Archiv der Kategorie: Objekthierarchie

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 15

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

WAHR UND FALSCHE AUSSAGEN

1. Nach dem Blogeintrag Avicenna 14b gibt es jetzt Ausdrücke A, B, …, die ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können und die wir deshalb ‚Aussagen‘ (auch ‚Propositionen‘) nennen. Aussagen können mittels aussagenlogischer Operatoren wie ‚NEGATION‘, ‚UND‘, ‚IMPLIKATION‘ usw. zu komplexeren Ausdrücken so verknüpft werden, dass jederzeit ermittelt werden kann, wie der Wahrheitswert des komplexen Ausdrucks lautet, wenn die Wahrheitswerte der Teilausdrücke bekannt sind. Ob im Einzelfall eine Aussage A ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ ist, muss durch Rückgriff auf ihre Bedeutungsbeziehung M(A) geklärt werden. Bislang ist nur klar, dass die Bedeutungsbeziehung M nur allgemein eine Beziehung zu den (kognitiven) Objekten O herstellt (siehe Grafik oben).

2. Avicenna spricht aber nicht nur von Aussagen A allgemein, sondern unterscheidet die Teilausdrücke ‚Subjekt‘ S und ‚Prädikat‘ P, zusätzlich oft noch ‚Quantoren‘ Q.

FEINSTRUKTUR DER BEDEUTUNG VON AUSDRÜCKEN

3. Man kann und muss dann die Frage stellen, ob und wie sich auf der Bedeutungsseite die Unterscheidung in S und P auf der Ausdrucksseite widerspiegelt?

ECHTE UND UNECHTE OBJEKTE

4. In vorausgehenden Blogeinträgen zu Avicenna (Avicenna 4, 5, 7 und 11) wurde schon unterschieden zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten. ‚Unechte Objekte‘ sind solche Wissenstatbestände, die man zwar identifizieren und unterscheiden kann, die aber immer nur im Kontext von ‚echten Objekten‘ auftreten. ‚Unechte‘ Objekte werden meistens als ‚Eigenschaften‘ bezeichnet. Beispiel: die Farbe ‚Rot‘ können wir wahrnehmen und z.B. von der Farbe ‚Blau‘ unterscheiden, die Farbe ‚Rot‘ tritt aber nie alleine auf so wie z.B. Gegenstände (Tassen, Stühle, Früchte, Blumen, …) alleine auftreten.

5. Hier wird davon ausgegangen, dass die Objekthierarchie O primär von echten Objekten gebildet wird; unechte Objekte als Eigenschaften treten nur im Kontext eines echten Objekts auf.

GATTUNG UND ART; KATEGORIEN

6. Ein Objekt kann viele Eigenschaften umfassen. Wenn es mehr als ein Objekt gibt – also O1, O2, … — die sowohl Eigenschaften Ex gemeinsam haben wie auch Eigenschaften Ey, die unterschiedlich sind, dann kann man sagen, dass alle Objekte, die die Eigenschaften Ex gemeinsam haben, eine ‚Gattung‘ (‚genus‘) bilden, und dass man anhand der ‚unterscheidenden Eigenschaften Ey‘ unterschiedliche ‚Arten‘ (’species‘) innerhalb der Gattung unterscheiden kann.

7. Gattungen, die keine Gattungen mehr ‚über sich‘ haben können, sollen hier ‚Kategorien‘ genannt werden.

ONTOLOGISCHE UND DEFINITORISCHE (ANALYTISCHE) WAHRHEIT

8. Bislang ist der Wahrheitsbegriff $latex \top, \bot$ in dieser Diskussion an der hinreichenden Ähnlichkeit eines vorgestellten/ gedachten kognitiven) Objekts $latex a \in Oa$ mit sinnlichen wahrnehmbaren Eigenschaften $latex s \subseteq Os$ festgemacht worden. Ein ‚rein gedachtes Objekt $latex a \in Oa$ ist in diesem Sinne weder ‚wahr‘ $latex \top$ noch ‚falsch‘ $latex \bot$.

9. Setzt man allerdings eine Objekthierarchie O voraus, in der man von einem beliebigen individuellem Objekt a immer sagen kann, zu welchem Objekt Y es als seiner Gattung gehört, dann kann man eine Aussagen der Art bilden ‚a ist eine Tasse‘.

10. Wenn man zuvor in einer Definition vereinbart haben sollte, dass zum Begriff der ‚Tasse‘ wesentlich die Eigenschaften Ex gehören, und das Objekt a hätte die Eigenschaften $latex Ex \cup Ey$, dann würde man sagen, dass die Aussage ‚a ist eine Tasse‘ ‚wahr‘ ist, unabhängig davon, ob es zum kognitiven Objekt a ein ’sinnliches‘ ‚Pendant‘ geben würde oder nicht. Die Aussage ‚a ist eine Tasse‘ wäre dann ‚rein definitorisch‘ (bzw. ‚rein analytisch‘) ‚wahr.

11. Im Gegensatz zu solch einer rein definitorischen (analytischen) Wahrheit eines Objekts a, die als solche nichts darüber sagt, ob es das Objekt a ‚tatsächlich‘ gibt, soll hier die ursprünglich vereinbarte ‚Wahrheit‘ durch Bezug auf eine ’sinnliche Gegebenheit‘ $latex s \subseteq Os$ ‚ontologische‘ Wahrheit genannt werden, also einer Wahrheit, die sich auf das ‚real Seiende‘ in der umgebenden Welt W bezieht.

12. [Anmerkung: Dieses – auch im Alltagsdenken – unterstellte ‚Sein‘, die unterstellte übergreifende ‚Realität‘ ist nicht nur eine ‚Extrapolation‘ aufgrund sinnlicher Gegebenheiten ‚im‘ wissenden System, sondern ist in seiner unterstellten ‚Realität‘ auch nur eine sehr spezifische Form von Realität. Wie wir heute aufgrund immer komplexerer Messprozeduren wissen, gibt es ‚Realitäten‘, die weit jenseits aller sinnlichen Qualitäten liegen. Es fällt uns nur nicht so auf, weil diese gemessenen Eigenschaften X durch allerlei Prozeduren für unsere Sinnesorgane ‚umgerechnet‘, ‚transformiert‘ werden, so dass wir etwas ‚Sehen‘ oder ‚Hören‘, obgleich das gemessene X nicht zu sehen oder zu hören ist.]

13. Solange wir uns in unseren Aussagen auf das Enthaltensein eines Objektes a in einem Gattungsobjekts X beschränken ‚a ist ein X‘ oder das Feststellen von Eigenschaften der Art ‚a hat b‘ kann man sagen, dass eine Aussagestruktur wie (S P) wie folgt interpretiert werden kann: Es gibt einen Ausdruck A=(AsAp), bei dem ein Ausdrucksteil As sich auf ein echtes Objekt M(As) = $latex a \in Oa$ bezieht und der andere Ausdrucksteil Ap bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Objekt a und entweder einem Gattungsobjekt X (Ap = ‚ist ein X‘) oder auf eine Eigenschaft Y (Ap = ‚hat Y‘).

14. Derjenige Ausdrucksteil As, der sich auf das echte Objekt a bezieht, ‚von dem‘ etwas ausgesagt werden soll (‚ist ein…‘, ‚hat …‘), dieser Ausdrucksteil wird als ‚Subjekt‘ S bezeichnet, und der Ausdrucksteil Ap, mittels dem etwas über das Subjekt ausgesagt wird, wird ‚Prädikat‘ P genannt.

15. Hierbei ist eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zu beachten. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil As – M(As) – bezieht sich auf eine ‚konkrete‘ Eigenschaftsstruktur innerhalb der Objekthierarchie. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil Ap – M(Ap) – bezieht sich auf eine ‚Beziehung‘ / ‚Relation’/ ein ‚Verhältnis‘ [R] zwischen dem bezeichneten Bedeutungsobjekt M(As) = a und einem anderen bezeichneten Bedeutungsobjekt M(Ap), also R(M(As), M(Ap)). Die Beziehung R ist selbst kein ‚Objekt‘ so wie das Objekt a oder das implizit angenommene ‚Bezugsobjekt‘ X bzw. Y von a. Eine solche Beziehung R setzt – um prozessural ‚hantierbar‘ zu sein – eine zusätzliche ‚Objektebene‘ voraus, auf der es ein R-Objekt gibt, das die Beziehung zwischen dem a-Objekt und dem X-Y-Objekt ‚repräsentiert.

16. [Anmerkung: Bei ’neuronalen Netzen‘ wäre das R-Objekt jenes Neuron, das die Verbindung zwischen zwei anderen Neuronen ‚realisiert‘.]

17. Fassen wir zusammen: Bei einem Ausdruck A der Art A=’Hans ist ein Mensch‘ gibt es den Ausdrucksteil As=’Hans‘ und den Ausdrucksteil Ap=’ist ein Mensch‘. Die Bedeutung des Ausdrucksteils As M(As) als M(‚Hans‘) ist ein Objekt h in der unterstellten Bedeutungshierarchie O des Sprechers, das gewisse Eigenschaften E(h) besitzt. Die Bedeutung des Ausdrucksteils Ap als M(Ap) bzw. M(‚ist ein Mensch‘) ist sowohl ein Objekt M mit Eigenschaften E(M) als auch eine Beziehung R_ist zwischen dem Objekt h und dem Objekt M, also R_ist(h,M). Die Beziehung ist definitorisch/ analytisch ‚wahr‘ wenn es gilt, dass die definierenden Eigenschaften E(M) des Objekts Mensch M auch bei den Eigenschaften E(h) von Hans zu finden sind, also $latex E(M) \subset E(h)$ .

BEZIEHUNGSRAUM – TRANSZENDENTALE BEDINGUNGEN

18.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 7

VORGESCHICHTE

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken. Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5 führt Avicenna eine Reihe von neuen technischen Begriffen ein, die sich nicht alle in ihrer Bedeutung widerspruchsfrei auflösen lassen. Es handelt sich um die Begriffe ‚Genus‘, ‚Spezies‘, Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, den Begriff ‚Kategorie(n)‘ mit den Kategorien ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘. Die Rekonstruktion führt dennoch zu spannenden Themen, z.B. zu einem möglichen Einstieg in das weltverändernde Phänomen der kognitiven Evolution. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 6 geht es um die Begriffe ‚Definition‘ und ‚Beschreibung‘. Im Verhältnis zwischen beiden Begriffen geht die Beschreibung der Definition voraus. In der ‚Definition‘, die Avicenna vorstellt, wird ein neuer Ausdruck e mittels anderer Ausdrücke <e1, …, ek>, die sich auf schon bekannte Sachverhalte beziehen, ‚erklärt‘. Die von Avicenna dann vorgenommene Erklärung, was eine ‚Definition‘ sei, hängt u.a. stark ab von dem Begriff der ‚Bekanntheit‘ und dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. Für die Tatsache, dass ein Mensch A bestimmte Ausdrücke <e1, …, ek> einer Sprache L ‚kennt‘ oder ’nicht kennt‘, dafür gibt es keine allgemeinen Regeln oder Kriterien. Von daher macht die Verwendung der Ausdrücke ‚bekannt’/ ’nicht bekannt‘ eigentlich nur Sinn in solch einem lokalen Kontexten W* (z.B. einem Artikel, ein Buch, ein Vortrag, …), in dem entscheidbar ist, ob ein bestimmter Ausdruck e einer Sprache L schon mal vorkam oder nicht. Schwierig wird es mit dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. In meiner Interpretation mit der dynamischen Objekthierarchie gibt es ‚das wahre Wesen‘ in Form von Objekten auf einer Stufe j, die Instanzen auf Stufen kleiner als j haben. Dazu gab es weitere Überlegungen.

NAMEN, VERBEN/TERME, PRÄPOSITIONEN

2. Nach all den Vorüberlegungen nähert sich Avicenna nun dem eigentlichen Gegenstand der (antiken, auf das Alltagsdenken bezogenen) Logik, nämlich jenen ‚Ausdrücken‘, durch die entscheidende Bedeutungen kommuniziert werden.
3. Er beginnt mit ‚einfachen‘ Ausdrücken.

4. Er nimmt an, dass sich einfache Ausdrücke e aus drei Teilausdrücken zusammen setzen, die er als ‚Name‘, ‚Verb‘ und ‚Präposition‘ klassifiziert.

5. Terminologisch merkt er an, dass der grammatische Begriff ‚Verb‘ von Logikern ‚Term‘ genannt wird.

6. Sowohl der Name als auch das Verb sollen eine ‚vollständige Bedeutung‘ haben, Präpositionen dagegen nicht.

7. Namen unterscheiden sich von Termen dadurch, dass sie sich nicht auf eine ‚zeitliche Abfolge‘ (engl.: ‚temporal sequence‘) beziehen.

8. Verben hingegen – im Unterschied zu Namen – haben sowohl eine ‚Bedeutung‘ wie auch einen ‚zeitlichen Bezug‘ (engl.: ‚temporal significance‘).

9. Grenzfälle sind Namen wie ‚Heute‘ (engl.: ‚day‘) und ‚Gestern‘ (engl.: ‚yesterday). Obwohl sie einen ‚Teil der Zeit‘ (engl.: ‚part of time‘) bezeichnen (engl.: ’signify‘), sind sie doch keine Verben, da bei diesen Namen ihre ‚Bedeutung‘ mit dem ‚zeitlichen Bezug‘ zusammenfällt; bei einem Term wie ‚geschlagen‘ (engl.: ’struck‘) ist die Bedeutung (Vorgang des Schlagens) klar zu unterscheiden von dem Zeitbezug (der Vorgang war in der Vergangenheit).

10. Beispiele: e = <e1,e2,e3,e4,e5> = N:(Ich)Va:(habe)N:(den Zid)Vb:(gesehen); Der einfache Ausdruck e zerfällt in mehrere Ausdrucksteile <e1,e2,e3,e4,e5>, denen sich Bedeutungen zuordnen lassen. e1 = (Ich), bezieht sich auf den aktuellen Sprecher, und wird von daher als Name [N] für ein Objekt gewertet, das dem Namen eine Bedeutung verleiht. <e3, e4> = (den Zid) bezieht sich auf eine Person Zid, und wird auch als Name für ein Objekt gewertet, das dem Namen eine Bedeutung verleiht. e2 und e5 = (habe) … (gesehen) bezieht sich auf einen Vorgang des Sehens, bei der ein Beobachter etwas sieht (Bedeutungsanteil); zusätzlich wird ein zeitlicher Aspekt angedeutet, dass es sich um einen Vorgang in der Vergangenheit handelt. Ausdruck e1 füllt die ‚Rolle‘ des Beobachters und Ausdruck <e3, e4> spielt die Rolle des beobachteten Objekts.

11. Beispiel: e = <e1,e2,e3,e4> = N:(Zid) V:(ist) PRÄP:(im) N:(Haus). Der einfache Ausdruck e zerfällt in mehrere Ausdrucksteile <e1,e2,e3,e4>, denen sich Bedeutungen zuordnen lassen. e1 = N:(Zid) ist ein Ausdruck, der sich auf eine Person Zid bezieht, die dem Ausdruck als Objekt eine Bedeutung verleiht. e2 = V:(ist) ist ein Ausdruck, der sich auf einen Sachverhalt ‚etwas ist an einem Ort‘ bezieht, der dem Ausdruck sowohl eine Bedeutung verleiht wie auch eine davon unabhängige zeitliche Bestimmung, dass es in der Gegenwart ist. e3 = PRÄP:(im) ist ein Ausdruck, der sich auf einen räumlichen Sachverhalt bezieht ‚etwas ist in einem Raumgebiet‘, der dem Ausdruck eine Bedeutung verleiht, ohne expliziten Zeitbezug. e4 = N:(Haus) ist ein Ausdruck, der sich auf einen Ort Haus bezieht, der dem Ausdruck als Objekt eine Bedeutung verleiht. Die Kombination aus <e2, e3> ergibt einen Sachverhalt, der einerseits ein Objekt verlangt, von dem gesagt wird, dass es sich irgendwo befindet, und ein Objekt, das den Ort markiert. Beides ist mit e1 und e4 gegeben.

DISKUSSION

TERMINOLOGIE

12. Zur Terminologie: dass die (antiken) Logiker ‚Verben‘ als ‚Terme‘ bezeichnen sollen ist eine Sache. In diesem Kontext der Ausdrucksanalyse erscheint es mir eher verwirrend, zwei verschiedene Terminologien zu vermischen. Ich behalte im Folgenden die ‚grammatischen‘ Begriffe bei. Später kann man dann alle grammatischen Begriffe in einem mehr formalisierten logischen Kontext ‚übersetzen‘, falls notwendig.

13. Von ‚einfachen‘ Ausdrücken e zu sprechen, wenn die Ausdrücke sich alle aus mehreren Teilausdrücken e = <e1, e2, e3, …> zusammen setzen, kann verwirrend wirken, zumal er in vorausgehenden Abschnitten mit ‚einfachen‘ Ausdrücken tatsächlich solche meinte, die eben nicht zusammen gesetzt sind. Avicenna gibt keine direkte Erklärung für diese geänderte Verwendungsweise seines Begriffs eines ‚einfachen Ausdrucks‘, aber der Kontext legt folgende Interpretation nahe:

SYNTAX UND SEMANTIK

14. Es gibt eine ’syntaktische‘ Einfachheit (im Sinne von ’nicht zusammen gesetzt‘) und es gibt eine ’semantische‘ Einfachheit. Einfache Aussagen in diesem Abschnitt scheinen zu den ’semantisch einfachen‘ Ausdrücken zu gehören, denn syntaktisch sind sie eindeutig nicht einfach, sondern zusammengesetzt.

DER SEMANTISCHE RAUM

15. Damit stellt sich die Frage, wie man den ’semantischen Raum‘ ( den ‚Bedeutungsraum) eines Ausdrucks e (sowohl syntaktisch einfach als auch syntaktisch zusammengesetzt) so charakterisieren kann, dass man eine ‚einfache‘ Bedeutung von einer ’nicht einfachen = komplexen‘ Bedeutung unterscheiden kann.

16. Avicenna selbst hat ja in den vorausgehenden Abschnitten den ‚Bedeutungsraum‘ nicht ausdrücklich als eigenständigen Gegenstand thematisiert, immer nur indirekt, anhand von einzelnen Beispielen. Von diesen seinen indirekten, fragmentarischen Andeutungen aus lässt sich die Frage nach einer klaren Unterscheidung einer ‚einfachen‘ und einer ’nicht einfachen‘ Bedeutung im Kontext eines Ausdrucks e kaum einfach beantworten.

17. Als ‚Abfallprodukt‘ der bisherigen Rekonstruktion wurde das Konzept einer ‚dynamischen Objekthierarchie‘ O angedeutet, für die allgemeine Metaklassifikationen (entspricht in etwa dem klassischen Kategorienbegriff) wie z.B. ‚echtes Objekt‘ (etwa die Kategorie ‚Substanz‘), ‚unechte Objekte (etwa die Kategorie ‚Qualität‘), ‚Zeit‘, ‚Raum‘ und ‚Zahl‘ (etwa die Kategorie ‚Quantität‘) postuliert werden konnten.

18. Wenn man nun also von einem ‚Bedeutungsraum‘ (semantischen Raum) M sprechen will, dann müsste man entweder diese – bislang nur angedeuteten – Objektstrukturen mit den zusätzlichen Metaklassifikationen zugrunde legen oder eine Alternative formulieren. Ohne irgendwelche Annahmen dieser Art wäre der Begriff des semantischen Raumes vollständig leer und damit jegliche Art von Rekonstruktion von Ausdrücken e mit Bezug auf die zugehörigen ‚Bedeutungen‘ beliebig: alles wäre richtig und zugleich falsch.

19. Bis auf weiteres wird hier die bisherige Skizze zum dynamischen Objektraum mit den Metaklassifikationen als Arbeitshypothese für die weitere Interpretationen benutzt.

20. Von einem Ausdruck e mit Teilausdrücken <e1, e2, e3, …> zu sagen, dass bestimmte Ausdrucksteile $latex e_{i}$ bestimmte, voneinander abgrenzbare Bedeutungen haben, ihnen also unterschiedliche ’semantische Funktionen‘ zukommen, ist einerseits gewagt, da die Ausrücke als solche keinerlei syntaktische Hinweise haben müssen, aus denen man dies erkennen könnte, zugleich aber auch interessant, da damit die Denkaufgabe gestellt wird, wie es möglich sein soll, beliebige Ausdrucksteile $latex e_{i}$ in einem Ausdruck e durch Bezugnahme auf ‚etwas anderes‘, nämlich auf die ‚Bedeutung‘ indirekt charakterisieren zu können.

SIMULTANE DEFINITONEN

21. In gewissem Sinne könnte man hier auch von einem Definitionsvorgang sprechen: das Neue, das Unbekannte, das sind die Ausdruckselemente <e1, e2, e3, …> in einem Ausdruck e, das Bekannte das ist ein vorausgesetztes Bedeutungsgefüge, und die definitorische Erklärung ist die Verbindung von neuem Ausdruckselement und bekanntem Bedeutungsobjekt. Abweichend vom einfache Fall der expliziten syntaktischen Definition von einem Element e durch eine Folge von anderen Ausdrücken <e1, e2, e3, …> haben wir es hier im Falle der Definition von syntaktischen Ausdrücken durch Bezugnahme auf semantische Objekte mit zwei zusätzlichen Aspekten zu tun: (i) die Erklärung findet nicht in ein und demselben syntaktischen Raum statt sondern es werden zwei ansonsten getrennte Räume miteinander verknüpft: der syntaktische Raum mit dem semantischen Raum, und umgekehrt. Ferner (ii) wird nicht nur ein einziges syntaktisches Element ‚erklärt‘, sondern es werden mehrere syntaktische Elemente ‚parallel’/ ’simultan‘ erklärt.

22. Einen vergleichbaren Fall von ’simultaner‘ Erklärung haben wir im Falle von mathematischen Strukturtheorien, wie sie auch bei modernen empirischen Theorien auftreten. Ein typischer Fall wäre eine Struktur wie $latex < M, f1, …, fk >$. Hier werden mehrere Ausruckselemente eingeführt, deren Bedeutung sich erst im (syntaktischen) Gesamtkontext ergibt, der zusätzlich mit semantischen Elementen aufgeladen werden kann.

23. Ein anderes Beispiel sind formale Semantiktheorien, in denen zusammengesetzte Ausdrücke der Art e = <e1, e2, …> durch eine komplexe Abbildungsvorschrift so auf eine formale Struktur (auch ‚Domäne‘ oder ‚Modell‘ genannt) bezogen werden, dass für jeden syntaktisch zusammengesetzten Ausdruck e gesagt werden kann, wann das ‚Modell‘ M diese syntaktischen Ausdrücke ‚erfüllt‘, oft geschrieben $latex M \models e$ mit ‚e‘ als dem Ausdruck, der durch das Modell ‚erfüllt‘ wird.

24. Eine Besonderheit bei diesen Charakterisierungen von Ausdruckselementen e über den ‚Umweg‘ einer Bedeutungsstruktur M liegt darin, dass es nicht ausreicht, jedem einzelnen Teilausdruck $latex e_{i}$ eine – quasi isolierte – Bedeutung zuzuordnen, sondern die einzelnen bedeutungsfundierenden Objekte O der Bedeutungsstruktur M kommen in bedeutungsspezifischen Anordnungen (in Raum, Zeit, …) vor. Diese spezifischen Sachverhalte müssen in den Ausdruckselementen mitkodiert werden. Es reicht also nicht, nur zu sagen, dass das Ausdruckselement ‚e1‘ ein Objekt o1 bezeichnet, das für eine konkrete Person steht, sondern man muss zusätzlich auch – meistens – einen möglichen ‚Vorgang‘ benennen, in den das Objekt o1 eingebettet ist, und – meistens – zusätzlich mit einem zeitlichen Aspekt. Das wären dann schon mindestens drei verschiedene Kodierungsdimensionen, die im Bereich der Ausdruckselemente repräsentiert werden müssten.

25. Aufgrund der Beispiele von Avicenna gäbe es die zusätzlichen Arbeitshypothesen, dass (i) Vorgänge durch ‚Verben‘ [V] kodiert werden, (ii) zeitliche Aspekte sowohl durch Verben wie auch durch ‚Namen‘ [N], und (iii) räumliche Aspekte durch ‚Präpositionen‘ [PRÄP].

26. Die interessante Frage wäre natürlich, wie genau diese verschiedenen Objektstrukturen und -eigenschaften und -Relationen in der dynamischen Objekthierarchie O als dem Bedeutungsraum M repräsentiert sind. Sie müssten ja so vorliegen, dass man sie einfach ‚ablesen‘ könnte und dann durch einen entsprechenden ‚Übersetzungsprozeß‘ von M nach E zugeordnet werden könnten, also $latex \lambda: M \longrightarrow E$ (mit $latex \lambda $ als Übersetzungsvorschrift).

27. Nehmen wir das Beispiel e = <e1,e2,e3,e4> = N:(Zid) V:(ist) PRÄP:(im) N:(Haus). Es gibt hier (woher wissen wir dies überhaupt!) zwei Ausdruckselemente e1 und e4, die sich auf ‚echte Objekte‘ beziehen; e1 bezieht sich auf eine konkrete Personen, e4 auf ein Objekt, in dem Menschen sich aufhalten können. Der Ausdruck ist kein echtes Objekt, da es nur eine bestimmte Form von Beziehung zwischen zwei Objekten repräsentiert, nämlich dass ein Objekt A ‚räumlich in‘ einem anderen Objekt B vorkommt. Das Ausdruckselement e2 repräsentiert einen Zusammenhang zwischen zwei Objekten (echt oder unecht), der zudem aktuell ist, genauer: von einem Zielobjekt A wird gesagt, dass es in einer ist-Beziehung zu einem anderen Objekt steht. Da aber nach dem ‚Sprachgefühl‘ (was ist das?) die Kombination <e1, e2, e4> nicht geht, muss also <e3,e4> zusammen auftreten, damit e1 mittels e2 mit e4 kombiniert werden kann. Eine Arbeitshypothese könnte sein, dass echte Objekte, die mögliche ‚Orte des Vorkommens‘ bezeichnen, eine zusätzliche Präposition benötigen, um als Gegenpart in einer ist-Relation auf zu treten. Das ist natürlich hier alles sehr ad hoc und unsystematisch. Es kann aber verdeutlichen, dass die große Arbeitshypothese mit der bereichsübergreifenden Zuordnung $latex \lambda $ von Elementen einer Bedeutungsstruktur M (mit der dynamischen Objekthierarchie O als Teilstruktur) zu einer Menge E von möglichen Ausdrücken eine sehr detaillierte Beschreibung verlangt, die nicht ad hoc entscheidet, sondern systematisch.

Eine Fortsetzung zu diesem Beitrag findet sich HIER.

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.