Archiv der Kategorie: Philosoph

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2

VORGESCHICHTE

1. In einem vorausgehenden Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist. In diesem Teil beginnt nun die kommentierende Lektüre des Hauptteils.

DANK AN GOTT, MOHAMMED und den HERRSCHER

2. Der Text beginnt mit einem Dank an Gott, an den Propheten Mohammed und an seinen Herrschern dafür, dass er über all die Voraussetzungen verfügt, die notwendig sind, überhaupt solch einen Text schreiben zu können. Dazu gehört auch das Bewusstsein, letztlich kein Experte zu sein, der alles weiß, sondern eher ein Suchender, der versucht, nach bestem Wissen und Gewissen zu verstehen, was es zu verstehen gibt.

3. Und bevor nun Avicenna mit der eigentlichen Logik beginnt, spendiert er ein paar Gedanken zur Frage, warum Logik überhaupt wichtig ist.

WARUM LOGIK?

4. Fluchtpunkt aller konkreten Denktätigkeiten ist für ihn die Wissenschaft (’science‘), die versucht, die Eigenart der Dinge, ihre Zusammenhänge, so zu klären, dass der einzelne Mensch darin genügend Klarheit findet, seinen Weg als Mensch gehen zu können.

5. Wissenschaft hat auf jeden Fall damit zu tun, das aktuelle Wissen zu vermehren, indem das, was aktuell noch nicht gewusst wird, in Wissen umgewandelt werden soll.

6. Avicenna unterscheidet verschiedene Arten von Wissen: (i) Wissen, das durch die Sinne zu uns kommt (perzeptiv, apprehensiv, intuitiv1), Wissen, das uns intuitiv2 durch das ‚erste Prinzip‘ gegeben wird, (iii) Wissen, das wir uns durch ‚Urteile‘ erschließen, und (iv) Wissen, das wir von anderen (Autoritäten, von dem Propheten, von Weisen, über ‚allgemeine Meinungen‘, …) übernehmen.

7. Interessant ist auch das Detail, dass er aufmerksam macht auf den Zusammenhang von sinnlicher (intuiv1) Erfahrung und Worten. So habe für uns das Wort ‚Mensch‘ solange keine Bedeutung, solange wir die Verwendung des Wortes im Kontext nicht kennengelernt haben.

8. Der Weg zum Wissen ist ein langer Prozess, durch den man mehr und mehr Details und Zusammenhänge erkennen kann, die schließlich einen Menschen dazu befähigen können, alle die wichtigen Zusammenhänge hinreichend erkennen zu können, die er für sein Leben als Mensch benötigt.

9. Und insofern die Logik jener Teil der Wissenschaft ist, der sich mit der Kunst des ‚richtigen‘ Urteilens beschäftigt, ist die Logik eine unverzichtbare Voraussetzung für die Wissenschaft. Ohne eine klare Kenntnis der Logik bleibt unklar, ob das wissenschaftliche Denken zurecht einen bestimmten Zusammenhang behauptet oder nicht.

DISKUSSION

10. Obwohl Avicenna die Wissenschaft in einer sehr prominenten Rolle für das Leben der Menschen sieht, lässt er die Erklärung dessen, was Wissenschaft ist, an dieser Stelle weitgehend im Dunklen; sein Beispiel mit der Erkenntnis der reinen Form der Seele und derjenigen Neigungen, die davon wegführen, gehört eigentlich eher in die Bereiche Metaphysik und Ethik.

11. Trotz seiner Unterteilung des Wissens in verschiedene Arten bleibt manches an dieser Stelle unklar.

12. So nimmt er sinnliches Wissen an, das durch die Sinnesorgane uns zugänglich wird.

13. Nehmen wir einmal an, dass das, was Avicenna ‚Wissen‘ [KNOW, K] nennt, ‚im‘ Menschen ist, und nennen wir alles ‚um den Menschen herum‘ einmal ‚Welt‘ [WORLD, W], dann könnte man sagen, dass das sinnliche perzeptive Wissen eine Abbildung von bestimmten Eigenschaften der Welt in das Wissen K ist ($latex perc: W \longrightarrow K$). Und da das sinnliche Wissen sich offenbar von anderen Wissensarten unterscheiden lässt, nennen wir das sinnliche Wissen $latex K_{s}$, also $latex perc: W \longrightarrow K_{s}$, oder $latex perc(W) = K_{s}$ und $latex K_{s} \subseteq K $.

14. Nun weist Avicenna aber auch ausdrücklich darauf hin, dass es ’sprachlich vermitteltes Wissen‘ in der Form gibt, dass Gruppen von sinnlichen Eindrücken ($latex k \subseteq K_{s}$) mit ‚Worten‘ [EXPRESSIONS, E] ($latex E \subseteq K_{s}$) verknüpft werden können $latex M(K_{s},K_{s})$ (mit M für Meaning), dass diese Verknüpfungen einzeln gelernt werden müssen (sie sind also ‚arbiträr‘, ‚konventionell‘), und dass damit ein intuives1 Wissen entsteht, auf das sich dann das ‚Urteilen‘ beziehen kann.

15. Offensichtlich ist ein solches ’sprachliches Wissen‘ eine ‚komplexere‘ Art von Wissen, da hier nicht einfach nur Muster von sinnlichen Eindrücken als ‚Wissensgegenstände‘ genommen werden, sondern jeweils ‚Paare von Gegenständen‘ mit einem eigenen Namen, wie z.B. M(Baumeigenschaften, ‚Baum‘). Nennen wir diese Art von sprachlich vermitteltem Wissen $latex K_{m}$ (auch als eine Teilmenge von K).

16. Das ‚Urteilen’/ ‚Schlussfolgern‘ soll sich u.a. auch auf dieses sprachliche Wissen $latex K_m$ beziehen können. Avicenna erklärt hier noch nicht wirklich, was er genau unter Urteilen versteht. Allerdings bringt er ein Beispiele (in der Form eines Syllogismus). Wenn man die Annahmen macht (i) Alles, was Farben hat, ist erschaffen und (ii) Die Welt besitzt Farben, dann könnte man folgern (iii) Die Welt ist erschaffen.

17. Diese Folgerungsmuster finden sich schon ca. 1300 Jahre früher bei Aristoteles und sie besitzen eine gewisse ‚intuitive‘ Kraft, was ihnen über die Zeiten hin Eindruck verschaffte. Schaut man näher hin (und die Entwicklung der modernen formalen Logik hat hier unseren Blick geschärft), dann basiert diese ‚Intuition‘ aber auf unterschiedlichen Voraussetzungen, die weitgehend (bis heute!!!) nicht vollständig erklärt worden sind. Die moderne Logik hat sich dieses Problems dadurch entledigt, dass sie die schwer fassbaren ‚Bedeutungsanteile‘ (vgl. das Beispiel M(Baumereignisse, ‚Baum‘)) einfach ersetzt hat durch den abstrakten formalen Begriff ‚Wahrheit‘ [‚true‘, t, $latex \top$], der nur noch eine syntaktische Bedeutung besitzt, und dass die moderne Logik die komplexen sprachlichen Muster ebenfalls durch einfache isolierte Symbole ersetzt hat, um dann alle Folgerungsmuster nur noch unter Voraussetzung des abstrakten Wahrheitsbegriffes und syntaktisch heruntergedimmter Symbole zu untersuchen. Dies hat viele wertvolle Erkenntnisse geliefert, das zentrale Problem einer sprachlich vermittelten Erkenntniss wurde damit aber sich selbst überlassen. Schlimmer noch, seit über hundert Jahren glaubt die Wissenschaft, mit der Erfindung der formalen Logik jetzt alle Probleme eines logischen Alltagsdenkens gelöst zu haben. Das Gegenteil ist der Fall: durch die einseitige Fixierung auf die Spezialisierung mit der formalen Logik fiel das Wissen über das ’normale logische‘ Denken möglicherweise hinter den Reflexionsstand des Mittelalters zurück.

18. Avicenna nennt neben dem ‚intuitiven1‘ Wissen der Sinneserkenntnis und des sprachlichen Wissens noch ein anderes ‚intuitives2‘ Wissen, nämlich jenes, das aus dem ‚ersten Prinzip‘ folge. Er zitiert das Beispiel, dass man aus dem Wissen, dass A=X und B=X ‚intuitiv2‘ folgern könne, dass dann A gleich B sei (Streng genommen müsste man vielleicht einschränkend sagen, dass A nur bezogen auf X gleich B ist). Man kann hier nur vermuten, dass Avicenna ‚implizite Regeln des Denkens‘ unterstellt, die im Denken ‚wirksam‘ werden, und zwar so, dass wir diese Wirkung ‚intuitiv2‘ als ‚richtig‘ empfinden. Nennen wir dieses intutive2 Wissen aus dem ‚ersten Prinzip‘ K_p1. Vielleicht könnte man das so rekonstruieren, dass unser Denken [think, t] aufgrund des intuiven2 Wissens $latex K_{p1}$ in der Lage ist, von Wissen K allgemein auf ‚wahres Wissen‘ [KW] zu schließen, also $latex t: K \times K_{p1} \longrightarrow KW$.

19. Entsprechend könnte man vielleicht auch das ‚Urteilen‘ [judge, j] so rekonstruieren, dass das ‚Urteilen‘ von Wissen allgemein K mittels – noch zu klärender Urteilsregeln $latex K_{p2}$ – auf wahres Wissen schließen kann, also $latex j: K \times K_{p2} \longrightarrow KW$.

20. Wir nehmen hier – bis auf weiteres – einmal an, dass die Prinzipien des Urteilens $latex K_{p2}$ auch den Fall des sprachlichen Wissens einschließen.

21. Es bleibt dann noch der Fall des Wissens, das man von anderen übernommen hat; nennen wir es $latex K_{a}$ (für ‚a‘ von ‚accepted‘).

22. Wie wir wissen, kann dies vielfältige Formen haben, z.B. Verhaltensweisen, die man einfach imitiert, oder aber sprachlich vermitteltes Wissen $latex K_{m}$ über Eigenschaften und Zusammenhänge in der Welt W, das wir ‚hören‘ und zu ‚verstehen/ interpretieren‘ versuchen. Wie wir auch wissen, kann man von der sprachlichen Form grundsätzlich nicht direkt und nicht zweifelsfrei auf die damit intendierte ‚Bedeutung‘ schließen. Überliefertes sprachlich vermitteltes Wissen ist also in allen Fällen zunächst kein ‚volles‘ Wissen, sondern nur ein ‚potentielles‘ Wissen der Art, dass die sinnliche Wahrnehmung perc() von sprachlich vermitteltem Wissen $latex K_{m}$ mit dem aktuell verfügbaren Wissen K des Hörers zwar eine Hypothese [Hyp] über eine mögliche Bedeutung bilden kann, dass diese Hypothese aber dann erst einmal noch überprüft werden muss: Verstehen [‚interprete‘, int] als Abbildung der Form $latex int: perc(K_{m}) \times K \longrightarrow Hyp(M(K_{s}))$. Eine solche Überprüfung von Bedeutungshypothesen ist schwierig, aufwendig und kann niemals zu einer vollständigen Klarheit führen. Alle Welt spricht von der ‚Unschärferelation‘, die Heisenberg in die moderne Physik eingeführt hat; viel weitreichender und problematischer ist jedoch diese radikale ’semantische Unschärferelation‘, die für jeden Menschen gilt. Diese zu verstehen und praktisch zu bewältigen ist eine der wichtigsten Herausforderungen für jeden Menschen zu allen Zeiten und an allen Orten.

23. Also, beim Wissen K werden spezielle Teilmengen unterschieden: sensorisches Wissen$latex K_{s}$, sprachlich vermitteltes Wissen $latex K_{m}$, implizites Denkwissen $latex K_{p1}, K_{p2}$, von anderen übernommenes Wissen $latex K_{a}$, sowie ‚wahres‘ Wissen KW; zusammenfasend $latex K=K_{s} \cup K_{m} \cup K_{p1} \cup K_{p2} \cup K_{a} \cup KW$. Die genauen Beziehungen dieser verschiedenen Wissensformen untereinander ist dabei noch offen.

24. Bezüglich Wissensaktivitäten werden unterschieden: Wahrnehmung perc(), Denken t(), Urteilen j(), Interpretieren int().

25. Alle Details im Umfeld dieser Begriffe liegen bei diesem Standpunkt der Lektüre noch im Dunklen.

26. Wenn man bedenkt, dass im Jahr 2014 alle diese Prozesse weiterhin weitgehend ungeklärt sind (!), dann darf man gespannt sein, was Avicenna vor nunmehr ca. 1000 Jahre dazu gesagt hat.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

QUELLEN

Avicenny, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.

Digital Averroes Research Environment

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1

VORGESCHICHTE

1. In einem vorausgehenden Beitrag Avicennas Metaphysik hatte ich meine erste Begegnung mit der Person und dem Werk Avicennas (Ibn Sina (980 – 1038)) geschildert. Nach einer ersten begeisterten Lektüre der ersten 100 Seiten gab es aber dann eine lange Unterbrechung; andere Dinge mussten getan werden und forderten meine ganze Kraft.

TEXT ÜBER LOGIK

2. Immerhin ist es mir in dieser Zeit gelungen, die englische Übersetzung eines Werkes von Avicenna über die Logik zu bekommen, eingeleitet und kommentiert von Faran Zabeeh (siehe Quellenangabe unten). Dieser Text lag seitdem die ganze Zeit auf meinem Nachttisch, um gelesen zu werden. Heute habe ich beschlossen, es mit der Lektüre zu versuchen.

GLAUBE UND WISSEN

3. In der vierseitigen Einleitung zum Text über die Logik ordnet Zabeeh Avicenna der Gruppe der islamischen Philosophen zu, die sich aus vielen verschiedenen Nationen rekrutieren. Ein gemeinsames Charakteristikum dieser islamischen Philosophen war es (hierin vergleichbar auch den christlichen Philosophen), die griechische Philosophie – vornehmlich Aristoteles (384-322 v. Chr.) – mit den Grundaussagen ihrer Religion entweder zu ‚harmonisieren‘ oder zu ‚verurteilen‘.

4. Zabeeh erwähnt beispielsweise einen Landsmann von Avicenna, den Theologen Ghazali (1058 – 1111), der sich z.B. die Frage stellte, wie man die religiöse Lehre der ‚Schöpfung aus dem Nichts‘ mit der griechischen Auffassung versöhnen könnte, das ‚Aus Nichts nichts entstehen kann‘. Ein anderer Punkt war die Verträglichkeit des Glaubens an ‚Wunder‘ mit dem Anspruch ‚wissenschaftlicher Erklärung aus Gründen‘, also ganz allgemein: das Verhältnis von ‚Glauben‘ und ‚rationale Vernunft‘ (Englisch: ‚reason‘). Ghazali selbst vertrat die Auffassung, dass eine Versöhnung zwischen Glauben und rationaler Vernunft letztlich nicht möglich sei, was schlecht sei für den Glauben.

5. Eine Gegenposition zu Ghazali wurde von dem spanischen (islamischen) Philosophen Averroes (Ibn Ruschd (1126 – 1198)) repräsentiert. Er sah eine Vereinbarkeit zwischen Aristoteles und dem Glauben dadurch, dass er die religiösen Texte nicht ‚wortwörtlich‘ interpretierte, sondern in ihnen auch eine ‚allegorisierende‘ Darstellungsweise sah, die einen breiteren Interpretationsspielraum bietet.

6. [Anmerkung: Averroes nimmt mit dieser Position eine spätere Entwicklung in der christlichen Bibelwissenschaft vorweg, die ca. 750 Jahre später damit begonnen hatte, die biblischen Texte von ihrer historischen Entstehung her kritisch zu lesen, und dann, auf dieser neu gewonnenen kritischen Basis, neu interpretieren zu können. Mit dieser ‚kritischen‘ Bibelwissenschaften wurde der Blick frei für das größere Ganze und viel weitreichenderen Interpretationen, als sie bis dahin möglich waren. Damit begann eine neue Theologie und eine Versöhnung von Glauben und Wissen wurde unbeschränkt möglich. Allerdings kam diese Entwicklung dann irgendwie wieder zum Stillstand, da ab ca. 1970 die gesellschaftliche Bedeutung der Religionen in den westlichen Ländern kontinuierlich abnahm und es immer weniger Wissenschaftler gab, die sich dieser Aufgabe auf hohem Niveau widmeten.]

WELTANSCHAULICH NEUTRAL: LOGIK

7. Neben den verschiedenen philosophischen Disziplinen Erkenntnistheorie, Metaphysik, Politik und Ethik, die alle irgendwie direkt in Wechselwirkung zu religiösen Auffassungen treten konnten, gab es eine Disziplin, von der selbst ein philosophie-kritischer Theologe wie Ghazali sagte, sie sei weltanschauungsmäßig neutral: die Logik.

8. Zur antiken Logik (Lateinisch: ‚logica vetus‘) gibt es in der deutschen Wikipedia einen sehr guten ersten Überblick.

9. Während die meisten islamischen Philosophen und Wissenschaftler sich – wie auch die christlichen – im Kommentieren und Interpretieren der aristotelischen Texte erschöpften, soll Avicenna streckenweise eine eigenständige Position bezogen haben (vgl. Zabeeh, S.3). Die vorliegende Abhandlung ‚Danesh-Name Alai‘ ist einer von vier Texten, in denen Avicenna über Logik schreibt; sie alle ähneln sich sehr. Der vollständige Text von ‚Danesh-Name Alai‘ ist eine komplette Enzyklopädie mit den Themenbereichen ‚Logik‘, ‚Metaphysik‘, ‚Naturphilosophie‘, ‚Geometrie‘, ‚Astronomie‘ und ‚Musik‘. Im vorliegenden Text geht es nur um den Teil der Logik.

AVICENNA (AUTO-)BIOGRAPHIE

10. Es folgt dann eine Übersetzung der Autobiographie von Avicenna, vollendet von seinem langjährigen Schüler Abu-Abid Gorgani. Lässt man die Details weg, dann zeigen sich folgende große Linien. (i) Aufgrund der herausgehobenen Position seines Vaters konnte Avicenna sich von ’sehr frühen Jugendjahren an‘ bis zu seinem 21.Lebensjahr vollständig dem Lernen und Experimentieren widmen, dies unterstützt durch sehr kundige Lehrer und fürstlichen Bibliotheken. So kam es, dass er (ii) schon mit 18 Jahren von sich sagen konnte, er habe alle Wissenschaften vollständig gelernt, hatte in dieser Zeit auch schon mehrere Bücher verfasst und begann dann (iii) ein Leben als hoher Beamter und Mediziner an verschiedenen Fürstenhäusern. Obgleich er immer sehr belastet war, setzte er seine Studien kontinuierlich (meist Nachts) fort und schrieb eine Unzahl von Büchern, oft mehrbändig.

Zur Fortsetzung HIER klicken.

QUELLEN

Avicenny, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.

Digital Averroes Research Environment

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

IBN SINA/ AVICENNA: DIE METAPHYSIK AVICENNAS – Warum man manchmal schlafende Hunde wecken sollte (Teil 1)

AVICENNA: DIE METAPHYSIK AVICENNAS. Enthaltend Die Metaphysik, Theologie, Kosmologie und Ethik. Übersetzt und erläutert von Max Horten, Halle a.S. und New York: Verlag von Rudolf Haupt, 1907 (Reprint durch Amazon.co.uk Ltd., Marston Gate (Great Britain), Ulan Press, keine Jahreszahl)

Nachtrag: hier eine musikalische Variante zu Avicenna; tatsächlich 10 Tage vor dem Eintrag in den Blog. Die Aussprache der Jahreszahl zu Beginn ist nicht korrekt … Das ist eben ‚radically unplugged music‘ (RUM).

VON LOBO, NSA, DEMOKRATIE, MACHT ZU AVICENNA

Im Film wäre der Übergang vom letzten Blogeintrag zum diesem hier ein harter Schnitt. Aber hier im Blog muss dies auch sein, da die Welt viele Facetten hat und dieser Blog sich der Vielfalt aus Sicht der Philosophie verschrieben hat. Letztlich könnte man sogar eine direkte Brücke bauen. Nehmen wir den Interneterklärer Lobo (die NSA und die anderen Stichworte wären natürlich auch geeignet). Lobo diagnostiziert an sich selbst, dass sein ‚bisheriges Bild vom Internet‘ ‚falsch‘ gewesen ist. Anhand konkreter Ereignisse wird ihm bewusst, dass sein ‚Weltbild‘ die reale Welt nicht so repräsentiert hatte, wie sie sich ihm jetzt in den konkreten Ereignissen ’neu‘ darzustellen scheint. Er ist jemand, der nicht nur zu solcher kritischen Selbsterkenntnis fähig zu sein scheint, nein, er macht es auch noch transparent, öffentlich; er macht sich damit anfassbar. Ob sich dadurch viel ändern wird, ist damit noch nicht gesagt; aber er hat damit zumindest empfänglich gemacht für mögliche ‚Korrekturen‘ an seinem ‚Weltbild‘.

WELTBILD

Die sprachliche Ausdrucksweise, dass wir vom ‚Weltbild‘ Lobos reden, ist einerseits ‚üblich‘, andererseits aber — bei näherer Betrachtung — gefährlich. Legt sie doch die Vorstellung nahe, dass das Weltbild etwas ‚Konkretes‘, ‚Wirkliches‘ ‚in‘ Sascha Lobos ‚Kopf‘ sei, wie so eine Art Gegenstand mit Eigenschaften, allerdings ein Gegenstand, der sich ‚ändern‘ kann. Dazu kommt, dass der Gegenstand ‚Weltbild‘ die Art und Weise bestimmt, wie wir unsere Welt ’sehen‘, ‚interpretieren‘. Das ist sehr ungewöhnlich für Gegenstände. Wir benutzen zwar die Gegenstände ‚Brille‘, ‚Fernglas‘, ‚Mikroskop‘ (und Fernsehen? und Computer? und Smartphone? …), um die Dinge der realen Welt visuell ’scharf‘ zu sehen oder ‚größer‘ (oder ‚bunt‘ mit mitgeliefertem, aber nicht kenntlich gemachten, Interpretationsanteilen?), aber diese optischen ‚Sehhilfen‘ lassen die Dinge (von Skalierungen und Farbveränderungen abgesehen), ‚wie sie sind‘. Ein ‚Weltbild‘ hingegen ‚verändert‘ die Dinge notwendigerweise. Ohne dass wir selbst etwas dagegen tun können werden die Inhalte unserer Wahrnehmung (visuell, akustisch, … , interozeptiv, ..) vom aktuellen Weltbild auf vielfache Weise in das vorhandene Wissensgeflecht aktiv eingefügt, vom ‚Vorhandenen aus‘ dadurch interpretiert, so dass das, was wir dann ‚bewusst‘ wahrnehmen, nicht das ist, was ‚faktisch auslösend war‘, sondern tatsächlich das, was unser Wissen daraus aktuell und aktiv ‚macht‘. Der bloße Vorsatz, ‚kritisch sein zu wollen‘ ändert an diesem Automatismus unseres aktuellen Wissens zunächst gar nichts. Um Kritikfähigkeit zur Wirkung kommen zu lassen muss man aktiv aktuelle Wissensbestände durch aktive Denkprozesse verändern. Wünschen alleine reicht nicht. Schon das bewusste aktive Lesen eines guten Artikels kann Wunder wirken, wobei die Betonung auf ‚bewusst‘ und ‚aktiv‘ liegt. Einen Vortrag einfach ’nur hören‘ oder einen Artikel einfach ’nur lesen‘ bewirkt meist nicht viel (ein interessanter Test wäre, dass jemand sie 30 min nach der Tagesschau oder nach ‚heute‘ oder ähnlichen Nachrichtenmagazinen unerwartet interviewen würde, was sie in diesen Nachrichtensendungen gesehen, gehört und verstanden haben. Es wäre überraschend, wenn auch nur eine einzige Versuchsperson in der Lage wäre, einigermaßen wiederzugeben, was der Inhalt der Sendung war. Das Paradoxe ist, dass dennoch so viele Menschen sich diese Sendungen anschauen; also bleibt doch etwas hängen? Was bleibt hängen? Welchen sachlich-erklärenden Informationswert hat das, was hängenbleibt?).

WELTBILD UND PHILOSOPHIE

Aus dem Faktum von Weltbildern in den Köpfen der Menschen folgt nicht zwingend, dass man sich mit Philosophie beschäftigen sollte. Es gibt verschiedene Disziplinen und Handlungsbereiche, die sich mit einzelnen Aspekten von Weltbildern beschäftigen. Am intensivsten wohl alle möglichen Spielarten von Werbepsychologie (weil man wissen will, wie man das Kaufverhalten beeinflussen kann), von Meinungsumfragen (Demoskopie) (weil man das Wahlverhalten für den eigenen politischen Erfolg nutzen möchte), von Leser- und Zuschauer- oder Kundenverhalten (weil man den wirtschaftlichen Erfolg des Senders, des Kinos, des Theaters, der Zeitung usw. erhalten oder steigern möchte), von Arbeitspsychologie (weil man Störungen in den Arbeitsabläufen minimieren will), von Verhaltenstherapien (weil man Menschen helfen möchte, Störungen in ihrem Lebensgefühl und ihrem Verhalten zu mildern), von Religions-, Kulturwissenschaften und Ethnologie (weil man das Verhalten von Menschen in Abhängigkeit von ihren Weltbildern untersucht), und vielem mehr. Bei dieser Aufzählung kann auffallen, dass keine der zuvor genannten Aktivitäten im Umfeld menschlichen Verhaltens mit Bezug auf potentielle ’steuernde‘ Weltbilder die Weltbilder als solche bzw. sogar die generelle Struktur und Dynamik von beliebigen Weltbildern thematisiert. Näher liegen hier sicher die kognitive Psychologie (mit allen möglichen Teildisziplinen wie Wahrnehmung, Sprache, Gedächtnis usw.) oder auch die Neuropsychologie (DE) (Neuropsychology (EN), insofern bei letzterer die generelle Struktur von Kognition in Korrelation mit den zugrundeliegenden neuronalen Prozessen untersucht wird. Dennoch fällt auf, dass die Neuropsychologie bislang eher noch von speziellen Fragestellungen getrieben wird mit einem Übergewicht der Verhaltensorientierung. Ein explizites Modell des ’subjektiven Weltbildes‘ hat sie nicht und es nicht zu erkennen, dass dies irgendwo entwickelt werden soll. Wenn im Kontext von Neuropsychologie von ‚Kognition‘ (‚cognition‘) gesprochen wird, dann handelt es sich in der Regel um Modellbildungen der kognitiven Psychologie, die auf der Basis von Verhaltensdaten hypothetische Modelle von Verarbeitungsfunktionen ‚im Innern des Körpers‘ generieren.
Die klassische (europäische) Philosophie seit den Griechen nahm dagegen ihren Ausgangspunkt nicht bei den empirisch beobachtbaren Verhaltensdaten alleine sondern bei der ‚Welt‘, wie sie sich innerhalb des bewussten Raumes ‚introspektiv‘, ’subjektiv‘ als Raum von Phänomenen darbot; die empirischen Verhaltensdaten bilden in diesem Phänomenraum eine echte Teilmenge. Das Interesse aller Philosophen richtete sich dann darauf, ausgehend von diesem (subjektiven) Phänomenraum Strukturen und Gesetzlichkeiten zu erkennen, die möglicherweise Aussagen erlauben würden, die ‚über‘ (Griechisch: ‚meta‘) den aktuellen Phänomenraum hinausweisen können, und zwar in einer Form von ‚Allgemeinheit‘, die die zufälligen individuellen Gegebenheiten des eigenen Phänomenraumes möglicherweise übersteigen könnten. Vom Konkreten, Natürlichen, Individuellem (Natur, ‚physis‘), zum Allgemeinen, Idealisierten/ Geistigen (‚meta physis‘). In diesem Anliegen liegt die Wurzel zur Meta-Physik, dem eigentlichen Kern aller Philosophie: alles Wissen im Konkreten und Allgemeinen so erfassen zu können, dass ein Maximum an Klarheit und Aussagbarkeit (was Voraussagbarkeit mit einschließt) entsteht.

ANSTOSS VON AUSSEN

Vor vielen, vielen Jahren, als ich die ersten Jahre Philosophie und Theologie studieren konnte, hatte ich mit großem Interesse u.a. auch Teile der griechischen Philosophie (besonders Aristoteles (384 – 322)) und Teile der lateinischen Theologie und Philosophie (vor allem Thomas von Acquin (1225-1274)) studiert. Zum Studium orientalischer Philosophen hatte die Zeit nicht gereicht. Andere Wege führten dann u.a. in die moderne Logik und Wissenschaftstheorie. Als ich dann kürzlich — so spielt das Leben — meine Frau und Freunde zum Film ‚Der Medicus‘ begleitete, traf ich ziemlich unerwartet (hatte den Roman nicht gelesen; hatte mich auch nicht informiert, worum es in dem Film ging) auf die Person Avicennas (c. 980-1037), der in dem Film unter dem seinem arabischen Namen ‚Ibn Sina‘ (laut englischer Wikipedia war sein voller Name Abū ʿAlī al-Ḥusayn ibn ʿAbd Allāh ibn Al-Hasan ibn Ali ibn Sīnā) durch eine Hauptrolle repräsentiert wird. Der Film zeigt nur die Schlussphase seines Lebens. Erste Recherchen meinerseits im Anschluss an den Film ergaben, dass er nicht nur ein großer Medizinwissenschaftler gewesen ist, sondern zeit übergreifend war er auch bedeutend im Bereich der Philosophie.

AVICENNAS POSITIONIERUNG IN DER ZEIT

An dieser Stelle kann es nicht um eine inhaltliche (und erst recht keine abschließende) Positionierung von Avicenna im Kontext der philosophischen-wissenschaftlichen Traditionen gehen, sondern zunächst nur mal um eine grobe Positionierung im Kontext anderer großer Namen und Traditionen.

Konsultiert man die verschiedenen Enzyklopädien so scheint Avicenna zum Höhepunkt der sogenannten ‚frühen islamischen Philosophie‘ oder des ‚Goldenen Zeitalters‘ (8.Jh – 12.Jh) der islamischen Philosophie zu gehören. Personen, die ihn im Denken stark beeinflusst haben, gibt es viele. Im Bereich der Metaphysik gehört sicher dazu Al-Farabi (lat. Alpharabius (c. 872 950/951), Abu Sahl ‚Isa ibn Yahya al-Masihi al-Jurjani (starb 999/1000)(Lehrer von Avicenna. Schreib eine medizinische Abhandlung mit 100 Kapiteln, die die erste dieser Art in der arabischen Welt war und möglicherweise auch Vorbild für Avicennas späteres medizinisches Hauptwerk war), Abu Nasr Mansur ibn Ali ibn Iraq (c. 960 – 1036)(persischer Mathematiker), Abū al-Rayhān Muhammad ibn Ahmad al-Bīrūnī (973 – 1048)(lat. Alberonius, Engl. Al-Biruni)(ilamischer Wissenschaftler und Mathematiker), Abū Ḥāmid Muḥammad ibn Muḥammad al-Ghazālī (c. 1058–1111)(lat. Al-Ghazali oder Algazel)(gilt als der einflussreichste islamische Theologe und Philosoph nach Mohammed). Abū l-Walīd Muḥammad bin ʾAḥmad bin Rušd (auch Ibn Rushd , lat. Averroës 1126 – 1198)(spanischer Universalgelehrter; in der islamischen Welt kritisch gesehen; sehr einflussreich im westlichen mittelalterlichen Denken; einer der einflussreichsten Kommentatoren von Aristoteles für die westlich-lateinische Überlieferung).

AD FONTES – ZU DEN QUELLEN

Bei einem so komplexen geistesgeschichtlichen Umfeld hat man zunächst nahezu keine Chance, irgendetwas wirklich zu verstehen. Nach meiner Erfahrung hilft da letztlich nur eines: reale Texte von realen Denkern nehmen und anfangen diese aktiv zu lesen. Hält man dies lange genug durch, dann entstehen erste Umrisse eines Bildes von diesem Denken, auf dem man dann aufbauen und weiter arbeiten kann. Da ich zwar von früher her noch ein wenig Latein und Griechisch kann, aber — bedauerlicherweise — kein Arabisch, bleibt mir momentan nichts übrig, als nach einer Übersetzung von Avicennas Werken zu schauen. Für deutschsprachige Leser gibt es den glücklichen Umstand, dass deutsche Orientalisten zu Beginn des 20.Jahrhunderts großartige Arbeit geleistet haben. Ein bedeutender deutscher Orientalist war Max Horten (voller Name: Maximilian Joseph Heinrich Horten) (1874 — 1945). Von ihm gibt es eine sehr gute Übersetzung mit ausgiebigen Erläuterungen von dem philosophischen Hauptwerk von Avicenna, von seiner Metaphysik. Das Buch „Die Metaphysik Avicennas: das Buch der Genesung der Seele, Leipzig 1907; Frankfurt am Main 1960“ ist zwar vergriffen, aber es gibt einen Reprint dieses Buches bei Amazon.

DAS BUCH

Dieses Buch, ein 1-zu-1 Reprint der Ausgabe von 1907, umfasst 799 Seiten. Es präsentiert sich in einem exzellenten Deutsch und einer umfassenden Kommentierung in den Fußnoten. Da Horten ein Orientalist mit breiten Kenntnissen in Philosophie und Theologie (insbesondere die lateinische Tradition) war, eröffnen seine Anmerkungen mit Originalzitaten griechischer, arabischer und lateinischer Autoren einen Einblick in die Vernetzung der Gedankenwelt Avicennas mit den verschiedenen Traditionen.

Ich habe bislang zwar erst ca. 100 von den 799 Seiten gelesen, aber ich bin restlos begeistert und fasziniert von diesem Text; nicht so sehr, weil ich glaube, dass man diese Gedanken heute noch so direkt übernehmen könnte, aber weil dieser Text die Möglichkeit bietet, das ‚alte‘ Denken, das viele Jahrhunderte (letztlich fast 2000 Jahre) den europäischen Raum (zu dem der ‚Orient‘ wesentlich dazugehört) geprägt hat, mit dem heutigen ‚modernen‘ Denken direkt in Beziehung zu setzen, um dadurch die grundlegenden Transformationen deutlich zu machen, die das europäische Denken durchlaufen hat. Insbesondere habe ich durch die bisherige Lektüre den Eindruck gewonnen, dass seine Auffassung von Logik und Metaphysik einen wunderbaren Anknüpfungspunkt bildet, um die Besonderheiten des modernen Denkens zu erklären. Einerseits kann man die moderne Logik, Wissenschaftstheorie und Erkenntnistheorie seit dem Ende des 19.Jahrhunderts als eine Art Generalkritik an der klassischen Metaphysik sehen, andererseits ist die moderne Philosophie mittlerweile soweit fortgeschritten, dass sie neben der ‚Kritik‘ nun einen konstruktiven Vergleich wagen könnte, der aus dem konstruktiven nebeneinander von klassischer Metaphysik und moderner Logik, Erkenntnistheorie und Wissenschaftstheorie ein neues ‚Gesamtbild‘ zeichnen könnte, in der beide (!) vorkommen. Wie gesagt, dies ist eine aktuelle Vermutung, die sich bei der Lektüre aufdrängt, und die im Folgenden im einzelnen erst genauer zu erarbeiten wäre.

Ob und wie sich das europäische Denken mit anderen Denkformen verzahnt oder nicht verzahnt, sich möglicherweise gegenseitig anregen kann, dies wäre ein eigenes Thema.

FÜR WELCHE LESER

Für jemanden, der keinerlei Vorwissen in griechischer Philosophie, lateinischer Theologie und klassischer Logik hat, ist das Buch möglicherweise ein bisschen ‚hart‘ und mag als verwirrende ‚Begriffsklauberei‘ erscheinen. Wer sich aber da ein wenig auskennt und vielleicht noch dazu ein wenig moderne Logik, Philosophie und Wissenschaftstheorie kennt, für den kann das Buch ein absoluter Genuss sein. Ich werde das Buch auf jeden Fall weiter lesen und hier diskutieren.

Zur Fortsetzung siehe hier, Teil 2.

HILFREICHE LINKS

Max Horten: http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Horten Autor von: Die Metaphysik Avicennas: das Buch der Genesung der Seele, Leipzig 1907; Frankfurt am Main 1960 (vergriffen)
Encyclopaedia Iranica: http://www.iranicaonline.org/articles/avicenna-index
Wikipedia (EN): http://en.wikipedia.org/wiki/Avicenna
The MacTutor History of Mathematics archive: http://www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Avicenna.html
Thomas Hockey et al. (eds.). The Biographical Encyclopedia of Astronomers, Springer Reference. New York: Springer, 2007, pp. 570-572: http://islamsci.mcgill.ca/RASI/BEA/Ibn_Sina_BEA.htm
Wikipedia (DE): http://de.wikipedia.org/wiki/Avicenna
The Internet Encyclopedia of Philosophy (IEP) (ISSN 2161-0002): http://www.iep.utm.edu/avicenna/
Ecyclopedia Britannica: http://www.britannica.com/EBchecked/topic/45755/Avicenna
Islamische Philosophie: http://www.muslimphilosophy.com/sina/art/ei-is.htm
Enzyklopädie des Islams: http://www.eslam.de/begriffe/a/avicenna.htm
Catholic Encyclopedia: http://en.wikisource.org/wiki/Catholic_Encyclopedia_%281913%29/Avicenna

Einen Überblick über alle Blogbeiträge von cagent nach Titeln findet sich HIER.

NACHÜBERLEGUNGEN ZUM VORTRAG „NOTION OF GOD“ von GIUSEPPE TANZELLA-NITTI, Prof. für Dogmatische Theologie der Theologischen Fakultät der Päpstlichen Universität vom Heiligen Kreuz (Rom); Vortrag gehaltem am 17.Aug.2013 an der Universität UNICAMP (Campinas, Brasilien)

Letzte Änderung: Einfügung zweier Musikstücke am 24.August 2013

Als Begleitmusik (Variante 1)

PERSÖNLICHER NACHHALL

1) Die folgenden Überlegungen beabsichtigen nicht, den Vortrag als solchen wieder zu geben (als Hintergrundlektüre für den Vortrag war angegeben worden God, Notion of), sondern Gedanken, die sich für mich aus dem Vortrag ergeben haben, auch in Verbindung mit einem der anschließenden Gesprächskreise (der zum Glück auf Englisch war, da sich mein Portugiesisch bislang nur auf wenige Worte beschränkt).
2) Aufgrund meiner Biographie vermeide ich es eher, mich mit kirchlichen Themen zu beschäftigen, da das offiziell-kirchliche Denken — ich muss es so sagen — in meiner Erfahrung aufklärendes Denken eher verhindert als befördert. Aber da ich nun mal hier war und mein Freund den Vortrag besuchen wollte, bin ich mal mitgegangen.

EINSCHRÄNKUNG AUF GRENZEN DER WISSENSCHAFTEN

3) Eine kleine Überraschung war, dass der Vortrag selbst sich nur auf Aussagen der Wissenschaft beschränkte, und hier besonders auf die großen Diskussionen in der Physik bis ca. Ende des 20.Jahrhunderts. Alle anderen Wissenschaften wie die Geologie und Biologie mit dem evolutionären Veränderungsgeschehen auf der Erde, die Molekularbiologie und Neurowissenschaften mit den neuen Erkenntnissen zu den Grundlagen des Menschseins samt den Auswirkungen auf die moderne Philosophie, dies alles fehlte in dem Vortrag. Erst recht fehlte die Position der Kirche, die Theologie, wie diese sich zu dem Ganzen verhält (die in dem oben genannten Artikel ‚Notion of God‘ sehr wohl vorkommt).

GRENZEN UND IHRE ÜBERWINDUNG

4) Der Vortrag artikulierte im Munde des Vortragenden besonders drei Leitthemen: (i) Die Wissenschaft leistet aus Sicht der Kirche sehr wohl einen Beitrag zur Erkenntnis der Welt, wie sie ist; (ii) aufgrund der verwendeten empirischen Methoden in Kombination mit der Mathematik hat die Wissenschaft aber eingebaute Erkenntnisgrenzen, die verhindern, dass man das ‚große Ganze‘ sehen kann; (iii) die Lücken, die die Wissenschaft lässt, verlangen dennoch nach einer ‚Füllung‘, die mittels philosophischem und theologischen Denken geschlossen werden können.
5) Akzeptiert man die Annahmen, die der Vortragenden in seinem Vortrag stillschweigend macht (Anmerkung: Er hat nirgends seine eigenen Voraussetzungen offengelegt (und dies geschieht auch nicht in dem angegebenen Hintergrundartikel)), dann ist dies ein recht plausibler, schlüssiger Gedankengang.
6) Er brachte dann eine Fülle von Originalzitaten aus Briefen und Büchern berühmter Forscher, die alle mit je eigenen Worten ihre persönliche Position bezüglich der Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Ausdruck brachten; diese mündeten in den einen Tenor, dass sie ‚hinter allem‘ letztlich eine alles übergreifende Ordnung vermuten oder gar direkt von ‚Gott‘ sprechen. Abgerundet wurde der Zitatenstrauss durch eine Episode während einer wissenschaftlichen Konferenz im Vatikan, bei der Stephen Hawking, bekennender Atheist und aus Sicht der Kirche illegal ein zweites Mal verheiratet eine Begegnung mit Papst Paul II. hatte und der Papst Hawking entgegen Hawkings Erwartungen nicht kritisierte (in der Vergangenheit hatte Hawking von einem Papst sogar eine hohe kirchliche Auszeichnung bekommen, die der Papst (Foto war da) ‚kniend‘ überreicht hatte).

EINE FALSCHE ‚HEILE WELT‘?

7) So nett dies alles klingt, es führt letztlich an der Sache vorbei und gaukelt eine ‚heile Welt‘ vor, die so nicht existiert.

KOMMENTAR: HISTORISCHE EINORDNUNG DER WISSENSCHAFT FRAGWÜRDIG

8) In meinem ersten Kommentar in der Vortragsrunde habe ich versucht deutlich zu machen, dass die Fokussierung auf die ‚Grenzen‘ wissenschaftlichen Erkennens — so lehrreich sie in gewissen Details sind — letztlich aber die Sicht auf den tatsächlichen Gang der historischen Entwicklung verstellt. Das, was aus einer vom Vortragenden bewusst gewählten Sicht als ‚Begrenzung‘ des Wissens durch die moderne Wissenschaften erscheint, erweist sich im realen historischen Kontext als gewaltige Befreiung! Vor dem systematischen Betrieb von empirischer Wissenschaft — wobei man Galileo Galilei (1564– 1642) als einen Bezugspunkt für den historischen Beginn setzen kann (natürlich gab es auch vor Galileo andere, die schon empirische Untersuchungen angestellt haben, die Mathematik zur Beschreibung benutzt haben, aber mit seiner Person, seinen Werken und seinem Schicksal verbindet sich die Geschichte der modernen Wissenschaften in besonderer Weise) — gab es ein Sammelsurium von Wissen, stark dominiert von einem philosophischen Denken, das trotz der Klarheit eines Aristoteles (384-322BC) stark in den Fallstricken der natürlichen Denkens verhaftet war und mittels einer sogenannten Meta-Physik alle die Fragen löste, die das übrige Wissen zu dieser Zeit noch nicht lösen konnte. Dies vermittelte zwar den Eindruck von ‚Klarheit‘ und ‚Sicherheit‘, da man ja alles meinte ‚erklären‘ zu können. Der große Nachteil dieses Wissens war, dass es nicht ‚falsch‘ werden konnte. Unter der Flagge der Meta-Physik konnten also auch größte Unsinnigkeit geäußert werden und man konnte sie nicht widerlegen. So schlimm dies in sich schon ist, so schlimm wird dies dann, wenn eine politische oder kirchliche Macht (oder beide zusammen, was geschehen ist), ihre eigenen Wahrheits- und Machtansprüche mit solch einer Denkform, die nicht falsch werden kann, verknüpft. Eine kirchliche Macht formal verknüpft mit einem ‚abgeleiteten‘ Aristoteles konnte jedes ’neue‘ und ‚andersartige‘ Denken im Ansatz unterbinden. Vor diesem Hintergrund war das Aufkommen der empirischen Wissenschaften eine wirkliche Befreiung, eine Revolution und das harte unerbittliche Vorgehen der Kirche gegen die ersten Wissenschaftler (bis hin zum Tod auf dem Scheiterhaufen) belegt, dass die Inhaber der Macht sehr wohl gespürt haben, dass ein empirisch wissenschaftliches Denken trotz seiner eingebauten Grenzen mächtig genug ist, die metaphysischen Kartengebäude der Vergangenheit zum Einsturz zu bringen. Und die weitere Entwicklung zeigt überdeutlich, dass es genau dieses empirische-wissenschaftliche Denken war, das im Laufe der letzten 400 Jahre schrittweise immer mehr unser gesamtes Denken über das Universum, die Erde, das Leben und den Menschen ‚umgegraben‘ hat; wir haben atemberaubende Einblicke erlangt in ein universelles Geschehen und in einen Mikrokosmos, der alles übersteigt, was frühere Zeiten nicht einmal ahnen konnten. Wenn ein Aristoteles heute leben könnte, er wäre sicher besinnungslos vor Glück angesichts all dieser aufregenden Erkenntnisse (und natürlich würde er seine Meta-Physik komplett neu schreiben; er würde es sicher tun, nicht so die vielen philologischen Philosophen, die immer nur neue Ausgaben editieren (so wertvoll dies für sich auch sein mag)).
9) Von all dem hat der Vortragende nichts gesagt! Er hat es tunlichst vermieden, hätte er doch unweigerlich die hochproblematische Rolle der realen Kirche in diesem historischen Prozess zur Sprache bringen müssen, noch mehr, er hätte sich unangenehmen Fragen danach stellen müssen, wie es denn die Kirche heute mit der wissenschaftlichen Erkenntnis hält. Dies war mein zweiter Punkt, den ich im Plenum angemerkt habe.

KOMMENTAR: AUSLASSUNG DER NEUEREN WISSENSCHAFTSENTWICKLUNG; SCHWEIGEN ÜBER WISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNISSE IN ANWENDUNG AUF DIE BIBEL

10) In dem zitierten Dokument God, Notion of) werden einige kirchliche Dokumente aufgelistet, die auf die eine oder andere Weise — zumindest in Worten — eine grundlegende Wertschätzung von allgemeinen wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen zum Ausdruck bringen. Allerdings, wie oben schon angemerkt, werden viele neue wissenschaftliche Disziplinen, speziell jene im Umfeld der chemisch-biologischen Evolution, Neurowissenschaften, künstliche Intelligenzforschung, ausgeklammert. Und — dies fällt vielen Nicht-Theologen vermutlich gar nicht auf — die Anwendung wissenschaftlicher Methoden auf die sogenannten ‚Offenbarungsschriften‘ des alten und Neuen Testaments (kurz ‚Bibel‘ von Griechisch ‚biblos‘ = Buch) und die theologische Lehre insgesamt wird nahezu vollständig ausgeblendet. In allen offiziellen kirchlichen Texten spielen die gut 100 Jahre andauernden wissenschaftlichen Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der biblischen Dokumente, ihre historischen Kontexte, ihre literarische Formen, ihre redaktionellen Be- und Überarbeitungen, ihre Übernahme vorgegebener Themen aus dem Umfeld, usw. keine ernsthafte Rolle (Anmerkung: Diese Feststellung bezieht sich wohlgemerkt auf die offiziellen kirchlichen Verlautbarungen. In den meisten theologischen Hochschulen — zumindest im deutschsprachigen Bereich –werden diese Methoden im Rahmen der Wissenschaften von der Bibel (Exegese) sehr wohl gelehrt und angewendet, allerdings, wie man sieht, im offiziell kirchlichen Denken ohne Konsequenzen). Das gleiche zieht sich fort in den theologischen Disziplinen, die zum dogmatischen Denken gehören. Hier wird Wissenschaft und moderne Philosophie — wenn überhaupt — nur sehr selektiv einbezogen. Diese gelebten Realitäten einer Kirche sprechen eine andere Sprache als die schönen Worte der offiziell kirchlichen Verlautbarungen. Würde man die hier in den letzten 100 Jahren gewonnenen Erkenntnisse ernst nehmen, dazu die übrigen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, dann würde man viele gewohnte kirchliche Positionen ziemlich sicher korrigieren müssen. Während die einen dies als ‚Verlust‘ empfinden mögen, als ‚Bedrohung‘, werden andere daran einen möglichen Weg sehen, die ursprüngliche Sprengkraft eines christlichen Glaubens auch unter veränderten Erkenntnisbedingungen wieder besser denken und dann vielleicht auch besser leben zu können. Auf diesen ganzen Komplex von Wissenschaftsverachtung durch die reale Kirche heute ist der Vortragende mit keinem Wort eingegangen (in dem von ihm angegebenen Text lässt der abschließende Abschnitt über die Sicht der Theologie den Eindruck entstehen, als ob er selbst als Autor diese 100 Jahre umfangreichster wissenschaftlicher Arbeiten zur Bibel auch völlig ausklammert und stattdessen nur klassische metaphysische Muster wiederholt, deren Gültigkeit heute mehr als fragwürdig ist).

KOMMENTAR: SCHLIESSEN DER LÜCKEN MIT UNGEEIGNETEN MITTELN

11) Damit kommen wir zum dritten Themenkreis, dem Schließen der ‚Lücken‘, die das wissenschaftliche Denken angeblich lässt. Nu muss man an dieser Stelle selbstkritisch einräumen, dass die vielen empirisch-wissenschaftlichen Disziplinen bis heute keinen einheitlichen, überall anerkannten ‚meta-wissenchaftlichen‘ Überbau in Form einer allgemein verbreiteten ‚Wissenschaftstheorie‘ oder ‚Philosophy of Science‘ haben; sofern es solche Professuren gibt, sind diese oft vereinzelt, isoliert, eher der Philosophie zugeschlagen und abgetrennt von den Wissenschaften, die dieses Denken eigentlich brauchen. Die ohne Zweifel in jedes wissenschaftliche Erkennen einfließenden philosophischen Anteile sind oft wenig thematisiert oder gar nicht thematisiert. Andererseits ist es aber so, dass de reale Gang der empirischen Wissenschaften beständig begleitet war von allerlei methodologischen Diskussionen. Die große Mannigfaltigkeit der Disziplinen und der hohe Veränderungsgrad machen es allerdings schwierig, hier mit einer Reflexion Schritt zu halten (zumal diese von den Universitäten zum Leidwesen der Wissenschaften kaum honoriert oder unterstützt wird). Aus dieser, sich aus der Sache heraus ergebenden, Schwierigkeit dann abzuleiten, dass es so etwas wie eine Philosophie der realen Wissenschaften nicht geben kann und dass man stattdessen doch lieber Vorlieb nimmt mit den ‚Philosophen der Vergangenheit‘ (die können sich ja nicht mehr wehren), ist verständlich, wenngleich für den Wissenschaftsbetrieb unglücklich. Statt die Kluft zwischen ‚Denken in der Vergangenheit und Denken heute‘ zu schließen, wird diese Kluft dann eher zementiert. Aus dieser unbefriedigenden Situation heraus entstehen dann solche Lösungsvorschläge, die ‚Erkenntnislücken‘ der heutigen Wissenschaften mit den Konzepten der alten klassischen Metaphysik zu ‚überbrücken‘ (zu ‚transzendieren‘), da man ja letztlich (so die stillschweigende Annahme) aus dem vorausgesetzten allgemeinen ‚Logos‘ (ein Begriff aus der griechischen Philosophie, zusätzlich aufgeladen durch die biblischen Schriften, u.a. vom Johannesevangelium her, das im griechischen Text auch vom ‚logos‘ spricht) existentiell und logisch meint allgemeine Zusammenhänge herleiten zu können, um die Erkenntnislücken empirischer Wissenschaften zu schließen.
12) Wie gesagt, die empirischen Wissenschaften bieten leider kein ideales Bild, aber die Einbeziehung von klassischen philosophischen Positionen ohne weitere Begründung ist nicht sehr rational. Da werden mindestens 400 Jahre kritische methodische Reflexionen komplett unterschlagen. Hier nur ein paar Anmerkungen (eine korrekte Darstellung könnte ganze Bücher füllen):

EINWÄNDE GEGEN NAIVE INANSPRUCHNAHME VON ‚LOGOS‘ UND METAPHYSIK
– ERKENNTNISTHEORIE

13) (i) ein Einspruch kommt von der modernen Erkenntnistheorie (etwa ab Descartes, über Hume, Kant, Locke und vielen anderen bis hin zur evolutionären Erkenntnistheorie). Hier hat man erkannt, dass unsere subjektive Erlebnis- und Denkwelt ganz konkrete Voraussetzungen hat, die in der Struktur und der Funktion des Gehirns begründet sind, das wiederum zusammen mit dem umgebenden Körper eine Entwicklung von vielen Millionen Jahren hinter sich hat. Die Art und Weise unseres Denkens ist ein Produkt, und die heutigen Erlebnis- und Denkformen bilden keinen endgültigen Schlusspunkt, sondern repräsentieren eine Übergangsform, die in einigen Zehntausend Jahren (falls die Gentechnik nicht schon früher Änderungen hervorbringt) anders aussehen werden als heute. Beispielsweise sehen wir (durch die Kodierung des Gehirns) beständig ‚Objekte‘, aber in der physikalischen Welt gibt es keine Objekte, nur Eigenschaftsmengen, Energiefelder. Eine klassische Metaphysik konnte unter Voraussetzung des subjektiven Denkens mit Objekten in Form einer ‚Ontologie‘ operieren, eine moderne Philosophie muss erst einmal erklären, wie sie damit klar kommt, dass unser Gehirn subjektiv überall Objekte konstruiert, obwohl es physikalisch eigentlich keine Objekte gibt (und eine moderne Philosophie muss natürlich noch erheblich mehr erklären als dieses).

– SPRACHPHILOSOPHIE

14) (ii) Ein zweiter Einspruch kommt von der Sprachphilosophie. Der Vortragende erwähnte zwar auch den frühen Wittgenstein (1889-1951) als Kronzeugen für die Einsicht in die Grenzen dessen, was man mit Sprache sagen kann, um damit einmal mehr die Grenzen der empirisch-wissenschaftlichen Methode zu thematisieren, er versäumte es dann aber, auch den späten Wittgenstein zu erwähnen, der nachhaltig aufzeigen konnte, wie die Grenzen des Sagbaren alle Sprachspiele durchziehen, auch die Alltagssprache, auch — und nicht zuletzt! — die Sprache der Philosophen. Konnte man in früheren Zeiten als Philosoph einfach einen Satz hinschreiben mit der trügerischen Annahme, das könne wohl jeder verstehen, der verstehen will, kann nach Wittgenstein jeder, der es wissen will, wissen, dass dies eine wenig haltbare Position ist. Nicht nur jeder Satz, sondern sogar jedes einzelne Wort unterliegen dem Problem, dass ein Sprecher A das, was er mit bestimmten Lauten oder Zeichen verbunden wissen will (die Bedeutung), in keinem einzigen Fall als selbstverständlich gegeben bei einem anderen Sprecher B voraussetzen kann. Dies liegt daran, dass die Zuordnung von sprachlichem Ausdruck und das mit dem Ausdruck Gemeintem nicht zwangsweise mit dem Ausdruck selbst verknüpft ist, sondern in jedem einzelnen Fall mühsam gelernt werden muss (was jeder, der mühsam eine neue Sprache lernen will auf Schritt und Tritt erfährt). Mag dies bei Bezugnahme auf empirische Sachverhalte noch einigermaßen gehen, wird es bei nicht-empirischen Sachverhalten zu einem Rate- und Glücksspiel, das umso abenteuerlicher ist, je weniger Bezugspunkte zu etwas anderem, was schon bekannt ist, vorliegen. Wer schon einmal klassische philosophische Texte gelesen hat, der weiß, dass philosophische Texte in der Regel NICHT von empirischen Sachverhalten sprechen, sondern von Erlebnis- und Denkstrukturen, die als solche nicht wie Objekte aufzeigbar sind. Die Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen ein und desselben klassischen philosophischen Textes ist von daher kein Zufall sondern resultiert aus dieser schwierigen Bedeutungslage. Klassische philosophische Texte sind ’schön‘, solange man sie nicht ernsthaft analysiert; tut man dies, verliert man sich unweigerlich in immer mehr Aporien.
15) [Anmerkung: Ich selbst war Teilnehmer des folgenden Experimentes an derjenigen deutschen Universität, die als einzige unter den ersten 50 Plätzen internationalen Universitätsrankings vorkommt. Teilnehmer waren zwei bekannte Philosophieprofessoren, zwei habilitierte Assistenten und mindestens drei Doktoranden der Philosophie. Es ging um die Frage, ob man die Einleitung in Kants Kritik der reinen Vernunft so interpretieren könne, dass alle ausnahmslos zustimmen müssten. Das Experiment lief zwei Semester lang. An Methoden war alles erlaubt, was bekannt war und dienlich erschien. Natürlich wurden u.a. auch alle bisher verfügbaren Kommentare berücksichtigt. Nach zwei Semestern gab es nicht einmal ansatzweise eine gemeinsame Sicht der Dinge. Beweisen tut dies im strengen Sinne nichts. Ich fand es damals sehr ernüchternd.]
16) Fasst man die Erkenntnisse der modernen Erkenntnistheorie und die der modernen Sprachphilosophie zusammen, dann erscheint es nicht nachvollziehbar und geradezu gewagt, anzunehmen, man könne die bislang erkannten Grenzen der modernen empirisch-wissenschaftlichen Erkenntnis durch einen unreflektierten Rekurs auf einen alles übergreifenden ‚Logos‘ einfach so überbrücken. Diese Art von ’naiver‘ (sprich ‚unreflektierter‘) Meta-Physik (und Ontologie) ist vorbei.
17) Bedenkt man die Bedeutungs-Probleme, die die Alltagssprache besitzt, ist die Situation in den empirisch-wissenschaftlichen Disziplinen ja geradezu noch ‚idyllisch‘. Bis zu einem gewissen Grad gibt es hier noch aufzeigbare und kontrollierbare ‚Bedeutung‘, wenn auch nicht vollständig.

VERZICHT AUF ‚LOGOS‘ ODER METAPHYSIK BEDEUTET NICHT GOTTLOSIGKEIT

18) Akzeptiert man die kritischen Argumente, dann folgt daraus NICHT — wie der Vortragende zu unterstellen scheint –, dass sich damit die Frage nach einem letzten ‚Sinn‘ oder gar die Frage nach etwas, das wir ‚Gott‘ nennen, grundsätzlich erledigt hat. Was sich allerdings weitgehend erledigt hat, ist, dass man tiefgreifende Fragen, die sich durch das Fortschreiten der Wissenschaften dem Wahrheitssuchenden öffnen weder durch Rekurs auf eine vor-kritische naive Metaphysik ‚überspielen‘ kann, noch dass man theologische Positionen als Antworten benutzen kann, die sowohl die wissenschaftliche kritische Analyse der religiösen Überlieferungsgeschichte wie auch der sich aus den Wissenschaften ergebenden neuen Erkenntnisse zur Struktur des Menschen, seiner Erkenntnisfähigkeit, seinen Erlebnisstrukturen usw. unberücksichtigt lassen. Das, was der Vortragende in dem zitierten Artikel tut, ist aber genau dies: er benutzt die alte naive Metaphysik, als ob es die letzten 400 Jahre nicht gab, und er benutzt eine theologische Interpretation, die genau jene Wissenschaft, die zuvor als so wichtig gepriesen wird, vollständig ausklammert. Das ist in meinen Augen nicht seriös, das ist nicht rational, das ist unwissenschaftlich, das hilft all den Menschen nicht, die ernsthaft nach Wahrheit suchen und nicht nur eine ‚psychologische Beruhigung‘ mit ‚einlullenden Bildern‘ (obwohl das Erzählen von Märchen sehr wohl der Wahrheitsfindung dienen kann; man muss sie nur richtig erzählen. Viele der Gleichnisse (einfache Form von Märchen?), die der Gestalt Jesus von Nazareth zugeschrieben werden, sind z.B. von dieser Natur: sie machen Punkte im Verhalten von Menschen deutlich, denen man eine gewisse Lebensweisheit nicht absprechen kann (eine Weisheit, die nicht jeder mögen muss)).

DIE GRENZEN DER SPRACHE IMPLIZIEREN NICHT EINE BEGRENZTHEIT DER WELT

19) Der Gesprächskreis im Anschluss an den Vortrag war sehr heterogen. Ich selbst habe aus den vielen Aussagen folgenden Gedanken mitgenommen: Die Grenzen der Sprache (Für die Mathematik aufgezeigt durch Gödel (und auch Turing)), für die allgemeine Sprache durch Wittgenstein) bedeuten nicht das Ende der Erkenntnis, sie machen uns nur deutlich, dass die grundsätzlichen Möglichkeiten des Erkennens für uns Menschen (bisher, unter Voraussetzung des aktuellen Erkenntnisapparates) nicht beliebig sind und dass wir, wenn wir ‚wahre‘ Erkenntnis wollen, jene, die uns aus den Wirrungen des alltäglichen naiven Weltbildes tatsächlich herausführen kann, dass wir dann diese Grenzen beherzigen und berücksichtigen sollten. Dass die scheinbare Begrenzung des wahren Erkennens auf die empirisch-wissenschaftliche Vorgehensweise uns gegenüber dem Vorgehen mit der nur scheinbar alles umfassenden naiven metaphysischen Denkweise in geradezu explosionsartiger Weise in Denkräume hinein katapultiert hat, von denen keiner der alten Philosophen auch nur träumen konnte, dies sollte uns Ermutigung und Anstoß sein, diesen Weg beherzt weiter zu gehen. Darüber hinaus zeigt sich aber ein fundamentaler Tatbestand: explizites, sprachlich vermitteltes Denken kann letztlich nur jener Wirklichkeit folgen, in der wir uns vorfinden und die allem Denken voraus ist. Was wir nicht aufzeigen können, ist letztlich nicht greifbar. Mehr noch, nur im Erfahren des ‚wirklich Anderen‘ — dem Empirisch-widerständigen — erfahren wir uns selbst als das ‚Andere zum anderen‘, als ‚Selbst‘ und das, ‚was‘ wir sind bzw. sein können, wissen wir erst dann, wenn wir selbst in unserem konkreten Dasein uns selbst sichtbar werden. Dies aber bedeutet, nur wenn wir ‚aus uns heraus‘ gehen, nur wenn wir ‚uns aufs Spiel setzen‘, nur wenn wir etwas ‚Probieren‘, nur dann kann sichtbar werden, ‚was‘ bzw. ‚wer‘ wir ‚tatsächlich sind‘. Nur weil das ‚biologische Leben‘ beständig weiter ‚aus sich heraus‘ gewachsen ist, immer mehr ‚Varianten probiert‘ und ‚Komplexitäten geschaffen‘ hat sind Formen des Lebens entstanden, von denen wir ein kleiner Teil sind. Dass das DNA-Molekül und der zugehörige Übersetzungsmechanismus ‚begrenzt‘ ist (verglichen mit den klassischen metaphysischen Konzepten geradezu lächerlich primitiv) war — und ist — kein Hindernis dafür, dass immer komplexere Lebensformen entstanden sind, so komplex, dass unser heutiges Denkvermögen sie nicht vollständig beschreiben kann. Die Grenzen der Sprache sind NICHT die Grenzen des Lebens und der Wahrheit. Die Wahrheit geht jeder Sprache — und erst recht jeder Metaphysik — um Lichtjahre voraus.

JEDER KANN SEIN ‚GOTTESEXPERIMENT‘ MACHEN

20) Sollte es so etwas wie einen ‚Gott‘ geben, so brauchen wir uns mit Sicherheit keine Sorgen darum machen, ob er ‚ist‘, was er ‚tut‘ oder ob wir ihn ‚richtig erkennen‘. Wenn es einen ‚Gott‘ als das letztlich Unbegreiflich alles Umfassende geben sollte, dann kann man davon ausgehen, dass er schon immer handelt (auch ohne uns zu fragen), er ist schon immer bei und in uns, ohne dass wir darum bitten müssen, und er lässt die ‚Wahrheit‘ auch in Lebensformen aufscheinen und sich entwickeln, die wir uns nicht ausgedacht haben und über die wir keine Verfügungsgewalt haben. Mit Sicherheit ist dieser Gott nicht an eine spezielle ethnische Gruppe gebunden, mit Sicherheit interessiert diesen Gott nicht, was wir essen und trinken, mit Sicherheit spielt Jungfrauengeburt und ähnliche Folklore keine Rolle. Für diesen Gott, so es ihn gibt, geht es um wirklich Grundlegendes. Aus meiner beschränkten Wahrnehmung sehe ich nicht, dass irgendeiner der heute lebenden Religionen (Judentum, Christentum, Islam…) wirklich ernsthaft an Gott interessiert ist. Dazu ist viel zu viel Hass unterwegs, zu viel Menschenverachtung, zu viele gruppenspezifische Egoismen, zu viele Herrschaftsstrukturen, die nur denen dienen, die herrschen, zu viel Folklore, zu viel Geldmacherei, zu wenig echtes Wissen.
21) Alles in allem — das habe ich in einem andren Blogeintrag auch schon mal ausgeführt — kann man den Eindruck gewinnen, dass es heute weniger die alten Religionen sind, die uns etwas Interessantes über den Sinn dieser Welt und über Gott zu sagen haben, als vielmehr die modernen Wissenschaften, die trotz ihrer Unvollkommenheiten ein Fenster der Erkenntnis aufgestoßen haben, dass alle Räume sehr weit aufmacht, so weit, dass wir noch gar nicht alles fassen können, was wir da sehen, zugleich werden die Grundrisse einer neuen Spiritualität sichtbar, die zu erkunden und auszuprobieren noch viel zu tun bleibt.
22) Das wäre mein letzter Punkt (zu dem es auch schon frühere Blogeinträge gibt). Wenn das alles stimmt, was uns die empirischen Wissenschaften sagen, dann ist die Annahme einer direkten Kommunikation ‚Gottes‘ — was immer man alles über ihn im Detail noch sagen kann — mit jedem Punkt des Universums — und damit natürlich auch mit jedem Lebewesen, auch mit uns Menschen — grundsätzlich möglich, und zwar jederzeit und überall. Niemand braucht eine vermittelnde Instanz dazu, da wir durch unsere Körper (die ja alle aus Zellen bestehen, diese aus Molekülen, diese aus Atomen, diese aus subatomaren Teilchen) jederzeit mit jedem Punkt im Universum kommunizieren können. Die grundlegenden Regeln der — zumindest christlichen — Mystik sind mit diesem empirischen Befund deckungsgleich. Es macht ja auch keinen Sinn, ‚Gott‘ als alles umfassenden und ermöglichenden Grund allen Seins zu postulieren und ihm dann zu verbieten, sich mit jedem Punkt des Universums verbinden zu können. Von der Quantenphysik her gibt es jedenfalls keine grundlegenden Einwände (was nicht bedeutet, dass wir in der Quantenphysik soweit wären, eine solche Kommunikation vollständig beschreiben zu können). Das gute daran ist, man muss dies nicht ‚glauben‘, sondern man kann es ‚tun‘, d.h. jeder kann sein privates ‚Gottesexperiment‘ machen und mit Gott in Kontakt treten. Man muss dafür kein Geld bezahlen, man braucht dazu keine ‚Genehmigung‘, man muss dazu keinen Universitätsabschluss gemacht haben, man muss dazu keiner bestimmten politischen Partei angehören, man muss dazu kein Millionär sein; das ‚einfache Menschsein‘ genügt. Die einzige Bedingung, man muss es einfach ‚tun‘, womit wir wieder bei dem zentralen Sachverhalt sind: Leben gibt es nur dort, wo es sich ‚ereignet‘, indem man seine Möglichkeiten ausübt…

Eine Übersicht über alle bishergen Blogeinträge nach Titeln gibt es HIER

Variante Nr.2

Philosophie im Kontext – Teil2 – Irrtum!

Das Diagramm im letzten Beitrag über Philosophie im Kontext ist falsch, nicht so sehr in den Details, sondern in der grundlegenden Logik.

Philosophie im Kontext - FalschBild 1

Eine korigierte Version könnte wie folgt aussehen:

Philosophie im Kontext - NeuBild 2

 

(1) In dem vorausgehenden Beitrag hatte ich versucht, auf der Basis der philosophischen Überlegungen seit Januar (letztlich natürlich noch Monate und Jahre weiter zurück) in einem Diagramm die grundsätzlichen Verhältnisse zu skizzieren, die man berücksichtigen muss, will man über das Zusammenspiel all der verschiedenen möglichen wissenschaftlichen und philosophischen Theorien sprechen, einschließlich des alltäglichen Denkens.

 

(2) Dabei ist mir ein gravierender Fehler unterlaufen, der natürlich nicht zufällig ist, sondern aus der Art und Weise resultiert, wie unser Denken funktioniert.

 

 

(3) Das Bild, so wie es jetzt ist (siehe Bild 1), zeigt — wie in einer Landkarte — das erkennende Individuum aus einer ‚Draufsicht‘ (3.Person) mit seinem Körper, darin enthalten sein Gehirn, und innerhalb des Gehirns irgendwo die subjektiven Erlebnisse als ‚Phänomene [PH]‘.

 

(4) Der Fehler liegt darin begründet, dass das subjektive Erkennen niemals als ‚Objekt einer dritten Person-Perspektive‘ auftreten kann. Das ist ja gerade das Besondere der subjektiven Erkenntnis, dass sie die ‚Innenansicht‘ eines Gehirns ist, das subjektive Erleben eines bestimmten Menschen (oder auch mit Abwandlungen eines Tieres), ’seines‘ Erlebens, bei Husserl dem ‚transzendentalen ego‘ zugeordnet. D.h. das ‚primäre Erkennen‘ ist in einem subjektiven Erleben verortet, das als solches kein Objekt einer dritten Person sein kann.

 

(5) Diesem Sachverhalt trägt Bild 2 Rechnung. Das Erkennen startet dort bei der Menge der Phänomene. Wie Husserl – und auch viele andere – zurecht herausgestellt hat, sind die Phänomene aber nicht nur ‚in sich geschlossene Objekte‘, sondern ‚phänomenologische Tatbestände‘ in dem Sinne, dass ihr ‚Vorkommen/ Auftreten‘ begleitet ist von einem ‚Wissen über sie‘; jemand, der ‚etwas erkennt‘, ‚weiß‘ dass er erkennt. Das wird im Diagramm durch den Pfeil mit dem Label ‚Reflexion‘ ausgedrückt: Im ‚Wissen um etwas‘ – Husserl nennt dies ‚Intentionalität‘ des Erkennens – können wir alles, was der Inhalt dieses primären Wissens ist, hinsichtlich möglicher unterscheidbarer Eigenschaften ‚explizit unterscheiden‘ und ‚bezugnehmende Konzepte‘ bilden.

 

 

(6) Und da der Mensch – in Ansätzen auch einige Tierarten – die wundersame Fähigkeit besitzt, ‚Gewusstes‘ [PH_Non-L] in Beziehung zu setzen (assoziieren, Assoziation) zu anderem Gewussten, das als ‚verweisenden Etwas‘ (Zeichen) [PH_L] dienen soll, kann der erkennende Mensch die ‚Inhalte seines Bewusstseins‘ – die Phänomene [PH] – mit Hilfe solcher verweisender Zeichen ‚kodieren‘ und dann unter Verwendung solcher kodierender Zeichen ‚Netzwerke solcher Zeichen‘ bilden, die – je nach ‚Ordnungsgrad‘ – mehr oder weniger ‚Modelle‘ oder gar ‚Theorien‘ bilden können.

 

(7) Da das begleitende Wissen, die Reflexion, in der Lage ist, auch ‚dynamische Eigenschaften‘ der Phänomene zu erfassen (‚Erinnern‘, ‚Vorher – nachher‘,…) kann diese Reflexion auch – nach sehr vielen Reflexionsschritten – unterscheiden zwischen jenen Phänomenen, die geschehen ‚ohne eigenes Zutun‘ (ohne eigenes ‚Wollen‘) und den anderen. Das ‚ohne eigenes Zutun‘ kann aus jenen Bereichen des ‚eigenen Körpers‘ herrühren, die die Reflexion ’nicht unter Kontrolle‘ hat oder aus Bereichen ‚außerhalb des Körpers‘, den wir dann auch ‚intersubjektiv‘ nennen bzw. neuzeitlich ‚empirisch‘ [PH_emp].

 

 

(9) In einer phänomenologischen Theorie [TH_ph], deren Gegenstandsbereich die subjektiven Erlebnisse [PH] sind, kann man daher die charakteristische Teilmenge der empirischen Phänomene [PH_emp] identifizieren. Daneben – und zugleich – kann man all die anderen Eigenschaften der Phänomene samt ihrer ‚Dynamik‘ unterscheiden und begrifflich ausdrücklich machen. Eine genaue Beschreibung aller möglicher Unterscheidung ist sehr komplex und ich habe nicht den Eindruck, dass irgend jemand dies bis heute erschöpfend und befriedigend zugleich geleistet hat. Möglicherweise kann dies auch nur als ein ‚Gemeinschaftswerk‘ geschehen. Dazu müsste man eine geeignete Methodik finden, die dies ermöglicht (vielleicht sind wir Menschen technologisch erst jetzt (2012, ca. 13.7 Milliarden Jahre nach dem Big Bang, ca. 3.7 Milliarden Jahre nach dem ersten Auftreten von lebensrelevanten Molekülen auf der Erde…) langsam in der Lage, eine solche Unternehmung einer ‚gemeinsamen Theorie des menschlichen phänomenalen Bewusstseins‘ in Angriff zu nehmen).

 

(10) Vieles spricht dafür, dass die unterschiedlichen Versuche von Philosophen, die Vielfalt der Reflexionsdynamik (und deren ‚Wirkungen‘ auf den Bewusstseinsinhalt) mit Hilfe von sogenannten ‚Kategorientafeln‘ zu strukturieren (keine gleicht wirklich völlig der anderen), in diesen Kontext der Bildung einer ‚phänomenologischen Theorie‘ [TH_ph] gehört. Idealerweise würde man – zumindest einige der bekanntesten (Aristoteles, Kant, Peirce, Husserl,…) – vor dem aktuellen Hintergrund neu vergleichen und analysieren. Sofern diese die Struktur der Dynamik des ’sich ereignenden Denkens‘ beschreiben, müssten diese Kategorientafeln letztlich alle ’strukturell gleich‘ sein. Dabei unterstellen wir, dass die Dynamik des Denkens der einzelnen Menschen aufgrund der Gehirnstruktur ‚hinreichend ähnlich‘ ist. Dies ist aber streng genommen bis heute nicht erwiesen. Die vielen neuen Erkenntnisse zur Gehirnentwicklung und zum individuellen Lernen (einschließlich der emotionalen Strukturen) legen eher die Vermutung nahe, dass es sehr wohl individuelle Unterschiede geben kann in der Art und Weise, wie einzelne Menschen die Welt ‚verarbeiten‘. Träfe dies zu, hätte dies natürlich weitreichende Folgen für die Alltagspraxis und die Ethik (und die Moral und die Gesetze…).

 

 

(11) Hat man sich dies alles klar gemacht, dann wundert es nicht mehr, dass die Bildung wissenschaftlicher empirischer Theorien [TH_emp] nicht ‚außerhalb‘ einer phänomenologischen Theoriebildung stattfinden kann, sondern nur ‚innerhalb‘, und zwar aus mindestens zwei Gründen: (i) die Menge der empirischen Phänomene [PH_emp] ist eindeutig eine echte Teilmenge aller Phänomene [PH], also PH_emp subset PH. (ii) Die empirische Theorie TH_emp entsteht im Rahmen und unter Voraussetzung der allgemeinen Reflexion, die unser primäres Denken ermöglicht und ausmacht; wir haben kein ‚zweites‘ Denken daneben oder ‚jenseits‘ im ‚Irgendwo‘. Dies erklärt auch sehr einfach das häufig bemerkte Paradox der Metatheorie: Theorien sind nur möglich, weil wir ‚über‘ (Alt-Griechisch: ‚meta‘) sie ’nachdenken‘ können. Dieses ‚Nachdenken über‘ (Metareflexion‘) ist unter Annahme der allem Denken vorausgehenden und begleitenden primären Reflexion keine Überraschung. Was immer wie uns ‚ausdenken‘, es geschieht im Rahmen der primären Reflexion und von daher kann auch alles und jedes, was wir jemals gedacht haben oder uns gerade denken beliebig miteinander in Beziehung gesetzt werden. Bezogen auf diese vorausgehende und begleitende Reflexion ist jeder ‚Denkinhalt‘ grundsätzlich ‚unabgeschlossen‘; die primäre Reflexion ermöglicht eine ‚endliche Unendlichkeit‘, d.h. der prinzipiell nicht abgeschlossene Denkprozess kann – als ‚Prozess‘ – jede endliche Struktur immer wieder und immer weiter ‚erweitern‘, ‚ausdehnen‘, usf.

 

(12) Kennzeichen von neuzeitlichen empirischen Theorien ist ihre Fundierung in ‚empirischen Messverfahren‘ [MEAS]. Kennzeichen dieser empirischen Messverfahren ist es, dass sie unabhängig vom Körper eines Menschen und auch unabhängig von seinem individuellen Erkennen, Fühlen und Wollen bei gleicher ‚Durchführung‘ immer wieder die ‚gleichen Messergebnisse‘ [DATA_emp] liefern sollen. Ob und wieweit solche ‚unabhängigen‘ Messungen tatsächlich durchgeführt werden können ist eine ‚praktische‘ und ‚technologische‘ Frage. Die Geschichte zeigt, dass dieses Konzept auf jeden Fall trotz aller Probleme im Detail bislang extrem erfolgreich war.

 

(13) Allerdings ist hier folgender Umstand zu beachten: obwohl die Messergebnisse [DATA_emp] als solche idealerweise ‚unabhängig‘ vom Fühlen, Denken und Wollen eines Menschen erzeugt werden sollen, gelangen dieses Messergebnisse erst dann zu einer ‚theoretischen Wirkung‘, wenn es irgendwelche Menschen gibt, die diese Messergebnisse DATA_emp ‚wahrnehmen‘ (Englisch: perception, abgekürzt hier als ‚perc‘) können, damit sie als ‚auftretende Phänomene‘ – und zwar hier dann als empirische Phänomene [PH_emp] – in den Bereich des ‚Wissens‘ eintreten, also perc: DATA_emp —> PH_emp. Dies bedeutet, der besondere Charakter von empirischen Phänomenen haftet ihnen nicht als ‚gewussten Eigenschaften‘, nicht qua ‚Phänomen‘ an, sondern nur im Bereich ihrer ‚Entstehung‘, ihres ‚Zustandekommens‘ (aus diesem – und nur aus diesem – Grund ist es so wichtig, beim Umgang mit Phänomenen jeweils klar zu kennzeichnen, ‚woher diese stammen), der ihrem ‚Phänomensein‘ ‚vorausliegt‘.

 

 

(14) In dem Masse nun, wie wir mittels empirischer Messungen Daten über das beobachtbare menschliche Verhalten [DATA_sr], über physiologische Eigenschaften des Körpers [DATA_bd] bzw. auch über Eigenschaften des Nervennetzes im Körper (‚Gehirn‘) [DATA_nn] gewonnen haben, können wir versuchen, basierend auf diesen verschiedenen Daten entsprechende wissenschaftliche Theorien TH_sr, TH_bd, TH_nn zu formulieren, die die Gesetzmäßigkeiten explizit machen, die durch die Daten sichtbar werden.

 

(15) Der wichtige Punkt hier ist, dass alle diese Theorien nicht ‚unabhängig‘ oder ‚jenseits von‘ einer phänomenologischen Theorie zu verorten sind, sondern ‚innerhalb‘ von dieser! Jede beliebige Theorie kann immer nur eine Theorie ‚innerhalb‘ der umfassenden und zeitlich wie logisch vorausgehenden phänomenologischen Theorie sein. Eine spezifische empirische Theorie [TH_i] zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie sich auf eine echte Teilmenge [PH_i] aller verfügbarer Phänomene [PH] beschränkt. Gerade in dieser methodischen Beschränkung liegt – wie der Gang der Geschichte uns lehrt – der große Erfolg dieser Art von Theoriebildung. Zugleich wird aber auch deutlich, dass jede dieser speziellen Theorien TH_i aufgrund ihrer speziellen Datenmengen DATA_i (denen die entsprechenden Phänomenmengen PH_emp_i] korrespondieren) zunächst einmal nichts mit einer der vielen anderen speziellen Theorien TH_j TH_i zu tun hat. Es ist eine eigene theoretische Leistung, Querbeziehungen herzustellen, strukturelle Ähnlichkeiten aufzuzeigen, usw. Dies fällt dann in den Bereich ‚interdisziplinärer Theoriebildung‘, ist ‚Metatheorie‘. Diese Art von metatheoretischen Aktivitäten ist aber nur möglich, da die primäre Reflexion alle Arten von speziellen Reflexionen zeitlich und logisch vorausgeht und das entsprechende ‚Instrumentarium‘ zur Verfügung stellt.

 

(16) In diesem Kontext ist unmittelbar einsichtig, dass subjektives Wissen prinzipiell kein Gegenstand empirischer Theoriebildung sein kann. Im Umfeld der modernen Neurowissenschaften (einschließlich Neuropsychologie) sowie im Bereich der Psychologie ist dieser grundsätzliche Tatbestand – so scheint es – bislang methodisch nicht wirklich sauber geklärt. In unzähligen Experimenten mischen sich klare empirische Vorgehensweisen mit der Benutzung von subjektiven Daten, was methodisch ungeklärt ist. Dies durchzieht alle ‚Kreise‘.

 

(17) Will man von der einzigartigen Datenquelle des primären Wissens PH für wissenschaftliche empirische Forschung PH_emp profitieren, bietet sich bislang einzig ein ‚hybrides‘ Vorgehen an, in dem ein Mensch sein eigenes subjektives Wissen PH auf der Basis einer ‚zeitlichen Korrelation‘ (t,t‘) mit empirischen Daten PH_emp, die von anderen Wissenschaftlern mittels Messungen über seinen Körper und sein Nervennetz erhoben werden. Also etwa CORR((t,t‘), PH, PH_emp). Dies ist zwar mühsam und fehleranfällig, aber die einzige methodische Möglichkeit, mit diesen ungleichen Phänomenmengen zurecht zu kommen (Mir ist nicht bekannt, dass irgendjemand diese scharfe methodische Forderung bislang erhebt geschweige denn, dass irgend jemand danach tatsächlich vorgeht).

 

(18) Für die weiteren Überlegungen soll versucht werden, diesen methodologischen Anforderungen gerecht zu werden.

 

(19) Es zeigt sich nun auch sehr klar, dass und wie das philosophische Denken gegenüber allen anderen theoretischen Erklärungsansätzen tatsächlich eine Sonderstellung einnimmt. Das philosophische Denken ist das fundamentale Denken, das jeglichem speziellen Denken zeitlich und logisch voraus liegt, nicht als Gegensatz oder als etwas ganz Anderes, sondern als das primäre Medium innerhalb dessen sich alles andere ‚abspielt‘. Während ich eine spezielle empirische Theorie als ‚Objekt des Wissens‘ klar abgrenzen und beschreiben kann, ist die dazu notwendige Metareflexion als solche kein ‚Objekt des Wissens‘, sondern immer nur ein nicht weiter hintergehbares ‚Medium‘, eben das ‚Denken‘, in dem wir uns immer schon vorfinden, das wir nicht erst ‚machen‘, das wir nur ‚benutzen‘ können. Die ‚Eigenschaften‘ dieses unseres Denkens ‚zeigen‘ sich damit auch nur ‚indirekt‘ durch die ‚Wirkung‘ der Denkaktivität auf die Inhalte des Bewusstseins (Eine Kooperation von empirischer Psychologie TH_emp_psych und phänomenologischer Analyse TH_ph kann hilfreich sein, allerdings sind die Gegenstandsbereiche DATA_emp_psych als PH_emp_psych und PH komplett verschieden und wirklich interessant würde es erst dann, wenn wir eine TH_emp_psych einer TH_ph gegenübersetzen könnten (bislang sehe ich nirgends – nicht einmal in Ansätzen – eine phänomenologische Theorie, die diesen Namen verdienen würde, noch eine wirkliche empirische psychologische Theorie, und das im Jahr 2012).

 

 

Ein Überblick über alle bisherigen Einträge findet sich hier.

 

 

In dem Online-Skript General Computational Learning Theory versuche ich, diese erkenntnisphilosophischen Aspekte zu berücksichtigen. Ich kann in diesem Skript allerdings nur einen Teilbereich behandeln. Aber aus diesen sehr abstrakt wirkenden Überlegungen ist meine ‚Rückkehr zur Philosophie‘ entscheidend mitbeeinflusst worden.