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PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Teil 2 – Manning: Ende der Demokratie in den USA?

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 2.August 2013
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Diesem Beitrag ging voraus Teil 1

1) Wie gesagt, es geht in diesem Blog nicht primär um Politik, sondern um Philosophie. Andererseits findet Philosophie nicht ‚außerhalb‘ der Welt statt sondern wird von Gehirnen geleistet, die in Körpern stecken, die Teil von realen Prozessen sind. Und diese reale Prozesse haben auf vielfältige Weise einen Einfluss auf das, was man wahrnehmen, denken und tun kann. Sofern ein philosophisches Denken auf ‚Wahrheit‘ aus ist, d.h. auf jene Sicht der Wirklichkeit und der bekannten Welten, die den erfahrbaren Phänomenen ihre Erscheinungsweise von zugrundeliegenden Prinzipien her ‚erklärt‘, und wenn diese Überlegungen davon abhängen, ob sich der zugehörige Körper hinreichend frei bewegen kann, dann ist die Natur dieser realen Prozesse für das philosophische Denken nicht gleichgültig.
2) Die Vorgänge in den USA im Umfeld des Soldaten Manning und später die Ereignisse um Edward Snowdon erscheinen nun von einer Art zu sein, die man nicht mehr einfach so als ‚unter ferner liefen‘ abtun kann.
3) Der weltweite Einfluss der USA in sehr vielen Dimensionen ist so groß, dass ihr Verhalten nahezu alle Ländern dieser Erde (und damit auch ihre Menschen) nicht nur beeinflussen kann, sondern auch real beeinflusst. Allein die in den letzten Wochen durch die Aktion von Snowdon angestoßenen immer weiter sich entwickelnden Erkenntnisse zur realen Präsenz US-amerikanischer Geheimdienste in den Datenströmen weltweiten übertrifft tatsächlich selbst die Phantasien von Experten. Und, wie die zunehmend intensiven und sehr kritischen Diskussionen in den amerikanischen Medien zeigen, beginnt die amerikanische Öffentlichkeit schrittweise zu begreifen, dass diese Vorgänge an den Grundlagen der demokratischen Verfassung rühren.
4) Dabei mischen sich mindestens zwei Themen: das eine ist die Frag der Privatheit, die durch die übermäßige Überwachung in Frage gestellt zu sein scheint, das andere ist das Aufdecken von Rechtsbrüchen durch Regierungsstellen durch Whistleblower. Beides rührt an die Grundlagen der Demokratie. Während sich die Diskussion in Europa mehr am Thema der Überwachung festgebissen hat, wächst in den USA auch die Sorge, dass mit der Verurteilung von Manning ein fatales ‚Kritikverbot‘ installiert wird: was immer künftig eine Regierung hinter dem Rücken der Bürger an Fehlern begehen kann, an Unrechten verübt, künftig wird dies niemand mehr zur Anzeige bringen, da sowohl die ‚Quellen‘ wie auch ihre ‚Nutzer‘ (die Journalisten) damit zu Staatsverrätern werden, denen dann lebenslange Haft oder gar Tod drohen.
5) In Artikeln über den Manning-Prozess wird dies offen angesprochen (siehe Erik Wemple, Bradley Manning Urteil), allerdings erscheint solch eine kritische Haltung bislang eher nur eine Minderheit zu repräsentieren, die sich soweit vorwagt.
6) Bliebe es bei diesem Urteil, dann wären die Konsequenzen verheerend: das allgemeine Verbot jeglicher Kritik an Gesetzesverstößen staatlicher Stellen verknüpft mit extremer Geheimhaltung und verbunden mit einer nahezu allseitigen Überwachung würden alles in den Schatten stellen, was wir bislang aus der Geschichte von faschistischen autoritären Regimen wissen. Der Manning-Prozess kann das Ende der Demokratie in den USA einläuten.
7) Dazu kommt, dass die Art und Weise, wie Manning im Vorfeld des Prozesses behandelt wurde, jeglichem Rechtsstaat Hohn spricht. Dies war ein Verhalten, das die USA sonst sogenannten ‚Schurkenstaaten‘ vorwirft. Zudem wird der Prozeß von einem Sondergericht geführt, von einem Militärgericht, also einer Einrichtung, die genau mitverantwortlich ist für die Rechtsmissbräuche von Regierungsstellen. Die Ideologie vom Kampf gegen den Terror scheint weitgehend alle Rechtsgüter, die eine Demokratie auszeichnen, zu paralysieren.
8) Das durchgehende Schweigen der deutschen Regierung zu diesen Vorgängen, allen voran der Bundeskanzlerin, ist angesichts der großen Tragweite der Vorgänge nicht mehr nur peinlich, es ist bedrohlich was den Erhalt einer freien westlichen Welt betrifft. Gerade Deutschland sollte sich bewusst sein, dass das zu lange Schweigen zu Unrechtsvorgängen (verknüpft mit einer starken Rolle eines autistischen Militärs) der direkte Weg in eine Diktatur sein kann (und diese Bundeskanzlerin kommt sogar aus einer Diktatur; hat sie das alles vergessen?).

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MISSBRAUCH DES PROPHETEN?

 

  1. In diesen Tagen beherrschen wieder Bilder aufgebrachter Menschen die Bildschirme. Wütende Menschen, die andere Menschen angreifen und vor Tötung nicht zurückschrecken. Laut Aussagen in die Kameras sind sie aufgebracht, weil der Prophet Mohammed beleidigt worden sein soll. Alle Befragten hatten das Video gar nicht gesehen. Und sie griffen nicht die Hersteller des Videos an, sondern die USA und andere westliche Länder. Alles ausnahmslos Länder, in denen Religionsfreiheit nicht nur auf dem Papier steht, sondern real praktiziert wird. Während in vielen Ländern Afrikas und auch Asiens, unterschiedliche sogenannte muslimische Gruppen unter z.T. grausamsten Bedingungen Krieg gegeneinander führen, dürfen in den beklagten Ländern die Menschen ihre unterschiedlichen religiösen Anschauungen frei bekennen und praktizieren, ohne das jemand deswegen verleumdet oder angegriffen wird. Zudem werden auch Botschaften von Ländern wie Deutschland und England angegriffen und verwüstet, die mit dem Video gar nichts zu tun haben. Man fragt sich also, geht es hier wirklich um Mohammed und seine Ehre, geht es hier überhaupt um Glaubensfragen?

  2. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Motivatoren dieser Aufregung Menschen sind, die unter dem Vorwand Mohammed und Islam eine ‚Instrumentalisierung‘ von Menschen betreiben, die sie benutzen, um eine politische Radikalisierung von ganzen Ländern zu unterstützen. Damit nutzen sie die offensichtlich vorhandenen schlechten Gefühle gegen ‚die USA‘ und ‚den Westen‘ aus, um diese für einen unterstellten Angriff auf den muslimischen Glauben zu mobilisieren. Das würde erklären, warum Botschaften von Ländern angegriffen werden, die mit dem Video gar nichts zu tun haben.

  3. Dazu kommt auch das offensichtliche Desinteresse, was überhaupt im Video gezeigt wird bzw. an der Entstehung des Videos. Wie unterschiedliche TV-Berichte (und Presseartikel) nahelegen, wurde hier ein Video gedreht, das nachträglich von einem harmlosen Video in eine Schmähvideo verändert worden ist, in einer Weise, von der die ursprünglichen Schauspieler nichts wussten. Und alles deutet darauf hin, dass dieses Video bewusst für eine Provokation durch Beleidigung erstellt wurde, von einem Menschen, der laut Akten schon mehrfach kriminell war. Menschen, denen es um Wahrheit geht, hätten sich erst einmal informiert, was es mit dem Video überhaupt auf sich hat. Wenn sich dann herausstellt, um welch ein minderwertiges Machwerk eines einzelnen mit sehr zweifelhaften Motiven es sich handelt, wäre es nicht wert gewesen, sich damit überhaupt weiter zu befassen. Öffentlichkeit wertet solche Machwerke ja erst auf.

  4. Doch den Motivatoren der großen Aufregungen scheint es nach allem gar nicht um Wahrheit oder Erkenntnis zu gehen, sondern sie brauchten offensichtlich nur (wieder?) einen Anlass, um vorhandene Gefühle von Menschen mit mangelnden Informationen für ihre Machtinteressen zu instrumentalisieren, ihren Einfluss auf die ‚Massen‘ zu verstärken. Mit Religion oder gar Glauben hat dies überhaupt nichts zu tun.

  5. Absolut erschreckend ist, wie naiv und wenig kritisch die TV-Sender über diese Vorgänge berichten, und wie wenig die demagogische Manipulationen mit ihren zweifelhaften Machtinteressen sichtbar gemacht werden. Während es Massendemonstrationen von Menschen in Portugal gibt, weil sie ihre Gesellschaft durch Sparmaßnahmen und Politik bedroht sehen, während täglich ein grausamer Krieg in Syrien wütet, im Irak getötet wird, und und und, von all dem wird nichts berichtet. Stattdessen gibt man dem Video eines zweifelhaften Provokateurs und den Machenschaften radikaler Machtgruppen breitesten Raum.

  6. Also, halten wir fest, weder der ‚Westen‘ als ganzer noch die USA speziell greifen mit diesem Video in irgendeiner Form den Islam an, sondern ein einzelner Mensch mit einer kriminellen Vergangenheit und zweifelhaften Motiven hat eine Video produziert, in dem er aus seinen speziellen Motiven heraus versucht hat, eine Figur, die den Propheten darstellen soll (ich habe das Video selbst noch nicht gesehen und es interessiert mich auch nicht), in einer Weise zu inszenieren, die nach seiner Auffassung Muslime provozieren soll. Kein wirklich gläubiger Muslim wird sich von solch einem Menschen und solch einem Machwerk provozieren lassen. Das ist absolut lächerlich.

  7. Dieser Vorgang sollte aber auch Anlass sein, darüber nachzudenken, warum von den Fundamentalisten die Person des Propheten so hochstilisiert wird ohne zu bedenken, dass ein Mensch nur insoweit Prophet ist bzw. sein kann, insoweit er der Wahrheit und Liebe Gottes angemessen Ausdruck verleiht. Wenn wir überhaupt Gott ins Spiel bringen wollen, dann sind nicht wir Menschen der Maßstab, sondern Gott selbst! Vor Gott hat kein einzelner Mensch die Möglichkeit und das Recht, in absoluter Weise zu beurteilen, ob ein Mensch (in diesem Fall Mohammed) die wahre Liebe Gottes und seine Wahrheit so vermittelt hat, wie sie vermittelt werden sollte. Dies kann nur Gott selbst. Kein Mensch kann Gott vorschreiben, wann, wie, wo und wie viel er sich zeigt und äußert. Nicht von ungefähr gab es in der Geschichte viele Menschen, die von Gott gesprochen haben. Letztlich kann kein einzelner Mensch die Größe Gottes voll darstellen und ausschöpfen; Gott kann sich jederzeit neu zeigen und mitteilen. Kein Mensch hat ein Recht, Gott zu verbieten, sich neu zu zeigen, mit neuen Worten, mit neuen Bildern, schließlich hat sich die Welt ständig weiter verändert. Allein schon deswegen muss man sich fragen, ob diese Menschen, die von sich aus Mohammed so absolut setzen und damit gegen Gott ausspielen, wirklich ‚gottesfürchtige‘ Menschen sind. Ihre Taten sprechen gegen sie!

 

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Ägypten und Tunesien – das sind wir, und mehr….

  1. Während ich diese Zeilen schreibe steht der Machtkampf in Ägypten auf der Kippe: Kann sich Präsident Mubarak an der Macht halten oder folgen ihm jetzt doch andere nach; und wenn andere, welche andere? Nach allen Informationen, die ich bekommen konnte, ist es nicht eine bestimmte radikale Gruppe, die hier nach Veränderungen ruft und dafür Gesundheit und Leben riskiert, sondern eine breite Schicht der Bevölkerung, und hier natürlich insbesondere die jüngere Generation, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellt. Jahrelang bevormundet, gegängelt, kontrolliert, schikaniert, mit üblen Polizeistaatsmethoden eingeschüchtert lehnen sich jetzt die Vielen dagegen auf. Sie wollen keine korrupten Beamten, sie wollen keine Günstlingswirtschaft, sie wollen keine Milliardäre auf Kosten einer bestohlenen Bevölkerung, sie wollen keine staatlich zensierte Medien, sondern sie wollen mehr Respekt, mehr Anerkennung, mehr Selbstbestimmung, sie wollen offene Kommunikation, Sie wollen mehr reale Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten.

  2. Das ägyptische Volk folgt in diesem Kampf (der über Massendemonstrationen ausgetragen wird) dem tunesischen Volk. Andere Länder Nordafrikas haben ähnliche Konstellationen.

  3. Die europäischen und nordamerikanischen Politiker haben diese unwürdigen Zustände jahrzehntelang unterstützt. Die Bürger dieser Länder – ich schließe mich hier nicht aus – haben u.a. als Touristen das Spiel mitgespielt. Während die europäischen Politiker in diesen Tagen das gewohnt handlungsschwache Bild abgeben, verbal in den Medien eine Moral artikulieren, die Sie oft nur opportunistisch mal heraushängen, mal verschweigen – oder einige gar partiell selbst aktiv mit Füßen treten — haben die Amerikaner anscheinend einen klaren Schwenk vollzogen: sie fordern Mubarak zum Rücktritt auf und erwecken den Eindruck, dass sie über das Militär die politische Veränderung unterstützen wollen. Allerdings haben auch die USA wiederholt demonstriert, dass Diktatoren, Terroristen und Verbrecher willkommen sein können, wenn Sie den eigenen Interessen nützen, so daß der Schwenk der USA nicht unbedingt von einem moralischen Gesinnungswandel getragen sein muß.

  4. Während es generell nicht leicht ist, den täglichen Zuckungen der politischen Gremien zu folgen, deutet sich mit Tunesien und Ägypten aber doch an – was auch Ende des 20.Jahrhunderts in Mittel und Osteuropa zu beobachten war –, dass Machtkartelle auf Kosten der breiten Mehrheit einer Bevölkerung heutzutage immer weniger eine Chance haben. Denn die Voraussetzung einer egoistischen Machtclique, nämlich die Kontrolle aller wichtigen Ressourcen, kann letztlich nur durch Repression und konkrete Gewalt gegen die vielen anderen funktionieren. Wenn dies zur Verarmung, zur täglichen Desinformation, zu täglichen Rechtsbrüchen gegen die Menschlichkeit, zu Arbeitslosigkeit und Korruption, und damit zu Enttäuschungen und zu einer wachsenden Hoffnungslosigkeit bei immer mehr Menschen führt, dann wird diese Gesellschaft von innen zerfressen. Damit fällt sie auf Dauer im ‚Konkurrenzkampf‘ der gesellschaftlichen Systeme um Ressourcen und Macht immer weiter zurück. Einen kurzsichtig agierenden Machtparasiten ficht solches nicht an. Ihm reicht sein aktueller Erfolg. Das Leiden der Vielen, die Schwächung eines ganzen Volkes, sind ihm egal; er – und seine Gefolgsleute – blenden dies aus.

  5. Es ist sicher kein Zufall, dass sich oft in solchen Gesellschaften, in denen Macht missbraucht, Bildung und freie Medien unterdrückt werden, ‚radikale‘ Gruppierungen entwickeln, die sich als ‚Sprecher‘ und ‚Interessenvertreter‘ der ‚unterdrückten‘ Bevölkerungsteile verstehen und darstellen. In der Vergangenheit führte dies bisweilen zu den Umbrüchen (‚Revolutionen‘), die wir im Nachhinein als ‚erfolgreich‘ darstellen (Reformation, französische Revolution, nordamerikanische Revolution, Maos langer Marsch, Perestroika, ….). Aber immer wieder sind solche Umbrüche auch gescheitert oder haben gezeigt, dass die ‚Gewinner‘ letztlich nicht viel besser waren als die, die sie aus der Macht verjagt haben.

  6. Eine häufige Figur ist auch die, dass amtierende Machtstrukturen die ‚Gefahr‘ durch radikale Strömungen als Vorwand nehmen, um die eigene Machtposition mit Mitteln abzusichern, die letztlich die eigene Machtposition immer mehr der Form eines Unrechtsregimes annähern. Unter dem Vorwand, ‚Freiheit‘ und ‚Gerechtigkeit‘ gegen Feinde zu schützen, wird die Freiheit und das Recht des einzelnen schrittweise eingeschränkt, soweit, dass man sich dann fragen kann, was hier noch geschützt werden soll? Der Verlust der demokratischen Kontrolle eines staatlichen Machtapparates kann in komplexen modernen Gesellschaften ‚fließend‘ sein, so sehr, dass selbst die Akteure des Macht-Apparates den Überblick verlieren. Die USA, eines der wichtigsten Länder dieser Erde, sind bekannt für ihr Engagement im zweiten großen Krieg, in dem sie als Befreier vom Nationalsozialismus auftraten. Sie brachten große Opfer und kämpften mit großem Idealismus. Dann waren sie aktiv als Schutzmacht gegen den Kommunismus. In nahezu jeder Beziehung wurden und waren Sie Jahrzehnte die Weltmacht Nr.1. Viele Analysen und Berichte lassen jetzt aber den Eindruck entstehen, dass sich das Machtdenken und die reine Profitgier unter dem Mantel politischer Werte ihren Weg gesucht haben, womöglich gar sich zu verselbständigen beginnen. Dass es zudem Machtausübungen in den letzten letzten Jahrzehnten gab, in denen die Rechte von Menschen und ganzen Bevölkerungen mit Füßen getreten wurden. Nicht weniger schlimm, es entsteht der Eindruck, daß die USA ihr eigenes Rechtssystem unter dem Vorwand des ‚Schutzes gegen Bedrohung von außen‘ soweit verändert haben – und beständig weiter verändern –, daß man nach Bedarf jederzeit jeden ohne jeglichen rechtlichen Schutz als Terrorist behandeln kann, selbst wenn er gar kein Terrorist ist (ganz zu schweigen von dem, was Geheimdienste abseits der Öffentlichkeit in einem ‚quasi rechtsfreien Raum‘ tun dürfen. Das wenige, was einem ’normalen‘ Bürger bekannt wird, wirkt nicht sehr beruhigend). Für welche Werte stehen die USA heute noch? Es ist schwer bis unmöglich, sich hier ein klares Bild zu verschaffen. Welche Medien sind nicht von handfesten politischen oder wirtschaftlichen Interessen dominiert?

  7. Ägypten, Tunesien, Nordafrika, Europa, Nordamerika, Asien…. das ist alles nicht mehr weit auseinander; wir sind immer mehr miteinander verflochten. Die Handlungen des einen beeinflussen die Handlungen der anderen. Die ‚Werte‘ des einen tangieren nahezu unausweichlich auch die ‚Werte‘ des anderen. Macht hat grundsätzlich die Tendenz, sich selbst zu verstetigen (perpetuieren), sich abzusichern. Die ganze Geschichte ist ein einziges Lehrstück, wie Menschen versuchen, den Umgang mit der Macht zu ‚regulieren‘. Demokratien sind recht junge Erfindungen und keineswegs ’sicher‘; sie leben von ‚realer‘ Freiheit, von ‚Rechtssicherheit‘, von einer funktionierenden Öffentlichkeit. Politische Macht und Finanzkraft ist immer versucht, alle Parameter im eigenen Interesse zu manipulieren. Die Kontrolle der öffentlichen Medien ist für solche partikulären Machtinteressen das Wichtigste, die Beeinflussung des Rechtssystems nicht weniger, die Freiheit ist dann die ‚Restgröße‘, die bleibt. Kein Staat dieser Erde, kein Gesellschaftssystem ist gegen diesen beständigen Erosionsprozeß gefeit. Jede Generation muß sich ihre Machtregulierung – z.B. in Gestalt einer Demokratie – neu erkämpfen. Und den ‚Galionsfiguren‘ der demokratischen Bewegung, wie sie die USA auf jeden Fall eine war, müssen beständig mit kritischem Blick darauf abgesucht werden, ob die herrschenden Machtzirkel sich nicht eventuell schon soweit verselbständigt haben, dass rein formal, äußerlich zwar noch eine Demokratie besteht, aber faktisch wenige Machtgruppen den Staat nach ihrem Gutdünken manipulieren.

  8. Dies sind sehr fragmentarische Überlegungen, sehr grob, stark vereinfachend, allerdings notwendig, um große Strukturen sichtbar zu machen. Dabei schälen sich zwei Dimensionen heraus, die immer und überall wirksam sind: (i) welche Bevölkerungen wir auch immer betrachten, letztlich ist es immer ein EINZELNER Mensch, der sich dafür ENTSCHEIDET, etwas bestimmtes zu TUN oder eben nicht. Selbst die schlimmste Diktatur würde augenblicklich in Nichts zerfallen, wenn die Mehrheit der Menschen sich DAGEGEN entscheiden würde. Die Frage ist nur, aufgrund welcher WERTE und welchen WISSENS entscheidet sich ein einzelner Mensch für oder gegen etwas. Dies führt (ii) zur zweiten Dimension: einzelne Menschen können nur dann GEMEINSAM handeln, wenn sie aufgrund einer FUNKTIONIERENDEN KOMMUNIKATION ihre Meinungen, ihr Wissen, ihre Werte, ihre Erfahrungen AUSTAUSCHEN können. Ohne eine hinreichende Kommunikation kann keine gemeinsam geteilte Meinung entstehen, die zu einem gemeinsamen Handeln führt. Aus diesem Grund ist eine FUNKTIONIERENDE ÖFFENTLICHKEIT die Grundvoraussetzung für jede Art von menschlicher Gesellschaft (und auch für jede wahre Demokratie). Ohne funktionierende FREIE Kommunikation ist praktisch nichts möglich.

  9. Tatsache ist, dass in vielen Ländern unserer Erde eine wirklich freie Kommunikation noch immer nicht möglich ist.

  10. Nehmen wir mal an, wir hätten eine freie Kommunikation. Menschen könnten miteinander reden. Es gibt sehr viele Faktoren, die Menschen ‚aus sich heraus‘ daran hindern, von einer freien Kommunikation Gebrauch zu machen.

  11. Nehmen wir einmal an, die meisten Menschen überwinden ihre Scheu, ihre Ängste, ihre Vorbehalte, ihre Vorurteile – oder was es sonst noch geben mag, nicht zu kommunizieren –, nehmen wir einmal an, die meisten Menschen haben genügend Zeit (!), zu kommunizieren, was kommuniziert werden müßte, dann stellt sich die INHALTLICHE Frage, worüber sie kommunizieren wollen. Was WISSEN wir überhaupt von uns, von den anderen, von der Welt, in der wir leben, von unserem Sonnensystem, von den letzten Dingen, von ‚Werten‘? Wissen wir genug von dem, was notwendig ist, damit wir GEMEINSAM auf dieser Erde, in diesem Universum, friedlich miteinander für n-viele (wie viele?) Jahre leben können? Wie gehen wir mit unterschiedlichen Anschauungen, mit unterschiedlichen Werten um? Bei Sonntagsreden sprechen wir von ‚Toleranz‘, aber wenn mir jemand gegenüber tritt, der sich auf Werte beruft, die meine Werte in Frage stellen – oder umgekehrt –, was machen wir dann? Ich habe nicht den Eindruck, dass wir auf diese zentralen Fragen schon gemeinsam akzeptierte Antworten haben. Fakt ist auf jeden Fall, dass wir mit jedem Tag auf dieser Erde uns allen immer ein Stückchen ’näher gerückt werden‘, nicht, weil wir dies wollen, sondern weil eine Vielzahl von Faktoren uns zwingen, miteinander etwas zu tun.

  12. Bei dem Versuch, zu verstehen, wie wir als Menschen ‚funktionieren‘, verstärkt sich in mir der Eindruck, dass wir als Menschen in der Tat etwas sehr Besonderes verkörpern. Zugleich ist aber auch klar, dass die aktuelle körperliche Ausstattung unserer Wahrnehmung, unserem Erinnern, unserem Fühlen, unserem Denken und Entscheiden, sehr klare Grenzen auferlegen. Die Prozesse, durch die wir Lernen, Erkennen, uns eine Meinung bilden sind begrenzt, langsam, und sehr anfällig für Verkürzungen und Fehler. Gemessen an der Komplexität der Welt, die uns umgibt, die uns zum Handeln herausfordert, sind wir bei dem heutigen Stand des Wissens und der Technologie, heillos überfordert. Selbst wenn wir wollten – mit aller Kraft, mit allerbesten Werten – niemand ist heute in der Lage, auch nur annähernd eine hinreichend begründete Entscheidung für irgendetwas zu fällen. Möglicherweise war das noch nie besser. Möglicherweise besteht der Fortschritt darin, dass wir zu erkennen beginnen, dass dies so ist.

  13. Momentan habe ich keine klare Idee, wie wir alle dieses Grundproblem am besten lösen können. Klar ist allerdings, dass (i) ohne funktionierende Kommunikation gar nichts geht; (ii) dass wir ohne eine deutliche bessere Wissenstechnologie auch nicht weiter kommen; (iii) dass wir um eine gemeinsame Klärung der Wertefrage nicht herum kommen. Dazu wird es nicht ausreichen, die bisher bekannten ‚alten‘ Wertesysteme einfach zu wiederholen und sich damit zu begnügen, die ‚anderen‘ als ‚falsch‘ hinzustellen, weil man selbst ja das ‚Richtige‘ wüßte. Wir müssen uns bzgl. der Werte deutlich weiter entwickeln. In diesem Zusammenhang scheint mir, dass die Anhänger der sogenannten Offenbarungsreligionen sich klar werden müssen, dass nicht Sie ihrem Gott diktieren, was richtig und falsch ist, sondern sie müssen begreifen, dass dieser Gott ‚lebt‘ und erwartet, dass die Menschen der Gegenwart ‚lernen‘, was ‚heute‘ das ‚Richtige‘ ist, und ‚Lernen‘ heisst wirklich aktiv von einem lebenden Gott zu lernen und nicht aus Schriften vorzulesen, die irgendwelche Menschen vor 1500 und mehr Jahren irgendwie (wir wissen letztlich nicht wer wann was wie) geschrieben haben. Und dieses Lernen ist nicht auf einzelne Menschen beschränkt sondern betrifft ALLE, JEDEN. Kein einziger Mensch hat aus sich heraus mehr Rechte als irgendein anderer Mensch. Das ist unsere Aufgabe: einen gemeinsamen Weg zu finden. Je eher wir unsere persönlichen Grenzen und Unfähigkeiten erkennen und akzeptieren, umso eher können wir gemeinsam nach einer besseren Lösung suchen. Wenn es eine Lösung gibt, wird man sie finden können. Wenn es keine gibt, dann ist es fast ein bischen ‚egal‘ was geschieht, dann sind aber auch alle Machtansprüche und Privilegien reine Willkür…