So wunderbar die Verfügbarkeit von abstrakten Begriffen/ Klassen/ Kategorien/ Allgemeinbegriffen den Gebrauch von Sprache vereinfacht, so trügerisch können diese Begriffe sein. 10 Menschen benutzen das Wort ‚Gott‘ und jeder versteht damit möglicherweise etwas ganz anderes.

Der Aufbau einer gemeinsam geteilten Bedeutungswelt ist in keiner Weise ein ‚Selbstgänger‘; langer Atem, gemeinsame Anstrengungen, Abstimmungen, Abgleiche, viel Kommunikation ist notwendig, um Verstehen zu ermöglichen, Missverständnisse zu verringern und bewusster Manipulation entgegen zu treten.

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5

VORGESCHICHTE

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist.
2. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln.
3. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas.
4. Im nächsten Abschnitt VICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken . Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs.

BEGRIFFSINFLATION

5. Im nächsten Abschnitt führt er mindestens fünf neue technische Begriffe ein, deren Erklärung partiell unvollständig bleibt. Dies ist sehr schade. Aber, versuchen wir zu verstehen, was noch verstehbar ist.
6. Es sind die Begriffe ‚Genus‘ (Gattung?), ‚Spezies‘ (Art?), Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, und den Begriff ‚Kategorie(n)‘.
7. Er beginnt die Diskussion mit der ‚universellen Bedeutung‘, von der er behauptet, man könne hier 5 Typen unterscheiden (ohne sie direkt anzugeben). Drei Typen von universellen Bedeutungen seien ‚wesentlich‘ und zwei ’nicht-wesentlich‘, also ‚akzidentell‘.
8. Seine Erklärungen zu den ‚wesentlich universellen‘ Bedeutungen wiederholt in gewisser Weise das bislang Gesagte, indem er das Klassifizierungsmerkmal als Frage formuliert: ‚Zu welcher Art Y von Dingen gehört eine Entität X‘? Die Antwort wäre allgemein: ‚X ist ein Y‘, eventuell noch ergänzt um charakteristische Eigenschaften wie ‚Y ist/ hat/kann … Z‘. Letztlich ist dies, wie Avicenna feststellt, eine Definition, bei der etwas Neues (das X) durch Bezugnahme auf etwas schon Bekanntes (Y) erklärt wird. Y ist eine notwendige Voraussetzung für X.
9. Als Beispiel führt er u.a. an, Frage: ‚Was ist ein X=Mensch?‘, Antwort: ‚X=Mensch ist ein Y=Lebewesen‘ (‚animal‘).
10. Allerdings benutzt er auch Beispiele, die von dem ‚üblichen‘ Konzept eines Dings (einer ‚Entität‘ (engl.: ‚entity‘)) abweichen. Statt von ‚Mensch‘, ‚Kuh‘ und ‚Pferd‘ spricht er auch von ‚Schwarzheit‘, ‚Rotheit‘ und ‚Weisheit‘ bzw. auch von ‚Drei‘, ‚Fünf‘ und ‚Zehn‘.
11. Bedeutungen X = {‚Schwarzheit‘, ‚Rotheit‘, ‚Weisheit‘} beantwortet er mit Y=Qualitäten. Bedeutungen X = {‚Drei‘, ‚Fünf‘, ‚Zehn‘} beantwortet er mit Y=Zahlen.
12. Etwas später benutzt der die Bedeutungen ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘ als universelle Begriffe für die ersten Beispiele, so dass man lesen kann/ muss Wenn X= {‚Mensch‘, ‚Kuh‘ und ‚Pferd‘}, dann Y= ‚Substanz‘, wenn X = {‚Schwarzheit‘, ‚Rotheit‘, ‚Weisheit‘} dann Y=Qualität, wenn X = {‚Drei‘, ‚Fünf‘, ‚Zehn‘} dann Y=Quantität.
13. Von den ‚wesentlichen universellen‘ Begriffen ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘ sagt Avicenna, dass sie sich nicht weiter verallgemeinern lassen, d.h. wenn X=Substanz, dann gibt es kein allgemeineres Y, auf das sich dieser universelle Begriff zurückführen lässt (und entsprechend für X=Qualität‘ und X=Quantität). Deshalb nennt Avicenna diese universellen Begriffe, die wesentlich keinen anderen universellen Begriff mehr ‚über sich‘ haben, ‚Kategorien‘, ohne dass er diesen Zusammenhang explizit benennt; er tut es einfach.
14. Als Beispiele für ‚akzidentelle universelle‘ Begriffe führt er an, dass ‚fest‘ (engl.: ’solid‘) allgemeiner sei als ‚Lebewesen‘, aber spezieller als ‚Substanz‘; entsprechend sei ‚Zahl‘ allgemeiner als ‚gleich‘ (engl.: ‚even‘), aber spezieller als ‚Quantität‘. ‚Gleichheit (engl.: ‚eveness‘) sei allgemeiner als ‚vier‘, doch spezieller als ‚Quantität‘.
15. Dann führt er die Begriffe ‚Genus‘ und ‚Spezies‘ ein mit der Formulierung, dass dasjenige, das allgemeiner ist, die speziellere Spezies sei, und umgekehrt, dass dasjenige, was das speziellere Universelle ist, ist die allgemeinere Spezies. Diese Formulierungen sind nicht eindeutig.
16. Später sagt er noch, dass es Dinge gibt, die sowohl Genus und Spezies sein können oder Dinge, die nur Genus sind, und nicht unter irgendeiner Spezies sind.
17. Dann folgt die Feststellung, dass die Begriffe ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘ kein Genus einer Spezies seien; unter ihnen befinden sich nur Instanzen wie ‚Mensch‘, ‚Schwarzheit‘ und ‚vier‘.
18. Aus diesen Beispielen folge die Natur einer Spezies, die kein Genus sein kann, sondern nur Spezies von allen Spezies, die ‚unter‘ ihr kommen.
19. Instanzen eines wesentlichen universellen Begriffs können sich durch akzidentelle Eigenschaften unterscheiden (z.B. angenommen {X1, X2} sind beide Y und X1 ist ’schwarz‘ und X2 ‚weiß‘ und ’schwarz‘. Dann ist die Eigenschaft ’schwarz‘ allgemeiner als X1 und X2, ’schwarz‘ kommt X1 und X2 nicht wesentlich, sondern akzidentell zu, kann aber differenzierend wirken.
20. Abschließend führt Avicenna noch folgende Beispiele an: Jeder universelle Begriff ist entweder Genus, so wie ‚Lebewesen‘, oder Spezies, so wie ‚Mensch‘, oder Differenz, so wie ‚die Fähigkeit zu Sprechen‘, oder ‚allgemein akzidentell‘ so wie ‚Bewegung‘, ‚Schwarzheit‘, ‚Weisheit‘.

INTERPRETATION- ANMERKUNGEN

21. War die Re-Lektüre und einsetzende Interpretation von Avicennas Text bis zu dieser Stelle relativ einfach, so zeigen sich jetzt erste Problemstellungen, die man nicht mehr so einfach ‚verworten‘ kann.
22. Einmal gibt es das Phänomen, dass er Begriffe einführt und benutzt, die nicht – zumindest auf einen ersten Blick – direkt erklärbar sind. Dann werden Zusammenhänge thematisiert, wo man sich die Frage stellen kann, ob er dies wirklich ‚gemeint‘ haben kann oder, falls ja, wie man damit umgehen will.
23. Dies gibt Gelegenheit, kurz ein paar Worte zum ‚Interpretieren‘ zu sagen. Ich werde dabei nicht auf die sehr umfangreiche Literatur zu diesem Thema eingehen (im Bereich Philosophie, Literatur und wissenschaftliche Bibelauslegung gibt es dazu nicht hunderte, sondern sicher tausende von Artikeln und Büchern. Einiges davon musste ich zu früheren Zeiten durcharbeiten). Ich beschränke mich hier auf jene Grundprinzipien, die ich hier anwenden möchte.
24. Die philologischen Fragen, ob die englische Übersetzung hier den arabischen Text korrekt wiedergibt, oder ob gar der arabische Text Überlieferungsfehler aufweist, kann ich hier nicht behandeln. Ich muss den Text nehmen, wie ich ihn vorfinde, und wenn sich für mich Unklarheiten ergeben, kann ich sie nur benennen und versuchen sie zu interpretieren.
25. Was die ‚Interpretation‘ (Auslegung, Deutung, …) des Textes angeht, so gibt es ja mindestens zwei verschiedene Ansprüche: (i) man will die ‚Bedeutung‘ rekonstruieren, die der Autor selbst mit dem verknüpft hatte (also eine Art ‚konservierende‘ Interpretation), oder (ii) man will die Bedeutung des Autors (des Textes) in einem anderen/ neuen Bedeutungsrahmen ‚rekonstruieren‘, ihn quasi von Bedeutungsraum R_Autor in den Bedeutungsraum R_Leser ‚übersetzen‘.
26. Beide Vorgehensweisen haben ihr Recht. Die ‚konservierende‘ Rekonstruktion ist idealerweise eigentlich der erste Schritt und die Voraussetzung für die ‚Neuinterpretation‘. Es ist aber eine offene Frage, ob ein Leser immer und überall über genau die Voraussetzungen in seinem Denken verfügt, dass er den ursprünglichen Bedeutungsraum R_Autor überhaupt eins-zu-eins rekonstruieren kann. Nach ca. 1000 Jahren, die uns von Avicenna trennen, ist es sogar ziemlich unwahrscheinlich, dass wir dies überhaupt noch können.
27. Hier, in dieser Rekonstruktion, werde ich erst gar nicht versuchen, den ursprünglichen Bedeutungsraum R_Autor zu rekonstruieren, da ich niemals wüsste, ob ich mit meinen Überlegungen ‚richtig‘ liege oder nicht. Dies Referenzproblem haben alle wissenschaftlichen Rekonstruktionen alter Texte (dies gilt natürlich auch für das hebräische Alte Testament, das griechische Neue Testament und den arabischen Koran).
28. Im weiteren Verlauf werde ich also die bisherigen Rekonstruktionsannahmen weiter verfolgen. Letztlich ist es eine Art ‚Test‘, ob und wie sich der Text von Avicenna in einem modernen erkenntnistheoretischen Modell ’neu lesen‘ lässt.

DISKUSSION

29. Bisher haben wir folgende allgemeine Annahmen bei der Rekonstruktion des Textes von Avicenna getroffen:
30. Die Ausdruckselemente E einer Sprache L sind nur ‚Zeiger‘, die auf irgendwelche kognitiven Objekte O hindeuten, die im Rahmen der generierten Zeigebeziehung M für die Ausdruckselemente E zu dem werden, was wir ihre Bedeutung nennen.
31. Die kognitiven Objekte O entstehen in einem Erzeugungsprozess, der Eigenschaften X der umgebenden Welt W über sinnliche Wahrnehmungsprozesse perc() und interne Abstraktionsprozesse $latex \alpha$ als irgendwelche Objekte O klassifiziert. Man könnte von daher auch sagen $latex \kappa = perc \otimes \alpha$, oder $latex \kappa(X, O) = O$.
32. Wir hatten ferner noch unterschieden zwischen ‚echten‘ Objekten, d.h. solchen Bündelungen von Objekten, die als solche in der umgebenden Welt W ‚vorkommen‘ und und solchen ‚unechten‘ Objekten, die zwar gebildet werden können, die aber immer nur ‚als Teil anderer Objekte‘ auftreten können. Die Definition von ‚wesentlich universellen Objekten‘ von Avicenna deckt sich mit dem Konzept ‚echter Objekte‘ und Avcennas Definition von ‚akzidentellen universellen‘ Objekten deckt sich mit den unechten Objekten, die anderen Objekten zukommen können, aber nicht müssen.

DISKUSSION – KATEGORIEN

33. Avicenna führt dann indirekt das Konzept von ‚(wesentlichen universellen) Kategorien‘ ein, die ich indirekt rekonstruiert habe als solche ‚wesentlich universellen Objekte‘, ‚über die‘ es keine weiteren Verallgemeinerungen mehr gibt. Da er es nur bei einzelnen Beispielen belässt ohne wirkliche Argumentationen bleibt hier einiges offen.
34. Die genannten drei Kategorien erscheinen wie eine Art ‚Meta-Klassifikation‘ über allen möglichen Objekten, so eine Art ‚Typisierung‘ der verschiedenen möglichen Objektbildungen. Versucht man im Bereich der Objektklassifikationen kriterien zu finden, welches Objekt zu welcher Kategorie gehört, wird es aber schnell schwierig.
35. Kategorie ‚Substanz‘: Wann ist ein Objekt eine ‚Substanz‘ und wann ‚Qualität‘ oder ‚Quantität‘? Ein erster Ansatzpunkt wäre zu sagen, dass alle ‚echten‘ Objekte ‚Substanzen‘ sind und alle ‚unechten‘ Objekte ‚Qualitäten‘. Was aber wäre dann mit den ‚Quantitäten‘? Die ‚Anzahl‘ von Objekten (echten wie unechten) ist ja keine ‚Eigenschaft an sich‘, sondern ist eher eine ‚Metaeigenschaft‘, die man vorhandenen (real oder gedachten) Objekten zuordnen kann. Im Vergleich zu Farben, Formen, Tönen usw., die auf Sinneseigenschaften aufsetzen, ist ‚Quantität‘ als Metaeigenschaft eine abgeleitete, sekundäre, abstrakte Eigenschaft, so wie z.B. auch ‚größer/ kleiner‘, ‚vorher/ nachher‘, ‚vorne/ hinten, ‚oben/ unten‘, usw. In allen genannten Fällen gibt es schon irgendwelche Objekte, zwischen denen räumliche, zeitliche – oder sonstige – allgemeine Beziehungen erkennbar sind. Diese indirekten, sekundären, abgeleiteten Beziehungen bilden dann eine eigene Klasse von ‚abstrakten‘ Eigenschaften, von denen die ‚Quantitäten‘ nur eine Teilmenge wären. Wenn also Avicenna schon die Kategorie ‚Quantität‘ bemüht, warum nicht auch ‚Raum‘ und ‚Zeit‘?
36. Alle diese Überlegungen zu ‚Kategorien‘ als zusätzliche Meta-Klassifikationen der generierbaren Objekte setzen allerdings voraus, dass es möglich ist, im Bereich der Objekthierarchie für alle Objekte O solche ‚Kontexte‘ annehmen zu können, durch die sie bzgl. ‚Substanz‘, ‚Qualität‘, ‚Quantität‘, ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ charakterisierbar werden. Im bisher verfolgten Modell würde dies bedeuten, dass Objekte nicht nur über ihre ‚direkten‘ sensorischen Eigenschaften $latex K_{s}$ generiert werden, sondern sie werden von vornherein auch mit minimalen ‚Raumanteilen‘ bzw. in bestimmten ‚Abfolgen‘ ‚gespeichert‘ bzw. sind sensitiv bzgl. Abfolgen ‚erinnerbar‘.

DENKEN ALS KOGNITIVE EVOLUTION

37. Oder, wenn schon, dann noch allgemeiner: der gesamte Objekterzeugungsprozess $latex \kappa$ mus so beschaffen sein, dass er die fundamentalen Eigenschaften X der umgebenden Welt so in die Objekthierarchie übersetzt, dass (i) echte und unechte Objekteigenschaften hinreichend erhalten bleiben können, dass (ii) räumliche und zeitliche Verhältnisse hinreichend repräsentiert werden können, dass (iii) quantitative Verhältnisse erzeugt werden können (z.B. Aufzählungen und Äquivalenzklassen), dass (iv) neben den Eigenschaften, die ‚gegeben‘ sind (IST, real), auch ’neue‘ Kombinationen erzeugt werden können (Möglichkeit, Potenz, kombinatorischer Raum), und dass (v) neue Kombinationen (Möglichkeiten) mit dem ‚realen Raum‘ verglichen werden können.
38. Sofern dies möglich ist (und alles, was wir über das menschliche Denken heute wissen, bestätigt dies), kann man dann diese Art von Denken als Fortsetzung der biologischen Evolution im Bereich des Denkens (quasi als kognitive Evolution) betrachten, d.h. die biologische Evolution hat – mit ihrem kombinatorischen genetischen Mechanismus – Strukturen geschaffen (Körper mit Gehirn), die in der Lage sind, die an die materiellen Strukturen gebundene Kombinatorik neuer Lebensformen über die Neuronennetze zu dynamisieren, zu beschleunigen, zu flexibilisieren. Mit der Kombinatorik des neuronalen Denkens konnte die biologische Evolution der Entwicklung neuer, leistungsfähigerer Lebensformen einen gewaltigen Schub im einzelnen Organismus verleihen; durch die Möglichkeit symbolischer Kombination können sich die neurologisch erzeugbaren neuen Denkräume zusätzlich direkt miteinander verschränken und die Entwicklung neuer Lebensformen in bis dahin ungeahnte Dimensionen katapultieren.
39. Doch zurück zur vorliegenden Interpretationsaufgabe.

GENUS – SPEZIES

40. Bislang haben wir ansatzweise eine Rekonstruktion des Konzeptes von ‚Kategorien‘ als Meta-Klassifikationen im Bereich der dynamischen Objekthierarchie.
41. Unklar, da widersprüchlich, bleibt bei Avicenna die Verwendung der Begriffe ‚Genus‘ und Spezies‘. Eine erste, einfache, und nachvollziehbare Interpretation wäre die, jedes Objekt als ein ‚Genus‘ zu bezeichnen, das ‚Instanzen‘ besitzt, denen ‚differenzierende‘ Eigenschaften zukommen (wie auch die verschiedenen Genus-Objekte sich voneinander durch Eigenschaften unterscheiden). ‚Spezies‘ wären dann jene voneinander abgrenzbaren Instanzen (vgl. auch Carl von Linné (1707 – 1778), sein Werk ‚Systema Naturae‘), die einem Genus ‚untergeordnet‘ wären. Allerdings kommen die Begriffe ‚Genus‘ und ‚Spezies‘ im Text mehrfach in Verwendungen vor (z.B. auch als ‚Spezies der Spezies‘), die sich – aus meiner Sicht – einer schlüssigen Interpretation entziehen.

ALLGEMEINE UND SPEZIELLE AKZIDENZ

42. Mit den Begriffen ‚allgemeine‘ und ’speziellen‘ Akzidenzien verhält es sich ähnlich: es gäbe eine einfache, nachvollziehbare Interpretation, aber diese deckt nicht alle Verwendungsweisen dieser Begriffe ab.
43. Ausgangspunkt sind ja nicht-zusammengesetzte Ausdrücke mit einer universellen Bedeutung, bei der zwischen ‚wesentlichen‘ und ‚akzidentellen‘ unterschieden wurde. Die ‚akzidentellen universellen Begriffe wurden zuvor schon als ‚unechte Objekte‘ rekonstruiert, die niemals isoliert auftreten können, sondern immer nur als Teile von echten (wesentlichen universellen) Objekten. Insofern sind sie ‚akzidentell‘ und eine informelle abkürzende Redeweise könnte sie als ‚Akzidentien‘ bezeichnen, verstanden als Eigenschaften, die bei einem Objekt auftreten können, aber nicht müssen.
44. Wäre zu klären, was ‚allgemeine‘ von ’speziellen‘ Akzidenzien unterscheidet. Hier nochmals die Beispiele aus dem Text, wonach ‚fest‘ (engl.: ’solid‘) allgemeiner sei als ‚Lebewesen‘, aber spezieller als ‚Substanz‘; entsprechend dass ‚Zahl‘ allgemeiner sei als ‚gleich‘ (engl.: ‚even‘), aber spezieller als ‚Quantität‘, und schließlich dass ‚Gleichheit (engl.: ‚eveness‘) allgemeiner sei als ‚vier‘, doch spezieller als ‚Quantität‘.
45. Die Eigenschaft ‚fest‘ ist nach bisheriger Rekonstruktion klar ein unechtes Objekt, d.h. eine akzidentelle Eigenschaft, die als Teil von echten Objekten auftreten kann. Zu sagen, dass diese akzidentelle Eigenschaft allgemeiner sei als ‚Lebewesen‘, aber spezieller als ‚Substanz‘, macht nicht unbedingt Sinn, genauso wenig wie es Sinn machen würde, Hühner mit Grashalmen zu vergleichen. Es sei denn, es gäbe einen ‚übergreifenden Aspekt‘, auf den sich beide, die Hühner und die Grashalme, beziehen lassen würden.
46. Ich kann in diesem Zusammenhang keinen solchen übergreifenden Gesichtspunkt erkennen. Bestimmte akzidentelle Eigenschaften können bei Objekten auf verschiedenen Stufen der Objekthierarchie auftreten. Hier ein Beziehungsgeflecht zwischen den Eigenschaften konstruieren zu wollen überzeugt mich nicht.

ALLGEMEINE EINSCHÄTZUNG

47. Schon an dieser Stelle der Relektüre von Avicennas Logik deutet es sich an, dass Avicenna viele seiner technischen Begriffe nur unzulänglich erklärt und voneinander abgrenzt. Ein Grund dafür kann sein, dass er die das Konzept der Objekterstehung und der Objekthierarchie als Gegenpol zu den Ausdrücken offenbar nicht als eigenständiges System systematisch entwickelt. In anderen Interpretationsprojekten (z.B. bei Nicolai Hartmann) musste ich die Rekonstruktion irgendwann einfach abbrechen, da der Text in sich irgendwann so widersprüchlich war, dass ein sinnvolles Weiterlesen nicht mehr möglich erschien.

Fortsetzung folgt …

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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