Archiv der Kategorie: Nachhalige Entwicklung

Sag niemals Nie … Rückkehr

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 13.November 2021
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KONTEXT

Im Beitrag vom 3.Juli 2021 hatte ich bekannt gegeben, dass ich ‚ausgewandert‘ bin — nicht ‚physisch‘, sondern ‚mental‘. Das klingt dort sehr ‚abschließend‘. Nun muss ich feststellen, dass ich wieder ‚zurück bin‘. Wie soll man dies verstehen?

GEGENWART UND ZUKUNFT

Nun ist es so — was in diesem Blog mehrfach reflektiert worden ist –, dass wir in der aktuellen Gegenwart von der möglichen Zukunft (eigentlich ein Plural: Zukünfte!) radikal nichts wissen. Wir leben von Fragmenten aus der Vergangenheit und einigen Fragmenten aus der Gegenwart und basteln und daraus mehr oder weniger gute Vermutungen, was als nächstes kommen wird. [1]

So hatte ich am 23.Juni 2021 gewisse (begründete) Vermutungen, wie sich das oksimo Projekt weiter entwickeln wird und welche Art von Ideen/ Texten dazu hilfreich sein werden. Die Art des philosophischen Denkens, wie sie in diesem Blog praktiziert worden ist, hielt ich mit Erreichen des oksimo Projektes für ‚erledigt‘.

Nach nunmehr 5 Monaten verstärkt sich der Eindruck, dass dieser Schluss mit der ‚Erledigung‘ zu voreilig war. Warum?

OKSIMO UND DIE PHILOSOPHIE

Richtig ist, dass das oksimo Projekt eine eigene Dynamik entwickelt hat, die sich kontinuierlich weiter verstärkt. Und, ja, richtig ist auch, dass die philosophischen Überlegungen aus diesem ‚Philosophie Jetzt‘ Blog vielfach die Grundlagen für das oksimo Paradigma bilden (zusätzlich verstärkt durch den eher technischen uffmm.org Blog). Was ich aber offensichtlich unterschätzt habe, das ist das ‚Eigengewicht‘ der philosophischen Dimension und die unaufhebbare Wechselbeziehung zwischen ’speziellem Denken‘ (wie im oksimo Paradigma) und der allgegenwärtigen philosophischen Dimension, die jedes menschliches Denken wie so eine Art ‚kognitives Hintergrundrauschen‘ begleitet. Niemand ist gezwungen, das kognitive Hintergrundrauschen des philosophischen Denkens zu ‚aktivieren‘, aber überall dort, wo es interessant wird, muss man es eigentlich tun, da man sonst das Interessanteste am Gegenstand nicht in den Blick bekommt.

Was ist dieses ‚Interessante‘ im Kontext des oksimo Paradigma, was nur die Philosophie ’sehen‘ kann?

NACHHALTIGE ENTWICKLUNG, KOLLEKTIVE INTELLGENZ, und OKSIMO

Im oksimo Paradigma vereint sich eine theoretische Perspektive mit einem praktischen Werkzeug. Die theoretische Perspektive verhandelt die Frage, wie sich beliebige Menschen unter ausschließlicher Benutzung ihrer Alltagssprache über beliebige Fragestellungen unter ausdrücklicher Berücksichtigung des prozesshaften Charakters von Wirklichkeit so verständigen können, dass sie gemeinsam Wege aus dem Jetzt in das Morgen beschreiben, simulieren und spielen können. Natürlich unter Einbeziehung aller verfügbaren Formen von sogenannter ‚Künstlicher Intelligenz [KI]‘ (oder schwächer: ‚Maschinellem Lernen [ML]‘). Die praktische Perspektive beschreibt und entwickelt eine konkrete Software, die Menschen dabei unterstützt, genau dies tun zu können.

Bei dieser Art der Aufgabenstellung ist eine starke Komponente die Sicht der Ingenieure und Informatiker. Aber, wie man ahnen kann, diese nicht ganz einfache Aufgabenstellung impliziert so viele tiefgreifende Annahmen zum Menschen, zu Sprache, zu Kognition, zu Kultur — um nur einige Aspekte zu nennen –, dass das kognitive Hintergrundrauschen des philosophischen Denkens schwerlich zu ‚überhören‘ ist.

Es kam also, wie es kommen musste: im Laufe der Ausarbeitung schrammte das Projekt immer mehr an grundlegenden philosophischen Überlegungen vorbei, knallte geradezu in voller Fahrt auf diese, bis ich schließlich — jetzt — feststelle, dass die ‚mentale Auswanderung‘ wohl zu ‚verfrüht‘ war, falls überhaupt machbar. Eigentlich ‚un-machbar‘: man kann sein eigenes Denken — falls man überhaupt denken will –, nicht einfach so ‚abschalten‘.

Erschwerend — oder besser: verstärkend — kommt hinzu, dass die Gespräche im ‚Umfeld des oksimo Projektes‘ immer mehr Fragen aufwerfen, was es denn genau ist, dieses oksimo Projekt? Wie soll man es in die vielen heute gängigen Kontexte (Digitalisierung, KI, Smart xyz, Demokratie, Bürgerbeteiligung, Klimakatastrophe, Nachhaltigkeit, Gamification, Lernen, Forschen, Kommunalplanung, …) einordnen?

Aus diesen vielfältigen Aspekten kondensierten sich in der letzten Zeit dann besonders folgende Perspektiven heraus: einmal (i) die Perspektive der nachhaltigen Entwicklung, wie sie die Vereinten Nationen seit dem Brundtland Report von 1987 über zahlreiche Konferenzen vorangetrieben hat. Dann (ii) die Perspektive der Intelligenz, und zwar als Kollektive Intelligenz [KI+], wie sie die Lebensform des homo sapiens seit ca. 300.000 Jahren immer eindrucksvoller demonstriert. Und schließlich auch (iii) die Perspektive der Digitalisierung, die hier als Teil der Kulturentwicklung gesehen wird, diese wiederum als Teil der biologischen Evolution. Die Digitalisierung enthält eigene Formen von Intelligenz, die meistens als ‚Künstliche Intelligenz [KI]‘ oder ‚Maschinelles Lernen [ML]‘ bezeichnet wird.

Unter Voraussetzung dieser drei Themen ergibt sich weiterführend (iv) die Frage, ob und wie die kollektive Intelligenz eine gewünschte nachhaltige Entwicklung unterstützen kann. Weiterhin (v) stellt sich die Frage, welche Rolle die Digitalisierung als Ganze — besonders fokussiert im Konzept des Cyberspace — und die Maschinelle Intelligenz im Besonderen für die kollektive Intelligenz spielen kann: wird die Kollektive Intelligenz überflüssig — die Vision von den intelligenten Maschinen, die alles ‚übernehmen‘ — oder gewinnt die Kollektive Intelligenz durch neue Formen der Unterstützung durch die maschinelle Intelligenz eine ’neue Kraft‘ als hybride ‚kollektive Mensch:Maschine Intelligenz [KM:MI‘?[2]

Diese fünf Fragen verlangen ein Überschreiten des üblichen innerdisziplinären Diskurses; es ist mehr als ‚bloßes interdisziplinäres‘ Arbeiten. Es geht in Richtung von ‚transdisziplinärer‚ Arbeit. Der Versuch, den Terminus ‚transdisziplinär‘ zu charakterisieren, führt aber unweigerlich in einen ‚Meta-Diskurs‘ ‚über‚ gegebene Disziplinen, der mindestens in den Bereich der Wissenschaftsphilosophie führt, letztlich aber im vollen philosophischen Diskurs landet. Und das erklärt, warum die ‚Rückkehr‘ stattfindet: im Ernst-Nehmen des oksimo Paradigmas führen wichtige Fragen zum Projekt über die transdisziplinären Aspekte zur Wissenschaftsphilosophie, zur Philosophie zurück, und die Zielsetzung des ‚Philosophie Jetzt Blogs‘ [3] trifft damit auf eine neue, interessante Charakterisierung: Der Mensch als ‚kollektives Wesen‘ im Kontext einer dynamischen Entwicklung, versucht sich mittels neuen Technologien zu verstärken, um ein Überleben in einer unbekannten Zukunft zu sichern; vermutlich nicht der homo sapiens alleine sondern zusammen mit großen Teilen der Biosphäre, ohne die der homo sapiens nicht lebensfähig ist.

ANMERKUNGEN

[1] Alles, was in meinem Leben bislang ‚wichtig‘ gworden ist, von dem habe ich vorher nicht einmal gewusst, dass es existiert …

[2] Oder auch ‚Collective Man:Machine Intelligence [CM:MI]‘

[3] „Auf der Suche nach dem neuen Menschenbild“

DER AUTOR

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