Archiv für den Monat: Februar 2012

RÜCKKEHR DER METAPHYSIK? Natur als Offenbarung? Universale Ethik?

Einbettung von Metaphysik in moderne Wissenschaft

 

 

 

 

(1) Im Zwiegespräch mit dem Text ‚Metaphysik der Erkenntnis‘ (erstmalig 1921) von Nicolai Hartmann trifft man auf zahlreiche Aporien (siehe die anderen Blogeintragungen). Hartmann nimmt seinen Ausgangspunkt bei der — für ihn grundlegenden – Beziehung zwischen einem ‚erkennenden Subjekt‘ und einem ‚erkannten Objekt‘. Dies in einer primär ‚phänomenologischen‘ Einstellung, die ihren Ausgangspunkt bei dem ‚Gegebenem‘ nimmt im Versuch, ’sichtbar zu machen‘, was sich vorfindet.

 

(2) Tatsächlich ist das, was wir im Bewusstseinserlebnis als aufscheinendes ‚Phänomen‘ vorfinden, das erste und einzige, was wir vorfinden. Nach Hartmann ist dieses aufscheinend Gegebene aber eingebettet in eine begleitend vorhandene ‚Reflexion‘, mittels der sich Eigenschaften fokussieren, abstrahieren und in Beziehung setzen lassen; nicht zuletzt lassen sich ‚Begriffe‘ bilden. Die Reflexion als solche ist nicht mehr ’neutral‘; sie kann das vorfindlich Gegebene verändern, modifizieren und damit in gewisser Weise interpretieren.

 

(3) Die ‚Abfallprodukte‘ der Reflexion bilden nicht automatisch eine ‚Theorie‘ verstanden als ein systematisches Begriffsnetzwerk, in dem alle Begriffe vollständig aufeinander bezogen sind entweder als ‚Grundterme‘ oder als ‚axiomatische Terme‘, eingebunden in Relationen und Axiome, repräsentiert in einer eigenen ‚Theoriesprache‘. Eine Theorie auf der Basis der primären Reflexion bildet eine ‚Metaebene‘ und stellt eine Konstruktion dar, die aus einer Vielzahl von Möglichkeiten eine Variante herausgreift. Zugleich ist jede Theorie eine bestimmte Interpretation. Eine interessante Frage ist, ob und wie sowohl die Begriffe der primären Reflexion wie auch die Strukturen einer Theorie in einem bestimmbaren Sinn ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können.

 

(4) Hartmann diskutiert die Frage der ‚Wahrheit‘ im Umfeld seiner Subjekt-Objekt-Relation mit einem sehr unspezifischen Begriff von ‚Erkenntnis‘. Er geht von der Annahme aus – die er nicht weiter begründet –, dass Wahrheit mit Übereinstimmung zu tun haben muss, nämlich der Übereinstimmung (oder Nicht-Übereinstimmung) von dem erkennbaren Objekt für das Subjekt mit einem Objekt an sich, das dem erkennenden Subjekt per definitionem nicht zugänglich ist; daher spricht er hier auch von einem ‚transzendentem Objekt‘ bzw. vom ‚Transobjektivem‘, das das erkennende Subjekt ‚objiziert‘ mithilfe von ‚Bestimmtheiten‘, die ein ‚Bild‘ des ursprünglichen Objektes darstellen, nicht das transzendente Objekt selbst. Die vom Transobjektivem objizierten Bestimmtheiten, die vom verursachenden Objekt verschieden sind, will er auch eine ‚Repräsentation‘ des Transobjektiven nennen.

 

 

(5) Das ‚Transobjektive‘, das vom erkennenden Subjekt nicht erreicht werden kann, ist damit auch nicht intelligibel, ist im vollen Sinne ‚irrational‘. Dennoch assoziiert Hartmann genau mit diesem Transobjektiven das eigentliche ‚Sein‘, ‚volle Wirklichkeit‘, ‚Realität‘. Hier verortete er die ontologische Dimension, den Fluchtpunkt jeder Metaphysik. In einer Metaphysik ist Erkenntnis nur ein Durchgang, ein Medium zur Erfassung und Beschreibung von ‚Wahrheit‘ als letztlich im ‚Sein‘ gründend.

 

 

(7) Der von ihm zuerst favorisierte Wahrheitsbegriff als Übereinstimmungsoperation wahr: OBJ x OBJ* —> {wahr, falsch} mit ‚OBJ‘ für das Transobjektive (verursachende) Sein und ‚OBJ*‘ als der Repräsentation des Transobjektiven für das erkennende Subjekt setzt die Verfügbarkeit des Transobjektiven in dieser Übereinstimmung voraus, ohne aber in der Lage zu sein, zu erklären, wie das erkennende Subjekt dies nutzen soll, da das Transobjektive ja per definitionem vom Erkennen eines Transobjektiven ausgeschlossen wurde. Die sich hier auftuende logische Antinomie verwirbelt Hartmann in bis zu vier unterschiedliche Aporien, die allesamt letztlich nur diese eine zentrale Antinomie umschreiben.

 

(8) Aktuell weiss ich noch nicht, wie es ab S.88 in seinem Buch weiter gehen wird. Bezogen auf seine bisherigen Ausführungen kann man nur sagen, dass er sich mit seinem bisherigen Begriffsapparat in einer Sackgasse befindet. Auch wenn er noch weitere Aporien durch Einführung neuer begrifflicher Gebilde generieren mag, sein Grundproblem wird er nicht lösen, solange er seine bisherigen Voraussetzungen nicht einer kritischen Re-Analyse unterzieht.

 

(9) Ob mein Lösungsansatz tatsächlich ein Lösungsansatz ist, muss sich in den weiteren Diskussionen und Experimenten noch zeigen, aber auf jeden Fall sehe ich einen gedanklichen Weg, der ohne die antinomischen Konstruktionen Hartmanns auskommt, der mit den großen Themen der Philosophie kompatibel ist, und der nicht zuletzt auch mit den tiefgreifenden Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften harmoniert (soweit wir heute meinen zu verstehen, was wir verstehen).

 

(10) Wie schon im Bremerhaven-Vortrag skizziert nehme ich auch den Ausgangspunkt im Raum der Phänomene (es gibt keine Alternative), allerdings mit der Differenzierung, dass sich im Gesamtbereich der Phänomene Ph eine spezielle Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp identifizieren lässt. Dies sind solche Phänomene, die durch Verwendung von definierten Messprozeduren meas() generiert werden, etwa meas: Ph —> Ph_emp. Empirische Phänomene sind zwar auch Phänomene, aber eben solche, die auf eine spezielle Weise hervorgebracht werden, die unabhängig vom Körper eines Menschen ist. Nur das Produkt eines Messvorganges muss wahrnehmbar sein, der Messvorgang selber ist unabhängig von einem menschlichen Körper (und Gehirn, und Bewusstsein).

 

(11) Auf den ersten Blick wirkt dieser Hinweis auf die Teilmenge der empirischen Phänomene möglicherweise unscheinbar. Aber bei längerer Betrachtung zeigt sich, dass hier die Lösung für nahezu alle Aporien liegen kann, mit denen sich Hartmann herumschlägt.

 

(12) Natürlich gilt im Falle der empirischen Phänomene Ph_emp auch – wie im Falle aller Phänomene –, dass die empirischen Phänomene nicht ‚isoliert‘ dastehen, sondern auch eingebettet sind in die allgemeine ‚Reflexion‘, die alles Erleben begleitet und durchdringt; und es gilt auch, dass sich im Medium dieser Reflexion Unterscheidungen treffen lassen, Zusammenfassungen bilden lassen, Begriffe einführen lassen, Beziehungen aufzeigen lassen, usw. bis hin dazu, dass sich explizite Theorien formulieren lassen. Diese Reflexion, Begriffsbildungen, Theoriebildung unterscheidet sich im Allgemeinen in Nichts von der alltäglichen oder philosophischen Reflexion, wohl aber im Speziellen. Auf der Basis von empirischen Daten lassen sich nämlich eindeutiger und klarer als durch die rein körperbasierten Phänomene Ph\Ph_emp Begriffe mit einer ‚operationalisierten‘ Bedeutung einführen, darauf aufbauend Abstraktionen, Relationen und Gesetzmäßigkeiten unter kontrollierten Bedingungen und in mathematischer Form. Natürlich ist auch diese Form von Erkenntnisbildung nicht frei von Problemen (dazu gibt es weit mehr als 1000 wissenschaftliche Publikationen!), doch trotz all dieser Probleme hat die Praxis gezeigt, dass diese Erkenntnisstrategie trotz aller Spezialisierung Erkenntnisse (und Technologien) hervorgebracht hat, die noch vor 100 – 150 Jahren unvorstellbar waren.

 

(13) Mittels der Reflexion (und darauf aufbauenden Theorien oder theorieähnlichen begrifflichen Strukturen) lassen sich im Strom der Phänomene Objekte, Beziehungen, und Aktionen identifizieren, die das Bild eines ‚Außenraums‘ um den Körper herum entstehen lassen, der eine eigene Dynamik hat, die man heute ansatzweise in seiner evolutionären Dimension fassen kann. Ferner kann man im Bereich der identifizierbaren Objekte solche unterscheiden, die man durch spezifische Eigenschaften als ‚biologisch‘ qualifizieren kann, als ‚Körper‘ mit einer Innenstruktur, zu der u.a. ein Nervensystem (Gehirn) gehört. Durch Korrelation der empirischen Daten mit den Erlebnisdaten läßt sich die starke Hypothese formulieren, dass die uns primär zugänglichen Phänomene Ph im Raum des Bewusstseins Eigenschaften eines Nervensystems sind, das sich empirisch nur ‚von außen‘ messen und beschreiben läßt. D.h. man kann nicht die bewussten Erlebnisse selbst ‚messen‘, sondern nur physikalisch-chemische Eigenschaften des Nervensystems DAT_nn, die zeitlich mit bestimmten Erlebnissen Ph korrelieren.

 

(14) Abseits vieler ungelöster Detailfragen lässt sich eine generelle Schlussfolgerung auf jeden Fall ziehen: die Phänomene unseres Bewusstseins sind als solche keine Objekte der umgebenden Außenwelt! Vielmehr scheint es so zu sein, dass die ‚Zustände der Außenwelt‘ auf einen ‚Körper‘ einwirken können, der diese physikalisch-chemischen Einwirkungen mittels einer Vielzahl sogenannter ‚Sensoren‘ in ’neuronale Signale‘ ‚übersetzt‘, also etwa sens: ENV x IS —> IS x NN, d.h. die Menge aller Sensoren realisieren eine Abbildung von Umweltereignissen ENV – eventuell modifiziert durch aktuelle interne Zustände IS des Körpers – in eine Menge von neuronalen Signalen NN, eventuell begleitet von zusätzlichen internen Zuständen IS des Körpers.

 

(15) Wie wir heute schon wissen werden diese sensorisch induzierten neuronalen Signale NN_sens über ein komplexes Schaltwerk von Neuronen auf verschiedenen ‚Ebenen‘ und durch verschiedene ‚Querschaltungen‘ und ‚Rückkopplungen‘ zu abstrakteren Konzepten und Beziehungen ‚weiterverarbeitet‘. D.h. das, was uns irgendwann ‚bewusst‘ wird als Phänomen Ph ist in der Regel sowohl ein ’spätes Verarbeitungsprodukt‘ und zugleich eine ‚Auswahl‘ aller stattfindender neuronaler Zustände, also etwa nn: NN_sens x NN —> NN x Ph. Hierbei gilt die weitreichende Annahme, dass die Menge der Phänomene Ph aus Sicht des Gehirns letztlich eine Teilmenge, und zwar eine echte Teilmenge, der Menge aller neuronalen Zustände ist. Sei NN_ph jene Menge von Neuronalen Signalen, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, und NN_nph die Menge der neuronalen Signale, die nicht mit Ph korrelieren, dann gilt, dass die Menge der neuronalen Signale NN = NN_ph u NN_nph, mit der Annahme, dass die Menge der neuronalen Signale NN_ph, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, eine echte Teilmenge aller neuronalen Signale sind NN_ph  rsubset NN. Denn gerade in diesem Umstand der echten Teilmenge wurzelt der evolutionäre Gewinn des ‚Bwusstseins‘: durch die Möglichkeit einer ‚Abstraktion‘ von der beliebig großen Komplexität des begleitenden Körpers und eines kontinuierlich wachsenden Gehirns kann man aktuelles Entscheiden und Kommunizieren in einem überschaubaren Bereich halten.

 

(16) Zu sagen, dass die bewussten Phänomene Ph aus ‚Sicht des Gehirns‘ auch nur neuronale Zustände sind ist kein (logischer) Widerspruch zur Annahme, dass die Phänomene unseres Bewusstseins aus Sicht unseres Erlebens etwas Besonderes sind, das sich nicht auf neuronale Signale reduzieren lässt. Dies hat mit dem begrifflichen Rahmen zu tun, in dem man sich bewegt. Im phänomenologischen Kontext bewege ich mich im Raum meines Erlebens. Meine ‚Daten‘ DAT_ph sind die erlebbaren Phänomene meines Bewusstseins. Aufbauend auf diesen primären Daten kann ich Begriffsnetze entwickeln, ja sogar Theorien reflexion: DAT_ph —> Th_ph. Beschränke ich mich auf die Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp habe ich zwar immer noch Phänomene, im Fall der empirischen Untersuchungen zum Körper und Gehirn benutze ich aber zusätzlich zum ’normalen‘ Erkennen empirische Messverfahren meas(), mit denen ich Eigenschaften des Körpers bzw. des Nervensystems untersuche, also meas: BODY x BRAIN —> DAT_bd x DAT_nn. Insofern ich diese Messwerte als Messwerte wahrnehmen kann, sind diese natürlich auch Phänomene Ph_emp_bd und Ph_emp_nn, aber das Besondere dieser Phänomene liegt nicht in dem, was ich als Messergebnis wahrnehme, sondern in der Art, wie ich dieses Phänomen erzeugt habe, eben durch einen zusätzlichen Messvorgang. Wenn ich also bei dem Drücken einer bestimmten Taste auf einem Klavier einen bestimmten Ton höre DAT_ph_ton_i, und die Neuropsychologen zeitlich gleichzeitig durch eine geeignete Messvorrichtung in bestimmten Bereichen meines Gehirns bestimmte Erregungsmuster DAT_nn_ton_i messen können, dann kann man in der Regel nicht direkt von DAT_nn_ton_i auf DAT_ph_ton_i schliessen oder umgekehrt, aber eine Versuchsperson Vpn, die einen Ton hört (DAT_ph_ton_i)Person_abc, und die zugleich das Messergebnis (DAT_nn_ton_i)Person_abc wahrnehmen kann, kann kontrollieren, ob es zwischen den empirischen Messwerten und ihren subjektiven Wahrnehmungen eine signifikante Korrelation gibt (wobei wir unterstellen, dass die ausgewählte Gehirnregion ‚relevant‘ ist). Insofern also solch eine Versuchsperson in dieser speziellen Konstellation eine signifikante Korrelation feststellen könnte, könnte man begründet vermuten, dass das erlebte Phänomen und die gemessenen neuronalen Zustände ‚identisch‘ sind in dem Sinne, dass Erlebnisse als indirekt messbare neuronale Zustände ‚auftreten‘. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie man das Phänomen des subjektiven Erlebens im Rahmen einer empirischen Theorie des Gehirns ‚erklärt‘. Offensichtlich handelt es sich um eine Art ‚Innensicht‘ des Gehirns, bei der ausgewählte Bereiche der Gehirnzustände dazu dienen, wichtige Steuerungsparameter des Gehirns auf einer hohen Abstraktionsebene so zu organisieren, dass sie sich u.a. auch mit symbolischer Sprache verknüpfen lassen.

 

(17) Zusammenfassend gilt, dass die jeweiligen Konstruktionen des Gehirns auf Basis der sensorischen und körpereigenen Signale DAT_nn_sens und DAT_bd vollständige Eigenleistungen des Gehirns sind. Letztlich baut das Gehirn mit seinen ‚Bordmitteln‘ eine ‚Theorie der umgebenden Welt‘ TH_nn_env mit sich selbst als ‚agierendem Objekt‘ Th_nn_ego subset Th_nn_env.

 

(18) In diesem Kontext stellt sich die ‚Wahrheitsfrage‘ – will man diesen klassischen Term beibehalten – auf mindestens zweifache Weise: (i) systemintern und (ii) in Relation zur umgebenden Außenwelt.

 

(19) Systemintern (hier ‚Wahrheit_1‘ genannt) stellt sich primär die Frage, ob die emergierenden Theorien Th_nn als hypothetische Deutungen der in den Daten DAT_nn implizit mitgegebenen Dynamiken mit den Daten hinreichend ‚kongruent‘ sind? D.h. gilt es, dass die Daten DAT_nn vollständig in der ‚Bildmenge‘ der Theorie(n) Th_nn vorkommen? Bzw. gilt, dass  DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens)? Da jede Theorie aufgrund der ihr ‚innewohnenden‘ Generalisierungen grundsätzlich mehr Elemente in ihrer Bildmenge hat als sensorische Daten in sie eingehen, kann man nicht verlangen, dass sich zu allen theoretisch möglichen Bildelementen 1-zu-1-Entsprechungen in den Primärdaten finden lassen, wohl aber kann – und muss – man verlangen, dass alle tatsächlich auftretenden Primärdaten sich als Elemente der Bildmenge darstellen lassen. Wahrheit_1 wäre dann also genau die Erfüllung dieser Forderung, dass man also sagen könnte: Eine nuronale Theorie der Welt ist Wahr_1 genau dann, wenn gilt: DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens). Also nicht Übereinstimmung sondern abschwächend ‚Enthaltensein‘. Der Bewusstseinsraum Ph als ‚Bewusstsein‘  CONSC ist hier verstehbar als korrespondierend mit eine Teilmenge NN_ph der Menge der neuronalen Zustände NN, also NN_ph subset NN und die zu prüfenden neuronalen Theorien sind Muster innerhalb von NN_ph und NN_nph und ihr Referenzpunkt (ihr ‚Kriterium‘) für Wahrheit_1 ist das Enthaltensein der auftretenden neuronalen Ereignisse in der Bildmenge der Theorie. Eine logische Antinomie und daraus sich herleitenden Aporien gibt es hier nicht.

 

(20) In Relation zur umgebenden Außenwelt (hier ‚Wahrheit_2‘ genannt) stellt sich die Frage nicht innerhalb eines Systems, da das einzelne System in seinem internen Modell ‚gefangen‘ ist. Die modernen empirischen Wissenschaften haben uns aber die Möglichkeit eröffnet, dass wir andere Körper – menschliche wie tierische und andere – als ‚empirische Objekte‘ untersuchen können. Zusätzlich können wir – bis zu einem gewissen Grad – die Entwicklung von Populationen im Laufe der Zeit untersuchen. In diesem Kontext kann man die Frage der ‚Passung‘ des Verhaltens einer Population zur jeweiligen Außenwelt nach unterschiedlichen Kriterien gewichten. Z.B. stellt das schlichte ‚Überleben‘ bzw. ‚Nicht-Überleben‘ ein Basiskriterium dar. Populationen, die nicht überleben, haben offensichtlich ein Verhaltensspektrum, was nicht geeignet ist, alle notwendigen ‚Aufgaben‘, die die jeweilige Umgebung stellt, in der verfügbaren Zeit befriedigend zu lösen. Insofern das Verhalten ein Ouput des Körpers mit seinem Nervensystem ist, das auf einem bestimmten Input basiert – also sys: IN x BD x NN —> OUT — muss man sagen, dass die Systemfunktion sys offensichtlich unzulänglich ist. Da jede Systemfunktion eine Synthese von Körper mit Nervensystem BD x NN bildet, von dem wir wissen, dass es auf biochemischem Wege über Genetik, Wachstum und Vererbung weitergegeben und zugleich ‚verformt‘ wird, könnte man sagen, ein Körper-mit-Nervensystem-System SYS_bd_nn hat eine ‚wahre_2‘ Struktur, wenn das potentielle Verhalten sys( IN x BD x NN) geeignet ist, dass die Population dieses Systems POP_sys überlebt. Hier wird also der Körper mit seinem Nervensystem und den im Nervensystem bildbaren ‚Modellen‘ Th_nn einheitlich als ein dynamisches Modell sys() gesehen, das alle für das Überleben notwendigen Eigenschaften in der umgebenden Außenwelt hinreichend abbilden und gestalten kann. Das ‚Transobjektive‘ von Hartmann könnte in diesem Kontext interpretiert werden als die umgebenden Außenwelt, die auf den jeweiligen Körper einwirkt und über die verfügbaren Sensoren in dem Körper ein ‚Bild ihrer selbst‘ erzeugt, das nicht die Außenwelt ist, wie sie ‚an sich‘ ist, sondern die Außenwelt, wie sie aufgrund einer kausalen Wirkkette innerhalb eines Organismus repräsentiert werden kann. Die verfügbare neuronale Maschinerie generiert aus diesem primären ‚Bild‘ unterschiedliche komplexe Theorien, die über die konkreten einzelnen Daten hinausreichen (sie ‚transzendieren‘) und mittels einer Theorie ein übergreifendes Bild von einem ‚transzendierenden Objekt‘ entwerfen. Dieses selbst generierte ‚Bild eines Urbildes‘ kann mit dem Urbild – von einem Metastandpunkt aus betrachtet — mehr oder weniger ‚übereinstimmen‘ –also: wahr2: ENV x BD x NN x IN —> {passt, passt-nicht} –, doch ist diese Art von Passung dem individuellen System nicht zugänglich! Sie erschliesst sich nur in einer empirischen Untersuchung, die historische Entwicklungen untersuchen kann.

 

(21) Behält man das Verständnis von Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden bei, das sich durch und jenseits der Erkenntnis erschließt und das unabhängig von der Erkenntnis existiert, dann müsste man nun sagen, Metaphysik ist im Prinzip möglich, nicht jedoch als Disziplin individuellen Erkennens, sondern nur als empirische Disziplin, die in einem Netzwerk betrieben wird. Moderne empirische Wissenschaften mit explizitem Theorieanteil, die die Leistungsfähigkeit von Populationen unter expliziter Berücksichtigung des neuronal basierten Verhaltens mit Bezug auf ihre Umwelt untersuchen, bilden gute Kandidaten für eine moderne Metaphysik.

(22) Man kann diese Überlegungen auf vielfältige Weise ergänzen und weiterführen. Ein interessanter Aspekt ist der ‚Offenbarungscharakter‘ von Natur. Wenn man bedenkt, wie umfangreich der Weg vom sogenannten Big-Bang (reine Energie mit einer unvorstellbar großen Temperatur) über Ausdehnung, Sternenbildung, Elementbildung, Bildung unserer Galaxie mit einem komfortablen Platz für unser Sonnensystem, mit einem komfortablen Platz für unsere Erde mit einer extrem günstigen Konstellation aller Planeten, der Entstehung von Molekülen aus Elementen, bis hin zu den ersten Zellen (bis heute letztlich ungeklärt)(vor ca. -3.2 Milliarden Jahren), von da aus eine ‚endogen und interaktiv  getriebene Entwicklung‘ genannt Evolution hin zu körperlichen Strukturen mit vielen Zellen, hin zu Nervensystemen (Start vor ca. -700 Mio Jahren), hin zu Körpern und Gehirnen, die explizite Modelle ihrer Umwelt und ihrer selbst entwickeln können, die symbolische Sprache erfunden haben und vieles mehr. Entscheidend: von der reinen Energie am Anfang sind wir zu Gehirnzuständen gekommen, in denen sich das Universum gleichsam ’selbst‘ anschauen kann, den Augenblick, das Einzelne, aber auch Alle und die ganze Entwicklung. Im Bewusstsein eines JEDEN Menschen kann sich potentiell das gesamte Universum mit allen seinen Facetten ‚versammeln‘, ‚aufscheinen‘. Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendein Mensch sich der Tragweite dieses Faktums bewusst ist. Und bezogen auf die klassischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) habe ich den Eindruck, dass diese die Menschen, statt sie mehr und tiefer zu Gott und einer Ehrfurcht vor dem Leben hinzuführen, eher dazu dienen, die Menschen Gott zu entfremden und das Leben – auch in Gestalt anderer Menschen – zu verachten, zu hassen oder gar zu töten. Ein solches Verhalten ist NIEMALS die Botschaft des Lebens, wenngleich das ‚Fressen und Gefressenwerden‘ im Bereich des Lebens eine Eigenschaft darstellt, die an die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von hinreichender Energie gekoppelt ist. Doch in der Gestalt des Menschen hat das biologische Leben einen Punkt erreicht, bei dem dieses zwanghafte Fressen und Gefressenwerden prinzipiell durchbrochen werden kann. Wir haben die grundsätzliche Möglichkeit –zum ersten Mal seitdem es dieses Universum gibt!!! — die Gesetze des Lebens neu zu gestalten, neu zu formen, ja, letztlich können wir im Prinzip das gesamte bekannte Weltall von Grund auf neu umformen (natürlich nicht an einem Tag….). Genau dazu sind wir ‚berufen‘. Aber wen interessiert schon die Wahrheit2? Noch liegt immer ein gewisser ‚Schleier‘ über der Bestimmung des gesamten Lebens. Dass es auch irgendwo anders im riesigen Universum ähnliches der gar gleiches Leben wie unseres geben sollte, ist grundsätzlich weder auszuschließen noch würde es unserer ‚Bestimmung‘ irgendeinen Abbruch tun. Die Erkenntnis des ‚gemeinsam Gewordenseins‘ enthält in sich eine gemeinsame Berufung für das Ganze, von dem wir in Gestalt des messbaren Universums möglicherweise bislang nur einen kleinen Zipfel sehen (so wie unser Gehirn im Körper sich als ‚Herr der Dinge‘ erlebt, obgleich es doch, wie wir heute wissen können, nur einen winzigen Ausschnitt eines viel Größeren erlebt). ‚Wahrheit‘ ist das jeweils ‚Größere‘ (Magis), dem wir uns beugen und dienen müssen, da wir als einzelne nicht ‚Herr des Geschehens‘ sind. Insofern wir aber untereinander mit allem unauflöslich ‚verbunden‘ sind, ist diese individuelle Beschränkung nur relativ.

 

 

Eine direkte Fortsetzung findet sich hier

 

 

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Gnoseologische, ontologische, teleologische Wahrheit – Fortsetzung 2 der Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

ZWISCHENSTAND

 

(1) In den bisherigen Überlegungen arbeitet N.Hartmann immer schärfer einen Gegensatz heraus zwischen dem empfangenden und erkennenden Subjekt einerseits (wobei eine genauere Beschreibung und Analyse dieses ‚Subjektes‘ bemerkenswerter Weise auf sich warten lässt) und der Realisierung eines Objektes im phänomenalen Raum, von der er sagt, dass sie über sich hinaus weist (transzendieren, Transzendenz) auf ein eigentliches Objekt, auf ein ‚Objekt an sich‘, das als solches der Erkenntnis entzogen ist, das aber als dieses ganz und gar eigenständige Objekt die wahre ‚Objektivität‘, die wahre ‚Existenz‘ verkörpere. Dies ist für ihn der Gegenstandsbereich der ‚Ontologie‘, der Kern des ‚Metaphysischen‘.

 

(2) Mit dieser Art von Rede über ein ‚Objekt an sich‘ bei gleichzeitigem Festhalten an einer phänomengebundenen Erkenntnis konstruiert Hartmann sowohl eine logische Antinomie des Bewusstseins wie auch eine logische Antinomie des Objekts. Nach meinem Verständnis beruhen beide Antinomien auf Annahmen, die so nicht zwingend sind.

 

(3) Von diesen logischen Antinomien gibt es unterschiedliche Spielarten. Eine ist diejenige, die sich im Kontext der a apriorischen Erkenntnis ergibt. Hartmann schreibt „Wie ist es möglich, dass dasjenige, was das Bewusstsein bei sich selbst am immanenten Vorstellungs- oder Gedankengebilde erschaut, Gültigkeit für ein Reales habe, welches ihm unaufhebbar transzendent ist?“ (MdE, 65) Und natürlich ist diese Frage unausweichlich, solange man Erkenntnisimmanenz und Objekttranszendenz per Annahme so radikal trennt, dass ein Zusammenhang logisch nicht fassbar ist. Das ist schlichtweg tautologisch.

 

(4) Es folgen dann auf den Seiten 66-87 Überlegungen zum Wahrheitsbegriff, die grundsätzlich daran leiden, dass der Wahrheitsbegriff in gewisser Weise vorausgesetzt wird, ohne dass er irgendwie erklärt wird. Er tritt in immer wieder neuen Formulierungskontexten auf ohne dass die beteiligten Begriffe klar sind. So benutzt Hartmann z.B. die Begriffe ‚Wahrheit‘, ‚Wahrheitsbewusstsein‘ und ‚Kriterium der Wahrheit‘ in einer vieldeutigen Weise.

 

(5) Die Wahrheits-Sprachspiele werden eröffnet durch die Formulierung „Erkenntnis kann nur entweder wahr oder unwahr sein.“ (MdE,66) Der Begriff ‚Erkenntnis‘ ist in diesem Kontext völlig unterbestimmt. Genauso gut hätte Hartmann schreiben können “ XYZ kann nur entweder wahr oder unwahr sein“. Aufgrund der nachfolgenden Feststellungen kann man zumindest entnehmen, dass Hartmann annimmt, dass es bei XYZ darum geht, dass es eine Übereinstimmung WAHR() zwischen den ‚Bestimmtheiten eines Objektbildes (OBJ*)‘ mit einem ‚zugehörigen Objekt (OBJ)‘ gibt, und dass der Ort dieser Übereinstimmung das  ‚Subjekt (SUB)‘ ist. Also er geht von einer Beziehung WAHR(OBJK*, OBJ) aus, die innerhalb eines SUB stattfinden soll. Nach den vorausgehenden Überlegungen kann hier eine Bedeutungsverschiebung von ‚Bewusstsein (BEW)‘ zu Subjekt nicht ausgeschlossen werden. Dann ginge es um die Beziehung WAHR() innerhalb des Bewusstseins. Ferner nimmt Hartmann an, dass diese Übereinstimmung entweder stattfinden kann oder nicht. Dies bedeutet dann, dass die Beziehung WAHR() nicht bloß eine Relation ist sondern eine Abbildung der Art wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch}. Da diese Abbildung innerhalb des Subjekts bzw. innerhalb des Bewusstseins stattfinden soll, impliziert dies, dass das Objekt OBJ, mit dem das Bild OBJ* des Objektes OBJ verglichen wird, sich innerhalb des Subjets/ Bewusstseins befindet; andernfalls wäre der Vergleich nicht möglich.

 

(6) Doch hier scheint die Unterscheidung zwischen ‚Wahrheit‘ und ‚Wahrheitsbewusstsein‘ zu greifen. Die ‚Wahrheit‘ scheint sich auf das ‚Innenverhältnis‘ zwischen Objekt OBJ und dessen Bild OBJ* zu beziehen. Und innerhalb dieser Beziehung ist –rein logisch– kein Problem erkennbar, da –per definitionem– die Bestimmtheiten des Bildes eben mit dem ‚Original‘ übereinstimmen oder nicht. Hartmann „Es gibt keine Aporie der Wahrheit“. (MdE, 67).

 

(7) Doch lässt sich schwerlich über die ‚Wahrheit an sich‘ reden, da für uns ’normal Erkennende‘ sich die Frage nach der Übereinstimmung nur innerhalb unseres Bewusstseins stellt, es also nicht einfach nur um die Wahrheit ‚als Wahrheit‘ geht, sondern um unser ‚Bewusstsein von der Wahrheit‘ spricht um unser ‚Bewusstsein von der Übereinstimmung‘ zwischen OBJ* und OBJ. Hier gibt es dann aber eine „Aporie des Wahrheitsbewusstseins“ (MdE, 67). Per definitonem kann das Objekt an sich OBJ nicht Teil des Bewusstseins sein; dann aber ist die Vergleichsoperation wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch} nicht möglich. Für die Abbildung fehlt dann ein Faktor: wahr: OBJ* x ??? —> {wahr, falsch}.

 

(8) Doch, wie schon zuvor herausgearbeitet, besteht der Eindruck, dass diese Aporie des Wahrheitsbewusstsein eine Scheinaporie ist, hervorgerufen durch mindestens eine Annahme, die zweifelhaft erscheint. Hartmann schreibt: „Die Aporie des Wahrheitsbewusstseins läuft also auf eine Aporie des Kriteriums der Wahrheit hinaus. Dass es Übereinstimmung des Objektbildes mit dem transzendenten Objekt geben kann, unterliegt keinem Zweifel. Die Frage ist nur, ob es eine Möglichkeit für das Subjekt gibt, diese Übereinstimmung zu erkennen … In dieser Möglichkeit würde das Kriterium bestehen. Die Frage ist also: gibt es ein Kriterium der Wahrheit?“. (MdE, 67)

 

(9) Die zweifelhafte Annahme steckt in der Formulierung „Dass es Übereinstimmung des Objektbildes mit dem transzendenten Objekt geben kann, unterliegt keinem Zweifel.“ Es bleibt rätselhaft, wie Hartmann zu dieser Annahme kommen kann. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, warum man diese Annahme machen sollte bzw. überhaupt machen kann. Jenseits der Erkenntnis wissen wir nichts von einem Objekt außerhalb der Erkenntnis (wenngleich, wie wir später sehen werden, es einen ‚indirekten Weg‘ gibt, etwas Vergleichbares anzunehmen, allerdings auf eine Weise, die eben nicht zu einer Aporie führt).

 

(10) Nebenbei erfährt man aber auf diese Weise, was er unter einem ‚Kriterium der Wahrheit‘ verstanden haben wissen will. Das Wahrheitskriterium besteht demnach in der Möglichkeit des Erkennens einer Übereinstimmung zwischen Objekt und Objektbild. Da es sich bei dieser Übereinstimmung um eine Abbildungsoperation handelt wahr: OBJ* x OBJ —> {wahr, falsch} setzt ein so verstandenes Wahrheitskriterium nicht nur die Existenz der beiden zu vergleichenden Bereiche OBJ und OBJ* voraus, sondern auch noch die Möglichkeit einer effektiven Vergleichsoperation auf den ‚Elementen‘ dieser beiden Bereiche. Wenn wir allerdings davon ausgehen, dass die Annahme der Verfügbarkeit eines Objektes an sich OBJ für das Bewusstsein nicht zu rechtfertigen ist, dann fällt auch das Wahrheitskriterium in sich zusammen. Überhaupt ist dann das ganze Konstrukt von Wahrheit als Übereinstimmung hinfällig.

 

 

(11) Eine gänzliche Verwerfung des Wahrheitsbewusstseins verortet Hartmann schon in der antiken Skepsis. (MdE, 67) Für Hartmann würde aus solch einer Verwerfung folgen, dass man dann „den Anspruch des Subjekts auf das Wissen um wahr und unwahr als schlechthin illusorisch verwerfen [müsste]“. (MdE, 68). Mit Blick auf die „unabsehbaren Folgen“ einer solchen skeptischen Verwerfung zieht Hartmann daher diese Position in Zweifel. (vgl. MdE, 68). Dies wirkt wenig überzeugend. Das wirkt fast so, also ob er zwar keine wirklichen logischen Argumente hat, aber aufgrund seines ‚Bauchgefühls‘ –wie manche heute sagen würden– eher etwas anderes für wahr halten möchte. Dies ist allerdings keinesfalls ‚rational‘ sondern eher ‚mirakulös‘.

 

 

(12) Statt also die Unhaltbarkeit der Annahme einer Erkenntnis des Objekts an sich von innerhalb der Erkenntnis zu akzeptieren, spekuliert Hartmann über eine mögliche begriffliche Konstruktion, wie vielleicht doch irgendwie die Existenz eines Objekts an sich gerettet werden kann, um sein Konzept von Wahrheit zu retten. (vgl. MdE, 68f) Er sinniert über ein „zweites Erfassen“, über ein „Wissen des Wissens“, über eine „zweite übergreifende Bindung“, und bemerkt dann immerhin, dass dies zu einer „ungeheuren Komplizierung und Belastung des Erkenntnisproblems“ führt. (MdE, 69)

 

(13) Nicht genug all dieser fruchtlosen Spekulationen, führt er dann noch am Beispiel des „Wissens des Nichtwissens“ eine neue „Aporie des Problembewusstseins“ ein, die im Prinzip nichts Neues aufzeigt als nur das Gleiche mit anderen Worten: „Wie ist ein Erfassen dessen möglich [des Objekts OBJ], was viel mehr unerfasst bleibt, und gerade sofern es unerfasst bleibt [am erkennbaren Bild OBJ*]?“ (MdE, 70) Dies verdeutlicht auch eine andere Formulierung: „Was hier verlangt wird ist eine Objektion des Transobjektiven an das Subjekt, in der dasselbe transobjektiv bleibt…“. (MdE, 70)

 

(14) Für Hartmann besteht der feine Unterschied zwischen der Aporie des Wahrheitskriteriums und der Aporie des Problembewusstseins darin, dass das Kriterium der Wahrheit es angeblich nur mit „dem zu tun hat, was diesseits der Grenze“ liegt, wohingegen das Problembewusstsein im Wissen um das Nichtwissen „über die Objektgrenzen hinaus“ greifen soll. (vgl. MdE, 71) Dies führt Hartmann zur Annahme einer „dritten Art von Bindung“ zwischen Subjekt und Objekt als Trans-objektivem. (vgl. MdE, 71)

 

(15) Die Formulierung „diesseits der Grenze“ ist mehr als zweifelhaft, da sie suggeriert, als ob ein Vergleich zwischen Objektbild OBJ* und Objekt an sich OBJ ganz ohne dem Objekt OBJ auskäme. Das widerspricht aber seiner eigenen Definition des Wahrheitskriteriums und macht auch logisch keinen Sinn. Die Abgrenzung des Problembewusstseins von dieser Art von Wahrheitskriterium hängt damit aber in der Luft. Die Formulierungen „über die Objektgrenzen hinaus greifen“ bzw. „Objekt als Transobjektives“ erscheinen daher nur als unnötige Verdopplungen von Begriffen für ein und denselben Sachverhalt, der in sich daran krankt, dass er auf Annahmen beruht, die bislang schlicht und einfach ‚haltlos‘ sind.

 

(16) Hartmann führt einen weiteren neuen Begriff ein, den des „Erkenntnisprozesses“. Gegenüber dem „Problembewusstsein“ charakterisiert Hartmann den Erkenntnisprozess als „dynamisch“, als Lösungen generierend. (MdE, 72) Im Erkenntnisprozess emanzipiert sich das Subjekt vom Transobjektiven, indem es Objekterkenntnis in seinem Rahmen entwickelt. (vgl. MdE,72) Das Transobjektive wird als Objiziertes in ein „Erkanntes“ verwandelt, das einerseits unabhängig von allen zuvor genannten Aporien ist, zugleich aber von der impliziten Bestimmtheit des Objektbildes OBJ* durch das Objekt OBJ wie auch durch das Problembewusstsein um diese unvollendete Bestimmtheit weiß. (vg. MdE, 73)

 

(17) Für Hartmann kulminieren im Erkenntnisproblem dann letztlich vier Aporien, denen unterschiedliche Arten von Bindungen zwischen Subjekt und Objekt korrespondieren, eine „Komplizierung“, wie er feststellt, die letztlich durch die eigentliche Theorie aufzuhellen sei. (MdE, 73)

 

(18) Nach meiner Einschätzung sind alle die genannten vier Aporien Artefakte falscher Annahmen. Sie lenken das Denken auf begriffliche Konstellationen, die nicht weiterführen.

 

(19) Nach all dem Festhalten am Objekt an sich wundert es nicht, dass Hartmann die bisherigen Aporien als „gnoseologisch“ qualifiziert, da es „Erkenntnisprobleme“ sind, im Unterschied zu den „ontologischen“ Aporien, die sich auf den Gegenstand an sich beziehen, der als einziger „real“ ist, „voll wirklich“, „existent“. (vgl. MdE, 74)

 

(20) Hartmann hat drastische Formulierungen: „Der Schwerpunkt der Erkenntnisrelation liegt außerhalb ihrer selbst, jenseits der verschiebbaren Objektionsgrenze, im Transobjektiven, ja, … im Irrationalen (genauer im Transintelligiblen…). Hinter dem ‚Gegenstand‘ taucht die seiende Sache, hinter der Erkenntnisrelation die Seinsrelation auf. In dieser steht, statt des Erkennenden und Erkannten, nur noch ein Seiendes einem Seienden gegenüber.“ (MdE, 74)

 

(21) Mit diesen Formulierungen ist der zuvor schon diagnostizierten Irrationalität Tür und Tor geöffnet. Wenn es möglich ist, Sachverhalte zu postulieren, die jenseits und unabhängig vom Denken angesiedelt sein sollen, dann verliert das Denken seine Spielregeln; dann kann man alles behaupten, weil nichts mehr falsch sein kann. Da wir später sehen werden, dass eine Analyse des tatsächlichen Denkens Strukturen zutage fördern kann, die –obschon klar im Denken verwurzelt– über das aktuell Erkennbare hinaus Strukturen erzeugen können, die geeignet sind, über den Bereich der ‚Bilder‘ hinaus (transzendierend) zu denken um damit ‚mögliche‘ Objekte jenseits des Wahrnehmbaren zu ‚orten‘, sind die begrifflichen Versuche von Hartmann, genau jene in jeglichem Denken angelegten ‚induktiv-transzendierende‘ Strukturen zu denken (und für wahr zu halten), nicht völlig ’sinnlos‘, aber sie sind in dem Kontext, in dem er argumentiert, –wie er selbst sagt!– ‚irrational‘ und ‚transintelligibel‘. Auf den Seiten SS.75f kumuliert er die Irrationalitäten in dem wechselweisen Verweis von Ontologie und Gnoseologie aufeinander. Viele schöne Worte für einen einfachen Sachverhalt.

 

(22) Auf den SS.78 – 87 folgen unterschiedliche Anmerkungen zu den vorausgehenden grundsätzlichen Überlegungen. So führt Hartmann u.a. aus, dass es zwischen Phänomenologie und Metaphysik kein Problem gibt. Das Metaphysische ist in allen Phänomenen notgedrungen implizit gegeben. Die Phänomenologie hilft, diese Vorkommen sichtbar zu machen, nicht aber, es zu lösen.(vgl. MdE, 77f) Zum Problem des Objektbildes innerhalb der Phänomenologie schreibt er z.B. „Ein Bewusstseinsgebilde als solches kann überhaupt niemals einem außerbewußten Urbilde ähnlich sein; es ist und bleibt von ihm wesensverschieden. Die Ähnlichkeit kann sich immer nur auf bestimmte Züge erstrecken, die das Urbild irgendwie in einer ihm heterogenen Materie und mit heterogenen Mitteln nachformen…. Der bessere … Ausdruck für das ‚Bild‘ ist daher der von Leibniz geprägte Begriff der Repräsentation. Die Bestimmungen des Erkenntnisgebildes müssen die des Objekts irgendwie wiedergeben, ‚ausdrücken‘, oder im Bewusstsein ‚vertreten‘.“ (MdE, 80)

 

(23) In diesem Abschnitt wiederholen sich wieder die vielen Ungereimtheiten, die schon zuvor den Gedankengang beschwert haben. Es wird (aufgrund welcher Erkenntnisbasis?) einerseits behauptet, das das Bild des Objektes im Bewusstsein niemals dem verursachenden Objekt ähnlich sein kann (obgleich wir ja angeblich über dieses verursachende Objekt nichts wissen, also auch nicht, ob es ähnlich ist oder nicht), dennoch wird angenommen, dass es dennoch eine Ähnlichkeit gibt, die sich auf „bestimmte Züge“ erstreckt (woher wissen wir dies denn nun schon wieder, wo wir doch gar nichts wissen sollen?). Ebenso unmotiviert erscheint dann die Argumentation, warum der Leibnizsche Ausdruck ‚Repräsentation‘ anstatt ‚Bild‘ besser geeignet sein soll? Da wir ja über die ‚wahre Natur‘ der Objekt-Bild-Beziehung nichts Genaues wissen, fragt sich, warum wir beurteilen können sollen, ob die Bezeichnung ‚Bild‘ oder ‚Repräsentation‘ besser sein soll, zumal diese beiden Begriffe selbst als solche auch keine präzise Bedeutungsbeschreibung bieten. Aus mathematischer Sicht würde es sich bei einer Objekt-Bild-Beziehung grundsätzlich um eine Abbildung handeln und eine Bezeichnung als ‚Bild‘ oder ‚Repräsentation‘ macht keinen wirklichen Unterschied.

 

(24) Hartmann macht darauf aufmerksam, dass es in der traditionellen Metaphysik noch eine Variante des Wahrheitsbegriffs gibt, die über den zuvor als ‚ontologisch‘ charakterisierten noch hinausgeht; es geht um einen „teleologischen“ Wahrheitsbegriff, in dem man ein ewiges ideales Urbild allen Seins annimmt, aus dem alles andere Seiende hervorgeht und das im Verhältnis zum Urbild relativ gesehen immer ein „Abbild“ ist. (vgl. MdE, 84) Dieses Konzept findet sich bei Platon und dann weiter z.B. bei Aristoteles, Leibniz und Hegel. (vgl. MdE, 85f) Hartmann disqualifiziert diesen Wahrheitsbegriff als ein „teleologisches Adäquationsverhältnis“, das mit Wahrheit nichts zu tun habe. (vgl. MdE, 85) Hier stockt dann allerdings das denken da ja zuvor das ontologische Wahrheitsverhältnis ein Verhältnis zwischen Objekt und Objektbild unterstellte; warum das Verhältnis zwischen Urbild und Abbild von einer anderen Art sein soll, ist aus der Natur des ontologischen Verhältnisses aus nicht direkt erkennbar, zumal wir ja bislang immer noch keine klaren Kriterien haben, um überhaupt etwas Verbindliches zum Verhältnis Objekt und Objektbild sagen zu können. Für Hartmann, der bereit ist, in Sachen Irrationalität recht weit zu gehen, ist aber im Falle der teleologischen Wahrheit eine Grenzmarke überschritten: „Diese extreme Verschiebung des Wahrheitsbegriffs ins Metaphysisch-Teleologische hat den schlichten gnoseologischen Sinn der ‚Wahrheit‘ bis zur Unkenntlichkeit entstellt, hat das eigentliche Wahrheitsproblem nahezu verschüttet… Eine so gewichtige Metaphysik kann das Erkenntnisproblem unmöglich tragen. Ihr entspricht keines seiner Teilprobleme.“ (MdE, 86)

 

 

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LITERATURVERWEISE

 

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).

OBJEKT AN SICH, SUBJEKT – Fortsetzung 1 zu den Überlegungen von N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

ZWISCHENSTAND

 

(1) In den bisherigen Überlegungen arbeitet N.Hartmann immer schärfer einen Gegensatz heraus zwischen dem empfangenden und erkennenden Subjekt einerseits (wobei eine genauere Beschreibung und Analyse dieses ‚Subjektes‘ bemerkenswerter Weise auf sich warten läßt) und der Realisierung eines Objektes im phänomenalen Raum, von der er sagt, dass sie über sich hinaus weist (transzendieren, Transzendenz) auf ein eigentliches Objekt, auf ein ‚Objekt an sich‘, das als solches der Erkenntnis entzogen ist, das aber als dieses ganz und gar eigenständige Objekt die wahre ‚Objektivität‘, die wahre ‚Existenz‘ verkörpere. Dies ist für ihn der Gegenstandsbereich der ‚Ontologie‘, der Kern des ‚Metaphysischen‘.

 

(2) Mit dieser Art von Rede über ein ‚Objekt an sich‘ bei gleichzeitigem Festhalten an einer phänomengebundenen Erkenntnis hat Hartmann eine logische Antinomie aufgebaut, die als solche nicht auflösbar ist, solange er an beiden ‚Polen‘ (‚Objekt an sich‘ versus ‚Raum der Phänomene mit Reflexion‘) festhalten will. So nimmt es auch nicht wunder, dass er auf den folgenden Seiten MdE 61-71 letztlich nichts anderes tut, als mit immer neuen –oder auch gleichen– Worten diese Antinomie zu beschreiben, wie ein Hamster in einem Laufrad; das Ergebnis ist vorhersagbar….

 

ES GEHT WEITER

 

(3) Folgendes Zitat mag diese These illustrieren: „Das Problem beginnt schon mit dem nackten Gegenüber von Subjekt und Objekt. Wie kann zwischen diesen beiden eine aktuelle Relation bestehen, da doch ihre Sphären derart getrennt und einander getrennt sind, dass jede von ihnen auch außer der Relation für sich besteht? Entweder die Relation ist ihnen unwesentlich und inaktuell, oder sie hebt ihre Transzendenz auf. (MdE, 61).

 

(4) Dies ist der eine Pol, die Annahme eines ‚Objekts an sich‘. Wohlgemerkt: Hartmann hat vorher nirgends eine wirkliche Begründung für die Annahme eines ‚Objekts an sich‘ geliefert. Es erscheint ihm einfach ‚evident‘, wobei die Eigenschaft ‚evident‘ nicht weiter erläutert wird (z.B. durch Kontextbedingungen) (mir persönlich z.B. erscheint diese Annahme keinesfalls ‚evident‘).

 

(5) Der andere Pol, der Gegenpol, ist illustriert durch die folgenden Worte: „Wenn Subjekt und Objekt mit ihrem ganzen Sein nur Erkennendes und Erkanntes wären und in der Erkenntnisrelation aufgingen, so könnte diese als das Primäre aufgefasst werden. Subjekt und Objekt wären dann nichts als untergeordnete Momente an ihr … dann wäre ihre Einheit ihnen wesentlich und mit ihnen notwendig gesetzt;…“ (MdE, 61)

 

(6) Wenn es so wäre, dass das Objekt und Subjekt ausschließlich in der Erkenntnisrelation vorkommen, dann wäre es so und man müsste untersuchen, was daraus folgt. Doch aus irgendwelchen Gründen tut sich Hartmann schwer mit dieser Ansicht; er schreibt: „… mit dem Subjekt wäre notwendig das Objekt gesetzt und umgekehrt. Diese Auffassung ist die aller Identitätsphilosophie; sie ist falsch, weil sie dem Phänomen nicht entspricht.“ (MdE, 61) So einfach ist das: „weil sie dem Phänomen nicht entspricht“. In seiner Erkenntnis von Welt, muss Hartmann ein ‚Wissen‘ haben, das ihn daran hindert, die Verortung von Subjekt und Objekt in der Erkenntnisbeziehung so zu sehen, dass es ein unabhängig davon existierendes Objekt nicht geben könnte. ‚Etwas‘ in seinem ‚Wissen‘ treibt ihn dazu, zu postulieren, dass das Phänomen in sich Informationen trägt, die ‚über es selbst‘ hinausweisen hin in einen von der Erkenntnisbeziehung unabhängigen Bereich. Dieses Wissen, das ihn da ‚treibt‘ beschreibt er aber nicht direkt und explizit. Man könnte an dieser Stelle spekulieren, dass er ‚mehr‘ haben möchte, ein ‚umfassenderes‘ Wissen als nur ein solches, das im Rahmen der Subjekt-Objekt-Erkenntnisbziehung entstehen kann. Doch dies ist Spekulation. Die Überlegungen sind hier wie im Fall der sogenannten ’schwarzen Materie‘ (‚dark matter‘) der Physiker: man kann sie nicht direkt beobachten, nur indirekt über ihre beobachtbaren Wirkungen erschliessen.

 

(7) Möglicherweise kann die folgende ‚Antinomie des Bewusstseins‘ einen leichten Hinweis bieten. Hartmann umschreibt diese wie folgt: „These: Das Bewusstsein muß aus sich heraustreten, sofern es außer sich erfasst, d.h. sofern es erkennendes Bewusstsein ist. Antithese: das Bewusstsein kann nicht aus sich heraustreten sofern es nur seine Inhalte erfassen kann, d.h. sofern es erkennendes Bewusstsein ist.“ (MdE, 62)

 

(8) Diese Antinomie lebt von ihren beiden Thesen. Wenn eine davon falsch wäre, würde sie in sich zusammen sinken. Z.B. ist die These, dass das Bewusstsein ‚aus sich heraustreten‘ müsse, sofern es außer sich etwas erfassen würde, fragwürdig. (i) Erstens unterstellt Hartmann hier eine Verschiebung von Subjekt zu Bewusstsein: ursprünglich war es das ‚Subjekt‘, das innerhalb einer Erkenntnisbeziehung zusammen mit einem ‚Objekt‘ vorkommt und das ‚Bewusstsein‘ kann gesehen werden als dieser ‚Erkenntnisraum‘, der sich durch die Erkenntnisbeziehung ‚aufspannt‘; natürlich nicht wie ein ‚physikalischer‘ Raum, sondern ein gnoseologischer (kognitiver) Raum des gleichzeitigen Vorkommens von Erkanntem und Erkennen (letzteres bei Husserl das transzendentale ego). (ii) In dieser Lesart muss also das Bewusstsein nicht aus sich herausgehen, um zu erkennen, sondern anlässlich des Erkennens in einer sich ereignenden Erkenntnisbeziehung ‚gibt‘ es einen Erkenntnisraum, das Bewusstsein. Das Bewusstsein ist das ‚Resultat‘ des ‚Aufeinandertreffens‘ von zu erkennendem Objekt und ‚Erkennen‘. Das Erkennen selbst ist kein ‚Objekt‘, keine ‚Substanz‘. Die Einführung der Bezeichnung ‚Subjekt‘ für das ‚Erkennen‘ ist eine Notlösung, da es für das ‚Erkennen‘ keine anderen vergleichbaren Objekte gibt. Das ‚Erkennen‘ ist etwas ganz Einzigartiges. Die Benutzung des Begriffs ‚Subjekt‘ verleitet viele Menschen dazu, hinter ‚Subjekt‘ etwas Konkretes, Substantielles zu sehen; das ist aber in keiner Weise gerechtfertigt. Würde man dieser Begriffsklärung folgen, dann wäre die These hinfällig, und damit wäre die Antinomie hinfällig.

 

(9) Neben der sogenannten ‚Antinomie des Bewusstseins‘ beschreibt Hartmann aber auch noch eine ‚Antinomie des Objekts‘: „These: Die Bestimmtheiten des Objekts müssen dem Subjekt irgendwie übermittelt werden, sofern Erkenntnis stattfindet; das Bild im Subjekt kann nur ‚objektiv‘ sein, d.h. Züge des Objekts tragen, wenn das Objekt sie irgendwie auf dasselbe übertragen kann; in dieser Übertragung ist aber die Transzendenz des Objekts für das Subjekt bereits durchbrochen. Antithese: die Bestimmtheiten des Objekts können sich auf das Bild im Subjekt nicht übertragen, sie bleiben der Sphäre des Subjekts transzendent; denn im Objektbewusstsein ist die Transzendenz des Objekts im Subjekt nicht durchbrochen, sondern bleibt intakt; es meint das Objekt gerade als Ansichseiendes, welches gleichgültig ist gegen sein Erkanntwerden.“ (MdE, 63)

 

(10) Als erstes fragt man sich, wie es möglich ist, dass Hartmann über ein Objekt reden kann, das nach seiner Charakterisierung ‚außerhalb der Erkenntnisbeziehung‘ anzusiedeln ist. Denn –wie er ja selber umschreibt– ist das Objekt ‚innerhalb‘ der Erkenntnisbeziehung, dann ist es kein eigenständiges Etwas ‚außerhalb‘ des Erkennens (eine Tautologie, die aus der zuvor angenommenen Definition folgt), oder aber es ist etwas ‚außerhalb des Erkennens‘, dann fragt man sich zurecht, wie kann man davon wissen. Nach gesetzter Definition von Erkennen als an eine Erkenntnisbeziehung gebundenes Phänomen ist dies –wieder ganz tautologisch– aufgrund der vorausgesetzten Definition nicht möglich. Es gibt hier vielerlei Strategien, um die Antinomie aufzulösen. Zwei grundsätzliche sind die folgenden: (i) Hartmann zieht entweder seine Aussagen über das ‚Objekt an sich‘ zurück weil sie unzulässig sind, weil es keinen hinreichenden ‚Erkenntnisgrund‘ gibt um über ‚Objekte an sich‘ zu sprechen, oder (ii) er muss seinen Erkenntnisbegriff ändern; dann muss er annehmen, dass es jenseits der primären Subjekt-Objekt-Relation noch weitere Aspekte für das Subjekt gibt, die es ihm erlauben, vom ‚Bild des Objekts‘ auf das ‚hinter dem Bild liegende‘ ‚Objekt an sich‘ zu schliessen.

 

(11) Wie ich in meinem Vortrag in Bremerhaven ansatzweise herausgearbeitet hatte, sehe ich eine Lösung zwischen (i) und (ii). Die Rede von einem Objekt an sich im Sinne einer ‚absoluten‘ Erkenntnis eines ‚Objekts an sich‘ erscheint mit durch nichts gedeckt (und Hartmann kann dazu letztlich auch nichts Überzeugendes einbringen). Deshalb ist auch die Formulierung vom ‚Bild des Objekts‘ zunächst nicht wirklich begründet. Das Subjekt hat tatsächlich primär nur diejenigen Eigenschaften eines Objekts, die innerhalb der Erkenntnisbeziehung –und damit innerhalb des Bewusstseins– auftreten. Allerdings bietet der Raum der Reflexion vielerlei Anknüpfungspunkte, durch die deutlich wird, dass das erkennende Subjekt Abstraktionen, Verallgemeinerungen jenseits aktueller Phänomene bilden kann, Beziehungen und Vergleiche –auch zwischen Vorher und Nachher–, die die Bildung von Begriffen erlauben, die ein aktuelles Phänomen sehr wohl als nur eine ‚Realisierung‘ von einem Phänomenkomplex erkennen kann, der ansatzweise die Bildung eines Objektbegriffs erlaubt, der weit allgemeiner ist als jede aktuelle Realisierung, aber dennoch nicht das ‚Objekt an sich‘ repräsentiert. Wohl lassen sich Begriffe bilden, die diese ‚Veränderlichkeit‘ eines Objektbegriffs, sein ‚potentielles Wachsen‘ adressieren können. Dies könnte man auch als ‚Transzendenz‘ bezeichnen, allerdings in einem abgeschwächten Sinne als ‚gnoseologische (kognitive) Transzendenz‘; es ist eine Form von Transzendenz, aber eine ‚induktive‘, keine solche, die sich aus der Erkenntnis eines ‚Objekts an sich‘ direkt speisen würde.

 

Zur direkten Fortsetzung schaue hier

 

 

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LITERATURVERWEISE

 

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).

Philosophische Büttenrede…

(Vorgetragen am 19.Febr.2012)

Liebe Narren,

in diesen Tagen,

was soll ich sagen?

 

Die Welt trauert um Whitney Houston,

die Demokraten feiern den Abschied von Christian Wulff,

in Syrien richtet Assad ein Blutbad nach dem anderen an,

die Tuareg wehren sich gegen die Ausrottung durch ihre eigenen Regierungen,

 

aber — trotz allem – und dennoch —

die Narren sind los.

Von Mainz bis Düsseldorf,

von Köln bis Franken,

die Menschen proben den Ausstand vom Alltag,

die Ausnahme von der Regel,

suchen die Nähe der anderen,

feiern und schunkeln,

erleben die Kraft der Fantasie,

ja, ich bekenne,

ich bin ein Fan der Stunksitzung in Köln,

ich bin besoffen von Pink Punk Pantheon,

ich bin ein Philosoph zwischen

Spass und Wahrheit,

zwischen der Alternative und dem Jetzt, das schon tot ist in dem Moment, wo es stattfindet.

 

PHILOSOPH UND WAHRHEIT

Ja, es ist wahr,

in all diesem Gewusel von Ereignissen, Hektiken, Schlagzeilen,

ein wahrer Philosoph versinkt trotz allem in seinen Gedanken,

taucht ab in Sein und Nichtsein,

denkt über sein Denken,

fragt sich, ob wirklich ist, was zu sein scheint,

fragt ob wahr ist, was Wahr zu sein beansprucht,

grübelt über sich, Gott und die Welt,

und weiss nie, ob Sinn macht, was er da treibt.

 

Ja, so ein Philosoph der hat’s nicht leicht…

 

Körper, Triebe, Sucht…

… wohnt sein Denken doch im Hirn,

dieses sitzt im Körper,

wie in einer Flaschenpost,

angefüllt mit Trieben allerlei Art.

Diese schrein Jucheeh, wenn wir sie bedienen.

Wen wundert’s dann wenn

Sex, Alkohohl und Drogen tun so gut,

süße Speisen, Anerkennung, Lob geh’n runter wie nichts, …

Macht, Reichtum, Publicity… wer kann dem widerstehen?

Für sich sein, Alleinsein, sein eigener Herr sein,

wie angenehm…

Drum, liebe Narren, wundert euch nicht, wenn

so viele Kranke uns umgeben.

Es ist nicht nur die Arbeit, die uns quält,

nein, wir selbst

sind unsre eignen Feinde,

der Körper ist’s, das Hirn,

das in uns waltet ohne uns zu fragen.

 

Geschlechterkampf

Geschlechterkampf,

Mann und Frau,

ein pompöses Gerede,

das ablenkt von den harten Trieben,

tief in uns drin,

die mitgegeben uns durch lange Zeiten,

vom Werden und Vergeh’n des Lebens auf dieser Erde.

Nicht wir, 2012, sind die Herren des Geschehens,

nein, die Gene sind’s, die uns treiben!

 

Philosoph

So ist’s dann doch wieder der Philosoph, der

erahnt, vielleicht erkennt,

was die Welt im Innersten zusammendrängt,

warum heute ist, was uns umgibt,

warum wir sind, was wir sind,

und was das bessere Bild vom Menschen wäre –vielleicht–

nicht ganz so kitschig, so naiv, als ….

 

Politik

… während ich so räsoniere sucht Schöneck einen neuen Bürgermeister –oder auch eine Meisterin, Hausfrau oder Jugendbildungsexpertin–

die Deutschen suchen einen neuen Präsidenten,

der Sarkozy ringt um seine Macht,

die Griechen wollen unser Geld,

die USA türmen Schulden auf Schulden,

Lobbyisten umgarnen die Politik,

Minister vergeben massenweise neue Pöstchen mit unserem Geld,

Vetternwirtschaft nennt man das,

Korruption greift weiter um sich,

Staatsanwälte sind nicht unabhängig,

Richter werden seltsam, Polizei kassiert erst mal ab,…

 

Medien

Wo sind da unsere Medien, unsere Journalisten?

Gibt es noch welche, die ‚frei‘ sind, ‚unabhängig‘?

Gibt es noch Zeitungen, die untersuchen, was zu untersuchen ist?

Frei von Werbung, frei von platter Sensationsmache?

Haben wir noch eine reelle Chance, uns eine Meinung zu bilden,

uns das Bild zu machen, das wir brauchen,

um zu wissen, wo es langgeht?

 

Natur und Tiere

Auf die Tiere können wir wohl nicht warten, dass sie uns helfen.

In mehr als 3 Mrd Jahren

  • sind wir es, der homo sapiens, der den Durchbruch schaffte zu Bewusstsein, Sprache, komplexen sozialen Gebilden

  • sind wir es die die Welt überziehen wie ein überall sich ausbreitender Teppich von Menschen, Gebäuden, Strassen, die Nachts als bunte Lichterketten leuchten

  • sind wir es die die Erde aussaugen mit Rohstoffen, Energie,

  • sind wir es die alle anderen Arten ausrotten, buchstäblich auffressen

Hunger und Durst wachsen, weil wir uns vermehren

doch es gibt nicht beliebig viel:

die Erde ist klein,

das Weltall so groß…

 

Abgang

Ja…was ein Philosoph so alles denken muss…

doch, wer will’s schon wissen?

Der Alltag dreht sein Rad auch so,

heute wie morgen.

Du fährst zur Arbeit,

das Radio plärrt,

der Kollege nervt,

abends ist Feierabend

das Bier schmeckt….

und doch…

spürt es nicht jeder?

Dieses ‚Oh je‘, ‚Ach‘ und ‚Au‘ …

das sind nicht unsere letzten Worte.

Wir können jammern, ja lamentieren,

wir können aber auch fantasieren,

Wir können ändern was uns drückt und quält,

wir können lachen und

das machen, was uns weiterhilft.

Gemeinschaft ist ein Zaubertrank,

mit Witz, Humor und Fantasie,

kann Dunkles neu erhellen,

kann Leben sich neu erfinden lassen.

Deswegen liebe Narren hier,

lasst uns leben aus der Freude,

die verändern kann, was uns bedrückt.

Städe – Helau!!!

 

A POSTERIORI, A PRIORI, TRANSZENDENZ, AN SICH, FÜR SICH – Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

Begrifflicher Rahmen zu N.Hartmann’s MdE

VORGESCHICHTE

(1) Bei der Lektüre von Husserls Pariser Vorlesungen von 1929 –bekannt als ‚Cartesianische Meditationen‘– hatte sich gezeigt, dass sich Husserl im Rahmen seiner Beschreibung der phänomenologischen Analyse schwer tat, die Eigenstellung des ‚Objektes‘ in seinem Denkrahmen zu beschreiben (siehe dazu die vorausgehenden Reflexionen in diesem Block; eine Übersicht findet sich hier). Obgleich das ‚Objekt‘ ein wesentliches Moment in seiner Beschreibung des ‚transzendentalen ego‘ war, hatte es dennoch keine absolute Eigenständigkeit innerhalb des Denkhorizontes. Das Denken war primär. In diesem Sinne erweist sich das Husserlsche Denken als ‚idealistisch‘. Zum Ende seiner Vorlesungen bemerkt Husserl, dass er mit diesem Denkansatz ein Problem bekommt um dem Phänomen des ‚Anderen‘ als ‚Du‘ gerecht werden zu können.

 

(2) In meinem Vortrag in Bremerhaven hatte ich nachfolgend herausgearbeitet, dass ein phänomenologisches Denken sich nicht im absoluten Gegensatz zu einem empirischen Denken befindet und dass, darüber hinaus, ein phänomenologisches Denken sogar der Unterstützung des empirischen Denkens bedarf, um seine eigenen Denkvoraussetzungen ‚kritisch‘ zu klären. Kritisch nicht im Sinne von Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘ als Klärung ohne Bezug zur Empirie, sondern durch Einbeziehung der Empirie hinsichtlich der empirischen Voraussetzungen des Denkens.

(3) Die Vorgehensweise der Einbeziehung der Empirie zur Klärung der Voraussetzungen des Denkens wurde schon von anderen praktiziert (im Vortrag verweise ich auf einige Publikationen im Rahmen einer sogenannten ‚Evolutionären Erkenntnistheorie‘: Literaturhinweise). Ein solches Vorgehen setzt allerdings die Annahme voraus, dass das uns bekannte bewusste Denken eine Leistung des Gehirns ist. Dies bedeutet, dass wir nur solches bewusst erleben und denken können, was durch die ‚Schaltungen der neuronalen Maschinerie‘ möglich ist. Allerdings folgt daraus nicht, dass man aus den physikalischen Eigenschaften dieser neuronalen Maschinerie die korrespondierenden bewussten Leistungen direkt erschließen könnte. Die ‚bewussten‘ Leistungen gehören zur ‚Innensicht‘ des Gehirns und sind als solche nur von dem beschreibbar, der diese ‚Erlebnisse‘ hat. Daraus ergibt sich, dass eine Beschreibung der Struktur und Dynamik des Bewusstseins aus der Innensicht eine unverzichtbare und irreduzible Aufgabe einer philosophischen Analyse des menschlichen Denkens ist –als phänomenologische Theorie TH_ph–, allerdings notwendigerweise korrespondierend mit neuropsychologischen Untersuchungen zur Denkmaschinerie TH_nn und dem korrespondierenden Verhalten TH_sr, will man ein minimal vollständiges Bild gewinnen.

(4) In diesem Zusammenhang bin ich durch die Lektüre von K.Lorenz ‚Die Rückseite des Spiegels‘ aufmerksam geworden auf die Philosophie Nicolai Hartmanns. In der Darstellung von Konrad Lorenz gewann ich den Eindruck, dass N.Hartmann der Stellung des ‚Objekts‘ innerhalb des Denkens von vornherein mehr Gewicht verleiht als Husserl. Während Husserl gegen Ende seiner Pariser Vorträge große Probleme hat, dem ‚Objekt‘ innerhalb seines Denkens wieder eine angemessene Stellung zu verschaffen, nachdem er es zuvor weitgehend annulliert hatte, soll Hartmann nach Lorenz dem ‚Objekt‘ innerhalb des Denkens von vornherein eine sehr starke Stellung eingeräumt haben.

(5) Nach kurzer Recherche habe ich dann begonnen jenes Werk von Hartmann zu lesen, durch das er sich vom Idealismus einer Marburger Schule abgewendet haben soll, eben seine ‚Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis‘ [MdE] von 1929.

MdE – AUSGANGSPUNKT

(6) In der ‚gnoseologischen‘ Einleitung bezeugt Hartmann, dass er den Ausgangspunkt einer philosophischen Analyse analog zu Husserl in einer ‚phänomenologischen Analyse‘ des Gegebenen sieht. So schreibt er explizit „Nur das größtmögliche Maximum an Gegebenheit kann der wahrhaft kritischen Einstellung genügen, die bis hinter alle möglichen Standpunkte zurückgreift und auch gegen sie kritisch bleibt.“ (MdE,43). Und weiter „Der Phänomenologie müssen alle Phänomene als gleichwertig gelten. Für die Theorie können sie es nicht sein. Phänomenologie … steht ja nicht nur diesseits der Theorie, sondern diesseits aller Problemstellung. Ihre ganze Arbeit ist die Ordnung und Zusammenfassung des Gegebenen unter der Einheit deskriptiver Begriffe. Was sie als gegeben zusammenstellt, erhebt nicht den Anspruch auf objektive Realität, sondern nur auf Geltung als Phänomen. Und eben das Phänomen ist es, was die Theorie zu deuten hat.“ (MdE,43)

 

(7) Dieser Abschnitt enthält eine Reihe von wichtigen Begriffen, die innerhalb der Einleitung nicht wirklich erläutert werden, die aber dennoch Schlüsselbegriffe zu sein scheinen, die einen ‚Rahmen‘ aufspannen, innerhalb dessen sich alle weiteren Überlegungen bewegen werden.

(8) Ein erstes Gegensatzpaar bilden einerseits die ‚Phänomen als Gegebenes‘ und andererseits ein möglicher ‚Standpunkt‘, der von den gegebenen Phänomenen insoweit als ‚unabhängig‘ anzunehmen ist, als es offensichtlich mehr als einen einzigen Standpunkt zu den gleichen Phänomenen geben kann (andernfalls gäbe es eine denknotwendige Verbindung von gegebenen Phänomenen zu einem Standpunkt und eine Betonung auf die Phänomene ‚hinter allen möglichen‘ Standpunkten wäre unnötig). An dieser Stelle ist nicht ganz klar, was ein solcher ‚möglicher Standpunkt‘ unterschieden von gegebenen Phänomenen sein soll. Hartmann stellt nur fest, dass die Konzeption des ‚Standpunktes‘ auf der „letzten und abhängigsten“ Einsicht basiert, die vom „Ganzen der Problembehandlung“ abhängig ist (vgl. MdE, 43).

 

(9) Ebenso gibt es eine Unterscheidung zwischen gegebenen Phänomenen und einer ‚Theorie‘, von der gesagt wird, dass sie die Phänomene ‚deute‘. Was man sich genau unter ‚Theorie‘ oder unter ‚Deuten‘ vorstellen sollte, erklärt er auf den ersten 43 Seiten nicht). Man kann vermuten, dass es sich um eine von den gegebenen Phänomenen verschiedene Ebene des Denkens handeln kann, die durch Bereitstellung von eigenständigen Zusammenhängen diese Phänomene ‚deutet‘.

 

(10) Er spricht außerdem von ‚deskriptiven Begriffen‘, die dazu dienen, die gegebenen Phänomene Ph zu ‚Ordnen und Zusammenzufassen‘ bzw. ‚Zusammenzustellen‘. Was man sich unter ‚deskriptiven Begriffen‘ vorstellen soll bzw. wie man sich ein ‚Ordnen‘ und ‚Zusammenstellen‘ vorzustellen habe, wird nicht erklärt. Man kann spekulieren, dass ‚deskriptive Begriffe‘ B_des Ausdrücke einer Sprache L sind (B_des subset L), mittels deren Bezug genommen wird auf gegebene Phänomene als mögliche ‚Bedeutungsträger‘ D subset Ph (Designate, Bezeichnete, Signifie, …) M: L —> D. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit solche deskriptiven Begriffe B_des selbst auch Phänomene sind/ sein müssen. Wären die Ausdrücke B_des Phänomene im Sinne Husserls, dann wären sie bar jeglicher Bedeutung D, da die Bedeutungsbeziehung M(L,D) als solche etwas ist, was weder einem Ausdruck B_des als solchem noch einem potentiellen Bedeutungsträger D als solchem zukommt. Die Bedeutungsbeziehung ist ein ‚eigenständig Gegebenes‘ als Eigenschaft unseres Bewusstseins, das wir ‚vorfinden‘. D.h. unser Bewusstsein ‚zeigt‘ uns, dass wir zwei unterschiedliche eigenständige gegebene Phänomene B_des_i und Ph_j über eine Bedeutungsbeziehung M() so miteinander verknüpfen können, dass ab einem bestimmten ‚Punkt‘ eine Bedeutungsbeziehung M(B_des_i, Ph_j) gegeben ist, durch die das Phänomen Ph_j zu einem ‚Designat‘ (zu einer Bedeutung) für das Phänomen B_des_i wird und umgekehrt das Phänomen B_des_i zu einem ‚Zeichen‘ für das Phänomen Ph_j. In diesem Zusammenhang könnte man die deskriptiven Begriffe dann ‚definieren‘ als solche ‚Zeichen‘, die in einer Bedeutungsbeziehung M() zu einem gegebenen Phänomen des Bewusstseins stehen. Sofern man solche deskriptiven Begriffe zur Kommunikation zwischen verschiedenen Bewusstseinen benutzen möchte müsste geklärt sein, wie es möglich ist, dass zwei verschiedene Bewusstseine A und B eine ‚hinreichend ähnliche‘ Bedeutungsbeziehung etablieren können, obschon weder A die Phänomene von B kennt noch B jene von A. Ferner wäre zu klären, ob und wie die Bedeutungsbeziehung M() in beiden Bewusstseinen ‚hinreichend ähnlich‘ ist bzw. sein kann.

 

(11) Schließlich bringt Hartmann den Begriff ‚objektive Realität‘ ins Spiel, und zwar als etwas, was außerhalb der phänomenologischen Analyse liegt. Phänomene sind zwar per se auch ‚real‘, aber nicht ‚objektiv‘. An dieser Stelle ist schwer ersichtlich, was mit einer Realität ‚außerhalb‘ der Phänomene des Bewusstseins gemeint sein kann, da ja nach allgemeiner Annahme alles, was wir wissen und wissen können nur durch die Vermittlung des Bewusstseins erkenntnismäßig fassbar wird.

 

MdE – SUBJEKT, OBJEKT, TRANSZENDENTAL

 

(12) Hartmann beginnt seine Analyse mit der Annahme, dass jegliche ‚Erkenntnis‘ geprägt ist von den unterscheidbaren Momenten ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘: das Subjekt ‚erfasst‘ das Objekt und das Objekt ist für das Subjekt ‚erfassbar‘. Diese Asymmetrie ist nicht ‚umkehrbar‘ bzw. nicht ‚vertauschbar‘. Hartmann spricht sogar davon, dass sich in diesem ‚Hinausgreifen des Subjekts‘ anzeigt, dass die Sphäre des Objekts für das Subjekt ‚transzendent‘ ist, da das Subjekt zum Erfassen des Objekts ’sich verlassen‘ (‚transzendieren‘) muss. Andererseits bedingt eine Objekt-Erkenntnis, dass das Subjekt im Erkennen nicht beim Objekt verbleibt, sondern trotz allem auch bei ’sich selbst‘ ist; dadurch nur ist ein Bewusst-sein-des-Objekts möglich. Schließlich gilt, dass innerhalb der durch das Erkennen zustande kommenden Verknüpfung von Subjekt und Objekt das Objekt ‚unaufhebbar erhalten‘ bleibt. (vgl. MdE, 44f,Nr.1-6)

 

(13) Wie so oft werden in diesem Buch Begriffe –hier ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘– eingeführt, die nicht weiter erklärt werden. Da es sich um komplexe Begriffe handelt, denen allem Anschein nach eine zentrale Rolle zukommt, ist dies ein wenig befremdlich. Andererseits ist aus dem Bereich der modernen Theoriebildung bekannt, dass man innerhalb eines theoretischen Gefüges ‚theoretische Terme‘ einführen kann, deren Bedeutung nur durch ihre logische Funktion im Gesamtkontext gegeben ist. Angenommen, dass es sich bei den Begriffen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ um solche theoretischen Begriffe handelt, dann müssen wir ihre Bedeutung durch den ‚Kontext ihrer Verwendung‘ erschließen. Dabei sollte man bedenken, dass moderne Theorien formale Theorien sind, in denen der Kontext eindeutig gegeben ist. Davon kann hier nicht die Rede sein. Gegen diese Interpretation als ‚theoretische Terme‘ spricht auch, dass Hartmann ja gerade zuvor eine deutliche Abgrenzung zwischen einer ‚phänomenologischen Analyse mittels deskriptiver Begriffe‘ einerseits und möglichen ‚deutenden Theorien‘ andererseits gefordert hat. In diesem Sinne würde man erwarten, dass er hier nicht mit theoretischen Begriffen operiert, sondern mit deskriptiven. Deskriptive Begriffe sollten sich dann aber auf jene Phänomene beziehen, von deren Gegebenheiten wir ausgehen. Nehmen wir dies als Deutungshypothese an, dann müssten wir fragen, auf welche Phänomene beziehen sich die deskriptiven Begriffe ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘?

 

(14) Husserl hatte den Begriff des ‚transzendentalen ego‘ eingeführt, um den nicht weiter aufzeigbaren ‚Fluchtpunkt‘ allen Wissens um etwas zu benennen. Descartes hatte in der Formulierung des ‚cogito ergo sum‘ ein ‚ego‘ impliziert, das als solches kein Phänomen ist wie ein Phänomenkomplex ‚Stuhl‘, ‚Hund‘, ‚Hand‘ usw. Das ‚wissende ego‘ wurde sowohl von Descartes wie auch Husserl als Bedingung jeglicher Erkenntnis geortet –und insofern von Husserl als ‚transzendental‘ bezeichnet–, aber eben nicht vergleichbar jenen Phänomenkomplexen, die gewöhnlicherweise das ‚Etwas‘ im Erkennen markieren, den intentionalen Gegenstand. Nehmen wir einmal an, Hartmann meint mit ‚Subjekt‘ in diesem Kontext das, was Husserl ‚transzendentales ego‘ nannte und Descartes implizit mit seinem ‚cogito ergo sum‘ meinte. Dann könnte man annehmen, dass Hartmann vielleicht mit ‚Objekt‘ all jene Phänomenkomplexe meint, die in der Erkenntnisbeziehung dem transzendentalem ego als ein ‚Etwas‘ gegenübertreten.

 

(15) Mit dieser Interpretation könnte man dann formulieren, dass das in der Erkenntnisbeziehung aufscheinende ‚Etwas‘ als Gegenüber zum transzendentalen ego weder durch das transzendentale ego ‚hervorgebracht‘ wird noch im Erkennen vom transzendentalen ego ‚absorbiert‘ wird. Innerhalb der Erkenntnisbeziehung ist ein mögliches ‚Objekt‘ als ein Etwas der Erkenntnis gegenüber dem erkennenden transzendentalem ego gleichberechtigt und damit dann auch transzendental; es bildet eine Voraussetzung der Erkenntnis, die das transzendentale ego nicht selbst hervorbringt, sondern vorfindet. Gerade darin liegt ja auch irgendwie der Reiz des Erkennens; es hat fundamental den Charakter des ‚Vorfindens‘, ‚Entdeckens‘, ‚Begegnens‘ mit etwas Verschiedenem, Anderem. Strenggenommen geht aber eine Qualifizierung von etwas Gegebenem als ‚transzendental‘ über die phänomenologische Analyse schon hinaus. Zwischen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ zu unterscheiden macht Sinn, da sich hier unterschiedliche Eigenschaften im gegebenen Phänomen einer Beschreibung ‚aufdrängen‘. Diese Beschreibungen weiter zu analysieren hinsichtlich logischer Verhältnisse gehört eigentlich schon in den Bereich einer möglichen Theorie.

 

MdE – BILD DES OBJEKTS

(16) An dieser Stelle trifft Hartmann eine Entscheidung von großer Tragweite. Er schreibt „Das Einholen des Erfaßten bedeutet nicht ein Einholen des Objekts in das Subjekt, sondern nur die Wiederkehr der Bestimmtheiten des Objekts an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem ‚Bilde‘ des Objekts…. Am Objekt entsteht nichts Neues, im Subjekt aber entsteht das Gegenstandsbewußtsein mit seinem Inhalt, dem ‚Bilde‘ des Objekts.“ (MdE, 5, Nr.7). Auf den ersten Blick verletzt er mit dieser Feststellung seine eigenen methodischen Forderungen. Wenn es nicht das Objekt selbst ist, was im Erkennen aufscheint, sondern nur ein ‚Bild‘ von dem Objekt, dann gehört das vorausgesetzte Objekt nicht zu den Phänomenen. Dann aber liegt es außerhalb der von ihm selbst postulierten deskriptiven Phänomenologie. Bestenfalls könnte es Gegenstand einer theoretischen Diskussion sein, die sich um eine angemessene theoretische Deutung des phänomenologischen Sachverhalte bemüht. Innerhalb einer deskriptiven Phänomenologie habe ich aber nur jene Phänomene, die tatsächlich innerhalb des Erkennens aufscheinen. Lässt sich der Begriff des ‚Objekts‘ wie vorher angesprochen einigermaßen deuten als typische Phänomenkomplexe, die innerhalb des Erkennens als ‚Etwas‘ aufscheinen, entzieht sich der Begriff eines ‚Objekts als dem Erkennen jenseitig‘, verstanden als ‚Objekt als solches‘, jeglicher Phänomenologie; dies ist mehr als transzendent und daher –in diesem Kontext– rational nicht nachvollziehbar.

(17) Hartmann scheint sich dieser Problematik bewusst zu sein. Er führt nämlich dann die Unterscheidung zwischen ’schlichter, unreflektierter Erkenntnis‘ ein und solcher Erkenntnis (MdE. 45), in der ein Moment von ‚Reflexion‘ vorkommt; letztere aber noch unterschieden von einer vollständigen ‚Theorie‘ (MdE,46). Die schlichte, naive, unreflektierte Erkenntnis kann nach ihm nicht unterscheiden zwischen dem ‚Objekt als solchem‘ und dem ‚Bilde des Objektes‘. Erst in Verbindung mit Reflexion lassen sich die ‚Bestandteile des Phänomens aufzeigen‘, bewusst machen. Die hier notwendige Reflexion ist noch nicht die Theorie, aber doch die Voraussetzung einer möglichen Theorie. Aufgrund ihrer Unterscheidung kann eine Theorie entstehen. Zugleich stellt er fest, dass eine schlichte, naive Erkenntnis im Alltag niemals isoliert auftritt sondern immer schon eingebettet in ein alltägliches ‚Meinen über das Erfasste‘, das direkt in das Erfasste ‚hineininterpoliert‘ ist (vgl. MdE, 46).

(18) Selbst wenn man Hartmann zustimmt, dass das alltägliche Erkennen eine beständige Mixtur von phänomenologischen Sachverhalten, vorgefertigten Interpretationen in Form von Meinungen und andauernden Reflexionen ist, so kann und muss man sich fragen, warum er zuvor so klare methodische Unterscheidungen aufstellt, wenn er sie dann doch nicht –mit Verweis auf eine vorphilosophische, davon abweichende Praxis– dann noch nicht selbst beherzigt?

 

(19) Nach diesem Einschub mit ’naiver‘ versus ‚reflektierender‘ Erkenntnis wiederholt er dann seine These „Es ist der Gegenstand nicht wie er an sich ist, sondern wie er gesehen, erfaßt oder gemeint ist. Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ (MdE,46) Und, etwas später „…Dieses Etwas nun,als welches er vorkam oder vorschwebte, ist offenbar weder der Gegenstand selbst noch auch das Subjekt, sondern ein von beiden unterschiedenen Drittes, das in die Erkenntnisrelation eingeflochten ist. Es ist das, was man die ‚Vorstellung‘ des Gegenstandes genannt hat.“ (MdE, 46f)

 

(20) Entscheidend ist hier der Satz „Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ Dieser Satz setzt voraus, dass es beim Erfassen eine Unterscheidung von ‚Vorher – nachher‘ gibt

also eine Art Folge von Erfasstem <Erf_1, Erf_2, …, Erf_n>

und dass die inhaltlichen Eigenschaften von etwas Erfassten Erf_i und Erf_i+1 vergleichbar sind, mindestens im Sinne von ‚gleich’/ ‚ungleich‘, also

comp(Erf_i, Erf_i+1) = 1, wenn ‚gleich‘ und =0, wenn ‚ungleich‘.

Eine solche komplexe Operation setzt voraus, dass es ein minimales Gedächtnis (Memory) gibt, das in der Lage ist, ‚vorausgehende‘ Erfassungen soweit zu speichern, dass ein Vergleich mit ’neuem‘, ‚aktuellem‘ Erfassten möglich ist. Sagen wir, dass die zu vergleichenden Gebilde Erf_i und Erf_i+1 auf der ‚gedanklichen Ebene‘ Level_k liegen, dann operiert der Vergleich auf einer höheren Ebene Level_k+1. Auf dieser höheren Ebene Level_k+1 ließe sich dann eine Art ‚Metakonzept‘ MK(Erf_i, Erf_i+1) bilden, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede repräsentiert werden könnten (Anmk: in der kognitiven Psychologie gibt es zahlreiche Modelle, wie man solche begrifflichen Strukturen beschreiben könnte). Die ‚Vorstellung‘ bzw. das ‚Bild‘ eines Objektes wäre in dieser theoretischen Rekonstruktion dann eine aktuelle ‚Instanz‘ (Erf_i) eines abstrakten ‚Objektkonzeptes‘ (MK()), das sich anhand der vielen individuellen Instanzen langsam ‚bilden‘ würde. Das ‚Objekt an sich‘ wäre dann ein theoretisches Konstrukt auf der Basis der phänomenalen Ereignisse. In diesem Modell könnt man zum Level_k+1 einen weiteren Level_k+2 bilden. Auf diesem Level könnte man dann Eigenschaften von Objektkonzepten modellieren, z.B. dass ein Objektkonzept ‚unabgeschlossen‘ ist, d.h. ein Objektkonzept kann sich grundsätzlich verändern, weiter entwickeln (Anmk: dieses Modell wurde schon anlässlich der Diskussion von Husserls Cartesiansichen Meditationen beschrieben. Würde man es akzeptieren, dann würden sich hier Husserl und Hartmann bis zu diesem Punkt nicht wirklich unterscheiden).

 

(21) Für Hartmann ist es wichtig, zu betonen, –hier Fichte positiv zitierend– „Erkenntnis ist Bestimmung des Subjekts durch das Objekt“. (MdE,47) Und „Das Subjekt verhält sich in der Erkenntnisrelation prinzipiell rezeptiv zum Objekt“. (MdE,48) Obgleich wir heute wissen (und in anderem Zusammenhang geht Hartmann selbst darauf ein), dass das Subjekt sehr wohl das Aufscheinen von Objekten in seinem Bewusstsein so manipulieren kann, dass das, was aufscheint, mit ‚unabhängig vom Bewusstsein existieren Objekten‘ wenig bis gar nichts mehr zu tun hat (Selbsttäuschung, Wahn, Lüge, Propaganda, Desinformation, Fantasie, Virtuelle Welten,…), kann man zustimmen, dass dort, wo das Subjekt in einer ’nicht manipulierten Umgebung‘ lebt, das im Bewusstsein Erfasste Eigenschaften ‚von Etwas jenseits des Bewusstseins‘ transportiert, die die Gestalt des Bewusstseins ‚prägen‘ können. In gewisser Weise folgt dann das Bewusstsein dem Objekt anhand des postulierten Gedächtnisses.

 

MdE – A POSTERIORI, A PRIORI

(22) Hartmann führt dann auch noch die Unterscheidung ‚a posteriori‘ und ‚a priori‘ ein. ‚A posteriori‘ nennt er alles Erfassen, bei dem das Erkennen sich auf einen ‚realen Einzelfall‘ bezieht. (cf. MdE,50). Alles Erfassen, bei dem ein realer Einzelfall nicht vorliegt und eine Erkenntnis aufgrund des ‚allgemeinen Wesenszuges‘ des Gegenstandes, aufgrund seines ‚idealen‘ Seins, möglich ist, nennt er ‚a priori‘. (vgl. MdE, 50).

 

(23) Auf den ersten Blick bieten diese Begriffsdeutungen zum Vorausgehenden kein Problem, da Metakonzepte als solche immer Möglichkeiten bieten, allgemeine Aussagen über ein Erfasstes zu machen, ohne dass dieses als Instanz gegeben ist. D.h. das ‚A priorische‘ wäre in diesem Modell indirekt gegeben durch die sich herausbildenden Strukturen im Bereich der Metakonzepte. Es ist aber nicht ganz klar, ob Hartmann nicht doch noch etwas anderes, und sogar ‚mehr‘ meint, wenn er diese Begriffe benutzt.

(24) So spricht er vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn und zitiert Kant mit dem Gedanken, „… dass er das eigentliche Erkenntnisphänomen des Apriorischen in seiner ‚objektiven Gültigkeit‘ erblickt, d.h. im Zutreffen des innerlich Erschauten auf den transzendenten Gegenstand.“ (MdE, 51). Im vorausgehenden Modell könnte man zwar ein entstehendes Metakonzept immer wieder neu mit dem aktuell Erfassten vergleichen und im Falle der ‚hinreichenden Ähnlichkeit‘ dies als ‚Bestätigung‘ mit der ‚transzendentalen Quelle‘ interpretieren, unabhängig von den Metakonzepten macht es aber keinen rechten Sinn, von einem ‚transzendenten Objekt‘ zu sprechen, da hierfür jeglicher Ansatzpunkt fehlt. Man kann sich zwar vorstellen, dass man die Erkenntnisebenen Level_k+2 weiter ausdehnt und z.B. ein umfassendes Metakonzept bildet, in dem das Konzept (die Idee?) eines Raumes formiert wird, in der das Bewusstsein als ein Element vorkommt, das von hypothetischen Objekten beeinflusst werden kann. Dies wären dann Konzepte möglicher transzendenter Objekte, aber diese Metakonzepte selbst wären natürlich keine transzendenten Objekte. Es ist schwer zu sehen, wie Hartmann diese Rede von transzendenten Objekten im Rahmen der menschlichen Erkenntnis rechtfertigen kann. Auch die Rede vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn ist problematisch. Wenn das Subjekt über phänomenologische Komplexe sowie darauf aufbauende Metakonzepte nicht hinauskommt, wie kann er dann in einem absoluten Sinne von ‚Außen‘ versus ‚Innen‘ sprechen? Bislang wäre eine Reden von ‚Außen‘ nur in einem abgeleiteten Sinne innerhalb der Metakonzeptbildung möglich.

 

(25) Hartmann hält diese Mehrdeutigkeit eine Zeitlang noch in der Schwebe, da er für den Bereich des Erkennens (die gnoseologische Sicht) eine letzte Unabhängigkeit von Subjekt und Objekt voneinander ausschließt (vgl. MdE, 51-53), formuliert aber so, dass mit Blick auf eine ontologische (die Existenz betreffende) Sicht ein An-sich-sein postuliert, von dem aus das Objekt vom Subjekt unabhängig ist und in diesem Sinne wahrhaft ‚transzendent‘ und nicht nur ‚transzendental‘. Ferner schließt er in ontologischer Sicht nicht aus, dass auch das Subjekt ‚mehr‘ ist als nur Erkennen. (vgl. MdE, 52f)

 

(26) Ein solcher ‚Flirt‘ mit einer ontologischen Sicht mag ’nett‘ wirken, ist aber letztlich ‚unseriös‘, wenn darauf verzichtet wird, heraus zu arbeiten, wie es möglich ist, auf der Basis einer gnoseologischen (strikt an der Erkenntnis orientierten) Sicht zu ontologischen Aussagen zu kommen, die deutlich mehr Informationen enthaltenen, als die Erkenntnisbasis hergibt. Ich sehe in dem Text soweit bislang keinerlei Ansatzpunkt, wie Hartmann seine ontologischen Deutungen rechtfertigen könnte.

 

MdE – HANDLUNG

(27) Hartmann weist kurz darauf hin, dass das Subjekt durch sein ‚Handeln‘ sehr wohl auch das Objekt verändern könne. (vgl. MdE, 53f). Er gibt hier aber weiter keine Erläuterungen. Dies wäre aber sinnvoll, da das Reden von ‚Handlungen des Subjekts, die das Objekt verändern‘ phänomenologisch alles andere als einfach ist. Allein der saubere Aufweis, wie man begrifflich beschreiben sollte, dass ein Subjekt ‚Aktivitäten‘ ‚plant/ intendiert/ will…‘, diese dann ‚umsetzt‘, die ‚Wirkung‘ dieses seines ‚Handelns‘ erfassen kann als sein eigener Beitrag zur Veränderung des erfahrbaren Objektes ist maximal komplex und ist nach meiner Kenntnis bis heute von niemandem auch nur annähernd geleistet worden. Dies reisst eine gewaltige Lücke in die philosophische Reflexion um das Verhältnis von Subjekt und Objekt.

 

MdE – VARIABLES OBJEKT

(28) Oszillierend zwischen Gnoseologie und Ontologie kreist Hartmann beständig um die Differenz von aktuell erkanntem Objekt und dem allgemeineren Konzept, das sich aus vielen konkreten Ereignissen herausbilden kann. Er selbst neigt dazu (mit Anlehnung an eine nicht begründete Ontologie) diese Differenz interpretierend auszuweiten auf ein Objekt an sich, auf ein wahrhaft transzendentes Objekt, auf ein ‚Transobjektives‘. (MdE, 54) Und er nimmt an, dass das Subjekt von dieser Inadäquatheit zwischen realisiertem und transzendentem Objekt wissen kann, ein ‚Wissen des Nichtswissens‘. (MdE, 54). Daraus leitet Hartmann ein Bewusstsein der ‚Beschränkung‘ her, das zu einem Spannungsmoment wird, welches wiederum den Erkenntnisprozess als Progreß antreibt. (vgl. MdE, 55)

 

(29) Diese schon eher psychologisch anmutenden Spekulationen zeigen, was passiert, wenn man die Bedingungen der Aussagen nicht mehr sauber kontrolliert. Im Rahmen des Erkenntnisprozesses gibt es kein ‚Objekt an sich‘ als ‚transzendierendes‘ Objekt. Wohl lässt sich vorstellen, wie man mit Hilfe von Erkenntnisebenen unterschiedliche Abstraktionsebenen konstruieren kann, die unter Einbeziehung eines –noch näher zu beschreibenden– Gedächtnismodells aus einem Strom von Einzelereignissen abstrakte Konzepte bilden können, die sich durch eine Kontrolle möglicher Übereinstimmungen als abstrakte Metakonzepte etablieren können, mit deren Hilfe das Subjekt seine Orientierung in der Flut der Phänomene verbessern kann. Als Metakonzept lassen sich auch Eigenschaften wie die ‚Unabgeschlossenheit eines Konzeptes‘ bilden, die wiederum die Ausarbeitung einer Strategie erlauben würde, mit Unabgeschlossenheit umzugehen, aber dieser Mechanismus könnte seine eigenen immanenten Beschränkungen nicht vollständig überwinden. Das ‚Objekt an sich‘ bleibt wesentlich unerreichbar. Eine Konsequenz davon ist, dass das subjektive Wissen wesenhaft unabgeschlossen ist und von daher der Strom der Phänomene einen hohen Informationswert besitzt; alles, was ‚abweicht vom Bekannten‘ kann extrem bedeutsam sein.

(30) Erkennen bleibt für ein Subjekt eine zentrale Aufgabe, da das Wissen ‚um das mögliche Ganze‘ ‚verpackt‘ ist im Strom der Phänomene. Das einzelne Subjekt kann nur in der Gemeinsamkeit aller Phänomene die mögliche umfassende ‚wahre‘ Antwort finden. Kein einzelnes menschliches Subjekt kann die Wahrheit des potentiellen Ganzen alleine vorweg nehmen. Die ‚Neugierde‘ wird von Hartmann psychologisch gedeutet als verursacht aus der anhaltenden Differenz, aus dem Wissen des Nichtwissens. Evolutionär-Philosophisch gibt es Hinweise, dass das nackte Überleben eines Organismus von einer immer besseren ‚Anpassung‘ des gesamten Organismus an das vorgegebene ‚universale Objekt‘ Welt – Sonnensystem – Universum abhängt, d.h. unser gesamter Organismus ist so ausgelegt, dass er kontinuierlich auf ein ‚Begreifen des Ganzen‘ ‚programmiert‘ ist, unabhängig vom ‚Wollen‘ eines einzelnen. Der einzelne kann sich allerdings verweigern.

 

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LITERATURVERWEISE

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).