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WAS IST LEBEN? Homo Sapiens Ereignis – Erste Umrisse

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Datum: 23.Febr 2025 – 2.März 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Eine englische Version  findet sich HIER.

KONTEXT

Dies ist keine weitere  Zwischenreflexion, sondern eine Fortsetzung im Hauptstrang des Text-Projektes ‚Was ist Leben?‘

HAUPTSTRANG: Was ist Leben?

  1. 17.Jan 2025 WAS IST LEBEN ? Welche Rolle haben wir ? Gibt es eine Zukunft ?
  2. 18.Jan 2025 WAS IST LEBEN ? … DEMOKRATIE – BÜRGER
  3. 21.Jan 2025 WAS IST LEBEN ? … PHILOSOPHIE DES LEBENS
  4. 9.Febr 2025 WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘ …
  5. 17.Febr 2025 WAS IST LEBEN – GRAMMATIK DES ÜBERLEBENS. Im Focus: Homo sapiens …(noch nicht fertig)
  6. 2.März 2025 WAS IST LEBEN? Homo Sapiens Ereignis – Erste Umrisse

Dem Text Nr.4 ging ein Vortrag am 31.Jan 2025 voraus, in dem ich die grundlegenden Ideen schon mal formuliert hatte.

EINSCHÜBE BISHER:

  1. 15.Febr 2025 EINSCHUB: Kurze Geschichte zum Begriff der Intelligenz und seiner möglichen Zukunft 
  2. 18.Febr 2025 EINSCHUB : BIOLOGISCHE INTELLIGENZ braucht LERNEN. Strukturanalyse
  3. 20.Febr 2025 EINSCHUB : INTELLIGENZ – LERNEN – WISSEN – MATERIELLE BEDINGUNGEN; KI 

ÜBERLEITUNG

Im Text Nr.4 „WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘ …“ gibt es einen zentralen Abschnitt, der hier nochmals in Erinnerung gerufen werden soll. Im Anschluss an die Offenlegung der faktisch starken Beschleunigung in der Entwicklung der Komplexität des Lebens auf diesem Planeten heißt es:

„Die Kurve erzählt jene ‚Wirkgeschichte‘, die ‚klassische biologische Systeme‘ bis zum Homo sapiens mit ihren ‚bisherigen Mitteln‘ erzeugen konnten. Mit dem Auftreten des Typs ‚Homo‘, und dann insbesondere mit der Lebensform ‚Homo sapiens‘, kommen aber völlig neue Eigenschaften ins Spiel. Mit der Teil-Population des Homo sapiens gibt es eine Lebensform, die mittels ihrer ‚kognitiven‘ Dimension und ihrer neuartigen ‚symbolischen Kommunikation‘ extrem viel schneller und komplexer Handlungsgrundlagen generieren kann.“

Nach diesem ‚Gesamtbild‘ deutet vieles darauf hin, dass das Auftreten des ‚Homo sapiens‘ (das sind wir) nach ca. 3.5 Mrd Jahren Entwicklung mit vorausgehenden ca. 400 Mio Jahren molekularer Entwicklung nicht ‚irgendwie zufällig‘ stattfindet. Es ist kaum zu übersehen, dass das Auftreten des Homo sapiens quasi im im ‚Zentrum der Entwicklungsrichtung‘ liegt. Dieser Sachverhalt kann — muss? — zur Frage führen, ob sich hieraus eine ‚besondere Verantwortung‘ für den Homo sapiens für die ‚Zukunft des gesamten Lebens‘ auf diesem Planeten — oder auch darüber hinaus? — herleitet? Daraus resultiert das zweite Zitat aus dem Text Nr.4:

„Wie kann eine ‚Verantwortung für das globale Leben‘ für uns Menschen von uns einzelnen Menschen überhaupt ‚verstanden‘, geschweige denn ‚praktisch umgesetzt‘ werden? Wie sollen Menschen, die aktuell ca. 60 – 120 Jahre leben, sich Gedanken machen über eine Entwicklung, die viele Millionen oder gar mehr Jahre in die Zukunft zu denken ist?“

Eine solche ‚Verantwortung mit Blick auf eine Zukunft‘ würde — aus der Sicht des gesamten Lebens — nur Sinn machen, wenn es genau der Homo sapiens wäre, der als ‚aktuell einziger‘ im Vergleich zu allen anderen bisherigen Lebensformen über genau jene Eigenschaften verfügt, die man in der aktuellen Entwicklungsphase des Lebens für die ‚Wahrnehmung einer Verantwortung‘ benötigt.

Vorbemerkung

Im folgenden Text wird schrittweise erklärt, wie dies alles zusammenhängt. Dabei wird in dieser Phase kaum auf einschlägige Literatur verwiesen, weil dies bei jedem einzelnen Abschnitt zahllose Verweise erfordern würde. Einige wenige Anmerkungen werden trotzdem gelegentlich gemacht. Sollte die Perspektive der Texte zum Thema ‚Was ist Leben‘ sich grundsätzlich bewähren, müsste diese Perspektive in einem weiteren Durchgang weiter konkretisiert und ‚in aktuelles Spezial-Wissen eingebettet‘ werden. Dabei könnte jeder auf seine Weise mitwirken. Hier geht es zunächst nur um die Herausarbeitung einer neuen komplexen ‚Arbeitshypothese‘ unter Voraussetzung des bisherigen Wissens.

DAS HOMO SAPIENS EREIGNIS

In modernen Science Fiction Romanen und Filmen sind ‚Außerirdische‘ ein beliebtes Format, um auf dem Planet Erde etwas Besonderes einzuführen, oder abenteuerliche Entwicklungen, die ‚aus der Zukunft‘ auf der Erde erscheinen. Natürlich sind dies ‚Denkfiguren‘, mit denen wir Menschen uns ‚Geschichten‘ erzählen, weil wir als Menschen Geschichten seit Anbeginn lieben. Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund, dass das ‚Homo sapiens Ereignis (HSE)‘ bislang kaum eine vergleichbar ‚empathische Aufmerksamkeit‘ gefunden hat. Dabei hat das HSE alle Zutaten, die selbst die kühnsten bisher bekannten Science Fiction Romane und Filme bei weitem übertreffen kann. Die ‚Entwicklungszeit‘ allein auf dem Planet Erde beträgt immerhin ca. 3.9 Mrd Jahre. Öffnet man sich der Erkenntnis, dass ‚das Biologische‘ möglicherweise als ‚direkte Entfaltung‘ jener Eigenschaften zu verstehen ist, die implizit im gesamten ‚Nicht-Biologischen‘ angelegt sind, damit letztlich in der ‚Energie‘ selbst, aus der das gesamte bekante Universum hervor gegangen ist, dann haben wir es hier mit einem ‚maximalen Ereignis‘ zu tun, dessen Wurzel so alt ist, wie das bekannte Universum. Letztlich — die ‚Energie‘ ist für uns noch mehr unbekannt als bekannt — könnte das HSE als Eigenschaft der Energie sogar ‚älter‘ sein als das bekannte Universum.

BILD 1 : Homo sapiens Ereignis (HSE)

PHILOSOPHISCHE ANNÄHERUNG

In diesem Text wird über das ‚Homo Sapiens Ereignis (HSE)‘ ‚gesprochen‘ bzw. ‚geschrieben‘, da dies die einzige Möglichkeit ist, wodurch das ‚Gehirn des Autors‘ mit ‚Gehirnen von Lesern‘ ‚Gedanken austauschen‘ kann. Dies bedeutet — egal, um welche Inhalte es geht — ohne irgendeine Form der ‚Kommunikation‘ kann es zwischen verschiedenen Gehirnen keinen Austausch geben. Im Fall des Homo sapiens geschieht dies von Anbeginn durch eine ’symbolische Sprache‘, eingebettet in vielfältige Handlungen, Gesten, Mimik, Tonfällen und mehr. Daher ist es sinnvoll, diesen Mechanismus einer ’symbolischen Sprache‘ als Element in einem ‚menschlichen Kommunikationsprozess‘ soweit transparent zu machen, dass man verstehen kann, wann welche ‚Inhalte‘ mittels einer symbolischen Kommunikation ‚ausgetauscht‘ werden können.

Bei dem Versuch, diesen ‚Mechanismus‘ einer symbolischen Kommunikation zu erklären, zeigt sich, dass im ‚Vorfeld‘ dieser Erklärung einige ‚Voraussetzungen‘ bewusst gemacht werden müssen, ohne die die nachfolgende Erklärung nicht funktionieren kann.

Für die ‚umfassende Perspektive‘ der hier stattfindenden symbolischen Kommunikation wählt der Autor dieses Textes die Bezeichnung ‚Philosophische Perspektive‘ in dem Sinne, dass alle anderen bekannten und möglichen Perspektiven darin eingeschlossen sein sollen.

Drei isolierte Perspektiven (innerhalb der Philosophie)

Neben der Perspektive der ‚Biologie‘ (samt vieler anderer unterstützender Disziplinen), mit deren Hilfe die Entwicklung ‚des Biologischen‘ auf dem Planet Erde bis zum HSE beschrieben wurde, sollen jetzt einige ‚zusätzliche Perspektiven‘ aufgerufen werden, die unter Voraussetzung des Biologischen interessante Erkenntnisse ermöglichen können:

  1. ‚Phänomenologie‘ als Teildisziplin sowohl der Philosophie als auch der Psychologie: sie dient der Beschreibung und Analyse von ’subjektiven Erlebnissen‘.
  2. ‚Empirische Psychologie‘: sie dient der Beschreibung und Analyse ‚beobachtbaren Verhaltens‘ von Menschen.
  3. ‚Empirische Gehirnforschung‘: sie dient der Beschreibung und Analyse ‚beobachtbarer Prozesse in Gehirnen‘ von Menschen.

BILD 2 : (Handskizze, zur Illustration aus dem Entstehungsprozess) Philosophische Perspektive mit den Teildisziplinen ‚Phänomenologie‘, ‚(empirische) Psychologie sowie ‚Gehirnforschung‘

Wenn man diese drei Perspektiven nebeneinander anordnet, dann beinhaltet die phänomenologische Sicht nur unsere eigenen (’subjektiven‘) Erlebnisse ohne direkten Bezug zum Körper oder zur Welt außerhalb der Körper. Dies ist jene Perspektive, mit der jeder Mensch geboren wird und die ihn sein Leben lang als ’normale Sicht der Dinge‘ begleitet.

In der Perspektive der ‚empirischen Psychologie‘ steht das ‚beobachtbare Verhalten‘ von Menschen im Zentrum (es können auch andere Lebensformen auf diese Weise untersucht werden; dies gehört dann aber eher zur ‚Biologie‘). Die ‚Phänomene‘ des ’subjektiven Erlebens‘ sind der Perspektive der empirischen Psychologie entzogen. Die beobachtbaren Eigenschaften des Gehirns als empirischem Objekt sowie des Körpers sind der empirischen Psychologie zwar grundsätzlich zugänglich, jedoch ordnet man die empirisch beobachtbaren Eigenschaften des Gehirns heute eher der ‚(empirischen) Gehirnforschung‘ zu und jene des Körpers der ‚(empirischen) Physiologie‘.

In der Perspektive der ‚(empirischen) Gehirnforschung‘ sind die beobachtbaren Eigenschaften des Gehirns zugänglich, aber nicht die Phänomene‘ des ’subjektiven Erlebens‘ und nicht das ‚beobachtbare Verhalten‘ (auch nicht die beobachtbaren Eigenschaften des Körpers;).

Man kann sehen, dass bei der hier ‚gewählten Systematik‘ der wissenschaftlichen Perspektiven jede Disziplin über einen ‚eigenen Beobachtungsbereich‘ verfügt, der von den Beobachtungsbereichen der anderen Disziplinen vollständig getrennt ist! Dies bedeutet, dass jede dieser drei Perspektiven ‚Anschauungen über ihr Objekt‘ entwickeln kann, die sich grundlegend von den ‚Anschauungen der anderen‘ unterscheiden. Bedenkt man, dass jede dieser drei Perspektiven ‚in der Realität‘ mit einem und dem selben ‚Objekt‘ zu tun hat — mit konkreten Exemplaren des ‚Homo sapiens (HS)‘ — muss man sich fragen, welchen ‚Stellenwert‘ man diesen drei so unterschiedlichen Perspektiven samt den darauf aufbauenden ‚Teilbildern des Homo sapiens‘ zumessen soll? Müssen wir in der wissenschaftlichen Sicht das ‚eine materielle Objekt‘ in drei verschiedenen Lesarten des ‚Homo sapiens (HS)‘ aufspalten: in den ‚HS-Phänomenal‘, in den ‚HS-SichVerhaltend‘ und in den ‚HS-Gehirn‘?

In der Praxis der Wissenschaft wissen natürlich alle Forscher, dass die ‚Inhalte‘ der einzelnen Beobachtungsperspektiven ‚untereinander‘ irgendwie ‚wechselwirken‘: Die Wissenschaft weiß heute, dass subjektive Erlebnisse (Ph) stark mit bestimmten Gehirnereignissen (N) ‚korrelieren‘; ebenso weiß man, dass bestimmten Verhaltensweisen (Vh) sowohl mit subjektiven Erlebnissen (Ph) wie auch mit Gehirnereignissen (N) korrelieren. Um diese ‚Wechselwirkungen‘ zwischen den verschiedenen Bereichen (Ph-Vh, Ph-N, N-Vh) zumindest schon mal ‚beobachten‘ zu können gibt es daher schon lange den Zusammenschluss verschiedener Perspektiven durch die ‚Kooperation verschiedener Disziplinen‘ wie z.B.‚Neurophänomenologie (N-Ph)‘ und ‚Neuropsychologie (N-Vh)‘. Für den Fall der Kooperation zwischen Psychologie und Phänomenologie ist die Lage nicht so klar. Einerseits war die ‚frühe Psychologie‘ selbst stark ‚introspektiv‘ orientiert und damit kaum unterscheidbar von einer reinen Phänomenologie, andererseits tut sich die Theoriebildung im Bereich der empirischen Psychologie bis heute schwer. Die Bezeichnung ‚phänomenologische Psychologie (Ph-Vh)‘ kommt vor, wenngleich ohne klaren Gegenstandsbereich.

Während es also ansatzweise ‚Kooperationen von unterschiedlichen Perspektiven‘ gibt, so ist eine ‚voll integrierte Sicht‘ noch nirgendwo zu erkennen.

Im Folgenden wird versuchsweise eine ‚Skizze des Gesamtsystems‘ vorgestellt, in der wichtige ‚Teilbereiche‘ hervorgehoben und die wichtigsten ‚Wechselwirkungen‘ zwischen diesen Teilbereichen angezeigt werden.

Skizze des Gesamtsystems

Die folgende ‚Skizze des Gesamtsystems‘ stellt einen ‚gedanklichen Zusammenhang‘ her zwischen den Bereichen ’subjektive Erlebnisse (Ph)‘, ‚Gehirnereignisse (N)‘, ‚Körperereignisse (BDY)‘, der ‚Umgebung des Körpers (W)‘, und dem ‚beobachtbaren Verhalten (Vh)‘ des Körpers in der Welt.

BILD 3 : (Handskizze, zur Illustration aus dem Entstehungsprozess) (1) ’subjektive Erlebnisse (Ph)‘, (2) ‚Gehirnereignisse (N)‘, (3) ‚Körperereignisse (BDY)‘, (4) ‚beobachtbares Verhalten (Vh)‘ des Körpers in der Welt, und (5) ‚Umgebung des Körpers (W)‘. Unten links im Bild ist ein konkretes Exemplar eines ‚Homo sapiens (HS)‘ angedeutet, der die ‚Welt (W)‘ samt den verschiedenen ‚Körpern (BDY)‘ von anderen Homo sapiens-Exemplaren ‚beobachten‘ und seine Beobachtungen mit Hilfe einer ‚Sprache (L)‘ in Form eines ‚Textes‘ aufschreiben kann.

BILD 3b : Handskizze, zur Illustration aus dem Entstehungsprozess: Die Kernidee für das Konzept eines ‚Kontextuellen Bewusstseins (CCONSC)

Wie man ersehen kann, gibt es eine Nummerierung der verschiedenen Bereichen von (1) bis (5), wobei die Nummer ‚(1)‘ dem Bereich der subjektiven Erlebnisse (Ph) zugeordnet ist. Dies ist dadurch motiviert, dass für jeden Menschen durch die Struktur seines Körpers vorgegeben ist, dass wir ‚uns selbst‘ und ’sämtliche anderen Ereignisse‘ in Form solcher ’subjektiver Erlebnisse‘ als Phänomene ‚wahrnehmen‘. ‚Wo‘ diese Phänomene herkommen — aus dem ‚Gehirn‘, aus dem ‚Körper‘, aus der ‚umgebenden Welt‘ –, das kann man den Phänomenen selbst nicht so ohne weiteres ansehen. Es sind ‚unsere‘ Phänomene. Während ein Philosoph wie Kant — und alle seine Zeitgenossen — noch darauf angewiesen war, die ‚mögliche Welt‘ und ’sich selbst‘ ausschließlich aus der Perspektive ’seiner Phänomene‘ zu betrachten, haben die Erkenntnisse der empirischen Wissenschaften seit ca. 1900 schrittweise dazu geführt, dass die ‚Prozesse hinter den Phänomenen‘ — lokalisiert im ‚Gehirn‘ — immer konkreter untersucht werden konnten. Es konnten dann immer mehr ‚Beziehungen (über Korrelationen in der Zeit)‘ zwischen ‚Gehirnereignissen (N)‘ und den ‚Phänomenen (Ph)‘ entdeckt werden.

Eine wichtige Entdeckung bestand darin, dass es möglich wurde, ’subjektive Erlebnisse (Ph)‘ in eine zeitliche Beziehung zu Gehirnereignissen (N) zu setzen. Damit legte sich die Sichtweise nahe, dass unsere subjektiven Erlebnisse zwar ‚als Erlebnisse‘ nicht direkt ‚gemessen‘ werden können, dass aber zeitliche Beziehung zu Gehirnereignissen es erlauben, ‚Bereiche im Gehirn‘ zu lokalisieren, deren ‚Funktionieren‘ eine Voraussetzung für unser subjektives Erleben zu sein scheint. Damit gewann auch das verbreitete Reden über ein ‚Bewusstsein‘ eine erste empirische Konkretisierung, die man als Arbeitshypothese so formulieren kann: das, was wir mit ‚Bewusstsein (CONSC, 1)‘ meinen, bezieht sich auf solche ’subjektiven Erlebnisse (Ph), die von bestimmten Bereichen im Gehirn durch ‚Gehirnereignisse (N)‘ ermöglicht werden. Wie dies im einzelnen gesehen werden kann, wird weiter unten weiter erläutert.

Die ‚Gehirnereignisse (N)‘, die im ‚Gehirn (BRAIN, 2)‘ lokalisiert werden, bilden einen komplexen Ereignisraum, der seit ca. 1900 immer mehr erforscht wird. Generell ist klar, dass dieser Raum ‚hoch dynamisch‘ ist, was sich darin manifestiert, dass alle Ereignisse untereinander auf vielfache Weise ‚wechselwirken‘. Das Gehirn ist gegenüber dem übrigen Körper einerseits klar abgegrenzt, andererseits gibt es einen ‚Austausch‘ zwischen dem ‚Körper (BDY, 3) und dem ‚Ereignisraum des Gehirns (BRAIN, 2)‘. Dieser Austausch läuft über ‚Schnittstellen‘, die in der Lage sind sowohl (i) Ereignisse im Körperraum so zu ‚übersetzen‘, dass sie im Gehirn als Gehirnereignisse erscheinen, als auch (ii) Gehirnereignisse so zu ‚übersetzen‘, dass sie im Körper als Körperereignisse wirksam werden können. Beispiele für (i) sind z.B. unsere ‚Sinnesorgane‘ (Augen, Ohren, Geruch, …), durch die ‚Licht‘ bzw. ‚Schall‘ bzw. ‚Moleküle in der Luft‘ in Gehirnereignisse ‚umgewandelt/ transformiert/ übersetzt …‘ werden. Beispiele für (ii) sind Gehirnereignisse, durch die z.B. ‚Muskulatur‘ aktiviert wird, welche zu ‚Bewegungen‘ führen kann, oder ‚Drüsen‘, durch die spezielle Moleküle ‚abgesondert‘ werden können, welche Prozesse von Körperorgane steuern können, und vieles mehr.

Der ‚Körperraum (BODY, 4)‘ ist etwa 450 mal größer als der Raum der Gehirnereignisse. In ihm lassen sich viele ‚Bereiche‘ abgrenzen, die man als ‚Organe‘ bezeichnet, die für sich komplexe Strukturen besitzen und die untereinander in vielfachen Wechselbeziehungen stehen. Mit dem Raum der Gehirnereignisse stehen die Körperereignisse ebenfalls auf vielfache Weise in direktem Austausch. Mit der ‚umgebenden Welt (W,5)‘ gibt es zwei Arten von Austauschbeziehungen. Einmal (i) solche ‚Schnittstellen‘, in denen ‚Körperereignisse‘ als ‚Ausscheidungen‘ in den Ereignisraum der Welt (W) auftreten oder (ii) als solche Körperereignisse, die direkt von Gehirnereignissen gesteuert werden (z.B. im Fall von Bewegungen). Beide Ereignisformen zusammen bilden den ‚OUTPUT (4a)‘ des Körpers in die umgebenden Welt (W). Umgekehrt gibt es auch einen ‚INPUT (4b)‘ von der Welt in den Ereignisraum des Körpers. Auch hier kann man unterscheiden zwischen (i) Ereignissen der Welt, die direkt in den Ereignisraum des Körpers eintreten (z.B. bei der Nahrungsaufnahme), oder solche (ii) in denen Ereignisse der Welt durch eine sensorische Schnittstelle des Körpers in Gehirnereignisse übersetzt werden (z.B. beim ‚Sehen‘, ‚Hören’…).

Bei dieser Sachlage stellt sich natürlich die Frage, wie kann das Gehirn bei der Vielzahl der Gehirnereignisse (N) ‚unterscheiden‘, welche Ereignisse (i) aus dem Raum der Gehirnereignisse (N) stammen oder (ii) Gehirnereignisse sind, die vom Raum der Körperereignisse (BDY) hervorgerufen werden oder (iii) Gehirnereignisse sind, die — vermittelt durch den Körper — vom Ereignisraum der umgebenden Welt (W) herrühren. Anders formuliert: Woran kann das Gehirn ‚erkennen‘ ob ein Gehirnereignis N ein (i) N aus N ist, ein (ii) N aus BDY oder ein (III) N aus W?

Diese Frage wird im weiteren Verlauf mit einer Arbeitshypothese beantwortet werden.

Konzept ‚Bewusstsein‘; Grundannahmen

Schon im vorausgehenden Abschnitt wurde mittels einer ersten Arbeitshypothese eine Charakterisierung des Konzepts ‚Bewusstsein‘ versucht: das, was wir mit ‚Bewusstsein (CONSC, 1)‘ meinen, bezieht sich auf solche ’subjektiven Erlebnisse (Ph), die von bestimmten Bereichen im Gehirn durch ‚Gehirnereignisse (N)‘ ermöglicht werden.

Diese Arbeitshypothese soll jetzt durch einige weitere Annahmen noch ein wenig verfeinert werden. Obwohl alle diese Annahmen auf ‚wissenschaftlichem‘ und ‚philosophischem Wissen‘ beruhen, welches vielfältig ‚begründet‘ wird, sind dennoch viele Fragen im Detail noch nicht vollständig geklärt; auch fehlt bis heute noch eine ‚alles zusammenfassende (integrierende) Theorie‘. Folgende zusätzliche Annahmen:

  1. Normalerweise rechnet man alle Phänomene, die man subjektiv explizit erleben kann, zum Raum des ‚expliziten Bewusstseins (ECONSC ⊆ CONSC)‘. Man spricht dann davon, dass einem ‚etwas bewusst‘ sei.
  2. Es gibt aber auch ein ‚Bewusstsein von etwas‘, das mit ‚keinem direkten Phänomen‘ korreliert. Dies sind solche Konstellationen, in denen wir Beziehungen zwischen Phänomenenannehmen, obwohl die ‚Beziehungen selbst‘ kein Phänomen sind (z.B: ‚gesprochene Laute‘ mit ‚Bezug auf‘ ‚Phänomene‘, ‚Größenverhältnisse zwischen Phänomenen‘, ‚Teil-Eigenschaften eines Phänomens‘, ‚aktuelles‘ und ‚erinnertes‘ Phänomen, ‚wahrgenommenes‘ und ‚erinnertes‘ Phänomen, …). Diese Form des ‚Bewusstseins im Umfeld von Phänomenen, dem direkt kein Phänomen entspricht‘ soll hier ‚Kontextbewusstsein (CCONSC ⊆ CONSC)‚ genannt werden. Auch hier kann man dann sagen, dass einem ‚etwas bewusst‘ sei, wenn auch ‚irgendwie anders‘.
  3. Diese Unterscheidung zwischen ‚explizitem Bewusstsein (ECONSC)‘ und ‚Kontextbewusstsein (CCONSC)‘ deutet darauf hin, dass die Fähigkeit, ’sich einer Sache bewusst zu sein‘, umfassender ist als das, was eine explizites Bewusstheit nahelegt. Dies führt zu der Arbeitshypothese, dass das, was wir ‚intuitiv‘ ‚Bewusstsein (CONSC)‘ nennen, das ‚Ergebnis‘ der Arbeitsweise unseres Gehirns ist.
  4. Im Licht der heutigen Gehirnforschung erscheint das Gehirn also als ein überaus komplexes System. Für die Überlegungen in diesem Text soll hier folgende stark vereinfachte Arbeitshypothesen formuliert werden:
    • Die ‚empirischen Gehirnereignisse‘ werden hauptsächlich von speziellen ‚Zellen‘, den ‚Neuronen (N)‘, erzeugt und verarbeitet. Ein Neuron kann von vielen anderen Neuronen ‚Ereignisse registrieren‘, und kann genau ‚ein Ereignis generieren‘, das dann aber an viele andere Neuronen verteilt werden kann. Dieses ‚Ausgangsereignis‘ kann auch wieder als ‚Eingangsereignis‘ auf das generierende Neuron ‚zurück geführt werden‘ (direkte Rückkopplungsschleife). Bei der Erzeugung wie auch Weitergabe von Ereignissen spielen auch weitere Faktoren eine Rolle wie z.B. ‚Zeit‘ und ‚Intensität‘.
    • Die Anordnung von Neuronen ist sowohl ’seriell‘ (ein Ereignis kann von einem Neuro zum nächsten gesendet werden, dann wieder zum Nächsten, usw. Bei dieser Weitergabe können die Ereignisse ‚verändert‘ werden) als auch ‚hierarchisch‘. Dies bedeutet, dass man im Gehirn ‚Schichten/ Ebenen‘ annehmen kann, in denen Ereignisse einer ‚tieferen Schicht‘ auf einer ‚höheren Schicht‘ in einer ‚verdichteten/ abstrahierten Form ‚repräsentiert‘ werden können.
  5. Die grundlegende Annahmen des Wechselverhältnisses von Gehirnereignissen zu Bewusstseinsereignissen sind dann die folgenden:
    • Einige der Gehirnereignisse können uns als ‚Phänomene‘ ‚explizit bewusst‘ werden (ECONSC).
    • ‚Kontextuelles Bewusstsein‘ (CCONSC) liegt vor, wenn ein Verbund von Neuronen eine ‚Beziehung zwischen verschiedenen Einheiten‘ repräsentiert. Die ‚Beziehung als solche‘ ist uns dann bewusst, aber da eine ‚Beziehung‘ kein ‚Objekt‘ (kein explizites Phänomen) ist, können wir die Beziehung zwar ‚wissen‘, aber explizit sind diese ‚gewussten Beziehungen‘ nicht (z.B. die expliziten Phänomene ‚rotes Auto‘ als Text und ein ‚Wahrnehmungsobjekt‘ ‚rotes Auto‘; die mögliche Beziehung zwischen beiden könne wir ‚wissen‘, aber sie ist nicht explizit gegeben).
  6. Das Konzept ‚Bewusstsein (CONSC)‘ setzt sich somit mindestens zusammen aus dem ‚expliziten Phänomenbewusstsein (ECONSC)’und dem ‚kontextuellen Bewusstsein (CCONSC)‘. Bei genauerer Analyse sowohl des Phänomenraumes (Ph) wie auch der Arbeitsweise des ‚Gehirns‘ als Bereich aller Gehirnereignisse (N) lassen sich diese Arbeitshypothesen weiter differenzieren.

Nach diesen Vorüberlegungen zu den verschiedenen Ereignisräumen, an denen ein Homo sapiens (HS) mit unterschiedlichen Zugangsweisen beteiligt sein kann (W – BDY – N(CONSC)), soll hier in einem ersten Schritt der Einsatz von ‚Sprache (L)‘ skizziert werden (weitergehende Ausführungen folgen später).

Beschreibungstexte

Wie zuvor angedeutet wurde, entstehen in jeder der aufgezählten Beobachtungsperspektiven ‚Vh‘, ‚Ph‘ und ‚N‘ (siehe BILD 2) ‚Texte‘, mittels deren die ‚Akteure‘ ihre individuellen ‚Ansichten‘ austauschen. Natürlich müssen diese Texte in einer ‚Sprache‘ abgefasst sein, die alle Beteiligten ‚verstehen‘ und aktiv benutzen können.

Im Gegensatz zur ‚Alltagssprache‘ werden in der heutigen Wissenschaft minimale Anforderungen an diese Texte gestellt. Einige dieser Anforderungen könnte man so beschreiben:

  1. Für alle sprachlichen Ausdrücke, die Bezug nehmen auf ‚beobachtbare Ereignisse im Gegenstandsbereich der Perspektive‘, muss klar sein, wie man den ‚empirischen Bezug zum realen Objekt‘ intersubjektiv überprüfen kann. Es muss bei der Überprüfung dann möglich sein mindestens zu sagen (i) ‚Es trifft zu (ist wahr)‘, (ii) ‚Es trifft nicht zu (ist falsch)‘ und (iii) ‚Eine Entscheidung ist nicht möglich (unbestimmt)‘.
  2. Es muss ferner erkennbar sein, (i) welche sprachlichen Ausdrücke ’nicht empirisch‘ sind sondern ‚abstrakt‘, (ii) wie diese abstrakten Ausdrücke zu anderen abstrakten Ausdrücken oder zu anderen empirischen Ausdrücken in Beziehung stehen, und (iii) es muss klar sein, inwieweit Ausdrücke, die selbst nicht empirisch sind, durch Beziehung zu anderen Ausdrücken auf ‚Wahrheit/ Falschheit hin überprüft werden können.

Wie man diese Anforderungen praktisch umsetzt, ist im Prinzip offen. Es muss nur zwischen allen beteiligten Akteuren funktionieren.

Während diese Anforderungen im Fall der Perspektive der (empirischen) Psychologie und der Gehirnforschung im Prinzip erfüllbar sind, kann eine phänomenologische Perspektive mindestens die erste Forderung nicht einlösen, da die subjektive Phänomene eines bestimmten Akteurs nicht von anderen Akteuren ‚beobachtet‘ werden können. Dies geht nur — und auch da nur bedingt — auf ‚indirektem Weg‘. Sofern es ein ’subjektives Phänomen‘ gibt (z.B. ein optischer Reiz, ein Geruch, ein Laut…), welches mit etwas ‚korreliert‘, das auch von einem anderen Akteur ‚wahrgenommen‘ werden kann, dann kann man z.B. sagen ‚ich sehe ein rotes Licht‘, und der andere Akteur kann dann ‚unterstellen‘, dass der Sprecher ‚etwas sieht‘, was dem ‚ähnelt‘, was ‚er selbst gerade sieht‘. Wenn jemand aber sagt ‚Ich habe Zahnschmerzen‘, dann wird es etwas schwieriger, weil der andere möglicherweise noch nie Zahnschmerzen‘ hatte und dann nicht so recht weiß, was der andere wohl meinen kann. Bei der Vielzahl unterschiedlicher Körperempfindungen, Emotionen, Träumen und so manchem mehr wird es immer schwerer, eine ‚Synchronisierung‘ der ‚Wahrnehmungsinhalte‘ zu realisieren.

Dies deutet auf eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zwischen den ‚empirischen‘ und einer ’nicht-empirischen‘ Perspektive hin. Am Beispiel einer empirischen Psychologie und einer empirischen Gehirnforschung demonstrieren wir, dass wir mit der uns umgebenden Wirklichkeit ‚empirisch‘ umgehen können, zugleich sind wir selbst als Akteure individuell unumkehrbar in einer phänomenologischen (subjektiven) Perspektive verankert. Wie können wir dann von der ‚eingebauten phänomenologischen‘ Perspektive zu einer ‚empirischen‘ Perspektive gelangen? Wo ist das ‚missing link‘? Worin besteht die ‚mögliche Verbindung‘, die wir direkt nicht sehen? In Anlehnung an BILD 3 kann man diese Frage ‚übersetzen‘ in das Format: Woran kann das Gehirn ‚erkennen‘ ob ein Gehirnereignis N ein (i) N aus N ist, oder ein (ii) N aus BDY ist, oder ein (III) N aus W ist?

Ausblick

Im folgenden Text wird das ‚Funktionieren‘ der symbolischen Sprache, dann auch in enger Kooperation mit dem Denken, ausführlicher dargestellt. Es wird auch aufgezeigt, dass die ‚individuelle Intelligenz‘ ihre eigentliche ‚Kraft‘ erst im Kontext einer ‚kollektiven menschlichen Kommunikation und Kooperation‘ entfalten kann.

DONALD A.NORMAN, THINGS THAT MAKE US SMART – Teil 5

Diesem Beitrag ging voraus Teil 4.

BISHER

In den vorausgehenden Teilen wurden bislang zwei Aspekte sichtbar: einmal die ‚Menschenvergessenheit‘ in der Entwicklung und Nutzung von Technologie sowie die Einbeziehung von ‚wissensunterstützenden Dingen‘ sowohl außerhalb des Körpers (physisch) wie auch im Denken selber (kognitiv). Ferner hatte Norman die Vielfalt des Denkens auf zwei ‚Arbeitsweisen‘ reduziert: die ‚erfahrungsorientierte‘ Vorgehensweise, ohne explizite Reflexion (die aber über ‚Training‘ implizit in die Erfahrung eingegangen sein kann), und die ‚reflektierende‘ Vorgehensweise. Er unterschied ferner grob zwischen dem Sammeln (‚accretion‘) von Fakten, einer ‚Abstimmung‘ (‚tuning‘) der verschiedenen Parameter für ein reibungsloses Laufen, Schreiben, Sprechen, usw., und einer Restrukturierung (‚restructuring‘) vorhandener begrifflicher Konzepte. Ferner sieht er in der ‚Motivation‘ einen wichtigen Faktor. Diese Faktoren können ergänzt werden um Artefakte, die Denkprozesse unterstützen. In diesem Zusammenhang führt Norman die Begriffe ‚Repräsentation‘ und ‚Abstraktion‘ ein, ergänzt um ‚Symbol‘ (nicht sauber unterschieden von ‚Zeichen‘) und ‚Interpreter‘. Mit Hilfe von Abstraktionen und Symbolen können Repräsentationen von Objekten realisiert werden, die eine deutliche Verstärkung der kognitiven Fähigkeiten darstellen.

PROBLEMZUGANG DURCH INTERFACE VERBESSERN

1) Auf den S.77-113 widmet sich Norman dem Thema, wie Artefakte die Behandlung einer Aufgabe ändern können. Er geht dabei aus von der fundamentalen Einsicht, dass die Benutzung eines Artefaktes nicht die kognitiven Eigenschaften des Benutzers als solchen ändert, sondern – bestenfalls – den Zugang zum Problem. (vgl. S.77f).
2) [Anmerkung: Wir haben also zwei Situationen Sit1= und Sit2= mit ‚P‘ für ‚Problem=Aufgabe‘, ‚Int‘ für ‚Interface = Artefakt‘ und ‚U‘ für ‚User = Benutzer‘. Während in Situation 1 der Benutzer mit seinen ‚angeborenen kognitiven Strukturen‘ das Problem verarbeiten muss, kann er in Situation 2 auf ein Interface Int zurückgreifen, das idealerweise alle jene Aspekte des Problems, die für ihn wichtig sind, in einer Weise ‚aufbereitet‘, die es ihm ‚leichter‘ macht, mit seinen ‚angeborenen‘ kognitiven Fähigkeiten damit umzugehen. Nehmen wir zusätzlich an, dass der Benutzer U ein lernfähiges System ist mit der minimalen Struktur U= und fu: I x IS —> IS x O, dann würde man annehmen, dass das Interface eine Art Abbildung leistet der Art Int: P —> I und Int: O —> P. Wie ‚gut‘ oder ’schlecht‘ ein Interface ist, könnte man dann einfach daran überprüfen, wieweit der Benutzer U dadurch seine Aufgaben ’schneller‘, ‚leichter‘, ‚mit weniger Fehlern‘, mit ‚mehr Zufriedenheit‘ usw. leisten könnte.]
3) Norman macht dann auf den Umstand aufmerksam, dass zwischen den wahrnehmbaren Eigenschaften eines Artefakts und den korrelierenden ‚Zuständen‘ bei der heutigen stark integrierten Technologie oft kein Zusammenhang mehr erkennbar ist. Dies führt zu Unklarheiten, Belastungen und Fehlern. Er spricht sogar von dem ‚Oberflächen‘- (’surface‘) und dem ‚Internen‘- (‚internal‘) Artefakt. (vgl. S.70-81).
4) [Anmerkung: Die Unterscheidung von ‚Oberfläche‘ und ‚Intern‘ halte ich für problematisch, da natürlich jedes Artefakt, das als Interface einen Benutzerbezug hat letztlich nur über sein äußerlich beobachtbares Verhalten definierbar und kontrollierbar ist. Die jeweiligen internen Strukturen sind eher beliebig. Allerdings macht die Unterscheidung von ‚Oberflächeneigenschaften‘ und ‚Funktionszustand‘ Sinn. Wenn also ein Drehknopf die Lautstärke reguliert, dann wäre der Drehknopf mit seiner ‚Stellung‘ die Oberflächeneigenschaft und die jeweilige Lautstärke wäre ein davon abhängiger ‚Funktionszustand‘ oder einfach ‚Zustand‘. Der Zustand wäre Teil der Aufgabenstellung P. Das, was ein Benutzer U kontrollieren möchte, sind die verschiedenen Zustände {…,p_i.1, …, pi.n,…} von P. Nimm man also an, dass das Interface Int auch eine Menge von Oberflächeneigenschaften {ui_i.1, …, ui_i.m} umfasst, dann würde ein Interface eine Abbildung darstellen der Art Int: {…,ui_i.j, …} —> {…,p_r.s,…}. Nehmen wir an, die Menge P enthält genau die Zustände des Problems P, die ‚wichtig‘ sind, dann wäre es für einen Benutzer U natürlich um so ‚einfacher‘, P zu ‚kontrollieren‘, (i) um so direkter die Menge dom(Int) = {ui_i.1, …, ui_i.m} bestimmten Problemzuständen entsprechen würde und (ii) um so mehr die Menge dom(Int) den kognitiven Fähigkeiten des Benutzers entsprechen würde. ]
5) Auf den SS.82-90 illustriert Norman diesen grundlegenden Sachverhalt mit einer Reihe von Beispielen (Türme von Hanoi, Kaffeetassen).

COMPUTER KEIN MENSCH
FORMALE LOGIK vs. ALLTAGS-LOGIK

6) Norman wiederholt dann die Feststellung, dass die Art wie das menschliche Gehirn ‚denkt‘ und wie Computer oder die mathematische Logik Probleme behandeln, grundlegend verschieden ist. Er unterstreicht auch nochmals, dass die Qualität von psychologischen Zuständen (z.B. im Wahrnehmen, Denken) oft keine direkten Rückschlüsse auf die realen Gegebenheiten zulassen. (vgl. S.90-93)
7) [Anmerkung1: Die Tatsache, dass die ‚formale Logik‘ Logik der Neuzeit nicht der ‚Logik des Gehirns‘ entspricht, wird meines Erachtens bislang zu wenig untersucht. Alle Beweise in der Mathematik und jenen Disziplinen, die es schaffen, mathematische Modelle = Theorien zu ihren empirischen Fakten zu generieren, benutzen als offizielle Methode der Beweisführung die formale Logik. Diese formale Logik arbeitet aber anders als die ‚Logik des Alltags‘, in der wir mit unserem Gehirn Abstrahieren und Schlüsse ziehen. In meiner Ausbildung habe ich erlebt, wie man vom ‚alltäglichen‘ Denken in ein ‚formales‘ Denken quasi umschalten kann; man muss bestimmte Regeln einhalten, dann läuft es quasi ‚wie von selbst‘, aber das Umschalten selbst, die Unterschiede beider Denkweisen, sind meines Wissens bislang noch nie richtig erforscht worden. Hier täte ein geeignetes Artefakt = Interface wirklich Not. Während man im Bereich der formalen Logik genau sagen kann,was ein Beweis ist bzw. ob eine bestimmte Aussage ‚bewiesen‘ worden ist, kann man das im alltäglichen denken nur sehr schwer bis gar nicht. Dennoch können wir mit unserem alltäglichen Denken Denkleistungen erbringen, die sich mit einem formalen Apparat nur schwer bis (zur Zeit) gar nicht erbringen lassen. (Auf den SS.128f ergänzt Norman seine Bemerkungen zum Unterschied von formaler Logik und dem menschlichen Denken.)]
8) [Anmerkung2: Daraus folgt u.a., dass nicht nur die Ausgestaltung von konkreten Artefakten/ Schnittstellen sehr ausführlich getestet werden müssen, sondern auch der Benutzer selbst muss in all diesen Tests in allen wichtigen Bereichen vollständig einbezogen werden.]
9) Auf den SS.93-102 diskutiert Norman diesen allgemeinen Sachverhalt am Beispiel von graphischen Darstellungen, Für und Wider, beliebte Fehlerquellen, gefolgt von einigen weiteren allgemeinen Überlegungen. vgl. S.102-113)
10) Auf den Seiten 115-121 trägt Norman viele Eigenschaften zusammen, die für Menschen (den homo sapiens sapiens) charakteristisch sind und die ihn nicht nur von anderen Lebewesen (einschließlich Affen) unterscheiden, sondern vor allem auch von allen Arten von Maschinen, insbesondere Computer, einschließlich sogenannter ‚intelligenter‘ Maschinen (Roboter). Im Prinzip sind es drei Bereiche, in denen sich das Besondere zeigt: (i) der hochkomplexe Körper, (ii) das hochkomplexe Gehirn im Körper, (iii) die Interaktions- und Kooperationsmöglichkeiten, die soziale Strukturen, Kultur und Technologie ermöglichen. Die Komplexität des Gehirns ist so groß, dass im gesamten bekannten Universum nichts Vergleichbares existiert. Die Aufzählung von charakteristischen Eigenschaften auf S.119 ist beeindruckend und lässt sich sicher noch erweitern.
11) [Anmerkung: Im Bereich Mench-Maschine Interaktion (MMI)/ Human-Machine Interaction (HMI) – und ähnlich lautenden Bezeichnungen – geht es – wie der Name schon sagt – primär um die Beziehungen zwischen möglichen technischen Systemen und den spezifischen Eigenschaften des Menschen. In der Regel wird aber der Mensch ‚als Mensch‘, die besondere Stellung des Menschen nicht so thematisiert, wie es hier Norman tut. Die MMI/ HMI Literatur hat immer den Hauch einer ‚Effizienz-Disziplin‘: nicht die Bedürfnisse des Menschen als Menschen stehen im Mittelpunkt, sondern (unterstelle ich jetzt) ein übergeordneter Produktionsprozess, für dessen Funktionieren und dessen Kosten es wichtig ist, dass die Mensch-Maschine Schnittstellen möglichst wenig Fehler produzieren und dass sie mit möglichst geringem Trainingsaufwand beherrschbar sind. In gewissem Sinne ist diese Effizienzorientierung legitim, da der Mensch ‚als Mensch‘ in sich eine Art ‚unendliches Thema‘ ist, das kaum geeignet ist für konkrete Produktionsprozesse. Wenn ich aber einen konkreten Produktionsprozess verantworten muss, dann bin ich (unter Voraussetzung dieses Prozesses) gezwungen, mich auf das zu beschränken, was notwendig ist, um genau diesen Prozess zum Laufen zu bringen. Allgemeine Fragen nach dem Menschen und seiner ‚Bestimmung‘ können hier nur stören bzw. sind kaum behandelbar. Andererseits, wo ist der Ort, um über die Besonderheiten des Menschen nachzudenken wenn nicht dort, wo Menschen real vorkommen und arbeiten müssen? Philosophie im ‚Reservat des gesellschaftlichen Nirgendwo‘ oder dort, wo das Leben stattfindet?]

EVOLUTIONÄRE HERLEITUNG DES JETZT

12) Mit Bezugnahme auf Mervin Donald (1991) macht Norman darauf aufmerksam dass die auffälligen Eigenschaften des Menschen auch einen entsprechenden evolutionären Entwicklungsprozess voraussetzen, innerhalb dessen sich die heutigen Eigenschaften schrittweise herausgebildet haben. Das Besondere am evolutionären Prozess liegt darin, dass er immer nur ‚weiterbauen‘ kann an dem, was schon erreicht wurde. Während moderne Ingenieure immer wieder auch mal einen kompletten ‚Neuentwurf‘ angehen können (der natürlich niemals radikal ganz neu ist), kann die biologische Evolution immer nur etwas, was gerade da ist, geringfügig modifizieren, also ein System S‘ zum Zeitpunkt t+1 geht hervor aus einem System S zum Zeitpunkt t und irgendwelchen Umgebungseigenschaften (E = environmental properties): S'(t+1) = Evol(S(t),E). Die Details dieses Prozesses, so wie Donald sie herausarbeitet, sind sicher diskutierbar, aber das Grundmodell sicher nicht.(vgl. SS.121-127)
13) [Anmerkung: Obwohl die Wissenschaft heute die Idee einer evolutionären Entwicklung als quasi Standard akzeptiert hat ist doch auffällig, wie wenig diese Erkenntnisse in einer theoretischen Biologie, theoretischen Psychologie und auch nicht in einer Künstlichen Intelligenzforschung wirklich angewendet werden. Eine ‚Anwendung‘ dieser Einsichten würde bedeuten, dass man relativ zu bestimmten phäomenalen Verhaltenseigenschaften nicht nur ein Strukturmodell S'(t) angibt, das diese Leistungen punktuell ‚erklären‘ kann, sondern darüber hinaus auch ein evolutionäres (prozessurales) Modell, aus dem sichtbar wird, wie die aktuelle Struktur S'(t) aus einer Vorgängerstruktur S(t-1) hervorgehen konnte. In der künstlichen Intelligenzforschung gibt es zwar einen Bereich ‚evolutionäre Programmierung‘, aber der hat wenig mit der bewussten theoretischen Rekonstruktion von Strukturentstehungen zu tun. Näher dran ist vielleicht das Paradigma ‚Artificial Life‘. aber da habe ich aktuell noch zu wenig Breitenwissen.]

GESCHICHTEN

14) Nach kurzen Bemerkungen zur Leistungsfähigkeit des Menschen schon mit wenig partiellen Informationen aufgrund seines Gedächtnisses Zusammenhänge erkennen zu können, was zugleich ein großes Fehlerrisiko birgt (vgl. S.127f), verlagert er dann den Fokus auf die erstaunliche Fähigkeit des Menschen, mit großer Leichtigkeit sowohl komplexe Geschichten (’stories‘) erzeugen, erinnern, und verstehen zu können. Er verweist dabei vor allem auf die Forschungen von Roger Schanck.(vgl. 129f)

TYPISCHE MENSCHLICHE FEHLER

15) Norman erwähnt typische Fehler, die Menschen aufgrund ihrer kognitiven Struktur machen: Flüchtigkeitsfehler (’slips‘) und richtige Fehler (‚mistakes‘). Fehler erhöhen sich, wenn man nicht berücksichtigt, dass Menschen sich eher keine Details merken, sondern ‚wesentliche Sachverhalte‘ (’substance and meaning‘); wir können uns in der Regel nur auf eine einzige Sache konzentrieren, und hier nicht so sehr ‚kontinuierlich‘ sondern punktuell mit Blick auf stattfindende ‚Änderungen‘. Dementsprechend merken wir uns eher ‚Neuheiten‘ und weniger Wiederholungen von Bekanntem.(vgl. S.131) Ein anderes typisches Fehlerverhalten ist die Fixierung auf eine bestimmte Hypothese. Es ist eine gewisse Stärke, einen bestimmten Erklärungsansatz durch viele unterschiedliche Situation ‚durchzutragen‘, ihn unter wechselnden Randbedingungen zu ‚bestätigen‘; zugleich ist es aber auch eine der größten Fehlerquellen, nicht genügend Alternativen zu sehen und aktiv zu überprüfen. Man nennt dies den ‚Tunnelblick‘ (‚tunnel vision‘). (vgl. SS.31-138)

Fortsetzung folgt mit Teil 6

LITERATURVERWEISE

Merlin Donald, „Origins of the Modern Mind: Three Stages in the Evolution of Culture and Cognition“, Cambridge (MA): Harvard University Press,1991

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