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BUCHPROJEKT 2015 – Zwischenreflexion 18.August 2015 – INFORMATION IN DER MOLEKULARBIOLOGIE – Maynard-Smith

Der folgende Beitrag bezieht sich auf das Buchprojekt 2015.

SPANNENDER PUNKT BEIM SCHREIBEN

1. Das Schreiben des Buches hat zu einem spannenden Punkt geführt, der mich seit Jahren umtreibt, den ich aber nie so richtig zu packen bekommen habe: alle große begriffliche Koordinaten laufen im Ereignis der Zelle als einer zentralen Manifestation von grundlegenden Prinzipien zusammen. Die Physik hat zwar generelle Vorarbeiten von unschätzbarem Wert geleistet, aber erst das Auftreten von selbst reproduzierenden molekularen Strukturen, die wir (biologische) Zellen nennen, macht Dynamiken sichtbar, die ‚oberhalb‘ ihrer ‚Bestandteile‘ liegen. Dies könnte man analog dem physikalischen Begriff der ‚Gravitation‘ sehen: dem physikalischen Begriff entspricht kein direktes Objekt, aber es beschreibt eine Dynamik, eine Gesetzmäßigkeit, die man anhand des Verhaltens der beobachtbaren Materie indirekt ‚ableitet‘.

DYNAMIK BIOLOGISCHER ZELLEN

2. Ähnlich verhält es sich mit verschiedenen Dynamiken von biologischen Zellen. Die Beschreibung ihrer einzelnen Bestandteile (Chromatin, Mitochondrien, Golgiapparat, Membran, …) als solcher sagt nichts darüber aus, was tatsächlich eine biologische Zelle charakterisiert. Ihre Haupteigenschaft ist die generelle Fähigkeit, eingebettet in eine allgemeine Entropiezunahme sich eine Struktur zu generieren, die sich temporär funktionsfähig halten kann und in der Lage ist, Informationen zu sammeln, mittels deren sie sich selbst so kopieren kann, dass die Kopie sich von neuem zu einer funktionsfähigen Struktur aufbauen kann. Wie dies im einzelnen chemisch realisiert wurde, ist beeindruckend, es ist atemberaubend, aber es ist letztlich austauschbar; für die Gesamtfunktion spielen die chemischen Details keine Rolle.

BEGRIFF INFORMATION

3. Und hier beginnt das Problem. Obwohl es von einem theoretischen Standpunkt aus klar ist, dass die Details noch nicht die eigentliche Geschichte erzählen, wird in den vielen umfangreichen Büchern über Genetik und Molekularbiologie die eigentliche ‚Story‘ nicht erzählt. Dies fängt schon an mit dem wichtigen Begriff der Information. Spätestens seit Schrödingers Buch von 1944 „What is Life?“ ist klar, dass das selbstreproduktive Verhalten von Zellen ohne das Genom nicht funktioniert. Und es wurde auch sehr bald der Begriff der Information eingeführt, um den ‚Inhalt‘ des Genoms theoretisch zu klassifizieren. Das Genom enthält ‚Informationen‘, aufgrund deren in einer Vererbung neue hinreichend ähnlich Strukturen entstehen können.

STATISTISCHER INFORMATIONSBEGRIFF

4. Leider wurde und wird der Informationsbegriff im Sinne des rein statistischen Informationsbegriffs von Shannon/ Weaver (1948) benutzt, der explizit Fragen möglicher Bedeutungsbezüge (Semantik) außen vor lässt. Damit ist er eigentlich weitgehend ungeeignet, der Rolle der im Genom verfügbaren Informationen gerect zu werden.

MEHR ALS STATISTIK

5. Einer, der diese Unzulänglichkeit des rein statistischen Informationsbegriffs für die Beschreibung der Rolle der Information im Kontext des Genoms und der Zelle samt ihrer Reproduktionsdynamik immer kritisiert hatte, war John Maynard Smith (1920 – 2004). In seinem Artikel “ The concept of information in biology“ von 2000 kann man dies wunderbar nachlesen.

6. Zwar hat auch Maynard Smith keine explizite übergreifende Theorie der Reproduktionsdynamik, aber er kann an verschiedenen Eigenschaften aufweisen, dass der rein statistische Informationsbegriff nicht ausreicht.

7. Während im Shannon-Weaver Modell ein fester Kode A von einem Sender in Transportereignisse übersetzt (kodiert) wird, die wiederum in den festen Kode A von einem Empfänger zurückübersetzt (dekodiert) werden, ist die Lage bei der Zelle anders.

8. Nimmt man an, dass der zu sendende Kode das DNA-Molekül ist, das in seiner Struktur eine potentielle Informationssequenz repräsentiert, dann ist der Sender eine Zelle in einer Umgebung. Der ‚DNA-Kode‘ (der feste Kode A) wird dann umgeschrieben (Transskription, Translation) in zwei verschiedene Kodes (mRNA, tRNA). Während man die Zustandsform des mRNA-Moleküls noch in Korrespondenz zum DNA-Kode sehen kann (abr nicht vollständig), enthalten die verschiedenen tRNA-Moleküle Bestandteile, die über den ursprünglichen DNA-Kode hinausgehen. Daraus wird dann eine Proteinstruktur erzeugt, die sowohl eine gewisse Kopie des ursprünglichen DNA-Moleküls (Kode A) enthält, aber auch zusätzlich einen kompletten Zellkörper, der mit dem Kode A nichts mehr zu tun hat. Außerdem gibt es den Empfänger bei Beginn der Übermittlung noch gar nicht. Der Empfänger wird im Prozess der Übermittlung erst erzeugt! Anders formuliert: beim biologischen Informationsaustausch im Rahmen einer Selbstreproduktion wird zunächst der potentielle Empfänger (eine andere Zelle) erzeugt, um dann den DNA-Kode im Empfänger neu zu verankern.

9. Innerhalb dieses Gesamtgeschehens gibt es mehrere Bereiche/ Phasen, in denen das Konzept eines rein statistischen Informationsbegriffs verlassen wird.

10. So weist Maynard Smith darauf hin, dass die Zuordnung von DNA-Sequenzen zu den später erzeugten Proteinen mindestens zweifach den statistischen Informationsbegriff übersteigt: (i) die erzeugten Proteinstrukturen als solche bilden keine einfache ‚Übersetzung‘ das DNA-Kodes verstanden als eine syntaktische Sequenz von definierten Einheiten eines definierten endlichen Alphabets. Die Proteinmoleküle kann man zwar auch als Sequenzen von Einheiten eines endlichen Alphabets auffassen, aber es handelt sich um ein ganz anderes Alphabet. Es ist eben nicht nur eine reine ‚Umschreibung‘ (‚Transkription‘), sondern eine ‚Übersetzung‘ (‚Translation‘, ‚Translatio‘), in die mehr Informationen eingehen, als die Ausgangssequenzen im DNA-Kode beinhalten. (ii) Der DNA-Kode enthält mindestens zwei Arten von Informationselementen: solche, die dann in Proteinstrukturen übersetzt werden können (mit Zusatzinformationen), und solche, die die Übersetzung der DNA-Informationselemente zeitlich steuern. Damit enthält der DNA-Kode selbst Elemente, die nicht rein statistisch zu betrachten sind, sondern die eine ‚Bedeutung‘ besitzen, eine ‚Semantik‘. Diese Bedeutung st nicht fixiert; sie kann sich ändern.

ALLGEMEINE ZEICHENLEHRE = SEMIOTIK

11. Für Elemente eines Kodes, denen ‚Bedeutungen‘ zugeordnet sind, gibt es in der Wissenschaft das begriffliche Instrumentarium der allgemeinen Zeichenlehre, spricht ‚Semiotik‘ (siehe z.B. Noeth 2000).

12. Nimmt man die empirischen Funde und die semiotische Begrifflichkeit ernst, dann haben wir es im Fall der Zelle also mit eindeutigen (und recht komplexen) Zeichenprozessen zu; man könnte von der Zelle in diesem Sinne also von einem ’semiotischen System‘ sprechen. Maynard Smith deutet den Grundbegriff von Jacques Lucien Monod (1910-1976) ‚gratuity‘ im Sinne, dass Signale in der Biologie ‚Zeichen‘ seien. Ob dies die Grundintention von Monod trifft, ist eine offene Frage; zumindest lässt die Maschinerie, die Monod beschreibt, diese Deutung zu.

13. Eine zusätzliche Komplikation beim biologischen Zeichenbegriff ergibt sich dadurch, dass eine Zelle ja nicht ‚isoliert‘ operiert. Eine Zelle ist normalerweise Teil einer Population in einer bestimmten Umgebung. Welche Strukturen der Proteinaufbauprozess (Wachstum, Ontogenese) auch hervorbringen mag, ob er gewisse Zeiten überdauert (gemessen in Generationen), hängt entscheidend davon ab, ob die Proteinstruktur in der Interaktion mit der Umgebung ‚hinreichend lange‘ jene ‚Arbeit‘ verrichten kann, die notwendig ist, um eine Selbstreproduktion zu ermöglichen.

14. Ob eine Proteinstruktur in diesem weiterführenden Sinne ‚lebensfähig‘ ist, hängt also entscheidend davon ab, ob sie zur jeweiligen Umgebung ‚passt‘. Eine lebensfähige Proteinstruktur ist in diesem Sinne – von einer höheren theoretischen Betrachtungsweise aus gesehen – nichts anderes als ein auf Interaktion basierendes ‚Echo‘ zur vorgegebenen Umgebung.

15. Dass dies ‚Echo‘ nicht ’stagniert‘, nicht ‚auf der Stelle tritt‘, nicht ‚um sich selbst kreist‘, liegt entscheidend daran, dass die ‚letzte‘ Struktur den Ausgangspunkt für ‚weitere Veränderungen‘ darstellt. Die Zufallsanteile im gesamten Selbstreproduktionsprozess fangen also nicht immer wieder ‚von vorne‘ an (also keine ‚Auswahl mit Zurücklegen‘), sondern sie entwickeln eine Informationsstruktur ‚weiter‘. In diesem Sinne bildet die Informationssequenz des DNA-Moleküls auch einen ‚Speicher‘, ein ‚Gedächtnis‘ von vergangenen erfolgreichen Versuchen. Je mehr Zellen in einer Population verfügbar sind, umso größer ist diese molekulare Erfolgsgedächtnis.

Diese Fortsetzung war nicht die letzte Zwischenreflexion. Es geht noch weiter: HIER

QUELLEN

Schroedinger, E. „What is Life?“ zusammen mit „Mind and Matter“ und „Autobiographical Sketches“. Cambridge: Cambridge University Press, 1992 (‚What is Life‘ zuerst veröffentlicht 1944; ‚Mind an Matter‘ zuerst 1958)
Claude E. Shannon, „A mathematical theory of communication“. Bell System Tech. J., 27:379-423, 623-656, July, Oct. 1948 (URL: http://cm.bell-labs.com/cm/ms/what/shannonday/paper.html; last visited May-15, 2008)
Claude E. Shannon; Warren Weaver (1948) „The mathematical theory of communication“. Urbana – Chicgo: University of Illinois Press.
John Maynard Smith (2000), „The concept of information in biology“, in: Philosophy of Science 67 (2):177-194
Noeth, W., Handbuch der Semiotik, 2. vollst. neu bearb. und erw. Aufl. mit 89 Abb. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, xii + 668pp, 2000
Monod, Jacques (1971). Chance and Necessity. New York: Alfred A. Knopf

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