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KOSMOLOGIE UND DER GLAUBE AN GOTT. Anmerkungen zu einem Artikel von A.Fink

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Zusammenfassung

Ausgehend von einem Artikel von A.Fink werden hier einige Gedanken geäußert, die sich auf die Art und Weise beziehen, wie der Begriff Gott in diesem Artikel benutzt wird. Dies reicht bis hin zu den Grundannahmen unseres menschlichen Erkennens.

I. Kontext

Durch einen Hinweis wurde ich aufmerksam auf den Artikel von Alexander Fink (2017) [Fink:2017] zur Themenstellung Kosmologie und der Glaube an Gott. Diese Themenstellung, geschrieben aus einer christlichen Perspektive, erscheint mir interessant, da im Kontext dieses Blogs das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft zur Debatte steht, hierin speziell fokussiert auf die Frage der möglichen Symbiose von Menschen und intelligenten Maschinen in der Zukunft. Während das Konzept intelligente Maschine vergleichsweise einfach erscheint, bietet das Konzept Mensch unfassbar viele komplexe Fragestellungen. Unter anderem auch deswegen, da wir heute immer mehr zu erkennen meinen, dass der heutige Mensch das Ergebnis einer komplexen Entstehungsgeschichte ist, sowohl des Universums als ganzem wie auch der komplexen Evolution des Lebens innerhalb der Entwicklung des Universums. Seit dem Auftreten des Menschen als homo sapiens hat der Mensch immer komplexere Umgebungen geschaffen, zu denen neben Weltbildern zur Weltdeutung neuerdings auch intelligente Maschinen gehören, die seine selbst geschaffene Umwelt weiter anreichern.

Im Bereich der Weltbilder wird heute im Bereich der Wissenschaften gewöhnlich unterschieden zwischen sogenannten wissenschaftlichen Bildern der Welt — wissenschaftliche Theorie genannt — und solchen Überzeugungen, die Menschen in ihrem Alltag zwar auch benutzen, die aber nach den methodischen Prinzipien der empirischen Wissenschaften nicht als überprüfbar gelten. Daraus muss allerdings nicht denknotwendig folgen, dass diese Überzeugungen im nicht-wissenschaftlichen Format von vornherein falsch sind.

Ein prominenter Bereich solcher im Alltag verhafteter Überzeugungen ohne eine direkte wissenschaftliche Unterstützung ist der Bereich der religiösen Überzeugungen und der religiösen Erfahrungen, hier speziell die Auffassung, dass die bekannte Wirklichkeit auf ein — letztlich nicht genau beschreibbares — höheres Wesen zurückgeht, das mit unterschiedlichsten Namen Gott genannt wird. [Anmerkung: An dieser Stelle die Wortmarke ‚Gott‘ zu benutzen ist ein eher hilfloses Unterfangen, da in den verschiedensten Religionen und Kulturen ganz verschiedene Wortmarken benutzt werden, von denen nicht ohne weiteres klar ist, was sie meinen und ob sie von daher miteinander überhaupt vergleichbar sind. Die großen religionswissenschaftlichen Untersuchungen legen allerdings die Hypothese nahe, dass zumindest die großen Religionen wie Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam (mit jeweils vielen Spielarten) letztlich einen gemeinsamen Gottesbegriff haben, sofern es darum geht, wie in diesen Religionen Gott von den einzelnen Menschen erfahren wird. Im Glauben versuchen jene Menschen, die sich ‚Gläubige‘ nennen, diesem höchsten Wesen ‚Gott‘ Rechnung zu tragen, im Alltag und speziell im Lichte wissenschaftlicher Überzeugungen ist dann oft wenig oder gar nicht klar, wie sich denn die bekannte Wirklichkeit (einschließlich des Menschen selbst) zu dem höchsten Wesen des Glaubens verhält.]

An dieser Stelle versucht der Artikel von Fink einen Antwort zu geben für den speziellen Bereich physikalische Sicht des Universums auf der einen Seite und christlicher Glaube an einen Schöpfergott andererseits.

II. Fink – Denkrahmen

Der Artikel ist gut lesbar geschrieben und stellt ziemlich umfassend die Fakten zusammen, die die heutige Physik zur Beschaffenheit, Entstehung und Dynamik des physikalischen Universum zusammengetragen hat, ohne dabei in technische Details abzugleiten. Von daher ist es sicher ein Gewinn, wenn jemand diesen Artikel liest.

Im Artikel zeigen sich dabei grob zwei Argumentationslinien: (i) Die physikalischen Fakten, die das heutige Bild des physikalischen Universums konstituieren, und (ii) die Ansatzpunkte für eine Deutung der physikalischen Fakten im Lichte eines vorausgesetzten christlichen Glaubens an ein bestimmtes Bild eines Schöpfergottes.

A. Physikalische Fakten

Als physikalische Fakten werden z.B. genannt die räumliche Ausdehnung des Universums; eine Größe, die die alltägliche Vorstellung von räumlichen Verhältnissen jenseits alles Vorstellbaren sprengen. Dazu die zeitliche Dauer der ganzen Prozesse, die auch sowohl im ganz Großen von Milliarden Jahren sich der Vorstellung entzieht wie auch im ganz Kleinen, zu Beginn der Entstehung des bekannten Universums; hier gerät man in Größenordnungen von 10^-44 Sekunden. Die Präzision der Feinabstimmung der bekannten physikalischen Parameter, damit das Universum genau die heute bekannte Struktur und Eigenschaften angenommen hat, und nicht nirgend eine der unendlich vielen anderen Möglichkeiten.[Anmerkung: So nennt Fink z.B. für die Abstimmung der dunklen Energiedichte zur gravitativen Energiedichte eine Größenordnung von 1:10^60, für das Verhältnis von Gravitation zur elektromagnetischen Kraft eine Genauigkeit von 1:10^40]. Dazu kommen Erkenntnisse zu den Besonderheiten der Erdchemie, wie z.B. die außergewöhnlichen Fähigkeiten von Kohlenstoff im Vergleich zu anderen chemischen Verbindungen (wie z.B. Silizium), sowie die vielseitigen Eigenschaften des Wassermoleküls. Er verweist ferner auf die das Leben begünstigende Konstellation des Erd-Sonnensystems, auf die geschützte Position des Erd-Sonnensystems innerhalb der Milchstraße, sowie auf die Funktion des Magnetfeldes, und einiges mehr.

Obgleich Fink das Phänomen des biologischen Lebens mit seiner komplexen Evolutionsgeschichte weitgehend ausblendet, bieten schon die genannten physikalischen Fakten im engeren Sinne viele Ansatzpunkte, um Deutungen vornehmen zu können.

B. Physik und Gott

Während Fink im Falle der Physik ansatzweise die historische Entstehung der physikalischen Bilder anspricht, vermisst man diese im Fall der Auffassung von Gott als Schöpfer. Ohne historische Herleitung aus der Geschichte des christlichen Glaubens stellt Fink einfach fest, dass das mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeinte einen freien Willen habe, rational denke und sich zuverlässig verhalte. Dies sei die tiefere Ursache dafür, dass das Universum für die menschlichen Forscher gesetzmäßig erscheine, d.h. man kann es mit rationalen Mitteln erforschen. Die hier zur Verwendung kommenden Begriffe (freier Wille, rational, zuverlässig) sind Begriffe, die im Kontext der menschlichen Welterfahrung eine gewisse — wenngleich vage — Bedeutung haben. Wendet man sie aber ohne weitere Erläuterungen direkt auf ein unbekanntes Etwas an, das irgendwie hinter und in dem ganzen Universum stehen soll, ist es nicht direkt nachvollziehbar, was diese Begriffe in diesem umfassenden Kontext bedeuten können.

Zusätzlich zu der allgemeinen Verstehbarkeit des physikalischen Universums verweist Fink auch auf jene Momente hoher Unwahrscheinlichkeit, die bei der Wahl der Parameter am Werk zu sein scheinen und die er als Argument für eine mögliche Zielgerichtetheit der ganzen Entwicklung des Universums sieht, die er wiederum als Argument für den als rationalen zuverlässigen Schöpfer mit freiem Willen angenommen hatte. Dieser Schöpfergott hat also zusätzlich noch einen Plan.

III. Kritische Anmerkungen

A. Gottesbilder

In diesem Blog gibt es mehrere Beiträge, die sich mit dem Problem beschäftigt haben, die Bedeutung der Wortmarke ‚Gott‘ in ihrer historischen Vielfalt klären zu können.

Schränkt man die Frage ein auf die christliche Tradition, so hat man es immerhin mit mittlerweile fast 2000 Jahren Interpretationsgeschichte zu tun, dazu die jüdische Vorgeschichte und die vielfältigen Wechselwirkungen mit den umgebenden Gesellschaften und Kulturen im Laufe der Jahrhunderte. Dazu kommen die diversen Aufspaltungen der christlichen Tradition in Traditionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (West zu Ost, Katholisch und Protestantisch, dazu viele Unterarten). In dieser gewaltigen und vielschichtigen Tradition zu sagen, was die christliche Meinung zum Schema Schöpfergott sei, erscheint fast unmöglich. Natürlich kann man sich auf einzelne Autoren beschränken oder auf speziell ausgezeichnete Lehrmeinungen, aber inwieweit diese dann als die christliche Auffassung gelten können, erscheint doch eher fraglich.

Geht man auf die historisch frühen Quellen zurück, zu den sogenannten heiligen Schriften des Neuen Testamentes, das vielfältig Bezug nimmt auf das Alte Testament, so wird die Lage nicht unbedingt einfacher. Zeigen doch gerade die 2000 Jahre andauernden Interpretationsversuche, dass es offensichtlich keine zwingend eindeutige Interpretation zu geben scheint, wie sonst hätte es sonst zu den vielen unterschiedlichen Interpretationen kommen können.[Anmerkung: Untersucht man nur die vielfältigen Übersetzungen vom Hebräischen ins Griechische und Lateinische, vom Lateinischen in die vielen Alltagssprachen, vom Griechischen in die vielen Alltagssprachen, dann sieht man schon auf dieser ersten Kodierungsstufe von möglichen Bedeutungen, dass es schon an der Wurzel keine eindeutige Bedeutung gibt.]

Aufgrund der Erkenntnisse zu der Art und Weise wie Sprache funktioniert, wie Menschen Wahrnehmen, Erinnern, Denken und kommunizieren, kann man seit mehr als 100 Jahren immer besser verstehen, warum Texte als solche keine zwingenden Botschaften enthalten können! Es gibt zwar zu allen Zeiten viele Menschen, die das behaupten und glauben, aber die reale Funktion von Sprache und menschlichem Erkennen können solche — oft fundamentalistisch genannten — Auffassungen als grob falsch erweisen.

Für Menschen, die ernsthaft Sicherheit und Wahrheit suchen, sind diese neuen Erkenntnisse beunruhigend; nicht wenige lehnen sie daher ab. Dies hilft aber nicht weiter. Wir müssen uns den Tatsachen stellen, dass unsere Suche nach Wahrheit und Sicherheit nicht so einfach durch Bezug auf irgendeinen Text eingelöst werden kann, und mag er von manchen Menschen als noch so heilig bezeichnet werden.

Menschen, die sich gegen diese neuen Erkenntnisse zur Natur von sprachlichem Verstehen und Verstehen wehren, machen oft nach einen weiteren Fehler: aus der Tatsache der Unmöglichkeit einer direkten absoluten Erkenntnis aus einem Text heraus folgern sie oft, dass es dann ja überhaupt keine Wahrheit geben würde. Dieser weitreichende Schluss folgt aus der Relativierung von Texten und sprachlicher Bedeutung nicht zwingend.

Wenn jemand im Lichte des modernen Wissens die allzu einfache Deutungen sogenannter heiliger Texte in Frage stellt, sie kritisiert, dann bedeutet dies zunächst nur, dass man sich ein paar mehr Gedanken machen muss als bisher, wie man die Wirklichkeit insgesamt deuten kann. Die Kritik an einer nativen und unkritischen Verwendung eines Gottesbegriffes, eines bestimmten, sehr menschlichen Bildes von einem Schöpfergott, muss daher nicht notwendigerweise heißen, dass man damit das damit Gemeinte (eine irgendwie geartetes Etwas, was hinter und in allem steckt/ wirkt/ …) als solches in Frage stellt oder zerstört. Wenn es tatsächlich so etwas wie ‚Gott‘ geben sollte (mag man es nun glauben oder nicht), dann würde die Existenz und die Art und Weise dieses Gotes mit Sicherheit nicht davon abhängen, ob ein paar Exemplare des homo sapiens darüber sprechen, und wie sie darüber sprechen. Allerdings kann es für uns, die wir uns als Exemplare des homo sapiens ansehen, möglicherweise einen Unterschied machen, ob und wie wir über dieses Thema reden.

B. Bilder der Welt

Aktueller Denkrahmen unter Berücksichtigung von empirischen Wissenschaften und Philosophie
Aktueller Denkrahmen unter Berücksichtigung von empirischen Wissenschaften und Philosophie

Bei der kritischen Diskussion des Artikels von Fink spielen eine Reihe von Faktoren eine Rolle. Einige im Zusammenhang mit der Verwendung der Wortmarke ‚Gott‘ wurden im vorausgehenden Abschnitt angesprochen. Weitere sollen jetzt hier angesprochen werden. Das Schaubild oben kann dazu vielleicht hilfreich sein.

1) Evolution

Aus den letzten ca. 100 Jahren konnten wir lernen, dass wir Menschen Teil eines Entwicklungsprozesses sind, die die Biologen als Evolution des biologischen Lebens bezeichnen. Ferner konnte die Struktur und die Entwicklung des bekannten physikalischen Weltalls soweit aufgehellt werden, dass auch das Zusammenspiel von Sternentwicklung und Entstehung von biologischem Leben auf der Erde viele neue, tiefe Einsichten ermöglicht hat.

2) Empirisches Wissen

Dies alles wurde möglich, weil die Menschen gelernt haben, wie man Bilder von der Welt in einer methodisch kontrollierten Weise so konstruiert, dass sie auf transparenten, reproduzierbaren Messoperationen aufbauen. Für die Interpretation dieser Messwerte wird eine mathematische Sprache benutzt, die zusammen mit einer formalen Logik die Möglichkeit bietet, Regelmäßigkeiten und Strukturen zu formulieren, sofern sie in der Gesamtheit der Messwerte vorliegen. Die Geltung der formalen Strukturen ist hier entscheidbar zurückgebunden an die Messwerte.[Anmerkung: Diese Rückbindung ist zentral, da die mathematische Sprache es erlaubt, beliebig viele Regelmäßigkeiten und Strukturen zu formulieren. Ob eine von diesen möglichen Strukturen tatsächlich etwas beschreibt, was mit der umgebenden Wirklichkeit korrespondiert, können nur vorzeigbare Messwerte entscheiden. Diese Form von Wissens nennt man gewöhnlich empirisches Wissen oder eine empirische Theorie.]

3) Wirklichkeit und Mathematik

Die Entwicklung und Nutzung von empirischem Wissen stellt viele neue Fragen zur Natur des menschlichen Erkennens, die weitgehend noch ungeklärt sind. So ist es eine bemerkenswerte Tatsache, dass die umgebende Wirklichkeit sich mit den Mitteln einer extrem einfachen mathematischen Sprache und formalen Logik beschreiben lässt.[Anmerkung: Man kann zwar mit der mathematischen Sprache sehr komplexe Ausdrücke aufbauen, doch die Sprache selbst, mit der dies geschieht, ist in ihren Grundelementen extrem einfach. Es ist keine andere Sprache bekannt, die genauso einfach oder gar noch einfacher ist.] Bislang ist nicht zu sehen, dass es irgendein Phänomen in der erfahrbaren Welt geben könnte, was sich mit dieser mathematischen Sprache nicht beschreiben lässt, es sei denn, das Phänomen selbst, das beschrieben werden soll, ist ‚in sich‘ nicht klar.

4) Virtualität und Wahrheit

Ferner wissen wir heute, dass unser bewusstes Wissen, ein funktionierendes Gehirn voraussetzt, das selbst keinen Kontakt mit der realen Welt hat. Dennoch produziert es aufgrund von Sinnesdaten von außerhalb und von innerhalb des Körpers — und im Zusammenspiel mit einem Gedächtnis — beständig virtuelle Bilder einer Welt da draußen so, dass wir in unserem Bewusstsein die virtuellen Bilder als real erleben und als real deuten. Unsere menschliche Erkenntnis ist also ein als real erlebtes virtuelles Bild einer Welt ‚da draußen‘, die wir tatsächlich niemals direkt erleben werden. Wie können wir dann jemals erkennen was wahr ist, wenn Wahrheit verstanden würde als die Übereinstimmung von etwas Gedachtem mit etwas Realem?

Diese Frage springt sofort über zu dem zuvor eingeführten Konzept des empirischen Wissens. Ist es doch gerade ein Dogma des empirischen Wissens, dass dieses sich direkt mit der realen, objektiven Welt beschäftige im Gegensatz zu anderen Wissensformen. Wenn der Mensch nun grundsätzlich gar keinen direkten Kontakt zur sogenannten realen Wel haben kann, wie kann es dann empirische Wissenschaft geben?

Die Antwort ist relativ einfach. Unser bewusstes Wissen ist zwar quasi Wissen aus zweiter Hand, d.h. von einem Gehirn generiert, das im Körper fest sitzt, aber von all den Phänomenen des Bewusstseins (PH), die dieses Gehirn erzeugt, gibt es eine echte Teilmenge von solchen Phänomenen PH_EMP, die aus jenen sensorischen Erregungsmustern gewonnen werden, die von den externen Sensoren (Augen, Ohren, Tastorgane, …) gewonnen werden. Für uns sind sie zwar abgeleitete, virtuelle Ereignisse, aber sie korrespondieren mit Ereignissen in der unterstellten Außenwelt. Sofern Wissenschaftler empirische Messprozesse vereinbaren, gibt es Messprozesse, die unabhängig vom Denken eines einzelnen Menschen gestartet und gestoppt werden können. Diese Messprozesse liefern Ereignisse, die mit externen Sinnesorganen registriert werden können, und zwar von allen, die diese Messprozesse wiederholen. Im Bewusstsein der beteiligten empirischen Wissenschaftler haben dieses Messergebnisse zwar weiterhin nur den Status von virtuellen Ereignissen, generiert vom Gehirn, aber diese Ereignisse lassen sich mit Messprozessen wiederholen, die alle Beteiligten in hinreichend gleicher Weise erleben können. Durch diese spezielle Maßnahme können Menschen ihr virtuelles Gefängnis methodisch partiell öffnen; nicht wirklich, aber für eine  empirische Form des Erkennens praktikabel. Wir haben also die echte Teilmenge der empirischen Phänomene PH_EMP c PH, die sich partiell mit Ereignissen in der angenommenen Außenwelt (W) zusammen mit anderen parallelisieren lässt.[Anmerkung: Es ist erstaunlich, wie lange die Menschen als homo sapiens gebraucht haben, bis sie diesen ‚Trick‘ entdeckt haben. Allerdings, selbst heute (2017) scheint es noch genügend viele Menschen zu geben, die diesen Zusammenhang immer noch nicht verstehen (selbst solche, die sich empirische Wissenschaftler nennen).]

Das Potential des empirischen Wissens für das Erkennen und Verstehen der umgebenden Welt ist enorm, und seine Auswirkungen neben dem reinen Verstehen im Bereich der technologischen Anwendungen erscheint schon jetzt schier unendlich.

5) Schwache Akzeptanz von Empirischem Wissen

Nicht wirklich geklärt erscheint das Verhältnis des empirischen Wissens zu den anderen Wissensformen, speziell auch zu den alten religiösen Überzeugungen, die für die meisten auch ein Stück Welterklärung waren bzw. noch sind.

In dieser Differenz von realen Erklärungsleistungen auf der einen Seite (bei aller Begrenztheit) und den vielen unwissenschaftlichen Bildern der Welt, liegt eines der vielen Probleme der Gegenwart. Der Anteil der Menschen, die empirisches Wissen nicht verstehen oder gar offen ablehnen, liegt in Ländern mit hoher Technologie aufgrund von offiziellen Untersuchungen bei ca. 20 – 30\%; betrachtet man aber seine eigene Umgebung, einschließlich der Menschen mit mindestens einem akademischen Abschluss, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass es vielleicht umgekehrt nur 10-20\% der Menschen sind, die überhaupt verstehen, was empirisches Wissen ist. Dies ist eine sehr beunruhigende Zahl. Damit ist nicht nur der bisherige Wissensstand langfristig bedroht, sondern die Ansatzpunkte für eine Versöhnung von empirischem und nicht-empirischen Wissen werden noch schwerer.

6) Philosophie des Empirischen Wissens fehlt

Um die Problemstellung noch zu verschärfen, muss man auch auf den Sachverhalt hinweisen, dass es selbst innerhalb des empirischen Wissens große, ungelöste Probleme gibt. Dies resultiert aus der historischen Entwicklung, dass zwar mit Begeisterung immer mehr Phänomene der umgebenden Welt untersucht worden sind, das daraus resultierende empirische Wissen wurde aber nicht in allen Fällen systematisch zu einer vollen empirischen Theorie ausgebaut. Vielleicht muss man sogar sagen, dass die Physik aktuell die einzige empirische Disziplin zu sein scheint, die nicht nur vollständige empirische Theorien entwickelt hat, sondern die ihre eigene Entwicklung der Tatsache verdankt, dass ganze Theorien kritisiert und dadurch weiter entwickelt werden konnten.

Betrachtet man Gebiete wie z.B. die Gehirnwissenschaft, die Psychologie, die Soziologie, die Wirtschaftswissenschaften, die Biologie, dann muss man allerdings berücksichtigen, dass der wissenschaftliche Gegenstand dieser Disziplinen (sofern sie sich als empirische Disziplinen verstehen wollen), ungleich komplexer ist als die Physik. Der wissenschaftliche Gegenstand der Physik erscheint komplex, da wir hier bislang die meisten vollen Theorien haben, aber tatsächlich ist das Gegenstandsgebiet der anderen genannten Disziplinen unendlich viel komplexer. Dies resultiert aus der unfassbaren Komplexität des Phänomens biologisches Leben, das sowohl in den Grundformen der einzelnen biologischen Zellen, wie dann erst recht in der Interaktion von Billionen (10^12) von Zellen in einem einzelnen Organismus wie einem homo sapiens vorliegt; dazu kommen die Wechselwirkungen zwischen allen biologischen Lebensformen, nicht nur beim homo sapiens, der die Erde zur Zeit auf vielfache Weise mit sekundären komplexen Artefakten überzieht, die dynamisch sind.

7) Empirisches Wissen und Gott

Wenn man all dies weiß, wenn man sowohl um die Begrenztheit des empirischen Wissens weiß und um die Problematik der rechten Verwendung der Wortmarke ‚Gott‘, dann stellt sich die Frage, wie kann ein Mensch in der heutigen Welt noch an ein — wie auch immer geartetes — ‚höheres Wesen in und hinter allem‘ glauben? Kann man es überhaupt noch? Und falls ja, wie?

Hält man sich die Vielfalt der religiösen Anschauungen und Praktiken vor Augen, die es im Laufe der letzten Jahrtausende gegeben hat und ganz offensichtlich immer noch gibt, dann könnte man im ersten Moment völlig entmutigt werden angesichts dieser Fülle: was davon soll jetzt sinnvoll und richtig sein?

Die modernen Religionswissenschaften und vergleichenden Kulturwissenschaften haben einiges getan, um Ähnlichkeiten und Unterschiede in diesem Meer der Phänomene heraus zu arbeiten. Sehr beeindruckend fand ich das Buch von Stace (1960), der auf der Basis von vielen vergleichenden Untersuchungen eine sehr detaillierte philosophische Analyse durchgeführt hat, die sich auf den Kern religiöser Überzeugungen fokussiert hat, auf die religiösen Erfahrungen.[Anmerkung: Siehe dazu die Diskussion dieses Buches, Teil 3]

Seine Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass es bei aller Verschiedenheit der religiösen Ausdrucksformen und Formulierungen durch alle Zeiten hindurch und quer zu allen religiösen Formen so etwas wie einen gemeinsamen Erfahrungskern zu geben scheint, der für den Menschen als Menschen charakteristisch scheint, und der nicht an irgendwelche Texte oder lokale Traditionen gebunden ist. Dass es dennoch zu unterschiedlichen Formulierungen und unterschiedlichen Interpretationen kommen konnte liegt in der Analyse von Stace (und auch im Lichte dieses Textes; siehe die vorausgehenden Abschnitte), einzig daran, dass der Mensch nicht nur konkrete Sinneserfahrungen hat, sondern zugleich immer auch von seinem angelernten Wissen aus diese Sinneserfahrungen interpretiert. Unser Gehirn arbeitet so, dass es uns (was eigentlich sehr gut ist) alle unsere sinnlichen Erfahrungen sofort im Lichte der gespeicherten Erfahrungen interpretiert. Da die Menschen an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Dinge gelernt haben, dazu verpackt in eine der vielen zehntausenden (oder mehr) Sprachen, erscheinen die gleichen Grunderfahrungen als tausende unterschiedliche Erfahrungen, obgleich sie — so scheint es — letztlich eine gleiche Grundstruktur haben.

Sollten diese Untersuchungen und Überlegungen stimmen, dann wären sogenannte religiöse Erfahrungen keine erfundene Spezialitäten von irgendwelchen abnormen Menschen, sondern gehören zur Grundstruktur, wie ein homo sapiens sich selbst und die ganze Welt erfährt. Einen grundsätzlichen Widerspruch zu empirischen Wissenschaften kann es dann nicht geben, da ja die empirischen Wissenschaften nicht grundsätzlich die Erfahrungen von Menschen verneinen, sondern sich nur für bestimmte — nämlich die empirischen — Untersuchungen auf einen Teilbereich der verfügbaren virtuellen Phänomene des Bewusstseins beschränken.

Interessant ist, dass die empirischen Wissenschaften, obwohl sie sich methodisch beschränken, indirekt einen fundamentalen Beitrag zur Möglichkeit von trans-empirischen Erfahrungen geleistet haben. Die fortschreitenden Erkenntnisse im Bereich der Struktur der Materie (Atomphysik, Kernphysik, Quantenphysik, …) führen uns vor Augen, dass der alltägliche Eindruck der Abgeschlossenheit und Endlichkeit der menschlichen Körper ein — womöglich schwerwiegender — Trugschluss ist. Die scheinbar so abgeschlossenen endlichen menschlichen Körper bestehen ja nicht nur aus Billionen von eigenständigen Zellen, die eigenständig miteinander kommunizieren, sondern diese Zellen bestehen ja aus chemischen Molekülen, diese aus Atomen, und diese — wie die Physik uns lehrt — aus komplexen subatomaren Teilchen und Interaktionsverhältnissen, die permanent in Wechselwirkung stehen zu allem, was sich in einem Umfeld befindet, das viele Lichtjahre betragen kann. Hier stellen sich viele — weitgehend ungeklärte — Fragen.

Eine dieser ungeklärten Fragen betrifft das Verhältnis von Bewusstsein und diesen subatomar vorhandenen Ereignissen. Wieweit können sich diese Ereignisse direkt im Bewusstsein niederschlagen?

Eine andere Frage betrifft die Erfahrbarkeit von etwas, das wir ‚Gott‘ nennen. Durch alle Zeiten und Kulturen berichten Menschen von spezifischen Erfahrungen, die für diese Menschen über die Erfahrungen des Alltags hinaus weisen, ohne dass sie dafür plausible Erklärungen liefern können. Fakt ist nur, dass im Prinzip jeder Mensch diese Erfahrungen anscheinend machen kann (auch Tiere?). Ein Widerspruch zu empirischen Wissen muss hier nicht bestehen, im Gegenteil, die empirischen Wissenschaften liefern bislang die stärksten Argumente, dass dies im Prinzip nicht auszuschließen ist. Es fehlen allerdings bislang jegliche neue Deutungsmodelle. Die alten Deutungsmodelle sollte man eventuell vorläufig mit einem Fragezeichen versehen; möglicherweise versperren sie den Weg zu dem mit der Wortmarke ‚Gott‘ Gemeintem.

ZITIERTE QUELLEN


[Fin17] Alexander Fink. Kosmologie und der Glaube an Gott. Brennpunkt Gemeinde, 19(1):1–15, 2017.
[Sta60] W.T. Stace. Mysticism and Philosophy. Jeremy P.Tarcher, Inc., Los Angeles, 1st. edition, 1960.

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DAS UNIVERSUM MIT DEN AUGEN VON Lawrence M.Krauss. Gedanken zu seinem Buch A UNIVERS FROM NOTHING, Teil 3

Lawrence M.Krauss, a universe from nothing. Why there is something rather than nothing. London: Simon & Schuster UK Ltd, 2012

KONTEXT

  1. Diesem Teil ging Teil 1 voraus, der im Vorwort einige allgemeine Bemerkungen enthält.
  2. Im Teil 2 ging es dann um die Feststellung, dass das Universum ein expandierendes Universum ist. Dazu werden einige Fakten angeführt, die diese Aussage illustrieren. Aufgrund der Sprünge im Text, ist es nicht leicht, den historischen Ablauf zu rekonstruieren. Auch fehlen nahezu überall Quellenangaben, so dass man auf eigene Faust recherchieren muss, will man die Aussagen präzisieren, was getan wird.
  3. In der Diskussion zum Kap.1 werden von den vielen möglichen Punkten nur drei angesprochen: zum einen wird die Geschichte der Kosmologie als Beispiel für die Entstehung von Wissen betrachtet. In dieser Geschichte spielt die Einsicht eine zentrale Rolle, dass man sich auf die empirischen Phänomene beschränken muss, also jene Phänomene, die sich von allen anderen dadurch abheben, dass sie unabhängig von unserem subjektiven Wollen, Wünschen und Vorstellen sind. Ein weiterer Aspekt ist die Rolle eines speziellen symbolischen Ausdruckssystems, heute als Mathematik bezeichnet. Vorteile und Probleme werden kurz angesprochen. Weiterhin ist beeindruckend, wie dieses moderne Wissen eine tiefliegende Struktur jenseits der Individualität der beteiligen Forscher enthüllt. Obgleich die Geschichte zeigt, dass manche Gedanken mehrfach erfunden wurden, weil man voneinander zu wenig wusste, ist es doch so, dass jeder von den beteiligten Forschern nicht im luftleeren Raum operiert hat. Jeder von ihnen war vielfältig verflochten sowohl mit Teilen der Vorgeschichte und mit gegenwärtigen Forschern und Forschungsaktivitäten. Jede neue Erkenntnis ist nur verstehbar aufgrund der Vorarbeiten anderer.

KAP.2: DAS UNIVERSUM WIEGEN

Ergänzende Informationen zu Krauss Kap.2
Ergänzende Informationen zu Krauss Kap.2
  1. In diesem Kapitel geht es zentral um die Frage, wie das Universum, in dem wir vorkommen, und das offensichtlich einen Anfang hat, enden wird. Hat es ein Ende? Aktuell entfernen sich die Galaxien voneinander. Unterstellt man mit Newton die Kraft der Gravitation, dann müsste man anhand der auftretenden Massen errechnen können, ob diese Massen ausreichend sind, um diese Fluchtbewegung irgendwann zu stoppen. Für diese Berechnung benötigt man aber empirische Daten zu den astronomischen Objekten, den Sternen (und ihre Kontexte), z.B. ihre Entfernung von der Erde oder zueinander, ihre Masse, letztlich auch ihr Alter (da von diesem viele wichtige physikalische Eigenschaften abhängen), oder ihr Spektrum (das etwas über ihre chemische Zusammensetzung sagt). Und da die Gravitation sich u.a. darin auswirkt, dass das Licht im Raum abgelenkt und abgeschwächt werden kann, sind die Messungen, die auf Licht basieren, nicht einfach.
  2. So zitiert Krauss Arbeiten von Vera Rubin (und Kollegen), nach denen sich die Objekte in unserer Galaxie, der Milchstraße, schneller bewegen, als es die beobachtbaren Massen erlauben würden. Sie folgert daraus [Anmerkung: wie auch schon andere vor ihr, Aussage Rubin (1997)], dass es in der Galaxie mehr Masse geben muss, als bislang beobachtet werden konnte. (vgl. S.24)
  3. Alle Befunde zusammen genommen müsste das Verhältnis von nicht-sichtbarer Materie (oft ‚dunkle Materie‚ genannt (‚dark matter‘)) zu sichtbarer Materie etwa 10:1 sein, um die beobachtbaren Bewegungen zu erklären.(vgl.S.25)
  4. Krauss folgert aus diesen Befunden ferner, dass die dunkle Materie nicht aus Protonen und Neuronen bestehen kann, da es dafür nach den bekannten theoretischen Modellen nicht genug Protonen und Neuronen gibt. (vgl. S.25)
  5. Damit stellt sich die Frage nach der dunklen Materie und der Entstehung des Universums neu.(vgl. S.25f)[Anmerkung: Einige der hier offenen Fragen finden sich auf der anregenden Webseite von DESY von Joan Baez (2012)]
  6. Seit Einsteins Theorie der allgemeinen Relativität (1919) wurde das newtonschen Modell in ein Raum-Zeit Modell überführt. In der Raum-Zeit Struktur kann sich in Gegenwart von Materie oder Energie die Raum-Zeit Struktur verändern. (Eine erste empirische Bestätigung von Einsteins Modell ergab sich 1919.) (vgl. S.26)
  7. Krauss folgert in diesem Rahmen, dass es, abhängig von der Menge der Materie im Universum, dann drei Geometrien geben kann: eine offene, eine geschlossene, und eine flache. (vgl.S.27)
  8. Ein geschlossenes Universum muss nach Einstein irgendwann zusammenstürzen (‚big crunch‘)(vgl. S.27)
  9. Ein offenes Universum wird unendlich expandieren.(vgl. S.27)
  10. Ein flaches Universum [Anmerkung: ‚flach‘ hier nicht in der Bedeutung von 2-dimensionaler Ebene. Auch das ‚flache‘ Universum spielt sich in einer 4-dimensionalen Raum-Zeit ab] ist beständig an der Grenze zum Stoppen, ohne aufzuhören.(vgl. S.27)
  11. Für die Abschätzung der tatsächlich auftretenden Masse des Universums benutzt Krauss die Struktur der Supercluster: ein Supercluster enthält tausende von Galaxien und erstreckt sich über 10tausende von Millionen Lichtjahren. Die Milchstraße gehört beispielsweise zum Virgo-Cluster, dessen Zentrum ca. 60 Mio Lichtjahre entfernt ist.(vgl. S.28)
  12. Bei der Bestimmung der Masse von Supercluster soll die Gravitation helfen [Anmerkung: was nicht ganz einfach ist, da ja die Gravitationskonstante bis heute nur sehr ungenau bestimmt werden konnte].(vgl. S.28)
  13. Bei dieser Abschätzung wird zurück gegriffen auf eine Notiz von Einstein (1936), der die Beobachtung des Amateurastronomen Rudi Mandl zum Anlass genommen hatte, zu zeigen, dass der Raum selbst als Linse wirksam werden kann (Erkenntnisse, die Einstein schon 1912 mal notiert hatte)(vgl. S.28f) D.h. Die Strahlen eines Objektes O1 hinter einem Objekt O2 werden von O2 zunächst abgelenkt, gelangen aber dann doch zum Beobachter, wenngleich geringfügig versetzt. (vgl. S.29f)
  14. In diesen Kontext passt die 1933 von Astronom Fritz Zwicky gemachte Beobachtung zu den relativen Bewegungen von Galaxien im Coma-Cluster. Dabei hatte er festgestellt, dass sie aufgrund der Schnelligkeit ihrer Bewegung eigentlich schon längst das Cluster hätten verlassen müssen. Unter Benutzung von Newtons Gravitationsgesetzen war die Nichtzerstörung des Clusters nur erklärbar bei der weiteren Annahme, dass es eine 100fach größere Masse geben musste als beobachtet werden konnte.(vgl. S.31)
  15. In einem Kurzartikel 1937 beschrieb Zwicky drei Nutzungsmöglichkeiten für den Gravitations-Linsen-Effekt. Die dritte und wichtigste Nutzung war die Messung von Quasaren bei dazwischenliegenden Galaxien. 1986/7 konnte Tony Tyson und Kollegen dies am Beispiel demonstrieren.(vgl. S.32)
  16. Die Berechnungen ergaben, dass nahezu 40x soviel Masse (dunkle Materie) zwischen den Galaxien anzunehmen war wie beobachtbare Materie in den Galaxien. Nimmt man nur die beobachtbare Masse in den Sternen selbst, dann ist es sogar 300x mehr Masse. (vgl. S.34)
  17. Für ein flaches Universum benötigt man laut theoretischem Postulat etwa 100x mehr dunkle Materie als beobachtbare Materie.(vgl. S.34)
  18. Berücksichtigt man das theoretische Modell für die Prozesse im BigBang (siehe auch oben), dann gibt es nach den bekannten Daten ein Vielfaches an dunkler Materie als es das Modell voraussagt.(vgl. S.34) Da die dunkle Materie offensichtlich nur sehr schwach mit der normalen Materie interagiert, erhebt sich die Frage, wie man sie dennoch messen kann.(vgl. S.35)
  19. Die Temperatur der Röntgenstrahlen (X-rays) der Cluster steht in direkter Beziehung zur Masse der Quelle.(vgl. S.36)
  20. Nach allen bisherigen Beobachtungen und Berechnungen liegt die Gesamtmasse des Universums aber nur bei 30% der Menge, die für ein flaches Universum notwendig wäre.(vgl. S.36) Wenn diese Beobachtungen und Schlussfolgerungen stimmen, würden wir in einem offenen Universum leben, das ewig expandiert.(vgl. S.27)

DISKUSSION

  1. Bei dem Versuch, dieses Kapitel (so kurz es ist), zusammen zu fassen, habe ich sehr viele zusätzliche Artikel und Wikipedia-Einträge gelesen, um die benutzte Begrifflichkeit zu verstehen. Bei dieser Lektüre wurde sichtbar, dass hinter jedem Begriff eine komplexe Geschichte steht, von der die Namen im beigefügten Bild nur eine winzige Auswahl darstellen.
  2. Damit stellt sich die Frage, ob diese Art des Vorgehens Sinn macht. Krauss nennt sein Buch ‚populär‘, weil es im normalen Englisch geschrieben ist und weitgehend auf Formeln verzichtet, aber da er weder direkt auf Quellen verweist noch die einzelnen Begriffe wirklich erklärt, erscheint diese Verständlichkeit nur als eine Pseudo-Verständlichkeit. Um also den Text wirklich verstehen zu können, muss man über den Buchtext hinausgehen und sich ein eigenes Bild machen.

Ob eine Fortsetzung im gleichen Stil erfolgt, ist daher fraglich.

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DAS UNIVERSUM MIT DEN AUGEN VON Lawrence M.Krauss. Gedanken zu seinem Buch A UNIVERSE FROM NOTHING, Teil 2

Lawrence M.Krauss, a universe from nothing. Why there is something rather than nothing. London: Simon & Schuster UK Ltd, 2012

KONTEXT

  1. Diesem Teil ging Teil 1 voraus, der einige allgemeine Bemerkungen enthält

KAP.1: ANFÄNGE

Ergänzende Informationen zu Kap.1 von Krauss (2012)
Ergänzende Informationen zu Kap.1 von Krauss (2012)
  1. Die Hauptaussage dieses Kapitels läuft auf die Feststellung hinaus, dass das Universum ein expandierendes Universum ist. Dazu werden einige Fakten angeführt, die diese Aussage illustrieren. Aufgrund der Sprünge im Text, ist es nicht leicht, den historischen Ablauf zu rekonstruieren. Auch fehlen nahezu überall Quellenangaben, so dass man auf eigene Faust recherchieren muss, will man die Aussagen präzisieren.
  2. Nach einigen Bemerkungen zu Einstein, der die Zusammenhänge zwischen Raum, Zeit und Gravitation revolutioniert haben soll, geht Krauss ein wenig auf die Entstehung der Position von Einstein ein, der zu Beginn von einem statischen Universum ausging. Diese Position erwies sich als nicht haltbar. Viele Ereignisse führten zu ihrer Überwindung.
  3. Aufbauend auf den Arbeiten von Henrietta Swan Leavitt mit ihren Forschungen zu Cepheiden Sternen konnte Edward Hubble 1925 Forschungsergebnisse veröffentlichen, nach denen es Cepheiden in Spiral-Nebel gab, die darauf schließen lassen, dass es jenseits unserer Galaxie, der Milchstraße, weitere Galaxien gibt.(S.7f)
  4. Hubble arbeitete weiter und kam unter Einbeziehung der Arbeiten von Vesto Slipher zur Rotverschiebung der Sterne aufgrund ihrer Bewegung zusammen mit Milton Humason zur Erkenntnis, dass es eine regelmäßige Beziehung zwischen der Rotverschiebung/ der Geschwindigkeit der Sterne und ihrer Entfernung gibt. Heute bekannt als Hubbles Gesetz führt dies 1929 zur Veröffentlichung der Hypothese über ein expandierendes Universum.(vgl. S.8 – 11)[Anmerkung: Heute werden die Entdeckungen zur Expansion eher anderen Autoren zugeschrieben, z.B. Friedmann und Lemaitre.(vgl. S.4f)].
  5. Anlässlich der Benutzung von Spektren zur Bestimmung der Geschwindigkeit von Sternen gibt Krauss einen Hinweis zur Geschichte der Entdeckung der Eigenschaften des Lichts durch Newton.(vgl. S.9)
  6. Aufgrund der Daten von Hubble 1929 war die Schätzung der Parameter zur Berechnung des Ausgangspunktes der Expansion des Universums noch zu ungenau. Nach diesen Schätzungen wäre das Universum nur 1.5 Mrd alt gewesen. Angesichts des damals schon bekannten Alters der Erde von mehr als 3 Mrd. Jahren war klar, dass die Berechnungen zum Alter des Universums noch nicht stimmen konnten.(vgl. S.15f)
  7. Es zeigte sich, dass die Berechnung der Entfernungen mit den Daten der Cepheiden Sterne zu ungenau war. (vgl. S.17)
  8. Eine verbesserte Lösung ergab sich durch Rekurs auf die Supersterne, auf die Supernovae, Eine Supernova ist ein Klasse 1b Stern, der explodiert, was durchschnittlich einmal alle 100 Jahre pro Galaxie vorkommt (bei ca. 100 Mrd Galaxien). (vgl.S.17) Bis heute sind dies ca.200 Mio Sternexplosionen.(vgl. S.19) Man benutzt den Punkt höchster Luminosität dieser Explosion, das Spektrum, und die Rotverschiebung darin.[Anmerkung: Zugleich braucht man aber auch einen Referenzpunkt, eine Standard Leuchte. Diese zu bestimmen kann aber sehr schwierig sein und ist mit Unsicherheiten behaftet.] Da alle Atome in unserem Körper nur aus solchen Sternexplosionen stammen können, stellt Krauss – leicht poetisch – fest, dass unsere Körper aus Sternenstaub entstanden sind. (vgl.S.17)
  9. Das Stichwort Supernova nimmt Krauss zum Anlass, das Werk von Tycho Brahe, Johannes Keppler und Isaak Newton zu erwähnen.(vgl.S.19f)
  10. Die Einbeziehung von Supernovae und verbesserte Messmethoden führte dazu, dass das Alter des Universums heute näher bei 13 Mrd. Jahren angenommen wird als bei 1.5 Mrd. Jahren. (vgl. S.21)
  11. Ein anderer interessanter Indikator für die Expansion des Universums aus einem Anfangspunkt ist die beobachtbare Verteilung der leichten Elementen im ganzen Universum, die mit den theoretischen Voraussagen des theoretischen Modells über die Entstehung des Universums erstaunlich gut übereinstimmen (nicht bei Lithium). Die leichten Elemente konnten schon in der Anfangszeit eines BigBang (ca. 10s – 20m) entstehen, ohne die späteren Kernfusionen. Alle beobachtbare Materie war zusammengepresst in einem dichten Plasma mit einer Temperatur von ca. 10 Mrd Grad Kelvin.(vgl. 17f)[Anmerkung: siehe auch Standard Modell oder FLRW Metrik)]

DISKUSSION

  1. Die Ausführungen von Krauss samt den ergänzenden Informationen aus den zugefügten Wikipedia Beiträgen samt einigen der darin zitierten Artikeln gibt Anlass zu vielfältigen Gedanken. Hier seien einige genannt.
  2. Unter dem Blickwinkel der Entstehung von Wissen ist die Entwicklung der modernen wissenschaftlichen Kosmologie ein beeindruckender Vorgang. Nimmt man Brahe als Bezugspunkt (wobei antike Forschungen hier auch benutzt werden könnten), dann blicken wir auf ca. 450 Jahre zurück, in denen Menschen (einzelne Menschen!) versucht haben, im Chaos der Phänomene Strukturen zu erkennen, die Erklärungsansätze liefern, wie der aktuelle Zeitpunkt in einen Zusammenhang eingeordnet werden kann, der so etwas wie eine Entstehung andeutet.
  3. Wesentlich für die wissenschaftliche Kosmologie ist die Einsicht, dass man sich auf die empirischen Phänomene beschränken muss, also jene Phänomene, die sich von allen anderen dadurch abheben, dass sie unabhängig von unserem subjektiven Wollen, Wünschen und Vorstellen sind. Das Empirische ist das ganz Andere zu unserer Subjektivität, was uns grundlegend vorgegeben ist, auch in Form unseres eigenen Körpers und damit unseres Gehirns und bestimmter grundlegender Strukturen unseres Wahrnehmens, Erinnerns und Denkens.
  4. Ein weiterer Aspekt ist die Rolle eines speziellen symbolischen Ausdruckssystems, heute als Mathematik bezeichnet. Die Mathematik hat ja selbst einen kontinuierlichen Wandel erlebt, nicht zuletzt durch die Anforderungen durch die empirischen Wissenschaften. Entscheidend im Wandel der Mathematik war die zunehmende Einsicht, dass der symbolische Raum – der virtuelle Denkraum im Gehirn – als solcher unabhängig von möglichen empirischen Interpretationen ist, seine eigene Grammatik und Logik besitzt, und von daher nach Bedarf auf beliebige andere Sachverhalte, auch empirische, angewandt werden kann. In Gestalt der modernen Algebra (etwa seit van der Waerdens Buch) hat die Mathematik ihre vorläufige Endfassung gefunden. Die Stärke der mathematischen Sprache ist aber zugleich eine kontinuierliche Quelle potentieller Fehler: mathematische Variablen sind grundsätzlich abstrakt, allgemein, kategorisch; empirische Messwerte sind grundsätzlich individuell, in Raum und Zeit punktuell. Noch so viele Messungen können die theoretische Bedeutung einer Variable niemals erschöpfen. Dennoch, trotz dieser fundamentalen Unterschiedlichkeit, hat sich die Verwendung der Mathematik bei der Deutung empirischer Phänomene bislang als unfassbar erfolgreich erwiesen. Die mathematische Sprache ist damit neben der normalen Sprache mittlerweile die wichtigste Sprache zum Verstehen der Welt geworden – was in gewissem Kontrast steht zur Unkenntnis und Missachtung dieser Sprache im Alltag, in der Ausbildung, im religiösen Leben der Menschen.
  5. Weiterhin ist beeindruckend, wie dieses moderne Wissen eine tiefliegende Struktur jenseits der Individualität der beteiligen Forscher enthüllt. Obgleich die Geschichte zeigt, dass manche Gedanken mehrfach erfunden wurden, weil man voneinander zu wenig wusste, ist es doch so, dass jeder von den beteiligten Forschern nicht im luftleeren Raum operiert hat. Jeder von ihnen war vielfältig verflochten sowohl mit Teilen der Vorgeschichte und mit gegenwärtigen Forschern und Forschungsaktivitäten. Jede neue Erkenntnis ist nur verstehbar aufgrund der Vorarbeiten anderer. Der Raum wissenschaftlicher Erkenntnis ist ein Raum von Fakten und logischen Strukturen, der sich nur verstehen lässt als eine Anfangsmenge von Wissen W0, an der viele Gehirne G mit entsprechenden Methoden M und empirischen Daten D weiter arbeiten, bis ein erweitertes Wissen W0+1 = W1 entsteht, dieses wird wiederum bearbeitet zu W2, usw. Insofern stellen die aktuellen Gehirne, Methoden und Fakten zum Zeitpunkt t <G,M,D>(t) eine Art Wissens-Operator dar, der immer wieder neu (rekursiv) auf das verfügbare Wissen angewendet wird, also Wx(t+1) = <G,M,D>(t)(Wx-1). In nicht-empirischen Bereichen könnte dies zwar auch der Fall sein, aber aufgrund der höheren Komplexität von nicht-empirischen Wissens (was das empirische Wissen als Teilmenge enthalten kann, aber meistens leider nicht enthält) ist dies viel schwieriger und nur schwer zu erkennen.
  6. Obwohl wir heute vieles über eine ideale Wissenskultur wissen können, muss man feststellen, dass die jeweiligen umgebenden Gesellschaften vieles tun, um diese Wissenskultur mindestens zu schwächen, wenn nicht gar massiv zu behindern. Die jeweiligen Forscher, ‚Kinder ihrer Zeit‘, sind von diesen gesellschaftlichen Tendenzen nicht unberührt. Der Anteil der Menschen in einer Gesellschaft, die die Natur (und die Inhalte) wissenschaftlichen Wissens nicht verstehen, ist extrem groß (selbst bei solchen, die sogar studiert haben), besonders – und leider – auch bei den politisch Verantwortlichen.
  7. Viele weitere Gedanken wären hier zu diskutieren, speziell natürlich auch zum aktuellen kosmologischen Weltmodell selbst. Dies soll bei nachfolgenden Blogeinträgen nachgeholt werden.

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DAS UNIVERSUM MIT DEN AUGEN VON Lawrence M.Krauss. Gedanken zu seinem Buch A UNIVERS FROM NOTHING. Teil 1

Lawrence M.Krauss, a universe from nothing. why there is something rather than nothing. London: Simon & Schuster UK Ltd, 2012

KONTEXT

  1. In den vorausgehenden Einträgen zu diesem Blog gab es schon einige Beiträge, die sich mit dem Blick von Physikern auf unser Universum beschäftigt haben. Allerdings fast immer mit dem Blick von Physikern auf das biologische Leben, auf die Evolution, auf die Zelle (mit dem Befund, dass die Physik zwar einiges sagen kann, aber bei den entscheidenden Phänomenen letztlich passen muss (noch). Die Perspektive der Physik auf das Ganze, auf das Universum, kam im Blog selbst bislang nicht explizit vor. Allerdings wurde das Standardmodell einer Entwicklung vom BigBang bis hin zur Evolution im Großen und Ganzen durchgehend unterstellt. Da die Physiker – wie in vielen anderen Disziplinen auch verbreitet – in der Regel ‚Physikalisch‘ schreiben, d.h. Eine Amalgam von Alltagssprache, durchmischt mit vielen Fachbegriffen, dazu – im Normalbetrieb – viele Formeln, ist es für einen Fachfremden in der Regel kaum möglich, diese Texte so einfach zu lesen (geschweige denn, sie überhaupt zu finden). Man ist darauf angewiesen, dass ein Physiker gelegentlich versucht, das komplexe Wissen seines Fachs in eine allgemein verständliche Sprache zu fassen. Dies führt zwar zu einem Verlust an fachlicher Genauigkeit, erschließt aber dafür das Verstehen von vielen Fachfremden. Das Buch von Lawrence M.Krauss ist so ein Buch. Im Folgenden wird versucht werden, seine Gedanken aufzugreifen und zu schauen, ob und wie diese in den bisher im Blog erarbeiteten Zusammenhang hinein passen.

VORWORT

  1. Im Vorwort stellt Krauss die Frage ins Zentrum Warum es so ist, dass eher Etwas da ist als Nichts. Seit je her gab es dazu verschiedene Antwortversuche, die in der Zeit vor den modernen Wissenschaften in religiösen oder philosophischen Versionen daher kamen. Je nach den Denkvoraussetzungen der jeweiligen Betrachter vermutete man erste Ursachen, erste Beweger, einen Schöpfer des Ganzen, also irgendetwas, was das Denken zu dieser Zeit so hergab. Krauss geht hier aber nicht auf Details ein. Er belässt es bei ein paar allgemeinen Bemerkungen. Seine eigene Position ist allerdings klar. Für ihn ist es ungewiss, ob wir jemals genügend empirisches Wissen haben werden, um diese Frage klar beantworten zu können. (vgl. S.xiii)
  2. [Anmerkung: Von heute aus betrachtet muss man festhalten, dass sich die Interpreten der Vergangenheit selten Gedanken darüber machten, ob und in welcher Form sie überhaupt über genügend Wissen verfügten, die Frage zu beantworten (deutlich fassbar in den Texten der drei Offenbarungsreligionen). In einem naiven Denken denkt man einfach, ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, unter welchen Bedingungen man denkt, was Denken überhaupt ist, usw. Mit dem Erstarken des philosophischen Denken (zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten unterschiedlich stark; wichtiges Beispiel: die antike Philosophie in Griechenland) begannen Philosophen, ihr eigenes Denken zu erforschen. In Ermangelung moderner Erkenntnisse über den Körper, das Gehirn, die Materie waren die Bilder dieses Denkens über das Denken zwar auch einfach, aber es entstanden doch erheblich differenziertere Bilder der Wirklichkeit im Lichte von Denkmodellen. Ein Platon und ein Aristoteles benutzen dann ihre Modelle des Denkens, um über die Welt im Lichte dieser Denkmodelle zu spekulieren. So beeindruckend diese Spekulationen (speziell im Falle des Aristoteles) sind, so wenig hilfreich sind sie aufs Ganze gesehen, weil ihre Voraussetzungen zu viele Schwachstellen aufweisen. Wenn dann eine Offenbarungsreligion wie das Christentum sich für Jahrhunderte mit diesen bedingt gültigen philosophischen Denkmodellen verbindet, werden die resultierenden Aussagen nicht wahrer.]
  3. Krauss liefert sich im Vorwort außerdem ein kleines Scharmützel mit jenen philosophischen und theologischen Positionen, die den Begriff Nichts (’nothing‘) im Gegensatz zum Begriff Irgendetwas (’something‘) so konstruieren wollen, dass das mit dem Begriff ‚Nichts‘ Gemeinte radikal nichts ist, in keiner Weise irgendetwas (Er nennt allerdings keine konkrete Autoren oder Texte). Eine solche Feststellung hält er für eine intellektuelle Bankrotterklärung, da für ihn, Kraus, das mit ‚Nichts‘ Gemeinte genauso etwas Physikalisches ist wie das mit ‚Irgendetwas‘ Gemeinte. Und – unter dieser Voraussetzung – kann es für das mit ‚Nichts‘ Gemeinte, wenn überhaupt, nur eine empirische Definition geben. (vgl. S.xiv)
  4. [Anmerkung: Nimmt man diese letzte Feststellung ernst, dann geht Krauss davon aus, dass das Reden über die Wirklichkeit nur in Begriffen empirischer Wissenschaft stattfinden kann. Diese Annahme ist (wie in vielen Blogbeiträgen zuvor schon angesprochen) eine unzulässige Vereinfachung des menschlichen Erkenntnisstandpunktes. (i) Die empirische Phänomene sind eindeutig nur eine echte Teilmenge der erlebbaren Phänomene überhaupt. Über diese nicht-empirischen Aspekte unserer Wirklichkeit zu sprechen ist nicht nur Alltag legitim, sondern selbst für einen strengen empirischen Wissenschaftsbetrieb bis zu einem gewissen Grad unausweichlich! Die intellektuelle Bankrotterklärung läge in diesem Punkt dann eher bei Krauss und nicht bei den andern. Im übrigen (ii) ist eine moderne empirische Theorie eine Synthese von empirischen Daten und formaler Mathematik als Ausdrucksmittel. Die Mathematik, die eingesetzt wird, enthält Begriffe, die in keiner Weise empirische verifiziert werden können, abgesehen davon, dass die in der Physik benutzte Mathematik grundsätzlich nicht vollständig entscheidbar ist (Goedel 1931, Turing 1936/7). Die moderne Mathematik selbst ist im Ansatz nicht empirisch, sondern vom Grundkonzept her metaphysisch. Darüber haben bislang schon viele Wissenschaftsphilosophen nachgedacht. Krauss offenbar nicht.]
  5. Als stärkste Motivation, dieses Buch zu schreiben, benennt Krauss die Entdeckung, dass sich der größte Teil der Energie im Universum in einem Zustand befindet, der von der Wissenschaft bislang nicht wirklich erklärt werden kann. Diese Entdeckung hat die gesamte Wissenschaft verändert, und auch sein Leben als Physiker. Denn sie führte dazu, dass er sich jahrelang genau diesem Phänomen gewidmet hat und nun über seine Erkenntnisse berichten möchte.

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EINSCHUB – ‚RADICALLY UNPLUGGED‘ ALS ERKENNTNISFORM

(1) Eigentlich versuche ich das Buch von Duve zu Ende zu besprechen. Während des Semesterbetriebes muss ich aber in vielen Prozessen parallel denken und arbeiten. Es gibt dann immer diese ‚Zeitscheiben‘ (wie das klingt, die Zeit in ‚Scheiben‘ geschnitten, wie Salami oder Käse…) und jede Zeitscheibe ist eine kleine ‚Welt für sich‘, als ob es das andere nicht gibt. Allerdings ist unser Körper (das unbekannte Wesen, letztlich), der diese verschiedenen Zeitscheibenwelten ‚beherbergt‘ und untereinander auf geheimnisvolle Weise verknüpfen kann, so als ob die eine Zeitscheibe mit der anderen ‚redet’….In diesem Sinne spricht jetzt hier eine ‚Zeitscheibe‘ während die andere (Besprechung Duve) ‚ruht’…
(2) Ich mache seit Jahren ‚Selbstversuche‘ mit experimenteller Musik. Ich wusste lange nicht, wie ich dies einschätzen sollte: Völliger ‚Humbug‘, ‚Zeitverschwendung‘, ‚Lächerlich‘, …mittlerweile bin ich aber sicher, dass dies eine fast unausweichliche Verhaltensweise ist, wenn man in der immer stärkeren Automatisierung und Virtualisierung unser Kultur seinen eigenen ‚Realitätskern‘ nicht verlieren will. Es ist sicher auch kein Zufall, dass die ’nachwachsende‘ Generation (wie das klingt ’nachwachsend‘, aber es ist mehr als wahr, wenn es auch den individuellen Egoismus und die individuelle Eitelkeit von so manchem stark ankratzt…) im Bereich Musik (zumindest abseits der populären Schiene, die immer nur das gewohnt Konventionelle reproduziert (man will ja ‚gefallen‘, es geht nicht um Erkenntnis…)) extrem experimentell vorgeht (die Musikerin Dominique Dillon de Byington, genannt Dillon ist hier nur ein Beispiel von vielen (hundert?)).
(3) Diese meine Einschätzung hängt damit zusammen, dass im täglichen Erkenntnisvollzug jeder von uns in erster Linie und unausweichlich in der ‚Schleife des Bekannten‘ hängt. Unser Körper (und hier speziell das Gehirn) verfügt über die wunderbare Gabe, wahrnehmbare Ereignisse (niemand spricht über die unfassbar große Menge der ’nicht-wahrnehmbaren‘ Ereignisse!) mit Hilfe von bestimmten Mustern (das hatte schon Kant und viele andere Philosophen zum Nachdenken gebracht) in ‚abstrakteren‘ Einheiten zu ‚organisieren‘ und uns damit ein ‚Bild‘ von einer ‚alltäglich geordneten‘ Welt aufbereitet, die wir für ‚wahr‘ nehmen und wir unser Verhalten entsprechend diesem Bild ausrichten.
(4) Der wichtige Punkt ist hier die ‚Unausweichlichkeit‘ in dem Sinne, dass unser Gehirn-Körper auch ohne unser ‚Zutun‘ so ‚arbeitet‘ und auf diese Weise in jeder wahrnehmbaren Zeitscheibe (ja, unser Körper arbeitet mit Zeitscheiben einer messbaren Länge!) ein ‚Produkt‘ abliefert, das wir als ‚Welt‘ bezeichnen.
(5) Solange sich die ‚reale‘ Welt mit den Bildern der ‚Gehirn-Körper-Generierten‘ Welt in Übereinstimmung befindet, ergibt sich ein gewisser Gleichklang, Einklang, Harmonie, eine ‚Flüssigkeit‘, eine ‚Vertrautheit‘, die uns in ‚gewohnten Bahnen‘ laufen lässt. Weichen die realen Ereignisse von den ‚erwarteten‘ ab, gibt es ‚Unruhe‘; bei solchen Gelegenheiten haben wir die Chance, zu bemerken (zu erkennen?), dass die ‚Welt im Kopf‘ nicht die ‚Welt da draußen‘ ist. Die einen unternehmen viele Anstrengungen, entweder solche ‚Beunruhigungen‘ von vornherein zu ‚unterbinden‘ (! lieber ‚Ruhe‘ als ‚Wahrheit‘!), oder sie zu unterdrücken, falls sie dann doch auftreten. Gelingt dies alles nicht, gibt es die Aggressiven, die die Quelle der Beunruhigung auszuschalten versuchen, die ‚Possenreißer‘, die das Ungeplante per Humor zersteuben wollen, … die Bandbreite möglicher Reaktionen ist groß. Das ‚Unerwartete‘ bewusst zu integrieren ist auf jeden Fall anstrengender als es nicht zu tun.
(6) Als Kinder ist dieser beständige Konstruktionsprozess das ‚Normale‘; wir nennen das ‚Lernen‘. Dass Kinder dabei ziemliche Dramen durchleben können ist nicht unbedingt Allgemeingut bei den Erwachsenen…
(7) Manche ziehen aus dem Unverhofften, Unerwarteten ‚Nutzen‘; sie verändern ihr Bild von sich, den anderen, der Welt….
(8) Die Frage ist auch, inwieweit wir im Laufe des Lebens diese grundlegende Lernfähigkeit verlieren können. Ich werde niemals den Kontrast vergessen, den ich als Jugendsozialarbeiter erlebt habe, als ich in einer deutschen Großstadt nachmittags mit Kindergruppen (7-11 Jahre) gearbeitet hatte und abends mit den ‚Älteren‘ (ca. 17-22 Jahren). Innerhalb von 5 bis 10 Jahren können junge Menschen nahezu alle positiven Fähigkeiten verlieren, die sie als Kinder mal hatten. Der Einfluss der täglichen Umgebung erscheint erschreckend gewaltig destruktiv: aus selbstbewussten kreativen neugierigen Wesen werden stumpfe ideenlose hoffnungslose Wesen ohne Selbstvertrauen, die Menschen, die unsere Zukunft tatkräftig gestalten sollen, ohne zu wissen, wer sie selbst sind….
(9) Wie auch immer, selbst wenn man viele Dinge in seinem Leben konstruktiv gemeistert haben mag. Die Tendenz, sich im Erfolg letztlich doch zu verstetigen, in gebahnte Bahnen zu erstarren, sich im Gewohnten zu betäuben, ist massiv. Als ich vor ein paar Jahren dazu kam, nach mehr als 35 Jahren Pause wieder Musik zu machen, ohne Training, unmusikalisch, keine Zeit zu großen Übungen, alleine, in einem Mehrparteienmietshaus (Lärm praktisch unmöglich), psychologisch in einer schlechten Situation: was denken die Leute (ganz zu schweigen von meiner Frau), da blieb mir nur eines, ‚radically unplugged music (RUM)‘ als ‚legale‘ Form des Musikmachens zu erklären. Quasi als Manifest gegen die Diktatur der herrschenden Gewohnheiten, die u.a. die meisten Radio- und Fernsehkanäle besetzt halten, als ‚Aufschrei‘ des unterdrückten Individuums, das angesichts dieser allseitigen ‚Vernormung‘ dessen was sein darf zu ersticken droht, an ‚Atemnot‘, weil alles, was man als einzelner tun kann, bevor man es tut, schon gesellschaftlich ’nichts‘ ist. Globalisierung als Elimination des Individuums im Ansatz. Zerstörung von Kreativität und Erkenntnis im Ansatz. Menschenverachtend. Zynismus pur…
(10) Als ich gestern — während ich etwas schrieb — zufällig im Hintergrund die Sendung ‚Punk in Myanmar‘ in zdf-kultur sah (siehe: http://aufnahmezustand.zdf.de/ZDF/zdfportal/programdata/cd946bca-3138-33a7-9ff7-c183e90cd233/20065425?doDispatch=1″), merkte ich, wie ich von diesem Bericht sehr beeindruckt war. Dieser Bericht verstand es, die Situation der jungen Menschen in der Diktatur Myanmar so in Szene zu setzen, dass jedem Zuschauer klar werden konnte, warum diese jungen Leute so waren, wie sie sind, und dass diese den Nerv des möglichen Lebens in einer lebensfeindlichen Umgebung in — auf ihre Weise — aufopfernder Weise zu Gehör bringen wollten. Die persönlichen Risiken, die sie dabei eingingen, ihr Engagement, war sehr beeindrucken. Beeindruckend auch die einzige Sängerin, die schließlich aber wegen ihres Vaters wieder aufhörte, zu singen. Am tiefsten beeindruckte mich die Mutter des einen, eine emeritierte Professorin für Chemie. Wahnsinn welche Personalität, Liebe und Tiefe. Wie sie mit der Andersartigkeit ihres Sohnes und der ganzen Bewegung umging trotz der Ablehnung und Aggressivität der Umgebung!!!!! Hier erschien die Musik als Teil des Lebens, des Lebenskampfes, des Lebenlernens, als authentische Tätigkeit in dem Kampf um Wahrheit, Authentizität, Lebensgefühl schlechthin.
(11) Myanmar erscheint weit weg von Deutschland aus gesehen. Aber in gewisser Weise ist es direkt um uns herum. Auch wir erleben unzählige Prozesse um uns herum, die ‚lebensfeindlich‘ sind, die die uns unsere Ideen stehlen, uns unserer Lebensgefühle zu entfremden drohen, und auch wir sind beständig herausgefordert, uns aus dem Alltagsschlaf heraus zu reißen und uns zu fragen: ist es das wirklich? Soll es so sein oder sollte es nicht ganz anders sein? Jeder weiß, dass wir genügend offene Rechnung mit der Gegenwart haben…
(12) In mir verstärkt sich das Gefühl, dass die Methode ‚Radically Unplugged‘ etwas wirklich Grundlegendes ist, die Art und Weise betrifft, in der wir mit uns selbst und der Welt um uns herum umgehen. In einer Welt der globalisierenden Virtualisierung und Normierung durch diktatorische Kapitalmassen haben wir als Individuen nur noch die Authentizität. Diese alleine reicht zwar nicht, ist aber eine fundamentale Voraussetzung. Ohne diese sind wir nur mehr das dreihundert-billionste Bit in einem gigantischen Datenmeer, das von so vielen verschiedenen ‚Geistern‘ angetrieben wird, dass …..
(13) Merkwürdigerweise können wir im Prinzip alles ändern… nicht nur, indem wir alles zerstören, was in ein paar Milliarden Jahre ohne unser Zutun aufgebaut wurde, nicht nur, aber das ‚konstruktive Gestalten‘, eher eine Form des ‚Miterschaffens‘, ist extrem lernabhängig, dialogisch, … wir müssen verstehen, wer wir sind, wozu wir da sind, was dieses ganze Universum soll, um vielleicht weniger zu zerstören und ein wenig beizutragen. Der kosmologische Prozess selbst hat uns ins Szene gesetzt, ohne dass wir es wollten. Es wäre mehr als erstaunlich, wenn diese implizit kosmologische Weisheit nicht auch für die Option eines konstruktiven Mitwirkens eine Option parat halten würde… unsere aktuelle Dummheit ist aber vielleicht noch zu groß, als dass wir es verstehen können…

RUM Links

Insgesamt wird empfohlen, entweder richtig gute Kopfhörer zu benutzen oder eine richtig gute Soundanlage. Normale PC-Lautsprecher sind einfach zu schlecht; man hört irgendein Gequäcke aber keinen wirklichen ‚Sound’…

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