Archiv der Kategorie: Subjektivität

GEN — MEM — SEM

(1) Bei der Betrachtung der Entwicklung des (biologischen) Lebens auf der Erde tritt als markantes Ereignis (vor ca. 3.5 Mrd Jahren) die Verfügbarkeit von selbstreproduktiven Einheiten hervor: DNA-Moleküle werden dazu benutzt um unter Zuhilfenahme anderer Moleküle Proteinstrukturen in einer geordneten Weise so zu organisieren, dass daraus wieder Zellen, multizelluläre Organismen entstehen.

 

(2) In einem Abstraktionsprozeß wurden mathematische Modelle entwickelt, die die Struktur eines DNA.-Moleküls in solch einem selbstreproduktiven Kontext als ‚Informationseinheiten‚ identifizierten, die auch als ‚Gene‚ bezeichnet wurden. Der gesamte Informationsprozess wurde als ‚Genetischer Algorithmus (GA)‚ rekonstruiert. Gegenüber dem biochemischen Modell enthält er Vereinfachungen, zugleich bilden diese aber auch eine ‚Generalisierung‚, die eine mathematische Behandlung zulassen. Dadurch konnten sehr weitreichende Untersuchungen angestellt werden.

 

(3) Die Uminterpretation von genetischen Algorithmen als Classifier Systeme betrachtet die genetische Informationen als Wenn-Dann-Regeln (auch mehrere hintereinander). Je nachdem, welche Bedingungen vorliegen, werden nur bestimmte ‚Wenns‘ ‚erfüllt‘ und nur diese ‚Danns‘ werden aktiviert. Eine ‚Wenn-Dann-Regel‘ bildet einen ‚Classifier‚. Während genetische Informationen als solche eigentlich nur einmal im Leben eines (biologischen) Systems verändert werden (in der Realität natürlich auch durch Fremdeinwirkungen öfters), nämlich bei der Weitergabe der Informationen nach bestimmten Mustern/ Regeln geändert werden können (letztlich gibt es nur zwei Fälle (i) Rekombination nach einer festen Regel oder (ii) Zufällige Veränderung), können die Informationen, die als eine Menge von Classifiern kodiert sind, durch jedes einzelne Verhalten eines Systems geändert werden. Dies entspricht eher dem Organisationsniveau des Nervensystems bzw. dem des Gehirns in einem biologischen System.

 

(4) Betrachtet man Classifier Systeme auf der Organisationsebene des Gehirns, dann liegt auf der Hand, sie primär als Modell eines einfachen Gedächtnisses (Memory) zu sehen. Die ‚Wenns‘ (Engl. if) repräsentieren dann wichtige ‚Wahrnehmungszustände‘ des Systems (sensorische wie propriozeptive oder mehr), die ‚Danns‘ (Engl. ‚then‘) repräsentieren jene Aktionen des Systems, die aufgrund solcher Wahrnehmungen ausgeführt wurden und damit potentiell über die Veränderung einer (unterstellten) Situation zu einer Veränderung dieser Situation geführt haben, die wiederum die Wahrnehmung ändern kann. Da man mathematisch Wenn-Dann-Regeln (also Classifier) als Graphen interpretieren kann mit den ‚Wenns‘ als Knoten und den ‚Danns‘ als Übergänge zwischen den Knoten, sprich Kanten, bilden die Classifier als Graph den Ausgangspunkt für ein mögliches Gedächtnis.

 

(5) Nennen wir den ersten Graphen, den wir mittels Classifiern bilden können, Stufe 0 (Level 0), dann kann ein Gedächtnis mit Stufe 0 Wahrnehmungssituationen speichern, darauf basierende Handlungen, sowie Feedback-Werte. Feedbackwerte sind ‚Rückmeldungen der Umgebung (Engl. environment). Biologische Systeme verfügen im Laufe der 3.5 Miliarden dauernden Evolution mittlerweile über ein ganzes Arsenal von eingebauten (angeborenen, genetisch fixierten) Reaktionsweisen, die das System zur Orientierung benutzen kann: Hungergefühle, Durstgefühle, Müdigkeit, diverse Schutzreflexe, sexuelle Erregung usw. Im Englischen spricht man hier auch von drives bzw. verallgemeinernd von speziellen emotions (Emotionen). In diesem erweiterten Sinn kann man biologische Systeme auf der Organisationseben des Gedächtnisses auch als emotionale Classifier Systeme (emotional classifier systems) bezeichnen. Wenn man diese systemspezifischen Rückmeldungen in die Kodierung der Wenn-Dann-Regeln einbaut — was bei Classifiern der Fall ist –, dann kann ein auf Classifiern basierendes Gedächtnis die Wirkung von wahrgenommenen Situationen in Verbindung mit den eigenen Handlungen gespeichert (store) werden. Darüberhinaus könnte man diese gespeicherten Informationen mit geeigneten Such- und Auswertungsoperationen in zukünftigen Situationen nutzen, in denen man z.B. Hunger hat und man sich fragt, ob und wo und wie man an etwas Essbares kommen könnte.

 

(6) Der Begriff mem wurde in der Literatur schon vielfach und für sehr unterschiedliche Sachverhalte benutzt. In diesem Kontext soll ein mem* einen Knoten samt aller verfügbaren Kanten in einem Classifiersystem bezeichnen, das als Gedächtnis benutzt wird. Meme* sind dann — analog wie Gene — auch Informationseinheiten, allerdings nicht zur Kodierung von Wachstumsprozessen wie bei den Genen, sondern als Basis für Handlungsprozesse. Meme* ermöglichen Handlungen und die durch Handlungen ermöglichten Veränderungen in der unterstellten Umwelt können auf das handelnde System zurückwirken und dadurch die Menge der Meme* verändern.

 

(7) Wie wir heute wissen, haben biologische System — allerdings sehr, sehr spät — auch Zeichensysteme entwickelt, die schließlich als Sprachen zum grundlegenden Kommunikationsmittel des homo sapiens wurden. Kommunikation ermöglicht die Koordinierung unterschiedlicher Gehirne.

 

(8) Die allgemeine Beschreibung von Zeichen ist Gegenstand der Semiotik als Wissenschaft der Zeichen und Zeichenprozesse. Allerdings ist die Semiotik bis heute kaum anerkannt und fristet vielfach nur ein Schattendasein neben anderen Disziplinen. Dafür gibt es dann viele Teildisziplinen wie Phonetik, Linguistik, Sprachwissenschaften, Sprachpsychologie, Neurolinguistik usw. die nur Teilaspekte der menschlichen Zeichen untersuchen, aber es historisch geschafft haben, sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.

 

(9) Eine Schwäche der Semiotik war — und ist es bis heute –, dass sie es nicht geschafft hat, eine einheitliche Theorie der Zeichen zu erarbeiten. Schon alleine die Vielzahl der ‚Gründer‘ der Semiotik (wie z.B. Peirce, de Saussure, Morris und viele andere) und deren unterschiedlichen begrifflichen Konzepte macht es schwer bis unmöglich, zu einer einheitlichen Zeichentheorie zu kommen.

 

(10) Ich habe mehrfach versucht, die beiden sehr unterschiedlichen Ansätze von Peirce (bewusstseinsbasiert) und Morris (Verhaltensbasiert) zu formalisieren und zu vereinheitlichen. Es scheint so zu sein, dass man bei Erweiterung des classifier-basierten Mem*-Konzeptes einen formalen Rahmen hat, der es erlaubt, sowohl die bewusstseinsorientierte Sicht von Peirce wie auch zugleich die verhaltensorientierte Sicht von Morris zusammen zu führen, ohne dass man deren Konzepte ‚verunstalten‘ müsste. Im Falle von Peirce kann man sein komplexes (und in sich selbst nicht konsistentes) System von Kategorien — so scheint es — drastisch vereinfachen.

 

(11) Stark vereinfachend gesagt kann man den Zeichenbegriff verstehen als eine Beziehung  zwischen einem Zeichenmaterial (das sowohl verhaltensrelevant  wie auch wahrnehmungsrelevant vorliegt) und einem Bedeutungsmaterial (das ebenfalls entweder verhaltensrelevant UND wahrnehmunsrelevant vorliegt oder NUR wahrnehmungsrelevant). Allerdings existiert eine solche Bedeutungsbeziehung nicht als wahrnehmbares Objekt sondern ausschliesslich als gewusste Beziehung im ‚Kopf‘ bzw. im ‚Gedächtnis‘ des Zeichenbenutzers. In Anlehnung an die griechische Philosophie möchte ich ein Zeichen als sem* bezeichnen. Ein sem* basiert zwar auf potentiell vielen memen*, stellt aber als ausgezeichnete Beziehung zwischen memen* etwas Eigenständiges dar. In diesem Sinne kann — und muss — man sagen, dass seme* eine neue Ebene der Organisation von Informationen eröffnen (was grundsätzlich keine neue Einsicht ist; ich wiederhole dies hier nur, da dies die Voraussetzung für die nächste Organisationsebene von Informationen ist).

 

Fortsetzung folgt.

 

SEXUALITÄT GESTERN, MORGEN, UND

Zuerst: 29.Juni 2011

Korrekturen: 20.Nov.2011

(1) Sexualität war und ist ein Kernthema unseres menschlichen Lebens; angefeindet, verherrlicht, verdammt, gepriesen, verfolgt, geehrt, Ware, Ideal, sündhaft, Sakrament, überlebensnotwendig, Konsumartikel, schmachtend, verwirrt, glühend, bezaubert, heiß, zart, aggressiv gewalttätig,… also schrecklich und schön zugleich.

Augen der Begierde 1
Augen der Begierde 1

(2) Die Erfahrung von Sexualität beginnt meistens irgendwo im Übergang von der Kindheit zur Jugend. Wenn die Wachstumsprozesse den Körper so zu verändern beginnen, dass Moleküle (Hormone) das Gehirn mehr und mehr in Form von Spannungs- und Erregungszuständen beeinflussen können. Die statistische Mehrheit der Körper hat irgendwann Empfindungszustände, die so vorher nicht da waren. Bei männlichen Körpern können diese Erregungszustände biologisch bedingt eine Intensität annehmen, die alle anderen Empfindungen gleichsam ‚übertönt‘ und damit zur ‚Qual‘ werden kann. Grundsätzlich sind sexuelle Erregungszustände an spezifische Auslöser gebunden, aber aufgrund des assoziativ-kreativen Charakters des menschlichen Gehirns kann dieses mehr und mehr alles und jedes in Verbindung zu sexuellen Erregungszuständen setzen, so dass dann gleichsam die ganze Welt nahezu permanent als Stimulus dienen kann, um spezifische sexuelle Erregungszustände zu erzeugen, die der Körper intern als ‚Belohnung‘ empfindet. Gehirne, die sich so verhalten, würde man in gewissem Sinne als ‚abnorm‘ bezeichnen, da sie es zulassen, dass die Vielfalt des Körpers und der Welt — ab einem bestimmten Punkt dann ‚zwanghaft‘ — einem einzigen internen Trieb ‚unterworfen‘ wird und damit das Gehirn seine Vermittlerfunktion für die ganze Breite des Leben immer mehr verliert; aber unser Gehirn kann sich einem einzelnen Bereich ‚dienstbar‘ machen; ’sich selbst überlassen‘ kann ein Gehirn sich in diesem Sinne ‚falsch programmieren‘. Dies zu ändern kann ab einem bestimmten Punkt nahezu unmöglich werden; letzte absolute Aussagen über das Verhalten unserer Gehirne sind allerdings — aus theoretischen Gründen — prinzipiell unmöglich.

(3) Diese körperlichen Prozesse von molekül-basierten Spannungs- und Erregungszuständen im Gehirn haben eine Empfindungsseite. Menschen erleben ihren Körper nicht ‚wie er ist‘, sondern so wie das Gehirn die Vielfalt der körperlichen Prozesse in Form von ‚bewussten Empfindungen‘ zur Verfügung stellt. Wir ‚empfinden‘ bestimmte Spannungen, wir ‚empfindenden‘ bestimmte Erregungen, wir ‚erleben‘ diese Spannungen und Erregungen als Momente einer jeweiligen Situationserfahrung ohne dass wir die dahinter liegende körperlichen (physiologischen) Prozesse selbst direkt erkennen könnten, da unser Gehirn uns diese ‚vorenthält‘ (würde das Gehirn uns die ungeheure Fülle aller körperlichen Vorgänge ‚ungefiltert‘ erfahren lassen, wir würden an dieser Komplexität möglicherweise ‚ersticken‘. Insofern ist das ‚Bewusstsein mit seiner Filterfunktion ein ungeheurer evolutionärer Fortschritt). In diesem Sinne ‚verstehen‘ wir im ersten Moment nicht, was mit uns passiert, sondern wir ‚erleben‘ diese Zustände passiv, als etwas, das uns geschieht, das uns betrifft, das uns beeinflusst. Für Kinder kann dies zu Beginn sehr wohl beunruhigend, ja möglicherweise erschreckend sein. Und jeder braucht seine Zeit (Monate, Jahre, Jahrzehnte (?)), um diese erlebbaren Zustände in geeignete Deutungs- und dann Handlungszusammenhänge einzuordnen. Als Kind und Jugendlicher übernimmt man Deutungszusammenhänge aus der Umgebung. Im Zeitalter von Massenmedien und Internet kann dies nahezu alles sein, was ein Kind so findet.

(4) Vom Standpunkt des ‚Lebens auf dem Planet Erde‘, das sich uns als komplexer Entwicklungsprozess zeigt — den wir bislang zwar noch nicht vollständig erklären können, aber doch in vielen Aspekten so umfangreich, dass wir einige interessante Mechanismen identifizieren können — stellt sich ‚Sexualität‘ als eine ‚revolutionäre Erfindung‘ dar, die dazu geführt hat, dass bei der Weitergabe der ‚Bauanleitung für neue Lebewesen‘ sich das Prinzip des ‚Mischens von Informationen‘ als für das ‚Überleben auf der Erde‘ als ‚erfolgreicher‘ erwiesen hatte als ein Verzicht auf dieses Mischungsprinzip. Da die Bauanleitung selbst (ein Molekül, die DNA, das Genom, die Erbsubstanz…) nicht lebensfähig ist, sondern nur ein Körper (ein Phänotyp), der sich anhand einer solchen Bauanleitung entwickeln kann (Wachsen, Ontogenese,….), war es wichtig, dass das Leben in der Phase der ‚agierenden Körper‘ ‚Vorsorge‘ dafür trifft, dass sich die Körper zum Zwecke der Mischung der Erbinformationen ‚finden‘ und ‚aktiv zusammenwirken‘. Die Konstruktionsaufgabe lautete: statte die Körper (Phänotypen) so aus, dass sich immer zwei so ‚attraktiv‘ finden, dass sie sich ‚angezogen‘ fühlen, dass diese Anziehung so stark ist, dass die umwelttypischen Widrigkeiten, Bedrohungen und Gefahren mit den daraus resultierenden Beunruhigungen und Ängsten diese Anziehung nicht vollständig neutralisieren können. Für diese Konstruktionsaufgabe fanden sich im Laufe der Jahrmillionen unterschiedliche Lösungsmodelle. Das Lösungsmodell beim homo sapiens — uns heute lebenden Menschen — kennen wir. Der Körper der Frau wirkt als ‚Reiz‘ (Stimulus) auf das Gehirn des Mannes, das diesen dann in solche Spannungszustände versetzt (volkstümlich: der Mann ist ‚Schwanzgesteuert‘), dass dieser sprichwörtlich tatsächlich nahezu alles vergessen kann, um seinen Trieb zu befriedigen. Diese Lösung, die viele tausend Jahre für das Überleben und die Weiterentwicklung des Lebens auf der Erde erfolgreich (in welchem Ausmaß ‚gewaltfrei‘?) war, hat durch die rasante Entwicklung der menschlichen Lebensformen heute — so scheint es — ‚Passungsprobleme‘ unterschiedlicher Art. Diese alle hier zu schildern würde zu weit führen; das Phänomen ist sehr bunt und vielschichtig (aber alleine eine Zahl wie ‚20.000 verschwundene (verschleppte?) junge Frauen im Jahr 2010‘ in einem (!) kleinen Ostblockland wäre – würde sie stimmen — ein grausamer Index für die soziale und ökonomische Realität eines schwer kontrollierbaren genetischen Merkmals bei männlichen homo sapiens Vertretern).

(5) Vom Standpunkt des Lebens auf der Erde ist eigentlich nur ein einziger Punkt interessant: das Leben in Gestalt des homo sapiens sapiens hat die Fähigkeit erlangt, die ‚Mischung von Erbinformationen‘ nicht mehr nur und ausschliesslich dem drei Milliarden Jahren alten Prinzip der Erbinformationsweitergabe zu überlassen, sondern wir können mehr und mehr eine solche Mischung nun mit speziell geschaffenen Techniken vornehmen. In dem Maße, wie der homo sapiens diese Technik so beherrschen kann, dass daraus lebensfähige Gebilde entstehen, wäre die bisherige Form von geschlechterspezifischen Körpern mit ihren komplexen Anziehungsmechanismen letztlich überflüssig. Salopp: zukünftigen geschlechtsneutralen Lebewesen könnte man auf Wunsch Pillen verabreichen, die für eine gewisse Zeit solche Spannungs- und Erregungszustände in den Gehirnen — und damit dann auch in bestimmten Körperteilen, sofern es noch welche gibt — induzieren würden, wie sie ‚damals‘ die ‚alten Menschen‘ hatten, die sich noch nicht aus dem genetischen Gefängnis befreit hatten. Vielleicht gäbe es dann nostalgische Geschichtsvereine, in denen man solche Pillen nehmen und entsprechende Filme ‚von früher‘ anschauen würde, begleitet von einem gewissen ‚Ekel‘, wie diese ‚primitiven Menschen von früher‘ sich von ihren ’sexuellen Zwängen‘ haben ‚knechten‘ lassen (speziell die Frauen würden den Zeiten von Schwangerschaft und schmerzhaften — bis hin zu gefährlichen — Geburten nicht unbedingt nachtrauern). Da bekannt ist, dass schon das ungeborene Kind während der Schwangerschaft mit dem Körper der Mutter und durch diesen mit der Umwelt ‚kommuniziert‘, würden entsprechende ‚Kommunikationsschnittstellen‘ entwickelt werden, um von Anfang an die Kommunikation eines neuen Lebewesens mit seiner Umgebung zu sichern.

(6) Durch die Tatsache, dass es ausschließlich der homo sapiens ist (bislang), der über das KnowHow und die Technik verfügt, Erbinformationen technisch gezielt mischen zu können, kann er dies nicht nur für die Erbinformationen der eigenen Art tun, sondern letztlich für alle Arten, ja, letztlich für das gesamte Phänomen des Lebens auf der Erde. Dies ist ziemlich ungeheuerlich. Es hat ca. 3.5 Milliarden Jahre gebraucht, bis das Leben eine Form annehmen konnte, die über diese Fähigkeit verfügt. Obwohl wir bis heute noch nicht wirklich völlig verstehen, wie es überhaupt zu den Anfängen des Lebens kommen konnte, verfügen wir im Prinzip über die Technologie, verändernd eingreifen zu können. Allerdings, bislang können wir — bildhaft gesprochen — nur die Buchstaben des Textes herumwirbeln, wie Kinder, die die herabgefallenen Blätter von den Bäumen herumwirbeln, wir haben nahezu keine Ahnung, wie man gezielt die möglichen Wirkungen (= Bedeutung, Semantik, Pragmatik) der Buchstabenkombinationen im Rahmen von Wachstumsprozessen ‚berechnen‘ kann. Eine ‚genetische Semantik‘ bzw. ‚genetische Pragmatik‘ steckt noch ganz in den Kinderschuhen. Doch, wie die bisherige Geschichte nahe legt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir dieses KnowHow haben werden. Wenn irgendetwas die Bezeichnung ‚historische Wende‘ verdient, dann diese Phase des Lebens auf der Erde; es ist der gewaltigste Umbruch, den es seit dem Beginn des Lebens auf der Erde gegeben hat.

Augen der Begierde 2
Augen der Begierde 2

(7) Wer bis hierher gelesen hat könnte den Einwand erheben, dass diese Sichtweise doch zu ‚biologistisch‘ sei und in keiner Weise der Tatsache Rechnung trägt, dass Menschen über den unmittelbaren ‚Trieb‘ hinaus noch andere ‚Emotionen‘, ‚Gefühle‘ in sich tragen, ‚Werte‘, die sie dazu befähigen, Interaktionen komplexe Institutionen zu realisieren, die nicht von sexuellen Motiven geprägt sind. Diesem Einwand würde ich zustimmen. In der Tat verfügt der Mensch über eine Bandbreite von Empfindungen, Emotionen, Gefühlen, Motivationen, Werten, die erstaunlich ist und die ihn zu Verhaltensweisen befähigen, die sich einem einfachen Verstehen entziehen. Während bei Tieren die Sexualität etwas Unausweichliches hat, kann der Mensch damit letztlich gestalterisch ‚umgehen‘, bis dahin, dass es Menschen gibt, die sich aus eigenen Stücken entschlossen haben, ‚Keusch‘, d.h. ‚frei von Sexualität‘, zu leben. D.h. die ‚Plastizität‘ des menschlichen Gehirns kann sowohl dazu ‚missbraucht‘ werden, immer mehr dem ‚Sexualtrieb‘ ‚zuzuarbeiten‘, als auch dazu, aus der großen Bandbreite von anderen Bedürfnissen, Stimmungen, Gefühlen, Emotionen usw. ‚Zufriedenheitskonstellationen‘ zu ‚erlernen‘, ‚einzuüben‘, die sexfrei sind oder wo die Sexualität nur ein bestimmter Teil eines größeren Zusammenhanges ist (die Pädagogen/ Therapeuten sprechen hier von der ‚Integration des Triebes‘). Diese Fähigkeiten des Menschen, ‚über‘ (trans…) konkrete Bedürfnisse hinaus Motivationen entwickeln zu können, macht den Menschen als Lebensform ‚auffällig‘, lässt ihn in einem ‚besonderen Licht‘ erscheinen, wirft zahllose Fragen auf, fasziniert. Zwischen Menschen — nicht nur zwischen Frau und Mann, sondern auch Frau und Frau, Mann und Mann — kann es Gefühlszustände geben, die sehr intensiv und nachhaltig sein können, ohne dass dies unmittelbar etwas mit Sexualität zu tun haben muss, Gefühle, die weder Geschlechts- noch Altersgrenzen kennen, die sich auch nicht durch abweichendes Aussehen beeinflussen lassen (Mir ist nicht bekannt, dass es dazu irgendwelche wirkliche Forschungsarbeiten gibt; dies sind aber Lebenserfahrungen).


Es gab eine Art Fortsetzung der Gedanken unter dem Titel SEXARBEITERiINNEN – Sind wir weiter?

Eine Übersicht über alle Blogbeiträge nach Titeln findet sich HIER.

Hoffmanns Erzählungen

  1. Nach Jahren war ich wieder mal in der Oper (Frankfurt); ‚Hoffmanns Erzählungen‘ in der Vertonung von Jaques Offenbach. Zum ersten Mal aufgeführt in Paris am 10.Februar 1881. Der Komponist selbst starb vor der Uraufführung am 5.Okt.1880 in Paris. Er hinterlässt eine vollständige Klavierpartitur für die ersten drei Akte und Skizzen für die restlichen zwei.

  2. Von den vielen Dingen, die man über den Text und die Musik schreiben könnte (und so viel wurde auch schon geschrieben) hier jetzt nur dieses: im Handlungsteil erleben wir einen Hauptdarsteller Hoffmann (gleichnamig mit dem Autor des Textes), der drei Beziehungsgeschichten durchlebt, die alle in der Enttäuschung enden.

  3. Die erste Frau, in die er sich verliebt, wird irgendwann ‚enttarnt‘ als ein ‚Automat‘ (heute würden wir vielleicht sagen ‚Roboter‘); gar kein Mensch. Ob die Liebe trotz allem bis zu einem gewissen Grade vielleicht doch Bestand gehabt hätte, erfahren wir nicht, weil der Automat von einem anderen Enttäuschten zerstört wird.

  4. Die zweite Frau, in die er sich verliebt, ist todkrank, ohne es zu wissen. Der schöne Körper als Projektionsfläche der Erwartungen, ’stirbt‘ sehr bald. Die wunderschöne Stimme des Körpers erklingt zuvor, erweckt schöne Gefühle, bewirkt aber die Beschleunigung des körperlichen Todes. Die Frau selbst, Antonia, erlebt unterschiedlichste starke Gefühle in sich, die sie hin und her reißen, weil sie nicht weiß, wie sie diese Gefühle deuten soll. Welches Gefühl ist ‚richtig‘?

  5. Die dritte Frau wird als ‚Kurtisane‘ bezeichnet (Prostituierte, Hure, erotische Dienstleisterin,…). Obgleich als solche dem Hauptdarsteller bekannt und abgelehnt, gelingt es ihr, seine Zuneigung durch eine Verführung der anderen Art zu gewinnen: sie präsentiert sich als ‚Opfer‘ und bietet sich ihm als ‚Belohnung‘ an, wenn er sie aus ihrer Gefangenschaft befreit. Als die Verführung gelingt, entlockt sie ihm sein ‚Spiegelbild‘ und bringt ihn dazu, den Mann zu erschießen, von dem sie behauptet, dass er sie gefangen halte.

  6. Man kann diese bisherige Handlung als ‚billige‘ Geschichten abtun, als ’seichte‘ Unterhaltung, als Boulevardstoff (als der er zu seiner Zeit sicher auch gehandelt wurde; E.T.A. Hoffmann war seinerzeit mit seinen skurrilen Geschichten sehr populär), aber man muss nicht. Je nach Standpunkt bieten Sie Ansatzpunkte für weiterreichende Betrachtungen.

  7. In der Frankfurter Aufführung folgt den drei verunglückten Beziehungsgeschichten noch ein Epilog, in dem die ‚wahre‘ Freundin den Hauptdarsteller in seinem Leid und Suff ‚bespricht‘; sie sieht in seinem ‚Leid‘ eine Chance zu Läuterung, zur tieferen Erkenntnis. Details bleiben im Dunkel. Möglicherweise erhofft Sie sich als konkrete Person durch die Befreiung des Hauptdarstellers von ‚falschen‘ Liebesbildern eine stärkere Öffnung und Zuwendung für sie als Freundin. Aber dies bleibt im Ungewissen.

  8. Das ist das Bizarre an diesem Stück: der Weg ins ‚Unglück‘ in Form selbstzerstörerischen Leidens und begleitendem Suff wird breit und lustvoll inszeniert (eine gewisse Parallele zum Lebensstil und Leben von Jacques Offenbach und E.T.A.Hoffmann selbst), ein Ausweg aber nur angedeutet. Die treibenden Kräfte der Handlung sind ein buntes Gemisch, aus Sehnsüchten, Leidenschaft, der viel bemühten ‚Liebe‘, Drogen, Ruhmsucht, die aufgrund ihrer fragilen und zeitlich beschränkten Natur auf Scheitern programmiert sind. Und dann der Absturz, das Versagen, das Scheitern, das Zerbrechen, das Entschwinden des begehrten Objektes, das zu einem ebenso schmerzenden Gemisch aus enttäuschten Gefühlen führt, die das innere Erleben überschwemmen und zu ersticken drohen.

  9. So fantastisch die Struktur von uns Menschen vor dem Hintergrund einer langen evolutionären Entwicklungsgeschichte auch erscheinen mag, im alltäglichen Leben des vielfältigen komplexen Miteinanders erweisen sich die emotionalen Komponenten der Bewertung und Steuerung als ‚primitiv‘ und vielfältig überfordert. So mag man z.B. die hormonale Programmierung des männlichen Gehirns auf spezifische weibliche Attribute gattungstechnisch als ‚überlebensnotwendig‘ klassifizieren oder sie subjektiv bisweilen als ‚angenehme‘ empfinden, in den meisten Fällen ist diese Programmierung aber unangepasst, störend, quälend bis hin zu zerstörend und Enttäuschungen produzierend. Das hormonale Programm als solches ist sehr dumm, es ist ‚blind‘. Ähnlich sind viele tief sitzende primitiven Bedürfnisse wie z.B. an ‚Kontrolle‘, an ‚Macht‘ und an ‚Ruhm‘ Fixierungen, die den betreffenden ‚von innen fesseln‘, ihn an bestimmte Ereignisse, Situationen ‚binden‘. Enttäuschungen hier, Zerstörungen dort sind unausweichlich; eine vergiftete Atmosphäre ist das begleitende ‚Parfüm‘ dieser Verhaltensprogramme.

  10. Wenn am Ende von Hoffmanns Erzählungen das ‚Leiden‘ als mögliches Tor zur Läuterung, zur Erlösung bemüht wird, dann fragt man sich: wieso? Warum und wie kann das Leiden die Situation verbessern, und , warum erst Leiden? Warum nicht gleich den ‚besseren‘ Weg wählen, wenn es denn einen gibt. Warum soviel Zeit mit ‚Schrott‘ verbringen, wenn es doch etwas ‚Besseres‘ gibt?

  11. Das Leiden wird gerne und oft bemüht als der ‚Preis‘ für ein falsches Leben oder eben als möglicher ‚Einstieg‘ in ein Besseres. Doch erscheint dies zu billig. Denn weder muss das Leben immer und überall zum ‚Leiden‘ führen noch ist gesagt, dass Menschen durch Leiden tatsächlich zu einem ‚besseren‘ Zustand finden. Viele (die meisten?), die durch den Gang ihres konkreten Lebens in den inneren Zustand des ‚Leidens‘ kommen, finden dadurch nicht zu einem besseren Leben. Sie verfangen sich in diesen Gefühlen und finden keinen Ausgang. Es ist wie ein Strudel, der alles weg zu reißen scheint, was vielleicht Hoffnung geben könnte. Die Betroffenen wirken wie Ertrinkende, bei denen nicht klar ist, welcher ‚Rettungsring‘ noch greift.

  12. Der Verweis auf das Leiden erscheint daher eher als hilflose Geste gespeist von einem Funken Hoffnung, dass es trotz all des erlebten Scheiterns irgendwie doch noch irgendwo etwas gibt, was da heraus führt.

  13. Im Buddhismus hat man hier eine sehr einfache Antwort: ‚Man muss sich von all dem lösen, was Leiden erzeugen kann‘. Im radikalen Sinn würde dies bedeuten, dass man seinem aktuellen Leben ein Ende bereitet, da unsere aktuelle Lebensform sich genau durch diese implizite ‚Spannung‘ definiert. Im Gegensatz zur ‚unbelebten‘ Materie definiert sich Leben ja gerade dadurch, daß durch Zusammenführung von freier Energie aus der Umgebung Potentialunterschiede aufgebaut werden, die durch die daraus resultierenden Differenzen/ Spannungen zu jenen Informationsflüssen fähig sind, die das Geschehen in den Zellen, in den Zellverbänden, in den Organen, im Körper ermöglichen. Wir sind körperlich nur das, was wir sind, weil hunderte von Milliarden Potentialunterschiede sich gegenseitig, wechselwirkend anregen, anstoßen, und zwischen Spannung und Entspannung hin und her oszillieren. Und dies alles nicht ‚ungeordnet‘, sondern in – fast möchte ich sagen ‚geheimnisvollen‘ – Rhythmen, deren Ungleichzeitigkeit und Gleichzeitigkeit die Symphonie eines bewussten Gehirns ermöglichen. Aus dieser Perspektive erscheint das Motto des Buddhisus als lebensfeindliche Ideologie, die genau das, was Leben ausmacht, verteufelt. Das erscheint mir nicht zielführend.

  14. Unsere aktuelle körperliche Lebensform, die ein Durchgangsstadium repräsentiert von ungefähr -3.6 Milliarden beginnend bis zu einem unbekannten Enddatum, enthält neben sehr vielen ‚eingebauten‘ (‚angeborenen, genetisch bedingten,….) Mechanismen, die sowohl hilfreich als auch störend, belastend sein können, auch verschiedene Möglichkeiten, sich ‚zusätzliche‘ Erkenntnis- Erlebens- und Handlungsebenen zu verschaffen, die über die eingebauten Tendenzen hinausführen können. Die Antonia aus Hoffmanns Erzählungen wird zwischen verschiedenen erlebten Zuständen (Gefühlen) hin und her gerissen, weil sie nicht weiß, wie sie die verschiedenen Gefühle ‚bewerten‘, ‚deuten‘ soll. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir heute in der Kunst der Gefühlsdeutung im Alltag nennenswert weiter gekommen sind. Die Literatur über Gefühle ist zwar uferlos, aber ihr ‚Wahrheitsgehalt‘ erscheint mir gering, da meistens sehr beliebig. Die wissenschaftliche Psychologie hilft partiell weiter, sehr partiell. Das größte Hindernis für einen substantiellen Fortschritt in Sachen besseres Verständnis der menschlichen Emotionen und ihre konstruktive Einbindung in den Alltag sehe ich darin, das wir bislang nicht zugeben können, dass wir fast nichts Brauchbares wissen. Wissenschaft wird zur Pseudowissenschaft, wenn sie vorgibt, mehr zu können als sie wirklich kann.

  15. Eine Oper besteht natürlich nicht nur aus Handlungen und Text, sondern auch aus Klängen, die Handlung und Text ‚umhüllen‘. Sie dringen ins Ohr und bewegen unsere Emotionen (und den Verstand?). Aber, es ist bekannt, dass das visuelle System des Menschen das auditive ‚dominiert‘: erste ’sehen‘ wir und dann ‚hören‘ wir. So entsteht in einer Oper eine diffuse Parallelität zwischen Zuschauer und Zuhörer, zwischen Bild und Klang, eine Parallelität, die naturgemäß nicht ‚aufgeschlüsselt‘ ist. Wer nicht vorher den Text, die Handlung und die Partitur intensiv analysiert hat, der wird nahezu nichts von den Details der Musik ‚mitbekommen‘. Es bleiben im Gesamteindruck Höhen und Tiefen, Laut Leise, diverse Klangfarben, emotionale Schwingungen, anrührende Stimmen, blasse Abschnitte, usw. im ‚Kontext‘ einer Handlung, die anspricht oder nicht. Ist dies eine ‚Versklavung‘ der Musik durch das Auge? Nur, wenn man es so sehen will. Im ‚reinen‘ Konzert wird das Auge weitgehend neutralisiert. Es gibt viele Formen der Einwirkung auf das Gehirn.

MENSCHENBILD IM WANDEL – Vortrag 24.Nov.2011

In Ergänzung zu diesem Block findet ein öffentlicher Vortrag statt:

Vortragsankündigung

ZUR GRAMMATIK DES SINNS (1)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 23.Oktober 2010
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Letzte Änderungen: 16.Februar 2019 (Verteilung der Worte im Abschnitt angepasst; einzelne Worte korrigiert)

(1) In dem Blogeintrag „Wir  sind nicht Nichts“ wird sichtbar, dass wir allein durch die Tatsache, dass wir aktuell leben, an einem  Geschehen teilhaben, das dessen Tragweite und Tiefe alles übersteigt, was wir normalerweise denken und
 kommunizieren.

(2) Der mögliche ‚Sinn‘ dieses Geschehens, also ein möglicher ‚Zusammenhang‘ zwischen all den vielen ‚Aspekten‘ dieses geradezu kosmischen Prozesses, enthüllt sich für uns Menschen –wenn überhaupt– zunächst nur als individuelles Erleben
 und Verstehen, d.h. als Erleben und Verstehen in einem einzelnen Menschen. Dies heißt NICHT, dass das Erleben und Verstehen eines einzelnen Menschen die ’sinnbegründenden‘ Sachverhalte aller erst ’schafft‘, sondern nur, dass diese
 ’sinnbegründenden‘ Sachverhalte in dem Moment des Erkennens in diesem jeweiligen Erkennen ‚bewusst‘ werden. ‚Bewusst‘ werden kann nur etwas, was schon ‚da‘ ist und in seinem Dasein ’so wirksam‘ ist, dass es ein ‚Bewusst-werden‘ bewirken kann.

(3) Darüber hinaus kann ein Sachverhalt, der eine ‚Bewusstwerdung‘ auslösen kann, diese Bewusstwerdung in mehr als einem einzelnen Menschen zugleich auslösen; ein Sonnenaufgang (oder Untergang) kann von vielen Menschen ‚gleichzeitig‘
wahrgenommen werden, wenn Sie sich ‚im Moment des Geschehens‘ an einem ‚geeigneten Ort‘ befinden.

(4) Schon diese wenigen Gedanken lassen    erkennen, dass sich Bewusstwerdung bei Menschen mit ‚Körperlichkeit‘ paart: unser Erleben setzt eine irgendwie geartete Körperlichkeit voraus, dazu eine ‚Raumstruktur‘, und eine ‚Gerichtetheit‘ von Ereignissen als ‚Jetzt‘ und ‚Vor dem Jetzt‘ (‚vorher‘, ‚vergangen‘ als ‚Erinnerbares‘).

(5) Aufgrund unserer ‚Lebenserfahrung‘ wissen wir,  wie ‚unterschiedlich‘ einzelne Menschen das allgemeine Leben trotz der vielen strukturellen Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen erfahren können. Jeder ‚einzelne‘ Mensch nimmt in der
Raumstruktur des Erlebens einen charakteristischen individuellen ‚Ort‘ ein, von dem aus er die ‚umgebende Welt‘ in einer Weise erfährt, die sich absolut von der ‚Erlebnisspur‘ eines anderen Menschen unterscheidet.

(6) Eine ‚individuelle Erlebnisspur‘ enthält ‚externe‘  und ‚interne‘ Anteile: ‚extern‘ insofern ‚etwas‘ auf das individuelle Erleben einwirkt, und ‚intern‘, insofern diese Einwirkungen ‚Wirkungen hervorrufen‘, die den einzelnen Menschen in seinem ‚Erinnern‘ und ‚Fühlen‘ prägen.

(7) ‚Im‘ Erleben des einzelnen Menschen ‚mischen‘ sich die internen und externen Anteile kontinuierlich; je mehr ‚Erfahrung‘ jemand hat, umso mehr beeinflussen die ‚vorhandenen‘  internen Anteile die aktuell einwirkenden Anteile. Dies kann ‚hilfreich‘ sein, wenn ‚bisherige Erfahrung‘ das ‚aktuell Erlebte‘ in ‚geeigneter‘ Weise ‚einordnet‘; dies kann ‚hinderlich‘ sein wenn die bisherigen Erfahrungen irgendwie ‚verzerrt‘ sind und aktuelles Erleben ‚falsch‘ ‚interpretiert‘.

(8) Aufgrund unserer ‚Lebenserfahrung‘ wissen wir ferner, dass es zwischen dem Erleben verschiedener einzelner Menschen eine Art ‚Austausch‘ durch ‚Kommunikation‘ geben kann.

(9) Kommunikation besagt, dass verschiedene Menschen über ein ‚Zeichensystem‘ (‚Sprache‘ L)verfügen, das in der Lage ist, Aspekte des individuellen Erlebens mittels ‚intersubjektivem (= externen) Zeichenmaterial‘ so zu ‚repräsentieren‘, dass ein individuelles Erleben A bestimmte Erlebnisse von A mit einer ‚Zeichenfolge‘ Z so ‚enkodieren‘ kann (enkodieren: A –> Z), dass ein anderes individuelles
Erleben B diese Zeichenfolge Z so ‚dekodieren‘ kann (dekodieren: Z –> B), dass das Erleben in B eine ‚hinreichende Ähnlichkeit‘ mit dem Erleben von A aufweist  SIMILARITY(Z(A),Z(B)).

(10)  Das größte Problem in der zeichenbasierten (= ’sprachlichen‘) Kommunikation ist die Herstellung dieser Ähnlichkeit SIMILARITY() sowie die ’subjektive Vergewisserung‘, dass solch eine Ähnlichkeit in ‚hinreichendem Masse vorliegt.

(11) Da kein einzelner Mensch (unter ’normalen‘ Umständen),  in das Erleben eines anderen Menschen ‚direkt hineinschauen‘ kann, kann sich kein einzelner Mensch so ohne weiteres ’sicher‘ sein, dass der andere Mensch beim Gebrauch eines bestimmten Zeichenmaterials Z  (als Teil einer Sprache L) tatsächlich das ‚Gleiche‘ ‚meint‘ wie ‚er selbst‘.

(12) Zu solch einer ‚Vergewisserung‘ der ‚gemeinsamen Ähnlichkeit‘ SIMILARITY() bedarf es ‚Formen von Interaktion‘, die ‚unabhängig‘ von dem Zeichensystem (von der Sprache L) sind, die aber zugleich  geeignet sind, die ‚Vermutung einer Ähnlichkeit‘ zu ‚unterstützen‘. Dies berührt das Problem der ‚Entstehung von Sprache‘: wie ist es möglich, dass Menschen neues Zeichenmaterial Z als Teil von L so ‚einführen‘, dass sie ’sicher‘ sein können, dass ‚alle Benutzer von L‘ ‚das Gleiche‘ ‚meinen‘?

(13) Im Falle von ‚externen Ereignissen‘, die ‚wiederholbar‘ sind und die von allen Beteiligten ‚hinreichend ähnlich wahrgenommen werden können‘, erscheint die Einführung einer ‚Verbindung‘ von ‚erlebnisauslösendem Ereignis E‘, ‚korrespondierendem Erleben Ph‘ sowie ‚repräsentierendem Zeichen Z‘ ansatzweise ’nachvollziehbar‘. Ein ‚Zeichen‘ SYMB wäre dann diese komplexe Beziehung als ganzer, d.h. ein repräsentierendes Zeichen SYMB(E,Z,Ph) ist eine Beziehung zwischen E und Z und Ph, die als diese Beziehung ‚bewusst‘ ist und als solche ‚erinnert‘ werden kann (diese Überlegungen finden sich u.a. bei den großen Semiotikern Charles S.Peirce und Charles Morris, aber auch schon bei früheren Philosophen der Scholastik und zumindest auch bei griechischen Philosophen).

(14) Man kann ahnen, dass die Realisierung eines solchen Zeichenbegriffs in der Praxis eine sehr komplexe ‚Maschinerie‘ voraussetzt, die hier vorläufig kein Thema sein soll (hier wären all die schönen Dinge einschlägig, die wir aus den Sprachwissenschaften kennen, der Psychologie, der Ethologie, den Neurowissenschaften, der Phonetik, der Anthropologie, der Automatentheorie usw.).

(15) Nehmen wir also an, dass Menschen in der Lage sind, repräsentierende Zeichen SYMB_i(E,Z,Ph) einzuführen, denen jeweils korrespondierende ‚erinnerbare interne Strukturen‘ SYMB_i()_x entsprechen. Das ‚SYMB_i()_x‘ wäre dann das repräsentierende Symbol i, das von dem Individuum x erinnert werden kann. Dann wäre ein Menschen A in der Lage, internes Erleben Ph, zu dem es ein erinnerbares repräsentierendes Symbol SYMB_i(_,Z,Ph)_A gibt, mittels eines kodierenden Zeichenmaterials Z zu ‚äußern‘, und ein anderer Mensch B könnte mittels des Zeichenmaterials Z sein erinnerbares Zeichen SYMB_i(_,Z,Ph)_B ‚erinnern‘. Er würde dann ‚annehmen‘, dass das bei B durch Z induzierte Erleben Ph dem entspricht, was den A veranlasst hat, Z zu äußern.

(16) Schwieriger –bis unmöglich– wird es, wenn Menschen repräsentierende Zeichen für solches Erleben einführen wollen, dem keine direkten ‚intersubjektiven‘ Ereignisse korrespondieren (was aber sehr umfangreich geschieht).

Zwischenergebnis 1:
(i) Individuelles Erleben ist möglich, weil es etwas dem Erleben Externes gibt, was dieses Erleben auslöst
(ii) Sofern die Einführung repräsentierender Zeichen gelingt, können Individuen Teile ihres Erlebens durch solche Zeichen ‚kommunizieren‘

(17) Was immer es an ‚Sinn-relevanten‘ Zusammenhängen in dem für uns relevanten Teil des Kosmos geben mag, werden wir davon nur dann und nur soviel ‚erfahren‘, insoweit diese Zusammenhänge unserem individuellen Erleben und unserer symbolischer Kommunikation  zugänglich werden. Sofern wir ein ‚Fehlen‘ von Sinn in unserem Erleben und Kommunizieren konstatieren würden, würde dies zunächst nicht besagen, dass es keinen Sinn gibt, sondern nur, dass derjenige, der dieses Fehlen konstatiert, bislang nicht in der Lage war, sein Erleben  entsprechenden ‚Sinn-stiftenden‘ Sachverhalten in Berührung zu bringen.

(18) Ergänzend wäre anzumerken, dass der ‚Kontakt‘ mit Sinn-stiftenden Sachverhalten sogar stattgefunden haben kann, dass aber die ‚Art und Weise‘, wie dieses Erleben ‚kognitiv verarbeitet‘ wurde, nicht in der Lage war, die  ‚Sinn-relevanten Anteile‘ zu ‚erkennen‘. Erkennen ist (man lese die entsprechenden Einträge im Blog) kein völlig automatischer immer gleichförmiger Prozess, sondern ein komplexes dynamisches Geschehen, das bei gleicher Wahrnehmungslage zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, je nachdem, ‚wie‘ jemand ‚aktiv denkt‘.

(19) Eine Feststellung, dass ‚Sinn‘ für uns ’nicht möglich‘ sei, ist unter Voraussetzung dieser Erkenntnislage für uns prinzipiell nicht möglich. Wir können entweder nur feststellen, dass wir ’noch nicht‘ in der Lage sind, einen Sinn explizit zu benennen oder eben, dass uns bestimmte Sachverhalte als für uns ’sinnvoll‘ erscheinen.

(20) Hier wäre jetzt zu klären ob und wieweit wir ‚mögliche sinnvollen Sachverhalte‘ konkret, beispielhaft  identifizieren  können.

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INTELLIGENZ (1)

(1) In der heutigen Welt erleben wir eine Inflation im Gebrauch der Wörter   ‚Intelligenz‘, ‚intelligent‘ und ’smart‘. Im technischen Bereich sind immer mehr Produkte ’smart‘ ohne dass jemand sich auch nur ansatzweise die Mühe macht, diese Sprechweisen zu rechtfertigen; man tut einfach so, als ob dies so sei.

(2) Die Wurzel des Redens über ‚Intelligenz‘ ist aber das Erleben von Menschen, die Art und Weise wie wir als Menschen das Verhalten anderer Menschen im Vergleich zur umgebenden Natur erleben. In nicht wenigen Aspekten hebt sich das Verhalten des Menschen dadurch ab, dass wir einem Menschen ‚Absicht‘ unterstellen, ‚Erinnerungen‘, ‚Denken‘, usw. Bestimmte dieser beobachtbaren Eigenschaften  zusammengenommen unterstellen wir, wenn wir von ‚Intelligenz‘ sprechen.

(3) In dem Masse, wie wir gelernt haben, das eigene menschliche Verhalten besser zu verstehen und in den Gesamtzusammenhang des biologischen Lebens einordnen zu können, haben wir auch begonnen, verschiedenen anderen Lebensformen (Insekten, Säugetiere, …) zumindest Ansätze solcher Eigenschaften wie ‚Wahrnehmung‘, ‚Erinnerung‘, ‚Absicht‘ usw. zu zusprechen.

(4) Abseits vom Verhalten von Menschen haben wir keine ‚Referenzmuster‘ für ‚intelligentes Verhalten‘. Wenn wir eine Maschine (Roboter) bauen und von ihr behaupten, sie sei ‚intelligent‘ dann gewinnt diese Aussage höchstens Bedeutung durch Bezug auf vergleichbares Verhalten von Menschen; aber ohne diesen Bezug macht es keinen Sinn, von ‚Intelligenz‘ zu sprechen. Der Begriff der Intelligenz‘ unabhängig vom Menschen hat zunächst keine Bedeutung.

(5) Es ist vor allem die Psychologie, die sich mit dem beobachtbaren Verhalten von Menschen wissenschaftlich auseinandersetzt (im weiteren Sinne auch die allgemeinere biologische Verhaltensforschung (Ethologie)). Die Psychologie hat seit mindestens Sir Francis Galton  (1822 – 1911) und Alfred Binet (1857 – 1911) versucht, das als ’normal‘ anzusehende Verhalten der Mehrheit der Menschen (eines Jahrgangs) zum Massstab  zu nehmen, um damit das Verhalten eines jeden einzelnen ‚Bezogen auf dieses allgemeine Verhalten‘ ‚einzuordnen‘ (zu ‚messen‘).

(6) Natürlich haftet jeder Auswahl von konkreten Verhaltensweisen etwas ‚Willkürliches‘ an, dennoch stellt eine ‚Zusammenstellung‘ der zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft ‚üblichen Verhaltensweisen‘ aber auch mehr dar als nur eine ‚bloss zufällige‘ Anordnung.

(7) Seitdem die Psychologen begonnen haben, mit solchen (z.T. schon unterschiedlichen) Zusammenstellungen von Verhaltensweisen (‚Testbatterien‘) gezielt ‚Messungen‘ vorzunehmen hat sich gezeigt, dass die Messergebnisse erstaunliche Konsistenzen aufweisen; ja, es lassen sich Prognosen über ‚Verhaltensweisen und Erfolge in der Zukunft machen‘, die weit jenseits des ‚Zufälligen‘ sind.

(8) Daraus kann man nicht folgern, dass die gewählten Verhaltensweisen die einzig ‚richtigen‘ sind, die mit INTELLIGENZ korrelieren, aber man darf zurecht annehmen, dass die Strukturen, die mittels des beobachtbaren Verhaltens ‚indirekt‘ gemessen werden, offensichtlich eine gewisse ‚Konsistenz‘ aufweisen, die ‚hinter‘ all der beobachtbaren Vielheit ‚am Werke‘ ist.

(9) Wenn die Psychologie also von ‚Intelligenz‘ spricht, dann bezieht sie sich auf kulturell stark repräsentative Verhaltensweisen, die man ‚messen‘ kann und die in ihrer Gesamtheit einen Hinweis liefern, ob ein einzelner Menschen sich so verhält, wie der große ‚Durchschnitt‘ (IQ=100) oder aber davon ‚abweicht‘; entweder durch ‚geringere‘ Leistung (IQ < 100)  oder durch ‚mehr‘ Leistung (IQ > 100).

(10) Wichtig ist, dass die verschiedenen benutzten Verhaltenskataloge (Testbatterien) kein direkt beobachtbares  ‚Objekt‘ Intelligenz definieren, sondern eher eine Art ‚Umschreibung‘ von etwas darstellen, was man nicht direkt sehen, sondern nur indirekt ‚erschließen‘ kann. Der psychologische Begriff der Intelligenz ist ein ‚theoretisches Objekt‘, also ein ‚Begriff‘ (Term), der durch formalen Bezug zu unterschiedlichen Messvorgängen eine ‚operationale‘ Bedeutung besitzt. Was letztlich das beobachtbare (messbare) Verhalten erzeugt, ist damit in keiner Weise klar.

(11) In der Psychologie gab es eine Vielzahl von Deutungsansätzen, wie man das ‚hinter dem Verhalten‘ liegende ‚Etwas‘ denken sollte. Am meisten verbreitet ist jener Ansatz, der zwischen einer ANGEBORENEN und einer ERWORBENEN Struktur unterscheidet: die durch die Erbanlagen weitgehend bestimmte angeborene Struktur definiert eine MASCHINERIE der VERARBEITUNG, deren Qualität sich in der GESCHWINDIGKEIT und FEHLERFREIHEIT zeigt (man spricht hier oft von FLUIDER Intelligenz). Die erworbene Struktur ist jener WISSEN, jene ERFAHRUNG, die sich durch die Anwendung der Maschinerie ERGIBT, so zu sagen das ERGENIS VON VERARBEITUNG (man spricht hier oft von KRISTALLINER Intelligenz). Während die kristalline Intelligenz stark verhaltens- und umweltabhängig ist ist die fluide Intelligenz weitgehend genetisch determiniert.

(12) Ob und wieweit die theoretisch bedingten Spekulationen der Psychologen über die fluide und kristalline Intelligenz zutreffen muss letztlich die Neurowissenschaft, und hier insbesondere die Neuropsychologie, entscheiden. Diese untersuchen die ‚biologische Maschinerie‘ des Gehirns und die Wechselwirkung mit dem Beobachtbaren Verhalten. Allerdings sind die Neurowissenschaften auf die Verhaltenstheorien der Psychologen angewiesen. Ohne die fundierten Untersuchungen des Verhaltens hängen die neurologischen Befunde buchstäblich ‚in der Luft‘: was nützt die Prozessbeschreibung eines Neurons wenn man nicht weiss, auf welches Verhalten dies zu beziehen ist. Und da es beim Menschen auf komplexe Verhaltensweisen ankommt die das gesamte komplexe Gehirn voraussetzen, ist diese Aufgabe nicht ganz einfach zu lösen (aus theoretischen Überlegungen muss man davon ausgehen, dass wir diese Aufgabe mit den heute verfügbaren Gehirnen nicht vollständig werden lösen können).

(13) Intelligenz messen: der Beginn der empirischen Wissenschaften ging einher mit der Einsicht, dass man auf Dauer nur dann zu ‚objektiven‘ Daten kommen kann, wenn man die Messprozeduren auf REFERENZOBJEKTE beziehen kann, die von den subjektiven Zuständen des einzelnen Beobachters UNABHÄNGIG sind. So kam es zur Einführung von Referenzobjekten für die Länge (m), das Gewicht (kg), die Zeit (s) usw. (die im Laufe der Zeit immer wieder durch neue ‚Versionen‘ ersetzt wurden; z.B. die Definition der ‚Sekunde‘ (s) oder der Länge (m)).

(13.1) Die Psychologen hatten im Fall der ‚Intelligenz‘  ‚Referenztestverfahren‘ eingeführt, die zwar unabhängig von den Gefühlen der Beteiligten waren, aber  es gab  kein unabhängiges Referenzobjekt INTELLIGENZ. Man erklärte einfach die MEHRHEIT der gerade lebenden Menschen zum STANDARD und verglich die zu ‚messenden Menschen‘ so gesehen mit ’sich selbst‘. Es war dann nicht wirklich überraschend, dass man im Laufe der Jahrzehnte feststellen musste, dass sich das REFERENZOBJEKT (nämlich die Leistung der ‚Mehrheit‘) nachweisbar ‚verschob‘. Ein IQ=100 war vor 50 –oder noch mehr– Jahren etwas anderes als heute!
(13.2) Das, was das Referenzobjekt INTELLIGENZ ’stabil‘ macht, das ist seine genetische Determiniertheit. Das, was es flexibel/veränderlich macht, das ist die Modifizierbarkeit durch genetische Variabilität und individuelle Lernfähigkeit bzw. die kontinuierliche Veränderung der Umwelt durch den Menschen selbst, die als veränderte sekundäre Welt auf den Menschen zurückwirkt.
(13.3) Bei aller Kritik an den Unzulänglichkeiten der aktuellen Messmethoden sollte man aber festhalten, dass das bisherige Verfahren trotz allem ein Geniestreich war und die Psychologie geradezu revolutioniert hatte.
(13.4) Trotzdem stellt sich die Frage, ob man heute mit neueren Mitteln das Projekt der Erforschung der Intelligenz noch weiterführen könnte?

(14) Für die Psychologen ist es unmöglich, die dem beobachtbaren Verhalten zugrunde liegenden Strukturen ‚als solche‘ direkt zu erforschen. Die Neurowissenschaftler können dies ansatzweise, indem sie reale Gehirne untersuchen, aber nur sehr limitiert; sie können nicht mit einem lebenden Gehirn wirklich Experimente machen (nur mit den Gehirnen von Tieren, und dies ist mehr und mehr ethisch äußerst fragwürdig!)

(15) Mit dem Aufkommen der Informatik entwickelten sich nicht nur theoretische Konzepte der BERECHENBARKEIT, sondern mehr und mehr auch eine TECHNOLOGIE, die es erlaubt, Berechnungsprozesse technisch zu realisieren. Dies wiederum ermöglicht die MODELLIERUNG und SIMULATION von nahezu beliebigen Strukturen und Prozessen, auch solchen, die BIOLOGISCHE Systeme modellieren und simulieren, einschließlich des GEHIRNS. Damit ist es prinzipiell möglich, zu jeder VERHALTENSWEISE, die in sogenannten Intelligenztests im Rahmen von TESTAUFGABEN gemessen werden, KÜNSTLICHE INTELLIGENZ (-STRUKTUREN) (KI := Künstliche Intelligenz, AI := Artificial Intelligence, CI := Computational Intelligence)  zu entwickeln, die in der Lage sind, genau diese Testaufgaben mit einem gewünschten IQ zu lösen. Auf diese Weise würde man eine ganze Kollektion von unterschiedlichen IQ-REFERENZOBJEKTEN erstellen können, die sich nicht mehr verändern und die –so wie das Kilogramm (kg), das Meter (m) oder die Sekunde (s)– dann als WIRKLICHE REFERENZOBJEKTE FÜR INTELLIGENZ dienen könnten. Es wäre dann  möglich, FORMEN VON INTELLIGENZ OBJEKTIV definieren zu können, die VERSCHIEDEN sind von der AKTUELLEN MENSCHLICHEN INTELLIGENZ. Auch könnte man damit den verschiedenen Formen TIERISCHER INTELLIGENZ mehr Rechnung tragen.

Körper – Emergenz – Kognition – Kognitiver Müll

(1) Der Mensch ist durch seinen Körper primär ein animalisches Wesen, ein Körper im Prozess der Körperwerdung als Teil des Biologischen.

(2) Dieser Körper zeigt Eigenschaften, Funktionen, die sich nicht aus den Bestandteilen des Körpers als solchen erklären lassen, sondern nur durch ihr Zusammenwirken (Emergenz) sowohl mit anderen Teilen des Körpers wie auch mit der umgebenden Körperwelt.

(3) Dies bedeutet,dass diese emergenten Eigenschaften und Funktionen eine wirkende Wirklichkeitsebene aufspannen, die als solche kein greifbares Objekt ist sondern nur als Veränderungsprozess (induziert Zeit) aufscheint.

(4) Eine Veränderung (Funktion) als solche ist kein Objekt, aber kann von einem intelligenten Wesen wahrgenommen und als bestimmbare Grösse gespeichert werden.

(5) Als erinnerbare Veränderung kann eine emergente Eigenschaft zu einem kognitiven Objekt in einem einzelnen Körper werden.

(6) Über symbolische Kommunikation kann solch ein kognitives Objekt bedingt kognitiv kopiert und damit verteilt werden.

(7) Die Gesamtheit der kognitiven Objekte (und ihre kommunizierten Kopien) können ein Gesamtbild ergeben von dem, was wir als ‚Welt‘ wahrnehmen, erkennen und kommunizieren.

(8) Das biologische System als kognitiver Agent kann einer Vielzahl von körpereigenen Prozessen unterliegen, die die Speicherung und Erinnerung kognitiver Objekte beeinflussen. Das kognitive Objekt hat von daher immer nur eine begrenzte Ähnlichkeit mit denjenigen emergenten Eigenschaften, die zur seiner Entstehung geführt haben (alltagssprachlich: viele Menschen unterliegen psychologischen Einstellungen wie ‚Eitelkeit‘, ‚Hochmut‘, ‚Arroganz‘, ‚Selbstfixierung‘, ‚Ängsten‘, ‚Minderwertigkeitsgefühlen‘, ‚diversen Süchten‘ usw., die in ihrer psychischen Kraft andere kognitive Wirkungsfaktoren so überlagern können, dass sie nahezu ‚blind‘ werden für das, was wirklich ist. Nach und nach, ohne dass die Betreffenden es  merken, generiert ihre kognitive Maschinerie aufgrund dieser anderen Einflüsse ein ‚Bild von der Welt‘, das  zunehmend ‚verzerrt‘, ‚falsch‘ ist. Die Möglichkeit, diese Verzerrungen ‚aus sich heraus‘ zu erkennen sind sehr ungünstig; wenn nicht starke Ereignisse aus der Umgebung diese Systeme aus ihrer negativen Schleife herausreißen (wie?). Die Systeme selbst finden sich ganz ‚toll‘, aber die kognitive Welt ‚in ihrem Kopf‘ ist nicht die Welt, wie sie sich jenseits ’störender psychologischer Tendenzen‘ zeigen kann und zeigt.

(9) Kognitive Agenten, deren Kommunikation stark verzerrenden Faktoren unterliegt und die innerhalb ihrer individuellen kognitiven Prozesse die Transformierung von Körper- und Aussenweltwahrnehmung ebenfalls verzerren, tendieren dazu, ein pathologisches Bild von sich und der umgebenden Welt aufzubauen, was sich immer mehr –und dann auch immer schneller– in einen verzerrten Zustand hineinbewegt, der dann diesem kognitiven Agenten immer weniger ‚hilft‘ und immer mehr ’schadet‘ (Selbstzerstörung durch verzerrtes Wahrnehmen und Denken).

(10) Aus diesem Blickwinkel erscheint die sogenannte moderne Informationsgesellschaft nicht nur als rein positiver Raum sondern auch potentiell sehr gefährlich, da die Verbreitung von verzerrten kognitiven Objekten leicht ist und die kommerzielle Nutzung von von verzerrten kognitiven Objekten  in der Regel einfacher und gewinnbringender ist als umgekehrt. Daraus würde folgen, dass überwiegend ‚geldorientierte‘ Informationsgesellschaften sich im Laufe der Zeit selbst kognitiv so ‚zumüllen‘, dass die wenigen nichtverzerrten kognitiven Objekte immer weniger auffindbar sein werden. Es entsteht ein Raum mit kognitiven Objekte, der als solcher verzerrt ist,  korrespondierend sind aber auch  alle kognitiven Räume in den Körpern der kognitiven Agenten selbst ‚verzerrt‘. Dieser gesellschaftlich organisierten Dunkelheit zu entkommen ist für ein einzelnes kognitives System schwer bis unmöglich. Wohin immer es seine individuelle Wahrnehmung lenken will, es wird dann fast nur noch verzerrte kognitive Objekte vorfinden. Die Produktion von ‚Müll‘ ist halt so unendlich viel einfacher; man muss sich um nichts kümmern und man denkt und redet einfach so drauflos…..es ist doch sowieso egal…..(sagt sich die ‚Ethik des (kognitiven) Mülls‘). In einer ‚verzerrten Infomationsgesellschaft‘ fühlt sich keiner schuldig, aber alle produzieren faktisch den Müll mit, der sich in der Verzerrung selbst legitimiert.

Alltagsdenken (1)

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 13.März 2010
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

(1) Es gibt unterschiedliche Perspektiven, wie man das, was wir als ‚Denken‘ bezeichnen, betrachten kann. Je nachdem, welche dieser Perspektiven wir wählen, ergibt sich ein ganz unterschiedliches Bild von diesem ‚Denken‘.

(2) Die am weitesten verbreitete Betrachtungsweise ist wohl jene, die wir ALLTAGSDENKEN nennen.  Im Folgenden einige Annahmen zu diesem Alltagsdenken ‚im Normalfall‘.

(3) Im Alltagsdenken nehmen wir an, daß es eine für alle Menschen  GEMEINSAME EXTERNE WELT gibt, deren EREIGNISSE wir WAHRNEHMEN können.

(4) Das, was wir wahrnehmen, ist uns BEWUSST.

(5) Wir ERLEBEN diese WAHRGENOMMENEN EREIGNISSE als etwas, das sich anhand von inhärenten EIGENSCHAFTEN (Qualia)  UNTERSCHEIDEN läßt (diese wahrgenommenen Ereignisse nenne ich technisch  ‚Phänomene‘).

(6) Es wird zudem unterstellt, daß das, was wir WAHRNEHMEN, mehr oder weniger auch dem entspricht, was ‚da draußen‘ IN DER WELT VORKOMMT.

(7) Wir können auch feststellen, daß das Phänomen Ph, das wir AKTUELL wahrnehmen, ÄHNLICH oder GLEICH einem Phänomen Ph*, das wir VORHER WAHRGENOMMEN hatten.

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Gedächtnis (Memory) kann Ereignisse ’speichern‘

(8) Wir führen diese WIEDERERKENNBARKEIT darauf zurück, daß wir annehmen, daß wir ein GEDÄCHTNIS haben, das WAHRGENOMMENES irgendwie SPEICHERN und dann beim AUFTRETEN ÄHNLICHER EREIGNISSE wieder ERINNERT.

(9) Wir unterstellen auch, daß wir normalerweise über WENIGSTENS EINE SPRACHE verfügen, mit der wir ÜBER das, was wir WAHRNEHMEN, SPRECHEN können.

(10) Sofern wir über VORKOMMNISSE IN DER WELT sprechen, kann ein Beobachter (Observer, O)  nachvollziehen, was ein ANDERER MEINT, wenn er sagt, ich sehe jetzt etwas (das gemeinsam Wahrnehmbare), das ich Ph1 nenne. Oder wenn ein ANDERER sagt, daß er jetzt etwas sieht, das er Ph1 nennt, das er aber FRÜHER schon einmal gesehen hat.

(11) Dies alles setzt voraus, daß der BEOBACHTER und der BERICHTENDE MENSCH (der ANDERE) hinreichend ‚BAUGLEICH‘ sind, daß sie hinreichend lang eine GEMEINSAME WAHRNEHMUNSGESCHICHTE haben und daß sie die GLEICHE SPRACHE sprechen. Ist eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, funktioniert dieses Modell nicht (z.B. wenn der Beobachter farbenblind ist oder er siehr den anderen Menschen nur ganz kurz (ohne Vorgeschichte) oder er versteht dessen Sprache nicht).

(12)Spricht jemand über ERLEBNISSE IN SEINEM BEUSSTSEIN (Phänomene), die NICHT zugleich auch VORKOMMNISSE IN DER WELT sind, wird es schwieriger. Sofern die Phänomene ERINNERUNGEN von Vorkommnissen in der Welt sind ist es meist möglich, daß ein BEOBACHTER VERSTEHT, was der ANDERE MEINT wenn er über seine aktuellen PHÄNOMENE SPRICHT (z.B. die Erinnerung an ein rotes Auto, das man gemeinsam gesehen hatte). Handelt es sich aber um Phänomene (Erlebnisse), die KÖRPERINTERN verursacht sind (Z.b. irgendwelche BEDÜRFNISSE, irgendwelche GEFÜHLE), dann ist es nicht mehr so einfach, zu klären, ob der BEOBACHTER noch VERSTEHEN kann, was der ANDERE MEINT, wenn er DARÜBER SPRICHT. Sofern der ANDERE ‚Hunger‘ hat und der BEOBACHTER –weil er ‚baugleich‘ ist–, auch regelmäßig ‚hungrig‘ ist, schaffen es erfahrungsgemäß beide, sich auf Dauer zu verständigen. Wenn der ANDERE aber irendwelche GEFÜHLE ‚empfindet‘, die der BEOBACHTER so noch nie hatte, wird er niemals in der Lage sein, zu VERSTEHEN, was der ANDERE MEINT, wenn er so spricht.

(13) Es hat sich eingebürgert, solche Aussagen, die ÜBER Vorkommnisse IN DER WELT handeln (aktuell oder erinnert), EMPIRISCHE Aussagen zu nennen, und alle anderen SUBJEKTIVE.

(14) EMPIRISCHE Aussagen beziehen sich auf VORKOMMNISSE, die ALLEN MENSCHEN GEMEINSAM sein können, also Vorkommnisse in der ALLEN GEMEINSAMEN EXTERNEN WELT. In einem abgeschwächten Sinne kann man auch noch jene Aussagen hinzunehmen, die ÜBER Vorkommnisse sprechen, die aus dem BAUGLEICHEN KÖRPER WIEDERHOLBAR resultieren.

(15) SUBJEKTIVE Aussagen wären dann alle anderen. Sofern ein ANDERER irgenwelche Erlebnisse hat, die sich nicht mit wiederholbaren GEMEINSAMKEITEN in Beziehung setzen lassen, sind sie mit der Sprache nicht kommunizierbar. Hier beginnt entweder das INDIREKTE Sprechen oder gar die SPRACHLOSIGKEIT.
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Sprechen über Phänomene

FORTSETZUNG HIER

Fitness – Materie – Geist

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062,

11.März 2010
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

FITNESS

(1) Im Rahmen von GENETISCHEN ALGORITHMEN betrachtet man Mengen (= Populationen, POP) von Individuen (= I), wie diese sich im Laufe der ZEIT relativ zur vorgegebenen UMGEBUNG (E = ENVIRONMENT) ‚bewähren‘.

(2) Das gröbste Raster für ERFOLG bzw. MISSERFOLG ist das Überleben in Form von Nachkommen (- NOT-DELETED) bzw. eben keine Nachkommen (+DELETED). Dasjenige Individuum, das nicht überlebt, kann sein ‚Programm‘ nicht weiter ‚optimieren‘.

(3) Hat ein Individuum Nachkommen (-NOT-DELETED) ist die Skala des Fitnesswertes (FIT), je nach Betrachtung, beliebig fein.

(4) Denn die NACHKOMMEN eines Individuums im Rahmen einer Population können zahlreicher (MORE OFFSPRINGS) sein als die von anderen Individuen, oder sie können an mehr verschiedenen Orten (MORE PLACES) lebensfähig sein, oder sie können sich gegen mehr Feinde länger schützen (MORE PROTECTION), oder sie können sich untereinander besser koordinieren (MORE COORDINATION), usw.

(5) Der genetische Algorithmus selbst kümmert sich NICHT darum, WELCHER Fitnesswert vorliegt, auch nicht WIE dieser zustande kommt. Er nimmt nur an, dass es EINEN GIBT. Von daher ist ein genetischer Algorithmus nur eine Methode, einen vorliegenden Fitnesswert bezüglich vorgegebenen Strukturen so zu VERRECHNEN, dass eine STRUKTUR-ÄNDERUNG entsteht, die das Verhältnis zur Umgebung möglichst ‚positiv‘ beeinflusst. Betrachtet man ein Individuum formal als ein Input-Output-System, was mathematisch einer FUNKTION entspricht, dann ist ein genetischer Algorithmus eine von vielen OPTIMIERUNGSMETHODEN für Funktionen.

(6) Während die theoretischen Disziplinen, die Optimierungsmethoden benutzen, sich in der Regel mit den formalen (= mathematischen)  Eigenschaften der Optimierungsmethoden begnügen, stellt sich natürlich METATHEORETISCH (PHILOSOPHISCH) die Frage, WAS denn genau diese Fitnesswerte sind, die im Falle von biologischen Systemen zu deren Veränderungen im Laufe der Jahrmillionen bzw. Jahrmiliarden (!) beigetragen haben? Diese Frage ist nicht ganz ohne, da es zwar mittlerweile viele mathematische ‚Optimierungstheorien‘ (auch im Gewande von ‚mathematischen LERNTHEORIEN‘) gibt, aber KEINE dieser Theorien stellt sich der Frage nach der ‚Natur‘ der Fitnesswerte. Im einfachen Fall eines konkreten LEHRERS (SUPERVISORS) bzw. von sogenannten TRAININGS-MENGEN reduziert sich die Frage auf das konkrete Verhalten dieses Lehrers bzw. auf die vorliegenden Trainings-ITEMS, doch ist die Frage damit in keiner Weise beantwortet. Den wer sagt uns, was die RICHTIGEN Antworten des Lehrers sind bzw. die RICHTIGEN Trainings-Items?

(7) In konkreten Optimierungs- bzw. Lerntheorien gibt man von daher immer ganz konkrete Szenarien (Umgebungen) so vor, dass die zu optimierenden Verhaltenseigenschaften von vornherein definiert sind. Im Falle biologischer Systeme gibt es keine expliziten LEHRMEISTER DER STRUKTUREN. Entweder ERWEIST sich eine bestimmte vorkommende Struktur als ÜBERLEBENSFÄHIG relativ zu einer VORGEGEBENEN UMGEBUNG oder nicht. In dem Moment, wo der ‚Beweis‘ der Überlebensfähigkeit erbracht wurde wurde die überlebensfähige Struktur durch ihre Nachkommen ERSETZT. Dies bedeutet im WECHSELSPIEL zwischen vorgegebener Umgebung(zu der auch andere Populationen gehören können)  und dem individuellen Verhalten muss die individuelle Struktur es schaffen, sich so fortzupflanzen, dass die NACHKOMMEN (OFFSPRINGS) miteinander eine ähnliche Leistung erbringen können.

(8) Stellt sich die Frage, WO diese Strukturen herkommen, deren aktives Verhalten zu einer erfolgreichen Fortpflanzung führt? Dass es diese Strukturen gibt liegt offensichtlich an der grundlegenden Fähigkeit, die eigene Struktur (evtl. vermischt mit anderen Strukturen) zu VERERBEN. Das Vererben ist in sich ein hochkomplexer Prozess, den technische Systeme bis heute noch nicht beherrschen. Wie auch immer dieser beschaffen ist verlagert die Annahme eines VERERBUNGSMECHANISMUS die Frage nach dem HERKOMMEN der Strukturen aber nur.

(9) Grundsätzlich muss man wohl sagen, dass diese sich vererbenden Strukturen AUS der Umgebung GENOMMEN sind, MIT der sie in WECHSELWIRKUNG treten. Diese Strukturen fallen also nicht völlig ‚aus dem Rahmen‘, sondern sie sind als solche vererbenden Strukturen ‚aus der Umgebung‘ genommen und bleiben letztlich sogar ‚Teil der Umgebung‘, auch wenn man sie in einer abstrahierenden Betrachtung von der Umgebung ‚gedanklich abtrennen‘ kann. Unter anderem gewinnen Sie beständig ‚Energie‘ aus der Umgebung, um das ‚Funktionieren‘ ihrer Strukturen ‚aufrecht
zu erhalten‘.

(10) Die Vielfalt der biologischen Strukturen, die bislang bekannt geworden sind, ist atemberaubend. Alleine heute –wo wir doch allenthalben ein großes rapides Artensterben verzeichnen– schätzen Biologen die Artenvielfalt z.B. im brasilianischen Regenwald ‚unter‘ den Baumkronen auf einige Millionen, ‚in‘ den Baumkronen –dem eigentlichen Lebensraum– vermutet man nach neuesten Untersuchungen aber noch viel mehr verschiedene Arten.

(11) Was immer also an konkreten biologischen Strukturen entstehen kann, es sind Strukturen, die ‚aus dem genommen sind‘, was ‚vorgegeben‘ ist, eben die ‚Erde‘ mit ihren unterschiedlichen Substanzen angereichert mit Substanzen, die im Laufe der Zeit aus dem ‚umgebenden Weltall‘ gekommen ist.

(12) Eine wichtige TEILSTRUKTUR der allgemeinen Struktur von biologischen Systemen sind die NEURONALEN Strukturen, die eine bio-chemische Signalverarbeitung ermöglichen. Damit kann eine biologische Struktur in ihrem ‚INNEREN‘ Erregungszustände erzeugen, die WIRKUNGEN DER UMGEBUNG AUF DEN KÖRPER ‚KODIEREN‘ bzw. es ist auch mögliche, KÖRPER-INTERNE Wirkungen und Vorgänge gleicherweise zu ‚Kodieren‘. Zusätzlich ist es möglich WECHSELWIRKUNGEN zwischen diesen verschiedenen KODIERTEN WIRKUNGEN auch zu kodieren. Generell: KODIERTES kann WIEDER KODIERT werden. Damit sind die Grundlagen für KOGNITION gegeben: Welcher Wirkungen immer  von der Umgebung auf die Struktur des Individuums zu verzeichnen sind, welche Wirkungen immer innerhalb der Struktur des Individuums vorkommen können, mit dieser Technik der KÖRPER-INTERNEN KODIERUNG einschließlich der KODIERUNG DER KODIERUNG machen die biologischen Systeme eine Eigenschaft sichtbar, die sie quasi zu ‚AKTIVEN SPIEGELN‘ der Umgebung macht, aus der sie kommen und deren Teil sie sind.

(13) Eine Folgerung aus dieser Überlegung (neben vielen anderen) ist die, dass die sogenannte MATERIE –was immer das im einzelnen sonst noch sein mag– offensichtlich das Potential besitzt, solche Kodierungsprozesse zu ermöglichen, die wir dann KOGNITION nennen. Inwieweit damit die alten Begriffe von  GEIST (griechisch PSYCHE und NOUS, hebräisch RUACH ) ihre vollständige Deutung gefunden haben, ist schwer zu entscheiden, da diese Begriffe keine klaren Definitionen besitzen. Sicher ist nur, dass die viele tausend Jahre währende Gegenübersetzung von GEIST  und MATERIE für sehr viele Bereich    unserer Welterfahrung vollständig irreführend ist. Alles, was wir bislang wissenschaftlich von ‚Geist‘ wissen erweist sich bislang als eine Eigenschaft der ‚Materie‘, aus der alles kommt. Allerdings ist das dann keine ‚Reduktion‘ von etwas ‚Grösserem‘ auf etwas ‚Kleineres‘, sondern, wir müssen lernen, dass diese ‚Materie‘ (was wissen wir bislang davon überhaupt?) offensichtlich erheblich komplexer ist, als die meisten Menschen sich bislang vorstellen konnten (oder wollten). Im übrigen ist die Idee einer GEIST-MATERIE in keiner Weise neu.

(14) Hier müssten jetzt allerlei Überlegungen zur Ethik, zu Normen etc. anknüpfen.

Grafik für Fitness

Die direkte Fortsetzung dieses Beitrags findet sich HIER.

DER SUBJEKTIVE RAHMEN DER OBJEKTIVEN WELT

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062,

17.Januar 2010
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

(1) Empirische Wissenschaft definiert sich normalerweise über Messoperationen. Alles, was sich mittels eines bestimmten Messverfahrens messen läßt, gilt als gemessener = objektiver Wert (z.B. ‚5 m‘, ‚3.5 s‘, ‚2.33 kg‘, …).

(2) Die Ergenisse von empirischen Messungen M_Emp müssen unabhänig von der Person sein, die die Messung vornimmt, der Vorgang M als solcher muss wiederholbar sein und ‚unter gleichen Umständen‘ sollte das Ergebnis reproduzierbar sein. Im übrigen sollte der Messvorgang auch ’standardisiert‘ und die Messaparatur ‚zertifiziert‘ sein.

(3) Messungen beziehen sich immer auf einen bestimmten ‚Zeitpunkt‘ t (oder ein geeignetes Zeitintervall), auf ein bestimmtes ‚Raumgebiet‘ R, geschehen unter bestimmten ‚Umgebungsbedingungen‘ E und können in einer Sprache L_Measure protokolliert werden. (‚Zeitpunkt‘ setzt eine geeignete ‚Uhr‘ voraus, die in ein international synchronisiertes Zeitsystem (UTC) eingebunden ist und ‚Raumgebiet‘ setzt entsprechend eine international gültige ‚Ortung‘ voraus; ‚Umgebungsbedingungen‘ beruhen ebenfalls auf Messwerten  oder ‚Beobachtungen‘. ).

(4) Messwerte als solche M_Emp_t_R_E sind isolierte Fakten ohne jeden Zusammenhang; sie liegen vor als Ereignisse im ‚intersubjektiven‘ Raum, der allen Menschen mit einem ’normalen‘ Wahrnehmungsapparat zugänglich ist.

(5) Für einen einzelnen Menschen gibt es objektive Messwerte nur in der Form subjektiver Wahrnehmung! Nur als ‚Ereignis im Bewusstsein‘ (:= Phänomen, Ph) hat ein Mensch Kenntnis von Messwerten. Entsprechendes gilt auch von dem objektiven Messvorgang M als solchem: was immer objektiv geschieht, der einzelne Mensch ‚weiss‘ davon nur insoweit diese objektiven Ereignisse als subjektive Ereignisse Ph_M im Bewusstsein ‚irgendwie repräsentiert‘ sind. Die subjektive Repräsentation von objektiven Messwerten kann bekanntlich ‚verzerrt‘ oder ‚grob falsch‘ sein.

(6) Empirische Messwerte M_Emp sind also –sofern Sie Teil eines subjektiven Wissens sind– immer zugleich auch Phänomene Ph_Memp.

(7) Generell gilt, dass alle Arten von Messwerten (zum Gehirn M_Emp_Brain, zum Körper M_Emp_Body, zu kulturellen Artefakten M_Emp_Culture, zur Erde M_EMP_Earth, usw.) für den einzelnen nur existieren, wenn sie Eingang in das Bewusstsein (Consciousness, Consc) der betreffenden Person gefunden haben, d.h. wenn die objektiven Messwerte als subjektive Phänomene vorliegen, also MEmp_Brain als Ph_MEmp_Brain, M_Emp_Body als Ph_M_Emp_Body, usw.

(8) Im Bewusstsein gibt es solche Phänomene, die aus Wahrnehmungen intersubjektiver Zusammenhänge stammen Ph_Emp und solche, die nicht aus intersubjektiven Zusammenhängen stammen –Ph_Emp. Ferner kann man grob unterscheiden zwischen jenen Phänomenen Ph_Concr, die ‚einzelne‘ Fakten (wie z.B. Messwerte) repräsentieren, als auch solche Ph_Abstr, die ‚Abstraktionen‘ von vielen möglichen einzelnen Fakten darstellen bzw. solche Ph_Rel, die ‚Beziehungen‘ repräsentieren. Die abstrahierenden und beziehungsrepräsenterenden Phänomene sind –aus Sicht der subjektiven Wahrnehmung– quasi ‚Eigenleistungen‘ des Bewusstseins. Vereinfachend kann man sagen, dass ‚abstrakte Modelle‘ Ph_Mod  bzw. ‚abstrakte Theorien‘ Ph_Th ‚Kompositionen‘ von abstrakten Konzepten und Relationen darstellen.

(9) Eine über den isolierten Zeitpunkt und über das isolierte Raumgebiet hinausgehende ‚Bedeutung‘ können Messwerte nur gewinnen, wenn man sie in abstrakte Konzepte und abstrakte Beziehungen ‚einbetten‘ kann, wie sie ausschliesslich als subjektive abstrahierende und beziehende Phänomene vorkommen. Diese ‚allgemeineren‘ Strukturen sind ‚rein subjektive‘ Leistungen, die mit den Phänomenen aus dem intersubjektiven Raum (z.B. Messwerten) innerhalb des Bewusstseins eine ‚Symbiose‘ eingehen. Hier stellen sich interessante Fragen nach einer möglichen ‚Konformität‘ der subjektiven interpretierenden Strukturen (Modelle, Theorien) mit den isolierten empirischen Phänomenen (diese Problematik war/ist Thema verschiedener philosophischer ‚Wahrheitstheorien‘ bzw. auch wissenschaftstheoretischer Diskussionen über die ‚Falsifizierbarkeit‘ bzw.  der ‚Verifizierbarkeit‘ von Theorien).

(10) Was man hier erkennen kann, ist die Tatsache, dass Begriffe wie ‚aussen‘, ‚empirisch‘, ‚objektiv‘, ‚intersubjektiv‘ usw. angeleitete Begriffe sind, sozusagen Hypothesen auf der Basis der subjektiven Wahrnehmung.

(11) Das Bewusstsein erscheint mit ‚fliessenden Grenzen‘, ‚variierenden Inhalten‘, ’schwankenden Strukturen‘.

(12) Anhand von empirischen Daten zum Gehirn (die selbst als subjektive Erlebnisse vorliegen müssen, um gedanklich verarbeitet werden zu können), die mit Bewusstseinszuständen zeitlich korreliert werden, kann man Hypothesen über einen möglichen funktionellen Zusammenhang zwischen messbaren Gehirnprozessen und phänomenalen Gegebenheiten herstellen. Solche Daten deuten darauf hin (klare Erkenntnisse gibt es noch nicht), dass die bewussten Inhalte nur einen kleinen Teil der Ereignisse im Gehirn (und Körper) widerspiegeln. Ferner ist das, was repräsentiert wird, variable, dynamisch: im ‚Wachzustand‘ sind es z.T.  andere Ereignisse, die ‚zugänglich‘ sind als im ‚Schlafzustand‘ oder in anderen ‚Bewusstseinsmodi‘. Prinzipiell ist heutzutage nicht auszuschliessen, dass über Bewusstseinszustände auch solche Ereignisse partiell zugänglich sind, die klassischerweise als ‚vor-‚ oder ‚unterbewusst‘ bezeichnet werden.

(13) Bei der ‚Interpretation‘ der Bewusstseinsinhalte ist es allerdings schwierig, diese ‚einzuordnen‘ sofern sich die auslösenden Prozesse von einer klaren Zuordnung zu kontrollierbaren körperlichen oder interpersonalen Prozessen entfernen. Letztlich ist dann eine ‚Semantik‘ nicht mehr rational herstellbar und damit jegliche Deutung ‚willkürlich‘. Im Bereich der ‚Mystik‘ gibt es in allen Religionen quer zu allen Kulturen Berichte von ‚Erlebnissen besonderer Art‘ die, sofern sie sich nicht unterangebbaren Bedingungen reproduzieren lassen, subjektiv sehr ‚farbig‘ sein können, die aber einer Deutung im Kontext einer ‚Welterklärung‘ unzugänglich sind.

(14) Audio-Datei: Hier

Epistemology of the Consciousness

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