Archiv für den Monat: Oktober 2014

INDIVIDUUM vs. SYSTEM: Wenn das Individuum tot ist wird das System sterben …

1. Die folgenden Überlegungen müsste man eigentlich mit viel Mathematik und Empirie untermauert hinschreiben. Da ich aber auf Wochen absehbar dazu nicht die Zeit haben werde, ich den Gedanken trotzdem wichtig finde, notiere ich ihn so, wie er mir jetzt in die Finger und Tasten fließt …

PARADOX MENSCH Mai 2012

2. Am 4.Mai 2012 – also vor mehr als 2 Jahren – hatte ich einen Blogeintrag geschrieben (PARADOX MENSCH), in dem ich versucht hatte, anzudeuten, wie der eine Mensch in ganz unterschiedlichen ’sozialen Rollen‘, in ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten vorkommt und dort, je nach Handlungs-, Wissens- und Werteraum ganz verschiedene Dinge tun kann. Derselbe Mensch kann hundert Tausende für sich bis zum umfallen Arbeiten lassen und selbst dabei ‚reich‘ und ‚genussvoll‘ in den Tag hinein leben oder er kann als genau dieser einzelner in einer Werkhalle stehen und für einen Hungerlohn bei miserablen Bedingungen sein Leben aufarbeiten, ohne viel darüber nachdenken zu können, wie er sein Leben ändern könnte. Der Mensch in der Werkhalle kann viel intelligenter, viel begabter sein als der, der die hundert Tausende befehligt, aber der in der Werkhalle hat keine sozialen Räume, um diese seine Begabungen ausleben zu können. Vielleicht wäre er ein mathematisches Genie, ein großer Pianist, ein begnadeter Architekt, eine wunderbare Krankenschwester, ein(e) …. wir werden es in der aktuellen Situation nicht wissen, es sei denn …

3. Was sich in dem Blogeintrag von 2012 andeutet, aber nicht explizit ausgeführt wird, das ist diese ‚doppelte Sicht‘ auf die Wirklichkeit:

INDIVIDUELL-SUBJEKTIV, SYSTEMISCH – TRANSSUBJEKTIV

4. als Individuen, als einzelne ‚erleben‘ wir die Welt aus unserer subjektiven Perspektive, mit unserem einzelnen Körper, finden uns vor in einem gesellschaftlichen Kontext, der uns als Kinder ‚empfängt‘ und der von Anfang an ‚mit uns umgeht‘. Als Kinder können wir fast nichts machen; wir sind ‚Gegenstand‘ dieser Prozesse‘, sehr oft einfach nur ‚Opfer‘; der Prozess ‚macht mit uns‘ etwas. Wie wir wissen können, gibt es hier die volle Bandbreite zwischen Hunger, Quälereien, Missbrauch, Folter, Arbeit bis hin zu friedlicher Umgebung, umsorgt werden, genügend (zu viel) zu Essen haben, spielen können, lernen können usw.

5. Wir erleben die Welt aus dieser EGO-Perspektive mit dem individuellen Körper, seinem Aussehen, seiner Motorik, seinen Eigenheiten in einer Umgebung, die ihre Spielregeln hat, unabhängig von uns. Wir gewinnen ein BILD von uns, das sich über die Umgebung formt, bildet, zu unserem Bild über uns wird, eine Rückspiegelung von uns unter den Bedingungen der Umgebung. Jemand hat die Begabung zu einem Ingenieure, wird aber immer nur belohnt und unterstützt, wenn er etwas ganz anderes macht, also wird er normalerweise nie Ingenieure werden. … Wer nur überlebt, wenn er lernt sich anzupassen oder andere mit Gewalt niederhält, permanent Angst um sich verbreitet, der wird selten zu einem ‚friedlichen‘, ‚umgänglichen‘ Gegenüber …

6. Aus Sicht ‚der Welt‘, der sozialen Struktur, der Firma, der Behörde, kurz, aus Sicht ‚des Systems‘ ist ein einzelner immer dasjenige ‚Element‘, das ‚im Sinne des Systems‘ ‚funktioniert‘! Wer Lehrer in einer Schule geworden ist, wurde dies nur, weil es das ‚System Schule‘ gibt und der einzelne bestimmte ‚Anforderung‘ ‚erfüllt‘ hat. Solange er diese Anforderungen erfüllt, kann er in dem ‚System Schule‘ das Element genannt ‚Lehrer‘ sein.

7. Das System interessiert sich nicht dafür, ob und wie das einzelne Element Lehrer auf seiner subjektiven Seite die alltäglichen Ereignisse, Erlebnisse, Anforderungen verarbeitet, verarbeiten kann; wenn das Element ‚Lehrer‘ im Sinne des Systems ‚Schwächen‘ zeigt, Anforderungen länger nicht erfüllen kann, dann muss das System dieses ’schwächelnde Element‘ ‚entfernen‘, da es ansonsten sich selbst schwächen würde. Das ‚System Schule‘ als gesellschaftliches System bezieht seine Berechtigung aus der Systemleistung. Wird diese nicht erbracht, dann gerät es – je nach Gesellschaft – unter Druck; dieser Druck wird auf jedes einzelne Element weiter gegeben.

8. Solange ein einzelnes Element die Systemanforderungen gut erfüllen kann bekommt es gute Rückmeldungen und fühlt sich ‚wohl‘. Kommt es zu Konflikten, Störungen innerhalb des Systems oder hat das individuelle Element auf seiner ’subjektiven Seite‘ Veränderungen, die es ihm schwer machen, die Systemanforderungen zu erfüllen, dann gerät es individuell unter ‚Druck‘, ‚Stress‘.

9. Kann dieser Druck auf Dauer nicht ‚gemildert‘ bzw. ganz aufgelöst werden, wird der Druck das individuelle Element (also jeden einzelnen von uns) ‚krank‘ machen, ‚arbeitsunfähig‘, ‚depressiv‘, oder was es noch an schönen Worten gibt.

MENSCHENFREUNDLICHE SYSTEME

10. In ‚menschenfreundlichen‘ Systemen gibt es Mechanismen, die einzelnen, wenn Sie in solche Stresssituationen kommen, Hilfen anbieten, wie der Druck eventuell aufgelöst werden kann, so dass das individuelle Element mit seinen Fähigkeiten, Erfahrungen und seinem Engagement mindestens erhalten bleibt. In anderen – den meisten ? — Systemen, wird ein gestresstes Element, das Ausfälle zeigt, ‚ausgesondert‘; es erfüllt nicht mehr seinen ’systemischen Zweck‘. Welche der beiden Strategien letztlich ’nachhaltiger‘ ist, mehr Qualität im System erzeugt, ist offiziell nicht entschieden.

11. In ‚menschenfreundlichen Gesellschaftssystemen‘ ist für wichtige ‚Notsituationen = Stresssituationen‘ ‚vorgesorgt‘, es gibt systemische ‚Hilfen‘, um im Falle von z.B. Arbeitslosigkeit oder Krankheit oder finanzieller Unterversorgung unterschiedlich stark unterstützt zu werden. In weniger menschenfreundlichen Systemen bekommt das einzelne Element, wenn es vom ‚System‘ ‚ausgesondert‘ wird, keinerlei Unterstützung; wer dann keinen zusätzlichen Kontext hat, fällt ins ‚gesellschaftliche Nichts‘.

12. Unabhängig von ökonomischen und gesellschaftlichen Systemen bleiben dann nur ‚individuell basierte Systeme‘ (Freundschaften, Familien, Vereine, private Vereinigungen, …), die einen ‚Puffer‘ bilden, eine ‚Lebenszone‘ für all das, was die anderen Systeme nicht bieten.

INDIVIDUELLE GRATWANDERUNG

13. Ein einzelner Mensch, der sein Leben sehr weitgehend darüber definiert, dass er ‚Systemelement‘ ist, d.h. dass er/sie als Element in einem System S bestimmte Leistungen erbringen muss, um ‚mitspielen‘ zu können, und der für dieses ‚Mitspielen‘ einen ‚vollen Einsatz‘ bringen muss, ein solcher Mensch vollzieht eine permanente ‚Gratwanderung‘.

14. Da jeder einzelne Mensch ein biologisches System ist, das einerseits fantastisch ist (im Kontext des biologischen Lebens), andererseits aber natürliche ‚Grenzwerte‘ hat, die eingehalten werden müssen, damit es auf Dauer funktionieren kann, kann ein einzelner Mensch auf Dauer als ‚Element im System‘ nicht ‚absolut‘ funktionieren; es braucht Pausen, Ruhezonen, hat auch mal ’schwächere Phasen‘, kann nicht über Jahre vollidentisch 100% liefern. Dazu kommen gelegentliche Krankheiten, Ereignisse im ‚privaten Umfeld, die für die ‚Stabilisierung‘ des einzelnen wichtig sind, die aber nicht immer mit dem ‚System‘ voll kompatibel sind. Je nach ‚Menschenunfreundlichkeit‘ des Systems lassen sich die privaten Bedürfnisse mit dem System in Einklang bringen oder aber nicht. Diese zunächst vielleicht kleinen Störungen können sich dann bei einem menschenunfreundlichem System auf Dauer zu immer größeren Störungen auswachsen bis dahin, dass das einzelne individuelle Element nicht mehr im System funktionieren kann.

15. Solange ein einzelnes Element nur seine ’subjektive Perspektive‘ anlegt und seine eigene Situation nur aus seiner individuellen Betroffenheit, seinem individuellen Stress betrachtet, kann es schnell in eine Stimmung der individuellen Ohnmacht geraten, der individuellen Kraftlosigkeit, des individuellen Versagens verknüpft mit Ängsten (eingebildeten oder real begründet), und damit mit seinen negativen Gefühlen die negative Situation weiter verstärken. Das kann dann zu einem negativen ‚Abwärtsstrudel‘ führen, gibt es nicht irgendwelche Faktoren in dem privaten Umfeld, die dieses ‚auffangen‘ können, das Ganze zum ‚Stillstand‘ bringen, ‚Besinnung‘ und ’neue Kraft‘ ermöglichen und damit die Voraussetzung für eine mögliche ‚Auflösung der Stresssituation‘ schaffen.

16. Menschen, die annähernd 100% in ihr ‚Element in einem System‘ Sein investieren und annähernd 0% in ihr privates Umfeld, sind ideale Kandidaten für den individuellen Totalcrash.

17. ‚Plazebos‘ wie Alkohol, Drogen, punktuelle Befriedigungs-Beziehungen, bezahlte Sonderevents und dergleichen sind erfahrungsgemäß keine nachhaltige Hilfe; sie verstärken eher noch die individuelle Hilflosigkeit für den Fall, dass es ernst wird mit dem Stress. Denn dann helfen alle diese Plazebos nichts mehr.

WAS WIRKLICH ZÄHLT

18. Das einzige, was wirklich zählt, das sind auf allen Ebenen solche Beziehungen zu anderen, die von ‚tatsächlichem‘ menschlichen Respekt, Anerkennung, Vertrautheit, Zuverlässigkeit, und Wertschätzung getragen sind, dann und gerade dann, wenn man phasenweise seine ‚vermeintliche Stärke‘ zu verlieren scheint. Das umfasst private Wohnbereiche zusammen mit anderen sowie ‚echte‘ Freundschaften, ‚echte‘ Beziehungen, ‚gelebte‘ Beziehungsgruppen, ‚Gefühlter Sinn‘, und dergleichen mehr.

LOGIK DES SYSTEMS

19. Die ‚Logik der Systeme‘ ist als solche ’neutral‘: sie kann menschenrelevante Aspekte entweder ausklammern oder einbeziehen. Solange es ein ‚Überangebot‘ an ‚fähigen Menschen‘ für ein System gibt, kann es vielleicht menschenrelevante Aspekte ‚ausklammern‘, solange das ‚gesellschaftliche Umfeld‘ eines Systems die ‚Störungen absorbiert‘. Wie man weiß, kann aber die ‚Qualität‘ eines Systems erheblich leiden, wenn es die ‚menschenrelevanten‘ Aspekte zu stark ausklammert; auch wird ein gesellschaftliches Umfeld – wie uns die Geschichte lehrt – auf Dauer ab einem bestimmten Ausmaß an zu absorbierenden Störungen instabil, so dass auch die für sich scheinbar funktionierenden Systeme ins Schwanken geraten. Die Stabilität eines Systems ist niemals unabhängig von seiner Umgebung. So führte historisch eine auftretende krasse Vermögens- und Arbeits-Ungleichverteilung immer wieder zu starken Turbulenzen, Revolutionen, in denen Menschen sich wehren. Denn letztlich sind alle absolut gleich, jeder hat die gleichen Rechte. Das einseitige Vorenthalten von Rechten bei den einen und die einseitige Privilegierung für wenige andere hat nahezu keine Begründung in einem persönlichen Besser sein, sondern ist fast ausschließlich systemisch-historisch bedingt. Da ‚Privilegieninhaber‘ von sich aus fast nie freiwillig auf ihre Privilegien verzichten wollen und alles tun, um diese ‚abzusichern‘, wird ein systemisches Ungleichgewicht in der Regel immer schlechter; dies ist nicht nachhaltig; letztendlich führt es zur De-Stabilisierung und damit in chaotische Zustände, in der es nicht notwendig ‚Gewinner‘ geben muss, aber auf jeden Fall viele Verlierer.

20. Ein ganz anderer Aspekt ist die globale Verarmung aller Systeme, die die individuellen Potentiale systemisch unterdrücken. Da fast jeder Mensch gut ist für etwas Besonderes, führt die ‚Einkastelung‘ der Individuen in ‚tote Elemente‘ eines Systems zwangsläufig zu einer ungeheuren Ressourcenverschwendung und Verarmung, die dem System selbst wertvollste Ressourcen entzieht. Der ‚Tod des Individuums‘ ist daher auf Dauer auch über die ‚Verarmung‘ des Systems auch ein ‚Tod des Systems‘. Jedes System, das nachhaltig die Potentiale seiner Individuen samt ihrer Privatheit besser fördert und entwickelt als ein Konkurrenzsystem, wird auf Dauer besser und stabiler sein.

Einen Überblick über alle bisherige Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHANDELS 2014 FÜR JARON LANIER – Ein paar Nachgedanken

1. Bei den folgenden ‚Nachgedanken‘ orientiere ich mich an dem Text Der High-Tech-Frieden braucht eine neue Art von Humanismus, der die offizielle deutsche Übersetzung darstellt. Die Laudatio von Martin Schulz, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments,findet sich HIER.

2. Eine Rede an so einem besonderen Ort vor solch einem selektiertem Publikum zu halten, ist nicht einfach. Bedenkt man ferner, wie unsere Zeit geprägt ist von einer totalen Informationsüberflutung, die wiederum eingebettet ist in krasse Ungleichzeitigkeiten von Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen, dann wird es nicht einfacher. Andererseits hatte Lanier ein Publikum vor sich, das aufgrund seiner Auswahl eine minimale kulturelle Homogenität aufwies, eines, das irgendwo dem Muster westlicher Demokratien und vom Internet geprägten Hochleistungsgesellschaften nahestand.

VIELZAHL VON IMPRESSIONEN

3. Die Rede war nun nicht von der klassischen Art, dass ein bestimmter Gedanke sich einfach und klar mit Wucht Ausdruck verschaffte, nein es war eher eine Vielzahl von Impressionen, die alle ihren Ort in unserem Alltag haben, und es waren verschiedene Themenansätze, die anklangen, aber nicht zu Ende durchkomponiert waren (siehe Stichwortsammlung auf folgendem Schaubild).

Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014
Auszug von Stichworten aus der Rede Laniers zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 2014

4. Was als erstes auffällt, es fehlt praktisch – bis auf eine kleine Ausnahme — jede historische Dimension: die Welt erscheint nicht als gewordene, als von bestimmten Kräften getrieben, angetrieben, sondern wir tauchen unmittelbar ein in eine Momentaufnahme, ein Kaleidoskop von vielen Bildern, Bilder einer ‚entwickelten Welt‘ eingespannt zwischen ‚Überfluss‘ und ‚Rand eines Abgrunds‘.

5. Er selbst sieht sich als ‚Realist‘ mit einer Familiengeschichte (das ist die kleine Ausnahme in der Geschichtslosigkeit), die zurückreicht in die Gräuel des Naziregimes, das in großer Perfektion ganze Völker manipuliert und gequält hat. Treue gegenüber dem System und Gehorsam sind in einer Nazigesellschaft missbraucht worden für Zwecke, die zwar einigen wenigen nützten, aber sehr vielen anderen Leid und Tod gebracht haben.

INDIVIDUELLER HUMANIST ALS MITVERURSACHER

6. Lanier selbst ist einerseits Mitverursacher der modernen Informationstechnologien und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen, andererseits ist er individueller Humanist und leidet an ihren negativen Auswüchsen: er kann ein breites Spektrum von Phänomenen an den neuen Informationstechnologien benennen, die sich zwar soziale psychische ‚Grundtriebe‘ des Menschen zu Nutze machen, die aber diese Menschen letztlich doch entrechten und verachten, indem alles, was man an Daten von diesen Menschen bekommen kann, an fremden, entlegenen, anonymen Orten speichert und in eigener Regie nutzt, ausnutzt, oft gegen die Interessen des Datenspenders.

ÄHNLICHKEITEN MIT NAZIREGIME ZUFÄLLIG?

7. Das Naziregime knüpfte auch am ‚gesunden Volksempfinden‘ an, schaffte auf den ersten Blick Erleichterungen, Wohltaten, Komfort, neue soziale Netze; Google, Facebook und Co weisen starke Ähnlichkeiten auf: sie bieten kostenlos allerlei persönlichen Komfort, neue Formen sozialer Vernetzungen, nehmen sich dafür aber alles, was sie von den Menschen bekomme können, treten deren Rechte mit Füßen, und bauen globale wirtschaftliche Nutzungszusammenhänge auf, die immer mehr Menschen ihre Arbeit nehmen, selbst aber Gewinne erzielen für noch mehr global-elitäre Geschäftstätigkeiten. In sich sind sie völlig intransparent, elitär, erscheinen menschenverachtend. Der Mensch wird so behandelt, als ob er keinen eigenen Wert hat, sondern nur insoweit, als er der globalen elitären Geschäftsidee nutzt.

UNSICHTBARE MONSTER?

8. Die Schwierigkeit bei dem Reden über diese neue Formen von Ausbeutung ist, dass vieles nicht direkt sichtbar wird, dass die Mechanismen ‚dahinter‘ verborgen sind in Netzwerken, in Serverfarmen, im Code der Software. Konnte man sich früher schon mal bei einem Menschen beschweren, wenn Verwaltungsabläufe Kritik hervorriefen, werden diese Verwaltungsabläufe heute von undurchschaubaren Engineeringverfahren erzeugt, in Software eingekleidet, für Politik, Recht und Öffentlichkeit ‚unsichtbar‘, absolut wie die mythischen Götter der Vorzeit. Öffentlichkeit und Politik sitzen vor diesen neuen Monster andächtig, wie das Kaninchen vor der Schlage; Arbeitsverluste, Steuerausfälle, Manipulation, Totalüberwachung erleidet und erduldet man, aber niemand handelt. So erzieht man sich immer größere Monster.

PARALLELE PHÄNOMENE, ÜBER DIE LANIER NICHTS SAGTE

9. Sind die Bilder, die Lanier in seiner Rede mit Blick auf die digitale Wirtschaft schon bedrückend genug, sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir in anderen Bereichen (Rohstoffe, Chemie, Pharma, Landwirtschaft …) ganz ähnliche Globalisierungseffekte erleben, die immer mehr auf Kosten der Menschen ‚vor Ort‘ den Reichtum weniger elitärer Gruppen ‚im Hintergrund‘ mehren, alles auf Kosten der Verwahrlosung der restlichen Welt (so scheint z.B. die WHO über die Finanzierung sich in den Händen weniger Großkonzerne zu befinden, die die Zertifizierungen von Produkten anderer Firmen verhindern bzw. das Ausbrechen bzw. Nichtausbrechen von medizinischen Katastrophen steuern können, ein einträgliches Milliardengeschäft, wie es scheint).

MENSCHENVERACHTENDE ELITEN?

10. Es ist dann möglicherweise kein Zufall, dass es genau die Wirtschafts- und Technologieeliten sind, die der Abschaffung des Menschen das Wort reden, transhumanistische Visionen begünstigen, Gehirn-Uploads und Unsterblickeitstechnologien favorisieren. So bizarr die hier einschlägigen Theorien momentan auch sein mögen, reflektieren sie auf jeden Fall einen Wertekosmos, der grundlegend menschenverachtend ist. Die rosigen Werbeslogans wirken vor diesem Hintergrund zynisch: man hätschelt den Konsumenten, den man grundlegend verachtet, rechtlich missbraucht und ökonomisch ausnimmt, um daraus den eigenen Wohlstand zu bauen; gleichzeitig bastelt man an Visionen, wie man sich von diesen lästigen Menschen befreien kann. Waren Hitler, Stalin, Mao (oder deren heutigen Nachfahren) so viel schlechter, weil sie keine Probleme hatten, viele Millionen Menschen zu opfern, weil sie einfach mal so nicht ins Konzept passten?

DIE PASSIVITÄT DER UNTERDRÜCKTEN

11. Man kann sich wundern, warum die Menschen, wir (!), dies alles mit uns machen lassen. Warum lassen wir die wenigen gewähren, die alle anderen ‚ausbeuten‘, ‚missbrauchen‘? Lanier hat dazu nicht viel zu sagen. Er zitiert das Wort vom ‚Rudelverhalten‘, das wir Menschen einen inneren Schalter haben, der, einmal umgelegt, uns dazu bringt, uns als ‚Rudel‘ zu verhalten, das auch vor größten Dummheiten und Ungeheuerlichkeiten nicht zurückschrecke.

12. Diese Rudelverhalten korreliert nach Lanier auf Seiten der Manipulierten stark mit Phänomenen wie Stammesverhalten, blinder Gefolgschaft, autoritären Strukturen, Gewalt, Terror, Nationalitäten. Auf Seiten der Eliten finden wir eine entsprechende Ethik und Gedanken wie den ‚Transhumanismus‘.

DER GESCHICHTSLOSE, VERLORENE MENSCH

13. Bei diesem düsteren – und durchgehend geschichtslosem und unökologischem – Bild der menschlichen Gesellschaft kann man sich fragen, wo denn hier irgendein Lichtschimmer der Hoffnung herkommen kann? Der Mensch, ein blasses rudelhaftes, von dunklen Trieben geleitetes Wesen – warum, wieso, weshalb sollte dieses Wesen eine Zukunft haben?

14. Lanier beruft sich mehrfach auf die Menschenrechte, optiert für eine breite Mitte, für Pluralismus und Nachhaltigkeit, lobt eine neue Sensitivität und Kreativität, preist die traditionellen Familienwerte, glaubt an den Menschen, schließt den Glauben an einen Gott nicht aus, aber diese optimistischen Ansätze bleiben seltsam matt, kraftlos, da nicht so recht zu sehen ist, worin diese Ansätze wirklich gründen sollen, warum diese stärker, wichtiger sein sollen als die dunklen Seiten der Mächte, die den einzelnen, das Rudel, die Menge der Konsumenten, die elitären Nutzer einer globalen Ausbeutung anzutreiben scheinen.

DAS BUCH ALS EINZELNER HEROISCHER AKT

15. Als eine gewisse Referenz an den Ort und an den Anlass der Rede schenkt er dem Publikum auch noch ein paar Bemerkungen zur Rolle und Bedeutung des Buches. Aus der Innensicht eines Autors weiß er zu berichten, dass der Akt des Buch Schreibens Lebenszeit konsumiert, ein minimales Engagement verlangt, dass ein Autor sich damit bis zu einem gewissen Grade verwundbar macht, dass dies aber unumgänglich erscheint, um individuelle Erfahrungen allgemein zugänglich zu machen. Diese Individualität sei notwendig, meint Lanier, und sieht hier auch einen gewissen Widerspruch zur monumentalen Internetenzyklopädie Wikipedia, die eher zur Nivellierung tendiert, zur Vereinheitlichung, zu einer Monopolisierung dessen, was und wie etwas gesagt werden darf.

16. Aktuelle Konflikte wie z.B. die zwischen Internet-Großhändlern wie amazon einerseits und klassischen Verlagen (die allerdings auch Internet nutzen) anderseits, oder die zwischen klassischen Zeitungen einerseits und neuen Webredaktionen andererseits kamen nicht direkt zur Sprache.

17. Auch die grundsätzliche Rolle einer funktionierenden Öffentlichkeit in einer Demokratie und deren potentielle Gefährdung durch die neuen Entwicklungen blieb unberührt. Genau sowenig thematisierte Lanier das Grundproblem des Wissens heute als Medium des globalen Denkens und Handelns.

WENN LANIER RECHT HAT …

18. Wenn Lanier Recht hat – und in vielen Punkten hat er Recht; die Phänomene, die er beschreibt gibt es wirklich, sie sind sehr real – dann ist der Gesamteindruck vordringlich eher düster. Die Macht der schmarotzenden Eliten auf Kosten der vielen ist da, wird täglich praktiziert. Die bislang eher passiv-abwartende Reaktion der betroffenen gesellschaftlichen Systeme und Subsysteme wirkt nicht sehr ermutigend. Das Fehlen eines gemeinsam geteilten Wertekanons als Gegenpol zu den globalen Ausbeutungstendenzen ist in der praktischen, gelebten Realität der Politik da; Menschenrechte stehen auf dem Papier, aber Länder wie z.B. die USA, Russland, China und Saudiarabien passen sie kompromisslos der aktuellen Machtpolitik an. In den USA heißt die Zauberformel ‚Staatsicherheit‘ und ‚wirtschaftlicher Erfolg der Eliten‘, in China ist es der Führungsanspruch der kommunistischen Partei, in Russland ist es der Führungsanspruch eines Putin, in Saudiarabien ist es eine theologisch verbrämte Autokratie. Als ‚Fremder‘ hat man in diesen Ländern keinerlei Rechtsanspruch, außer, er wird aus irgendwelchem Anlass auf Abruf eigens ‚gewährt‘ (und diese vier Länder sind keine Ausnahmen).

19. Die Rede von Lanier hinterlässt daher mehr offene Fragen als nützliche Antworten. Es gibt natürlich viele ermutigende gesellschaftliche Institutionen, Bewegungen und gelebte Wertmodelle, aus denen eine alternative, bessere Zukunft wachsen könnte, es gibt in Europa Länder die trotz allem wachsenden Lobbyismus und wachsender Korruption institutionalisierte Werteansätze leben, aber man kann nicht behaupten, dass wir aktuell einen weltweiten Konsens haben, der die von Lanier geschilderten negativen Auswüchse mit Leichtigkeit überwinden könnte. Die Menschen, die Menschheit steht hier – sicher nicht zum ersten Mal – vor einer Herausforderung, sich für die nächste Phase auf eine Weise ’neu erfinden zu müssen‘, die die aktuellen Probleme konstruktiv und nachhaltig löst. Woher nehmen wir das dazu notwendige Wissen? Was sind die leitenden Kriterien? Woher können wir wissen, was wir vielleicht aktuell noch nicht wissen? Gibt es gute Lösungen ohne vorausgehende Irrtümer, ohne vorausgehende Katastrophen, aus denen wir lernen können? Alle sind gefragt, jeder ist aufgerufen, keiner kann sich entschuldigen. Sterben müssen wir zwar alle, aber wie nutzen wir die kurze Zeit vor dem Tod?

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Philosophiewerkstatt Serie 2.0 – 9.Nov.2014 – DENKBAR Frankfurt

philosophieWerkstatt v2.0
philosophieWerkstatt v2.0

Hier kommt die erste Fortsetzung der

philosophieWerkstatt v2.0 am

Sonntag, 9.Nov.2014

16:00 – 19:00h
in der
DENKBAR Frankfurt
Spohrstrasse 46a

Essen und Trinken wird angeboten von Michas Essen & Trinken. Parken ist im Umfeld schwierig; evtl. in der Rat-Beil-Strasse (entlang der Friedhofsmauer).

Anliegen der Philosophiewerkstatt ist es, ein philosophisches Gespräch zu ermöglichen, in dem die Fragen der TeilnehmerInnen versuchsweise zu Begriffsnetzen verknüpft werden, die in Beziehung gesetzt werden zum allgemeinen Denkraum der Philosophie, der Wissenschaften, der Kunst und Religion. Im Hintergrund stehen die Reflexionen aus dem Blog cognitiveagent.org, das Ringen um das neue Menschen- und Weltbild.

9.November 14

Bei einer offenen Veranstaltung mit einem neuen Publikum weiß man natürlich nie genau, wie der Verlauf ist, wenn man sich wechselseitig im Gespräch ernst nimmt, ich kann aber sagen, was meine Intention an diesem Nachmittag sein wird:

Intention

  • Wie immer wird eine kleine ‚Aufwärmphase‘ geben durch Vorstellungen und Austausch von Erwartungen; dies wird beiläufig für alle sichtbar ‚mitprotokolliert‘.
  • Es folgt dann das ‚Gespräch über unser eigenes Wahrnehmen, Wissen und Denken‘: Was tun wir, wenn wir reden? Was heißt ‚Verstehen‘? Wie kommen die Wörter zu ihrer ‚Bedeutung‘? Wie entsteht in uns ‚Bedeutung‘? ….
  • Wir lesen also keine schlauen Bücher über philosophische Themen (das kann jeder zu Hause in seinem stillen Kämmerlein tun…), sondern wir ‚lesen in uns selbst‘, versuchsweise, experimentell. Philosophie am lebenden Objekt.
  • Klassisch könnte man sagen, beschäftigen wir uns anfangshaft mit Sprachphilosophie und Erkenntnistheorie.
  • Alles, was wir diskutieren, wird live in ‚Denkbildern‘ (nein, keine ‚mindmaps‘) festgehalten, indem wir unser Denken ‚aufmalen’… (wir folgen dabei keiner DIN Norm…).

Frische Erinnerungen

Bei dem zweiten Treffen haben wir als zusätzlichen Aufhänger die Ergebnisse vom ersten Treffen der philosophieWerkstatt vom 12.Oktober 2012. Bei diesem Treffen kamen sehr viele zentrale philosophische Begriffe ‚ans Tageslicht‘; ein erstes Begriffsnetz ‚zeigte sich‘ aus der Sicht der Teilnehmer. Daran kann man sehen, wie jeder von uns ein ‚Teil der Wahrheit‘ ‚mit sich herumträgt‘; wir müssen die Wahrheit in dem Sinne nicht ‚erfinden‘, sie ist quasi ‚anwesend‘ in unserer realen Existenz. Plakativ gesprochen: Wenn uns das philosophische Denken vom akademischen Betrieb ‚genommen‘ wurde, müssen wir es uns selbst zurückholen, indem wir es einfach tun: philosophisch denken, zusammen, live, ‚unplugged‘ ….

Essen, Musik, …

  • Essen und Trinken werden als angenehme Begleitumstände betrachtet, die das Denken anregen können.
  • Ich habe auch immer etwas experimentelle Musik im Gepäck; damit kann man gelegentlich ein paar ‚Störgeräusche‘ vor dem Hintergrund langjähriger verfestigter Klanggewohnheiten erzeugen (ein Presslufthammer kann nerven, aber er kann auch verfestigte Strukturen aufbrechen … :-)).

Musik-Beispiel

In der Reihe ‚anarchistische Musik‘ gabe es das Experiment Nr.29. Ausgangspunkt war die Aufzeichnung eines einfachen Schlagzeugspiels, das dann von einem zweiten einfachen Schlagzeugspiel ‚kommentiert‘ wurde. Diese Aufzeichnungen wurden algorithmisch mittels ‚Midi-Effekten‘ leicht ‚transformiert‘. Diese transformierten Midi-Versionen wurden zunächst analog aufgezeichnet und dann wiederum jeweils zweimal mit Algorithmen in neue Midi-Ereignisse umgerechnet. Diese Midi-Ereignisse wurden dann mit unterschiedlichen ‚Klanghüllen‘ (Mallets, Streicher) ‚belegt‘. Strenggenommen handelt es sich also um ein einziges Schlagzeug, das simultan 7-fach erklingt.

Einen Bericht vom 9.November findet sich HIER.

Einen Überblick zu allen bisherigen Blogeinträgen nach Titeln findet sich HIER.

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 22

(Letzte Änderungen: Mi 15.Okt.2014, 12:17h)

VORGESCHICHTE
Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

1. Im letzten Beitrag entstand die Arbeitshypothese, dass aufgrund des ‚fließenden‘ Bedeutungsübergangs zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten auf der Bedeutungsseite damit die Unterscheidung zwischen ‚Subjekt‘ (S) und ‚Prädikat‘ (P) auch fließend würde. Das würde die Unterscheidung ob die Terme ‚S‘ oder ‚P‘ sind aufheben. Anders ausgedrückt, die Terme in einer Schlussfigur erscheinen ‚invariant‘ bzgl. der Kategorisierung als ‚S‘ oder ‚P‘.

2. Verfolgt man den Gedanken der ‚Invarianz‘ weiter, dann sieht man sofort, dass die Anordnung der Prämissen 1 und 2 auch ‚invariant‘ ist gegenüber ‚Vertauschung‘. Hat man die Prämissen A1: (_ F M) und A2: (_M H) mit dem Muster, das die Schlussfigur 1 charakterisiert, dann erhält man durch Vertauschen der Reihenfolge A1: (_ M F) und A2: (_H M) die Schlussfigur 4 (die Avicenna nicht benutzt), und kann feststellen, dass diese Vertauschung nichts an der Bedeutungsstruktur und damit an der Folgerung ändert. Darüber hinaus sieht man, dass durch die Vertauschung der Prämissen auch die Quantoren der ersten und zweiten Prämisse gespiegelt wurden. Der ‚Wahrheitsgehalt‘ der Schlussfigur bleibt ‚erhalten‘.

Schlussfigur 1 mit Quantorenkombination 1-4 'gespiegelt' als Schlussfigur 4 mit Quantorenkombination 1-4, ebenfalls gespiegelt
Schlussfigur 1 mit Quantorenkombination 1-4 ‚gespiegelt‘ als Schlussfigur 4 mit Quantorenkombination 1-4, ebenfalls gespiegelt

3. Es lieg nahe, den ‚Spiegelungstest‘ auch mit den Schlussfiguren 2 und 3 vorzunehmen. Hier die Ergebnisse:

Alle Muster von Figur 2 samt inverse
Alle Muster von Figur 2 samt inverse
Alle Muster von Figur 3 samt Inverse
Alle Muster von Figur 3 samt Inverse

4. Man sieht, dass die Spiegelung in Form der Veränderung der ‚Abfolge‘ der Prämissen keine Wirkung auf den ‚Wahrheitsgehalt‘ besitzt. Dies wird verständlich, wenn man sich klar macht, dass die ‚Ausdrücke‘ E einer Sprache L ja nicht die ‚Bedeutung selbst‘ darstellen, sondern nur auf die Bedeutungsstrukturen ‚Bezug nehmen‘. Wie immer diese beschaffen sein mögen, die sprachlichen Strukturen ‚kodieren‘ diese nur. Und insoweit es sich bei den hier angesprochenen Sachverhalten um statische Beziehungsverhältnisse handelt, spielt die Abfolge der beschreibenden Äußerungen – zumindest in diesen Fällen — keine Rolle.

5. Fasst man alle Schlussfiguren (ohne ihre ‚bedeutungsgleichen‘ inversen Varianten) zusammen, dann erhält man folgende Tabelle:

Tabellarische Gesamtübersicht über alle Schlussfiguren 1-3 samt allen benutzten Quantorenkombinationen 1-11
Tabellarische Gesamtübersicht über alle Schlussfiguren 1-3 samt allen benutzten Quantorenkombinationen 1-11

6. Angesichts dieser vielen ‚Invarianzen‘ drängt sich verstärkt die Frage auf, was denn dann der ‚harte Kern‘ an Strukturen ist, an denen sich der ‚Wahrheitsgehalt‘ einer Folgerung orientiert.

7. Bislang hat sich schon herausgeschält, dass es um ‚Beziehungen zwischen Mengen‘ geht (welche Elemente in welchen Mengen vorkommen), und um Eigenschaften, die diesen Elementen ‚zugesprochen‘ werden.

8. Die Schlussfiguren 1-3 (bzw. 1-4) setzen in den Prämissen genau drei verschiedene Mengen F, H und M voraus, zwischen denen jeweils F und H eine Beziehung zu M haben. Insofern ist M der ‚Mittelterm‘ (und F und H sind die ‚äußeren‘ Terme). Gefragt wird dann immer nach der sich daraus resultierenden Beziehung zwischen F und H. Die ‚Antwort‘ auf diese Frage wird als ‚Schlussfolgerung‘ präsentiert. Das folgende Bild zeigt die Verteilung der Quantoren für alle Schlusfiguren samt ihren Inversen.

Gesamtübersicht Schlussfiguren 1-3 samt ihren Inversen und die Verteilung der Quantoren für jede Schlussfigur
Gesamtübersicht Schlussfiguren 1-3 samt ihren Inversen und die Verteilung der Quantoren für jede Schlussfigur

9. Man kann in dieser Darstellung schon sehen, dass es im Falle der Schlussfiguren 2 und 3 gar keine Spiegelung vergleichbar zu Figur 1 mit der Figur 4 gibt.

10. Betrachtet man nochmals Figur 1, dann kann man folgende Sachverhalte erkennen (siehe Bild): (i) Bei den Mengenverhältnissen gibt es eigentlich nur drei Fälle (A), (E) = (E-), sowie (A-). Zu jedem dieser drei Fälle für Prämisse 1 kann es dann wiederum kombinatorisch jeweils drei Fälle geben. Spielt man diese durch (das Bild zeigt dies nur für den Fall (A F M) in Prämisse 1), dann zeigt sich (ii) dass von den theoretisch möglichen Fällen 3 x 3 = 9 nur jeweils 3 x 2 = 6 geben kann. Dies ergibt sich daraus, dass eine Kombination von E und E bei dem Muster von Figur 1 zu keinem eindeutigen Schluss führt. Ein Partikularquantor E kann hier immer nur zusammen mit einem Allquantor A auftreten.

Systematik der Mengenverhältnisse am Beispiel von Figur 1
Systematik der Mengenverhältnisse am Beispiel von Figur 1

11. Es fragt sich, wieweit diese Überlegungen auch auf die anderen Schlussfiguren übertragbar sind. Im folgenden Bild sind nochmals alle formal möglichen Quantorenkombinationen für jede Schlussfigur aufgelistet mit der Legende: ‚1‘ := wird von Avicenna genannt, ‚?‘ := unbestimmt, ‚+‘ := würde einen Schluss zulassen:

Syllogismen Figuren 1-3, volle Quantorenverteilung
Syllogismen Figuren 1-3, volle Quantorenverteilung

12. In der Tabelle kann man erkennen, dass es neben den Einsen ‚1‘, die anzeigen, dass diese Quantorenkombinationen in den drei ‚Schlussfiguren Verwendung finden, bei allen Schlussfiguren Fragezeichen ‚?‘ gibt, aber auch Pluszeichen ‚+‘. Dies würde bedeuten, dass es weitere mögliche Schlüsse gäbe, die aber von Avicenna nicht genannt werden.

13. Die Klassifikation ‚?‘ bzw. ‚+‘ habe ich spontan vorgenommen, ‚intuitiv‘. Es fragt sich, ob diese ‚intuitive‘ Zuordnung ‚richtig‘ ist, Eine Antwort auf diese Frage setzt voraus, dass man irgendwelche ‚Kriterien‘ explizit machen kann, anhand deren man die ‚intuitive‘ Klassifikation explizit ‚begründen‘ oder ‚widerlegen‘ kann. Dies soll hier versucht werden.

14. Aus der Geschichte der modernen Logik sind zahlreiche formale Kalküle bekannt, deren ‚Wahrheitsfähigkeit‘
nachgewiesen worden ist. Im vorliegenden Fall wird die Frage aber in einem spezifischen Kontext gestellt: (i) wir setzten hier – versuchsweise — eine allgemeine Bedeutungsfunktion auf der Basis einer dynamischen Objektstruktur voraus und (ii) im Kontext der dynamischen Objektstruktur stellt sich die Frage, wie es möglich ist, ‚zweifelsfrei‘ von zwei vorgegebenen Beziehungen in den Prämissen auf eine dritte Beziehung als Folgerung zu ’schließen‘.

15. Diese Frage hat mindestens zwei Aspekte: (i) einmal, ob und inwieweit wir ‚im Rahmen unseres Bewusstseins‘ Kriterien finden können, die solch eine Unterscheidung unterstützen und (ii) wie die ‚Maschinerie unseres Denkens‘, die dem bewussten Denken vorgelagert ist, diese Aufgabe lösen kann. Dabei fragen wir nicht ‚empirisch‘, ’nicht naturwissenschaftlich‘, sondern ‚logisch, ‚philosophisch‘ in dem Sinne, ob wir überhaupt eine rationale Konstruktion (ein formales Modell) finden können, das eine Erklärung liefern könnte. Dass es dazu dann möglicherweise noch eine empirische Struktur geben könnte, die die Aufgabe ‚anders‘ löst, wäre interessant, würde aber in diesem Kontext dann keine Veränderung bewirken.

16. Es wird notwendig sein, alle 3x 16 Fälle einzeln anzuschauen und zu überprüfen.

17. Darüber hinaus kann man die Frage stellen, ob man die Betrachtung auf andere ‚Typen von wahrheitsfähigen Sachverhalten‘ (auf andere Typen von analytisch wahren Sachverhalten) noch ausweiten kann. Denn die Beispiele mit den Syllogismen der Figuren 1-3(4) sind sehr eng. Und da wir von der modernen formalen Logik wissen, dass man mit den modernen Kalkülen beliebig komplexe Strukturen beschreiben kann, ist die Frage nach weiteren Sachverhalten eigentlich nur eine ‚rhetorische‘ Frage. Allerdings würden wir damit in Richtung einer allgemeinen Logiktheorie steuern. Möglicherweise ist dies hier noch zu früh.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Günther Patzig, ‚Die Aristotelische Syllogistik‘, 3. verb.Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 1969
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER

GEMEINSAMKEIT IN DER VIELFALT – GRASWURZEL-/ BOTTOM-UP-PHILOSOPHIE – Memo zur philosophieWerkstatt vom 12.Okt.2014

Dieses Memo bezieht sich auf die philosophieWerkstatt v.2.0 vom 12.Okt.2014.

1. Ein neuer Ort, eine neue Zeit, neue Menschen …. die philosophieWerkstatt v2.0 ging an den Start und trotz schönem Wetter und vielen Grippeinfizierten gab es eine bunte Runde von Gesprächsteilnehmern die sich zu einem philosophischen Gespräch zusammen fanden.

2. In einer kleinen ‚Aufwärmphase‘ konnte jeder etwas von sich und seinen Erwartungen erzählen und es wurde ein erstes Begriffsfeld sichtbar, das von Vielfalt kündete und einen erkennbaren Zusammenhang noch vermissen lies (siehe nachfolgendes Bild).

Begriffe im Raum, unverbunden, der Anfang
Begriffe im Raum, unverbunden, der Anfang

3. Es stand die Frage im Raum, ob und wie man hier zu einem verbindlichen Zusammenhang kommen könne? Wie – hier vorgreifend auf das Ergebnis des Gespräches – das abschließende Gesprächsbild andeutet, kam es zu immer mehr Differenzierungen, wechselseitigen Abhängigkeiten, Verdichtungen und Abstraktionen, die – wenngleich noch zaghaft – eine erste Struktur andeuten, an der man bei einem Nachfolgegespräch weiter anknüpfen könnte.

Begriffe in einem beginnenden Zusammenhang, Umrisse einer Struktur
Begriffe in einem beginnenden Zusammenhang, Umrisse einer Struktur

BILDER VON DER WELT – BEDEUTUNG

4. Eine erste Wendung im Gespräch kam durch den Hinweis, dass die ‚Bedeutung‘, die wir von den ‚Ausdrücken‘ einer Sprache unterscheiden, ‚in unserem Kopf‘ zu verorten sei. Dort. ‚in unserem Kopf‘ haben wir ‚Bilder von der Welt‘ (‚Vorstellungen‘, ‚mentale Repräsentationen‘), die für uns ‚Eigenschaften der umgebenden Welt‘ repräsentieren.

VORWISSEN

5. Bald kam auch der Begriff des ‚Vorwissens‘, der ‚bisherigen Erfahrung‘, einer ‚Vorprägung‘ ins Spiel: gemeint war damit, dass wir in jedem Augenblick nicht vom Punkt Null beginnen, sondern schon Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht haben, die auf die aktuelle ‚Wahrnehmung der Welt‘ einwirken: als ‚Erwartungen‘, als ‚Vor-Urteil‘, als ‚Übertragung‘.

SOZIALER DRUCK

6. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass die ‚Interpretation der Wahrnehmung‘ von anderen Menschen (‚Gruppenzwang‘, ‚gesellschaftliche Gewohnheiten/ Erwartungen‘, ‚Prüfungssituationen‘) zusätzlich beeinflusst werden kann. Während man normalerweise spontan (fast unbewusst) entscheidet, wie man eine Wahrnehmung interpretieren soll (obgleich sie vieldeutig sein kann), kann dieser Prozess unter sozialem Druck gestört werden; wie zögern, werden unsicher, bemerken, dass die Situation vielleicht nicht eindeutig ist, und suchen dann nach Anhaltspunkten, z.B. nach den Meinungen der anderen. Oft ist es so, dass die ‚Mehrheit‘ besser ist als die Meinung eines einzelnen; die Mehrheit kann aber auch völlig daneben liegen (berühmtes Galileo-Beispiel).

ÄHNLICHKEITEN ZWISCHEN PERSONEN

7. Die Frage war, wie es denn überhaupt zu ‚Ähnlichkeiten‘ zwischen Personen kommen kann, wenn jeder seine Bilder im Kopf hat?

8. Ein Schlüssel scheint darin zu liegen, dass jeder seine Bilder in seinem Kopf anlässlich der Gegebenheiten der umgebenden Welt ‚formt‘. Sofern die umgebende Welt für alle die ‚gleiche‘ ist, lässt sich von daher eine gewisse Ähnlichkeit der Bilder motivieren.

9. Zusätzlich gibt es aber auch die Sachlage, dass die Körper der Menschen mit ihren Organen und Prozessen, insbesondere mit ihrem Gehirn und den darauf basierenden Information verarbeitenden Prozessen, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen allen Menschen aufweisen, so dass auch dadurch Ähnlichkeiten zwischen den Bildern im Kopf begünstigt werden.

BEGRENZUNG DES BEWUSSTSEINS

10. In der neuzeitlichen Orientierung am Bewusstsein als primärer Erkenntnisquelle (ungefähr seit Descartes und später bis zur Phänomenologie) gab es keine Ansatzpunkte, um diese implizite ‚Harmonie der Körper und Erkenntnisse‘ aufzuhellen. Die antike Philosophie – insbesondere Aristoteles und seine Schüler – hatte zwar Ansatzpunkte, die Erkenntnisse über die Welt einzubeziehen, aber die damaligen ‚Welterkenntnisse‘ reichten nicht aus, um das moderne empirische Wissen über die physikalische, chemische, biologische und kulturelle Evolution vorweg zu nehmen. Erst mit den neuen Wissenschaften und einer davon inspirierten Strömung einer ‚evolutionär inspirierten‘ Erkenntnistheorie und Philosophie lieferte erste sachdienliche Hinweise, dass die unübersehbare ‚Harmonie der Körper‘ auch ein Grund für die Ähnlichkeit zwischen den Bildern in den verschiedenen Köpfen sein kann.

SCHLÜSSEL EVOLUTION

11. Mehr noch, die verblüffende ‚Passung‘ von menschlicher Erkenntnis zur ‚umgebenden Welt‘ ist letztlich vollständig induziert von einer evolutionären Entwicklung, in der sich nur solche Organismen ‚durchsetzen‘ konnten, die relativ am besten die ‚lebensfördernden Eigenschaften‘ der umgebenden (aber auch in sich sich verändernden) Welt aufgreifen und nutzen konnten.

12. Wenn man davon sprechen kann, dass der Menschen ein ‚Ebenbild‘ sei, wie es biblische Texte nahelegen (hier ohne kritischen Kommentar), dann zunächst mal ein Ebenbild der vorgegebenen Erde als Teil eines Sonnensystems als Teil einer Galaxie als Teil eines BigBang-Universums (Weiterreichende Interpretationen sind damit per se noch nicht ausgeschlossen).

BILDER IM KOPF vs. WELT

13. Es wurde auch festgestellt, dass man zwischen den ‚Bildern von der Welt im Kopf‘ und den ’sprachlichen Ausdrücken‘ unterscheiden muss.

ALLGEMEINBEGRIFFE

14. Die ‚Bilder von der Welt‘ repräsentieren irgendwie (mal mehr, mal weniger ‚passend‘) die ‚Gegebenheiten‘ der umgebenden Welt. Dies geschieht durch eine ‚denkerische‘ Mixtur aus ’sinnlicher Erfahrung von Einzelnem‘ und ‚denkerischer Abstraktion von Allgemeinheiten‘, so dass wir in jedem Moment zwar einen einzelnen konkreten Gegenstand identifizieren können, zugleich aber auch immer einen ‚allgemeinen Begriff‘, eine ‚Kategorie‘ zur Verfügung haben, die anhand von ‚abstrahierten Eigenschaften‘ einzelne Gegenstände als ‚Beispiele‘ (‚Instanzen‘) einer allgemeinen Struktur erscheinen lässt. Unser Denken lässt gar nichts anderes zu; es ‚zwingt‘ uns zur ‚automatischen‘ (‚unbewussten‘) Konstruktion von ‚Allgemeinbegriffen‘.

SPRACHE UND DING

15. Es wurde darauf hingewiesen, dass wir ja auch verschiedene Sprachen sprechen und dass möglicherweise die ‚Bilder im Kopf‘ bis zu einem gewissen Grade unabhängig von der verwendeten Sprache sind. Deswegen können wir auch zwischen den Sprachen übersetzen! Weil die körpergebundenen Sachstrukturen – bis zu einem gewissen Grade – sprachunabhängig gegeben sind und sich ‚aufbauen‘, können die Ausdrücke einer Sprache L darauf Bezug nehmen und durch andere ‚bedeutungsgleiche‘ Ausdrücke ‚ersetzt werden.

VERÄNDERLICHE WELT vs. STATISCHE BILDER

16. Die ‚Bedeutung‘ sprachlicher Ausdrücke (ihre ‚Semantik‘) begründet sich also von den körperbedingten Objektstrukturen her. Wenn nun die umgebende Welt sich ändert (Prozess, Geschichte, Evolution, …), dann ändern sich zwar die Sachstrukturen in der Welt, nicht aber unbedingt synchron die Bilder im Kopf eines Menschen. Damit entsteht das, was wir oft erleben: Menschen benutzen Ausdrücke einer Sprache L, ‚Begriffe‘, ‚Termini‘, die sie mit bestimmten ‚Bildern im Kopf‘ verknüpfen (assoziieren), aber diese Bilder können ‚veraltet‘ sein, da sich die Gegebenheiten in der Welt mittlerweile verändert haben (im Gespräch wurde der Ausdruckswandel des Begriffs ‚Student‘ angesprochen).

EINFACH vs. KOMPLEX

17. Vor dem Hintergrund einer ‚erlernten‘ Bedeutung kann es dann passieren, dass die ‚erlernten‘ Bedeutungen aus einer früheren Zeit die Welt ‚einfacher‘ erscheinen lassen als die gegenwärtige Welt mit ihrer wachsenden Vielfalt (es standen die Bemerkungen im Raum, dass Mädchen und junge Frauen es früher ‚einfacher‘ gehabt haben sollen als Mädchen und junge Frauen heute).

WAS IST WAHRHEIT?

18. An diesem Punkt im Gespräch angekommen stellte sich nochmals die Frage nach der ‚Wahrheit‘, ein Begriff, der ganz am Anfang etwas isoliert im Raum stand.

19. Ausgangspunkt ist die alltägliche Beobachtung, dass wir manchen Aussagen als ‚richtig‘, manche als ‚falsch‘ bezeichnen. Dies knüpft an dem Umstand an, dass ‚Behauptungen über die Gegebenheiten der Welt‘ bis zu einem gewissen Grade ‚überprüfbar‘ sind. D.h. es scheint, dass wir die ‚Bilder in unserem Kopf‘ mit den sinnlich wahrnehmbaren Gegebenheiten der umgebenden Welt bis zu einem gewissen Grad so ‚vergleichen‘ können, dass wir eine ‚Übereinstimmung‘ oder ‚Nicht-Übereinstimmung‘ feststellen können, und zwar alle Menschen in gleicher Weise.

20. Wenn wir diesen grundsätzlichen Sachverhalt zum Ausgangspunkt nehmen, dann würde der Begriff ‚Wahrheit‘ in diesem Kontext bedeuten, dass eine Aussage mit ’sinnlicher Bestätigung‘ sowohl ‚richtig‘ als auch ‚wahr‘ wäre bzw. — falls keine Übereinstimmung vorliegt –, ’nicht richtig‘ bzw. ‚falsch‘ bzw. ’nicht wahr‘ wäre.

21. Bei diesem Interpretationsansatz werden damit die ‚Gegebenheiten der Welt‘ zum Ausgangspunkt, zur ‚Vorgabe‘, zum ‚Maßstab‘, an dem wir uns letztlich orientieren. Davon abgeleitet könnte man dann auch – ganz im Sinne der antiken Metaphysik und Ontologie – davon sprechen, dass ‚das Seiende‘, wie es uns – in gewissem Sinne ‚a priori‘ – vorgegeben ist, das ‚Wahre‘, die ‚Wahrheit‘ verkörpert, an der wir uns orientieren müssen, wollen wir im Sinn der Welt/ des Sonnensystems/ der Galaxie/ des BigBang-Universums/ des … ‚wahr‘ sein. Empirische Wissenschaft ist dann nichts anderes als antike Metaphysik (dafür gäbe es noch mehr Argumente).

22. Eine solcherart (ontologisch) verstandene Wahrheit ist dann nicht beliebig, sondern eher ‚verpflichtend‘: wer das ‚Leben‘ ‚achtet‘ und ‚liebt‘ muss sich eigentlich an dieser Wahrheit orientieren. Dies wäre damit auch die mögliche Begründung einer ‚Ethik des Lebens‘, die sich z.B. als ‚ökologisches Denken‘ manifestiert.

ANALYTISCH WAHRHEIT

23. Wenn wir annehmen, dass wir zu einem bestimmten Zeitpunkt ‚Bilder im Kopf‘ von der umgebenden Welt haben und wir diese Bilder als ‚zutreffen‘ – sprich als ‚wahr‘ – betrachten, dann können wir oft auch auf der Basis dieser vorausgesetzten Bilder ‚Schlüsse ziehen‘. Berühmt sind die Beispiele mit Syllogismen wie (Annahme 1) ‚Alle Menschen sind sterblich‘, (Annahme2:) ‚Sokrates ist ein Mensch‘, (Schluß:) ‚Sokrates ist sterblich‘. Nimmt man an, dass Annahme 1 und 2 ‚wahr‘ sind, dann folgt ‚analytisch‘ (ohne Bezug auf die aktuelle empirische Welt), der Schluss. Die Wissenschaft der Logik arbeitet im Prinzip nur mit solchen analytischen Schlüssen und ihren möglichen (formalen) Formen. Sie weiß als Wissenschaft der Logik nichts von der Welt (was sich auch darin auswirkt/ auswirken kann, dass sie formale Strukturen entwickelt, die mehr oder weniger ‚unbrauchbar‘ für das weltbezogene Alltagsdenken sind).

ALLE SIND TRÄGER DER WAHRHEIT

24. Rückblickend zu diesem Gespräch kann man also sagen, dass letztlich jeder Stücke der allgemeinen Wahrheit mit sich herum trägt und dass es eigentlich nur darauf ankommt, diese einzelnen Fragmente zusammen zu sammeln und sie in rechter Weise ‚zusammen zu fügen’… Graswurzel-Philosophie … Bottom-Up Philosophie … induktives Denken …

Die Ankündigung zur nächsten Sitzung am 9.Nov.2014 findet sich HIER.

Für einen Überblick über alle Blogeinträge zur Philosophiewerkstatt siehe HIER

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

FIGUR 1, MUSTER 3, MIT DEN QUANTOREN EAE

1. Für diese Figur benutzt Avicenna die Ausdrücke ‚E S sind G‘, ‚A G haben F‘, ‚E S haben F‘. Dazu die Beispiele ‚Einige Substanzen sind Geister‘, ‚Alle Geister haben eine Form‘, ‚Einige Substanzen haben eine Form‘.

2. Wie immer unterstellen wir zunächst eine abstrakte Bedeutung repräsentiert in der unterstellten dynamischen Objektstruktur Oa, losgelöst von der Frage der empirischen Geltung.

3. Die Zuordnung von Muster (E S sind G) zum Ausdruck ‚Einige Substanzen sind Geister‘ ergibt die Abkürzungen ‚E := Einige‘, ‚S := Substanzen‘, ‚G := Geister‘.

4. ‚S‘ und ‚G‘ repräsentieren echte Objekte und lassen sich damit als Mengen von potentiellen Elementen darstellen mit der Aussage, dass es Elemente gibt, die in beiden potentiellen Mengen vorkommen, also z.B. $latex S \cap G \not= \emptyset$.

5. Die Zuordnung von Muster (A G haben F) zum Ausdruck ‚Alle Geister haben eine Form‘ ergibt die Abkürzungen ‚A := Alle‘, ‚G := Geister‘, und ‚F := Form‘.

6. In diesem Beispiel liegt wieder der Fall vor, dass mit dem Term ‚F‘ als ‚Form‘ hier ein ‚unechtes‘ Objekt, also eine ‚Eigenschaft‘ vorliegt, was auch durch das Beziehungswort ‚haben‘ ausgedrückt wird. Man würde also sagen müssen, dass alle G die Eigenschaft haben, eine Form ‚F‘ zu besitzen, oder noch ausdrücklicher: alle potentiellen Elemente der Menge G (Geister) haben auch die Eigenschaft, eine Form ‚F‘ zu besitzen. Da Eigenschaften nie alleine auftreten können, könnte man hier interpolieren und sagen, es gibt eine ein unbekanntes Objekt, dessen potentiellen Elemente die Eigenschaft besitzen, eine Form zu sein. Dann gibt es die Menge der Objekte, die eine Form haben; nennen wir diese abkürzend F‘. Dann könnte man sagen, dass alle potentiellen Elemente von G auch potentielle Elemente von F‘ sind, also etwa $latex G \subseteq F’$. Oder man belässt es bei der einfachen Zuweisung einer weiteren Eigenschaft F im Sinne von $latex \forall x(G(x) \longrightarrow F(x))$. Diese Formulierung zeigt, dass wir sprachlich quasi automatisch die Mitgliedschaft in einer Menge G so interpretieren, als ob das Element x das in G ist, die ‚Eigenschaft G habe‘. So, wie wir umgekehrt aus dem ‚haben einer Eigenschaft F‘ auf die ‚Elementschaft in einer potentiellen Menge F‘ schließen. Dies kann man als ein ‚Indiz‘ dafür sehen, dass es sich mit den angenommenen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten um einen tiefliegenden (transzendentalen) Mechanismus des Alltagsdenkens handelt.

7. Wenn also gelten soll, dass einige Elemente von der potentiellen Menge S auch Elemente der potentiellen Menge G sind, zugleich aber alle Elemente der potentiellen Menge G die Eigenschaft F haben (bzw. in der Menge der potentiellen Elemente von F‘ sind), dann ‚vererbt‘ sich diese Eigenschaft auch auf einige Elemente der potentiellen Menge von S, also ‚Einige Substanzen haben eine Form‘ bzw. mit ‚E:=Einige‘, ‚S:=Substanzen‘ und ‚F:=Form‘ dann (E S haben F).

8. Die Argumentation basiert wieder auf dem Vorhandensein von Mengenrepräsentationen, dem Enthaltensein in diesen Mengen mit den Anzahlverhältnissen, sowie der ‚Vererbung‘ aufgrund von vorhandenen ‚Zuschreibungen‘.

FIGUR 1, MUSTER 4, MIT DEN QUANTOREN E(A-)(E-)

9. Für diese Figur benutzt Avicenna die Ausdrücke ‚E S sind G‘, ‚A G nicht haben B‘, ‚E S nicht haben B‘. Dazu die Beispiele ‚Einige Substanzen sind Geister‘, ‚Alle Geister haben keinen Körper‘ (als: ‚Kein Geist hat einen Körper‘), ‚Einige Substanzen haben keinen Körper‘.

10. Die Zuordnung von Muster (E S sind G) zum Ausdruck ‚Einige Substanzen sind Geister‘ ergibt die Abkürzungen ‚E := Einige‘, ‚S := Substanzen‘, ‚G := Geister‘.

11. ‚S‘ und ‚G‘ repräsentieren echte Objekte und lassen sich damit als Mengen von potentiellen Elementen darstellen mit der Aussage, dass es Elemente gibt, die in beiden potentiellen Mengen vorkommen, also z.B. $latex S \cap G \not= \emptyset$.

12. Die Zuordnung von Muster (A G nicht haben B) zum Ausdruck ‚Alle Geister nicht haben einen Körper‘ (mit ’nicht haben einen‘ als ‚haben keinen‘) ergibt die Abkürzungen ‚A := Alle‘, ‚G := Geister‘, und ‚B := Körper‘.

13. In diesem Beispiel liegt wieder der Fall vor, dass mit dem Term ‚B‘ als ‚Körper‘ hier ein ‚unechtes‘ Objekt vorliegt, das als ‚Eigenschaft‘ dem Objekt G zugesprochen wird. Andererseits wird der Term ‚Körper‘ oft auch als echtes Objekt im Sinne von ‚der Körper da‘ verwendet (In der englischen Übersetzung wird die Verwendung als echtes Objekt benutzt; ich weiß nicht, was im Urtext steht. Letztlich spielt es keine entscheidende Rolle. Wie wir lernen: echte und unechte Objekte können sich wechselseitig leicht ’substituieren‘). Würde man aus der Eigenschaft ‚Körper‘ ein Objekt Körper B‘ machen, dann hätten wir die Verhältnisse $latex G \subseteq B’$. Würden wir mehr den Eigenschaftscharakter betonen, dann bliebe es bei $latex \forall x(G(x) \longrightarrow B(x))$.

14. ‚E S sind G‘, ‚A G nicht haben B‘, ‚E S nicht haben B‘.

15. Wenn also gelten soll, dass einige Elemente von der potentiellen Menge S auch Elemente der potentiellen Menge G sind, zugleich aber alle Elemente der potentiellen Menge G nicht die Eigenschaft B haben (bzw. nicht in der Menge der potentiellen Elemente von B‘ sind), dann ‚vererbt‘ sich diese Eigenschaft auch auf einige Elemente der potentiellen Menge von S, also ‚Einige Substanzen haben keinen Körper‘ bzw. mit ‚E:=Einige‘, ‚S:=Substanzen‘ und ‚B:=Körper‘ dann (E S nicht haben B).

16. Die Argumentation basiert wieder auf dem Vorhandensein von Mengenrepräsentationen, dem Enthaltensein in diesen Mengen mit den Anzahlverhältnissen, sowie der ‚Vererbung‘ aufgrund von vorhandenen ‚Zuschreibungen‘.

ZUSAMMENFASSUNG SYLOGISMUS FIGUR 1, MUSTER 1-4

17. Betrachten wir alle vier Muster von Figur 1.

1 2 3 4
Annahme 1 A A E E
Annahme 2 A A- A A-
Folgerung A A- E E-

18. Die Prämissen haben die Form (AA), (A(A-)),(EA), (E(A-)). Von der Mengenstruktur her betrachtet, die sich über die Objektzuordnung ergibt, zeigt sich hier (i) das Verhältnis, dass Entweder Alle (A) Elemente der Ausgangsmenge (Nebenannahme, Minor) auch in der zweiten Menge (Hauptannahme, Major) sind oder nur Einige (E). Dann wird die Eigenschaftszuweisung für die zweite Menge (Major) festgelegt: (ii) Entweder haben alle (A) Elemente eine bestimmte Eigenschaft X oder ‚Alle nicht‘ (A-) bzw. ‚keines‘. In der nachfolgenden Folgerung (iii) lässt sich dann mittels ‚Vererbung‘ sagen, dass alle Elemente aus der zweiten Menge (Major), die eine Eigenschaft X haben entweder entsprechend sich auch auf alle (A) oder einige (E) Elemente der ersten Menge (Minor) vererben. Im negativen Fall, wenn kein Element (A-) aus der zweiten Menge (Major) die Eigenschaft X hat, entsprechend nicht. So gesehen repräsentiert die zweite Annahme (Major) tatsächlich den zentralen Sachverhalt. Die erste Annahme (Minor) erscheint dann wie eine Art ‚Filter‘ des zweiten Sachverhalts.

19. Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob dies alle Muster sind, die mit der Figur 1 möglich sind oder nicht. Zur Erinnerung hier nochmals die Strukturen der drei Schlussfiguren:

Avicenna Grundstrukturen der drei syllogistischen Schlussfiguren des konjunktiven Syllogismus
Avicenna Grundstrukturen der drei syllogistischen Schlussfiguren des konjunktiven Syllogismus

20. Man sieht, dass die drei Figuren sich nur darin unterscheiden, wie die verbindenden Termine zwischen der ersten und zweiten Prämisse verteilt sind: (i) diagonal2, (ii) vertikal rechts, (iii) vertikal links.

21. Würde man die beiden Prämissen vertauschen, würde aus diagonal2 die Anordnung diagonal1. Inhaltlich würde dies keinen Unterschied machen.

22. Die Anordnung vertikal rechts bzw. vertikal links unterscheidet sich formal darin, dass die Aussagestruktur ’normalerweise‘ als (S P) angenommen wird, also links ein Objekt, von dem der Sachverhalt P ausgesagt wird, wobei der Sachverhalt P sehr oft die Zuweisung einer Eigenschaft ist (‚hat einen Körper‘, ‚hat eine Form‘, ‚ist sterblich‘, usw.). Nimmt man dies an, dann würde mit ‚vertikal links‘ bzw. ‚vertikal rechts‘ zwei unterschiedliche Sachverhalte markiert. Wie wir aber an den Beispielen schon gesehen haben, ist der Charakterisierung als P bzw. S ‚fließend‘: man kann (immer?) ein P als S interpretieren und ein S als P. Damit würde die Unterscheidung von ‚vertikal rechts‘ bzw. ‚vertikal links‘ hinfällig. Damit würde alles, was für Figur 2 gilt, auch für Figur 3 zutreffen. Genauso könnte man aufgrund des ‚fließenden‘ Charakters von S und P die Frage stellen, inwieweit die Unterscheidung von Figur 1 zum Unterschied von 2 und 3 aufrecht erhalten werden kann.

23. Die Arbeitshypothese würde hier also lauten: Figur 1 = Figur 2 = Figur 3 bezogen auf die zugrundeliegenden Bedeutungsstrukturen. Dies würde bedeuten, dass die Quantorenkombinationen der drei Figuren ‚gleich möglich‘ sein sollten. Dies soll in den nächsten Beiträgen überprüft werden.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 20

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 9.Oktober 2014
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

FIGUR 1 MIT DEN QUANTOREN A(A-)(A-)

1. Für diese Figur benutzt Avicenna die Muster ‚A F ist B‘, ‚A B ist nicht H‘ als ‚Kein A ist B‘, ‚A F ist nicht H‘ als ‚Kein F ist H‘, dazu die Beispiele ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘, ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, ‚Kein ausgedehnter Körper ist unerschaffen‘.

2. Wir haben als echte Objekte die ‚Körper‘ mit der zusätzlichen Eigenschaft, ‚ausgedehnt‘, dies ergibt die Menge F := ‚ausgedehnte Körper‘. Im Falle des Terms ‚B‘ wird es schwierig. In dem Ausdruck ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘ repräsentiert ‚farbige Körper‘ ein B‘ als die Menge der ‚farbigen Körper‘; im Ausdruck ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘ (A F ist B) steht der Termin ‚B‘ aber für eine Eigenschaft ‚farbig‘ eingebettet in eine Zuschreibungsbeziehung ‚ist‘, so dass – implizit — gesagt wird, dass alle Elemente aus der Menge F die Eigenschaft haben, ‚farbig zu sein‘. Wir haben also B=’farbig‘ und B’=’farbige Körper‘. Im direkten Vergleich ist B und B‘ nicht gleich! Man kann zwar aus (A F ist B) folgern, dass gilt ‚Jeder ausgedehnte Körper ist ein farbiger Körper‘, aber das hat Avicenna nicht explizit hingeschrieben. Explizit müsste man schreiben (A F ist B) mit B := ‚farbig‘, (A F sind B‘) mit B‘ := ‚farbige Körper‘, und dann (A B‘ nicht sind H), dann (A F nicht sind H).

3. Im Fall des Ausdrucks ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, also (A B‘ ist nicht H) benutzt Avicenna ‚unerschaffen‘ wieder als Eigenschaft. Der Ausdruck ‚erschaffen‘ ist ursprünglich eine Tätigkeit, die eine Beziehung zwischen Objekten bezeichnet, üblicherweise als ‚X erschafft Y‘ mit der Umformung ‚Y wurde (von X) erschaffen‘. Die Verneinung wäre (Nicht ‚Y wurde (von X) erschaffen‘), geschrieben als ‚Y wurde (von X) nicht erschaffen‘, was umgeformt werden kann in die Eigenschaft ‚unerschaffen‘, ‚Y ist unerschaffen‘. Y ist dann ein echtes Objekt mit der Eigenschaft ‚unerschaffen‘.

4. Im Ausdruck ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘ wird also eine Beziehung hergestellt zwischen der Menge der farbigen Körper (B‘) und der Eigenschaft ‚unerschaffen‘ zu sein. Diese Beziehung ist ’negativ‘, insoweit gesagt wird, dass kein Element aus der Menge der ‚farbigen Körper‘ B1 die Eigenschaft ‚unerschaffen‘ H haben soll.

5. Damit haben wir in den ersten beiden Ausdrücken dieses Musters des Syllogismus zweimal das Schema, dass es ein echtes Objekt gibt, und in einem Fall wird den Elementen des Objektes eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen (Alle F … sind …), im anderen Fall wird eine Eigenschaft abgesprochen (Alle B‘ …. nicht sind …).

6. Zusätzlich wird (implizit) eine Enthaltensbeziehung festgestellt im Sinne von ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘ und ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘: $latex F \subseteq B’$, $latex B1 \subseteq \overline{H‘}$. Daraus folgt ‚analytisch‘, dass gilt $latex F \subseteq \overline{H‘}$.

OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG, VERERBUNG, QUANTOREN

7. Wir treffen in diesem Muster mit den Beispielen wieder auf den Prozess der Objektifizierung, tatsächlich sogar in impliziten Formen mit der expliziten Angabe von Eigenschaften und der stillschweigenden Annahme einer daraus sich ergebenden Mengenbildung.

8. Zusätzlich finden sich wieder Enthaltensbeziehungen einerseits anhand von Eigenschaftszuschreibungen, andererseits durch Benutzung von Anzahlquantoren.

9. Die Zuschreibung von Eigenschaften wird explizit vorgenommen.

10. Eine Vererbung von Eigenschaften von einer Menge zur anderen tritt nur implizit über eine Enthaltensbeziehung auf.

11. Es tritt nur eine Sorte von Quantoren auf.

12. Auch sei angemerkt, dass außer der Negation kein weiterer aussagenlogischer Operator auftritt.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 19

(Letzte Änderung: 3.Oktober 2014, 08:47h)

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

1. Bei der Beschreibung der ‚Bedeutung‘ der logischen Ausdrücke in einer syllogistischen Figur wurde im letzten Beitrag Gebrauch gemacht von Diagrammen, in denen ‚Kreise‘ ‚Mengen‘ repräsentieren und die Anordnung der Kreise ‚Mengenverhältnisse‘.

2. Diese Vorgehensweise ist nicht neu und wird vielfach benutzt. Am bekanntesten ist wohl der Begriff ‚Venn-Diagramm‘.

3. So bekannt die Methode von verdeutlichenden Mengendiagrammen einerseits ist, so wenig tragen diese Methoden bislang zum wirklichen Verständnis des Gesamtzusammenhanges bei. Uns interessiert ja hier der Mensch als ’semiotisches System‘, als ein ‚adaptives Input-Output-System‘, das sowohl Objektstrukturen $latex perc(X,W)=I, O \subseteq I$ aus der umgebenden Welt W wahrnehmen kann wie auch – von den Objekten unterschiedene – Ausdrucksstrukturen $latex perc(X,W)=I, E \subseteq I$, die sich auf die Objektstrukturen beziehen können.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

4. Entsprechend der Begriffe, die in Teil 14b eingeführt worden sind (und dann in den nachfolgenden Beiträgen weiter differenziert wurden), bilden die Objekte O eine dynamische Hierarchie mit impliziten Raum-, Zeit- und Anzahlstrukturen, angereichert mit diversen Beziehungen innerhalb dieser Strukturen. Wenn wir von der ‚Bedeutung‘ M der logischen Ausdrücke E – also M(E) — sprechen wollen, dann müssen wir diese gesamte dynamische Objektstruktur ins Auge fassen. Man wird zwar erwarten, dass sich die Strukturen, die in Mengendiagrammen verdeutlicht werden, in der dynamischen Objektstruktur ‚wiederfinden‘, aber man muss in einzelnen konkreten Schritten (‚konstruktiv‘) aufzeigen, wie dies gehen könnte.

FIGUR 1 MIT DEN QUANTOREN AAA

5. Betrachten wir die Struktur des ersten Syllogismus mit der Quantorenkombination (A F B), (A B H) und (A F H).

6. Wenn gesagt wird, dass ‚Alle F sind B‘ und ‚Alle B sind H‘, dann handelt es sich bei dem Quantor ‚Alle‘ um einen ‚Anzahlquantor‘, der sich auf Objekte bezieht, die entsprechend Elemente enthalten, über die man solche Aussagen machen kann. Nach der bisherigen Analyse geht dies nur, wenn sich die Ausdrücke ‚F‘, ‚B‘ und ‚H‘ auf ‚echte Objekte‘ aus Oa beziehen. Die Menge der ‚Elemente‘ eines echten Objektes kann man in der Tat mittels eines ‚Kreises‘ ‚modellieren‘ in dem Sinne, dass die Kreisfläche alle Elemente symbolisiert, die zum echten Objekt gehören.

7. Da wir es im ersten Beispiel (A F B), (A B H) und (A F H) ausschließlich mit echten Objekten zu tun haben, könnten wir für jedes dieser Objekte ein Kreismodell benutzen.

8. Die Aussagen (A F sind B), (A B sind H) und (A F sind H) stellen jeweils (i) eine Beziehung zwischen den Elementen von zwei Mengen her und (ii) machen Angaben zu der Anzahl; in diesem Fall ‚Alle‘.

9. Grundsätzlich gibt es folgende Möglichkeiten: ELEMENTSCHAFT: (i) Ein Element x aus einer Menge A ist auch Element von einer anderen Menge B oder (ii) eben nicht. Zusätzlich gibt es die ANZAHL: (iii) Die festgestellte Elementschaft trifft auf ‚Alle‘ Elemente zu oder (iv) ’nicht‘ auf ‚alle‘, d.h. ‚einige‘. Oder (v) ‚Für Alle nicht‘, also ‚keine‘.
10. Benutzt man das Kreismodell, dann kann man die Elementschaftsbeziehung eines Elementes x dadurch ausdrücken, dass man x ‚in‘ einem Kreis notiert oder ‚außerhalb‘.

11. Die Anzahlbeziehung könnte man dann grundsätzlich so ausdrücken, dass (i) bei ‚Allen‘ Elementen alle Elemente eines Objektes A auch im Objekt B sind, d.h. die beiden Kreise überdecken sich vollständig. Bei (ii) ‚Nicht Alle = Einige‘ gibt es Elemente eines Objektes A, die auch im Objekt B sind, aber nicht alle. In diesem Fall würden sich im Kreismodell die beiden Kreise A und B teilweise überdecken/ überlappen. (iii) Bei einer Aussage wie ‚Einige A sind nicht B‘ ist zwar klar, dass einige Elemente von A definitiv nicht in B sind, aber was weiß man von den anderen Elementen von A? Kann man zwingend davon ausgehen, dass diese dann in B sind? Denkbar wäre, dass alle anderen Elemente von A, die nicht in B sind zu einer anderen Menge C gehören und man nur darauf hinweisen wollte, dass einige mit Blick auf B nicht in B seien. Insofern wäre eine Aussage wie ‚Einige A sind nicht B‘ zunächst ‚unterbestimmt’/ ’nicht vollständig definiert‘, solange man keine speziellen Verabredungen trifft. Schließlich (iv) hat man noch den Fall ‚Alle A sind nicht B‘. Dies ist wieder eindeutig. Fasst man alle Elemente außerhalb von B als das ‚Komplement von B‘ ($latex \overline{B}$) auf, dann kann man sagen, dass alle Elemente von A in dem Komplement sind; keines ist in B.

Modellierung von Objekten mitels Kreisen
Modellierung von Objekten mitels Kreisen

12. Grafisch sieht dies so aus (siehe Diagramm): (i) zwei Kreise sich entweder vollständig überlappen (zwei Objekte sind ‚identisch gleich‘) – was im Beispiel nicht vorkommt –, oder (ii) ein Kreis ist völlig in einen anderen eingebettet (ein Objekt ist eine Teilmenge von einem anderen), oder (iii) zwei Kreise überschneiden sich partiell, oder (iv) zwei Kreise sind völlig voneinander getrennt (was man alternativ auch so ausdrücken kann, dass der eine Kreis eine Teilmenge des Komplements des anderen Kreises ist.

Modellierung von Objekten mittels Kreisen im Fall von Komplementen
Modellierung von Objekten mittels Kreisen im Fall von Komplementen

13. Während sich der explizite Bezug eines Objektes A zu einem Objekt B konkret und konstruktiv darstellen lässt, zeigen sich im Falle von ‚Komplementbildungen‘ (siehe Diagramm) Probleme. Die rein grafische Modellierung erlaubt keine klare Zuordnung von zwei Komplementen. Dazu bräuchte man zusätzliche Informationen. Diese könnte man z.B. durch explizite Aufstellung von ‚Axiomen‘ gewinnen. Will man aber die ‚Logik des tatsächlichen Sprachgebrauchs‘ nicht ‚verbiegen‘, muss man zuvor die Frage stellen, ob sich Anhaltspunkte aus dem dynamischen Objektmodell gewinnen lassen.

14. Nimmt man beispielsweise an, dass das dynamische Objektmodell ein ‚bottom-up‘ Modell ist, das seinen Ausgang bei konkreten, endlichen Wahrnehmungsereignissen Os nimmt, die mittels einer vorgegebenen Verarbeitungsmaschinerie (Gehirn, Algorithmus) in eine abstrakte Struktur von Objektebenen übersetzt werden, dann würde man vermuten, dass diese Maschinerie grundsätzlich von endlichen Mengen ausgeht, deren Informationsgehalt durch entsprechende Operationen ‚ausgewertet‘ wird. Die Bildung von – quasi ‚unendlichen‘ – ‚Komplementen‘ zu endlichen Strukturen ist dann zwar als Operation definierbar, aber wäre nur erklärt für den ‚endlichen Anteil‘. Das ‚Verhalten im quasi Unendlichen‘ wäre nicht wirklich definiert; es würde dann zwar ‚begrifflich existieren‘, aber wäre ‚praktisch nicht nutzbar‘. Letzteres wäre auch ’systemgefährdend‘, da die Annahme von Elementen in einem nur abstrakt konstruierbaren ‚unendlichen Raum‘ schnell in ‚Gefahrenzonen‘ führen kann.

15. Würde man dies die ‚generelle Endlichkeitsannahme‘ [GenEndl] nennen, dann wäre dies eine Art ‚Meta-Axiom‘, mit dem man die verschiedenen logischen Beziehungen als ‚zulässig‘ oder ’nicht zulässig‘ qualifizieren könnte [Mit dem philosophischen Konstruktivismus hat diese Endlichkeitsthese hier nur bedingt etwas zu tun].

ECHTE OBJEKTE und VERERBUNG

16. Es wurde oben schon festgestellt, dass die in der ersten Figur zugrunde liegende Annahme bzgl. der Art der Objekte in der Rekonstruktion dieses Blogs ‚echte Objekte‘ sein müssen, also Objektrepräsentationen, in denen Objekte repräsentiert werden, die echte Eigenschaften haben und denen man aufgrund dieser Charakterisierung andere Eigenschaftsvorkommnisse als Elemente zuordnen kann. Ferner gilt in dieser Rekonstruktion, dass die dynamische Objektstruktur automatisch auch Raum und Zeit bereitstellt sowie eine Vielzahl von impliziten Beziehungen.

17. Wenn nun das Schema sagt ‚Alle F sind B‘ und ‚Alle B sind H‘ gefolgt von ‚Alle F sind H‘, dann haben wir drei echte Objekte F, B und H, die so beschaffen sein müssen, dass man über die potentiellen Elemente dieser echten Objekte reden kann.

18. In der dynamischen Objekthierachie O werden ‚echte Objekte‘ im Bereich O – Os primär über ihr ‚Objektprofil‘ repräsentiert (eine Menge charakteristischer Eigenschaften) ergänzt um eine endliche Menge von ‚Beispielen‘. Sei P_F das Profil für echte Objekte der Art F, P_B und P_H entsprechend die Profile für die Objektmengen B und H.

19. Zu sagen, dass ‚Alle F sind B‘ würde dann bedeuten, dass alle charakterisierenden Eigenschaften des Objektprofils P_F auch im Objektprofil von P_B vorkommen. Dies würde gelten, unabhängig davon, wie viele ‚reale‘ Elemente beide echten Objekte tatsächlich enthalten! Man könnte daher auch direkt hinschreiben $latex P_{F} \subseteq P_{B}, P_{B} \subseteq P_{H}, P_{F} \subseteq P_{H} $. Hier zeigt sich eine ‚transitive‘ Beziehung des Enthaltenseins.

20. Das Auftreten von drei echten Objekten in einer syllogistischen Schlussfigur stellt allerdings – gemessen am alltäglichen Denken – eine Art Spezialfall dar. In vielen – den meisten ? — Fällen setzen wir nicht echte Objekte alleine in Beziehung sondern betten echte Objekte ein in Veränderungsbeziehungen wie z.B. ‚Hans schaut Sonja an‘, ‚Die Sonne geht gerade auf‘, ‚Das berühmte rote Auto biegt um die Ecke‘, ‚Alle Nachbarn von Sonja sehen das rote Auto‘, ‚Hans ist ein Nachbar von Sonja‘, usw.

21. In solchen Sätzen nach dem Schema ‚S P‘ repräsentiert das Prädikat P dann eben die Veränderung und mögliche Begleitumstände.

22. Setzen wir F= ‚Die Nachbarn von Sonja‘ und ‚B1= ‚Das rote Auto‘, dann können wir schreiben (A F sehen B1). Setzen wir H1= ‚Hans‘, dann können wir schreiben (– H1 ist F). Da der Ausdruck ’sehen‘ keine ‚Enthaltensbeziehung‘ repräsentiert, sondern eine bestimmte Form von Aktivität, liegt keine mögliche Enthaltensbeziehung zwischen F und B1 vor. Wohl aber zwischen F und H1 im Sinne von $latex B1 \in F$. Dann kann man fragen, ob die Aktivität, die für ‚Alle F‘ gilt, damit auch für H1 gilt, da H1 ja ein Element von F ist. Von der Grundstruktur her würde unser Denken dies bejahen; wir denken einfach so. Also folgern wir ‚automatisch‘ (– H1 sieht B1).

23. Dies bedeutet, wenn es Profile von echten Objekten gibt, denen zusätzliche Eigenschaften zugeordnet werden – z.B. Aktivitäten –, dann wird gefolgert dass die zugeordneten Aktivitäten auf alle Elemente des Profils ‚übertragen‘ werden, oder, anders formuliert, alle Elemente eines Profils P eines echten Objektes ‚erben‘ die zugesprochenen Eigenschaften. Wenn ‚Alle‘ Elemente dieser Eigenschaften haben, dann erben alle, wenn ‚Nicht Alle‘, also ‚Einige‘, dann erben nur einige, oder ‚Alle nicht‘, dann erbt ‚Kein‘ Element.

24. Über die ‚Enthaltensbeziehung‘ (wie ‚ist‘, ’sind’…) werden also quasi ‚Vererbungsverhältnisse‘ repräsentiert. Über ‚Aktivitätszuweisungen‘ (‚läuft‘, ’spricht‘ …) werden zusätzliche ‚Eigenschaften‘ (‚unechte Objekte‘) repräsentiert, die für ausgewählte Elemente eines echten Objekts gelten.

QUANTORENVIELFALT

25. Betrachtet man alle Quantorenkombinationen der syllogistischen Muster, dann stellt man fest, dass es sich ausschließlich um ‚Anzahlquantoren‘ handelt, also Quantoren, die sich auf die potentiellen Elemente eines echten Objekts beziehen. ‚Potentielle Element‘, da diese Anzahlquantoren sich – wie gesagt – auf die Eigenschaften des Profils eines echten Objektes beziehen, mittels deren potentielle Elemente bestimmt werden, nicht auf die tatsächlichen Elemente.

26. In der dynamischen Objektstruktur gibt es aber auch ‚Raum-‚ und ‚Zeit-Quantoren‘.Warum kommen diese in den syllogistischen Mustern nicht vor? Die Beschränkung auf Anzahlquantoren stellt somit eine weitere starke Einschränkung dar.

27. Würde man sagen ‚Immer geht nach X Stunden wieder die Sonne auf‘, ‚X Stunden sind seit dem letzten Sonnenaufgang vergangen‘, dann könnte man daraus folgern, ‚jetzt wird die Sonne aufgehen‘. Setzt man eine Zeitachse mit Zeitpunkten voraus, für die mit ‚Immer = Zu allen Zeitpunkten = At‘ gesagt wird, dass eine Eigenschaft ‚F1=die Sonne‘ ‚geht auf‘ sich nach einem festen Abschnitt von ‚X Stunden‘ gesagt wird, dass sich diese Eigenschaft ‚wiederholt, also (At ‚X Stunden‘ geht auf F1), (Jetzt ist ‚X Stunden‘), (‚Jetzt ‚geht auf‘ F1). Implizit hat man hier auch die Struktur von echten Objekten (‚die Sonne‘) mit zugeordneten Eigenschaften ‚geht auf‘ bzw. den Zeitobjekten ‚Jetzt‘, ’10 Stunden‘.

28. Entsprechend kann man die Frage nach den Raum-Quantoren stellen. warum werden diese ausgeklammert? ‚Überall brennt die Sonne‘, ‚Hans wohnt in Berlin‘, ‚In Berlin brennt die Sonne‘. ‚Überall = An allen Orten = Ar‘, F1=’die Sonne‘, B1=’Hans‘, Berlin ist ein Ort, (Ar Orte brennt F1), (H1 wohnen Berlin), und über ‚Vererbung der Eigenschaft von allen Orten erbt der Ort Berlin die Eigenschaft (Berlin brennt F1).

OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG, VERERBUNG

29. Aus den bisherigen Überlegungen lassen sich die Umrisse einer möglichen ‚Logik‘ auf der Basis einer ‚dynamischen Objektstruktur‘ erkennen.

30. Basis für alles andere sind ‚Objektifizierungen‘ von Eigenschaftsdimensionen wie ‚echte Objekte‘, ‚Raumgebiete‘ und ‚Zeitachse‘.

31. Zwischen echten Objekten, Raumpunkten und Zeitpunkten kann es ‚Enthaltensbeziehungen‘ geben. Z.B. (i) Von den Profileigenschaften von zwei echten Objekten A und B kann man sagen, dass ‚Alle‘ oder ‚Nicht Alle = Einige‘ oder ‚Alle nicht = Kein‘ Element von A auch Element von B ist. (ii) Die Wohnung von Hans ist Teil des Gebäudes X. Das Gebäude X gehört zum Ort Y…. (iii) Der 5.Oktober 1948 gehört schon zum Nachkriegsdeutschland. Nachkriegsdeutschland ist Teil des 20.Jahrhunderts. Das 20.Jahrhundert gehört zur Periode des homo sapiens.

32. Sofern Objektifizierungen angegeben sind, kann man diesen diverse Eigenschaften zuweisen (Das Auto ist rot; Die Nachbarn von Sonja sehen das rote Auto; die Sonne geht alle X Stunden auf; …)

33. Wenn man Objekten Eigenschaften zugeschrieben hat, dann kann man diese Eigenschafte ‚übertragen’/ ‚vererben‘ auf alle Elemente, die in dem betreffenden Objekt ‚enthalten sind‘. Wenn es zu allen Zeiten Kriege gab, dann gibt es auch zum aktuellen Zeitpunkt einen Krieg; wenn überall die Sonne scheint, dann auch dort, wo man ist; Wenn alle Menschen Lebewesen sind und von Lebewesen gesagt wird, dass sie sterben, dann sterben auch die Menschen.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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INFORMATIK & GESELLSCHAFT – Samstag 8.Nov.2014 – Veranstaltungshinweis in eigener Sache

1. Wer die Einträge in diesem Blog verfolgt, wird bemerkt haben, dass für den Autor dieses Blogs die vielfältigen Erscheinungsweisen des Computers keine ‚rein technischen Phänome‘ repräsentieren, sondern ein tieferliegendes Prinzip sichtbar machen, das mit der ‚Geistigkeit des Menschen‘ und der ‚Lebendigkeit‘ des ‚Biologischen‘ in einem wichtigen Zusammenhang steht.

2. In dem Maße wie das ‚Prinzip Computer‘ in seinen technischen Realisierungen immer mehr unseren Alltag durchdringt, Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen ‚kopiert‘, Menschen in Teilbereichen ersetzt, wird es immer wichtiger, dass wir uns ‚als Menschen‘ bewusst werden, was hier geschieht.

3. Ein ungebremster, auf reinen individuellen Profit ausgerichteter Kapitalismus, der in globalen Dimensionen operiert — verknüpft mit diesem mächtigen Prinzip des Computers — (und in Zusammenarbeit mit einer unkontrollierten Gentechnik, die schon jetzt jährlich allein in Deutschland viele Millionen Tiere gentechnisch verstümmelt, in die Abfalltonne wirft, um ‚patentierte Tiere‘ zu bekommen, die dann bestimmten Firmen als ‚Eigentum‘ gehören), kann immanent nur das Ziel haben, durch eine immer weiter voranschreitende Automatisierung und Datensammlung möglichst viel von der Welt unter seine Kontrolle zu bringen. Kurzfristig maximiert dies die individuellen Gewinne über alle bekannten Maßen.

4. Auf die Zukunft hochgerechnet versinkt der Rest der Gesellschaft in Bedeutungslosigkeit, wird zu einer Randbemerkung, eine Heerschar von Lobbyisten dient in Anbetung vor dem globalen Egoismus, Ausverkauf der Politik in Raten.

5. Wenn immer mehr arbeitslos werden und verarmen, dann wird der Mensch in einem ungeregelten Kapitalismus zur Belastung, zum Störfaktor, der Ressourcen verbraucht, aber scheinbar keine neuen erzeugt.

6. Man kann sich fragen, wer dann noch die Produkte der automatisierten Fabriken und die gentechnischen Biokreaturen ‚kaufen‘ soll/ will/ kann, wenn niemand mehr Geld hat außer denen, die egoistisch global produzieren; aber diese Frage scheint sich niemand zu stellen.

7. In dieses Szenario eines egoistischen globalen ‚menschenfreien‘ Kapitalismus fügt sich die Position der radikalen ‚Transhumanisten‘ wunderbar ein: sie gehen davon aus, dass die ‚Maschinen‘ das Prinzip des Computers irgendwann ‚von selbst‘ in die Hand nehmen und sich schneller und besser als die Menschen entwickeln werden. Die Frage nach dem ‚Wert‘ und dem ‚Sinn‘ des Menschlichen und dem Biologischen stellt sich für diese Position nicht mehr. Die Evolution wird sich künftig ohne Menschen (und überhaupt ohne biologisches Leben?) weiter entwickeln.

8. In der Vergangenheit haben sich Menschen immer wieder aufgelehnt, wenn die Ungleichheiten zwischen ‚egoistischem und kurzsichtigem Kapital‘ einerseits und den ‚Bürgern‘ zu groß wurden. Das kann sich prinzipiell jederzeit wiederholen. In sogenannten Demokratien sollte das Problem prinzipiell nicht auftreten. Aber die modernen Kommunikations- und Überwachungstechniken, die Kontrolle der Medien, die Unterwanderung der Politik durch Lobbyismus, die Militarisierung der Polizei (z.B. in den USA!) — um nur einige Punkte zu nennen – nimmt ein Ausmaß an, dass sich sogenannte ‚demokratische‘ Staaten und sogenannte ‚Diktaturen‘ immer weniger unterscheiden.

9. Im Zentrum steht die Frage, ob wir Menschen – bislang als Teil des Biologischen das einzig bekannte ‚Wunder‘ im gesamten bekannten Universum – für uns selbst ein Verständnis, eine Wertschätzung, einen Sinn, eine Zukunftsperspektive finden, die uns ‚Wert genug‘ erscheint, um uns gegenseitig hinreichend Wert zu schätzen und die uns hilft, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, in der Menschen mehr sind als bloße ‚Ressourcenverbaucher‘, als bloße ‚Konsumenten‘, als bloße ‚billige Arbeitskräfte‘, als bloßer ‚Kostenfaktor‘.

10. Eine Rückbesinnung auf die ‚klassischen Religionen‘ in ihrem ‚klassischen Format‘ reicht nach meiner Einschätzung für eine solche Zukunft in keiner Weise aus. Die ‚klassischen Religionen‘ sind nicht wahr genug, nicht offen genug, lassen es letztlich zu, Menschen, die anders sind, zu töten, einfach so, weil es jemandem gerade mal gefällt. Wie kann jemand an Gott glauben, wenn er es zulässt, dass es das wunderbarste, was das bekannte Universum bislang hervorgebracht hat, das ‚Leben‘, einfach so zu unterdrücken, zu zerstören und zu töten?

11. Die Veranstaltung INFORMATIK & GESELLSCHAFT, Sa 8.Nov.2014 (Hier ausführliche Informationen zu den Beiträgen, den Referenten und Künstlern:  IuG-Zusatzinformationen-1-10-2014-1Okt2014) kann natürlich nur einen winzigen Bruchteil von diesem Spektrum thematisieren, sie kann nur ein weiterer kleiner Baustein sein, um uns gegenseitig zu helfen, uns unserer Verantwortung für das Leben bewusst zu werden. Vorträge mit ausführlichen Diskussionen, musikalische Experimente und ein Videowettbewerb bieten Raum, um mit zu machen. Alle sind eingeladen, diese Veranstaltung zu unterstützen. Es muss ja nicht die letzte dieser Art sein …

12. Hier ein Kurzbericht zur Veranstaltung INFORMATIK & GESELLSCHAFT vom 8.November 2014.

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