Archiv der Kategorie: Technik

SW. Software? Müssen wir umdenken? Notiz

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild
ISSN 2365-5062, 5.Dezember 2020
URL: cognitiveagent.org, Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch (gerd@doeben-henisch.de)

KLASSISCH: MENSCH – TECHNIK DICHOTOMIE

Im Alltag wie in der Wissenschaft findet sich immer noch eine starke Tendenz, die Technik dem Menschen, der Gesellschaft gegenüber zu stellen. Stattdessen Technik gar als Teil der Kultur zu sehen ist für viele — speziell für die Feuilletons gewisser Zeitungen — eher fern. Technik wird assoziiert mit Werkzeugen, mit Maschinen und die sind im Gewohnheitsdenken artfremd, nicht biologisch, haben nichts mit dem Menschen zu tun.

ARTFREMDE MASCHINEN?

Unter dem Eindruck der rapide voranschreitenden Digitalisierung könnte man aber ins Grübeln kommen: in mittlerweile fast allen Lebensbereichen verändert sich das Verhalten von uns Menschen. Mehr und mehr zeigen wir Verhaltensweisen, die wir früher — wer kennt das Früher noch? — ohne digitale Technologien vollzogen haben (dann natürlich leicht anders), die wir jetzt aber mit Hilfe von digitalen Technologien vollziehen. Das ‚Technische‘, die sogenannten ‚Maschinen‘, nehmen wir als solche gar nicht mehr wahr; wir schreiben einen Text (wenn wir den Computer benutzen), wir erstellen eine 3D-Zeichnung eines Gebäudes (wenn wir einen Computer benutzen), wir führen einen Workshop durch (wenn wir eine Web-Konferenz-Software benutzen), wir machen Musik (wenn wir eine Musik-Software benutzen), ….

Das Technisch hat sich gewandelt. Die alten, klassischen Maschinen treten mehr und mehr in den Hintergrund. Da ist etwas Neues, das nennen wir Software [SW]. Was ist Software? Die Informatiker, die zuständigen Experten für Software, sprechen zwar unter sich auch im Fall von Software von Automaten, die Befehle verarbeiten, den Programmen, die die Automaten steuern, aber für den potentiellen Anwender, den Benutzer, den Bürger, spielt der Automat kaum eine Rolle. Es sind diese Befehlslisten, die Programme, die die Automaten dazu bringen, in ihren Interaktionen mit den Anwendern für diese Anwender eine Menge von möglichen Handlungen anzubieten, die — zusammengenommen — eine Art von Verhaltensraum aufspannen. Dieser Verhaltensraum wird realisiert, indem Menschen — WIR! — genau die Handlungen ausführen, die ein Programm (die Software) ermöglicht.

Die Maschine, die als Hardware die Ausführung von Programmen möglich macht (der Computer) tritt dadurch zurück ins zweite Glied. Irgendwie ist er noch da, aber aus Sicht der Anwender (Bürger, WIR), spielt er keine wirkliche Rolle mehr. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht das Verhalten, das WIR dadurch vollziehen können. Je besser die Schnittstelle (das Interface) zur Hardware (zum Computer), desto weniger fällt der Computer als Medium noch auf.

DIGITAL VERSCHRÄNKTE MENSCHEN

Von den Quantentheoretikern wissen wir, dass sie von verschränkten Teilchen reden. Aber, warum so weit schweifen: in unserem Alltag praktizieren wir schon seit langem digital verschränkte Zustände: wenn wir an verschiedenen Orten dieser Welt zur gleichen Zeit miteinander — ermöglicht durch digitale Technologien — kommunizieren, gemeinsam denken, gemeinsam Entscheidungen fällen, dann handeln wir schon lange nicht mehr als Individuen, nicht als einzelne, sondern wir sind faktisch verschränkte Einzelne und darin bilden wir eine neuartige verschränkte Persönlichkeit. Verschränkte Persönlichkeiten verhalten sich völlig anders als es die einzelnen Personen tun würden, wenn sie eben nicht verschränkt sind. Vermutlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Anzahl der Mitglieder einer verschränkten Persönlichkeit und spezifischen Verhaltensweisen, möglicherweise auch abhängig von anderen Parametern, z.B. die Art und Weise, wie kommuniziert wird, aber der grundsätzliche Unterschied wird dadurch nicht verwischt.

Übrigens: auch ohne Digitalisierung gab und gibt es quasi verschränkte Persönlichkeiten dadurch, dass wir als einzelne Menschen in hohem Maße Verhaltensmuster verinnerlicht haben, denen wir im Alltag folgen. Beim Einkaufen, als Busfahrer, als Fahrgast , als Abteilungsleiter, als Manager, als … unser Alltag ist durchtränkt von sogenannten Konventionen, von Rollen — die Informatiker bezeichnen solche Muster als Skripte, als Protokolle, ja als Programme — , denen wir in unserem Verhalten folgen. Die Verschränkung ist in unserem Kopf abgelegt (beim Computer würden wir davon sprechen, dass er programmiert sei). Ohne diese verinnerlichten Verschränkungen würde unser Alltag zusammenbrechen. Wir sind darauf angewiesen, dass jeder bestimmten Protokollen in seinem Kopf folgt, ansonsten würde unser Alltag weitgehend unberechenbar, unplanbar, wir selber könnten nichts mehr tun, weil all das, was wir für unser Verhalten brauchen, ja weitgehend davon abhängt, dass die anderen ihren Part erfüllen.

Die Die digital ermöglichten Verschränkungen sind insofern nur ein anderer Modus für unsere menschliche Fähigkeit, mit verschränkten Gehirnen handeln zu können. Das ist das Wesentliche Menschlicher Kultur: dass sich Gehirne aus ihrer Isolation im Körper befreien können, indem sie koordiniert handeln können. Die sogenannte Feuilleton-Kultur erscheint mir eher wie ein merkwürdiger Artefakt eines verirrten Bürgertums, das es so sowieso nicht mehr gibt. Eine Kultur von ortlosen Gefühlen, die sich einer willkürlichen Sprache bedienen, klammert sich an sich selbst, ohne wirkliche Ziele zu haben. Das Leben selbst ist aber nicht ziellos, es ist auch nicht ortlos, es ist nicht beliebig. Es verdichtet sich in Verschränkungen, zu denen Technik genuin beiträgt, indem neue Formen von Leben entstehen, dichter, intensiver, weitreichender. Unsere Verantwortung ist hier in höchstem Maße gefragt, auf eine Weise, die wir immer wieder neu erst noch lernen müssen.

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REDAKTIONELLES – NEUE AUTOREN – THEMENFELDER – KRITERIEN

NEUER AUTOR

1. Aus Anlass eines neuen Autors, der sich aus eigener Initiative in den Diskurs in diesem Blog eingebracht hat, hier einige Bemerkungen, wie sich der Blog aus redaktioneller Hinsicht sieht.

BLICKRICHTUNG DES BLOGS

2. Die Blickrichtung des Blogs ist die der Philosophie auf das Spannungsfeld zwischen dem homo sapiens und der vom Menschen initiierten Kultur und Technik, speziell der Technologie der intelligenten Maschinen. Welche Zukunft hat der homo sapiens auf der Erde, im bekannten Universum, und speziell im Wechselspiel mit den intelligenten Maschinen? Wie müssen wir, die wir Exemplare der Lebensform homo sapiens sind, uns selbst sehen? Welche Bilder beschreiben uns angemessen, welche nicht?

EMPIRISCHE ERKENNTNISQUELLEN

3. Antworten auf diese Fragen bieten nahezu alle wissenschaftlichen Disziplinen, die es zur Zeit gibt. Allerdings ist eine wissenschaftliche Disziplin – wenn sie sich denn wirklich als empirische Wissenschaft versteht – rein methodisch an eine eingeschränkte Sicht auf die Wirklichkeit unter Anwendung ganz bestimmter Methoden gebunden. Dies hat viele Vorteile, aber auch Nachteile. Die Nachteile bestehen darin, dass die erfahrbare Welt als solche eine Einheit bildet, die in sich unfassbar verwoben ist. Die einzelnen Disziplinen können aber nur Fragmente liefern. Dies reicht heute immer weniger. Mit dem immer weiteren Voranschreiten der einzelnen Disziplinen brauchen wir immer dringender auch Blicke auf Zusammenhänge.

INTERDISZIPLINARITÄT IST EIN FAKE

4. Hier gibt es das Zauberwort von der Interdisziplinarität: verschiedene Disziplinen arbeiten gemeinsam an einer Problemstellung. Aus der Nähe betrachtet ist dies aber nur eine Scheinlösung. Wenn Vertreter aus mehreren Einzeldisziplinen A, B, C aufeinandertreffen, entsteht nicht automatisch eine integrierte Sicht V(A,B,C), in der von einem höheren Reflexionsniveau auf diese Einzeldisziplinen geschaut wird. In der Praxis gibt es erst einmal drei Sichten A, B, C, jeder redet auf den anderen ein und hofft, der andere versteht, was man sagt. Das funktioniert aber im Normalfall nicht. Es gibt viel Verwirrung und Frustration und man ist froh, wenn man wieder für sich alleine weiter arbeiten kann. Wenn es dann doch irgendwo leidlich funktioniert, dann nur deswegen, weil die Beteiligten über besonders gute empathische Fähigkeiten verfügen, sich besonders viel Zeit nehmen, die anderen Positionen zu verstehen, und wenigstens eine(r) dabei ist, der irgendwie übergeordnete Gesichtspunkte formulieren kann, ad hoc.

NORMIERTE VORGEHENSMODELLE

5. In der Industrie funktioniert dies nur dann, wenn sich alle auf ein gemeinsames Vorgehensmodell geeinigt haben, das auf allen Ebenen Vorgehensweisen und Ausdrucksmittel normiert hat. Diese Vorgehensmodelle (z.B. in der Art des Systems Engineerings im englischsprachigen Raum) funktionieren aber nur, wenn es Menschen gibt, die 20 – 30 Jahre Berufserfahrung haben, um die Methoden und Begrifflichkeiten zu verstehen, und selbst dann ist das gemeinsame Verständnis sehr fragil: die Verrechnung der komplexen Wirklichkeit in begrifflich normierte Modelle kann aus verschiedenen Gründen nicht funktionieren. Aber die Industrie hat hier in der Regel keine Wahl: sie muss liefern und kann sich nicht auf philosophische Dispute einlassen.

ALTERNATIVE BLOG

6. In diesem Blog ist das anders: der Blog muss nicht liefern. Wir leisten uns hier den Luxus, Fragen als Fragen zuzulassen, und wir erlauben uns, eine Suche zu starten, wenn gesucht werden muss. Die Erfahrung des Scheiterns ist mindestens so wertvoll wie scheinbare Lösungen. Hier muss keine herrschende Meinung bedient werden.
7. Hier geht es nicht um dumpfe Interdisziplinarität, sondern um eine offene philosophische Reflexion auf die Unterschiede der einzelnen Disziplinen und die Frage, wie man die verschiedenen Sichten zusammen bringen könnte. Zeitschriften für einzelwissenschaftliche Höchstleistungen gibt es genug. Hier geht es um die Reflexion auf die einzelwissenschaftliche Leistung und die Frage, wie stehen z.B. biologische, psychologische und soziologische Ergebnisse in einem Zusammenhang? Wie soll man den homo sapiens verstehen, der molekularbiologisch aus kleinen chemischen Maschinen, den Zellen besteht, die sich aber aus Molekülen erst entwickeln mussten, und dann eine wahnwitzige Entwicklungsgeschichte von 3.8 Mrd Jahren bis zu einer Lebensform, die u.a. über die Fähigkeit verfügt, Zeit wahrnehmen zu können, abstrakte Strukturen denken kann, das sich mittels banaler physikalischer Ereignisse (Schall) koordinieren kann, Kultur hervorbringt, Technik? Wie soll man die Fähigkeit des Denkens beschreiben, die neuronale Korrelate zu haben scheint, zugleich aber nur introspektiv direkt erfahrbar ist? Usw.

EUROPÄISCHES SCHISMA

8. Leider gab es in der Kulturgeschichte Europas eine folgenschwere Trennung der Art, dass sich die neu aufkommenden empirischen Wissenschaften in hunderten von Jahren von der Philosophie getrennt haben und auch umgekehrt, die Philosophie diese Trennung mit kultiviert hat, anstatt in den aufkommenden empirischen Wissenschaften die großartige Chance zu sehen, die ihre oft faktenleeren aber methodisch umfassenden Reflexionen unter Einbeziehung der empirischen Wissenschaften anzureichern. Leider gehört es bei vielen sogenannten Philosophen immer noch zum guten Ton, auf die empirischen Disziplinen als geistloses Treiben herab zu schauen; dabei übersehen die Philosophen, dass es genau ihr Job wäre, die fantastischen Ergebnisse der Einzeldisziplinen aufzugreifen, ‚beim Wort zu nehmen‘, und sie in leistungsfähige begriffliche Systeme einzuordnen, die in der Lage wären, diese Vielfalt in einer begründeten Einheit zum Leuchten zu bringen.
9. Die sogenannte Interdisziplinarität ist vor diesem Hintergrund ein andauerndes Ärgernis: es wird so getan, als ob das Zusammensperren von verschiedenen Experten in einen Raum automatisch eine begründete Zusammenschau liefern würde. Eine Unzahl von Forschungsprojekten mit EU-Geldern, in denen Interdisziplinarität erzwungen wird ohne dass man den methodischen und diskursiven Raum mit liefert, ohne dass die Beteiligten eine entsprechende Ausbildung haben, kann davon milliardenschwer künden.

ANDERE UNIVERSITÄTEN

10. Was wir bräuchten wären Universitäten, in denen jeder Studierende einer Einzelwissenschaft grundsätzlich auch lernt, wie man im Rahmen einer Wissenschaftsphilosophie das Vorgehen und das Reden einzelner Disziplinen in einen denkerisch begründeten Zusammenhang einordnen und bewerten kann. Dies würde voraussetzen, dass es Professoren gibt, die über diese Fähigkeiten verfügen und über Lehrpläne, in denen dies vorgesehen ist. Beides gibt es nicht. Der normale Professor an deutschen Universitäten hat von wissenschaftsphilosophischen Konzepten noch nie etwas gehört und aufgrund eines sehr eingeschränkten Effiziensdenkens (und einer leider immer schlimmer werden Konkurrenz um finanzielle Mittel) im universitären Bereich sind solche Lernprozesse nicht vorgesehen. Es ist auch nicht absehbar, dass sich dies in den nächsten 10-20 Jahren grundlegend ändern würde. Dazu müsste es Professoren geben, die das selbst lernen, aber wer soll sie ausbilden?

DER BLOG

11. Dieser Blog steht angesichts der allgemeinen universitären Situation mit seinem Anliegen daher eher alleine dar. Autoren, die einzelwissenschaftliche Erkenntnisse (z.B. in der eigenen Disziplin) in einem größeren Zusammenhang reflektieren, sind wunderbare Ausnahmen. Solche Autoren sind hier willkommen.
12. Mit dem Autor hardbern hat ein weiterer Autor den Mut, den dringend notwendigen Diskurs über den homo sapiens und seine Zukunft auf zu nehmen. Es wäre schön, wenn es weitere solche Autoren geben würde. Natürlich wird sich damit auch der Diskurs außerhalb des Blogs in Form von direkten Gesprächen, Vortragsdiskussionen, Workshops und ähnlichen weiter ausbilden.
13. Der Initiator dieses Blogs, cagent, ist seit 1.April 2017 emeritiert. Dies bietet die Möglichkeit, den Blog nicht nur neben einem vollen Arbeitsprogramm zu betreiben, sondern sich den Inhalten und potentiellen Autoren intensiver zu widmen. Z.B. denkt er darüber nach, künftig gezielt verschiedene ausgewiesene Experten zu den Fragen des Blogs direkt anzusprechen. Philosopisch-wissenschaftliches Denken lebt von der den Menschen eigenen Neugierde, zu verstehen, weil man verstehen will. Es geht nicht um Geld oder Ehre, es geht wirklich um die wahren Bilder der Welt, nicht als einzelwissenschaftliche Splitter, sondern als durch Denken vermittelter Zusammenhang von allem. Wenn das Wissen stirbt, versinken wir im Dunkel.

INTELLIGENZ, LERNEN, IMPLIZITE WERTE: ZUR BIOTECHNOLOGISCHEN KREATIVITÄT VERURTEILT

EINFÜHRUNG

1. Momentan kreuzen wieder einmal verschiedene Themen ihre Bahnen und die folgenden Zeilen stellen den Versuch dar, einige Aspekt davon festzuhalten.

2. Ein Thema rührt von dem Vortrag am 19.Mai her, bei dem es darum ging, die scheinbare Einfachheit, Begrenztheit und Langsamkeit von uns Menschen angesichts der aktuell rasant erscheinenden Entwicklungen in einen größeren Kontext einzuordnen, in den Kontext der biologischen Entwicklung, und dabei aufzuzeigen, welch fantastisches ‚Produkt‘ der homo sapiens im Kontext des biologischen Lebens darstellt und dass unsere Gegenwart nicht als ein ‚Endpunkt‘ misszuverstehen ist, sondern als eine hochaktive Transitzone in eine Zukunft, die keiner wirklich kennt.

3. Ein anderes Thema rührt her von den neuen Technologien der Informationstheorie, Informatik, Robotik, die unser Leben immer mehr begleiten, umhüllen, durchtränken in einer Weise, die unheimlich werden kann. In den Science-Fiction Filmen der letzten 40-50 Jahren werden die ‚intelligenten Maschinen‘ mehr und mehr zu den neuen Lichtgestalten während der Mensch verglichen mit diesen Visionen relativ ‚alt‘ aussieht.

4. Während viele – die meisten? – dem Akteur homo sapiens momentan wenig Aufmerksamkeit zu schenken scheinen, auf ihn keine ernsthafte Wetten abschließen wollen, traut man den intelligenten Maschinen scheinbar alles zu.

5. Ich selbst liefere sogar (neue) Argumente (in vorausgehenden Artikeln), warum eine Technologie der künstlichen Intelligenz ‚prinzipiell‘ alles kann, was auch biologische Systeme können.

6. In den Diskussionen rund um dieses Thema bin ich dabei verstärkt auf das Thema der ‚impliziten Werte‘ gestoßen, die innerhalb eines Lernprozesses Voraussetzung dafür sind, dass das Lernen eine ‚Richtung‘ nehmen kann. Dieser Punkt soll hier etwas ausführlicher diskutiert werden.

INTELLIGENZ

7. Eine Diskussion über die Möglichkeit von Intelligenz (bzw. dann sogar vielleicht einer Superintelligenz) müsste klären, wie man überhaupt Intelligenz definieren will. Was ‚Intelligenz an sich‘ sein soll, das weiß bis heute niemand. Die einzigen, die seit ca. 100 Jahren einen empirisch brauchbaren Intelligenzbegriff entwickelt haben, das sind die Psychologen. Sie definieren etwas, was niemand kennt, die ‚Intelligenz‘, ganz pragmatisch über einen Katalog von Aufgaben, die ein Kind in einem bestimmten Alter in einer bestimmten Gesellschaft so lösen kann, dass man dieses Kind in dieser Gesellschaft als ‚intelligent‘ bezeichnen würde. Bei einem Menschen mit einem anderen Alter aus einer anderen Gesellschaft kann dieser Aufgabenkatalog ganz andere Ergebnisse liefern.

8. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Kinder, denen man aufgrund ihres vermessenen Verhaltens einen hohen Intelligenzwert zugeschrieben hat, bei Langzeituntersuchung auch überdurchschnittlich ‚erfolgreich‘ (eine in sich nicht einfache Kategorie) waren. Daraus hat man die Arbeitshypothese abgeleitet, dass das messbare intelligente Verhalten ein Indikator für bestimmte ‚interne Strukturen im Kind‘ ist, die dafür verantwortlich sind, dass das Kind solch ein Verhalten hervorbringen kann. Und es sind genau diese postulierten Ermöglichungsstrukturen für de Intelligenz, die im Kind wirksam sein sollen, wenn es im Laufe seines Lebens ‚erfolgreich‘ ist.

9. Die Ingenieurwissenschaften und die Informatik benutzen Begriffe wie ’smart‘ und ‚intelligent‘ heute fast inflationär, ohne sich in der Regel die Mühe zu machen, ihre technischen Intelligenzbegriffe mit dem psychologischen Intelligenzbegriff abzugleichen. Dies führt zu großen Begriffsverwirrungen und man kann im Falle der technischen Intelligenz in der Regel nicht sagen, in welchem Sinne ein Interface oder eine Maschine ‚intelligent‘ ist, wenn sie technisch ’smart‘ oder ‚intelligent‘ genannt wird.

10. Der berühmt Turing-Test zur Feststellung, ob eine technische Vorrichtung sich in ihrem textbasierten Dialog mit einem Menschen für den beteiligten Menschen als ununterscheidbar zu einem Menschen darstellen kann, ist nach den Standards der Psychologie wenig brauchbar. Die endlosen Diskussionen um den Turing-Test dokumentieren für mich die immer noch anhaltende methodische Verwirrung, die sich im Umfeld des technischen Intelligenzbegriffs findet. Das hohe Preisgeld für den Turing-Test kann die evidenten inhärenten Schwächen des Tests nicht beheben.

11. Wenn wir also über intelligente (oder gar super intelligente) Maschinen reden wollen, sollten wir uns an bekannte, empirisch nachprüfbare und vergleichbare Standards halten, und dies sind die der empirischen Psychologie. Das gleiche gilt auch für den nächsten zentralen Begriff, dem des ‚Lernens‘.

LERNEN

12. Auch bei dem Begriff ‚Lernen‘ finden wir wieder einen inflationären Sprachgebrauch von ‚Lernen‘ in der Informatik, der in keiner Weise mit dem empirischen Begriff des Lernens in den verhaltensorientierten Wissenschaften abgestimmt ist. Was eine ‚intelligente‘ Maschine der Informatik im Vergleich zu biologischen Systemen darstellen soll, ist im allgemeinen Fall unklar. An konkreten Beispielen wie ’schachspielender Computer, ‚Routenplanung‘ für eine Reise, ‚Quizfragen beantworten‘, ‚Gegenstände erkennen‘, gibt es zwar partielle verhaltensorientierte Beschreibungen von ‚maschineller Intelligenz‘, diese sind aber nicht in eine allgemeine verhaltensorientierte Theorie ‚intelligenter Maschinen‘ integriert.

13. In den verhaltensorientierten Wissenschaften wird ‚Lernen‘ über beobachtbares Verhalten definiert. ‚Anhaltende Verhaltensänderungen‘ in ‚Abhängigkeit von bestimmten Umweltereignissen‘ bilden die Anknüpfungspunkte, um im beobachteten System allgemein Zustände anzunehmen, die sich wahrnehmungsabhängig und erinnerungsabhängig ’nachhaltig ändern‘ können. Was genau sich ändert, weiß ein Psychologe nicht, nur dass es geeignete interne Strukturen geben muss, wenn sich ein bestimmtes Verhalten zeigt.

14. Setzt man den Körper als Ermöglichungsstruktur voraus, dann beschränkt sich Lernen auf interne Veränderungen des gegebenen Körpers. Das wäre das ’normale‘ lokale individuelle Lernen. Man kann aber auch die Strukturen eine Körpers selbst als Ergebnis eines Lernprozesses auffassen, dann bezieht sich das Lernen auf den Wandel der Körperstrukturen und -formen und die dafür verantwortlichen (angenommenen) internen Zustände sind z.T. im Reproduktionsmechanismus zu verorten. Insgesamt erscheint das strukturelle Lernen aber als komplexer mehrstufiger Prozess, der Phylogenese, Ontogenese und Epigenese umfasst.

GERICHTETE KREATIVE ENTWICKLUNG

15. Solange ein System sich in seinem Lernen damit beschäftigt, Ereignisse zu identifizieren, zu klassifizieren, Muster zu erfassen, auftretende Beziehungen zu erfassen, so lange ist das Lernen ‚an sich‘ ‚wertfrei‘. Spannender wird es bei ‚Auswahlprozessen‘: womit soll sich ein System beschäftigen: eher A oder eher Nicht-A? Durch Auswahlprozesse bekommt der individuelle Lernprozess eine ‚Richtung‘, einen selektierten Ereignisraum, der sich dann auch in den Wissensstrukturen des Systems widerspiegeln wird. Jede ‚Lerngeschichte‘ korrespondiert auf diese Weise mit einer entsprechenden ‚Wissensstruktur‘. Wenn jemand Weinanbau gelernt hat, aber es gibt keinen Wein mehr, sondern nur noch Handwerk, ist er ‚arbeitslos‘ oder muss ‚umlernen‘. Wer Betriebswirtschaft gelernt hat, aber zu wenig von Qualitätsprozessen versteht, kann erfolgreiche Firmen in den Ruin steuern. Auswahlprozesse realisieren ‚Präferenzen‘: Eher A als Nicht-A. Präferenzen repräsentieren implizit ‚Werte‘: A ist besser/ wichtiger als Nicht-A.

16. Im Falle der biologischen Evolution werden die Präferenzen sowohl vom biologischen Reproduktionsmechanismus geliefert (bis dahin vorhandene Erbinformationen), wie auch durch die herrschende Umgebung, die von bestimmten Körperformen nicht gemeistert werden konnten, von anderen schon. Die in ihren Nachkommen überlebenden Körperformen repräsentierten dann mit ihren Erbinformationen eine von außen induzierte Präferenz, die ‚gespeicherten Präferenzen der Vergangenheit‘ als eine Form von ‚Erinnerung‘, als ‚Gedächtnis‘. Über die ‚Zukunft‘ weiß die biologische Entwicklung nichts! [Anmerkung: Diese Ideen finden sich u.a. auch schon in den Schriften von Stuart Alan Kauffman. Sie ergeben sich aber auch unmittelbar, wenn man mit genetischen Algorithmen arbeitet und die Lernstruktur dieser Algorithmen heraushebt.].

17. Die biologische Entwicklung lebt vielmehr von der – impliziten! – ‚Hoffnung‘, dass die umgebende Welt sich nicht schneller ändert als die gespeicherten Erbinformationen voraussetzen. Da wir heute wissen, dass sich die Welt beständig verändert hat, teilweise sehr schnell oder gar blitzartig (Vulkanausbruch, Asteroidenbeschuss, Erdbeben,…), kann man sich fragen, wie die biologische Evolution es dann geschafft hat, das Leben quasi im Spiel zu halten, ohne etwas über die Zukunft zu wissen? Die Antwort ist eindeutig: durch eine Kombination von Kreativität und von Masse!

18. Die ‚Kreativität‘ ist implizit; die Reproduktion eines neuen Körpers aus vorhandenen genetischen Informationen verläuft auf sehr vielen Ebenen und in sehr vielen aufeinanderfolgenden Phasen. Fasst man diesen ganzen Prozess als eine ‚Abbildung‘ im mathematischen Sinne auf, dann kann man sagen, dass die Zuordnung von Körpern zu Erbinformationen nicht eindeutig ist; aus der gleichen Erbinformation kann rein mathematisch eine nahezu unendlich große Anzahl von ‚Varianten‘ entstehen, mit einem möglichen ‚Variantenkern‘. In der empirischen Welt ist die Varianz erstaunlich gering und der Variantenkern erstaunlich stabil. Aber offensichtlich hat die verfügbare Varianz ausgereicht, um die sich stark verändernden Umgebungsbedingungen bedienen zu können. Voraus zur Zukunft in einer sich verändernden Welt hat man immer nur ein Teilwissen. Das ‚fehlende Wissen‘ muss man sich teuer erkaufen; es gibt nichts zu Nulltarif. Für jedes Leben, das man in der Zukunft erhalten will, muss man einen – nicht leicht genau zu bestimmenden – hohen Einsatz erbringen, in der Hoffnung, dass die Breite des Ansatzes ausreichend ist.

GEGENWART ALS TRANSIT

19. Verglichen mit den Dramen der Vergangenheit könnten uns die ‚Erfolge‘ der Gegenwart dazu verleiten, anzunehmen, dass wir Menschen ‚über dem Berg‘ sind. Dass wir jetzt so langsam alles ‚im Griff‘ haben. Diese Vorstellung könnte sehr sehr trügerisch sein. Denn das Überleben auf der Erde rechnet in Jahrhunderttausenden, Millionen oder gar hunderten von Millionen Jahren. Eine kurzfristige ‚Boomzeit‘ von ein paar Jahrzehnten besagt nichts, außer dass wir feststellen, dass schon in wenigen Jahrzehnten ungeheuer viele biologische Arten ausgestorben sind, viele weitere vom Aussterben bedroht sind, und allein wir Menschen viele zentrale Probleme der Ernährung, des Wassers und der Energie noch keineswegs gelöst haben. Außerdem haben wir nach heutigem Kenntnisstand nicht noch weitere 4 Milliarden Jahre Zeit, sondern höchstens ca. eine Milliarde Jahre, weil dann laut der Physik die Sonne sich aufgrund ihrer Kernfusionsprozess sich soweit ausgedehnt haben wird, dass ein Leben auf der Erde (nach heutigem Kenntnisstand) nicht mehr möglich sein wird.

20. Letztlich dürften wir weiterhin in dieser Position der anzustrebenden Meisterung von etwas ‚Neuem‘ sein, das wir vorab nur partiell kennen. Nur durch ein hinreichendes Maß an Kreativität und hinreichend vielfältigen Experimenten werden wir die Herausforderung meistern können. Jede Form der Festschreibung der Gegenwart als ‚unveränderlich‘ ist mittel- und langfristig tödlich.

BIOLOGIE UND TECHNIK IN EINEM BOOT

21. Aus den vorausgehenden Überlegungen ergeben sich unmittelbar einige weitreichende Folgerungen.

22. Die heute gern praktizierte Trennung von Biologie einerseits und Technologie andererseits erscheint künstlich und irreführend. Tatsache ist, dass die gesamte Technologie aus der Aktivität des biologischen Lebens – speziell durch den homo sapiens – entstanden ist. Etwas Biologisches (der homo sapiens) hat mit Mitteln der Biologie und der vorfindlichen Natur ‚Gebilde‘ geschaffen, die so vorher zwar nicht existiert haben, aber sie sind auch nicht aus dem ‚Nichts‘ entstanden. Sie sind durch und durch ‚biologisch‘, wenngleich – faktisch – mit der übrigen Natur, mit dem bisherigen Ökosystem nicht immer ‚optimal‘ angepasst. Aber die Natur selbst hat millionenfach Systeme erzeugt, die nicht optimal angepasst waren. Die Natur ist ein dynamisches Geschehen, in dem milliardenfach, billionenfach Strukturen generiert werden, die für eine Zukunft gedacht sind, die keiner explizit kennt. Es ist sozusagen ein allgemeines ‚Herantasten‘ an das ‚werdende Unbekannt‘. Wer hier glaubt, die bekannte Gegenwart als ‚Maßstab schlechthin‘ benutzen zu können, irrt schon im Ansatz.

23. Wenn nun ein Teil dieser Natur, der homo sapiens als Realisierung eines biologischen Systems, es durch seine Aktivitäten geschafft hat, seine unmittelbare Lebensumgebung umfassend und zugleich schnell so umzugestalten, dass er als Hauptakteur nun plötzlich als ‚Flaschenhals‘ erscheint, als ‚Bremsklotz‘, dann ist dies zunächst einmal keine ‚Panne‘, sondern ein riesiger Erfolg.

24. Die körperlichen Strukturen des homo sapiens, ein Wunderwerk von ca. 4 Milliarden Jahren ‚Entwicklungsarbeit‘, besitzen eine Substruktur, das Gehirn, das in der Lage ist, die strukturellen Lernprozesse der biologischen Körper in Gestalt lokaler individueller Lernprozesse dramatisch zu beschleunigen. Komplexe Gedächtnisstrukturen, komplexe Begriffsoperationen, Symbolgebrauch, Logik und Mathematik, Rechenmaschinen, Bücher, Computer, Daten-Netzwerke haben dem individuellen Gehirn eine ‚kognitive Verstärkung‘ verpasst, die die Veränderungsgeschwindigkeit des strukturellen Körperlernens von einer Dimension von etwa (optimistischen) 10^5 Jahren auf etwa (pessimistischen) 10^1 Jahren – oder weniger – verkürzt haben. Dies stellt eine absolute Revolution in der Evolution dar.

25. Hand in Hand mit der dramatischen Verkürzung der Lernzeit ging und geht eine dramatische Steigerung der Kooperationsfähigkeit durch Angleichung der Sprache(n), Angleichung der Datenräume, politisch-juristische Absicherung sozialer Räume, Verbesserung der Infrastrukturen für große Zahlen und vielem mehr.

26. Innerhalb von nur etwa 50-100 Jahren ist die Komplexitätsleistung des homo sapiens geradezu explodiert.

27. Bislang sind die neuen (noch nicht wirklich intelligenten) Technologien eindeutig eine Hilfe für den homo sapiens, sich in dieser Welt zurecht zu finden.

28. Wenn man begreift, dass die scheinbare ‚Schwäche‘ des homo sapiens nur die Kehrseite seiner ungeheuren Leistungsfähigkeit sind, sein gesamtes Umfeld dramatisch zu beschleunigen, dann würde die naheliegende Frage eigentlich sein, ob und wie der homo sapiens die neuen Technologien nutzen kann, um seine aktuellen begrenzten körperlichen Strukturen eben mit Hilfe dieser neuen Technologien soweit umzubauen, dass er selbst mit seinen eigenen Gestaltungserfolgen auf Dauer noch mithalten kann (und es ist ja kein Zufall, dass die gesamte moderne Genetik ohne Computer gar nicht existieren würde).

29. Bislang bremsen ‚veraltete‘ Ethiken in den Köpfen der Politik eine dynamische Erforschung der alternativen Strukturräume noch aus. Dies ist bis zu einem gewissen Grad verständlich, da der homo sapiens als ‚Transitwesen‘ sich nicht selbst ruinieren sollte bevor er neue leistungsfähige Strukturen gefunden hat; aber Verbote als grundsätzliche Haltung sind gemessen an der erfolgreichen Logik des Lebens seit 4 Milliarden Jahre grundlegend unethisch, da lebensfeindlich.

30. Auch die heute so ‚trendige‘ Gegenüberstellung von homo sapiens und ‚intelligenten lernenden Maschinen‘ erscheint nach den vorausgehenden Überlegungen wenig wahrscheinlich.

31. Einmal hätten mögliche intelligente Maschinen das gleiche Entwicklungsproblem wie die biologischen Systeme, die ihre Überlebensfähigkeit seit 4 Milliarden Jahre demonstriert haben. Biologische Systeme haben einen ‚mehrlagigen‘ Lernmechanismus‘ ausgebildet, der ‚Kreativität‘ als wesentlichen Bestandteil enthält. Die bisherigen Konzepte für maschinelle Intelligenz sind verglichen damit höchst primitiv. Maschinelle Intelligenz ‚für sich‘ ist auch völlig ortlos, kontextfrei. Als Moment am biologischen Entwicklungsprozess jedoch,in einer symbiotischen Beziehung zu biologischen Systemen, kann künstliche Intelligenz eine maximal hohe Bedeutung gewinnen und kann von den ‚Wertfindungsmechanismen‘ der biologischen Systeme als Teil einer vorfindlichen Natur profitieren.

32. Die Gegenübersetzung von homo sapiens und (intelligenter) Technologie ist ein Artefakt, ein Denkfehler, ein gefährlicher Denkfehler, da er genau die maximale Dynamik, die in einer biotechnologischen Symbiose bestehen kann, behindert oder gar verhindert. Das wäre lebensfeindlich und darin zutiefst unethisch.

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Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab?

Vortrag am 19.Mai 2015 im Literaturhaus Frankfurt in der Veranstaltung PR-Slam & Ham 2015

In meiner Präsentation hatte ich eine Reihe von Schaubildern gezeigt, die ich dann mündlich kommentiert habe. Einen geschriebenen Text gab es nicht. Ich habe aber die Erläuterung nochmals ’nachgesprochen‘. Aus den 20 Min sind dann ca. 70 Min geworden. Die Bilder unten bilden das Rückgrat der Geschichte; sie sind nummeriert. Im gesprochenen Text nehme ich auf diese Bilder Bezug.

Das Ganze endet in einem glühenden Plädoyer für die Zukunft des Lebens in Symbiose mit einer angemessenen Technik. Wir sind nicht das ‚Endprodukt‘ der Evolution, sondern nur eine Durchgangsstation hin zu etwas ganz anderem!

 

AUDIODATEI DES KOMMENTARS (70 Minuten! mp3)

Gehirn im Körper mit Bild 1: Bewusstsein - Beobachter
Bild 1: Gehirn im Körper mit Bewusstsein – Beobachter

Bild 2: Gehirn im Körper mit Raum der Phänomene. Empirische und nicht-empirische Phänomene
Bild 2: Gehirn im Körper mit Raum der Phänomene. Empirische und nicht-empirische Phänomene

Bild 3: Korrelation zwischen Gehirn, Bewusstsein und Gedächtnis. Gedächtnis mit Sensorik, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis
Bild 3: Korrelation zwischen Gehirn, Bewusstsein und Gedächtnis. Gedächtnis mit Sensorik, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis

Bild 4: Mensch im Alltag, umringt von technischen Schnittstellen die mit digitalisierten weltausschnitten verbinden können: viel. schnell, komplex
Bild 4: Mensch im Alltag, umringt von technischen Schnittstellen die mit digitalisierten weltausschnitten verbinden können: viel. schnell, komplex

Bild 5: Menge von Komplexitätsereignissen bisher; Explosion in der Gegenwart
Bild 5: Menge von Komplexitätsereignissen bisher; Explosion in der Gegenwart

Bild 6: Konkrete Zahlen zum vorhergehenden Schaubild mit den Komplexitätsereignissen
Bild 6: Konkrete Zahlen zum vorhergehenden Schaubild mit den Komplexitätsereignissen

Bild 7: Biologischer Reproduktion als Quelle der Kreativität für neue Strukturen
Bild 7: Biologischer Reproduktion als Quelle der Kreativität für neue Strukturen

Bild 8: Struktur der biologischen Reproduktion in 1-zu-1 Isomorphie zur Struktur eines Automaten (Turingmaschine)
Bild 8: Struktur der biologischen Reproduktion in 1-zu-1 Isomorphie zur Struktur eines Automaten (Turingmaschine)

Die Vision, die in dem Audiobeitrag gegen Ende entwickelt wird, soll in dem Emerging-Mind Projekt konkret umgesetzt werden, als Impuls, als Anstoß, als Provokation, als Community, die sich mit dem Thema philosophisch, wissenschaftlich, künstlerisch und theologisch auseinandersetzt.

Eine Übersicht über alle Einträge von cagent in diesem Blog nach Titeln findet sich HIER.

REMAKE: DER ‚AVATAR‘, AUGE DES BETRACHTERS, WIR?


(Unter twitter bei ‚cagentartist‘))

ZUFÄLLIGER EINSTIEG

Zum Film Avatar wurde schon unendlich viel geschrieben, angemerkt, kritisiert, begeistert gelobt, getobt, kühl berichtet, einfach nur hingehaucht … was soll man also noch schreiben? Natürlich muss man gar nichts schreiben. Ich schreibe diese Zeilen, weil ich am 2.Febr.2013 eher zufällig den Film ‚Avatar‘ in einer 3D-Fassung gesehen hatte. Das Erlebnis war durchschlagend. Selbst meine Frau, eher abneigend bei allem was in Richtung Sciencefiction geht, war gefesselt und begeistert.

AVATAR – ERSTE KONTUREN

Wie viele schon treffend bemerkt haben, enthält der Plot viele Elemente, denen man so oder so schon in anderen Filmen oder Geschichten begegnet ist und die Geschichte ‚Gieriges Geld versucht sich alles zu nehmen, auch auf Kosten unseliger Zerstörungen‘, bzw. ‚Frau verliebt sich in Mann (und umgekehrt)‘ gehört ja nun nicht unbedingt zu den überraschenden Elementen eines Films.

Weniger verbreitet, wenngleich auch nicht ganz neu, ist die Sicht auf die Natur als quasi ‚beseelt‘ und das intime Verhältnis der Menschen von Pandora zu eben dieser. Die ohne Zweifel betörend-berauschenden Bilder des Films zu, über, und in dieser Welt von Pandora gehören sicher zum Besten, was computeranimierte Filme bislang zustande gebracht haben (dass es dafür keinen Oskar gab sagt viel über die Qualität des Oskar-Nominierungs-Gremiums…)(… und es ist ja nicht nur die Computertechnik als solche, die letztlich die Bilder buchstäblich ‚berechnet‘, sondern die Schar der überaus begnadeten kreativen Menschen ‚dahinter‘, die sich dies alles ausgedacht und entsprechend bildnerisch (und musikalisch) umgesetzt haben).

AVATAR – HIER BEGINNT ES ZU KNISTERN

Und hier beginnt es langsam zu knistern: auch wenn viele Elemente des Films ‚geborgt‘ erscheinen mögen, auch wenn die großen Linien der Geschichte bei distanzierter Betrachtung so ’simpel‘ erzählt werden können, es gelingt Cameron und seinen vielen exzellenten Mitwirkenden daraus eine dichte Atmosphäre zu schaffen, ein mitfühlendes Sehen, Emotionen weckend, Einsichten wachsen zu lassen, einfach nur durch das ‚Dabeisein‘ in einem Geschehen, dessen Mischung aus Dummheit, Gier und instrumentalisierter Intelligenz auf der einen Seite (die militarisierten ‚Ausbeuter‘ der Rohstoffe) und die — zumindest so dargestellte — tiefere Weisheit der intim mit der Natur verbundenen Pandora-Menschen auf der anderen.

IRREFÜHRENDE ÜBERHÖHUNGEN?

Natürlich kann man in Zweifel ziehen, ob dies nicht auf eine ‚mytische Überhöhung‘ der Natur hinausläuft, die genau das, was sie erreichen will, nämlich ein tieferes, ehrfurchtsvolleres Verständnis von Natur, durch diese idealisierende Erhöhung so verzerrt, dass es gerade nicht zum Ziel eines verantwortungsvolleren Umgangs mit Natur führt. Und zugleich kann diese idealisierende Überhöhung der Natur auf der einen Seite zu einer ebenso verzerrten Wahrnehmung von Technologie führen; als ob Technologie nur lebensfeindlich sei, zerstörerisch, zu verachten.

IM AUGE DES BETRACHTERS …

Letztlich kann man alles missverstehen. Im Auge des Betrachters liegt die Wahrheit, zeigt sich die Seele. Die Geste eines Menschen, mir gegenüber, kann in meinen Augen zur Aggression oder zur Zuneigung werden, bevor ‚der Andere‘ tatsächlich irgend etwas gemacht hat. Das Objekt der Erkenntnis ist zu einem hohen Grad das, was wir selber dort hineinlegen, hineinprojizieren.

MEINE SICHT DES AVATARS

In diesem Sinne kann man die Story — wenn man will — so oder so lesen.

Ich persönlich empfinde die stark-positive Sicht des Films auf die ‚Beseeltheit der Natur‘ als nicht abwegig, sondern treffend; treffender, als die meisten möglicherweise bereit sind, zuzugestehen. Ich möchte mich damit nicht einreihen in die Schar der Naturmystiker, die in Schamanismus und ähnlichen Formen die wahre Form des Mensch-Natur-Verhältnisses sehen. Ich sehe vielmehr die allerneuesten Erkenntnisse der Naturwissenschaften zur Struktur der Materie, zur Struktur und Entwicklung des Universums, zur unglaublichen Geschichte des Lebens auf dem Planeten Erde; in den letzten 10, 20, 30 Jahren konnten wir sehr viel dazu lernen, was Leben ist, dass die klassischen Materiebegriffe so nicht mehr funktionieren, dass alles, was wir bislang ’naiv‘ als ‚Geistiges‘ dem ‚Materiellen‘ gegenüber gesetzt haben, in einem absolut radikalen Sinn nichts anderes ist als Eigenschaften eben dieser Materie. Vor diesem neuen naturwissenschaftlichen Bild der Wirklichkeit nimmt sich Camerons ’naturmystische Vision‘ dann keinesfalls ‚übertrieben‘ aus; möglicherweise ist es sogar noch eine Untertreibung (wobei ich nicht unterstellen möchte, dass Cameron und sein Team sich dieses Sachverhaltes bewusst waren…).

EINZIGE KRITIK

Die einzige Kritik die ich daher an diesen atemberaubend-betörenden Bildern des Films in diesem Punkt hätte, wäre dann genau diese, dass der Brückenschlag von der ‚Intuition‘ in die unfassbar komplexen Zusammenhänge der ‚geistigen Materie‘ mit den konkreten Ausprägungen des menschlichen Lebens in diesen Bildern — im Auge des Betrachters — ‚verstellt‘ werden könnte. Umso mehr, als die negative Sicht der Technologie genau jenen Erkenntniskanal in ein tiefschwarzes Licht taucht, der bislang der einzige Modus ist, in dem wir als Menschen uns den Geheimnissen der Natur und unserer selbst nähern konnten.

AMBIVALENTE TECHNIK

Allerdings enthält der Film hier eine weitere Besonderheit: die Technik erscheint dem Zuschauer in genau der Doppelfunktion, mit der sie uns täglich quält und doch auch verzaubert: in Gestalt der agierenden Wissenschaftler wird uns vorgelebt, wie Menschen mit den Mitteln von Technik das Auge des Betrachters öffnen können für die verborgenen Eigenschaften und Schönheiten der umgeben Welt, erschließt ein Verständnis für fremde Lebensformen, und diese Erkenntnisse verändern das eigene Fühlen und Handeln, bis hin zum Einsatz auf Leben und Tod. Denn in der Tat, ein verändertes Sehen kann in uns ein verändertes Verstehen erstehen lassen, das uns selbst so verändert, das wir andere (‚bessere‘?) Menschen werden können, und das veränderte Verstehen verändert unser Sehen… Zugleich erleben wir, wie andere Menschen (rein ‚Gewinngetrieben‘, im schlechten Sinne technokratisch und militaristisch) die Technik dazu missbrauchen, andere Kulturen, andere Lebensformen mit ‚blinden Augen‘ einfach zu zerstören. Die Bilder gewinnen ihre bedrückende Kraft von dem Wissen aller Zuschauer, dass wir als Menschen zu solch blindwütiger Zerstörung nicht nur theoretisch fähig sind, sondern im Laufe der Geschichte unendlich oft bewiesen haben, dass wir genau dies tatsächlich tun. Wir sind so. Und selbst im Moment, wo ich diese Zeilen schreibe, tun Menschen genau dieses an vielen Orten dieser Welt.

AVATAR ALS MEDIUM FÜR

Wer sich also auf diesen Film einlässt und sich nicht von der scheinbaren Klischeehaftigkeit irritieren und ablenken lässt, für den kann dieser Film neben den betörenden Bildern (und einem gleichfalls großartigen Soundtrack) zu einem Medium für ein inneres Zwiegespräch werden, zu einem Zwiegespräch zwischen der eigenen Seele und den Dimensionen der umgebenden Welt. Vielleicht entdeckt er/sie dann sogar, dass Pandora nicht weit weg im Universum liegt, sondern mitten unter uns ist. In einem sehr tiefen Sinne sind wir selbst Pandora, zugleich sind wir selbst diese zerstörerischen geldgierig-blinden Technokraten. Davon befreien können wir uns aber erst, wenn wir erkennen, dass wir genau so sind, aber nicht so sein müssen.

Damit schließe ich. Noch viel mehr wäre zu sagen.

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