Archiv der Kategorie: Reflexionsmodus

DONALD A.NORMAN, THINGS THAT MAKE US SMART – Teil 3

Diesem Beitrag ging voraus Teil 2.

1) In den vorausgehenden Teilen wurden bislang zwei Aspekte sichtbar: einmal die ‚Menschenvergessenheit‘ in der Entwicklung und Nutzung von Technologie sowie die Einbeziehung von ‚wissensunterstützenden Dingen‘ sowohl außerhalb des Körpers (physisch) wie auch im Denken selber (kognitiv). Ferner hatte Norman die Vielfalt des Denkens auf zwei ‚Arbeitsweisen‘ reduziert: die ‚erfahrungsorientierte‘ Vorgehensweise, ohne explizite Reflexion (die aber über ‚Training‘ implizit in die Erfahrung eingegangen sein kann), und die ‚reflektierende‘ Vorgehensweise.

DREI LERNMETHODEN, MOTIVATION, FLOW

2) Ohne Bezug auf die umfangreiche Literatur zum ‚Lernen‘ unterteilt Norman dann das ‚Lernen‘ in drei Formen ein: (i) Sammeln (‚accretion‘) von Fakten; (ii) eine – meistens – lang andauernde ‚Abstimmung‘ (‚tuning‘) der verschiedenen Parameter für ein reibungsloses Laufen, Schreiben, Sprechen, usw.; (iii) Restrukturierung (‚restructuring‘) vorhandener begrifflicher Konzepte. Während er (i) und (ii) dem ‚Erfahrunfstyp‘ zurechnet bringt er (iii) in Zusammenhang mit der Reflexion. (vgl.SS.28-30)
3) [Anmerkung: von den vielen anderen Autoren und Strömungen, die Überschneidungen mit diesen Überlegungen aufweisen fällr mir insbesondere die Position von Jean Piaget (1896 – 1980) auf, der in beeindruckender Weise Theorieansätze zur Lernentwicklung erarbeitet hatte. Dass Norman mindestens ihn hier nicht erwähnt liegt vielleicht daran, dass der Gesamtrahmen bei Piaget die ‚Entwicklung‘ des Lernens war, während es Norman weniger um die Entwicklung als solcher ging sondern – meine persönliche Spekulation – um Verhaltenstypen von schon ‚entwickelten‘ Personen unter der Annahme, dass es im wesentlichen nur das ’spontane‘ oder das ‚reflektierte‘ Verhalten gibt. Allerdings, eine weitere Analyse von ’spontanem‘ und ‚reflektiertem‘ Verhalten würde unweigerlich zu den Strukturen führen, mit denen sich u.a. Piaget auseinandergesetzt hat (siehe weiter unten). ]
4) Zusätzlich erwähnt er noch den Aspekt der ‚Motivation‘. Anhand eigener Lernexperimente meint er aufzeigen zu können, dass das Vorliegen von Motivation unter sonst gleichen Voraussetzungen zu besseren Lernergebnissen führt als wenn wenn nur ‚Desinteresse‘ vorliegt. (vgl.S.30f)
5) [Anmerkung: Wenn man weiß, wie schwierig die theoretische Formulierung und die empirische Überprüfung von Begriffen wie ‚Motivation‘ ist, dann stellen sich bei diesen Schilderungen von Norman sehr viele Fragen. ]
6) Er stellt dann an mehreren Beispielen Formen von hochmotiviertem Lernen vor, denen gemeinsam ist, dass die Teilnehmer hochmotiviert und konzentriert sind, dies über viele Stunden oder gar Tage, letztlich wiederholbar, dies in Gruppen tun können, sich die Ziele und die Lerngeschwindigkeit bis zu einem gewissen Grad selber setzen können, in denen es direkte persönliche Rückmeldungen (Feedbacks) gibt, keine Ablenkung, mit einem deutlichen Spaßfaktor. (vgl. S.31-41) Diese Art von einem stark benutzerorientiertem und benutzergetriebenem Lernen sieht er im Kontrast zu den meisten Lernprozessen in Schulen und Universitäten.
7) [Anmerkung: Die Darlegungen von Norman zu diesen Punkten sind nicht sehr präzise, lassen aber einen groben Eindruck entstehen über mögliche wirksame Faktoren. Das Hauptproblem in der Theoriebildung sehe ich darin, dass sich hier beobachtbare Verhaltensaspekte mit ‚Deutungsmodellen‘ über lernerinterne Strukturen und Prozesse mischen. Niemand kann in einen Menschen hineinschauen. Alle Annahmen über mögliche interne Faktoren und Prozesse sind theoretische Annahmen, die Hypothesen bilden, die durch experimentelle Daten zu bestätigen oder zu widerlegen wären. Dies würde explizite Annahmen über Wahrnehmungs- und Gedächtnisprozesse voraussetzen, darin als Teilstrukturen explizite Annahmen über Konzept- und Begriffsbildung, usw. Dazu gibt es eine sehr umfangreiche Literatur. All dies findet man in der Darstellung von Norman nicht. ]

Fortsetzung folgt HIER: Teil 4.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

DONALD A.NORMAN, THINGS THAT MAKE US SMART – Teil 2

Letzte Änderung:21.Mai 2013

Diesem Beitrag ging voraus Teil 1.

1) Im Teil 1 hatte ich bislang nur auf den Aspekt abgehoben, dass Norman auf die ‚Menschenvergessenheit‘ im Design und Gebrauch von Technologie aufmerksam macht mit der anschließenden Reflexion, dass seine mahnenden Worte 20 Jahre später ihre Aktualität leider noch nicht eingebüßt haben.

WISSENSUNTERSTÜTZENDE DINGE

2) Doch gibt es noch einen weiteren Aspekt in seinem Buch, mindestens genau so gewichtig, und das ist der Aspekt der ‚Verteiltheit von Wissen/ Erkennen‘. Der Aufhänger für diesen Aspekt von Wissen/ Erkennen sind all die vielen Dinge im Alltag, die letztlich unser ‚Wissen/ Erkennen‘ (‚cognition‘) irgendwie ‚unterstützen‘ (‚aiding the mind‘). Er nennt diese das-Wissen-unterstützende Dinge ‚kognitive Artefakte‘ (‚cognitive artefacts‘).(vgl. S.4).
3) Er meint damit aber nicht nur ‚physische‘ Dinge wie Notizbücher, in denen man sich etwas notiert, Monitore, über die man Daten lesen kann, Leuchtschriften, die einem etwas mitteilen, sondern sehr wohl auch solche ‚gedankliche‘ Hilfsmittel wie Mathematik, Logik und Sprache. Auch diese gedanklichen Hilfsmittel haben Menschen ‚erfunden‘ und nutzen sie, um ihr Wissen zu organisieren. Also sowohl physische wie auch gedankliche Mittel gibt es, die der Mensch erfunden hat, um ihm in seinem ‚Wissen‘ zu unterstützen. Physische wie gedankliche Hilfsmittel sind ‚künstlich‘ – im Sinne von ‚erfunden‘ und speziell ‚zubereitet‘, ‚konstruiert‘ – und Norman fasst sie unter dem Begriff ‚Artefakte’/ ‚Werkzeuge‘ zusammen, die in ihrer Gesamtheit eine ‚Technologie der Artefakte‘ repräsentieren.(vgl. S.4f)
4) Ein wichtiger Aspekt in dieser ‚Technologie der wissensunterstützenden Werkzeuge‘ ist, dass sie ’nicht geplant‘ waren, sondern sich ‚ergeben‘ haben; irgendwann hat jemand ‚entdeckt‘, dass es eine weitere ‚Möglichkeit‘ gibt, etwas ‚anders‘ zu tun als ‚bisher‘. (vgl. S.7)
5) [Anmerkung: An diesem Punkt sehe ich eine Querbeziehung zu Kauffmans ‚autokatalytischen‘ Modellen (siehe vorausgehende Blogeinträge). Diese modellieren den Aspekt, dass in einer gegebenen Situation einerseits nicht alles möglich ist, da der aktuelle Zustand durch sein Gegebensein vieles ausschließt, andererseits bietet er in seiner Konkretheit eine definierte Menge von Möglichkeiten, aus denen man konkrete Werte auswählen kann. Es liegt aber nicht fest, welche dies sind. Also, einerseits gibt es ein IST, das als ‚Tradition‘ fungiert, das bestimmte ‚Tendenzen‘ ’nahelegt‘, andererseits gibt es einen MÖGLICHKEITSRAUM, der groß genug ist, so dass nicht klar ist, ob und wann eine bestimmte Konstellation ausgewählt werden wird oder nicht. Von daher kann es hunderte, tausende, zehntausende Jahre dauern, bis bestimmte Erfindungen gemacht wurden. Und am ‚Anfang‘, als noch wenig erfunden war, war es am ’schwersten‘, d.h. es dauert besonders lang, bis etwas ‚Interessantes‘ erfunden wurde, da es wenig ‚Hinweise‘ aus der Gegenwart in eine ‚bestimmte Art von Zukunft‘ gab.]
6) Jedes neu erfundenes wissensunterstützendes Werkzeug erhöht die Wissensmöglichkeiten einer Population, und schafft damit einen kleinen Ausgleich zu den ‚Grenzen des menschlichen Wissens‘. Dabei ist jedes solches wissensunterstützendes Werkzeug ambivalent: es schafft neue Möglichkeiten, aber damit auch neue Abhängigkeiten; das Benutzen eines wissensunterstützenden Werkzeugs wird zu einem ‚Teil‘ des aktiven Wissens; ohne dieses ‚Teil‘ gibt es diese Form von wissen nicht; je mehr Menschen es benutzen, verändert es die Art und Weise, wie alle Wissen aktiv leben.(vgl.S.8)
7) [Anmerkung: im Jahr 2013 ist für sehr viele Menschen der Computer, das Smartphone mit dem zugehörigen Netzwerk zu einer Art ‚Dauerbegleiter‘ geworden; ein Arbeiten ohne diese ist für die meisten praktisch nicht mehr möglich. …]

AUTOMATION und REFLEXION

8) Norman führt dann eine Unterscheidung ein im Bereich des aktiven Erkennens bzw. des aktiven Wissens (wobei er im Englischen das Wort ‚cognition‘ benutzt): er spricht von einem ‚Erfahrungsmodus‘ (‚experiential mode‘) und einem ‚Reflexionsmodus‘ (‚reflective mode‘) des Erkennens. Dabei wird der Erfahrungsmodus letztlich definiert über die Abwesenheit von Reflexion: wir nehmen wahr und verstehen und reagieren unmittelbar, ohne Anstrengung, direkt. Während im Reflexionsmodus des Erkennens ein explizites Nachdenken stattfindet, explizit Begriffe benutzt werden, explizite Entscheidungen gefällt werden. Beide Modi hält er für wichtig wenngleich sie ganz unterschiedliche Hilfsmittel verlangen.(vgl. S.15f)
9) [Anmerkung: so intuitiv diese beiden Begriffe ‚Erfahrungsmodus’/ ‚Reflexionsmodus‘ im ersten Moment klingen mögen, bei genauerem Hinsehen und beim Durchführen von Experimenten wird man schnell feststellen, dass diese beiden Begriffe sehr vage und schwer entscheidbar sind. Die Wirklichkeit des Erkennens ist im Vollzug viel komplexer. Für die weiteren Betrachtungen zu den wissensunterstützenden Werkzeugen spielt es keine so zentrale Rolle; erst dann, wenn man die Bedeutung und Wirkungsweise der wissensunterstützenden Werkzeugen genauer gewichten wollte. Und tatsächlich, Norman bemerkt diese Unzulänglichkeit:]
10) Er stellt dann selbst fest, dass die Reduktion menschlichen Erkennens auf nur zwei Aspekte gefährlich sei, da menschliches Erkennen eine multidimensionale Angelegenheit sei. Er behält diese Vereinfachung aber dennoch bei, da er meint, dadurch bestimmte Dinge besser verdeutlichen zu können. Außerdem treten beide Modi nicht notwendigerweise isoliert auf, sondern auch ‚gemischt‘ oder wechseln sich ab.(vgl. S.16) In vielen Fällen wird ein erfahrenes Verhalten verlangt, in dem die betroffenen Personen nicht ständig erst nachdenken müssen, sondern in denen sie sofort, spontan wissen müssen, was zu tun ist. Andererseits sind diese Arbeitsweisen gefährlich, weil dann der (falsche) Eindruck entstehen kann, Wissen bestände aus Handlungen.(vgl. S.17)
11) [Anmerkung 1: 20 Jahre nach dem Erscheinen von Normans Buch gibt es viele hundert verschiedene interaktive Computerspiele mit z.T. Millionen von ‚Fans‘, die spielen. Die Interaktivität dieser Spiele garantiert aber keinesfalls, dass die Benutzer der Spiele ‚echtes Wissen‘ erwerben, da die Inhalte weitgehend ‚Fantasiewelten‘ repräsentieren. Allerdings eröffnet das Spielen in großen Gruppen spezifische Erfahrungen, ob und wie man zusammen mit anderen im Team gemeinsam Aufgaben lösen kann.]
11) [Anmerkung2: Wir wissen, dass ein scheinbar schwereloses spontanes Verhalten (Lesen, Schreiben, Sprechen, Autofahren, ein Instrument Spielen, Turnen, Tanzen, Programmieren, …) in der Regel ein sehr langes, mühevolles Training voraussetzt, in dem viele kleine Schritte bewusst ‚geübt‘ werden müssen, bis sie dann irgendwann scheinbar ‚von selbst‘ ablaufen. Ein solches Trainieren ist ein komplexes Geschehen.]
12) Am Beispiel eines Museumsbesuches macht er darauf aufmerksam, dass der Erfahrungsmodus alleine, in dem man Dinge spontan wahrnimmt, keine neue ‚Erkenntnisse‘ garantiert. Noch so attraktive Exponate als solche erzeugen zwar eine gewisse ‚Anziehung‘, beanspruchen die ‚Aufmerksamkeit‘, sie führen aber nicht notwendigerweise zu ‚Erkenntnissen‘. Dem gegenüber verweist er auf die Arcade Videospiele; in diesen gibt es einen ‚Aufmerksamkeitsmodus‘ , in dem man zunächst etwas spontan erleben kann (Erfahrungsmodus), und dann gibt es einen ‚Interaktionsmodus‘, durch den man mit dem Erfahrenen bewusst interagieren kann; auf diese Weise kann man dann zu expliziten neuen Erkenntnissen gelangen (Reflexionsmodus).(vgl. SS.19-22)
13) Der Vorteil eines eingeübten Erfahrungsmodus ist seine Schnelligkeit und die scheinbare Mühelosigkeit. Allerdings findet im Erfahrungsmodus tendenziell keine Reflexion statt. Die Dinge ändern sich nicht mehr, sie stehen fest. Wer im Erfahrungsmodus verweilt – Norman zählt dazu auch das Fernsehen – der ist zwar sensorisch und erlebnismäßig in eine ‚Realiät‘ eingehüllt‘, aber diese kann unzulänglich oder falsch sein. Eine kritische Bewertung würde den Übergang in den ‚Reflexionsmodus‘ voraussetzen, der hinterfragt, vergleicht, Schlüsse zieht. Der Reflexionsmodus ist viel langsamer, kann aber beliebig an jeder Stelle vertiefen. Und hier sieht Norman auch die größte potentielle Gefahr: die immer mehr um sich greifende reine ‚Unterhaltung‘ über Massenmedien können einen Dauerzustand des sich ‚denkfreien Hingebens‘ an eine Realität begünstigen, die notwendiges kritisches Verstehen ausschaltet. (vgl. SS.22-28)
14) [Anmerkung: im Kalten Krieg war die ‚Gehirnwäsche‘ als Foltermethode und ‚Umprogrammierung‘ eines Menschen berühmt berüchtigt. Wenn über viele TV-Kanäle heute mehr und mehr nur noch quasi Fantasy-Serien oder manipulierte Alltagsserien laufen und Menschen nachgewiesenermaßen diese mehrere Stunden am Tage sehen, dann führt dies unweigerlich zu einer ‚Umprogrammierung‘ ihres Wissens, dem sie sich – auch wenn sie wollten – nicht mehr entziehen können. Das ist nichts anderes als eine gesellschaftlich erlaubte Form von Gehirnwäsche, die hier nicht stattfindet,weil die Fernsehsender primär irgendwie auch politisch ‚indoktrinieren‘ wollen (wenngleich es Sender gibt, die Personen gehören, die ganz klare politische Ziele verfolgen), sondern weil sie schlicht und einfach Geld verdienen wollen: alles, was Menschen dazu bringt, sich vor den Fernsehsender zu setzen, nicht mehr abzuschalten, das wird gemacht. ]

Zur Fortsetzung siehe Teil 3

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