Archiv der Kategorie: Ground Zero

REVIEW: THE WORLD ACCORDING TO TOMDISPATCH – Teil 4

T.Engelhardt (ed), „The World Acording to TomDispatch. America in the New Age of Empire“, London-New York: Verso, 2008

Diesem Text ging voraus: Teil 3.

ZWISCHENERGEBNISSE NACH Teil 1-3

1) Fassen wir kurz zusammen, was sich bisher ergeben hat: ausgehend von den philosophischen Reflexionen zum Phänomen einer markanten emergenten Komplexität des biologischen Lebens zeigte sich Kommunikation und eine funktionierende Öffentlichkeit als zentrale Bedingungen für das Funktionieren dieser Komplexität. Um dies gesellschaftlich zu ermöglichen wurden in modernen Demokratien Verfassungen geschaffen, in denen weitgehende Freiheitsrechte zum Schutze des Individuums verankert wurden (z.B. USA, Deutschland). Begleitet von heftigen Diskussionen wurden in Deutschland unter speziellen Bedingungen (‚Lauschangriff‘) eine Aufhebung solcher Rechte durch Regierungsstellen erlaubt; in den USA gibt es eine lange Geschichte von Ausdeutungen zum vierten Zusatz der Verfassung, die Stand 2013 — zwar nicht dem Wortlaut nach, aber faktisch — einer fast vollständigen Aufhebung dieser Freiheitsrechte gleichkommt. Engelhardt skizziert in der Einleitung zu seinem Buch die Entwicklung in den USA nach 9/11 als dramatische Verstärkung von Geheimdiensten und Militär in einer ‚unipolaren Welt‘. Dies wird begleitet durch eine weitgehende Abschottung der Regierung nach außen. Im ersten Kapitel zeigt Engelhardt anhand konkreter Daten auf, wie die Ereignisse von 9/11 auf eine medial imprägnierte Öffentlichkeit treffen, die — geprägt von den tiefsitzenden Bildern der Medien der letzten Jahrzehnte — die Ereignisse in einer bevorzugten Weise deuten; in einer Weise, die von der Regierung mitgesteuert wird und für bestimmte Pläne ausgenutzt werden.

GROUND ZERO – EIN MONUMENT DER HYBRIS?

2) Ist man nach den vorausgehenden Gedanken schon ein wenig aufgeschreckt und verunsichert, ob man die Ereignisse während und nach 9/11 tatsächlich so interpretieren soll, wie sie vom Mainstream interpretiert wurden, so trägt Engelhardt im Kap.2 weitere Fakten zusammen, die einem zu Grübeln bringen können.
3) Da sind einmal die Höhe des geplanten Gebäudes von 1776m, die an die Erklärung der Unabhängigkeit der USA erinnern soll, und dann die Kosten, die zeitweise mit 1 Mrd Dollar veranschlagt wurden. Dazu kommen die Kosten für ein Besuchszentrum von ca. 80 Mio Dollar sowie die jährlichen Betriebskosten von ca. 50-60 Mio Dollar (und vieles mehr).(vgl. S.14)
4) Es ist eigentlich merkwürdig, Tote nach ‚Preisen‘ zu vergleichen, aber Engelhard stellt eine Liste mit 8 wichtigen Gefallenen-Mahnmalen der USA zusammen, aus der man ersehen kann, dass für einen Toten des World-Trade Centers ca. 363.000 US-$ ausgegeben werden, für einen Toten durch das Oklahoma City Attentat 1995 etwa 0,17 US-$, und für die vielen Toten der Kriege in Korea, Vietnam, Weltkrieg II und den Holocaust weit weniger als 0,01 US-$! Für die vielen Toten, die amerikanisches Kriegshandeln in dem Land erzeugt hat, in dem die USA jeweils Krieg geführt haben (Irak, Afghanistan, Korea, Vietnam) gibt es keinerlei Aufwendungen.(vgl. S.16f)
5) Wie gesagt, diese ganze Art der Betrachtung ist problematisch, sie zeigt aber, welch überdimensionale Gewichtung dem Attentat auf das World-Trade Center gegeben wird. Was war hier so viel ganz anders, dass es diese überdimensionale Behandlung verdiente? Engelhardt merkt an, dass ein Gedenken sich eigentlich im Herzen abspielt, im Erinnern derer, die man aus dem eigenen Leben kennt. Die anderen finden ihren Platz in den Büchern zur Geschichte.(vgl.S.17)
6) Und er wagt eine Deutung dieses Monuments in dem Sinne, dass er sagt, dass von diesem Monument die Botschaft ausgeht, dass Die USA in ihrem Leiden nicht nur das größte Opfer (‚victim‘) darstellen, sondern auch den größten Überlebenden (’survivor‘) und den größten Beherrscher (‚denominator‘), den die Welt je gesehen hat. Was zugleich bedeutet, dass all die anderen vielen Toten mit den Worten des Pentagon nur einen ‚Kollateralschaden‘ bilden. (vgl. S.19).
7) Für Engelhardt verkörpert das Ground-Zero Monument daher nur einen spezifischen Moment in der Geschichte der USA, nämlich jenen, in dem sich die USA nicht mehr als ‚Nation‘ sah, sondern als ‚Homeland‘, was damit den Bezug zur die Unabhängigkeitserklärung von 1776 eigentlich verloren hat. Und abschließend zitiert er einen Abschnitt aus der Einleitung der US-Amerikanischen Verfassung, in der die Verfassungsväter das Fehlverhalten des Königs George III. von England auflisten. Die Anklagepunkte weisen Analogien auf mit dem Verhalten des Präsidenten George Bush, betrachtet vom Ausland.(vgl. S.20f)
8) [Anmerkung: Wenn man den Verfassungstext der USA heute liest, dann liegt es in der Natur der Sache, ihn letztlich auf ‚alle‘ Menschen zu beziehen, denn die Rechte, die dort die damaligen Kolonisten für sich beansprucht haben, sind von einer Art, dass sie — wenn sie überhaupt gelten — natürlich für ALLE gelten. Von daher ist es verständlich, dass die USA in ihrer Geschichte ihre Verantwortung auch für andere Menschen, Völker und Staaten gesehen haben und sie auch tatkräftig wahrnahmen. Der ‚Geist‘ der US-amerikanischen Verfassung ist von daher auf eine umfassende ‚Partnerschaft‘ mit allen Menschen, mit allen Völkern angelegt. Im Laufe der Jahre hat sich aber der Sicherheits- und Militärapparat, der zum ‚Schutze‘ der Freiheit geschaffen wurde, mehr und mehr verselbständigte. Hand in Hand damit ging eine Ausweitung des Begriffs ‚Feind‘, in der Weise, das der ‚Feind‘ immer beliebiger wurde, immer mehr ‚virtualisiert‘ wurde, bis dahin, dass das amerikanische Volk selbst wie ein potentieller Feind behandelt wird. Fast ist man geneigt zu sagen, dass der diktatorische König George III. in Gestalt überbordender Geheimdienste und eines überbordenden Militärs in den USA neu auferstanden ist. Nicht mehr dienen diese Institutionen dem amerikanischen Volk, sondern das amerikanische Volk muss diesen Institutionen dienen. ]

Fortsetzung folgt

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REVIEW: THE WORLD ACCORDING TO TOMDISPATCH – Teil 3

T.Engelhardt (ed), „The World Acording to TomDispatch. America in the New Age of Empire“, London-New York: Verso, 2008

Diesem Text ging voraus: Teil 2.

9/11 REZIPIERT VON MEDIAL VORPROGRAMMIERTEN GEHIRNEN

1) Im ersten Kapitel des Buches (geschrieben Sept 2006) beschäftigt sich Tom Engelhardt mit dem Phänomen, dass die Ereignisse vom 11.Sept.2001 die Menschen in den USA nicht ‚unvorbereitet‘ getroffen haben, nicht auf quasi blanke Gehirne getroffen sind, sondern auf Menschen trafen, auf eine Bevölkerung, die seit dem zweiten Weltkrieg, seit den Bomben auf Hiroshima, mit Angstvorstellungen durchtränkt war: jahrelang hatten Ängste vor einem Nuklearschlag der Sowjetunion die Medien beherrscht, und damit alltägliches Reden und Denken infiziert.(vgl. S.3) Und dann die vielen Hollywoodproduktionen, in denen diverse Katastrophenszenarien durchgespielt worden sind; sie hingen noch in den Köpfen der Menschen, lauerten in ihrem Unterbewussten, und nun, auf einmal, lief auf allen 24 TV-Kanälen landesweit das Spektakel der beiden Türme, die mit einer Theatralik zusammenbrachen, die Hollywood alle Ehre machte – nur was es dieses Mal ‚real‘.(vgl. S.3f) Und eine andere Parallel lag auf der Hand: Pearl Harbour 7.Dezember 1941. Und ein ehemaliger CIA-Direktor (Neokonservativer) brachte es tags drauf auf den Punkt, dass die USA jetzt im Krieg sei.(vgl. S.4)
2) In den vielen Filmen, in denen Invasionen und Katastrophen erzählt wurden — in vielen mit der Drohung oder gar der Ausführung von atomaren Explosionen — war ‚Ground Zero‘ eine Bezeichnung für den Ort, wo sich die atomare Explosion ereignet. Von daher erschien es fast ’natürlich‘, dass der Ort des Geschehens von den Medien sehr schnell mit ‚Ground Zero‘ bezeichnet wurde. Die Filme saßen in den Köpfen und Seelen der Menschen, auch der Journalisten. Die Macht der Bilder steuerte die Worte, die aus dem Mund flossen.(vgl. S.5)
3) Sieht man von den vielen bunten Filmbildern tief in den Gehirnen ab, dann war das Reden vom ‚Ground Zero‘ unangemessen, da es gar keine atomare Explosion gegeben hatte. Es war eine Truppe von fanatisierten jungen Männern, mit einer äußerst primitiven Bewaffnung, die Flugzeuge gekapert hatten. Dass ihre Attacken auf die beiden Gebäude solche überwältigenden Bilder erzeugen würden, war — darf man den Verhörprotokollen glauben — für sie unerwartet. Zieht man die Bilder ab, dann gleicht dieses Attentat — laut Tom Engelhardt — dem 1993 World Trade Center Attentat; nur dass dieses Attentat damals weitgehend misslang. Auch ist interessant, dass der andere Anschlag, bei dem ein Flugzeug ins Pentagon stürzte, bald aus den Medien verschwand; von ihm fehlten die gleichen dramatischen Bilder. Ohne Bilder keine ‚Realität’… Und schließlich, gab es ja damals zeitgleich die Briefanschläge mit Anthrax, einem wirklichen Massenvernichtungsmittel. Trotz anfänglicher großer Medienwirkung verschwand dieses Ereignis aus dem kollektivem Gedächtnis, da die Verursacher Amerikaner waren, keine ausländischen Terroristen; das passte nicht in das neue Feindbild.(vgl. SS.5-7)
4) [Anmerkung: Dieses ‚Verschwinden‘ aus dem öffentlichen Bewusstsein ist — vermutlich — nicht den finstren Machenschaften irgendwelcher Regierungsstellen geschuldet, sondern ist Ausfluss der Tatsache, dass Medien — selbst engagierte Medien — letztlich in ihrem Schreiben und Senden nicht ganz unabhängig sind von ihren Adressaten; und wenn ein Ereignis — wie z.B. das Pentagon-Flugzeug oder die Anthrax-Attentäter — mit den vertrauten Muster eines kollektiven Bewusstseins nicht gut harmoniert, dann rennen die Journalisten wie gegen eine unsichtbare Wand und werden — normalerweise — bald aufhören, dieses zu tun. In diesem Fall verhalten sie sich wie alle, die etwas ‚verkaufen‘ müssen. In dem Falle regiert dann nicht die ‚Wahrheit‘ des Ereignisses, sondern die ins Unbewusste eingebrannte ‚Unwahrheit‘ von medialen Produktionen, die zwar für die ‚Unterhaltung‘ gemacht wurden, aber mit der Kraft ihrer Bilder den Alltag überlagern, verfremden, und die sie beheimatenden Gehirne damit so ‚falsch programmieren‘, dass selbst ‚kritische Journalisten‘ sich ihrer Macht nicht entziehen können. ]
5) [Anmerkung: Eine andere Variation dieses Themas ist die aktuelle Diskussion im Anschluß an die Snowdon-Enthüllungen. Da deutsche Politiker — wie sich zeigte — nahezu keine oder überwiegend falsche Vorstellungen von Internettechnologien und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung haben, waren ihre Reaktionen und Kommentare von einer erschreckenden Naivität, einer Naivität, die letztlich eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellt, für die sie Verantwortung tragen. Doch niemand sah sich trotz dieses Totalversagens zu einem Rücktritt veranlasst …]
6) Hervorstechend ist, wie innerhalb von drei Tagen nach dem Attentat am 11.Sept.2001 eine Deutung der Ereignisse alles überragte: das Attentat war — laut Regierungsstellen — kein ‚Verbrechen‘ (was es tatsächlich war), nein, es wurde als Teil eines ‚Krieges‘ (‚war‘) interpretiert (was es nicht unbedingt sein musste; alle Beweise fehlten). Schon in der Nacht des 11.Sept.2001 hatte der Präsident von einem ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ gesprochen. Welch ein Kontrast zum 1993-Attentat auf das World Trade Center. (vgl. SS.7-9)
7) [Anmerkung: In zahlreichen Verschwörungstheorien war ja aufgrund dieser extrem schnellen ‚Vereinnahmung‘ des Attentats für die Zwecke des dann folgenden Krieges unterstellt worden, dass das Attentat von der Regierung selbst inszeniert worden ist. Bei richtiger Interpretation (bei der man Wichtiges auslässt und anderes überbetont) passte ja alles perfekt. Aber solche Verschwörungstheorien sind nicht nur nicht notwendig, sie verdecken auch wichtige Details, die für alle unangenehm sind: die von der Regierung angebotenen — weit überzogenen und unsachlichen — Interpretationen wurden von den meisten willig angenommen und unterstützt; dass eine Regierung solche Monstrositäten denkt ist schlimm, dass aber ein ganzes Land mit vielen seiner kritischen Journalisten diesem Unsinn gefolgt ist, ist mindestens so schlimm und zeigt, wie anfällig wir alle sind, wenn wir ‚falsch programmiert‘ sind und jemand diese falsche Programmierung geschickt ausnutzt (Und wenn man sieht, wie in Deutschland die Nach-Snowdon-Diskussion in der Presse weitgehend auf die Technik abhebt und die politische Diskussion weitgehend verhungert, weil man sich nicht traut, seinem Partner USA unbequeme Fragen zu stellen, dann gibt es hier Parallelen).]
8) Zurecht stellt Tom Engelhardt die Frage, ob all die rasch folgenden radikalen Interpretationen und Gesetzesbeschlüsse der nachfolgenden Tage möglich gewesen wären, wenn die beiden Wolkenkratzer nicht so bildgewaltig eingestürzt wären? Hätte man all die gewagten Lügen über Saddam und seine Vernichtungswaffen so leicht geglaubt? (vgl. S.9f)
9) Und Tom Engelhardt macht darauf aufmerksam, dass die extrem schnelle Antwort der Regierung auf das Ereignis 9/11 mit der sehr speziellen Interpretation recht gut erklärbar wird, wenn man sich bewusst macht, dass die Regierung seit dem ersten Golf-Krieg 1990-91 sowohl an Plänen arbeitete, wie man den Irak vollständig okkupieren kann, wie auch an Plänen, wie man den Einfluss des Pentagons einerseits vergrößern und gleichzeitig den Einfluss des Kongresses schwächen könnte. Dass nur 8 Tage (!) nach dem Attentat der komplexe 342-Seiten Text zum ‚Patriot Act‘ dem Kongress vorlag und am 9.Okt.2001 den Senat passierte, das erscheint anders kaum erklärbar (und erscheint im Nachhinein fast wie eine Art ‚Staatsstreich‘).
10) [Anmerkung: Mit dem Wissen von heute kann man sich wundern, dass diese Vorgänge bisher von der Nachfolgeregierung nie offiziell aufgearbeitet worden sind. Noch mehr kann einen wundern — besser gesagt: erschrecken –, dass die Nachfolgeregierung die falschen Interpretationen samt den monströsen Verordnungen bislang einfach übernommen hat ohne einer kritischen Evaluation.]

Fortsetzung folgt in Teil 4.

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