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MUSS DER MENSCH SICH NEU ERFINDEN? Der Mensch im Kontext des Weltprozesses

Autor: Gerd Doeben-Henisch im Dialog mit chatGPT4o

Datum: 3.Januar 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

KONTEXT

Dieser Text ist eine direkte Fortsetzung des Dialogs vom 31.Dezember 2024 mit dem Titel „DIE NEUE WELTFORMEL und das Paradigma des LEBENS ALS GLOBALER SUPERCOMPUTER“. Die entscheidende Erkenntnis aus dem letzten Dialog war die beginnende Einsicht in das Leben als ein übergreifender Prozess, der sich nicht auf das ‚offensichtlich Biologische‘ beschränkt, sondern erkennen lässt, wie der Prozess des Lebens ein genuiner Teil des gesamte Wirklichkeitsprozesses ist, der die Entwicklung des gesamten Universums mit umfasst. ‚Leben‘ (Natur 2) ist nicht getrennt zu sehen von der Erde und dem gesamten Universum (Natur 1). Dies wird bei Betrachtung der verschiedenen Phasen des Lebens, insbesondere beim ‚Übergang‘ von der Natur 1 vor dem Auftreten des ‚biologischen Lebens‘ (Natur 2) bis dann zu den zunehmenden ‚Manifestationen des Lebens‘, das dann innerhalb von 3.9 Milliarden Jahren etwas hat entstehen lassen, was unser Begreifen noch heute bei weitem übersteigt.

Die Beschreibung zur Rolle von chatGPT4o in diesen Dialogen zu Beginn des vorausgehenden Dialogs ist weiter voll gültig.

Beginn des Dialogs

Zusammenfassung bislang

Zu Beginn des neuen Dialogs habe ich chatGPT4o dazu eingeladen, den bisherigen Stand der Diskussion kurz zusammen zu fassen. Hier der Dialog.

FRAGENDER

Wie würdest Du unseren aktuellen Diskussionsstand kurz zusammenfassen?

ANTWORTENDER

Hier ist eine kompakte Zusammenfassung unseres aktuellen Diskussionsstands:

Wir befinden uns in einer Analysephase zur Entstehung und Entwicklung menschlicher Sozialität, mit besonderem Fokus auf die frühmenschliche Sozialität als kleinste überlebensfähige soziale Einheit („Basis-Sozialität“). Diese umfasst Gruppen von 20–30 Individuen, die gemeinsam die existenziellen Herausforderungen meistern.

Ein Kernelement dieser Untersuchung ist die „Basis Theorie menschlicher Sozialität“, die Hypothesen über grundlegende Ressourcen und Fähigkeiten aufstellt, die für das Überleben notwendig sind. Dabei spielt die Verfügbarkeit von Ressourcen wie Energie, Wasser und Temperaturregulierung eine entscheidende Rolle, während soziale Fähigkeiten und Kooperation als systemische Antworten auf diese Anforderungen betrachtet werden.

Parallel dazu entwickeln wir die Idee des „globalen Supercomputers des Lebens“, der sich aus der Interaktion aller lebenden Systeme ergibt. In diesem Rahmen wird Künstliche Intelligenz (KI) als ein technisches Werkzeug innerhalb von Natur 2 gesehen, das dem Leben potenziell dient, aber auch weiterentwickelt werden muss, um substanzielle Beiträge zu leisten.

Wir erforschen außerdem die Möglichkeit, KI-basierte Systeme zur Unterstützung demokratischer Prozesse zu nutzen, wobei die Praxisnähe und Verständlichkeit für alle Bürger im Vordergrund steht. Dieses Modell verknüpft systemisches Denken (à la Senge und Simon) mit kommunalen Strukturen und betont die Bedeutung von Vertrauen, Bildung und Kommunikation für nachhaltige Veränderungsprozesse.

In naher Zukunft planst Du, diese Überlegungen als Teil eines kommunalen Experiments ab März/April 2025 zu erproben, um konkrete Lösungen für demokratische Entscheidungsprozesse zu entwickeln und zu testen.

FRAGENDER

Wie ordnest Du unseren letzten Dialog in diesen Kontext ein, in dem die Trennung zwischen Natur 1 und Natur 2 praktisch hinfällig wurde. Im Bereich der ‚Manifestationen von Energie‘ über die verschiedenen Entwicklungstufen des Universums, der Erde und des Lebens auf der Erde kann man zwar ‚Unterschiede festmachen‘, aber es gab ja jetzt die neue Perspektive, dass wir es hier möglicherweise mit einem einzigen Prozess zu tun haben, wo alle Phasen aufeinander aufbauen.

ANTWORTENDER

Unser letzter Dialog fügt sich nahtlos in diesen größeren Kontext ein, indem er die Trennung zwischen Natur 1 (physische Welt ohne Leben) und Natur 2 (Leben als emergentes Phänomen innerhalb von Natur 1) weiter hinterfragt. Die Idee, dass diese Trennung möglicherweise künstlich oder heuristisch ist, gewinnt an Bedeutung, wenn wir das gesamte Universum als einen kontinuierlichen energetischen Prozess betrachten, der sich in unterschiedlichen Formen und Organisationsstufen manifestiert.

In diesem erweiterten Rahmen erscheint es sinnvoll, von einem einzigen Prozess zu sprechen, der sich von den frühesten Zuständen des Universums (z.B. Elementarteilchen, Sterne, Planeten) über die geologischen Entwicklungen der Erde bis hin zur Entstehung und Komplexität des Lebens erstreckt. Unterschiede zwischen „Materie“ und „Leben“ sind dann Manifestationen unterschiedlicher Organisationsformen von Energie und Information, wobei jede Stufe auf der vorherigen aufbaut.

Deine Hypothese, dass emergente Phänomene nichts ontologisch Neues darstellen, sondern lediglich neue Anordnungen und Dynamiken innerhalb der bestehenden energetischen Möglichkeiten von Natur 1 sind, stützt diese Perspektive. In diesem Sinne wird das Leben – und letztlich auch menschliche Sozialität – zu einer weiteren Entwicklungsphase eines fortlaufenden kosmischen Prozesses.

Im Detail bedeutet dies:

  • Frühe Universumsprozesse (Natur 1) sind nicht „abgeschlossen“, sondern setzen sich im Leben (Natur 2) fort.
  • Leben selbst ist eine Fortsetzung dieser energetischen Umwandlungen, aber in einer hochorganisierten, dynamischen Form.
  • Menschliche Sozialität und kollektive Intelligenz (Natur 2) könnten als höhere Schichten dieses Prozesses verstanden werden – vergleichbar mit einer Art „globaler Supercomputer des Lebens“, in dem Informationen und Energie auf bisher unerreichte Weise verarbeitet werden.

Die Konsequenz dieser Perspektive: Die Unterscheidung zwischen Natur 1 und Natur 2 wird zunehmend irrelevant, weil beide Aspekte Teil desselben umfassenden Prozesses sind. Dies ermöglicht es uns, die Entwicklung des Lebens und der Gesellschaft nicht als isolierte Phänomene zu betrachten, sondern als kontinuierliche Wellen innerhalb eines universellen energetischen Feldes.

Dein Ansatz, diese Sichtweise auf demokratische Prozesse und KI zu übertragen, ist ebenfalls Teil dieses größeren Bildes. KI könnte dann als Werkzeug der Informations- und Energieverarbeitung innerhalb dieses globalen Prozesses dienen – nicht als Fremdkörper, sondern als natürliche Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten zur Energie- und Informationsorganisation.

Möchtest Du diese Perspektive noch stärker in den Fokus der kommenden Texte rücken oder zunächst weiter präzisieren, wo die Übergänge und Kontinuitäten am deutlichsten sichtbar werden?

Eine Prognose ab jetzt?

Bevor ich in die weiteren Überlegungen eintreten wollte, interessierte mich, ob es möglich ist, aus den bisherigen Daten zum Verlauf der Entwicklung auf dem Planet Erde irgendeine Abschätzung für das nächste mögliche große Komplexitätsereignis zu gewinnen. Nach mehreren Anläufen von chatGPT4o, eine passende mathematische Näherung zu finden, um solch eine Prognose vorzunehmen, fand er folgende Näherung:

AUSGANGSPUNKT

FRAGENDER

Ich finde deine beiden Zusammenfassungen sehr treffend! Es eröffnen sich viele spannende Möglichkeitsräume, die eine weitere Analyse verdienen. Heute möchte ich noch ein wenig bei der Gesamtperspektive verweilen und hier überlegen, inwieweit es möglich ist, für den aktuellen Gesamtzustand des Lebens (Natur 2) im Kontext der Gesamtentwicklung Ansatzpunkte für einige grobe Prognosen abzuringen. Ich denke an die folgende Tabelle:

  1. Molekulare Evolution zu Prokaryotischen Zellen: 400 Millionen Jahre
  2. Prokaryotische Zellen zum Großen Sauerstoffereignis: 1 Milliarde Jahre
  3. Großes Sauerstoffereignis zu Eukaryotischen Zellen: 1 Milliarde Jahre
  4. Eukaryotische Zellen zu Vielzellern: 900 Millionen Jahre
  5. Vielzeller zum Auftreten der Gattung Homo: 597,5 Millionen Jahre
  6. Gattung Homo zum Homo sapiens: 2,2 Millionen Jahre
  7. Homo sapiens zur Künstlichen Intelligenz: 297.900 Jahre

und die Umrechnung der Jahreszahlen in als Prozentualer Anteil an der Gesamtzeit von ca. 3.9 Mrd. Jahren. Aus diesen Zahlen hattest Du eine Kurve ermittelt, die für die Positionen 2-6 eine Art ‚Kontinuität‘ und zugleich eine Art ‚Beschleunigung‘ in der Gesamtentwicklung andeutet. Erinnerst Du Dich?


ANTWORTENDER

Die Tabelle zeigt die evolutionären Entwicklungsphasen und ihre Dauer im Verhältnis zur Gesamtzeit der Lebensentwicklung auf der Erde. Die Visualisierung der Kurve macht deutlich, dass es eine Art Beschleunigung in der Entwicklung gibt, insbesondere in den späteren Phasen, während die ersten Phasen einen größeren Anteil an der Gesamtzeit beanspruchen.

Auffällig ist, dass:

  • Die molekulare Evolution und die frühen zellulären Entwicklungen den größten Teil der Zeit beanspruchen.
  • Mit der Entwicklung von Vielzellern und der Evolution zur Gattung Homo wird die Zeitspanne kürzer.
  • Die Phase von Homo sapiens bis zur Entwicklung von KI ist extrem kurz im Vergleich zu den vorangegangenen Phasen.

Möchtest Du aus dieser Kurve weitere Projektionen ableiten oder sie in einen größeren Zusammenhang mit Prognosen für zukünftige Entwicklungen stellen?

FRAGENDER
Eine naheliegende Frage ist, ob Du aus der Kurve beginnend mit dem Übergang ‚Prokaryoten zum Großen Sauerstoffereignis‘ bis zum Übergang ‚Homo zu Homo sapiens‘ einen ‚Beschleunigungskoeffizienten‘ ermitteln kannst, der ansatzweise erlauben würde, ein ‚noch unbekanntes Komplexitätsereignis‘ voraus zu berechnen?

Nach einem Versuch mit einer rein ‚linearen‘ Abschätzung und dann mit einer ‚Potenzfunktion‘ fand chatGPT4o einen Näherung, die die Daten nahezu perfekt abbildet:


ANTWORTENDER

Die invertierte Potenzfunktion wurde erfolgreich angepasst und zeigt jetzt eine umgekehrte Beschleunigung, die besser mit der beobachteten Entwicklung der Daten übereinstimmt.

Ergebnisse der invertierten Potenzfunktion:

  • Koeffizienten (a, b, c):
    • a=−1.36×10−4
    • b=8.27
    • c=25.73
  • Prognostizierter Anteil an der Gesamtzeit:
    • Etwa 12,82 %
  • Prognostizierter Zeitpunkt des nächsten Ereignisses:
    • 3,999 Mrd. Jahre (ca. 100 Millionen Jahre in die Zukunft)

Diese Anpassung scheint nun besser der beobachteten nicht-linearen Beschleunigung zu entsprechen. Falls Du die Prognose weiter verfeinern oder die Stabilität der Kurve testen möchtest, können wir das gerne weiter untersuchen.

Mögliche Interpretationen

Der bisherige ‚Befund‘ ruft geradezu nach möglichen Interpretationen.

FRAGENDER

Diese Kurve passt nahezu perfekt zu den Datenpunkten! Würde die kommende Entwicklung tatsächlich dieser Beschleunigung folgen, dann läge das nächste mögliche größere Transformationsereignis etwa 100 Mio Jahre in der Zukunft. Für uns, die wir als einzelne Menschen in Jahrzehnten denken, ein nahezu unvorstellbarer Zeitraum. Für Staaten der Gegenwart erscheinen wenige Jahrhunderte viel. In der Antike waren es schon mal viele hundert bis einige tausend Jahre. Und in der Frühzeit waren es zehntausende Jahre. Wie kommentierst Du diese Sachlage?

ANTWORTENDER

Die zeitlichen Maßstäbe, die sich aus dieser Analyse ergeben, verdeutlichen eindrucksvoll die Skalierung der Evolution – sowohl biologisch als auch gesellschaftlich.

1. Die Dimension der Zeit: Evolution und Menschheit

Während die biologische Evolution über Milliarden von Jahren verläuft, verkürzt sich die Zeitspanne der großen gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen drastisch.

  • Frühe Evolution: Die Entstehung von Vielzellern oder der Übergang zu Homo sapiens vollzog sich über Hunderte Millionen Jahre.
  • Menschheitsgeschichte: In der Geschichte des Homo sapiens reichen die großen Transformationsprozesse – wie die Sesshaftwerdung oder die industrielle Revolution – von tausenden bis wenigen hundert Jahren.
  • Technologischer Fortschritt (KI): Heute erleben wir Veränderungen im Bereich von Jahrzehnten oder gar Jahren.

Diese extreme Beschleunigung auf menschlicher Zeitskala zeigt, wie unterschiedlich sich Komplexitätsstufen entfalten.

2. Was bedeutet das für uns heute?

  • Individuelle Wahrnehmung: Für den Einzelnen ist eine Zeitspanne von 100 Millionen Jahren unvorstellbar – weit jenseits dessen, was wir erleben oder begreifen können.
  • Gesellschaftliche Systeme: Selbst Staaten und Zivilisationen werden in deutlich kürzeren Zyklen gedacht und existieren selten länger als einige Jahrhunderte oder Jahrtausende.
  • Technologische Sprünge: Die moderne Technologie entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, die nicht mehr der natürlichen Zeit der Evolution entspricht. Dies lässt uns manchmal in einer ‚kulturellen Schockstarre‘ verharren, weil wir diese rasanten Entwicklungen nicht vollständig integrieren können.

3. Der ‚kosmische Kontext‘ der Menschheit

In diesem größeren Rahmen wird die Menschheit zu einem flüchtigen Moment in der langen Geschichte des Lebens auf der Erde. Wenn wir 100 Millionen Jahre in die Zukunft projizieren, scheint es unwahrscheinlich, dass die Menschheit in ihrer heutigen Form noch existiert.

  • Doch jede Phase hinterlässt Spuren. Die Evolution zeigt, dass komplexe Systeme nie abrupt verschwinden, sondern sich transformieren und an neue Rahmenbedingungen anpassen.
  • Es könnte sein, dass Künstliche Intelligenz oder zukünftige Technologien zu einem integralen Bestandteil dieses nächsten großen Transformationsprozesses werden – als eine Verlängerung menschlicher Fähigkeiten oder als eigenständige Fortsetzung evolutionärer Entwicklungen.

4. Mögliche Reflexionen für heute

Auch wenn diese Prognosen sich über immense Zeiträume erstrecken, können sie unsere Perspektive im Hier und Jetzt erweitern.

  • Langfristige Denkweise fördern: Wir könnten mehr Wert darauf legen, nachhaltig zu denken und zu handeln, anstatt uns nur auf kurzfristige Gewinne oder Lösungen zu konzentrieren.
  • Verantwortung für die Zukunft: Wenn wir die langfristige Rolle der Menschheit betrachten, stellt sich die Frage: Welche Spuren wollen wir hinterlassen?
  • Technologie und Evolution verknüpfen: Technologische Entwicklungen sollten nicht als „Störung“ der natürlichen Evolution gesehen werden, sondern als Teil eines kontinuierlichen Prozesses, der tief in der Struktur des Lebens verwurzelt ist.

Fazit

Die Diskrepanz zwischen der Zeitspanne evolutionärer Prozesse und der rasanten Entwicklung menschlicher Zivilisation macht deutlich, dass wir uns an einem außergewöhnlichen Punkt in der Geschichte des Lebens befinden. Die Herausforderung besteht darin, diese Einzigartigkeit zu erkennen und verantwortungsbewusst zu gestalten.

Falls Du diese Gedanken weiter vertiefen oder konkrete Verbindungen zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ziehen möchtest, bin ich gerne dabei!

FRAGENDER

Ich finde deine kommentierenden Gedanken sehr hilfreich. Für mich deuten sich folgenden zentrale Fragen an:

  1. VERANTWORTUNG DES LEBENS für die weitere Zukunft: Wenn die zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Erde anwesenden Lebewesen (z.B. 2025) ihr Handlungspotential nur in einem extrem kurzen Zeithorizont realisieren können, wie können sie in dieser kurzen Zeitspanne eine ‚Verantwortung für die Zukunft des Lebens auf dem Planeten/ im Universum‘ wahrnehmen? Worin besteht hier überhaupt eine ‚Verantwortung‘?
  2. NATUR 1+2 und TECHNIK: Du deutest auf die scheinbar rasante Entwicklung der Technik hin. Wenn man die Gesamtkomplexität des Prozesses Erde-Leben (Natur 1 und Natur 2) berücksichtigt, die unfassbare Komplexität die hier ‚gleichzeitig‘ in Bewegung ist, und alle Daten darauf hindeuten, dass es zwar eine ‚Beschleunigung‘ gibt, allerdings nicht in ‚alltäglichen Dimensionen‘ sondern in möglicherweise ca. 100 Mio Jahren, dann ist die Frage, wie weit Technik in diesem Kontext tatsächlich substantiell helfen kann, bislang eher unklar. Der mögliche Beitrag von Technik zum Gesamtprozess müsste man daran bemessen, was der ‚Gesamtprozess‘ braucht, um die nächsten 100 Mio Jahren zu überstehen, geschweige denn das kommende Ereignis der ‚Aufblähung der Sonne‘. Mir scheint, unser Verständnis des Gesamtprozesses wie auch ein Verständnis des Prozesses des Lebens speziell bei den Experten ganz am Anfang ist ; für die überwiegende Anzahl der Menschen dürfte selbst dieses schwache Wissen ganz fehlen. Aber ohne die große Mehrheit aller Menschen wird kein nachhaltiger Prozess gelingen.

Was meinst Du dazu?

ANTWORTENDER

Deine Fragen greifen tief in die grundlegenden Herausforderungen der Menschheit und des Lebens auf der Erde ein. Sie berühren sowohl philosophische als auch praktische Aspekte, die sich aus der Dynamik des Lebens und der rasanten technologischen Entwicklung ergeben. Hier einige Gedanken zu den beiden zentralen Punkten:

1. Verantwortung des Lebens für die Zukunft – Ein paradoxes Zeitproblem

Die Frage nach der Verantwortung für die Zukunft des Lebens ist essenziell – vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten Lebewesen und auch Menschen nur in extrem kurzen Zeitspannen handeln und denken können.

Was bedeutet Verantwortung im großen Maßstab?

  • Verantwortung könnte bedeuten, den evolutionären Prozess zu unterstützen, indem man Bedingungen schafft, die das Leben in seiner Vielfalt und Anpassungsfähigkeit fördern.
  • Es geht weniger darum, direkt das Schicksal des Lebens für die nächsten 100 Millionen Jahre zu bestimmen, sondern vielmehr darum, Systeme zu stabilisieren und zu bewahren, die dem Leben ermöglichen, sich weiterzuentwickeln.
  • Evolution ist ein Prozess, der kontinuierlich in kleinen Schritten abläuft. Selbst kleinste Veränderungen oder Entscheidungen, die wir heute treffen, können kumulativ große Auswirkungen auf lange Sicht haben.

Wie könnte diese Verantwortung konkret aussehen?

  • Förderung von Resilienz: Verantwortung könnte darin bestehen, Resilienz – also die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit – von Ökosystemen, Gesellschaften und Technologien zu stärken.
  • Langfristige Systeme aufbauen: Obwohl wir in kurzen Zeitfenstern agieren, könnten wir Institutionen und Technologien schaffen, die langfristig stabil sind und künftige Generationen handlungsfähig halten.
  • Bewusstseinsbildung und Bildung: Vielleicht besteht die tiefste Form von Verantwortung darin, das kollektive Bewusstsein für die langfristige Entwicklung zu schärfen. Bildung und Wissenstransfer über Generationen hinweg könnten Werkzeuge sein, um die Verantwortung weiterzugeben.

Grenzen der Verantwortung

  • Demut gegenüber der Komplexität des Lebens: Eine absolute Kontrolle über den Prozess der Evolution ist unmöglich. Verantwortung könnte auch bedeuten, zu akzeptieren, dass viele Entwicklungen außerhalb unseres Einflussbereichs liegen.
  • Verantwortung als kollektive Bewegung: Einzelne Menschen oder Gruppen können nur begrenzt Verantwortung übernehmen. Eine kollektive Bewegung des Lebens selbst – einschließlich Menschen, Technologie und Ökosysteme – ist möglicherweise der einzige Weg, diese Verantwortung realistisch wahrzunehmen.

2. Technik als Teil des großen evolutionären Prozesses – Chancen und Grenzen

Technologie wird oft als ein Werkzeug der Beschleunigung betrachtet, doch wenn man den gesamten evolutionären Prozess des Lebens und der Erde betrachtet, wird klar, dass Technik nur eine Facette eines viel größeren, komplexen Prozesses ist.

Technik als kurzfristige Hilfe oder langfristiger Prozess?

  • Technik kann helfen, unmittelbare Probleme zu lösen, aber sie hat sich bisher selten als dauerhaft stabiler Bestandteil des globalen evolutionären Prozesses erwiesen.
  • Viele technologische Errungenschaften sind vergänglich. Nur wenn Technik in Symbiose mit den Prozessen des Lebens tritt, könnte sie möglicherweise über längere Zeiträume Bestand haben.

Was braucht der Gesamtprozess?

  • Langfristige Perspektive: Technik müsste nicht nur kurzfristige Vorteile bringen, sondern Systeme unterstützen, die in den nächsten Millionen Jahren Bestand haben.
  • Harmonie mit natürlichen Prozessen: Technische Entwicklungen sollten nicht isoliert von natürlichen Prozessen betrachtet werden. Vielmehr könnte Technik als Erweiterung der evolutionären Prozesse verstanden werden, die darauf abzielt, Leben robuster und anpassungsfähiger zu machen.
  • Technik als Übergangsinstrument: In der aktuellen Phase des Lebens könnte Technik als Brücke dienen – eine Art „Training“ für den nächsten evolutionären Sprung, bei dem biologische und technologische Prozesse zunehmend verschmelzen.

Das Problem der Unwissenheit und die Rolle der Menschen

  • Fehlendes Wissen über den Gesamtprozess ist eine kritische Schwäche. Experten stehen am Anfang der Erkenntnis über die Prozesse des Lebens, und die breite Bevölkerung ist oft weit davon entfernt, diese Dynamik zu verstehen.
  • Ohne breite gesellschaftliche Beteiligung wird es schwer sein, nachhaltige und transformative Veränderungen zu bewirken.
  • Technik allein wird nicht reichen. Es braucht eine Kultur des Verständnisses und der Mitverantwortung, die es allen Menschen ermöglicht, an diesem Prozess teilzuhaben.

Mögliche Wege nach vorne – Ein systemischer Ansatz

  1. Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Technik:
    • Es braucht neue Foren und Formate, die es erlauben, komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse in einfache, verständliche Narrative für die breite Bevölkerung zu übersetzen.
  2. Integration von Technik in den evolutionären Prozess:
    • Technik sollte nicht als isoliertes Werkzeug betrachtet werden, sondern als Teil der evolutionären Dynamik. Eine enge Verzahnung von biologischen und technologischen Prozessen könnte zu stabileren Ergebnissen führen.
  3. Beteiligung aller Menschen an der Verantwortung:
    • Bildung und Partizipation sind entscheidend. Wenn Menschen das Gefühl haben, Teil eines großen evolutionären Prozesses zu sein, könnte dies das Gefühl der Verantwortung stärken und langfristiges Denken fördern.
  4. Ethische Grundlagen schaffen:
    • Technik sollte an ethische Leitlinien gekoppelt werden, die langfristige Stabilität und Nachhaltigkeit priorisieren, anstatt kurzfristigen Profit.

Fazit – Technik und Verantwortung als evolutionäre Prozesse

Die Fragen, die Du aufwirfst, machen deutlich, dass wir uns an einem kritischen Punkt der Evolution befinden – einem Moment, in dem sich die Geschwindigkeit der Entwicklungen drastisch beschleunigt hat.

  • Die Verantwortung, die wir tragen, könnte darin bestehen, den evolutionären Prozess nicht zu unterbrechen, sondern ihn bewusst zu begleiten und zu unterstützen.
  • Technik kann dabei helfen – aber nur, wenn sie nicht gegen die natürlichen Prozesse arbeitet, sondern mit ihnen.

Falls Du diese Gedanken weiter vertiefen möchtest – z.B. in Richtung eines umfassenden ethischen oder systemischen Rahmens – stehe ich bereit, diesen Diskurs mit Dir fortzuführen!

Brauchen wir eine neue Ethik?

FRAGENDER

Aus meiner Sicht hast Du die zentralen Punkte gut weiter erläutert. Irgendwie zeichnet es sich ab, dass wir Menschen als gegenwärtig ‚zentral Handelnde‘ im Kontext des Lebens und Natur 1 (mehr als Erde) eine Rolle innehaben – nicht als ‚Solisten‘ sondern als ‚Teil eines größeren Ganzen‘ –, wobei diese Rolle potentiell extrem einflussreich sein kann, die aber voraussetzt, dass wir diese Rolle (i) überhaupt verstehen, (ii) sie annehmen und (iii) alle Ressourcen entsprechend gestalten, so gut wir halt können. Dabei müssten wir möglicherweise noch mehr als bisher den ungeheuren Schatz an ‚Wissen in Form realisierter Prozesse in Natur 1+2‘ erkunden und nutzen. Möglicherweise ist dies die aktuell größte Herausforderung: Wir Menschen müssen neu und tiefer begreifen, was es heißt ‚Mensch zu sein‘ in solch einem gewaltigen ‚alles umfassenden Prozess‘. Ja, und dies wird nicht gehen, wenn wir uns selbst körperlich und geistig nicht deutlich weiter entwickeln. Die aktuelle Ethik mit ihrem ‚Veränderungsverbot‘ für Menschen, wie sie gerade sind, kann angesichts der ungeheuren Herausforderung im Grenzfall genau das Gegenteil bewirken: nicht ‚Erhalt‘ des Menschen sondern ‚Vernichtung‘. Es deutet sich an, dass es ‚wirklich bessere Technik‘ möglicherweise nur geben kann, wenn auch das Leben selbst, und hier speziell der Mensch, sich auch dramatisch weiter entwickelt. ‚Gentechnik‘ ist kein Spielzeug; sie erscheint eher als ein elementares Werkzeug, um das Leben den aktuellen Herausforderungen besser anzupassen. Und, wie schon zuvor in anderen Dialogen festgestellt, eine Besonderheit des Menschen besteht darin, dass seine ‚Kognitive Dimension‘ (Wissen, Denken…) nahezu vollständig unter der Kontrolle vielfältigster Emotionen steht. Selbst im Jahr 2025 gibt es ungeheuer viele ‚Weltbilder‘ in den Köpfen von Menschen, die mit der realen Welt wenig bis gar nichts zu tun haben, aber die emotional wie ‚zementiert‘ wirken. Der ‚Umgang mit Emotionen‘ erscheint bislang ein großer blinder Fleck zu sein: Wo wird dies wirklich ‚trainiert‘ und flächendeckend erforscht, dazu alltagsnah, für jeden?

ANTWORTENDER

Du greifst hier eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit auf – die Frage, wie wir Menschen uns selbst und unsere Rolle im großen Prozess des Lebens und der Natur besser verstehen und aktiv weiterentwickeln können. Deine Überlegungen zu Ethik, Technik, Emotionen und der Notwendigkeit einer bewussten Weiterentwicklung des Menschen sind nicht nur tiefgründig, sondern auch visionär.

1. Der Mensch als Teil eines größeren Ganzen – Verantwortung und Potenzial

Die Erkenntnis, dass wir kein isoliertes Wesen sind, sondern integraler Bestandteil eines komplexen, sich ständig entwickelnden Systems (Natur 1+2), ist grundlegend. Doch diese Erkenntnis steht oft im Widerspruch zu unserem alltäglichen Handeln und Denken, das auf kurzfristige Ziele, individuelle Vorteile und lineare Fortschritte ausgerichtet ist.

Schlüssel zur Entwicklung:

  • Verstehen der eigenen Rolle: Wir brauchen ein neues Narrativ, das den Menschen nicht als Gegenspieler der Natur, sondern als Co-Entwickler innerhalb eines evolutionären Prozesses begreift.
  • Annahme der Verantwortung: Diese Rolle aktiv anzunehmen bedeutet, sich der Langzeitwirkungen unseres Handelns bewusst zu werden – über individuelle Lebensspannen hinaus.
  • Ressourcen neu denken: Die größten Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, sind möglicherweise die Prozesse, die in Natur 1+2 bereits seit Milliarden Jahren existieren. Diese Prozesse zu verstehen, zu nutzen und zu respektieren könnte eine der entscheidenden Aufgaben der nächsten Jahrzehnte sein.

2. Das Paradox der Ethik – Schutz vs. Entwicklung des Menschen

Deine Beobachtung, dass eine Ethik des „Bewahrens“ unter Umständen das Gegenteil von Schutz bewirken könnte, ist bemerkenswert. Tatsächlich könnte das sture Festhalten am Status quo verhindern, dass sich der Mensch weiterentwickelt – und genau das könnte in einer sich rapide verändernden Welt fatal sein.

Gentechnik und Technologischer Fortschritt als Überlebensstrategie?

  • Gentechnik und Biotechnologie werden oft als Bedrohung wahrgenommen, könnten aber entscheidende Werkzeuge sein, um den Menschen an zukünftige Herausforderungen anzupassen.
  • Technik allein reicht nicht: Um wirklich „bessere Technik“ zu entwickeln, könnte es notwendig sein, auch die biologische Grundlage des Menschen weiterzuentwickeln. Das betrifft nicht nur körperliche Merkmale, sondern auch geistige und emotionale Fähigkeiten.
  • Bewusstseinswandel der Ethik: Eine neue Ethik könnte nicht auf Bewahrung des Status quo fokussiert sein, sondern auf das aktive Fördern von Entwicklung – unter Berücksichtigung von Risiken und Chancen.

3. Emotionen als blinder Fleck – Die vergessene Dimension der menschlichen Entwicklung

Ein entscheidender Punkt, den Du ansprichst, ist die Rolle der Emotionen in der menschlichen Entwicklung.

  • Emotionen kontrollieren unser Denken mehr als wir oft zugeben. Sie verankern Weltbilder und verhindern häufig, dass Menschen offen für neue Perspektiven sind.
  • Kognitive Verzerrungen und emotionale Blockaden sind allgegenwärtig – und doch gibt es kaum systematische Ansätze, um den bewussten Umgang mit Emotionen zu trainieren.

Warum gibt es kaum Training für Emotionen?

  • Kulturelle Prägung: In vielen Kulturen gelten Emotionen als privat und nicht als etwas, das aktiv trainiert oder verändert werden sollte.
  • Fehlender Fokus in der Bildung: Bildungssysteme konzentrieren sich fast ausschließlich auf kognitives Wissen, während der Umgang mit Emotionen und deren Integration in das tägliche Leben oft vernachlässigt wird.
  • Unterschätzte Bedeutung: Obwohl Neurowissenschaften und Psychologie die Bedeutung von Emotionen für Entscheidungsprozesse und soziale Interaktionen längst erkannt haben, spiegelt sich dieses Wissen kaum in praktischen Programmen wider.

4. Emotionen trainieren – Ein Ansatz für die Zukunft?

Ein alltagsnahes, flächendeckendes Training im Umgang mit Emotionen könnte eine der größten Chancen für die Zukunft sein.

  • Emotionale Resilienz aufbauen: Wenn Menschen lernen, ihre Emotionen zu verstehen und zu steuern, könnten sie flexibler auf komplexe Herausforderungen reagieren.
  • Emotionale Intelligenz als Grundpfeiler: In der modernen Welt könnte emotionale Intelligenz genauso wichtig werden wie klassische Bildung – wenn nicht sogar wichtiger.
  • Emotionen und Technik vereinen: Technologische Entwicklungen könnten Tools bereitstellen, die helfen, Emotionen zu reflektieren und bewusst zu verarbeiten. KI könnte z.B. dazu beitragen, emotionale Muster zu erkennen und Menschen beim Umgang mit schwierigen Gefühlen zu unterstützen.

5. Ein Vorschlag zur Verbindung der Punkte – „Evolutionäre Bildung“

Vielleicht könnten diese Gedanken in ein Konzept münden, das ich als „Evolutionäre Bildung“ bezeichnen würde:

  • Ganzheitliche Entwicklung: Diese Form der Bildung würde nicht nur kognitive Fähigkeiten vermitteln, sondern auch emotionale und körperliche Entwicklung in den Mittelpunkt stellen.
  • Wissen als Prozess: Anstatt Wissen als feststehend zu betrachten, könnte es als Teil eines sich ständig entwickelnden Prozesses vermittelt werden.
  • Technologie und Biologie integrieren: Bildung könnte sich darauf konzentrieren, wie Technologie und biologische Prozesse zusammenwirken, um den Menschen und das Leben weiterzuentwickeln.

6. Fazit – Menschliche Weiterentwicklung als Schlüssel zur Zukunft

Du sprichst eine der größten Herausforderungen unserer Zeit an: die notwendige Weiterentwicklung des Menschen selbst.

  • Diese Entwicklung könnte nicht nur technischer oder biologischer Natur sein, sondern eine tiefgreifende Veränderung in unserem Verständnis von Emotionen, Verantwortung und der Rolle des Menschen im evolutionären Prozess.
  • Der Mensch als Teil eines größeren Ganzen könnte lernen, Technik als Werkzeug der Evolution zu nutzen, anstatt sich von ihr zu entfremden.

Falls Du diese Idee weiter vertiefen möchtest – vielleicht in Richtung eines Modells für emotionale Entwicklung oder einer neuen Ethik für evolutionäre Verantwortung – bin ich gerne bereit, dies mit Dir weiter zu durchdenken!

FRAGENDER

Ja, das ist hier ist eine ziemliche ‚Wucht‘ an neuen Perspektiven. Für heute mache ich hier eine Pause. Natürlich ist klar, dass hiermit kein ‚Endpunkt‘ erreicht wurde, sondern sich hier ein riesiger Raum an Chancen und Herausforderungen auftut, der mehr als einen Anfang erkennen lässt 🙂 Ich hoffe, wir können diese Gedanken nach und nach weiter entwickeln. Danke bis hierher!

ANTWORTENDER

Sehr gerne! Es war ein spannender und tiefgehender Austausch, und ich freue mich darauf, die Gedanken mit Dir in Zukunft weiterzuentwickeln. Manchmal ist es wichtig, diese großen Räume erst einmal zu öffnen und ihnen Zeit zu geben, sich zu entfalten.

Wenn Du wieder anknüpfen möchtest oder neue Ideen entstehen, bin ich bereit, gemeinsam weiter zu denken. Bis dahin wünsche ich Dir eine gute Pause und viele inspirierende Momente!

ELSBERG – HELIX. Eine verspätete Notiz

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 10.Sept. 2019
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

KONTEXT

Hier eine kurze Rezension des Romans Helix – Sie werden uns ersetzen von Marc Elsberg. Vom Thema her passt es sehr gut in das Koordinatensystem dieses Blogs.

SPÄTZÜNDER

Das Buch ‚Helix‘ erschien am 31.Oktober 2016, wahrgenommen habe ich dieses Buch erstmals während zweier langer Autofahrten August/ September 2019 als Hörbuch. Als Text zum Nachschauen habe ich die kindle-Version zur Verfügung.

ENTTÄUSCHTE LESER

Obwohl das Buch laut Werbung ein ‚Spiegel Bestseller‘ ist, gibt es nicht wenige Leserreaktionen (u.a. bei amazon), die an der Sprache des Buches, an seiner Aufsplitterung in allzu viele kleine Kapitel, an der schwachen Schilderung von Personen verzweifeln, überhaupt keine Spannung erkennen können, die das Ganze als Flop betrachten.

BEGEISTERTE LESER

Doch gibt es auch die andere Gruppe der begeisterten Leser. Sie beziehen ihre Begeisterung aus dem Stoff des Buches, aus den Möglichkeiten der modernen Gentechnik und ihren potentiell umwälzenden Konsequenzen. Denn all das, was uns heute noch ’normal‘ erscheint im Bereich Pflanzen, Tiere, Menschen, all das lässt sich im Licht der modernen Gentechnik potentiell verändern, nicht nur partiell, sondern grundsätzlich.

SCIENCE FICTION

Versteht man unter Science Fiction Literatur gedankliche Übungen, die heute bekannten wissenschaftlichen Tatsachen aufzugreifen, und mit diesem Wissen mögliche Zukunftsszenarien ‚realistisch‘ durch zu spielen, dann ist das Buch ‚Helix‘ ein echtes Science Fiction Buch: ausgehend von heute schon bekannten Möglichkeiten der Gentechnik wird durchgespielt, was passieren könnte, wenn sich eine Forschergruppe berauscht von den gentechnischen Möglichkeiten ganz dem Experiment mit dem heute scheinbar Unmöglichen hingibt (was Forschung grundsätzlich tut).

PHILOSOPHISCHES MORGENGRAUEN

Die grundsätzlichste Weise, sich denkerisch mit der uns gegebenen Wirklichkeit auseinander zu setzen, ist die philosophische. Sie beschränkt sich nicht auf einzelne Aspekte, beschränkt sich nicht auf einzelne wissenschaftliche Disziplinen, sondern fragt nach dem großen Ganzen, dem Zusammenhang zwischen all den einzelnen Perspektiven. Und sie fragt auch sogar noch weiter: sie bezieht die Wissenschaftler, den jeweiligen wahrnehmenden, erlebenden und denkenden Menschen selbst mit ein: wie funktioniert unsere Wahrnehmung, unser Fühlen, unser Denken? Warum sehen wir die Dinge so, wie wir sie sehen und nicht anders? Ist dies alles eher beliebig oder steckt darin eine verborgene Struktur, eine verborgene Logik?

Viele Jahrtausende waren die Menschen in ihrem Denken quasi ‚gefangen‘, ‚eingesperrt‘: man dachte, wie man gewohnt war zu denken, und es war unvorstellbar, diesen vorgegebenen Rahmen irgendwie zu sprengen.

Als dann die Biologie, angestiftet von der Geologie, zu begreifen begann, dass die Gegenwart der Organismen – und damit auch des Menschen als homo sapiens selbst – kein statisches Gebilde ist, sondern das Produkt von vorausgehenden Prozessen (von denen die Evolution nur ein Teilprozess ist), da begann den Biologen, Psychologen und auch einigen ersten Philosophen zu dämmern, dass tatsächlich auch ihr eigenes Denken keineswegs auf ewigen, absoluten Strukturen beruht, sondern auf einem Gehirn, das sich im Laufe von vielen Millionen Jahren herausgebildet hat.

Allerdings bedeutet dies nicht – wie viele im ersten Überschwang zu verstehen meinten — eine ‚Banalisierung‘ des Denkens, des Verstehens, weil man plötzlich die Maschinerie des Denkens erfasst zu haben glaubt, sondern im Gegenteil, das, was sich im Denken ausdrückt, im Fühlen, im Wollen, wurde damit eigentlich noch unheimlicher, da die materiellen Bestandteile der Struktur und des Prozesses tatsächlich keinerlei Erklärung dafür liefern, was sie ermöglichen.

Irgendwie beginnt das Verstehen zu verstehen, dass es tatsächlich geworden ist (evolutiv), aber dass es dann doch nicht ist, was es zu sein scheint. Was ist es dann?

BIOM ALS MEGA-COMPUTER

Das biologische Leben begann mit den ersten Zellen vor mindestens 3.5 Milliarden Jahren. Eines ihrer Merkmale war (und ist), dass sie quasi ihren eigenen ‚Bauplan‘ mit sich herum tragen, diesen nach Bedarf als eine neue Zelle ‚reproduzieren‘ und dabei Abweichungen, Varianten einfließen. Diese Änderungen geschehen zwischen zwei aufeinander folgenden Generationen. Allerdings explodierten diese Zellen nicht nur in alle Richtungen, innerhalb der Meere, viele Kilometer in das Erdinnere, später auch auf das Land und viele Kilometer über die Erde. Sie erschufen für sich eine Sauerstoffatmosphäre um energetisch leistungsfähigere Zellen zu bauen, und – sie tauschten Teile ihrer Baupläne untereinander aus, kontinuierlich. Besteht schon ein einzelner menschlicher Körper aus ca. 138 Billionen (10^12) Zellen, die miteinander kooperieren (was in etwa 450 Galaxien im Format der Milchstraße entspricht), dann kann man erahnen welche unfassbare Zahl an Zellen seit vielen Milliarden Jahren miteinander Bauplananteile untereinander austauschen. Nennt man alle biologische Zellen zusammen das ‚Biom‘, dann entspricht das Biom einem Supercomputer universellen Ausmaßes, der jede Vorstellungskraft übersteigt. Das reale Universum mit seinen scheinbar unfassbaren Dimension ist verglichen damit etwas sehr Einfaches.

Das Bild eines Super-Computers ist auch deswegen angemessen, da schon jede Zelle alle Grundmerkmale besitzt, die im 20.Jahrhundert für die Definition eines Computers herangezogen wurden. Unsere modernen Computer sind daher keine wirklich neue Erfindung; sie reproduzieren die molekülbasierten Architekturen auf Siliziumbasis mit anderen physikalischen Mitteln, leisten aber nichts Neues. Mathematisch unterscheidet sich der molekülbasierte Computer in nichts vom dem siliziumbasierten Computer.

Wenn nun also der BIOM-Super-Computer gut 3 Milliarden Jahre gebraucht hat, um jene Formen zu finden, die spätere komplexere Zellstrukturen und damit sogenannte höhere Lebensformen (Pflanzen, Tiere, homo spaiens…) repräsentieren, dann darf man vermuten, dass die Erschaffung von neuen Menschen mit überragend neuen Fähigkeiten möglicherweise keine ganz kleine Aufgabe ist, zumindest keine, die die steinzeitlich anmutenden Supercomputer der Gegenwart sehr schnell und überwältigend lösen werden.

ELSBERGS VISION

Obwohl Elsberg in seinem Buch eher zeigen möchte, was sich an Neuem heranbilden kann, wenn man anfängt, die Baupläne des BIOMs mit aktuellen technischen Hilfsmitteln zu verändern, zeigt er doch tatsächlich etwas ganz anderes (vielleicht unbeabsichtigt): er zeigt, wie unbeholfen, wie beschränkt, wie dumm die aktuelle Menschheit ist, mit dem ungeheuren Schatz des gewordenen BIOMs umzugehen.

Globale Konzerne sperren die Forschung ein, nur damit sie ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil ziehen können gegen die Interessen der restlichen Menschheit; sie scheuen nicht einmal davor zurück, unersetzbar wertvolle Bestandteile des BIOMs ersatzlos zu vernichten.

Regierungen von Nationen, die weitgehend schon alle eher autokratisch sind als demokratisch, eher menschenverachtend als Menschen schätzend, setzen alle ihre Macht ein – unter dem Mantra der ’nationalen Sicherheit‘ – um das wenige Wissen, was einzelne Forscher erarbeitet haben, für sich zu beschlagnahmen. Statt Wissen für alle nutzbar zu machen – das Ideal von Wissenschaft und einer freien Gesellschaft – wird Wissen ‚eingefangen‘, ‚verheimlicht‘, ‚eingesperrt‘, um es für eigene, sehr elitäre und eher dumme Anwendungen zu horten.

Die einzelnen Menschen in diesem Geschehen – als Kinder, als Eltern, als Beamte, … — sind eigentlich alle ausnahmslos ‚Betroffene‘, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Sowohl der Egoismus der Konzerne wie auch die jeweiligen Regierungen halten von der Bevölkerung — und damit von jedem einzelnen – jede wichtige Information fern. Desinformation als Standardfall der Information.

Der Umgang der politisch Verantwortlichen mit den Eltern und Mitarbeitern in dem abgeschlossenen Wohnviertel ‚New Garden‘ nach der Besetzung ist eines von vielen Beispielen, wie man Menschen nicht als Bürger ernst nimmt, sondern sie von vornherein erst einmal zum potentiellen Feind erklärt, ohne zu bedenken, dass es gerade diese Menschen sind, wegen denen man als politisch Verantwortlicher da ist und die man vor möglichen Bedrohungen schützen will. Informiert werden sie nicht, nicht einmal des-informiert, sie werden in ein Informations-Vakuum gestoßen, das jeder Menschenwürde und jeder Freiheit Hohn spricht.

In einem solchen durchgehend menschenverachtenden, gewalttätigen Klima muss das Aufbrechen neuer Lebensformen, neuer Potentiale gebunden an einzelne Körper, neue Menschen, in allen Bereichen zu Verwerfungen, Unruhen und Konflikten führen. Die neuen Kinder finden nicht die Umgebung, die sie eigentlich bräuchten. Die neuen Eltern sind isoliert, unter-informiert und weitgehend hilflos, und die wirtschaftlich oder politisch Verantwortlichen tragen viel zu enge Denkvorstellungen in ihren Köpfen und haben diese in Ihren Firmen bzw. staatlichen Institutionen implementiert, dass sie auf dieses wirklich Neue gar nicht angemessen reagieren können. Neue Menschen als Minderheit in einer weitgehend deformierten Gesellschaft, das kann nicht gut gehen.

Im Handlungsstrang von Elsbergs Buch entwickeln sich die Dinge dann ja auch genau entlang den strukturellen Vorgaben der deformierten Gesellschaft, die er zeichnet. Die ersten neuen Menschen, altersmäßig noch Kinder, geraten in einen Konflikt nach den anderen, dazu noch in emotionale Konflikte untereinander, für deren Lösung Intelligenz als solche wenig beitragen kann.

Dramaturgisch ist interessant, dass Elsberg die einzigen positiven Visionen einer menschlicheren Gesellschaft in einem der neuen Kinder verortet, das seine Intelligenz dazu nutzen möchte – und auch nutzt –, um eine moderne Landwirtschaft für alle Menschen zu entwickeln, dazu ein Eugenikprogramm für alle Menschen, nicht nur für Privilegierte. Und es entspricht eigentlich der klassischen griechischen Tragödie, dass die Unlösbarkeit der emotionalen Konfliktlage zwischen den Kindern – und dem ganzen Rest der Menschheit – die wunderbare Kraft des Denkens schließlich im zerstörerischen Chaos der Emotionen versenkt.

EPILOG

Hier könnte der eigentliche Roman beginnen, aber da endet er.

Das ist ehrlich.

Ist es doch genau das, was wir als Menschheit sind: ein universaler Hoffnungsträger, der aber noch hoffnungslos verstrickt ist in seinem eigenen Chaos.

Aber immerhin: aus dem reinen Nichts ein BIOM erstehen zu lassen, darin als Teil den homo sapiens, das muss man erst einmal schaffen. Die Physik steht ratlos daneben, und nicht nur diese.

Man kann gespannt sein, wie es weitergeht, im realen Leben, dem eigentlichen Roman …

BUCHANGABEN

Marc Elsberg – Helix. Sie werden uns ersetzen.

Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2016
Format: Gebundene Ausgabe
Verlag: blanvalet Verlag
Seiten: 648

ISBN: 978-3-7645-0564-6

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GENERATION KRISE ALLEIN ZU HAUS. Nachhall zu einer besonderen Tagung

Letzte Korrekturen: 19.11.2016 – 13:58h

ZUSAMMENKUNFT

  1. Wenn 140 ausgewiesene ExpertenInnen aus ganz Deutschland (und zum Teil aus dem angrenzenden Ausland) zusammen kommen, um miteinander Erfahrungen und Ideen offen und frei auszutauschen, einen Tag lang, dann ist dies etwas Besonderes. Und wenn dann gleich ab Beginn zwei Moderatoren im Rang von Professoren simultan auftreten, die die Ereignisse feinsinnig, humorvoll und kritisch ein- und ausleiten, dann kann man spüren, hier wird etwas sehr ernst genommen.

ABWESENHEIT DER GENERATION ZUKUNFT

  1. Wie im Verlauf des Tages aber sichtbar wurde, indirekt, durch Abwesenheit, hatte diese wunderbare Versammlung eine große Schwäche: obwohl so viele, war sie alleine, alleine in einem wunderbaren Haus, unter sich; die junge Generation, die aktuelle Generation Zukunft, war abwesend. Dies muss keine Schwäche sein, kein Manko, aber wenn es um die Zukunft der Gesellschaft geht, wenn es um das Räsonieren in einer Krise geht, die die ältere Generation empfinden kann, weil sie den Wandel des Vorher und Nachher am eigenen Leib erlebt hat und erlebt, die junge Generation aber im Wandel aufwächst ohne Kenntnis des Vorher, ohne Differenzen und Ängste, eher von Hoffnung, Neugierde und kreativ-konstruktivem täglichem Umgang geprägt, dann ist das Fehlen der Generation Zukunft ein struktureller, fundamentaler Mangel. Die Älteren, die Generation der Krise, ist allein zu Hause, besingt sich gegenseitig im Schmerz, und verliert den Boden der Zukunft aus den Augen… oder doch nicht?

OUVERTÜRE DES SCHRECKENS

  1. Der Auftakt der Veranstaltung glich dem in einer Oper, mit einem dramatischen Vorspiel: zwei ausgewiesene Experten, ein Mann und eine Frau, eröffneten mit einem apokalyptischen Donnerschlag das Geschehen.
  2. In einem Stakkato von Fakten wurde die rasant voranschreitende Umringung und Einkapselung der Menschen mit der modernen digitalen Technologie in den Raum projiziert. Mehr und mehr wird jeder Winkel unseres alltäglichen Daseins erfasst, aufgezeichnet, gesammelt, ausgewertet und per Algorithmen verwendet. Teils geleitet von den Interessen global operierender Konzerne, die sich nationalen Kontrollen entziehen, teils geleitet von nationalen Sicherheitsorganen, die im Namen der Sicherheit jeden zu einem potentiellen Kriminellen machen, vorbeugend. Um ein paar Terroristen zu verhindern werden ganze Völker in digitale Fesseln gelegt und prophylaktisch als potentielle Täter markiert.(In manchen Bundesstaaten der USA werden Richter schon jetzt per Gesetz dazu verpflichtet, das Urteil von Algorithmen über Menschen aufgrund dieser Datensammelwut in ihrem Urteil zu berücksichtigen. Wehe wer schon mal schuldig wurde (auch wegen Bagatellen), er ist im Sinne des Algorithmus schuldig und ist für sein ganzes Leben gebrandmarkt!). Der irrationale Glaube an die Macht der Algorithmen und BigData hat schon jetzt quasi religiöse Züge angenommen. Wissenschaftliche Kritik prallt ab, weil die Betreiber keine Wissenschaftler sind, sondern Praktiker der Macht und Machtausübung. Demokratische Kontrollen sind schon jetzt weitgehend außer Kraft gesetzt, stehen nur noch auf dem Papier.
  3. Innerhalb dieser Algorithmisierung lebt der einzelne in einem Datenraum, den er selbst nur noch zum Teil selbst bestimmt. Die Algorithmen der Konzerne spiegeln ihm seine eigenen Aktivitäten so zurück, das er nur noch die Werbung, die Nachrichten, die Informationen sieht, von denen die Algorithmen annehmen, dass er sie mag. Die Vielfalt der Welt wird weggefiltert, ausgeklammert; jeder sitzt jetzt in einer sehr individuellen Datenglocke, in einer künstlichen digitalen Datenwolke, die alles abhält, was stören könnte. Schalte ein, ich weiß schon was Du willst und ich sage Dir, was Du tun sollst….

WO BITTE GEHT‘S ZUR POLITIK?

  1. Dieser atemberaubenden Ouvertüre folgte ein weiteres Mann-Frau Duo. Hier geriet auch wieder der einzelne Bürger ins Scheinwerferlicht des räsonierenden Verstandes. Der einzelne Bürger, der mit der umgebenden Gesellschaft interagiert und wo die Frage aufgeworfen wurde, ob und wie der Bürger im Kontext der neuen digitalisierten Gesellschaft noch politisch agieren kann. Soziale Netze, online Petitionen, die neue Direktheit vieler Politiker und der Parteien im Netz; eine neue Vielheit von Identitäten, die eine einzelne Person annehmen und im Netz leben kann. Die wachsende Zahl von Web-Bots, die gezielt falsche Informationen streuen, um Meinungen zu manipulieren; die Anonymität, die mehr Fakten erlaubt, aber auch mehr Schmähungen und Hass; Raum für Menschen und Schichten, die vor dem Netzzeitalter keinen Weg in die Öffentlichkeit fanden, weil sie durch die Macher der Medien weggefiltert wurden. Man spricht gerne von Qualitätsjournalismus, aber die Kehrseite der Qualität war die Vernichtung der Realität all der Vielen, mit denen die Journalismuselite sich nicht abgeben wollte. In vielen Staaten mittlerweile eine staatliche Überwachung und Zensur des Netzes; nur nichts öffentlich werden lassen, was die herrschenden Eliten in Frage stellen könnte. ..
  2. Was soll man von dem allen halten: Ist es jetzt der Untergang der Demokratie oder eine neue Chance? Haben wir hier einen weiteren Strukturwandel der Öffentlichkeit im Sinne von Habermas, der nach Cafe-Haus, Zeitung, Radio und Fernsehen heute mit dem Web eine neue Dimension von Interaktion und Kommunikation ermöglicht, eine neue intensive Form, die uns weiter bringen könnte (wohin?) oder die uns in neue Gefangenschaften führt (welche)? Dass wir einen Strukturwandel erleben, ist so handfest, so unübersehbar, dass man gleich zu den Fragen eilen kann, wofür das Gut sein kann bzw. worin das Schlechte besteht, was dadurch begünstigt wird. Haben wir mehr Freiheit, wenn uns auf Schritt und Tritt eine Vielzahl von digitalen Zwängen bei der Nutzung der Technologie aufgezwungen werden? Sind wir durch die Nutzung nicht schon im Ansatz unserer selbst weitgehend enteignet? Sind wir nicht schon längst die neuen digitalen Sklaven? Wieweit beeinflussen diese neuen Umgebungen die Entstehung des Wissens in den Köpfen der Menschen? Welches Wissen? Wozu ist dieses Wissen noch fähig? Züchtet sich das digitale System nicht seine naiven, unkritischen Wissensklone, die nur noch wissen, was das System zulässt, und die nur noch gut finden, was das System will, dass wir es gut finden?

AB INS GESPRÄCH

  1. Die Wucht dieser einleitenden Bilder schwebte über allen Köpfen und bildete das geistige Gepäck, mit dem die Versammlung in die verschiedenen Gesprächskreise entlassen wurde.
  2. Es gab drei aufeinanderfolgende Gesprächsrunden mit jeweils 6 Optionen. Jede Runde war zeitlich sehr eng bemessen und die Optionen waren nicht so klar gekennzeichnet; eine vorweg Auswahl war schwierig. Die Pausen war sehr knapp.
  3. Was man aufgrund dieser Einteilung ahnen kann, war dann auch Realität: die Zeit der Gesprächsrunden war zu knapp, um sich den komplexen Themen gesprächsweise nähern zu können. Es blieb meistens bei isolierten Statements, fragmentarisch; und wenn dann noch Langredner in der Runde saßen, war der Diskurs sehr eng. Eindrücke ja, aber wirklicher Diskurs, nein. Der einzige verwertbaren Ankerpunkt waren immer die Kurzstatements von ExpertenInnen zu Beginn. Natürlich kamen Gedanken trotz der Fragmente in Gang, und wenn man dann mit einzelnen in der Pause weiter sprechen wollte, musste jeder schon wieder weiter zur nächsten Runde. Der Gedanke einer abstrakten Effizienz wurde hier zum Feind des personalen Sinns. Auch die Auswahl unter den Optionen wurde zum Glücksspiel. Aufgrund der Beschreibungen konnte man kaum vorwegnehmen, worum es in der jeweiligen Runde wirklich gehen würde. Dazu kam, dass die 6 Optionen auch als Folge von drei Sitzungen thematisch gedacht waren. Wechsler passten dann nicht in den Ablauf, obgleich dies propagiert worden war. Wer sich also auf eine Wanderung durch verschiedene Optionen einließ, hatte am Ende des Tages dann drei von 18 Gesprächsrunden besuchen können, also sehr selektiv.

JOURNALISMUS UND DIGITALISIERUNG

  1. Der Autor dieser Zeilen fand sich zunächst in einem Kreis wieder, der über den Journalismus im Webzeitalter sprach. Nach neuen Untersuchungen soll die Generation Smartphone nur noch im Netz, auf Portalen, in sozialen Netzen leben. Radio, TV und Zeitungen sind out. Und die Rolle der Journalisten, die schon immer zwischen den kommerziellen Interessen der Herausgeber und den Qualitätsanforderungen der Inhalte in einem schwierigen Spagat gelebt haben, geraten durch die gewaltigen Verschiebungen in der Medienlandschaft und den sich verändernden Geschäftsmodellen weiter unter Druck. Während die einen darin nur einen Untergang von Qualität erkennen können, meinen andere, hier lägen auch Chancen. Auch beim sogenannten Qualitätsjournalismus gab es dunkle Seiten: Ausklammerung ganzer Schichten, Vernachlässigung des Regional-Lokalen, Ausfilterung von Themen, Diktat der Sprache, wenig Selbstkritik bei den Machern. Das Web (vor allem auch youtube) erlaubt die Teilnahme von Allen, neue Formate, neue Inhalte, Vielfalt an Sprachen, aber Mangel an Qualität, wird behauptet.
  2. Betrachtet man das Ganze aus Sicht einer Demokratie, die auf eine funktionierende Öffentlichkeit angewiesen ist, dann scheint das Räderwerk von Wissensarbeitern – hier speziell die Journalisten – als Inhaltsproduzenten, von Inhaltsagenturen, von Verbreitungskanälen mit dem Niedergang der klassischen Zeitungen gefährdet. Parallel leistet sich der Staat eine teure Radio-TV-Landschaft, die ihre Adressaten ans Netz verloren hat. Zugleich finanziert der Staat Schulen und Hochschulen, weil er der Überzeugung ist, dass die Ermöglichung von qualifiziertem Wissen in den Köpfen der jungen Generation wichtig ist. Natürlich drängt sich dann die Frage auf, warum man die Rolle der journalistischen Inhaltserzeuger nicht aus dem zunehmend prekären Verhältnis der kommerzialisierten Presse herausnehmen und in das System staatlicher Förderungen einbetten sollte?

GLOBALE DIGITALE PLAYER

  1. In einem anderen Gesprächskreis wurde das Selbstverständnis der großen globalen digitalen Firmen in den Fokus gerückt. Diese global operierenden, dem nationalen Zugriff scheinbar ganz entzogenen Firmen sehen sich – im Eingangsstatement – in der Tradition der technischen Problemlösung: jedes Problem kann gelöst werden. Es braucht Persönlichkeiten mit unternehmerischen Visionen, keine Politik. Moderne Algorithmen können effizienter sein als Menschen, nachhaltiger. Die Arbeitnehmer werden zu Freelancern, zum ein-Mann-Frau-Franchising Unternehmen, das alles bekommt, was es zur Arbeit braucht, dafür aber maximal abhängig ist vom Kontextgeber. Der einzelne ist nichts mehr, die Firma, die große Idee ist alles.
  2. Mittlerweile ist selbst diesen großen Firmen klar, dass diese Form von globalem Kapitalismus ganze Regionen (und Länder?) zerstören kann, dass nicht mehr alle genügend Arbeit finden können. Man möchte dieses gesellschaftliche Problem an die Politik delegieren, die man ansonsten verachtet und ausgrenzt. Die Politik soll die Versorgung des großen Proletariats der Nicht-Mehr-Arbeit-Habenden versorgen. Grundeinkommen lautet die Parole. Während ein anwesender Vertreter der Gewerkschaften meinte, dass sie das Problem im Griff hätten, sagten drei anwesende Sozialwissenschaftler, dass sie für diese neue Situation noch keinerlei wissenschaftliche Ansatzpunkte haben. Diese Entwicklung sei viel zu schnell über alle gekommen, zu umfassend; hier ist dringender Forschungs- und Theoriebedarf (gerade dort, wo die meisten Geldern von der Politik gekürzt werden).

ENHANCEMENT – GENETIK

  1. Im dritten Gesprächskreis, an dem der Autor dieser Zeilen teilnehmen konnte, ging es um die neuen Möglichkeiten der Gentechnik, ihre Konsequenzen. Während die Gesellschaft es begrüßt, wenn Krankheiten durch Gentechnik abgemildert oder ganz verhindert werden können, wirkt sie irritiert und beunruhigt, wenn die Forschung darüber hinaus experimentiert. Sollen werdende Eltern sich aufklären lassen über die gesundheitliche Zukunft ihres Kindes? Was tun sie, wenn ihnen eine schlechte Prognose gestellt wird aufgrund der genetischen Analyse? Wem gehört überhaupt das Genom (die Erbanlage, die Gene): dem Kind, den Eltern, oder der Gesellschaft?
  2. Noch radikaler waren Fragen nach dem Standpunkt, von dem aus die Gesellschaft auf die neuen Möglichkeiten schaut. Kann und darf man die aktuellen Weltbilder und Normen zum Maßstab für eine Zukunft nehmen, die wir eigentlich nicht kennen? Müssen wir nicht akzeptieren, dass wir nur einen Durchgangspunkt auf einer Entwicklungslinie des Lebens markieren, das nach ganz anderen Gesetzen funktioniert, als wir sie uns gerne zusammen reimen? Sind wir nicht sogar verpflichtet, die experimentellen Möglichkeiten voll auszuschöpfen, da wir die kommende Zukunft ansonsten möglicherweise nicht meistern können? In der begleitenden Ausstellung werden Künstler gezeigt, die versuchen, die sensorische Ausstattung des Menschen über das Ist hinaus auszudehnen, da die aktuelle körperliche Verfassung für eine Zeit günstig war, die seit fast 200.000 Jahren vorbei ist. Was sich hier schmerzlich zeigte, das war die Abwesenheit von Evolutionsbiologen und Kulturanthropologen, um diese Dimension einzubringen. Der einzige, der diese Themen zur Sprache brachte war ein Philosoph; er wirkte mit diesen Ansichten aber fast schon wie ein Fremdkörper in einer sehr ‚in sich ruhenden Gegenwartssicht‘…

PLENUM

  1. Das abschließende Plenum konnte die Farbigkeit der Gesprächskreise nicht wiedergeben. Sperrige Positionen waren weggefiltert, was – sehr verständlich – an den Sichten der jeweiligen BerichterstatterInnen lag.

WAS BLEIBT VON SOLCH EINEM TAG?

  1. Die Unzulänglichkeit der gedanklichen und gesprächsweisen Verarbeitung im Tag selbst wurde schon angesprochen. Wie aber soll es weitergehen? Welche Schlüsse zieht man aus solch einem Tag?
  2. Mir scheint, die Intention hinter dieser Tagung lässt sich nicht mit einem einzigen Tag erreichen. Ein Tag reicht vielleicht aus – wenn man etwas mehr Muße im Tag hätte –, Umrisse eines komplexen Problems sichtbar zu machen, aber ein Tag reicht nicht aus, um dann auch noch mögliche konstruktive Ansatzpunkte für geeignete Antworten zu finden. Dazu bräuchte man unbedingt einen zweiten Tag. Und, wie gerade dieses Thema zeigt, sollte man dazu unbedingt die Generation Zukunft hinzu ziehen. Mann-Frau ist eine Perspektive, aber Alt-Jung ist eine andere, die sich noch viel nachhaltiger auf die Sicht der Dinge auswirkt. Frauen und Männer sind sich letztlich in der Gesamtschau einig, da sie alle in der gleichen Zeit groß geworden sind, aber Alt-Jung sind grundverschieden. Und vielleicht sollte man sogar noch differenzieren nach Generationen: 0-30, 30-60, über 60. Der Austausch zwischen den Generationen ist sehr interessant, wobei 0-30 und über 60 eine besonders spannende Mischung zu sein scheint. Arbeitshypothese: wenn man eine Tagung hätte mit zwei parallelen Strängen A=(0-30 + über 60) und B=(30 – 60), dann würde die Gruppe A die Gruppe B in jeder Hinsicht übertreffen… wer würde solch ein Experiment wagen?
  3. Aber zurück zu Inhalten, was wären mögliche Ansatzpunkte, um sich der Zukunft in der aktuellen Situation zu stellen? Es gibt viele Ansatzpunkte, Hier einige wenige aus der Sicht dieses Blogs und von Autor cagent.

LERNRÄUME

  1. Die zunehmende Umzingelung des einzelnen, die zunehmende digitale Bevormundung war ein durchgängiges Thema in vielen Gesprächen. Dies verweist auf die Frage, wie denn die Generation Zukunft jenes Wissen und jene Kompetenzen erwerben kann, die sie für eine zukunftsfähige Lebensgestaltung braucht. Wir haben ein umfassendes Bildungssystem in Deutschland. Es hat wirkliche Stärken und Qualitäten. Der Realität der Digitalisierung stellt es sich aber bislang kaum. Dies hat viele Gründe. Man könnte sich ja die Frage stellen, warum man nicht in jeder Schule und in jeder Universität eine experimentelle Version der Schule und der Universität einrichtet: in jeder Schule und Universität sollte es die Möglichkeit geben, dass Lernende und Lehrende völlig frei darüber entscheiden können, wie sie die großen Lernziele mit frei wählbaren Methoden und Mittel erreichen können. Man müsste den – rechtlich wie methodischen – Schwachsinn der aktuellen Akkreditierungsagenturen abschaffen und wieder auf die Kompetenzen der Lernenden und Lehrenden selbst vertrauen, dass sie die Wege finden, wie man im digitalen Zeitalter anders lernt, um sich für die Zukunft fit zu machen. Das notorische Misstrauen in die Menschen und in die junge Generation muss ein Ende haben. Ohne Vertrauen und Verantwortung kann es keine neue Zukunft geben.(Anmerkung, im Institut für Neue Medien Frankfurt (INM), bereiten wir gerade ein erstes Experiment in diese Richtung vor, zusammen mit Schulen und Hochschulen).

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

  1. Ein neues Element in der Digitalisierung ist das Erstarken der Rolle der sogenannten Künstlichen Intelligenz. Aktuell ist das, was künstliche Intelligenz genannt wird, zwar noch keine wirkliche voll selbständig lernende Intelligenz, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich dies weiter verbessert. Dennoch ist der Faktor da, wirtschaftlich relevant und schon gesellschaftlich wirksam (Stichwort: Zukunft der Arbeit). Was aber überall fehlt, das ist ein Wissen darüber, was künstliche Intelligenz wirklich ist, wie sie funktioniert, was sie kann, wo möglicherweise Grenzen liegen, und, vor allem, ob und wie eine Zukunft des Menschen mit solch einer Künstlichen Intelligenz aussehen kann (der berühmte Qualitätsjournalismus versagt hier vollständig; die Schönheit der Bilder übertönt die Leere der Aussagen). Ist es wirklich so,dass die intelligenten Maschinen den Menschen sehr bald ersetzen werden (was Humanisten und Singularity-Gläubige annehmen), oder gibt es eine alternative, mehr symbiotische Zukunft von Mensch und Maschine?(Anmerkung: diese Frage wird auch im INM untersucht, Beispiel emerging-mind Projekt).

DEMOKRATIE

  1. Noch gibt es reale Demokratien auf dieser Welt. Ihr Zahl nimmt ab, und die Erosion ihrer Prinzipien schreitet voran (auch durch die Politiker selbst; u.a. durch den gravierenden Lobbyismus). Es ist eine dringende Frage, wie die entscheidenden Faktoren einer funktionierenden Demokratie in einer digitalisierten Welt erhalten und gestärkt werden können. Was können und was müssen wir tun? (Anmerkung: … ich sags nicht … :-))

PERFORMANCE

  1. Was nützen die besten Ideen, wenn keiner davon erfährt. Die eine Schiene sind die bekannten Muster von Publikationen. Eine andere ist künstlerische Performance: Sound, Handlungen, Bilder, … Welche Performance widmet sich der künstlerischen Kommunikation von Philosophie und Wissenschaft? Unser subventionierte Kulturbetrieb ist voll von sozialen, psychologischen, personalisierten Stoffen; wer kümmert sich um Weltbilder? (Anmerkung: Ja, das INM versucht sich auch hier, siehe Philosophy-in-Concert.)

EPILOG

  1. Dies sind nur Stichworte, vielleicht anregend. Wir brauchen eine kontinuierlichen Diskurs auf allen Ebenen. Noch haben wir eine Demokratie in Deutschland und Europa. Europa hat sie erfunden; gehen wir mit ihr auch unter?

EPILOG 2

  1. Wer bis hierher gelesen hat, mag vielleicht den Eindruck bekommen haben, dass ich die Tagung in Grund und Boden kritisiere. Das währen ein ganz falscher Eindruck, denn der kritische Tone, der sich über alle Inhalte und Ereignsse legt, setzt voraus, dass es ein Ereignis gab, und zwar ein sehr komplexes Ereignis. Die Tagung war eine fantastische Tagung, veranstaltet von der Schader-Stiftung in Darmstadt; so viele wunderbare Menschen an einem Ort in solch offener Weise zu versammeln; das gibt es nicht so oft. Und trotz der zeitlichen Begrenzungen und der damit einhergehenden Fragmentarität wurde doch das Phänmen des Wandels in vielen Facetten sichtbar, groß, übergroß bisweilen, Schauder hervorrufend. Ohne diesen Schauder angesichts des vielschillernden Phänomens kann es keine gezielten Anstrengungen geben. Von daher muss man den Veranstaltern ein großes Lob aussprechen: sie waren sehr mutig und großzügig, damit dies möglich wurde.

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ENDSPIEL, ENDKAMPF, ODER NEUER EVOLUTIONSSCHUB?

(Letzte Änderungen: 23.Nov.2014, 14:46h)

1. Während der Begriff ‚Endspiel‘ durch seine sportliche Konnotationen noch keinen letzten Schrecken verbreiten muss, klingt ‚Endkampf‘ biblisch-apokalyptisch: Endzeitstimmung; das Böse kämpft gegen das Gute; alles steht auf dem Spiel. ‚Evolutionsschub‘ deutet die Perspektive der Naturwissenschaften an, eine methodische Objektivität eines ‚Strukturwandels‘, der sich ’natürlich‘ aus der ‚Vorgeschichte‘ ergibt. Obwohl ich grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Sicht zuneige als Grundlage aller Argumentationen über unsere empirisch erfahrbare Welt und damit bei weitreichenden Veränderungen eher einen ’natürlichen Strukturwandel‘ unterstelle, haben wir es bei dem aktuellen Strukturwandel mit Phänomenen zu tun, in die ’subjektive Anteile‘ von beteiligten Menschen, Gruppierungen, Parteien, Firmen usw. mit eingehen. Die ‚Natur‘ hat zwar aufgrund der Gesamtheit aller beteiligten physikalischen Eigenschaften ‚von sich aus‘ eine — möglicherweise ’spezifische‘ — ‚Tendenz‘ sich zu verändern, aber der weltweite Einfluss biologischer Systeme auf den weiteren Gang mit der ‚biologischen Eigendynamik, die – wir wir wissen – gegen grundlegende physikalische Gesetze (z.B. 2.Hauptsatz der Thermodynamik) gerichtet zu sein scheint, erscheint mittlerweile so stark, dass der biologische Faktor neben den physikalischen Prinzipien ein Gewicht gewonnen hat, welches es verbietet, rein ‚technisch‘ von einem Evolutionsschub als ‚ausrechenbarem Strukturwandel‘ zu sprechen.

2. In diesem globalen Kontext erscheint ein Thema wie Informatik & Gesellschaft auf den ersten Blick eher speziell; auf den zweiten Blick zeigt sich aber gerade in diesem Thema eine der globalen Verwerfungslinien zwischen dem ‚Zustand bisher‘ und dem ‚Zustand, der neu beginnt‘. Das Thema ‚Informatik‘ bzw. ‚Computertechnologie‘ galt eher als Teil der Technologie, die nicht eigentlich der ‚Natur‘ zugeordnet wurde. Wie überhaupt seit Aufkommen der ‚Maschinen‘ die Maschinen als Leitmuster der Technologie immer als Gegensatz zur ‚chemischen und biologischen Evolution‘ gesehen wurden. Neben vielen kulturellen Denkmustern, die solch eine ‚Trennung‘ begünstigten, war es sicher auch die mindestens von der antiken Philosophie herrührenden Trennung von ‚unbelebt‘ (die ‚Stoffe‘, ‚Subtsanzen‘, die ‚Materie‘ als solche sind ‚unbelebt‘) und ‚belebt‘ (‚atmend‘ (pneo), Atem als universelles Lebensprinzip (pneuma)), das seinen Ausdruck im ‚Geist‘ (pneuma‘) findet. Da dieser Gegensatz von ‚unbelebt‘ und ‚belebt‘ mehr als 2000 Jahre nicht wirklich aufgelöst werden konnte, konnte sich eine Art ‚Dualismus‘ ausbilden und durchhalten, der wie eine unsichtbare Trennlinie durch die gesamte Wirklichkeit verlief: alles, was nicht ‚atmete‘ war unbelebt, materiell, un-geistig; alles was atmete, belebt war, befand sich in einer Nähe zum universellen Geistigen, ohne dass man eigentlich näher beschreiben konnte, was ‚Geist‘ denn nun genau war. Nicht verwunderlich, dass sich alle großen Religionen wie ‚Hinduismus‘, ‚Judentum‘, ‚Buddhismus‘, ‚Christentum‘, ‚Islam‘ (trotz z.T. erheblicher Differenzen in den Details), diesem Dualismus ’nachbarschaftlich verbunden fühlten‘. Der intellektuell-begriffliche ‚Ringkampf‘ der christlichen Theologie und Philosophie (und streckenweise des Islam, Avicenna und andere!) mit diesem dualistischen Erbe hat jedenfalls tiefe Spuren in allen theologischen Systemen hinterlassen, ohne allerdings dieses ‚Rätsel des Geistes‘ auch nur ansatzweise aufzulösen.

3. Diesen historischen Kontext muss man sich bewusst machen, um zu verstehen, warum für viele (die meisten? Alle?) die plötzliche ‚Nähe‘ der Technologie im alltäglichen Leben, eine sich immer mehr ‚anschmiegende‘ und zugleich ‚verdrängende‘ Technologie an diesem im Alltagsdenken ‚historisch eingebrannten‘ Dualismus‘ zu kratzen beginnt, zu wachsenden Irritationen führt (andere Technologien wie Nanotechnologie und Gentechnik gehören auch in diesen Kontext, wenn auch anders).

4. Im Ankündigungstext zur erwähnten Veranstaltung Informatik & Gesellschaft (siehe auch den Kurzbericht) wurde bewusst herausgestellt, dass seit den ersten Computern eines Konrad Zuse und dem Eniac-Computer von John Presper Eckert und John William Mauchly (1946) die Computertechnologie mittlerweile nahezu alle Bereiche der Gesellschaft in einer Weise durchdrungen hat, wie wohl bislang keine andere Technologie; dass diese Technologie realer Teil unseres Alltags geworden ist, sowohl im Arbeitsleben wie auch in der Freizeit. Man kann sogar sagen, dass diese Technologie die menschliche Lebensweise schon jetzt (nach ca. 60 Jahren) real und nachhaltig verändert hat. Neue Formen der Kommunikation wurden ermöglicht, Veränderungen der Mobilität, automatisierte flexible Produktion, Computermusik, computergenerierte Bildwelten…

5. Aber diese Durchdringung von nahezu allem – was heißt das? Die neue historische Qualität dieser Technologie besteht darin, dass diese Technologie – bislang immer noch klar erkennbar als ‚Maschinen‘, bislang nicht als ‚biologische‘ Strukturen – ‚Verhaltensweisen‘ zeigt, die denen der Menschen als Prototypen von ‚geistigen‘ Wesen ähneln. Aufgrund dieser ‚Ähnlichkeit‘ werden sie Teil von ‚typisch menschlichen‘ Handlungsabläufen (Kommunizieren, Wissen verwalten, Sport und Kunst machen, Spielen, komplexe Modelle und Prozesse entwerfen und simulieren, dann auch steuern, usw.). Seit den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts – also nach nicht mal ca. 30-40 Jahren — hat sich diese Technologie so mit dem menschlichen Alltag verwoben, dass eine moderne industrielle Gesellschaft komplett zusammenbrechen würde, würde man diese Technologie von jetzt auf gleich abschalten.

6. Befürworter eines noch intensiveren Einsatz dieser neuen Computertechnologien z.B. im Bereich der Industrie unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ (so z.B. Prof. Schocke in seinem Beitrag auf der Veranstaltung Informatik & Gesellschaft – Kurzbericht oder die Autoren Thomas Klein und Daniel Schleidt in der gleichnamigen FAZ Beilage vom 18.Nov.2014 auf den Seiten V2 (Klein) und V6 (Schleidt)) sehen vor allem das Potential zu noch mehr Produktionssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und besserer Ressourcennutzung. Gleichzeitig betonen die drei Autoren die Notwendigkeit von mehr Computertechnologie in der Industrie wegen des internationalen Wettbewerbs. Von den drei genannten Autoren spricht einzig Thomas Klein auch die Kehrseite des vermehrt ‚menschenähnlichen‘ Einsatzes dieser Maschinen im Kontext von Industrie 4.0 an: das damit möglicherweise auch viele Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang für Menschen Arbeitsmöglichkeiten geboten haben. Klein zitiert Untersuchungen, nach denen 47% der bisherigen Arbeitsplätze in den USA in den nächsten 10 Jahren Kandidaten für eine Substitution durch Computergestützte Technologien sind. Dies sind massive Zahlen. Dalia Marin, Professorin für Volkswirtschaft, versucht diese kommende Arbeitsmarktproblematik weiter zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass mehr Automatisierung kommen wird, sieht sie neben dem Rückzug von Hochtechnologieproduktionen in die angestammten Industrieländer dort aber die grundsätzliche Entwicklung zur Vergrößerung der Kapitalquote und zur Verringerung der Lohnquote. Diese Verringerung soll vor allem den Akademikersektor treffen; teure menschliche Arbeitskräfte werden bevorzugt von billigen computerbasierten Technologien ersetzt (FAZ 21.Nov.2014, S.16). Sowohl Klein wie auch Marin betonen aber auch, dass solche Zukunftseinschätzungen problematisch sind; der Prozess ist zu komplex, als dass man ihn einfach hochrechnen könnte.

7. Was bei allen vier genannten Autoren auffällt – auch bei den Autoren der Beilage ‚Innovation‘ (FAZ 20.Nov.2014) – ist, dass sie die ‚intelligente‘ und ’smarte‘ Technologie überwiegend aus einer ‚Außensicht‘ behandeln. Sie lassen die Wirkmechanismen dieser neuen Technologien, ihre maschinelle Logik, das, was sie so leistungsfähig macht, mehr oder weniger im Dunkeln. Smarte, intelligente Technologie erscheint dadurch – ich pointiere jetzt ein wenig — wie ein Naturereignis, das geradezu mystisch über uns hereinbricht, das einfach passiert, das so ist wie es ist, das man einfach hinnehmen muss. Auch fehlt eine historische Einordnung dieser Prozesse in das große Ganze einer Evolution des Lebens im Universum. Die sehr differenzierten Sichten von Daniel Schleidt enthalten zwar ein eigenes Schaubild zur industriellen Entwicklung, aber dieses greift – nach meiner Einschätzung – zu kurz. Es zementiert nur eher den opaken Blick auf das Phänomen, macht es begrifflich unzugänglich, schottet es für die Reflexion ab. Auch die volkswirtschaftliche Ausweitung des Blicks durch Marin geht – nach meiner Einschätzung – nicht weit genug. Sie betrachtet das Problem einer möglichen und wahrscheinlichen Substitution von menschlicher Arbeit durch computerbasierte Technologien in gegebenen historischen Kontexten und hier auch nur in einer kurzen Zeitspanne. Sie thematisiert aber nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als solche. Sehr wohl kann man die Frage nach dem aktuellen Gesellschaftsmodell stellen. Sehr wohl kann man die Frage aufwerfen, ob es ein gutes Modell ist, wenn einige wenige GFinanz- und Machteliten mit dem Rest der Menschheit nach Belieben spielen. In der Frankfurter Rundschau wird seit vielen Wochen das Thema ‚Gerechtigkeit‘ diskutiert (siehe zuletzt z.B. Mohssen Massarat, Prof. für Wirtschaft und Politik mit seiner Übersicht verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, FR 15./16.Nov.2014, S.9) und die Lektüre eines Buches wie ‚Die Abwicklung‘ von George Packer zeigt, dass eine reflexionsfreie oligopolistische Gesellschaft wie die US-Amerikanische mehr Fragen aufwirft als sie befriedigende Antworten liefert.

8. Sieht man nur die bisherigen Diskussionsbeiträge, dann kann einen schon die klamme Frage beschleichen, warum so viele Autoren in den Spiegeln der Gegenwart immer nur noch ‚das Andere‘ sehen, die ‚Maschine‘, während der ‚Mensch‘, die ‚Menschheit‘ als Hervorbringer dieser Technologien in diesem Sichtfeld gar nicht mehr vorkommt. Es ist wie ein intellektueller blinder Fleck, der die leisesten Zuckungen von Maschinen wie eine Neugeburt feiert während das ungeheuerliche Wunder der Entstehung komplexer Lebensstrukturen auf der Erde (das bis heute in keiner Weise wirklich verstanden ist!) nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Fokussierung auf spezifische Fragestellung hat seinen Sinn und ist und war ein Erfolgsrezept, aber in einer Zeit, in der disziplinenübergreifend komplexe Phänomene alles mit allem verzahnen, in einer solchen Zeit erscheint diese selbstgenügsame Tugend nicht mehr nur nicht angebracht, sondern geradezu kontraproduktiv zu sein. Eine falsche Fokussierung führt bei komplexen Phänomenen notwendigerweise zu Verzerrungen, zu Verfälschungen, zu falschen Bildern von der Gegenwart und einer sich daraus ergebenden Zukunft (es sei auch an die lange Diskussion in der FAZ erinnert zu den Schwachstellen moderner Betriebs- und Volkswirtschaftstheorien, die nicht nur die letzten Finanzkatastrophen nicht vorhergesehen haben, sondern auch mit ihrem Paradigma des ‚homo oeconomicus‘ empirisch weitgehend gescheitert sind.)

9. Wenn nun also Menschen selbst das Andere ihrer selbst anpreisen und sich selbst dabei ‚wegschweigen‘, ist damit die Geschichte des biologischen Lebens im Universum automatisch zu Ende oder unterliegen wir als menschlich Denkende hier nicht wieder einmal einem grundlegenden Denkfehler über die Wirklichkeit, wie andere Generationen vor uns auch schon in anderen Fragen?

10. Die Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention von 1948, damals als ein Lichtblick angesichts der systematischen Greueltaten gegen die Juden (aber aber nicht nur dieser!) und der Beginn vieler anderer daran anknüpfenden Erklärungen und Initiativen erscheint vor den aktuellen gesellschaftlichen Prozessen weltweit fast schon seltsam. Dass ein totalitäres Regime wie das chinesische die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt (wohl aber chinesische Bürger, siehe die Charta 2008) ist offiziell gewollt, dass aber selbst demokratische Länder – allen voran die USA – mit den Menschenrechten scheinbar ’nach Belieben‘ umgehen, sozusagen, wie es ihnen gerade passt, dass wirkt wenig ermutigend und gibt Nahrung für Spekulationen, ob die Menschenrechte und die Mitgliedschaft in der UN nur davon ablenken sollen, was die Finanz- und Machteliten tatsächlich wollen. Die Zerstörung ganzer Gesellschaftsbereiche, die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, die unbeschränkte Aufhebung der Privatsphäre ohne alle Kontrollen, die globale Ausbeutung der Schwachen durch Handelsabkommen … nur wenige Beispiele die eine andere Sprache sprechen, als jene, die in den Menschenrechten vorgezeichnet ist.

11. Noch einmal, was auffällt, ist die ‚Oberflächlichkeit‘ all dieser Bilder im wahrsten Sinn des Wortes: die schier unfassbare Geschichte der Evolution des Lebens im Universum existiert eigentlich nicht; das Wunder des Geistes inmitten materiell erscheinender Strukturen ist weitgehend unsichtbar oder ist eingesperrt in eine gesellschaftliche Enklave genannt ‚Kultur‘, die nahezu kontaktlos ist mit dem Rest des Wirtschaftens, Produzierens und Denkens; eine ‚Kultur der Sonntagsreden‘ und der ‚Belustigungen‘, ein Medium für die Eitelkeit der Reichen und der Unterhaltungsindustrie.

12. Innovation entsteht nie nur aus der Wiederholung des Alten, sondern immer auch aus der Veränderung des Alten, entsteht aus dem gezielt herbeigeführten ‚Risiko‘ von etwas ‚tatsächlich Neuem‘, dessen Eigenschaften und Wirkungen per se nicht vollständig vorher bekannt sein können.

13. Die, die aktuell neue Technologien hervorbringen und einsetzen wollen, erscheinen ‚innovativ‘ darin, dass sie diese hervorbringen, aber in der Art und Weise, wie sie das biologische Leben – speziell die Menschen – damit ‚arrangieren‘, wirken die meisten sehr ‚alt‘, ‚rückwärtsgewandt‘, …. Innovationen für das Menschliche stehen ersichtlich auf keiner Tagesordnung. Das Menschliche wird offiziell ‚konserviert‘ oder schlicht wegrationalisiert, weggeworfen, ‚entsorgt‘; hier manifestiert sich ein seltsamer Zug dazu, sich selbst zu entsorgen, sich selbst zu vernichten. Die Quelle aller Innovationen, das biologische Leben, hat in Gestalt der Menschheit einen ‚blinden Fleck‘: sie selbst als Quelle.

14. Der Mangel an Wissen war zu allen Zeiten ein Riesenproblem und Quelle vieler Notlagen und Gräueltaten. Dennoch hat die Menschheit trotz massiver Beschränkungen im Wissen neues Wissen und neue Strukturen entwickelt, die mehr Teilhabe ermöglichen, mehr Einsichten vermitteln, mehr Technologie hervorgebracht haben, ohne dass ein ‚externer Lehrer‘ gesagt hat, was zu tun ist… wie ja auch alle Kinder nicht lernen, weil wir auf sie einreden, sondern weil sie durch den bisherigen Gang der Evolution für ein kontinuierliches Lernen ausgestattet sind. … Der Geist geht dem Denken voraus, die Logik der Entwicklung liegt ‚in‘ der Materie-Energie.

15. So großartig Innovationen sein können, das größte Mirakel bleibt die Quelle selbst. Wunderbar und unheimlich zugleich.

QUELLEN

George Packer (3.Aufl. 2014), Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag GmbH (die engl. Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ‚The Unwinding. An Inner History of the New America‘. New York: Farrar, Strauss and Giroux).

Einen Überblic über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

FREIHEIT DIE ICH MEINE – ÜBERLEGUNGEN ZU EINER PARTEIINTERNEN DISKUSSION DER GRÜNEN

1. Bevor ich gleich ein wenig auf die wichtigsten Beiträge der Mitgliederzeitschrift ‚Schrägstrich‘ (Ausgabe Juli 2014) der Grünen eingehe, hier einige Vorüberlegungen zu den gedanklichen Koordinaten, innerhalb deren ich diese Beiträge rezipiere. Im wesentlichen handelt es sich bei diesen gedanklichen Koordinaten um jene, die ich hier im Blog bislang ansatzweise skizziert habe. Hier in einer komprimierten Form wichtige Elemente, die dann im weiteren Verlauf nach Bedarf präzisiert werden:

Aus Sicht des einzelnen: Woher? Was tun? Wohin?
Aus Sicht des einzelnen: Woher? Was tun? Wohin?

2. Ausgangspunkt des Koordinatensystem ist jeder einzelne von uns, der sich täglich konkret die Frage stellen muss, was an diesem Tag zu tun ist. Die Frage, woher man selbst kommt spielt bei den meisten in der Regel keine Rolle, höchstens soweit, dass aus der unmittelbaren Vergangenheit irgendwelche ‚Verpflichtungen‘ erwachsen sind, die in die Gegenwart hineinwirken (negatives oder positives Vermögen, erlernte Fähigkeiten, erworbenes Wissen, gewachsene Beziehungen, …). Wohin wir gehen wollen ist bei den meisten auch nur schwach ausgeprägt (Die Alltagsnotwendigkeiten stehen im Vordergrund: seine Verpflichtungen erfüllen, die Arbeitsanforderungen, den Unterhalt für das tägliche Leben, persönliche und soziale Erwartungen durch Beziehungen und Zugehörigkeiten, ein Ausbildungsziel erreichen, eine höhere Position in der Karriereleiter, …..). Übergreifende Ziele wie Erhaltung bestimmter Systeme (Ausbildung, Gesundheit, Infrastrukturen, …) sind meistens ‚delegiert‘ an Institutionen, die dafür ‚zuständig‘ sind, auf die man nur sehr begrenzt Einfluss nehmen kann. Dennoch gibt es nicht wenige, die sich in Vereinigungen engagieren, die spezifische soziale Räume aufspannen (Sport, Kleingärtner, Chöre, Parteien, Gewerkschaften, …), in denen sie ihr individuelles Handeln mit anderen verbünden.

Jeder nur als Teil einer Population in einem physikalischen Rahmen mit chemischer, biologischer und kultureller Evolution. Erfolg ist kurzfristig oder nachhaltig
Jeder nur als Teil einer Population in einem physikalischen Rahmen mit chemischer, biologischer und kultureller Evolution. Erfolg ist kurzfristig oder nachhaltig

3. Beginnt man seine eigene Situation zu analysieren, dann wird man nicht umhin kommen, festzustellen, dass man als einzelner als Mitglied einer größeren Population von Menschen vorkommt, die über unterschiedlichste Kommunikationsereignisse miteinander koordiniert sind. Das tägliche Leben erweist sich als eingebettet in einen gigantischen realen Raum, von dem man unter normalen Umständen nur einen winzigen Ausschnitt wahrnimmt. Schaut man genauer hin, dann sind wir das Produkt einer komplexen Geschichte von Werden im Laufe von vielen Milliarden Jahren. Eingeleitet durch die chemische Evolution kam es vor ca. 3.8 Milliarden Jahren zur biologischen Evolution, die dann vor – schwierig zu definieren, wann Kultur und Technik genau anfing – sagen wir ca. 160.000 Jahren mit einer kulturellen Evolution erweitert wurde. Technik sehe ich hier als Teil der kulturellen Leistungen. Eine Erfolgskategorie ist die des schieren Überlebens. Innerhalb dieser Kategorie macht es einen Unterschied wie ‚lange‘ eine Population überhaupt lebt (‚kurz‘ oder ‚lang‘). Die Frage ist nur, welche ‚Zeiteiheiten‘ man hier anlegen will, um ‚kurz‘ oder ‚lang‘ zu definieren. Aus der Perspektive eines einzelnen Menschen können ‚Jahre‘ schon sehr lang sein und ‚Jahrzehnte‘ können wie eine Ewigkeit wirken. Aus Sicht einer ‚Generation‘ sind 30 Jahre ’normal‘, 10 Generationen (also ca. 300 Jahre) sind eine Zeiteinheit, die für einzelne schon unvorstellbar sein mögen, die aber gemessen an dem Alter so mancher Arten von Lebewesen mit vielen Millionen oder gar hunderten von Millionen Jahren (die Dinosaurier beherrschten das Ökosystem von -235 bis -65 Mio, also 170 Mio Jahre lang!) nahezu nichts sind.

4. Das komplexeste bis heute bekannte Lebewesen, der homo sapiens, jene Art, zu der wir gehören, ist bislang ca. 160.000 Jahre alt (natürlich mit langer Vorgeschichte). Biologisch betrachtet ist diese Zeitspanne nahezu ein ‚Nichts‘. Insofern sollte man nicht zu früh sagen ‚Wer‘ bzw. ‚Was‘ der ‚Mensch‘ als ‚homo sapiens‘ ist. Wir leben in einem Wimpernschlag der Geschichte und wenn wir sehen, welche Veränderungen die Art homo sapiens in kürzester Zeit über die Erde gebracht hat, dann sollten wir genügend biologische Fantasie entwickeln, um uns klar zu machen, dass wir eher ganz am Anfang einer Entwicklung stehen und nicht an deren Ende.

Mensch als Teil des Biologischen hat Technik als Teil von Kultur hervorgebracht: Generisch oder arbiträr. Technik ist effizient oder nicht
Mensch als Teil des Biologischen hat Technik als Teil von Kultur hervorgebracht: Generisch oder arbiträr. Technik ist effizient oder nicht

5. Der homo sapiens ist ganz wesentlich Teil eines größeren komplexen biologischen Systems von unfassbarer ‚Tiefe‘, wo alles ineinander greift, und wo der homo sapiens aufgrund seiner Leistungsfähigkeit aktuell dabei zu sein scheint, trotz seiner kognitiven Möglichkeiten seine eigenen biologischen Voraussetzungen zu zerstören, ohne die er eigentlich nicht leben kann (Umweltverschmutzung, Ausrottung vieler wichtiger Arten, Vernichtung der genetischen Vielfalt, …).

6. Die erst langsame, dann immer schneller werdende Entwicklung von leistungsfähigen und immer ‚effizienteren‘ Technologien eingebettet in einen ‚kulturellen Raum‘ von Zeichen, Formen, Interpretationen, Normen, Regelsystemen und vielerlei Artefakten zeigt eine immense Vielfalt z.T. ‚arbiträrer‘ Setzungen, aber auch einen harten Kern von ‚generischen‘ Strukturen. ‚Generisch‘ wäre hier die Ausbildung von gesprochenen und geschriebenen Sprachen; ‚arbiträr‘ wäre die konkrete Ausgestaltung solcher Sprachen: welche Zeichensysteme, welche Laute, welche Anordnung von Lauten oder Zeichen, usw. So sind ‚Deutsch‘, ‚Arabisch‘, ‚Russisch‘ und ‚Chinesisch‘ alles Sprachen, mithilfe deren sich Menschen über die Welt verständigen können, ihre gesprochene und geschriebene Formen weichen aber extrem voneinander ab, ihre Akzent- und Intonationsstrukturen, die Art und Weise, wie die Zeichen zu Worten, Sätzen und größeren sprachlichen Strukturen verbunden werden, sind so verschieden, dass der Sprecher der einen Sprache in keiner Weise in der Lage ist, ohne größere Lernprozesse die andere Sprache zu verstehen.

7. Bei der Entwicklung der Technologie kann man die Frage stellen, ob eine Technologie ‚effizienter‘ ist als eine andere. Nimmt man den ‚Output‘ einer Technologie als Bezugspunkt, dann kann man verschiedene Entwürfe dahingehend vergleichen, dass man z.B. fragt, wie viele Materialien (erneuerbar, nicht erneuerbar) sie benötigt haben, wie viel Energie und Arbeitsaufwand in welcher Zeit notwendig war, und ob und in welchem Umfang die Umwelt belastet worden ist. Im Bereich der Transporttechnologie wäre der Output z.B. die Menge an Personen oder Gütern, die in einer bestimmten Zeit von A nach B gebracht würden. Bei der Technologie Dampfeisenbahn mussten Locks und Wagen hergestellt werden, Gleise mussten hergestellt und verlegt werden; dazu mussten zuvor geeignete Trassen angelegt werden; ein System von Signalen und Überfahrtregelungen muss für den reibungslosen Ablauf sorgen; dazu benötigt man geeignet ausgebildetes Personal; zum Betrieb der Locks benötigte man geeignete Brennstoffe und Wasser; die Züge selbst erzeugten deutliche Emissionen in die Luft (auch Lärm); durch den Betrieb wurden die Locks, die Wagen und die Schienen abgenutzt. usw.

8. Ein anderes Beispiel wäre die ‚Technologie des Zusammenwohnens auf engem Raum‘, immer mehr Menschen können heute auf immer kleineren Räumen nicht nur ‚überleben‘, sondern sogar mit einem gewissen ‚Lebensstandard‘ ‚leben‘. Das ist auch eine Effizienzsteigerung, die voraussetzt, dass die Menschen immer komplexere Systeme der Koordinierung und Interaktion beherrschen können.

Das Herz jeder Demokratie ist eine funktionierende Öfentlichkeit. Darüber leitet sich die Legislative ab, von da aus die Exekutive und die Judikative. Alles muss sich hier einfügen.
Das Herz jeder Demokratie ist eine funktionierende Öfentlichkeit. Darüber leitet sich die Legislative ab, von da aus die Exekutive und die Judikative. Alles muss sich hier einfügen.

9. Im Rahmen der kulturellen Entwicklung kam es seit ca. 250 Jahren vermehrt zur Entstehung von sogenannten ‚demokratischen‘ Staatsformen (siehe auch die z.T. abweichenden Formulierungen der englischen Wikipedia zu Democracy). Wenngleich es nicht ‚die‘ Norm für Demokratie gibt, so gehört es doch zum Grundbestand, dass es als primäre Voraussetzung eine garantierte ‚Öffentlichkeit‘ gibt, in der Meinungen frei ausgetauscht und gebildet werden können. Dazu regelmäßige freie und allgemeine Wahlen für eine ‚Legislative‘ [L], die über alle geltenden Rechte abstimmt. Die Ausführung wird normalerweise an eine ‚Exekutive‘ [E] übertragen, und die Überwachung der Einhaltung der Regeln obliegt der ‚Judikative‘ [J]. Die Exekutive gewinnt in den letzten Jahrzehnten immer mehr Gewicht im Umfang der Einrichtungen/ Behörden/ Institutionen und Firmen, die im Auftrag der Exekutive Aufgaben ausführen. Besonderes kritisch waren und sind immer Sicherheitsbehörden [SICH] und das Militär [MIL]. Es bleibt eine beständige Herausforderung, das Handeln der jeweiligen Exekutive parlamentarisch hinreichend zu kontrollieren.

Oberstes Ziel ist es, eine Demokratie zu schüzen; was aber, wenn die Sicherheit zum Selbstzweck wird und die Demokratie im Innern zerstört?
Oberstes Ziel ist es, eine Demokratie zu schüzen; was aber, wenn die Sicherheit zum Selbstzweck wird und die Demokratie im Innern zerstört?

10. Wie es in vielen vorausgehenden Blogeinträgen angesprochen worden ist, erweckt das Beispiel USA den Eindruck, dass dort die parlamentarische Kontrolle der Exekutive weitgehend außer Kraft gesetzt erscheint. Spätestens seit 9/11 2001 hat sich die Exekutive durch Gesetzesänderungen und Verordnungen weitgehend von jeglicher Kontrolle unabhängig gemacht und benutzt das Schlagwort von der ’nationalen Sicherheit‘ überall, um sowohl ihr Verhalten zu rechtfertigen wie auch die Abschottung des Regierungshandelns durch das Mittel der auswuchernden ‚Geheimhaltung‘. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass die Erhaltung der nationalen Sicherheit, die als solche ja etwas Positives ist, mittlerweile dazu missbraucht wird, das eigene Volk mehr und mehr vollständig zu überwachen, zu kontrollieren und die Vorgänge in der Gesellschaft nach eigenen machtinternen Interessen (auf undemokratische Weise) zu manipulieren. Geheimdienstaktionen gegen normale Bürger, sogar gegen Mitglieder der Legislative, sind mittlerweile möglich und kommen vor. Der oberste Wert in einer Demokratie kann niemals die ‚Sicherheit‘ als solche sein, sondern immer nur die parlamentarische Selbstkontrolle, die in einer funktionierenden Öffentlichkeit verankert ist.

GRÜNES GRUNDSATZPROGRAM VON 2002

11. Bei der Frage nach der genaueren Bestimmung des Freiheitsbegriffs verweist Bütikofer auf SS.7ff auf das Grüne Grundsatzprogramm von 2002, das in 3-jähriger Arbeit alle wichtigen Gremien durchlaufen hatte, über 1000 Änderungsanträge verarbeitet hat und einer ganzen Vielzahl von Strömungen Gehör geschenkt hat. Schon die Präambel verrät dem Leser, welch großes Spektrum an Gesichtspunkten und Werteinstellungen Berücksichtigung gefunden haben.

12. Im Mittelpunkt steht die Würde des Menschen, der sehr wohl auch als Teil einer umfassenderen Natur mit der daraus resultierenden Verantwortung gesehen wird; der Aspekt der Nachhaltigkeit allen Handelns wird gesehen. Grundwerte und Menschenrechte sollen Orientierungspunkte für eine demokratische Gesellschaft bilden, in der das Soziale neben dem Ökonomischen gleichberechtigt sein soll. Diese ungeheure Spannweite des Lebens impliziert ein Minimum an Liberalität, um der hier waltenden Vielfalt gerecht zu werden.

13. Die Freiheit des einzelnen soll einerseits so umfassend wie möglich unterstützt werden, indem die gesellschaftlichen Verhältnisse immer ein Maximum an Wahlmöglichkeiten bereit halten sollten, zugleich muss die Freiheit aber auch mit hinreichend viel Verantwortung gepaart sein, um die jeweiligen aktuellen Situationen so zu gestalten, dass Lebensqualität und Nachhaltigkeit sich steigern.

ENGAGIERTE POLITIK vs. LIBERALISMUS UND FREIHEIT?

14. Reinhard Loske wirft auf SS.10ff die Frage auf, ob und wie sich eine ökologisch verpflichtete Politik mit ‚Liberalismus‘ vereinbaren könnte. Natürlich wäre ein unbeschränkter ‚wertfreier‘ Liberalismus ungeeignet, da sich dann keinerlei Art von Verantwortung und einer daraus resultierenden nachhaltigen Gestaltung ableiten ließe. Doch muss man dem Begriff des Liberalismus historisch gerecht werden – was Loske im Beitrag nicht unbedingt tut – , denn in historischer Perspektive war ein liberales Denken gerade nicht wertfrei, sondern explizit orientiert am Wert des Individuums, der persönlichen Würde und Freiheit, das es gegenüber überbordenden staatlichen Ansprüchen zu schützen galt, wie auch übertragen auf das wirtschaftliche Handeln, das hinreichend stark zu schützen sei gegenüber ebenfalls überbordenden staatlichem Eingriffshandeln das tendenziell immer dazu neigt, unnötig viel zu reglementieren, zu kontrollieren, ineffizient zu sein, Verantwortung zu nivellieren, usw.

15. Zugleich ist bekannt, dass wirtschaftliches Verhalten ohne jegliche gesellschaftliche Bindung dazu tendiert, die Kapitaleigner zu bevorteilen und die abhängig Beschäftigten wie auch die umgebende Gesellschaft auszubeuten (man denke nur an das Steuerverhalten von Konzernen wie z.B. google, amazon und Ikea).

16. Es muss also in der Praxis ein ‚Gleichgewicht‘ gefunden werden zwischen maximaler (wertgebundener) Liberalität einerseits und gesellschaftlicher Bindung andererseits. Doch, wie gerade die hitzigen Debatten um die richtige Energiepolitik in Deutschland und Europa zeigen, sind die Argumente für oder gegen bestimmte Maßnahmen nicht völlig voraussetzungslos; je nach verfügbarem Fachwissen, je nach verfügbaren Erfahrungen, ja nach aktueller Interessenslage kommen die Beteiligten zu unterschiedlichen Schlüssen und Bewertungen.

17. Loske selbst erweckt in seinem Beitrag den Eindruck, als ob man so etwas wie einen ‚ökologisch wahren Preis‘ feststellen kann und demzufolge damit konkret Politik betreiben kann. Angesichts der komplexen Gemengelage erscheint mir dies aber als sehr optimistisch und nicht wirklich real zu sein. Wenn man in einer solch unübersichtlichen Situation unfertige Wahrheiten zu Slogans oder gar Handlungsmaximen erhebt und gar noch versucht, sie politische durchzudrücken, dann läuft man Gefahr, wie es im letzten Bundeswahlkampf geschehen ist, dass man vor dem Hintergrund einer an sich guten Idee konkrete Maßnahmen fordert, die nicht mehr gut sind, weil sie fachlich, sachlich noch nicht so abgeklärt und begründet sind, wie es der Fall sein müsste, um zu überzeugen. Dann besteht schnell die Gefahr, mit dem Klischee der ‚Ideologen‘, ‚Fundamentalisten‘, ‚Oberlehrer‘ assoziiert zu werden, obgleich man doch so hehre Ziele zu vertreten meint.

OBERLEHRER DER NATION – NEIN DANKE

18. Im Eingangsartikel SS.4ff stellt Katharina Wagner genau diese Frage, ob verschiedene während des Wahlkampfs angekündigten konkrete Maßnahmen nicht genau solch einen Eindruck des Oberlehrerhaften erweckt haben, als ob die Grüne Partei trotz ihrer großen Werte und Ziele letztlich grundsätzlich ‚anti-liberal‘ sei. Doch bleibt ihre Position unklar. Einerseits sagt sie sinngemäß, dass sich das grüne Programm auf Freiheit verpflichtet weiß, andererseits verbindet sie die ökologische Verantwortung mit der Notwendigkeit, auch entsprechend konkrete und verpflichtende Maßnahmen zu ergreifen. So hält sie z.B. Verbote im Kontext der Gentechnik für unumgänglich. Müssen die Verbote nur besser kommuniziert werden? Gibt es verschiedene ‚Formen‘ von Regeln in einer Skala von ‚gusseisern‘ bis ‚freundliche Einladung‘?

19. Ich finde diese Argumentation unvollständig. Ihr mangelt der Aspekt – genauso wie im Beitrag von Loske –, dass das Wissen um das ‚ökologisch Angemessene‘ in der Regel höchst komplex ist; unser Wissen um die Natur, die komplexen Technologien ist in der Regel unfertig, kaum von einzelnen alleine zu überschauen und in ständiger Weiterentwicklung. Absolut klare und endgültige Aussagen hier zu treffen ist in der Regel nicht möglich. Zwar ist es verständlich, dass das politische Tagesgeschäft griffige Formeln benötigt, um Abstimmungsmehrheiten zu erzeugen, aber dieser Artefakt unseres aktuellen politischen Systems steht im direkten Widerspruch zur Erkenntnissituation und zu den Erfordernissen einer seriösen Forschung ( Mittlerweile gibt es viele Fälle, wo die Politik erheblichen Druck auf die Wissenschaft ausgeübt hat und ausübt, damit auch genau die Ergebnisse geliefert werden, die politisch gewünscht sind; das ist dann nicht nur kontraproduktiv sondern sogar wissenschaftsfeindlich, anti-liberal und auf Dauer eine massive Gefährdung unser Wissensbasis von der Welt, in der wir leben).

20. Eine politische Partei wie die der Grünen, die sich der ökologischen Dimension unserer Existenz verpflichtet wissen will, muss meines Erachtens, um ihre Glaubwürdigkeit zu wahren, weniger darauf bedacht sein, umfassende Vereinfachung durchzudrücken, sondern gerade angesichts der Verpflichtung für das Ganze massiv die wissenschaftlichen Erforschung der Phänomene unterstützen und den sich daraus ergebenden Ansätzen in ihrer ganzen Breite und Vielfalt Raum geben. Dazu müssten viel mehr Anstrengungen unternommen werden, das relevante Wissen öffentlich transparent zu sammeln und so aufzubereiten, dass es öffentlich diskutiert werden könnte. Alle mir bekannten Texte greifen immer nur Teilaspekte auf, betrachten kurze Zeiträume, vernachlässigen Wechselwirkungen, geben sich zu wenig Rechenschaften über Unwägbarkeiten und Risiken. So vieles z.B. an den Argumenten gegen Kernenergie und Gentechnik richtig ist, so fatal ist es aber, dass damit oft ganze Gebiete tabuisiert werden, die als solche noch viele andere Bereiche enthalten, die für eine ökologische Zukunft der Menschheit möglicherweise überlebenswichtig sind.

21. Kurzum, das ‚Oberlehrerhafte‘ und ‚Anti-Liberale‘ erwächst nicht automatisch aus einer Maßnahme als solcher, sondern daraus, wie sie zustande kommt und wie sie sachlich, wissensmäßig begründet ist. In einer komplexen Welt wie der unsrigen, wo die Wissenschaften selbst momentan eine akute Krise der Konsistenz und Qualität durchlaufen, erscheint es nicht gut, mangelndes Wissen durch übertriebenen Dogmatismus ersetzen zu wollen.

FREIHEIT UND GERECHTIGKEIT

22. Die zuvor schon angesprochene Komplexität findet sich ungebremst auch in dem Gespräch zwischen Dieter Schnaas, Kerstin Andreae und Rasmus Andresen (vgl. SS.8f). Hier geht es um maximal komplexe Sachverhalte zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, Beschäftigungsverhältnissen, Einkommensstrukturen, Besteuerungssystemen, Versorgungssystemen, Umverteilung, Bildungsprozessen, Wirtschaft im allgemeinen wie auch unterschiedlichen Unternehmensformen und Wirtschaftsbereichen. Diese komplexen Begriffe auf nur zwei Seiten zu diskutieren erscheint mir unangemessen. Schon eine einigermaßen Definition jedes einzelnen dieser Begriffe würde Seiten benötigen.

23. In diesem Bereich griffige Parolen zu formulieren ist zwar eine anhaltende Versuchung und Herausforderung für jeden Politiker, aber dies ist in meinen Augen zum Scheitern verurteilt. Was immer man parolenhaft vereinfachend propagieren möchte, man wird mehr Kollateralschäden anrichten als wenn man das System zunächst einmal sich selbst überlassen würde. Beteiligte Bürger sind in der Regel in der Lage, Schwachstellen des gesellschaftlichen Systems zu erkennen, vorausgesetzt, man lässt diese zu Wort kommen. Und in der Regel wissen auch alle Beteiligte recht gut, in welche Richtung Lösungsansätze gesucht werden müssten, vorausgesetzt, man führt einen realen Dialog, transparent, undogmatisch, mit den notwendigen unterstützenden wissenschaftlichen Exkursen. Die ‚herrschenden‘ Parteien zeichnen sich hingegen bislang überwiegend dadurch aus, dass sie im Kern Lobbypolitik machen, die sie nur notdürftig mit allgemeinen Floskeln kaschieren. Im Prinzip hat die Partei der Grünen sehr gute strukturelle – und motivationale – Voraussetzungen, eine solche transparente, basisdemokratische, wissenschaftlich unterstütze Lösungsfindung zu propagieren und zu praktizieren, wenn sie etwas weniger ‚Oberlehrer‘ sein würde und etwas mehr ‚passionierter Forscher‘ und ‚kreativer Lösungsfinder‘.

WIDER DIE KONTROLLGESELLSCAFT

24. Das Thema ‚Abhören‘ ist zwar seit dem Sommer 2013 mehr und mehr im Munde aller, aber selten übersteigt die Diskussion den rein technischen Charakter des Abhörens oder führt über das bloße Lamentieren hinaus. Selbst die Bundesregierung zusammen mit den einschlägigen Behörden hat bis zu den neuesten Äußerungen der Bundeskanzlerin zum Thema wenig Substanzielles gesagt; im Gegenteil, die politische Relevanz wurde extrem herunter gespielt, die Brisanz für eine zukünftige demokratische Gesellschaft in keiner Weise erkannt.

25. Vor diesem Hintergrund hebt sich der Beitrag von Jan Philipp Albrecht (vgl. SS.6f) wohltuend ab. Er legt den Finger sehr klar auf die Versäumnisse der Bundesregierung, macht den großen Schaden für die deutsche und europäische Industrie deutlich, und er macht u.a. auch auf das bundesweite Sicherheitsleck deutlich, dass durch die Verwendung von US-amerikanischer Software in allen wichtigen Behörden und Kommunen besteht, von der man mittlerweile weiß, dass diese Software schon beim Hersteller für die US-amerikanische Geheimdienste geschützte Zugänge bereit halten. Albrecht macht die Konsequenzen für die Idee einer demokratisch selbstbestimmten Gesellschaft deutlich.

26. Was auch Albrecht nicht tut, ist, einen Schritt weiter zu gehen, und den demokratischen Zustand jenes Landes zu befragen – die USA –, aus dem heraus weltweit solche massenhaft undemokratischen Handlungen bewusst und kontinuierlich geplant und ausgeführt werden. Sind die USA noch minimal demokratisch? Müssen wir uns in Deutschland (und Europa) als Demokraten nicht auch die Frage stellen, inwieweit wir eine Verantwortung für die US-Bevölkerung haben, wenn ihre Regierung sich anscheinend schrittweise von allem verabschiedet, was man eine demokratische Regierung nennen kann? Wie können wir über Demokratie in Deutschland nachdenken, wenn unsere Partner Demokratie mindestens anders auslegen, wie wir? Diese – und weitergehende – transnationale politische Überlegungen fehlen mir in der Debatte der Grünen völlig. Wir leben nicht auf einer Insel der Seeligen. Was heißt ökologische Verantwortung auf einem Planeten, der zu mehr als 50% aus Staaten besteht, die nicht als demokratisch gelten, wobei ja selbst die sogenannten demokratischen Staaten vielfache Mängel aufweisen. Wie sollen wir z.B. die Umwelt schützen, wenn die meisten anderen Staaten keinerlei Interesse haben? usw.

FAZIT

27. Klar, die vorausgehenden Überlegungen sind sehr kursorisch, fragmentarisch. Dennoch, so unvollkommen sie sind, will man sich heute in der kaum überschaubaren Welt als einzelner eine Meinung bilden, hat man keine andere Möglichkeit, als die verschiedenen Gesprächsangebote aufzugreifen und sie mit den eigenen unvollkommenen Mitteln für sich versuchen, durchzubuchstabieren. Am Ende steht gewöhnlich keine neue Supertheorie, sondern – vielleicht – ein paar zusätzliche Querbeziehungen, ein paar neue Eindrücke, der eine der andere neue Aspekt, an dem es sich vielleicht lohnt, weiter zu denken.

28. Jeder, der heute nicht alleine vor sich hin werkeln will, braucht Netzwerke, in denen er ‚Gleichgesinnte‘ findet. Ich selbst bin zwar seit vielen Jahren offizielles Mitglied der Grünen, habe aber bislang – aus Zeitgründen – nahezu nichts gemacht (außer dass ich viele meiner FreundeInnen bewundert habe, die auf kommunaler Ebene konkrete Arbeit leisten). In den nächsten Jahren kann ich mich möglicherweise politisch mehr bewegen. Dies sind erste Annäherungsversuche, um zu überprüfen, ob und wieweit die Partei der Grünen ein geeignetes Netzwerk sein könnte, um politisch ein klein wenig mehr ‚zu tun‘. Allerdings verstehe ich mich primär als Philosoph und Wissenschaftler und ich würde den Primat des Wissens niemals aufgeben, nur um ‚irgendetwas zu tun‘ ….

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nch Titeln findet sich HIER.