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Wieweit können wir den ‘biologischen Geist’ durch einen ‘künstlichen Geist’ nachbilden? – Nachreflexion zur Philosophiewerkstatt vom 12.April 2015

Gedankenskizze von der Philosophiewerkstatt am 12-April 2015 in der DENKBAR
Gedankenskizze von der Philosophiewerkstatt am 12-April 2015 in der DENKBAR

1. Trotz wunderbarem Wetter draußen fand sich wieder eine interessante Gruppe von Philosophierenden am 12.April 2015 zur Philosophiewerkstatt in der DENKBAR zusammen.

2. Mittlerweile bildet sich ein ’spezifischer Stil‘ in der Philosophiewerkstatt heraus: Immer weniger vorgefertigter Input durch einen Eingangsvortrag, sondern stattdessen von Anfang an ein ‚gemeinsames Denken‘ entlang einer Fragestellung. Das ‚Gemeinsame‘ wird in einem aktuellen ‚Gedankenbild‘ festgehalten, ‚visualisiert‘, so dass die Vielfalt der Gedanken für alle sichtbar wird. Nichts geht verloren. Dies eröffnet dann jedem die Möglichkeit, anhand der sichtbaren Unterschiede, Lücken und Gemeinsamkeiten ‚fehlende Stücke‘ zu suchen, zu ergänzen, oder vorhandene Begriffe weiter zu erläutern.

3. Als ‚Rhythmus‘ des gemeinsamen Denkens erweist sich ein gemeinsamer Einstieg, dann ‚Blubberpause‘, dann Schlussrunde als sehr produktiv.

GEIST – BIOLOGISCH UND KÜNSTLICH

4. Ausgangspunkt waren die Begriffe ‚Geist‘, ‚Biologisch‘ sowie ‚Künstlich‘.

5. Auf einer Zeitachse betrachtet kann man grob sagen, dass der Begriff ‚Geist‘ in der antiken griechischen Philosophie eine zentrale Rolle gespielt hat, sich bis mindestens ins 19.Jahrhundert durchgehalten hat, dann aber – zumindest im Bereich der Naturwissenschaft – nahezu jegliche Verwendung verloren hat. In den heutigen Naturwissenschaften herrscht der Eindruck vor, man bräuchte den Begriff ‚Geist‘ nicht mehr. Zugleich fehlen damit auch alle ‚Unterstützungsmerkmale‘ für jenes Wertesystem, das einer demokratischen Staatsform wie der deutschen Demokratie zugrunde liegt. ‚Menschenwürde‘ in Art.1 des Grundgesetzes hat im Lichte der aktuellen Naturwissenschaften keine Bedeutung mehr.

6. Gleichfalls auf der Zeitachse beobachten wir, dass das Paradigma der ‚Maschine‘ mit dem Aufkommen des theoretischen Begriffs des Automaten (erste Hälfte des 20.Jahrhunderts) und der Bereitstellung von geeigneter Technologie (Computer) einen neuen Begriff von ‚Künstlichkeit‘ ermöglicht: der Computer als programmierbare Maschine erlaubt die Nachbildung von immer mehr Verhaltensweisen, die wir sonst nur von biologischen Systemen kennen. Je mehr dies geschieht, umso mehr stellt sich die Frage, wieweit diese neue ‚Künstlichkeit‘ letztlich alle ‚Eigenschaften‘ des Biologischen, insbesondere auch ‚intelligentes Verhalten‘ bzw. den ‚Geist im Biologischen‘ nachbilden kann?

GEIST – SUBJEKTIV UND OBJEKTIV NEURONAL

7. Im Bereich des Biologischen können wir seit dem 20.Jahrhundert auch zunehmend differenzieren zwischen der subjektiven Dimension des Geistes im Bereich unseres Erlebens, des Bewusstseins, und den körperlichen, speziell neuronalen Prozessen im Gehirn, die mit den subjektiven Prozessen korrelieren. Zwar ist die ‚Messgenauigkeit‘ sowohl des Subjektiven wie auch des Neuronalen noch nicht besonders gut, aber man kann schon erstaunlich viele Korrelationen identifizieren, die sehr vielen, auch grundsätzlichen subjektiv-geistigen Phänomenen auf diese Weise neuronale Strukturen und Prozesse zuordnen, die zur ‚Erklärung‘ benutzt werden können. Sofern man dies tun kann und es dann auch tut, werden die subjektiv-geistigen Phänomene in die Sprache neuronaler Prozesse übersetzt; damit wirken diese subjektiven Begriffe leicht ‚obsolet‘, ‚überflüssig‘. Zugleich tritt damit möglicherweise eine Nivellierung ein, eine ‚Reduktion‘ von spezifischen ‚Makrophänomenen‘ auf unspezifische neuronale Mechanismen, wie sie sich in allen Lebewesen finden. Erklärung im Stil von Reduktion kann gefährlich sein, wenn man damit interessante Phänomene ‚unsichtbar‘ macht, die eigentlich auf komplexere Mechanismen hindeuten, als die ‚einfachen‘ Bestandteile eines Systems.

MATERIE – INFORMATION1 und INFORMATION2

8. Im Bereich der materiellen Struktur unseres Universums hat es sich eingebürgert, dass man die physikalische Entropie mit einem Ordnungsbegriff korreliert und darüber auch mit dem statistischen Informationsbegriff von Shannon. Ich nenne diesen Informationsbegriff hier Information1.

9. Davon zu unterscheiden ist ein anderer Informationsbegriff – den ich hier Information2 nenne –, der über die Statistik hinausgeht und eine Abbildung impliziert, nämlich die Abbildung von einer Struktur auf eine andere. Im Sinne der Semiotik (:= allgemeine Lehre von den Zeichen) kann man dies als eine ‚Bedeutungsbeziehung‘ deuten, für die es auch den Begriff ’semantische Beziehung‘ gibt. Für die Realisierung einer Bedeutungsbeziehung im Sinne von Information2 benötigt man im physikalischen Raum minimal drei Elemente: eine Ausgangsgröße, eine Zielgröße und eine ‚vermittelnde Instanz‘.

10. Im Falle der Selbstreproduktion der biologischen Zellen kann man genau solch eine Struktur identifizieren: (i) die Ausgangsgröße sind solche Moleküle, deren physikalische Eigenschaften ‚für den Vermittler‘ als ‚Informationen2‘ gedeutet werden können; (ii) die Zielgröße sind jene Verbindungen von Molekülen, die generiert werden sollen; (iii) die vermittelnde Instanz sind jene Moleküle, die die Moleküle mit Information2 ‚lesen‘ und dann die ‚Generierungsprozesse‘ für die Zielgrößen anstoßen. Dies ist ein komplexes Verhalten, das sich aus den beteiligten Elementen nicht direkt ableiten lässt. Nur auf den Prozess als solchen zu verweisen, ‚erklärt‘ in diesem Fall eigentlich nichts.

11. Interessant wird dies nun, wenn man bedenkt, dass das mathematische Konzept, das den heutigen Computern zugrunde liegt, der Begriff des programmierten Automaten, ebenfalls solch eine Struktur besitzt, die es ermöglicht, Information2 zu realisieren.

12. Dies bedeutet, dass sowohl der ‚Kern‘ des Biologischen wie auch der ‚Kern‘ des neuen Künstlichen beide die Grundstruktur von Information2 repräsentieren.

13. Sofern nun das ‚Lebendige‘, das ‚Geistige‘ reduzierbar sind auf eine Information2-fähige Struktur, müsste man nun folgern, dass die Computertechnologie das gleiche Potential besitzt wie das Biologische.

OFFENE FRAGEN

14. Offen bleibt – und blieb bei dem Werkstattgespräch –, ob diese Reduktion tatsächlich möglich ist.

15. Die Frage, ob eine reduktionistische Erklärungsstrategie ausreichend und angemessen ist, um die komplexen Phänomene des Lebens zu deuten, wird schon seit vielen Jahren diskutiert.

16. Eine reduktionistische Erklärungsstrategie wäre ‚unangemessen‘, wenn man sagen könnte/ müsste, dass die Angabe einer Verhaltensfunktion f: I –-> O auf der Basis der beobachteten Reaktionen (Input I, Output O) eines Systems ‚Eigenschaften des Systems‘ sichtbar macht, die sich durch die bekannten Systembestandteile als solche nicht erklären lassen. Dies gilt verstärkt, wenn die Bestandteile eines Systems (z.B.die physikalischen Gatter im Computer oder die Neuronen im Gehirn) von sich aus keinerlei oder ein rein zufälliges Verhalten zeigen, es sei denn, man würde – im Falle des Computers – ‚in‘ die Menge der Gatter eine ‚Funktion‘ ‚hineinlegen‘, die dazu führt, dass sich die Gatter in dieser bestimmten Weise ‚verhalten‘. Würde man nun dieses spezifische Verhalten dadurch ‚erklären‘ wollen, dass man einfach die vorhandenen Gatter verweist, würde man gerade nicht erklären, was zu erklären wäre. Überträgt man diesen Befund auf biologische oder generell physikalische Systeme, dann müsste man mindestens mal die Frage stellen, ob man mit den reduktionistischen Strategien nicht genau das vernichtet, was man erklären sollte.

17. Eine Reihe von Physikern (Schrödinger, Davis) haben das Auftreten von Information2 im Kontexte des Biologischen jedenfalls als eigenständiges Phänomen gewürdigt, das man nicht einfach mit den bekannten physikalischen Erklärungsmodellen ‚erklären‘ kann.

AUSBLICK PHILOSOPHIEWERKSTATT MAI UND JUNI

18. Die nächste Philosophiewerkstatt am 10.Mai 2015 will sich der Frage widmen, wie ein einzelner innerhalb einer multikausalen Welt überhaupt noch sinnvoll entscheiden kann. Speziell auch die Frage, welche Wirkung man überhaupt noch erzielen kann? Ist nicht irgendwie alles egal?

19. Die Philosophiewerkstatt am 14.Juni ist die letzte Werkstatt vor der Sommerpause. Es wird im Anschluss an die Sitzung ein offener Abend mit voller Restauration angeboten werden und mit der Möglichkeit, über das weitere Vorgehen zu diskutieren (welche Formate, zusätzliche Ereignisse,…).

Einen Überblick über alle Beiträge zur Philosophiewerkstatt nach Themen findet sich HIER

ENDSPIEL, ENDKAMPF, ODER NEUER EVOLUTIONSSCHUB?

(Letzte Änderungen: 23.Nov.2014, 14:46h)

1. Während der Begriff ‚Endspiel‘ durch seine sportliche Konnotationen noch keinen letzten Schrecken verbreiten muss, klingt ‚Endkampf‘ biblisch-apokalyptisch: Endzeitstimmung; das Böse kämpft gegen das Gute; alles steht auf dem Spiel. ‚Evolutionsschub‘ deutet die Perspektive der Naturwissenschaften an, eine methodische Objektivität eines ‚Strukturwandels‘, der sich ’natürlich‘ aus der ‚Vorgeschichte‘ ergibt. Obwohl ich grundsätzlich der naturwissenschaftlichen Sicht zuneige als Grundlage aller Argumentationen über unsere empirisch erfahrbare Welt und damit bei weitreichenden Veränderungen eher einen ’natürlichen Strukturwandel‘ unterstelle, haben wir es bei dem aktuellen Strukturwandel mit Phänomenen zu tun, in die ’subjektive Anteile‘ von beteiligten Menschen, Gruppierungen, Parteien, Firmen usw. mit eingehen. Die ‚Natur‘ hat zwar aufgrund der Gesamtheit aller beteiligten physikalischen Eigenschaften ‚von sich aus‘ eine — möglicherweise ’spezifische‘ — ‚Tendenz‘ sich zu verändern, aber der weltweite Einfluss biologischer Systeme auf den weiteren Gang mit der ‚biologischen Eigendynamik, die – wir wir wissen – gegen grundlegende physikalische Gesetze (z.B. 2.Hauptsatz der Thermodynamik) gerichtet zu sein scheint, erscheint mittlerweile so stark, dass der biologische Faktor neben den physikalischen Prinzipien ein Gewicht gewonnen hat, welches es verbietet, rein ‚technisch‘ von einem Evolutionsschub als ‚ausrechenbarem Strukturwandel‘ zu sprechen.

2. In diesem globalen Kontext erscheint ein Thema wie Informatik & Gesellschaft auf den ersten Blick eher speziell; auf den zweiten Blick zeigt sich aber gerade in diesem Thema eine der globalen Verwerfungslinien zwischen dem ‚Zustand bisher‘ und dem ‚Zustand, der neu beginnt‘. Das Thema ‚Informatik‘ bzw. ‚Computertechnologie‘ galt eher als Teil der Technologie, die nicht eigentlich der ‚Natur‘ zugeordnet wurde. Wie überhaupt seit Aufkommen der ‚Maschinen‘ die Maschinen als Leitmuster der Technologie immer als Gegensatz zur ‚chemischen und biologischen Evolution‘ gesehen wurden. Neben vielen kulturellen Denkmustern, die solch eine ‚Trennung‘ begünstigten, war es sicher auch die mindestens von der antiken Philosophie herrührenden Trennung von ‚unbelebt‘ (die ‚Stoffe‘, ‚Subtsanzen‘, die ‚Materie‘ als solche sind ‚unbelebt‘) und ‚belebt‘ (‚atmend‘ (pneo), Atem als universelles Lebensprinzip (pneuma)), das seinen Ausdruck im ‚Geist‘ (pneuma‘) findet. Da dieser Gegensatz von ‚unbelebt‘ und ‚belebt‘ mehr als 2000 Jahre nicht wirklich aufgelöst werden konnte, konnte sich eine Art ‚Dualismus‘ ausbilden und durchhalten, der wie eine unsichtbare Trennlinie durch die gesamte Wirklichkeit verlief: alles, was nicht ‚atmete‘ war unbelebt, materiell, un-geistig; alles was atmete, belebt war, befand sich in einer Nähe zum universellen Geistigen, ohne dass man eigentlich näher beschreiben konnte, was ‚Geist‘ denn nun genau war. Nicht verwunderlich, dass sich alle großen Religionen wie ‚Hinduismus‘, ‚Judentum‘, ‚Buddhismus‘, ‚Christentum‘, ‚Islam‘ (trotz z.T. erheblicher Differenzen in den Details), diesem Dualismus ’nachbarschaftlich verbunden fühlten‘. Der intellektuell-begriffliche ‚Ringkampf‘ der christlichen Theologie und Philosophie (und streckenweise des Islam, Avicenna und andere!) mit diesem dualistischen Erbe hat jedenfalls tiefe Spuren in allen theologischen Systemen hinterlassen, ohne allerdings dieses ‚Rätsel des Geistes‘ auch nur ansatzweise aufzulösen.

3. Diesen historischen Kontext muss man sich bewusst machen, um zu verstehen, warum für viele (die meisten? Alle?) die plötzliche ‚Nähe‘ der Technologie im alltäglichen Leben, eine sich immer mehr ‚anschmiegende‘ und zugleich ‚verdrängende‘ Technologie an diesem im Alltagsdenken ‚historisch eingebrannten‘ Dualismus‘ zu kratzen beginnt, zu wachsenden Irritationen führt (andere Technologien wie Nanotechnologie und Gentechnik gehören auch in diesen Kontext, wenn auch anders).

4. Im Ankündigungstext zur erwähnten Veranstaltung Informatik & Gesellschaft (siehe auch den Kurzbericht) wurde bewusst herausgestellt, dass seit den ersten Computern eines Konrad Zuse und dem Eniac-Computer von John Presper Eckert und John William Mauchly (1946) die Computertechnologie mittlerweile nahezu alle Bereiche der Gesellschaft in einer Weise durchdrungen hat, wie wohl bislang keine andere Technologie; dass diese Technologie realer Teil unseres Alltags geworden ist, sowohl im Arbeitsleben wie auch in der Freizeit. Man kann sogar sagen, dass diese Technologie die menschliche Lebensweise schon jetzt (nach ca. 60 Jahren) real und nachhaltig verändert hat. Neue Formen der Kommunikation wurden ermöglicht, Veränderungen der Mobilität, automatisierte flexible Produktion, Computermusik, computergenerierte Bildwelten…

5. Aber diese Durchdringung von nahezu allem – was heißt das? Die neue historische Qualität dieser Technologie besteht darin, dass diese Technologie – bislang immer noch klar erkennbar als ‚Maschinen‘, bislang nicht als ‚biologische‘ Strukturen – ‚Verhaltensweisen‘ zeigt, die denen der Menschen als Prototypen von ‚geistigen‘ Wesen ähneln. Aufgrund dieser ‚Ähnlichkeit‘ werden sie Teil von ‚typisch menschlichen‘ Handlungsabläufen (Kommunizieren, Wissen verwalten, Sport und Kunst machen, Spielen, komplexe Modelle und Prozesse entwerfen und simulieren, dann auch steuern, usw.). Seit den 80iger Jahren des 20.Jahrhunderts – also nach nicht mal ca. 30-40 Jahren — hat sich diese Technologie so mit dem menschlichen Alltag verwoben, dass eine moderne industrielle Gesellschaft komplett zusammenbrechen würde, würde man diese Technologie von jetzt auf gleich abschalten.

6. Befürworter eines noch intensiveren Einsatz dieser neuen Computertechnologien z.B. im Bereich der Industrie unter dem Schlagwort ‚Industrie 4.0‘ (so z.B. Prof. Schocke in seinem Beitrag auf der Veranstaltung Informatik & Gesellschaft – Kurzbericht oder die Autoren Thomas Klein und Daniel Schleidt in der gleichnamigen FAZ Beilage vom 18.Nov.2014 auf den Seiten V2 (Klein) und V6 (Schleidt)) sehen vor allem das Potential zu noch mehr Produktionssteigerungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität und besserer Ressourcennutzung. Gleichzeitig betonen die drei Autoren die Notwendigkeit von mehr Computertechnologie in der Industrie wegen des internationalen Wettbewerbs. Von den drei genannten Autoren spricht einzig Thomas Klein auch die Kehrseite des vermehrt ‚menschenähnlichen‘ Einsatzes dieser Maschinen im Kontext von Industrie 4.0 an: das damit möglicherweise auch viele Arbeitsplätze wegfallen werden, die bislang für Menschen Arbeitsmöglichkeiten geboten haben. Klein zitiert Untersuchungen, nach denen 47% der bisherigen Arbeitsplätze in den USA in den nächsten 10 Jahren Kandidaten für eine Substitution durch Computergestützte Technologien sind. Dies sind massive Zahlen. Dalia Marin, Professorin für Volkswirtschaft, versucht diese kommende Arbeitsmarktproblematik weiter zu differenzieren. Ausgehend von der Annahme, dass mehr Automatisierung kommen wird, sieht sie neben dem Rückzug von Hochtechnologieproduktionen in die angestammten Industrieländer dort aber die grundsätzliche Entwicklung zur Vergrößerung der Kapitalquote und zur Verringerung der Lohnquote. Diese Verringerung soll vor allem den Akademikersektor treffen; teure menschliche Arbeitskräfte werden bevorzugt von billigen computerbasierten Technologien ersetzt (FAZ 21.Nov.2014, S.16). Sowohl Klein wie auch Marin betonen aber auch, dass solche Zukunftseinschätzungen problematisch sind; der Prozess ist zu komplex, als dass man ihn einfach hochrechnen könnte.

7. Was bei allen vier genannten Autoren auffällt – auch bei den Autoren der Beilage ‚Innovation‘ (FAZ 20.Nov.2014) – ist, dass sie die ‚intelligente‘ und ’smarte‘ Technologie überwiegend aus einer ‚Außensicht‘ behandeln. Sie lassen die Wirkmechanismen dieser neuen Technologien, ihre maschinelle Logik, das, was sie so leistungsfähig macht, mehr oder weniger im Dunkeln. Smarte, intelligente Technologie erscheint dadurch – ich pointiere jetzt ein wenig — wie ein Naturereignis, das geradezu mystisch über uns hereinbricht, das einfach passiert, das so ist wie es ist, das man einfach hinnehmen muss. Auch fehlt eine historische Einordnung dieser Prozesse in das große Ganze einer Evolution des Lebens im Universum. Die sehr differenzierten Sichten von Daniel Schleidt enthalten zwar ein eigenes Schaubild zur industriellen Entwicklung, aber dieses greift – nach meiner Einschätzung – zu kurz. Es zementiert nur eher den opaken Blick auf das Phänomen, macht es begrifflich unzugänglich, schottet es für die Reflexion ab. Auch die volkswirtschaftliche Ausweitung des Blicks durch Marin geht – nach meiner Einschätzung – nicht weit genug. Sie betrachtet das Problem einer möglichen und wahrscheinlichen Substitution von menschlicher Arbeit durch computerbasierte Technologien in gegebenen historischen Kontexten und hier auch nur in einer kurzen Zeitspanne. Sie thematisiert aber nicht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als solche. Sehr wohl kann man die Frage nach dem aktuellen Gesellschaftsmodell stellen. Sehr wohl kann man die Frage aufwerfen, ob es ein gutes Modell ist, wenn einige wenige GFinanz- und Machteliten mit dem Rest der Menschheit nach Belieben spielen. In der Frankfurter Rundschau wird seit vielen Wochen das Thema ‚Gerechtigkeit‘ diskutiert (siehe zuletzt z.B. Mohssen Massarat, Prof. für Wirtschaft und Politik mit seiner Übersicht verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, FR 15./16.Nov.2014, S.9) und die Lektüre eines Buches wie ‚Die Abwicklung‘ von George Packer zeigt, dass eine reflexionsfreie oligopolistische Gesellschaft wie die US-Amerikanische mehr Fragen aufwirft als sie befriedigende Antworten liefert.

8. Sieht man nur die bisherigen Diskussionsbeiträge, dann kann einen schon die klamme Frage beschleichen, warum so viele Autoren in den Spiegeln der Gegenwart immer nur noch ‚das Andere‘ sehen, die ‚Maschine‘, während der ‚Mensch‘, die ‚Menschheit‘ als Hervorbringer dieser Technologien in diesem Sichtfeld gar nicht mehr vorkommt. Es ist wie ein intellektueller blinder Fleck, der die leisesten Zuckungen von Maschinen wie eine Neugeburt feiert während das ungeheuerliche Wunder der Entstehung komplexer Lebensstrukturen auf der Erde (das bis heute in keiner Weise wirklich verstanden ist!) nicht einmal eine Randnotiz wert ist. Fokussierung auf spezifische Fragestellung hat seinen Sinn und ist und war ein Erfolgsrezept, aber in einer Zeit, in der disziplinenübergreifend komplexe Phänomene alles mit allem verzahnen, in einer solchen Zeit erscheint diese selbstgenügsame Tugend nicht mehr nur nicht angebracht, sondern geradezu kontraproduktiv zu sein. Eine falsche Fokussierung führt bei komplexen Phänomenen notwendigerweise zu Verzerrungen, zu Verfälschungen, zu falschen Bildern von der Gegenwart und einer sich daraus ergebenden Zukunft (es sei auch an die lange Diskussion in der FAZ erinnert zu den Schwachstellen moderner Betriebs- und Volkswirtschaftstheorien, die nicht nur die letzten Finanzkatastrophen nicht vorhergesehen haben, sondern auch mit ihrem Paradigma des ‚homo oeconomicus‘ empirisch weitgehend gescheitert sind.)

9. Wenn nun also Menschen selbst das Andere ihrer selbst anpreisen und sich selbst dabei ‚wegschweigen‘, ist damit die Geschichte des biologischen Lebens im Universum automatisch zu Ende oder unterliegen wir als menschlich Denkende hier nicht wieder einmal einem grundlegenden Denkfehler über die Wirklichkeit, wie andere Generationen vor uns auch schon in anderen Fragen?

10. Die Verabschiedung der UN-Menschenrechtskonvention von 1948, damals als ein Lichtblick angesichts der systematischen Greueltaten gegen die Juden (aber aber nicht nur dieser!) und der Beginn vieler anderer daran anknüpfenden Erklärungen und Initiativen erscheint vor den aktuellen gesellschaftlichen Prozessen weltweit fast schon seltsam. Dass ein totalitäres Regime wie das chinesische die Menschenrechte grundsätzlich nicht anerkennt (wohl aber chinesische Bürger, siehe die Charta 2008) ist offiziell gewollt, dass aber selbst demokratische Länder – allen voran die USA – mit den Menschenrechten scheinbar ’nach Belieben‘ umgehen, sozusagen, wie es ihnen gerade passt, dass wirkt wenig ermutigend und gibt Nahrung für Spekulationen, ob die Menschenrechte und die Mitgliedschaft in der UN nur davon ablenken sollen, was die Finanz- und Machteliten tatsächlich wollen. Die Zerstörung ganzer Gesellschaftsbereiche, die Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, die unbeschränkte Aufhebung der Privatsphäre ohne alle Kontrollen, die globale Ausbeutung der Schwachen durch Handelsabkommen … nur wenige Beispiele die eine andere Sprache sprechen, als jene, die in den Menschenrechten vorgezeichnet ist.

11. Noch einmal, was auffällt, ist die ‚Oberflächlichkeit‘ all dieser Bilder im wahrsten Sinn des Wortes: die schier unfassbare Geschichte der Evolution des Lebens im Universum existiert eigentlich nicht; das Wunder des Geistes inmitten materiell erscheinender Strukturen ist weitgehend unsichtbar oder ist eingesperrt in eine gesellschaftliche Enklave genannt ‚Kultur‘, die nahezu kontaktlos ist mit dem Rest des Wirtschaftens, Produzierens und Denkens; eine ‚Kultur der Sonntagsreden‘ und der ‚Belustigungen‘, ein Medium für die Eitelkeit der Reichen und der Unterhaltungsindustrie.

12. Innovation entsteht nie nur aus der Wiederholung des Alten, sondern immer auch aus der Veränderung des Alten, entsteht aus dem gezielt herbeigeführten ‚Risiko‘ von etwas ‚tatsächlich Neuem‘, dessen Eigenschaften und Wirkungen per se nicht vollständig vorher bekannt sein können.

13. Die, die aktuell neue Technologien hervorbringen und einsetzen wollen, erscheinen ‚innovativ‘ darin, dass sie diese hervorbringen, aber in der Art und Weise, wie sie das biologische Leben – speziell die Menschen – damit ‚arrangieren‘, wirken die meisten sehr ‚alt‘, ‚rückwärtsgewandt‘, …. Innovationen für das Menschliche stehen ersichtlich auf keiner Tagesordnung. Das Menschliche wird offiziell ‚konserviert‘ oder schlicht wegrationalisiert, weggeworfen, ‚entsorgt‘; hier manifestiert sich ein seltsamer Zug dazu, sich selbst zu entsorgen, sich selbst zu vernichten. Die Quelle aller Innovationen, das biologische Leben, hat in Gestalt der Menschheit einen ‚blinden Fleck‘: sie selbst als Quelle.

14. Der Mangel an Wissen war zu allen Zeiten ein Riesenproblem und Quelle vieler Notlagen und Gräueltaten. Dennoch hat die Menschheit trotz massiver Beschränkungen im Wissen neues Wissen und neue Strukturen entwickelt, die mehr Teilhabe ermöglichen, mehr Einsichten vermitteln, mehr Technologie hervorgebracht haben, ohne dass ein ‚externer Lehrer‘ gesagt hat, was zu tun ist… wie ja auch alle Kinder nicht lernen, weil wir auf sie einreden, sondern weil sie durch den bisherigen Gang der Evolution für ein kontinuierliches Lernen ausgestattet sind. … Der Geist geht dem Denken voraus, die Logik der Entwicklung liegt ‚in‘ der Materie-Energie.

15. So großartig Innovationen sein können, das größte Mirakel bleibt die Quelle selbst. Wunderbar und unheimlich zugleich.

QUELLEN

George Packer (3.Aufl. 2014), Die Abwicklung. Eine innere Geschichte des neuen Amerika. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag GmbH (die engl. Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ‚The Unwinding. An Inner History of the New America‘. New York: Farrar, Strauss and Giroux).

Einen Überblic über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

PSYCHOLOGIE DER SUCHE – UND MANCH ANDERES. Zur Philosophiewerkstatt vom 9.Nov.2014

A) PSYCHOLOGIE DER SUCHE
B) SELBSTORGANISATION DES DENKENS
C) NEUE MUSIK
D) SUBJEKTIVE GEWISSHEIT – OBJEKTIVER RAHMEN
E) MENSCH UND COMPUTER
F) SELBSTVERNICHTUNG DES MENSCHEN?
G) PROGRAMMENTWURF FÜR So 14.Dez.2014

1. Nach dem Start der philosophieWerkstatt v2.0 am 12.Oktober (siehe einen subjektiven Bericht davon hier) hat sich die Zahl der TeilnehmerInnen mehr als verdoppelt. Dies erweiterte den Raum der Erfahrungen, die in das Gespräch eingehen können. Aber eine größere Anzahl verändert auch den Fluss eines Gespräches. Man muss lernen, wie man damit umgeht.

A) PSYCHOLOGIE DER SUCHE

2. Das Gespräch startete mit einem kurzen Bericht von der ersten Sitzung (siehe das Schaubild vom letzten Bericht). Darauf bezogen gab es unterschiedliche Rückmeldungen, die aber dieses Mal nicht alsbald zu dem ‚Gesprächsfluss‘ führte, wie er die erste Sitzung charakterisierte, sondern erweckte bei den Beteiligten den Eindruck eines auf der Stelle Tretens. Man hatte subjektiv individuell Erwartungen, aber diese fand man im aktuellen Gesprächsgeschehen nicht wieder.

Stichwortsammlung 9.Nov.2014 (rosa Ellipsen)
Stichwortsammlung 9.Nov.2014 (rosa Ellipsen)

3. In solchen Situationen einer ‚quälenden Ungewissheit‘ ist es eine häufige Versuchung, nach altbekannten Rezepten zu greifen, um ‚irgendetwas‘ zu machen, damit man überhaupt etwas macht; ‚quälende Ungewissheit‘ wird jedenfalls bei den meisten als ‚unangenehm‘ empfunden.

4. Jeder, der schon mal ein Problem in einer bestimmten Zeit lösen musste, kennt diese Situation. Man muss (oder will) eine Lösung finden, aber aktuell hat man sie noch nicht. Was tut man? Wo fängt man an? Wo sollte man suchen? Man spürt seine eigene Unzulänglichkeit. Man zweifelt an sich. Man wird unruhig? Man fragt sich, ob es die richtige Entscheidung war, sich in diese Situation zu bringen… und Ähnliches.

5. Die Gruppe hat diese Situation eines gemeinsamen Suchens ohne aktuell subjektiv befriedigende Situation sehr konstruktiv gelöst. Keiner stand auf und ging einfach weg. Jeder versucht, die Situation konstruktiv anzunehmen und doch noch eine Lösung zu finden.

6. Eine Phase von Gesprächen in kleineren Gruppen löste die Lähmung auf, führte zu lebhaften inspirierenden Gesprächen und führte dann zu einem ‚Plan‘ für das weitere Vorgehend bei der nächsten Sitzung.

B) SELBSTORGANISATION DES DENKENS

7. Die individuell-gemeinschaftliche Suche nach etwas, was in sich noch nicht so bekannt ist, wo der Weg tatsächlich ein wesentlicher Teil des Zieles ist, unterliegt gewissen Randbedingungen, die gewisse Verhaltensweisen bedingen.

8. So macht es natürlich einen Unterschied, ob man einen Abend bei ‚Punkt Null‘ beginnt, ohne Voraussetzungen in der Vergangenheit; man kann direkter zu den Punkten kommen. Da nur 1/3 der Teilnehmer vom 12.Okt.2014 auch am 9.Nov. anwesend waren, wussten 2/3 am aktuellen Abend nichts von der Vorgeschichte. Die Vermischung von letzter Sitzung und aktueller Sitzung wirkte daher weniger inspirierend sondern eher wie ein Bremsklotz. Die Gruppe erarbeitete die Hypothese, jede Sitzung mit einem bestimmten Thema anzufangen, das von einer Mehrheit als ‚gesprächswürdig‘ angesehen wird.

9. Ferner spielt natürlich die Anzahl eine Rolle. Je mehr Gesprächsteilnehmer anwesend sind, umso schwieriger wird ein Gespräch, da man auf immer mehr Erwartungshorizonte eingehen muss. Dies wird ab 4-5 Personen schon zunehmend schwer. Eine Klärung der eigenen Position zu einem Thema sollte daher einen Kommunikationsraum haben, der ‚Leichtgängig‘ ist. Die Gruppe erarbeitete daher die weitere Arbeitshypothese, zumindest zu Beginn des Treffens eine oder zwei Gesprächsphasen in kleinen Gruppen zu organisieren, die dann als Gruppe fokussiert ihre Ergebnisse allen anderen vorstellen. Anhand des Bildes, das dann aus diesen Gruppengesprächen entstehen, könnte man dann immer gemeinsame Reflexions- und Gesprächsphasen einschieben.

10. Auf diese Weise kann man überschaubare, persönliche Gesprächsprozesse erhalten, kann sich jede Gruppe dort abholen, wo sie steht, kann sich zusätzliche ein übergreifendes ‚Gedankenbild‘ entwickeln, das man im Kontext bekannter Erkenntnisse/ Modelle/ Theorien diskutiert.

C) NEUE MUSIK

11. Der Veranstalter macht unter dem Namen cagentArtist seit ca. 6 Jahren Experimente mit Klangräumen auf der Suche nach ’neuen Klängen‘. Dabei hat er vielfältige Erfahrungen gemacht beim ‚Suchen‘ nach neuen Klängen. Wie sucht man nach etwas, was man noch nicht kennt? Er hat dazu eine Methode entwickelt die das Individuum ins Zentrum stellt, die unabhängig ist von individuellen Fähigkeiten, von vieljährigen Trainingsprogrammen, unabhängig von ‚herrschendem Geschmack‘, von welchen Monopolen auch immer. Es geht um eine Begegnung mit neuen Klängen ‚für jeden‘, ‚zu jeder Zeit‘, ‚unabhängig‘ vom Monopol eines Senders, einer Redaktion, eines Sinfonieorchesters, vom Mainstream: ‚Bottom-Up‘, ‚Graswurzel‘ …. Das Bild vom großen Künstler, der eine ‚göttliche Inspiration‘ empfängt, die er ‚meisterlich‘ in eine ‚Form gießt‘, die die ‚hohe Musik‘ verkörpert, ist eine Ideologie. Sie begründet zu Unrecht eine Machtstruktur der ‚Musikwissenden hier‘ und der ‚Musikunmündigen‘ ansonsten. Dies führt zu einer Entmündigung fast aller Menschen in Sachen Musik. Oder der ‚Mainstream‘ als ‚Terror‘. Es geht um eine ‚Demokratisierung‘ des Umgangs mit Musik.

12. Es entstand im Gespräch die Idee, zu Beginn jeder Sitzung ein kurzes Musikstück aus dem Bereich der neuen Musik anzuhören und dann kurz über die ‚Emotionen‘ zu sprechen, die es auslöst, über den Weg, wie diese Klänge entstanden sind, und ob und wie man selbst einen Weg zu Klängen hätte.

D) SUBJEKTIVE GEWISSHEIT – OBJEKTIVER RAHMEN

13. In einer kurzen, aber ‚emotional wirksamen‘ Phase, gab es Dialoge zum Thema ’subjektive Gewissheit‘, z.B. dass hier ‚objektiv‘ ein Tisch sei, weil ich ihn anfassen kann, und den objektiven Erkenntnissen der modernen Physiologie und Gehirnforschung andererseits, dass das Gehirn als Zentrum vielfältiger Informationsverarbeitung im Körper, natürlich nicht den ‚Tisch als solchen‘ ‚wahrnimmt‘, sondern nur die ‚Wirkungen‘ übermittelt bekommt, die der ‚Tisch da draußen‘ auf die beteiligten Sinnesorgane auslöst. Aus den Daten der Sinnesorgane (auch der ‚inneren‘ (propriozeptiven) Sinnesorgane) konstruiert dann das Gehirn sein Bild von der ‚Welt da draußen‘.

14. Es gab bei einzelnen Schwierigkeiten, die subjektive Erkenntnis mit den Daten der modernen empirischen Wissenschaften zu verschränken. Die Schwierigkeit bestand darin, den Wahrheitsgehalt der subjektiven Erkenntisse in den objektiv-empirischen Erkenntniszusammenhang ‚einzubetten‘; die subjektive Erkenntnis wird damit nicht ‚aufgehoben‘, wohl aber ‚zusätzlich interpretiert‘.

15. Die ‚Objektivität‘ wird damit nicht vernichtet, sondern gestärkt. ‚Wahrheit‘ verschwindet nicht, sondern wird dadurch nur differenzierter. Dass es Menschen gibt, die sich ‚Philosophen‘ nennen und die aus den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften eine allgemeine ‚Relativierung‘ ableiten, erscheint nicht zwingend, müsste aber in einem längeren differenzierten Gespräch erklärt werden.

E) MENSCH UND COMPUTER

16. Im Nachgespräch einer kleinen Gruppe wurde höchst intensiv die Frage diskutiert, ob und wieweit ein Computer einen Menschen ’nachbilden‘ oder gar ‚ersetzen‘ können. Es wurden sehr viele kluge Dinge gesagt. Die Kernfrage einer Teilnehmerin, wieweit das an die Körperlichkeit gebundene ‚Kinderkriegen‘ durch eine Frau und die damit einhergehende ‚Weiterentwicklung‘ eines Menschen/ der Menschheit durch Maschinen (Computer) ’nachgebildet‘ werden könnte, blieb trotz einiger Argumente noch etwas offen.

F) SELBSTVERNICHTUNG DES MENSCHEN?

17. Im Zusammenhang der aktuellen Diskussion um die kommende ‚Weltherrschaft der Maschinen‘ (Singularitätshypothese, Transhumanismus) kann man den Eindruck gewinnen, dass die Diskussionsteilnehmer ‚wie besoffen‘ von den Fähigkeiten der ’neuen Maschinen‘ sind, ohne sich dabei noch irgendwelche Gedanken über den Menschen zu machen. Das Wunder des Lebens auf der Erde (und damit im Universum), das sich seit ca. 4 Mrd.Jahren in extrem komplexen und erstaunlichen Prozessen abgespielt hat, wird vollständig ausgeklammert. Die vielen grundlegenden Fragen, die sich hier stellen, die alle noch nicht beantwortet sind, werden gar nicht erst diskutiert.

18. Dass die ‚alten Menschenbilder‘ der bisherigen Traditionen (insbesondere auch der großen Religionen (Hinduismus, Judentum, Buddhismus, Christentum, Islam) bei heutigem Wissensstand vielfach nicht mehr adäquat sind, ist eine Sache, aber dann den Menschen quasi einfach in der Versenkung schwinden zu lassen als sich der Herausforderung eines ’neuen Menschenbildes‘ zu stellen, ist nicht nur methodisch unsauber sondern natürlich ein direkter Angriff auf die Gesamtheit des Lebens im Universum schlechthin. Der Mensch schafft sich selbst ab; das ist mehr als Genozid (was eigentlich von der UN geächtet ist).

19. Während ‚Religion‘ eigentlich etwas Existentiell-Empirisches ist, das seine ‚Wurzeln‘ im ‚Transzendenten‘ zu ’spüren‘ meint, scheinen die ‚Institutionen‘ der Religionen eher ‚Machtgetrieben‘ zu sein, die im Konfliktfall das Existentiell-Empirische der Religion bekämpfen. Das Existentiell-Empirische wertet den einzelnen Menschen (jedes Lebewesen!?) grundlegend auf. Religiöse Erfahrung verbindet jeden potentiell mit Gott, was aber eine institutionelle Macht in Frage stellt.

20. Im Kontext der Diskussion um das ‚Neue Menschenbild‘ erscheinen die von den religiösen Institutionen ‚propagierten‘ Menschenbilder daher tendenziell ‚verzerrt‘, ‚partiell‘, ‚irreführend‘. Wenn dies zutrifft – als Autor gehe ich davon aus –, dann helfen die Menschenbilder der institutionellen Religionen uns momentan wenig in der Auseinandersetzung um das ‚Neue Menschenbild‘. Im Gegenteil, sie blockieren den Zugang zu dem ‚je größeren Bild‘ vom Menschen im Universum, vom Leben im Universum, und damit bedrohen sie die ‚Zukunft‘ des Lebens unmittelbar.

G) PROGRAMMENTWURF FÜR So 14.Dez.2014

21. Für die nächste Sitzung wurde von den Anwesenden daher folgender Programmvorschlag formuliert:
22. Eingangsbeispiel eines Experimentes zur ‚Neuen Musik‘ mit kurzem Gespräch
23. Kurze Einführung zum Thema ‚Emotionen‘
24. Erste Gesprächsrunde in kleinen Gruppen (3-4) zum Thema
25. Berichte der Gruppen und Diskussion
26. Eventuell Wiederholung Gesprächsgruppen und gemeinsame Diskussion
27. Mögliche Aufgabenstellung für nächstes Treffen
28. Offener Ausklang

Erste Vorübelegungen zur philosophieWerkstatt v2.0 am 14.12.2014 finden sich HIER.

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INFORMATIK & GESELLSCHAFT – Samstag 8.Nov.2014 – Veranstaltungshinweis in eigener Sache

1. Wer die Einträge in diesem Blog verfolgt, wird bemerkt haben, dass für den Autor dieses Blogs die vielfältigen Erscheinungsweisen des Computers keine ‚rein technischen Phänome‘ repräsentieren, sondern ein tieferliegendes Prinzip sichtbar machen, das mit der ‚Geistigkeit des Menschen‘ und der ‚Lebendigkeit‘ des ‚Biologischen‘ in einem wichtigen Zusammenhang steht.

2. In dem Maße wie das ‚Prinzip Computer‘ in seinen technischen Realisierungen immer mehr unseren Alltag durchdringt, Fähigkeiten und Eigenschaften des Menschen ‚kopiert‘, Menschen in Teilbereichen ersetzt, wird es immer wichtiger, dass wir uns ‚als Menschen‘ bewusst werden, was hier geschieht.

3. Ein ungebremster, auf reinen individuellen Profit ausgerichteter Kapitalismus, der in globalen Dimensionen operiert — verknüpft mit diesem mächtigen Prinzip des Computers — (und in Zusammenarbeit mit einer unkontrollierten Gentechnik, die schon jetzt jährlich allein in Deutschland viele Millionen Tiere gentechnisch verstümmelt, in die Abfalltonne wirft, um ‚patentierte Tiere‘ zu bekommen, die dann bestimmten Firmen als ‚Eigentum‘ gehören), kann immanent nur das Ziel haben, durch eine immer weiter voranschreitende Automatisierung und Datensammlung möglichst viel von der Welt unter seine Kontrolle zu bringen. Kurzfristig maximiert dies die individuellen Gewinne über alle bekannten Maßen.

4. Auf die Zukunft hochgerechnet versinkt der Rest der Gesellschaft in Bedeutungslosigkeit, wird zu einer Randbemerkung, eine Heerschar von Lobbyisten dient in Anbetung vor dem globalen Egoismus, Ausverkauf der Politik in Raten.

5. Wenn immer mehr arbeitslos werden und verarmen, dann wird der Mensch in einem ungeregelten Kapitalismus zur Belastung, zum Störfaktor, der Ressourcen verbraucht, aber scheinbar keine neuen erzeugt.

6. Man kann sich fragen, wer dann noch die Produkte der automatisierten Fabriken und die gentechnischen Biokreaturen ‚kaufen‘ soll/ will/ kann, wenn niemand mehr Geld hat außer denen, die egoistisch global produzieren; aber diese Frage scheint sich niemand zu stellen.

7. In dieses Szenario eines egoistischen globalen ‚menschenfreien‘ Kapitalismus fügt sich die Position der radikalen ‚Transhumanisten‘ wunderbar ein: sie gehen davon aus, dass die ‚Maschinen‘ das Prinzip des Computers irgendwann ‚von selbst‘ in die Hand nehmen und sich schneller und besser als die Menschen entwickeln werden. Die Frage nach dem ‚Wert‘ und dem ‚Sinn‘ des Menschlichen und dem Biologischen stellt sich für diese Position nicht mehr. Die Evolution wird sich künftig ohne Menschen (und überhaupt ohne biologisches Leben?) weiter entwickeln.

8. In der Vergangenheit haben sich Menschen immer wieder aufgelehnt, wenn die Ungleichheiten zwischen ‚egoistischem und kurzsichtigem Kapital‘ einerseits und den ‚Bürgern‘ zu groß wurden. Das kann sich prinzipiell jederzeit wiederholen. In sogenannten Demokratien sollte das Problem prinzipiell nicht auftreten. Aber die modernen Kommunikations- und Überwachungstechniken, die Kontrolle der Medien, die Unterwanderung der Politik durch Lobbyismus, die Militarisierung der Polizei (z.B. in den USA!) — um nur einige Punkte zu nennen – nimmt ein Ausmaß an, dass sich sogenannte ‚demokratische‘ Staaten und sogenannte ‚Diktaturen‘ immer weniger unterscheiden.

9. Im Zentrum steht die Frage, ob wir Menschen – bislang als Teil des Biologischen das einzig bekannte ‚Wunder‘ im gesamten bekannten Universum – für uns selbst ein Verständnis, eine Wertschätzung, einen Sinn, eine Zukunftsperspektive finden, die uns ‚Wert genug‘ erscheint, um uns gegenseitig hinreichend Wert zu schätzen und die uns hilft, gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, in der Menschen mehr sind als bloße ‚Ressourcenverbaucher‘, als bloße ‚Konsumenten‘, als bloße ‚billige Arbeitskräfte‘, als bloßer ‚Kostenfaktor‘.

10. Eine Rückbesinnung auf die ‚klassischen Religionen‘ in ihrem ‚klassischen Format‘ reicht nach meiner Einschätzung für eine solche Zukunft in keiner Weise aus. Die ‚klassischen Religionen‘ sind nicht wahr genug, nicht offen genug, lassen es letztlich zu, Menschen, die anders sind, zu töten, einfach so, weil es jemandem gerade mal gefällt. Wie kann jemand an Gott glauben, wenn er es zulässt, dass es das wunderbarste, was das bekannte Universum bislang hervorgebracht hat, das ‚Leben‘, einfach so zu unterdrücken, zu zerstören und zu töten?

11. Die Veranstaltung INFORMATIK & GESELLSCHAFT, Sa 8.Nov.2014 (Hier ausführliche Informationen zu den Beiträgen, den Referenten und Künstlern:  IuG-Zusatzinformationen-1-10-2014-1Okt2014) kann natürlich nur einen winzigen Bruchteil von diesem Spektrum thematisieren, sie kann nur ein weiterer kleiner Baustein sein, um uns gegenseitig zu helfen, uns unserer Verantwortung für das Leben bewusst zu werden. Vorträge mit ausführlichen Diskussionen, musikalische Experimente und ein Videowettbewerb bieten Raum, um mit zu machen. Alle sind eingeladen, diese Veranstaltung zu unterstützen. Es muss ja nicht die letzte dieser Art sein …

12. Hier ein Kurzbericht zur Veranstaltung INFORMATIK & GESELLSCHAFT vom 8.November 2014.

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DIE NEUROWISSENSCHAFTEN – EIN PHILOSOPHISCHES SCHWARZES LOCH? – Zu einem Artikel von W.Singer in der FAZ vom 17.September 2014

(Letzte Änderungen am Text: 21.Sept.2014, 22:06h)

Sound einer Galaxie oder doch eher von Neuronen oder von Galaxien eingefangen in den Vibrationen der Neuronen?

BEGRIFF (PHILOSOPHISCHES) SCHWARZES LOCH

1. Ein Schwarzes Loch (oder auch Black hole) ist in der Astrophysik – leicht vereinfachend – ein Raum-Zeit-Gebiet, das im Kern eine Massekonzentration besitzt, die so groß ist, dass in einem bestimmten Umfeld alle Materie (einschließlich der Lichtquanten) so stark angezogen wird, dass jenseits dieses Umfeldes (jenseits des ‚Ereignishorizontes‘) nichts mehr nach außen dringt (außer der sogenannten Hawking-Strahlung (benannt nach dem Physiker Stephen Hawking)). Im Prinzip kann ein schwarzes Loch immer weiter wachsen. Ab einer bestimmten Größe entstehen im Umfeld des Ereignishorizontes allerdings ‚Sperreffekte‘, die den Zufluss von Materie erschweren und über die Hawking-Strahlung verlieren schwarze Löcher kontinuierlich Energie.

2. Der Begriff ‚philosophisches‘ schwarzes Loch wird in diesem Beitrag benutzt als eine Metapher, um eine Denkweise zu charakterisieren, die die Vielfalt der Phänomene durch Beschränkung auf ein einziges Prinzip so stark nivelliert, dass von der Vielfalt anschließend nur noch bestimmte Fragmente übrig bleiben, die als solche zwar eine gewisse ‚Wahrheit‘ verkörpern, durch den eliminierenden Kontext aber letztlich ihre ursprüngliche Wahrheit verloren haben; vielleicht muss man sogar sagen, sie werden durch den falschen Kontext geradezu ‚falsch‘.

3. Ich stelle hier die frage, ob diese Metapher vom ‚philosophischen schwarzen Loch‘ anwendbar ist auf den Artikel von Wolf Singer in der FAZ vom 17.September 2014 S.N2. Würde meine Hypothese zutreffen, dann wäre dies fast tragisch, da hier eine Sache, die in sich gut und wichtig ist, die Hirnforschung, durch ihre methodische Übergrifflichkeit viele andere Sachen dermaßen entstellt und ihrer ontologischen Besonderheit beraubt, dass damit genau das Großartige, was die Gehirne in diese Welt eingebracht haben, von den Hirnforschern selbst totgemacht, zerstört würden.

4. Dies hier ist meine individuelle Hypothese. Vielleicht würde eine empirische soziologische Untersuchung im Rahmen einer Wissenssoziologie zu noch weitreichenderen kritischen Aussagen zu den Neurowissenschaften kommen. Aber für solche Wissenschaften ist es heute sehr schwer, Forschungsgelder zu bekommen.

DIE ARGUMENTATIONSFIGUR IM TEXT

5. Warum kann ich die Frage stellen, ob die Metapher von einem ‚philosophisch schwarzem Loch‘ auf den Artikel von Wolf Singer zutrifft?

6. In dem zitierten Artikel mit der Überschrift „Erst kommt das Denken, dann die Kunst“ soll es offiziell um das Verhältnis zwischen der Kunst und den Neurowissenschaften gehen; inoffiziell ergreift der Autor aber die Gelegenheit, aus Anlass eines Themas, das außerhalb der Neurowissenschaften liegt, primär die Bedeutung und Leistung der Neurowissenschaften heraus zu stellen; das auslösende Thema, der ‚Aufhänger‘ Kunst, gerät zu einer Art ‚Randnotiz‘: ja, es gibt irgendwo Kunst, ja, sie hat ein paar Eigenschaften, aber letztlich sind alle diese Eigenschaften unwichtig, da es eigentlich nur auf die Leistungen der neuronalen Verbände ankommt, die dem künstlerischen Verhalten letztlich zugrunde liegen. Die Neuronen und deren Verhalten repräsentieren die eigentliche, die wahre Wirklichkeit; sie erzählen uns, worum es geht …

7. Nun ist es ja unbestreitbar, dass die Neurowissenschaften seit ihrem Entstehen – letztlich viele Jahrhunderte; mit der klaren Einsicht in die Isoliertheit des Neurons aber dann erst seit ca. 120 Jahre – atemberaubende neue Einblicke in unser Gehirn und in die Interaktion zwischen dem Gehirn und dem Körper ermöglicht haben. Vielen Phänomenen des beobachtbaren Verhaltens wie auch unserer subjektiven Empfindungen konnten durch die Korrelation mit neuronalen Aktivitäten neue, interessante Aspekte zugeordnet werden, die zu neuen Verstehensmodellen geführt haben.

INPUT-OUTPUT SYSTEME: DIE SUMME IST MEHR ALS IHRE TEILE

8. Bei der Erklärung des Verhaltens eines Input-Output-Systems — was biologische Systeme u.a. sind – sind die Verhältnisse nicht ganz so trivial, wie sie die Erklärungsmuster der Neurowissenschaftler oft nahe legen.

9. Aus der Tatsache, dass ein Input-Output-System aus einer Vielzahl von elementaren Einheiten – im Falle des Gehirns u.a. aus ‚Neuronen‘ – besteht, folgt sehr selten, dass man das beobachtbare (äußere) Verhalten des Systems durch einfachen Rückgriff auf die Eigenschaften seiner Bestandteile ‚erklären‘ kann.

10. Wenn jemand heute — in einem analogen Fall — einen Computer (PC, Smartphone, Auto, Kamera,…) kauft, um damit einen Text zu schreiben oder Musik zu hören oder ein Computerspiel zu spielen oder … dann interessiert sich normalerweise niemand für die elektronischen Bauteilen in diesen Geräten (würden die meisten auch nicht verstehen), sondern nur um die ‚Funktionen‘, die das Gerät ihm zur Verfügung stellt.

11. Jener, der an der Funktion ‚Text Schreiben‘ interessiert ist, interessiert sich nicht unbedingt auch für die Funktion ‚Fotos machen‘, oder nicht für die spannenden Abenteuer eines Computerspiels, usw.

EINE ABBILDUNGSVORSCHRIFT IST MEHR ALS IHRE ‚TEILE‘

12. Alle diese verschiedenen ‚Funktionen‘ die heute ein Computer ausführen kann, sind zwar – in der Tat – alle durch die gleichen elektronischen Bauteile ermöglicht worden, wie man — im Falle der Computer — aber weiß, ist es nicht möglich, aus der Gegebenheit der elektronischen Bauteile als solcher auch nur eine einzige dieser vielen möglichen Milliarden von Funktionen ‚abzuleiten‘!

13. Zwar kann man rein theoretisch aus der Beschaffenheit dieser Bauteile ableiten (und damit voraussagen), welche Arten von Funktionen generell mit diesen Bauteilen ausführbar wären, aber man könnte niemals zwingend – also niemals mit Notwendigkeit – sagen, auf diesem Computer muss genau diese ‚Funktion f‘ ausgeführt werden.

14. Der tiefere – wenngleich sehr einfache – Grund für diesen Sachverhalt liegt darin, dass das beobachtbare Verhalten eines Computers – verstanden als eine Funktion f – eine Folge von Zustandsänderungen zusammenfasst, die unterschiedlichen ‚Input I‘ in das System (Eingaben durch den Benutzer, Messwerte, …) unter Berücksichtigung aktuell verfügbarer ‚interner Zustände IS‘ auf die beobachtbaren ‚Outputs O‘ (Ereignisse auf dem Bildschirm, Töne, Bewegungen eines mechanischen Teils, …) — und möglicherweise auch auf interne Zustände IS — ‚abbildet‘, wie der Mathematiker sagen würde. Eine solche reale Verhaltensfunktion ist damit nichts anderes als eine Folge von Paaren der Art …, ((I,IS),(IS,O)), …, verallgemeinernd geschrieben als eine Abbildungsvorschrift $latex f: I \times IS \longrightarrow IS \times O$.

15. Schon an dieser Stelle kann man direkt sehen, dass die Existenz irgendwelcher interner Zustände (z.B. elektronische Bauteile oder – wie im Falle des Gehirns – von Neuronen) in keiner Weise irgendetwas darüber sagen kann, wie die übergreifende Verhaltensfunktion f aussehen wird. Die Verhaltensfunktion f wird zwar nur unter Voraussetzung der internen Zustände stattfinden können, die internen Zustände (elektronische Bauteile, Neuronen, …) erlauben aber keinerlei Schlüsse auf die übergreifenden Funktion f, die damit tatsächlich zur Ausführung kommt.

16. Jeder kennt die Formulierung ‚Die Summe ist mehr als ihre Teile‘ oder der etwas neuere Begriff der ‚Emergenz‘, d.h. des Auftretens von Eigenschaften P eines Systems (z.B. Wasser), die unter bestimmten Bedingungen (Kälte, Hitze, …) mit einem Mal ‚beobachtbar‘ werden (‚zu Eis gefrieren‘, ’sich in Dampf transformieren‘, …). Die einzelnen Bestandteile als solche ‚für sich‘ können die Eigenschaft P nicht haben; wenn aber viele solche einzelnen Elemente (z.B. Moleküle) ‚zusammen‘ in einem Raum-Zeitgebiet vorkommen, dann kann eine – die einzelnen Elemente ‚übersteigende‘ (‚emergierende‘) — Eigenschaft P sichtbar werden, die wie aus dem ‚Nichts‘ entsteht.

17. Eine seit den Anfängen der Physik beliebte Strategie, die ‚emergenten‘ Eigenschaften zusammengesetzter Systeme durch ‚Rückführung auf die zugrunde liegenden Elemente‘ zu ‚erklären‘ (bekannt unter dem Namen ‚Reduktionismus‘) ist bis heute virulent, und findet sich z.B. ungebrochen im Text von Wolf Singer wieder. Was immer wir an Verhaltensweisen bei einem Menschen beobachten können – er hat sich einige ausgewählt, die einige als ‚künstlerisch‘, als ‚Malerei‘ bezeichnen –, das Verhalten in seiner speziellen Funktionalität wird auf das Verhalten zugrunde liegender Elemente (Neuronen) zurückgeführt und soll damit ‚erklärt‘ sein.

METHODISCHE GRENZEN DER NEUROWISSENSCHAFTEN

18. Abgesehen mal davon, dass die Neurowissenschaften auch heute – was Singer sogar an einzelnen Stellen einräumt – in der Regel noch nicht über wirklich harte Erklärungsansätze verfügen (bedingt durch die Komplexität des Gehirns und Messproblemen), werden die Neurowissenschaften als solche – sofern sie ihren eigenen Methoden treu bleiben – grundsätzlich niemals und zu keinem Zeitpunkt auch nur einzige der beobachtbaren Funktionen im echten Sinne ‚erklären‘ können.

19. Wenn Neurowissenschaftler sich zu Verhaltenserklärungen hinreißen lassen, dann überschreiten Sie in diesem Moment die methodischen Grenzen, die den Neurowissenschaften grundsätzlich gesetzt sind. Erklärung von ‚Verhalten‘ geht prinzipiell über die Beschreibung von Neuronen, Neuronenverbänden, und dem Verhalten von Neuronen hinaus, da es sich um prinzipiell verschiedene Datenarten handelt. Verhalten ist die Domäne der (biologischen) Ethologie oder der modernen experimentellen verhaltensbasierten Psychologie. Diese beiden Disziplinen wissen (als Verhaltenswissenschaften) nichts von Körperzuständen und Neuronen. Begibt ein Neurowissenschaftler sich in das Gebiet des Verhaltens, dann begeht er eine methodische Grenzüberschreitung. Wenn er Verhalten beschreibe will, dann muss er seine Neuronen grundsätzlich und vollständig vergessen! Hält man sich nicht an diese methodischen Grenzziehungen, dann resultiert ein methodisches Chaos, das man leider in ganz vielen neurowissenschaftlichen Publikationen — bis hin zu den High-End Journalen — beobachten kann.

20. Natürlich kann man sich eine methodisch kontrollierte ‚Kooperation‘ zwischen ‚Neurowissenschaften‘ und ‚Psychologie‘ vorstellen – dafür gibt es auch schon lange den Namen ‚Neuropsychologie‘ –, aber eine solche Kooperation stellt sehr hohe methodische und theoretische Anforderungen. Es ist nicht zu sehen, dass sich die Mehrheit der Neurowissenschaftlern dieses Problems bewusst ist. Es gibt offizielle Lehrbücher mit dem Titel ‚Neuropsychologie‘ die in keiner Weise den wissenschaftstheoretischen Ansprüchen genügen, die man hier stellen muss.

21. Im Falle des Artikels von Wolf Singer meine ich sowohl die Erklärungsstrategie des ‚Reduktionismus‘ wie auch eine Grenzüberschreitung von der Neurowissenschaft zu den Verhaltenswissenschaften feststellen zu müssen.

KEIN BEZUG ZUR WISSENSCHAFTSTHEORIE

22. Das Grundproblem, wie man das beobachtbare Verhalten f eines biologischen Input-Output-Systems ‚erklärt‘, ist eine Fragestellung aus dem Bereich der ‚Meta-Wissenschaft‘ genannt ‚Wissenschaftstheorie‘, die letztlich zur ‚Philosophie‘ gehört, der allgemeinen Reflexion ‚über‘ die Dinge, nicht methodisch eingegrenzt auf eine bestimmte wissenschaftliche Fachdisziplin.

23. Insofern berührt der Text von Wolf Singer Aspekte und Fragestellungen, die über die Neurowissenschaften deutlich hinausgehen. Singer lässt aber nirgends in seinem Text erkennen, dass er sich dieser Sachlage bewusst ist. Er spricht über das Gehirn wie ein Techniker über seinen Schaltplan, aus dem er abliest, dass der Motor in Halle 3 nicht läuft, weil eine bestimmte Leitung mit einer bestimmten Bauteilgruppe nicht funktioniert.

24. Mit einem solchen platten ‚Erklärungsansatz‘ wird aber genau die Besonderheit des Phänomens schlicht und einfach verdeckt, zugedeckt, unsichtbar gemacht. Das verstehe ich unter einem ‚philosophisch-schwarzen Loch‘

DIE RÜCKKEHR DES GEISTES?

25. Ist schon die mangelnde Selbstreflexion der Neurowissenschaften traurig genug, so gerät diese zu einer gewissen Tragik, da sie – aufgrund ihrer aktuell starken gesellschaftlichen Akzeptanz – alternative Reflektionsansätze auf die Vielfalt der Phänomene zu übertönen droht und damit die Wahrnehmung von genau dem ‚Wunder des Geistes‘, das durch die Evolution der Körper mit Gehirnen möglich wurde, im Ansatz zerstören. Kann man das ‚Allmachtsgebaren‘ der Neurowissenschaften noch als ‚typisch menschlich‘ abtun, greifen die kognitiven Wirkungen des begrifflichen Allmachtgehabes die ontologische Brisanz der durch die Gehirne möglichen Phänomene in ihrer Substanz an.

26. Erinnern wir uns an die mathematische Formel von zuvor $latex f: I \times IS \longrightarrow IS \times O$. Es ist absolut unmöglich, aus der Beschaffenheit der Teile die Gesamtfunktion abzuleiten; insofern repräsentiert eine solche Funktion ein ‚Mehr‘ an Informationen.

REFERENZSYSTEM PHYSIK

27. Die Physik kennt keine Gesetze, die die Entstehung von Etwas aus einem ‚Nichts‘ beschreiben (‚ex nihilo nihil fit‘). Insofern ist eine Theorie wie die ‚BigBang-Theorie‘ das Maximum, was die Physik leisten kann: vorausgesetzt, es gab genügend viel Energie am Beginn des Zeitpfeils, dann kann man den ganzen ‚Rest‘ (nämlich die Entwicklung des bekannten Universums) daraus schrittweise ‚rekonstruieren‘.

28. Will man mehr, dann muss man – hypothetisch – annehmen, dass es ‚außerhalb‘ von unserem bekannten Universum noch viele andere Universen gibt, die alle miteinander auf bestimmte Weise wechselwirken können. In diesem Fall wird das Prinzip ‚ex nihilo nihil fit‘ aber nicht aufgehoben. Die endlichen Raum-Zeitgrenzen werden damit nur ‚beliebig weit‘ (rein gedanklich) ausgedehnt.

29. Bezogen auf das Verhalten konkreter Systeme würde die Physik fordern, dass man ein ‚Mehr an Information‘ erklären muss.

30. Die Physik versagt bislang aber nicht nur bei der Grundsatzfrage, wo denn die ungeheure Menge an Information in Form von Anfangsenergie ‚herkommt‘, sie versagt auch schon bei der – scheinbar – kleineren Frage, wie es zur Ausbildung von biologischen Systemen auf dem Planeten Erde kommen konnte.

31. Damit ist nicht die Detailfrage gemeint, ob bestimmte für das Leben wichtige Moleküle schon ‚fertig‘ aus dem Weltall auf die Erde kamen oder sich – auf bislang noch unklare Weise – auf der Erde ‚gebildet‘ haben, sondern die Grundsatzfrage, wie es möglich war, dass sich überhaupt biologischen Systeme auf dem Planeten Erde bilden und immer weiter ausbreiten konnten (Molekülbildung, chemische Evolution, biologische Evolution).

32. Nach den Gesetzen der Thermodynamik strebt das bekannte Universum zwar langfristig auf einen Ausgleich aller Energieunterschiede, solange aber noch lokale Unterschiede bestehen, solange können sich an den Rändern des Energiegefälles noch Phänomene ausbilden, die die an diesen ‚Rändern‘ verfügbare ‚freie‘ Energie für ‚ihre Zwecke‘ ’nutzen‘. Alle biologische Zellen und Zellverbände, sind solche Strukturen: sie entziehen ihrer Umgebung (freie) Energie und generieren immer komplexere Strukturen, die der Idee des ‚(entropischen) Ausgleichs‘ diametral entgegen wirken. Und die biologischen Strukturen tun dies in einer sowohl individuellen wie auch systemisch-vernetzten Komplexität, die jeden rein auf ‚Zufall‘ basierenden Erklärungsversuch schon im Ansatz (rein mathematisch) ad absurdum führt.

33. Will man an dieser Stelle nicht in pseudo-theologische Ansätze flüchten, die die Erklärungslücken nach eigenen Vorstellungen – beliebig ? — ‚auffüllen‘, dann benötigt man Erklärungshypothesen, die sich mit den Methoden der Wissenschaft(en) vertragen.

VERDECKTE (IMPLIZITE) EIGENSCHAFTEN

34. Wenn wir im großen Stil Phänomene beobachten und messen können, die sich als Funktionen f darstellen lassen, die sich nicht direkt aus den unmittelbaren ‚Teilen‘ des Phänomens herleiten lassen, dann gibt es – neben der notwendigen Klärung der Arbeitsweise unseres Denkens (sehr wohl auch unter Einbeziehung einer evolutionären Erkenntnistheorie) – natürlich die (ganz normale) Arbeitshypothese, dass es in ‚Verbindung‘ mit den beteiligten ‚Elementen E‘ des beobachtbaren Phänomens p nicht nur die ‚direkten Eigenschaften‘ P(E) der beteiligten Elemente gibt, sondern möglicherweise auch weitere (indirekte)Eigenschaften E* (‚hidden properties‘), die direkt nicht beobachtbar sind, sondern nur unter bestimmten Randbedingungen des Zusammenwirkens ’sichtbar‘ werden.

35. Dieser Denkansatz würde dann in die Richtung führen, dass genau jene Eigenschaften, die an komplexen Strukturen ’sichtbar‘ werden, nicht ‚aus dem Nichts‘ entstehen, sondern grundsätzlich in der Struktur der Materie-Energie angelegt sind und sich bei steigendem Komplexitätsgrad in immer komplexeren Formen ‚zeigen‘.

36. Insofern alles, was wir in der Geistes- und Kulturgeschichte über ‚Geist’/ ‚Geistigkeit‘ usw. kennengelernt haben, von genau jenem komplexen Körper mit Gehirn stammt, der sich in der biologischen Evolution schrittweise herausgeschält hat, kann man mit dieser Hypothese dann die Frage aufwerfen, ob das, was die Phänomene des ‚Geistes‘ ausmacht, nicht zurückgeht auf diese indirekten Eigenschaften der Materie-Energie. Falls ja wäre der ‚Geist‘ letztlich eine ‚interne Eigenschaft‘ der Materie-Energie von Anfang an (ein Gedanke, der philosophisch viele Vorläufer hat, wenngleich eingebettet in andere Wortspiele).

37. Für eine empirische Theoriebildung wären solchen Fragen grundsätzlich kein Problem. In jeder anspruchsvollen empirischen Theorie mit mathematischem Modell gibt es genügend viele theoretische Begriffe (auch ‚theoretische Terme‘ genannt), die nicht ‚explizit‘ (‚direkt‘) definiert sind, sondern nur im Kontext vieler anderer Begriffe und Funktionen, die als Gesamtmodell einen Erklärungsanspruch darstellen und als Gesamtmodell ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sind.

[Anmerkung: Die Annahme von ‚verborgenen‘, ‚indirekten‘ Eigenschaften sind in der modernen Physik seit langem üblich. Der berühmte ‚Teilchenzoo‘ der Quantenphysik bietet hier genügend Anschauungsmaterial.]

38. Eine neue empirisch begründete (!) wissenschaftliche universale Theorie des Geistes wäre vor diesem Hintergrund prinzipiell kein Problem. Sie würde aber voraussetzen, dass die einzelnen Disziplinen (wie z.B. die Gehirnforschung) sich ihrer methodischen Grenzen bewusst werden und es zulassen würden, dass andere wissenschaftliche Disziplinen im Bereich komplexer Verhaltensphänomene geeignete theoretische Modelle entwickeln, die sich zwar bedingt mit z.B. der Gehirnwissenschaft für begrenzte Fragestellungen korrelieren lassen, die aber in keinster Weise auf diese begrenzten Fachdisziplinen ‚reduzierbar‘ wären. Andersherum gesprochen: diese komplexen Theorien beschreiben Eigenschaften und Beziehungen ‚oberhalb‘ möglichen vorausgesetzten ‚primitiveren# Elementen, die nur in diesen komplexeren Begriffen ’sichtbar‘ werden und nur hier ihre ‚Bedeutung‘ haben. Eine ‚Reduktion‘ auf die einfacheren Elemente ist nicht nur rein logisch nicht möglich, sondern würde die eigentliche Aussage direkt zerstören.

[Anmerkung: Das Thema mit dem ‚impliziten‘ Geist wurde in diesem Blog schon mehrfach diskutiert; besonders vielleicht in diesem Beitrag.]

DER KUNSTBEGRIFF

39. Im übrigen wäre der Kunstbegriff, den Singer benutzt, kritisch zu hinterfragen. Er selbst stellt gleich zu Beginn einerseits fest, dass es überhaupt keinen Konsens zum Begriff ‚Kunst‘ gibt, andererseits nimmt er Bezug auf bestimmte Tätigkeiten, die er dann als ‚künstlerisch‘ bezeichnet. Was soll man jetzt denken? Warum und wie sollen bestimmte Aktivitäten von Neuronen etwas mit Kunst zu tun haben, wenn nicht klar ist, was genau Kunst ist? Warum schreibt er dann nicht gleich, dass er zum Verhältnis von Gehirn und Kunst nichts sagen kann, weil nicht klar genug ist, was Kunst ist?

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BLOG – IN EIGENER SACHE (3)

ENTSCHULDIGUNG…

Ja, fast möchte ich um Entschuldigung bitten, dass sich so schnell schon wieder einen Eintrag ‚in eigener Sache‘ mache (der letzte war jener:
BLOG – IN EIGENER SACHE (2)). Aber die Jahreswende 2013 zu 2014 überschneidet sich mit mit einem Umbruch im Umfeld des Blogs.

UMBRUCH IM UMFELD

Was die Leser dieses Blogs betrifft, ist es schwer zu sagen, ob und wie der Blog sie betrifft und verändert; es werden nur beständig mehr. Was mich als bisherigen Autor betrifft, so kann ich sagen, der Blog hat mich im Laufe der Jahre verändert, sehr verändert. Zwei von diesen Auswirkungen möchte ich hier bekannt geben, da Sie auch allen anderen offenstehen; mehr noch, ich lade hiermit offiziell ein, sich zu beteiligen (wie auch natürlich weiterhin jeder eingeladen ist, durch Kommentare oder eigene Beiträge bei diesem Blog mit zu wirken).

KÜNSTLERLABEL ‚cagentArtist‘

Wie mancher Leser bemerkt haben wird, erwähne ich im Blog immer wieder — und immer mehr — auch die ‚Kunst‘ als jene Verhaltensweise, die abseits der eingefahrenen Bahnen von Alltag und Wissenschaft wesentlich dazu beitragen kann, die Erkundung dieser Welt durch ein verändertes Verhalten zu vertiefen, zu erweitern (Kunst hier also nicht als ‚Kunstfertigkeit‘, so sehr dies in sich beeindrucken kann, sondern als andere Weise des Umgangs mit Wirklichkeit).

Dazu muss man wissen, dass ich selbst mich lange Zeit nicht als Künstler verstanden hatte. Parallel zum Blog, sogar noch einige Monate früher, hatte ich aber, ein anderes ‚Experiment‘ gestartet, das unter dem Label ‚Radically Unplugged Music (RUM)‘ lief. Es war der Versuch, einen Zugang zur Welt der Klänge finden zu können ohne besonders musikalisch zu sein, ohne Instrumente spielen zu können (ein bisschen Violine und Gitarre), ohne Musiktheoretische Ausbildung, ohne eine brauchbare Stimme, ohne …. vor allem ohne Zeit zu haben, etwas zu üben oder Stücke lange zu bearbeiten. Nach ca. 6 Jahren und über 340 aufgenommenen Musikstücken würde ich sagen, es ist mir gelungen, mein Hören zu verändern, mein Gestaltung von Klangereignissen; ich kann nach Wunsch komplexe Musikstücke erzeugen (habe sogar einige Musikvideos produziert, just for fun; sehr anregend; aber hier fehlte dann einfach die Zeit für mehr….). Sicher, die Klänge sind nicht unbedingt etwas für jedermann, aber diese Experimente haben mich in gewisser Weise dazu gebracht, meine Existenz auch aus der Perspektive eines künstlerischen Verhaltens betrachten zu können. Mir ist klar geworden, dass ein ‚Bündnis‘ zwischen Philosophie, Wissenschaft und Kunst nicht nur möglich ist, sondern von der ureigenste Intention und Sache her geradezu notwendig ist.

Ich habe daher einen weiteren Blog ‚gegründet‘, einen ‚kooperierenden‘ Blog, den ich — in ermangelung einer besseren Idee‘ — cagentArtist genannt habe, also der ‚cagent‘ von diesem Blog plus der Kunst (‚art‘, ‚artist‘). Im Rahmen dieses Blogs sollen die Ideen von cognitiveagent.org auf künstlerische Weise variiert, weiter untersucht, tiefer entwickelt usw. werden. Die dort angegebenen Ausdrucksformen/ Vermittlungsformen/ Kommunikationsformen sind grobe Eckwerte. Jeder ist eingeladen, dort mit zu wirken. Im Falle von ‚cagentArtist‘ ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich das Konzept mit einer kommerziellen Komponente verknüpft (eShop?), um Gelder für die Unterstützung gewinnen zu können. Aber auch dort soll es primär um die Sache der Erkenntnis, des Lebens, von tragfähigen Zukunftskonzepten für uns alle gehen. ‚Kommerz an sich‘ gibt es genug; wir brauchen ein Interesse am Leben selbst, realisiert von denen, die ‚lebendig sind‘ und ein Gespür für das ‚Kosmische Humanum‘ haben oder entwickeln wollen. Das Leben muss sich praktisch für sich selbst interessieren; keine Ersetzung von Leben durch Automaten, sondern Erweiterung des Lebens durch Automaten… das ist nicht dasselbe.

WISSENSCHAFTSPROJEKT ‚uffmm.org‘

Seit ca. 12 Jahren betreibe ich eine Webseite, die mit einer großen ‚Vision‘ anfing, sich dann aber unter den Bedingungen des Alltags auf das fokussiert hat, was all die Jahre mein ‚Kerngeschäft‘ war (und noch ist), Vorlesungen und Forschungen im Umfeld verschiedener Themen zu organisieren.

Ursprünglich stand uffmm für ‚University for the Future of Modern Mankind‘ (größer geht’s natürlich kaum, aber man darf ja mal träumen :-)). Während ich keine Gelegenheit gefunden habe (auch wegen noch anderer Projekte), diese Vision auszufüllen, ist aber Wikipedia entstanden; das Wikipedia-Projekt kommt dieser Vision sehr nahe und ist in seiner Art mit Sicherheit unvergleichlich (verschiedene Versuche von Verlagen oder Professorenzirkel, daneben eigene ‚privilegierte Wissenszirkel‘ aufzubauen, halte ich für schlechte Strategien und haben bislang in der Regel nicht wirklich Mehrwerte erzeugen können; allerdings könnte Wikipedia sich noch weiter entwickeln….).

Nachdem ich in den vergangenen Jahren berufsbedingt mehr als nur ein Thema betreuen musste, möchte ich mich in den kommenden Jahren mehr und mehr auf ein Thema konzentrieren, das nach meiner Einschätzung das zentrale Forschungsthema der nächsten Jahrzehnte sein wird: die Entstehung eines künstlichen Geistes, der mindestens so viel kann, wie der ‚Geist‘ den wir am Beispiel des Menschen zu erkennen meinen.

Dieses Thema bewegt die Literatur besonders die Science-Fiction Literatur seit mehr als 100 Jahren, mehr und mehr aber auch viele Filme, Comics, und zunehmend unseren Alltag. Dabei fällt ein krasses Missverhältnis auf zwischen dem, was in den Filmen als selbstverständlich möglich vorausgesetzt wird und dem, was wir bislang technologisch tatsächlich können. Tatsache ist, dass wir alle wirklich intelligenten Eigenschaften noch nicht beherrschen.

Zugleich gibt es quer durch alle Medien die Befürchtung, dass die ‚intelligenten Maschinen‘ uns Mensch ‚ersetzen‘ werden bis dahin, dass sie aktiv gegen uns ‚Krieg‘ führen werden (bisher, das sollten wir nie vergessen, sind wir selbst es, wir Menschen, die Kriege gegen andere Menschen führen, und wir instrumentalisieren Technologie zu diesem Zweck!). Zugleich haben wir eine große Kluft zwischen dem, was man in der Öffentlichkeit weiß und den vielen Forschungslabors weltweit, die — meist finanziert vom Militär oder Geheimdiensten — an jenen Technologien arbeiten, die einen vermeintlichen strategischen Vorteil gegenüber den vermeintlichen Feinden bringen sollen (würde man darin investieren, Freunde zu gewinnen, wäre dies nicht nur billiger, sondern noch weit produktiver; aber dazu bräuchte man ein politisches Bewusstsein, das vielen Regierungen dieser Erde abgeht).

Ich habe daher beschlossen, aus den Forschungen zur Entstehung eines ‚menschengleichen‘ künstlichen Geistes ‚öffentlich‘ zu machen. Ich werde versuchen, im Laufe des Jahres 2014 eine öffentliche Forschungsplattform aufzusetzen, über die alle zuschauen können, wie solch ein künstlicher Geist entsteht. Jeder kann mit diskutieren, jeder kann mitarbeiten; das ist das Ziel. Zur Zeit sammle ich Kooperationspartner und Gelder, um dies zu realisieren. Allerdings, auch ohne zusätzliches Geld werden wir zeigen, wie dies geht. Denn um einen künstlichen Geist herzustellen braucht man nur ein funktionierendes Gehirn, einen Laptop, viel Wissen und genügend Zeit (das 1 Milliardenprojekt der EU mit dem künstlichen Gehirn ist in meinen Augen nicht völlig sinnlos, aber fast…). Die größten Wahrheiten sind immer die einfachsten …..

OK

Ich hoffe, dass es jetzt mit den Mitteilungen in eigener Sache bis auf weiteres genug ist. Die Sache des Lebens steht im Vordergrund, unser Leben. Wenn wir selbst uns nicht ernst nehmen, wer soll es dann tun?????????

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65 – ALTWERDEN – RÄTSEL DES GEISTES…

1) Die einen sind es noch nicht, andere wollen es nicht wahrhaben, dass sie es sind, einige sind es und wundern sich: sie sind ‚alt‘.
2) Nun muss man ja nichts tun, um ‚alt‘ zu werden; wenn die ‚Umstände‘ stimmen, keine Krankheit, Unfall, Krieg oder Tod einen dahinraffen, dann ist man irgendwann in einem Zustand, den man gemeinhin als ‚alt‘ bezeichnet.
3) Äußerlich kann man es an der Haut erkennen, an den Haaren (vorausgesetzt, Leute ‚tarnen‘ sich nicht bewusst und mit viel medizinischem Aufwand als ‚jung‘), bisweilen an der Haltung, am Gang, an der Häufigkeit des Toilettenbesuches, am Klang der Stimme,…
4) Das Verhalten kann anders werden, ….
5) … das Denken auch ….
6) Wie man es auch dreht und wendet, der eigene Körper ist nicht mehr der von 55, 45, 35, … 15 …. 5 … 1..Jahre(n).
7) … er hat sich verändert, so wie sich alle Dinge ändern. Alles ist in einem großen Fluss.
8) Als die Wissenschaft als Geologie im großen Stil (besonders durch Charles Lyell (1797 – 1875)), zu begreifen begann (im Bereich des Biologischen unterstützt durch die Evolutionstheorie von Charles R.Darwin (1809-1882)), dass die Erde sich in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess befindet, der alle Bereiche umfasst, da wurde das individuelle Altern Teil eines großen Gesamtgeschehens.
9) Dennoch mildert diese Einsicht nicht unbedingt die individuelle Paradoxie, dass der individuelle Geist nach der Zeugung in einem ‚Haufen von Zellen‘ ‚erwacht, sich im Laufe der Monate und Jahre in diesem Zellhaufen genannt ‚Körper‘ mühsam ein ‚Bild‘ von diesem Zellhaufen und seiner möglichen Umgebung formt, ein Bild, das immer weiter wachsen kann, das sich immer mehr verfeinern kann, das die materiell erscheinende Welt mit ihren Veränderungen im Innern des Zellhaufens als ‚inneres Abbild‘ eines ‚Äußeren‘ quasi ‚Wiedererstehen‘ lässt, um sich dann beim Zerfallen dieses Zellhaufens (beim Sterben, beim ‚Tod‘) wieder in ‚Nichts‘ aufzulösen.
10) Welchen ‚Sinn‘ macht dies?
11) Das biologische Leben ist bislang mit Abstand das Komplizierteste, was wir in diesem Universum entdeckt haben. Das ‚Aufscheinen‘ des ‚Geistes‘ durch all diese materiell erscheinenden Prozesse hindurch das weithin immer noch Unfassbare, das sich in jedem biologischen System zeigt; die vielen Milliarden Jahre, bis es soweit kommen konnte, bis ‚Geist‘ sich im gemeinsamen Verstehen und Tun zu Gesellschaft, Kultur, Technik verbinden konnte…
12) Warum baut sich ein ‚Geist‘ in einem Zellhaufen mühsam auf, leuchtet auf in einer gemeinsamen Vision möglichen Lebens, und löst sich dann wieder auf, möglicherweise ’nachwirkend‘ in anderen noch lebenden ‚Geistern‘, oder auch nicht.
13) So schwer es für einen einzelnen ist, dieses Geschehen irgendwie zu begreifen, so schwer tun wir uns zusammen, dieses Gesamtgeschehen angemessen zu deuten: in dem bis heute einzig bekannten realen Universum arbeiten alle Prozesse zusammen, so dass an den Rändern einer unvollendeten Entropie etwas entsteht, aufleuchtet, das wir ‚Leben‘ nennen, ‚Geist‘, das sich die noch vorhandene energetische Ungleichheit zunutze macht, um aufgrund der vorhandenen ‚energetischen Differenz‘ dies in ein biologisches Format ‚transformiert‘, so dass in jeder einzelnen Zelle der verschiedenen Zellhaufen (der menschliche Körper umfasst ca. 100 Billionen (=10^12) Zellen!) eine Energiedifferenz künstlich aufrecht erhalten wird, die die Zelle befähigt, ‚Arbeit‘ zu leisten. Von den 100 Billionen Zellen sind etwa 100 Milliarden (=10^9) dem ‚Gehirn‘ zugeordnet, die speziell für die ‚Konstruktion‘ des ‚inneren Bildes zuständig sind. 100 Milliarden individuelle Energiedifferenzen ermöglichen das, was wir ‚Wahrnehmung‘, ‚Fühlen‘, ‚Erinnern‘, ‚Denken‘, ‚Sprechen‘ usw. nennen.
14) Darf man sich darüber wundern?
15) Ist es nicht fantastisch, wie sich an der entropischen Bruchstelle des bislang einzig bekannten Universums (natürlich kann es möglicherweise noch andere Universen geben; warum auch nicht; es würde nichts Wesentliches an dem ändern, was wir sind und was wir meinen erkannt zu haben) ein Differenzmechanismus wie eine Blume in der Wüste entwickelt hat? In dem auf den ersten Blick so ‚tot‘ erscheinendem Universum ‚entsteht‘ anscheinen aus dem ‚Nichts‘ etwas ‚Lebendes‘, etwas ‚Geistiges‘, das sich seit seiner Entstehung immer mehr ausweitet, immer mehr differenziert, und natürlich immer mehr Energie benötigt, da es ja nur als künstliche Energiedifferenz existiert, die zu ihrem ‚Erhalt‘ Energie benötigt. Rein physikalisch bedeutet dies, dass diese Erscheinung eines auf ‚gemanagter Energiedifferenz‘ basierenden ‚Lebens‘ und ‚Geistes‘ in der Zukunft zwangsläufig enden wird, wenn alle verfügbare freie Energie aufgebraucht ist.
16) Ferner gilt, dass alle Zellhaufen, die ’sterben‘, ihr ‚Material‘ (Atome) wieder an die Erde (ihre Umgebung) ‚zurückgeben‘, und alle neuen Zellhaufen sich aus eben diesen wieder rekrutieren.
17) … In all dem liegen viele Antworten, die wir noch nicht verstehen. Die ‚Verdichtung‘ des Geistes auf der Erde schreitet voran. Unsere Psyche, unsere Lebensformen hinken vielfach noch hinter her. Unser Verstehen klammert sich an alte, vergangene Formen und Muster, wir erzeugen so oft mehr ‚Leid‘ als ‚Glück’…..
18) … trotzdem sollten wir Momente des Überwältigtseins, Momente des Glücks, Momente der Erkenntnis nicht missachten. Sie sind wie Lichter in einer großen Dunkelheit, die uns helfen können, Orientierungen zu finden für etwas, das vermutlich noch niemand wirklich versteht.
19) Formell an einen ‚Gott‘ zu glauben ist einfach. Aus und mit und in einem ‚Gott‘ real zu leben, das ist eine ganz andere Geschichte; das geht nur durch Preisgabe des ganzen Lebens ohne Reserven…..

PHILOSOPHIE TRIFFT DAS SNOWDON SYNDROM – Erste Notizen


(Unter twitter bei ‚cagentartist‘))

Letzte Änderung: 29.Juli 2013, 00:14h

THEMATISCHER RAHMEN BISHER

1) Dieser Blog widmet sich primär der Frage nach dem neuen Weltbild: wie können, bzw. dann auch, wie sollten wir unsere Welt und das Leben in ihr ‚deuten‘, wenn wir alles Wissen zusammen nehmen, was wir uns bislang erarbeitet haben. Es ist eine grundlegend philosophische Frage insofern im Blog die Philosophie als die allgemeinste und umfassendste Reflexionseinstellung identifiziert wurde, der man sämtliche andere Disziplinen zuordnen auch. Die ‚Kunst‘ gehört zur ‚Art und Weise‘, wie man philosophieren kann. Die ‚Theologie‘ ist eine spezialisierte Fragestellung innerhalb der Philosophie, und sie ist als ‚theologia naturalis‘ nicht beliebig sondern ‚unausweichlich‘ (was nicht impliziert, dass es so etwas wie einen ‚Schöpfergott‘ geben muss).
2) Im Laufe der vielen Einzelreflexionen hat sich bislang ein Bild vom Universum und der Welt herausgeschält, in dem der klassische Begriff von ‚Geist‘ und der von ‚Materie‘ immer mehr dahingehend aufgelöst wurden , dass man sie nicht mehr trennen kann. Zwar sind die Alltagsphänomene, die wir mit ‚Geist‘ verknüpfen, grundsätzlich verschieden von den Alltagsphänomenen, die wir mit ‚Materie‘ verknüpfen, aber die wissenschaftlichen Forschungen haben uns geholfen, die Makrophänomene des Alltags mehr und mehr von ihren Grundlagen her zu verstehen und sie in den Zusammenhang einer dynamischen Entwicklung zu setzen. In dieser Perspektive verschwimmen die Abgrenzungen und es wird deutlich, dass das im Alltag über Jahrtausende Getrennte einen inneren Zusammenhang aufweist, und letztlich sich in dem, was wir alltäglich ‚geistig‘ nennen, genau jene Eigenschaften zeigen, die die sogenannte ‚Materie‘ ausmachen. Mehr noch, wir konnten lernen, das Materie und ‚Energie‘ nur zwei verschiedene Zustandsformen ein und derselben Sache sind. Während man also – Einstein vereinfachend – sagen kann Energie ist gleich Materie, müsste man im Fall des Geistes sagen, das uns vom Geist Bekannte zeigt die ‚inneren‘ Eigenschaften der Energie-Materie an, was natürlich die Frage aufwirft, was man sich unter dem ‚Inneren‘ von Materie bzw. Energie vorzustellen hat. Aus der Mathematik – und dann aus der Physik, die die Mathematik als Sprache benutzt – kennen wir den Begriff der ‚Funktion‘ (andere Worte für das Gleiche: ‚Abbildung‘, ‚Operation‘, ‚Prozedur‘, ‚Programm‘, ‚Algorithmus‘,…).

BEGRIFF DER FUNKTION

3) Funktionen definiert man als spezielle Beziehungen zwischen ‚Mengen‘. Während Mengen für irgendwelche ‚Elemente‘ stehen, die man im empirischen Bereich mit irgendetwas Messbarem verknüpfen können muss, sind die Abbildungsbeziehungen, die durch eine Funktion beschrieben werden sollen, selbst keine Objekte, nicht direkt messbar! Eine Funktion ‚zeigt sich‘ nur indirekt ‚anhand ihrer Wirkungen‘. Wenn der berühmte Apfel Newtons zu Boden fällt, kann man ein Objekt beobachten, das seine Position im Raum relativ zum Beobachter verändert. Man bekommt sozusagen eine Folge (Serie, Sequenz, …) von Einzelbeobachtungen. In der Alltagssprache hat man diese Menge von Positionsveränderungen in der Richtung ‚von oben‘ (Sicht des Beobachters) nach ‚Unten‘ mit dem Verb ‚fallen‘ zusammengefasst. Der Apfel selbst mit seiner aktuellen Position fällt nicht, aber relativ zu einem Beobachter mit Gedächtnis, gibt es eine Folge von vielen Einzelpositionen, die es ermöglichen, den Begriff der ‚Veränderung‘ mit einer ‚Richtung‘ zu ‚konstruieren‘ und in diesem nur im Beobachter existierenden ‚Wissen‘ dann das Konzept des ‚Fallens‘ zu bilden und auf die Objekte der Alltagswelt anzuwenden. Ein Beobachter, der den Begriff ‚Fallen‘ gebildet hat, ’sieht‘ ab sofort ‚fallende Objekte‘ – obwohl natürlich kein einziges Objekt tatsächlich ‚fällt‘. Das Fallen ist eine Konstruktion und dann ‚Projektion‘ unserer geistigen Struktur im Umgang mit der Alltagswelt.
4) [Anmerkung: Möglicherweise werden an dieser Stelle viele sagen, dass dies doch ‚Unsinn‘ sei, da wir doch die Veränderung ’sehen‘. Und in der Tat ist es sehr schwer bis unmöglich, diese Analyse zu vollziehen, wenn man den Vorgang nicht rekonstruiert. Eine ideale Möglichkeit, solch eine ‚Analyse durch Synthese‘ vorzunehmen ist heute gegeben durch die Computersimulation von kognitiven Prozessen, allerdings nicht automatisch; man braucht natürlich schon eine passende Theorie. Bei dem Versuch, solche Prozesse nachzubauen sieht man sehr schnell, dass noch so viele Einzelbeobachtungen keinen komplexen Begriff ergeben; würde unser Gehirn die verschiedenen Positionen des Apfels nicht ’speichern‘ und zugleich wieder auch ‚erinnern‘ können, und diese einzelnen Erinnerungen zu einem komplexeren Konzept ‚zusammenbauen‘, und zwar so, dass aktuelle Beobachtungen als ‚zugehörig‘ zu dem neuen komplexen Begriff ‚entschieden werden können‘, wir könnten keine ‚Fallbewegung‘ erkennen. Wir würden immer nur einen Apfel sehen, der eben ‚da‘ ist. Die ‚Aufschlüsselung des ‚Daseins‘ in eine komplexe ‚Bewegung‘ setzt einen komplexen Erkenntnisapparat voraus, der dies ’sichtbar‘ macht. ]

WIRKLICHKEITSSTATUS EINER FUNKTION

5) Welchen Wirklichkeitsstatus sollen wir jetzt der Eigenschaft des Fallens zusprechen? Ist es eine reine ‚Einbildung‘, eine bloße ‚gedankliche Konstruktion des Gehirns‘, zwar gültig ‚im‘ Gehirn aber nicht ‚außerhalb‘ des Gehirns, also ‚gedacht = virtuell‘ und nicht ‚real‘ existierend (allerdings auch als Gedachtes ist es etwas real Existierendes, dessen ‚Begleitwirkungen‘ man als physikalische Prozesse im Gehirn partiell messen kann)? Allerdings, wenn sich im ‚Verhalten‘ eines Objektes der Außenwelt etwas – wenngleich durch durch ‚Zwischenschaltung eines Erkenntnisprozesses‘ – zeigt, so gilt, dass es sich nicht zeigen muss. Das, was wir ‚Empirisch‘ nennen, hat die Eigenschaft, dass es sich zeigen kann, auch wenn wir nicht wollen, und sich nicht zeigen kann, obwohl wir wollen. Das – für uns als Beobachter – Empirische ist das uns gegenüber ‚Widerständige‘, das sich unserer subjektiven Kontrolle entzieht. Die Zwischenschaltung von ‚Messprozessen‘ bzw. ‚Erkenntnisprozessen‘, die in sich ‚unveränderlich‘ sind, d.h. als eine Konstante in den verschiedenen Ereignissen betrachtet werden können, erlaubt damit das Wahrnehmen von ‚Empirischem‘, und dieses Empirische zeigt sich dann auch in ‚Veränderungsprozessen‘, die zwar nur ’sichtbar‘ werden durch komplexe Operationen, die aber unter Beibehaltung der ‚konstanten‘ Erkenntnisprozesse reproduzierbar sind und damit offensichtlich etwas vom ‚Anderen‘ enthüllen, eine implizite Eigenschaft, eine ‚emergente‘ Eigenschaft, die über das Einzelereignis hinausgeht.
6) Bekommt man auf diese Weise eine erste Ahnung davon, was eine ‚Funktion‘ ist und weiß man, dass nahezu alle wichtigen Eigenschaften der Natur mittels Funktionen beschrieben werden (in der Alltagssprache die ‚Verben‘, ‚Tätigkeitswörter‘), dann kann man vielleicht ahnen, was es heißt, dass das, was wir traditionellerweise ‚Geist‘ genannt haben, ausschließlich auf solche Eigenschaften zurückgeht, die wir mittels Funktionen beschreiben: Veränderungen, die stattfinden, die keinen ‚äußeren‘ Grund erkennen lassen, sondern eher den Eindruck erwecken, dass es ‚Faktoren/ Eigenschaften‘ im ‚Innern‘ der beteiligten Elemente gibt, die wir ‚postulieren‘, um zu ‚erklären‘, was wir sehen. Aristoteles nannte solch ein Denken ‚meta-physisch‘; die moderne Physik tut nichts anderes, nur sind ihre Bordmittel ein wenig ausgeweitet worden….

STRUKTURELLE KOMPLEXITÄT WÄCHST EXPONENTIELL

7) Zwar wissen wir mit all diesen Überlegungen immer noch nicht so richtig, was ‚Geist‘ denn nun ‚eigentlich‘ ist, aber wir konnten auch sehen, dass seit dem sogenannten ‚Big Bang‘ vor ca. 13.8 Milliarden Jahren die ’strukturelle Komplexität‘ (siehe die genauere Beschreibung in den vorausgehenden Blogeinträgen) des beobachtbaren Universums – entgegen allen bekannten physikalischen Gesetzen, insbesondere gegen die Thermodynamik – exponentiell zunimmt. Wir leben heute in einer Phase, wo die Beschleunigung der Komplexitätsbildung gegenüber den Zeiten vor uns ein Maximum erreicht hat (was nicht heißt, dass es nicht ’noch schneller‘ gehen könnte). Von den vielen Merkmalen der strukturellen Komplexitätsbildung hatte ich nur einige wenige herausgegriffen. Während der homo sapiens sapiens als solcher einen gewaltigen Sprung markiert, so ist es neben vielen seiner kognitiven Fähigkeiten insbesondere seine Fähigkeit zur Koordination mit den anderen Gehirnen, seine Fähigkeit zum Sprechen, zum Erstellen komplexer Werkzeuge, die Fähigkeit komplexe soziale Rollen und Strukturen einzurichten und zu befolgen, die überindividuelle Wissensspeicherung und der Wissensaustausch, die Erfindung des Computers und der Computernetzwerke, die das lokal-individuelle Denken ins scheinbar Unendliche ausgedehnt und beschleunigt haben.

ENDE DER NATIONALSTAATEN?

8) Fasst man alle diese Veränderungsphänomene zusammen, dann entsteht der Eindruck, als ob die Entwicklung des Lebens in Gestalt des homo sapiens sapiens auf einen neuen Entwicklungssprung hinausläuft, der sowohl eine massive Veränderung seines Körpers (durch Veränderung des Genoms) mit einschließt wie auch eine massive Veränderung in der Art des konkreten Lebens: so wie es ca. 2 Milliarden Jahre gedauert hat, bis aus den einzelnen Zellen organisierte Zellverbände gebildet haben, die hochdifferenzierte ‚Körper‘ als ‚Funktionseinheit‘ ausgebildet haben, so kann man den Eindruck gewinnen, dass wir uns in solch einer Übergangsphase von einzelnen Personen, kleinen Kommunen, Städten zu einem ‚globalen Organismus‘ befinden, in dem zwar jeder einzelne als einzelner noch vorkommt, wo aber die ‚Gesamtfunktion‘ immer größere Teile der Erdpopulation umfassen wird. Die Zeit der ‚Nationalstaaten‘ neigt sich dem Ende entgegen (ein paar tausend Jahre Übergangszeit wären in der Evolution weniger wie eine Sekunde; es spricht aber alles dafür, dass es erheblich schneller gehen wird)) .

FRAGEN DURCH DAS AKTUELL NEUE

9) Dies alles wirft ungeheuer viele Fragen auf, auf die wir bislang wohl kaum die passenden Antworten haben, woher auch. Antworten ergeben sich ja immer nur aus Fragen, und Fragen ergeben sich aus Begegnung mit etwas Neuem. Das neue geschieht ja erst gerade, jetzt.

KONTROLLE ODER KREATIVITÄT?

10) Wie schon in vorausgehenden Blogeinträgen angemerkt, gibt es unterschiedliche Stile, wie einzelne, Firmen und ganze Gesellschaften mit neuen Herausforderungen umgehen. Eine beliebte Form ist die ‚Kontrolle‘ anhand ‚bekannter‘ Parameter. Evolutionstheoretisch und aus Sicht des Lernens ist dies die schlechteste aller Strategien. Es ist der schnellste Weg zum Zusammenbruch des bisherigen Systems, speziell dann wenn es wenigstens ein konkurrierendes System gibt, das statt mit Kontrolle mit gesteigerter Kreativität, Kommunikation, und erneuerter Modellbildung reagieren kann. Die Wahrscheinlichkeit mit der zweiten Strategie neuere und bessere Antworten zu finden, ist um Dimensionen größer, wenngleich nicht ohne Risiko. Die Kontrollstrategie hat aber das größere Gesamtrisiko und führt fast unausweichlich zum Scheitern, während die Kreative Strategie partiell riskant ist, aber insgesamt – sofern es überhaupt eine Lösung gibt – diese finden wird. Die Kontrollstrategie ist emotional gekoppelt an ‚Angst‘, die Kreative Strategie an ‚Vertrauen‘. (In der Tradition der christlichen Spiritualität gibt es eine Grundregel, mittels der man erkennen kann, ob man sich in Übereinstimmung mit ‚Gott‘ befindet oder nicht: das Phänomen des ‚Trostes‘, der ‚Freude‘, der ‚Gelassenheit‘, des ‚Vertrauens‘, der ‚Angstfreiheit‘; d.h. wenn ich etwas tue, was in mir ‚real‘ (!) auf Dauer keinen ‚Trost‘ bewirkt, keine ‚Freude‘, keine ‚Gelassenheit‘, kein ‚Vertrauen‘, keine ‚Angstfreiheit‘, dann bewege ich mich nicht in die Richtung, die Gott von mir erwartet. Auch wenn man nicht an die Existenz eines ‚Gottes‘ glaubt, ist es interessant, dass die Kernelemente christlicher Spiritualität nahezu identisch sind mit den Kernelementen einer modernen mathematischen Lerntheorie, die für alle lernende System gilt, die auf der Erde überleben wollen).

DAS SNOWDON SYNDROM

11) Was hat dies alles mit dem ‚Snowdon Syndrom‘ zu tun? Warum ‚Syndrom‘? Ich verstehe unter ‚Syndrom‘ hier das Zusammenspiel vieler Faktoren, die einerseits einzeln zu wirken scheinen, andererseits aber vielfältig untereinander wechselwirken, sich gegenseitig beeinflussen. Und die Ereignisse ‚um Snowdon herum‘ erscheinen mir so als ein Netzwerk von Ereignissen, Äußerungen, Entscheidungen, die, bei näherer Betrachtung, sehr wohl Zusammenhänge erkennen lassen, die sich mit der Thematik des neuen Weltbildes berühren.
12) Innerhalb der letzten knapp vier Wochen (2.-27.Juli 2013) konnte ich 48 Artikel zum Snowdon Syndrom lesen, zwei Artikel aus dem Frühjahr 2012 habe ich nachgelesen. Dazu kam die eine oder andere Sendung im Radio und Fernsehen. Bedenkt man, wie wenig Zeit man täglich hat, überhaupt Zeitung zu lesen, ist das viel. Gemessen am Thema und seinen sachlichen Verästlungen ist es verschwindend gering. Die folgenden Gedanken sollten daher nur als Denkanstöße verstanden werden.

NETZÜBERWACHUNG REIN TECHNISCH

13) Auslöser für die vielen Artikeln und Beiträgen in den Medien waren die spektakuläre Reise von Snowdon nach Hongkong, seine Weitereise nach Moskau, sein dortiges bislang aufgezwungenes Verweilen, und natürlich seine Mitteilungen über Praktiken amerikanischer Geheimdienste, insbesondere der NSA, der National Security Agency. Viele behaupteten nach den ‚Enthüllungen‘, dass sich das ja eigentlich jeder hätte denken können, dass so etwas passiert, was zumindest für alle Informatikexperten gilt, und hier insbesondere bei jenen, die sich mit Netz- und Computersicherheit beschäftigen; die wissen seit vielen Jahren nicht nur, wie man in Netze und Computer eindringen und sie manipulieren kann, sondern auch, dass dies täglich in tausendfachen Formen geschieht. Akteure sind einmal kriminelle Organisation, die hier ein Eldorado zum Geldverdienen entdeckt haben, Teile davon sind Wirtschaftsspionage, anderes sind geheimdienstliche Aktivitäten für allerlei Zwecke, u.a. einfach zur ‚Absicherung der Macht‘ bestimmter Gruppen. Für diese Experten haben die Meldungen von Snowdon in der Tat nichts wirklich Neues gebracht, höchstens ein paar mehr Details zum Ausmaß der Aktivitäten der amerikanischen Regierung.
14) Ich würde hier auch gerne unterscheiden zwischen den ‚technischen‘ Aspekten von Datenausspähungen, Datenmanipulationen einerseits und den ’sozialen‘, ‚politischen‘, ‚kulturellen‘ und ‚ethischen‘ Aspekten andererseits. Rein technisch haben die Mitteilungen von Snowdon nichts Neues erbracht. Auch die verschiedenen Techniken, die sowohl Geheimdienste wie auch Netzfirmen wie Google, Facebook und Amazon (um die bekanntesten zu nennen) anwenden, aus einer großen Datenmenge (‚big data‘) solche ‚Informationen‘ zu extrahieren, die Hinweise auf spezielle Eigenschaften oder Trends bestimmter Personen und Personengruppen liefern, sind generell bekannt, werden an vielen Universitäten und speziellen Firmen dieser Welt gelehrt und entwickelt (dazu natürlich in vielen speziellen Labors vieler Staaten im Wahn, ein spezielles Labor könnte geheim etwas entwickeln, was die vielen Universitäten nicht könnten. Das ist eine grobe Täuschung. Würde man die Gelder der NSA in alle Universitäten umleiten, wäre der kreativ-produktive Effekt auf die Gesellschaft und Wirtschaft ein Vielfaches von dem, was jetzt stattfindet. Vielleicht sollten die anderen Staaten froh sein, dass die USA auf diese Weise einen Großteil ihres Kapital quasi ‚vernichten‘, da sonst die amerikanische Wirtschaft im Bereich Computer, Software und Netzwerke noch übermächtiger wäre…)).

NETZWERKE: JENSEITS DER TECHNIK

15) Was viele erregt und aufregt, liegt daher weniger im Bereich der verwendeten Technologien, sondern in den sozialen, kulturellen, ethischen und dann auch politischen Dimensionen, die sich mit dem immer mehr publik werden neuen Computer-Netz-Technologien und ihrer Nutzung verknüpfen.
16) Für die meisten wirkten sich die neuen Technologien zunächst darin aus, dass sie im Bereich alltäglicher Kommunikation und alltäglichen Informationsaustausches ganz praktisch neue Möglichkeiten erhielten. Sehr schnell änderten sich flächendeckend alltägliche Verhaltensweisen. Dazu kam, dass nahezu alle Dienste zu Beginn ‚kostenlos‘ waren. Das Geschäftsmodell war einfach: deine Informationen als frei verwertbarer Inhalt für mich, dafür für dich deine Nutzung aller Dienste kostenfrei. Dass die Netzfirmen und die Geheimdienste damit ein Dateneldorado vorfanden, in dem sie sich mit Zustimmung der ‚Lieferanten‘ ungehemmt bewegen konnten, war vielen zunächst nicht so richtig bewusst und erschien vernachlässigbar angesichts der konkreten praktischen Nutzen auf privater Ebene. Mit der massenhaften Nutzung kam natürlich auch der wachsende Missbrauch und in den beginnenden Klagen, Streitigkeiten und Prozessen begann zaghaft ein wachsendes Bewusstsein von der Realität (und den Gefahren) der freien Nutzung zu wachsen. Dass sich die öffentliche Diskussion speziell an den Mitteilungen Snowdons dann mehr als bisher entzündete (Wer konnte bis heute überhaupt Snowdons Miteilungen überprüfen?), erscheint mir eher als ein Zufall. Das Thema war am Aufkochen und auch ohne Snowdon gab es erste alternative Geschäftsmodelle, die sich den wachsenden Unmut der großen Menge zunutze machen wollen, und bezahlte Dienste anbieten, dafür aber ohne Ausspähung und Datenmissbrauch. Der Fall Snowdon hat den ganzen Prozess jetzt womöglich nur beschleunigt. Der Wertzuwachs in der Nutzung von Netzen für viele private und zivile Zwecke ist zu groß, als dass man darauf in der Zukunft wieder verzichten möchte. Wie immer gibt es hier eine ’natürliche‘ evolutionäre Entwicklung, bei der negative Auswüchse recht schnell von der Gesellschaft weder abgestoßen werden. Die Geschäftsmodelle von Google, Facebook und Amazon (und auch andere ‚closed shops‘ wie z.B. Apple, Samsung oder Microsoft) sind schon heute eigentlich tot, was nicht heißt, dass sie es noch ein paar Jahre schaffen.

US-REGIERUNGSFORM – PROBLEMATISCHE ENTWICKLUNG?

17) Ein ernsteres Problem hat nach meinem aktuellen Verständnis allerdings das amerikanische politische System. Die USA hatten immer einen überaus mächtigen Komplex aus Geheimdiensten, Militär und Wirtschaft, deren Interessen nicht unbedingt ‚zum Wohle‘ der übrigen amerikanischen Bevölkerung waren. Dazu kommt das Ethos des ‚weißen Ritters‘, der zumindest im Umfeld des zweiten Weltkrieges die USA lange Zeit weithin als ein großes Vorbild für viele hat erstrahlen lassen. Doch seitdem häufen sich Ereignisse, die eher die schmutzigen Seiten dieses Systems nach außen kehren. In dem Zusammenhang erscheinen die Ereignisse um den 11.September 2001 als sehr verhängnisvoll. Der Kampf gegen den ‚Terrorismus‘ wurde zu einem neuen Leitthema, das so stark war, dass diesem fast alles andere untergeordnet wurde. Nach der Verabschiedung des USA-Patriot Act: Uniting (and) Strengthening America (by) Providing Appropriate Tools Required (to) Intercept (and) Obstruct Terrorism Act 2001 war die Gründung des US Staatsministerium für Sicherheit der Heimat 2002 war nach Ansicht vieler Experten die größte Veränderung in der Architektur der Exekutive seit dem Nationalen Sicherheitsvertrag von 1947. Der Schutz vor Bedrohung, speziell ‚Terrorismus‘ gewann ein Ausmaß, das fast alles andere zu ersticken drohte. Ergänzend dazu gab es seit 1978 die Verordnung zur Überwachung fremder geheimdienstlicher Aktivitäten (Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA)), die mehrfach erweitert wurde und dabei die Grenzziehung zum Schutz der Privatsphäre selbst für Amerikaner immer schwächer werden lies (für Nichtamerikaner gibt es sowieso überhaupt keine Rechte; vor dem Gesetz ist ein Nicht-Amerikaner unterschiedslos ein rechtloses Subjekt, mit dem die Exekutive machen kann, was sie will). Das wachsende Unbehagen über die übermächtigen Zugriffsmöglichkeiten der Exekutive in die Privatsphäre des einzelnen, sollte durch Einrichtung des Staatlichen Gerichtshofes zur Überwachung der Überwachung (‚United States Foreign Intelligence Surveillance Court (FIS)) 1978 gewährleistet werden.
18) Wie der tatsächliche Verlauf seitdem mit seinen vielen Änderungen, Diskussionen und Gerichtsprozessen anzeigt, verläuft die Gesamtentwicklung eher in Richtung Ausweitung der Aktivitäten der Geheimdienste weit über die vorgesehenen Grenzwerte hinaus.
19) Es gibt zwar grundsätzlich den vierten Zusatz zur US-Verfassung, zum Schutz der Privatsphäre, auch ein Gesetz für den freien Zugang zu Informationen staatlicher Stellen (‚Freedom of Information Act (FOIA)‘), sowie zeitgleich mit dem Staatsministerium für die Sicherheit der Heimat ein Amt zur Sicherung des Schutzes der Privatsphäre (Privacy Office of the U.S. Department of Homeland Security), aber was nützt ein Verfassungsartikel, wenn die täglicher Praxis ihn beständig unterläuft und die Überwachungsgremien eher den Eindruck erwecken, dass sie alles durchwinken und sich einer öffentlichen politischen Diskussion entziehen. Wichtige kritische Gruppierungen sind hier vielleicht das Zentrum für Zivilrecht (Center for Civil Rights (CCR)) oder auch die der Vereinigung für die Grenzen der Elektronik (Electronic Frontier Foundation (EFF)) , aber der entscheidende Punkt ist, wieweit die staatlichen Stellen und die Regierung dem Bürger noch reale Freiräume einräumen, zuerst mal für die US-Bürger selbst, dann aber auch für Nicht-US-Bürger. Irgendwo gibt es die Idee der ‚Menschenrechte‘ und es wäre nicht schlecht, wenn ein Land wie USA die Menschenrecht innerhalb ihres Rechtssystems einen solchen Platz einräumen würden, der der reinen Willkür von US-Behörden gegenüber Nicht-Amerikaner einen klaren rechtlichen Rahmen geben würden. Ansonsten müßten alle Nichtamerikaner die USA aufgrund ihrer rechtlich fixierten Menschenverachtung als direkten Feind betrachten. Dies kann nicht das Ziel sein.

WHISTLEBLOWER

20) Neben dem vierten Verfassungsartikel, dem Amt zum Schutz der Privatsphäre sowie dem Spezialgericht zur Kontrolle der Geheimdiensttätigkeiten (FISA) gibt es in den USA seit 1983 auch ein eigenes Gesetz, das Beschluss zur Ermöglichung von Hinweisen zum Missbrauch (False Claims Act), das eigentlich solche Menschen schützen soll, die Missbrauch entdecken und aufdecken, es geht um die ‚Whistleblower‘, etwa ‚Zuflüsterer‘. Bekanntgewordene Fälle zeigen aber, dass dieses Gesetz von staatlichen Stellen und der Regierung auf vielfache Weise abgeschwächt und unterdrückt werden kann. Die besten Gesetze nützen nichts, wenn die staatlichen Stellen sie nicht hinreichend anwenden (Eines von mehreren beeindruckenden Negativbeispielen für ein Versagen der staatlichen Stellen ist der Bericht (und das Buch) von Peter van Buren , hier eine Liste von einschlägigen Artikeln Artikel zu Whistleblower und Staatsverhalten). Im Falle von Snowdon sieht Snowdon sich als Whistleblower, da er aus seiner Sicht in den überbordenden Aktivitäten der NSA einen ‚Missbrauch‘ sieht, den man anzeigen muss. Die NSA selbst und die Regierung sieht aber in ihrem Verhalten ein ‚gesetzeskonformes‘ Vorgehen, das den Interessen der USA dient. Aus Sicht der staatlichen Stellen ist Snowdon von daher ein ‚Verräter‘; aus Sicht derjenigen Menschen, die im Verhalten der NSA und der US-Regierung eine Grenzüberschreitung sehen, die elementare Rechtsauffassungen verletzt, ist Snowdon ein ‚Whistleblower‘. Der Ausgang ist offen.

DIE USA HABEN EINE GLOBALE BEDEUTUNG

21) Man könnte versucht sein, diese Problemlage in den USA als ‚Sache der Amerikaner‘ abzutun. Das ist meines Erachtens zu einfach. Die USA sind nicht irgendein Land. Die USA sind eines der wichtigsten Länder dieser Erde und sie werden dies auch noch einige Zeit bleiben. Dort vollzieht sich momentan ein Prozess der Umwälzung der Gesellschaft durch die neuen Computer-Netz-basierten Technologien, bei gleichzeitiger Regredierung des politischen Systems in Richtung ‚Überwachungsstaat‘. Die Beteiligten selbst sehen dies noch nicht so, da sie alles mit der Brille der ‚Bedrohung‘ und des ‚Terrorismus‘ sehen (ich unterstelle mal, dass die entscheidenden Leute tatsächlich ‚Patrioten‘ sind und keine finstren Machtmenschen, die den Staat für sich unter Kontrolle bringen wollen (in den Filmen ist es so)). Und es gibt genügend kompetente Kritikern in den USA selbst, die vielfach aufzeigen, wie ineffizient, zu teuer, und letztlich weitgehend wirkungslos diese ganzen Maßnahmen sind (für jemanden, der einen terroristischen Akt gegen die USA ausüben wollte, sind alle die Maßnahmen geradezu lächerlich; meist werden ahnungslose Bürger aufgegriffen, die aus Versehen die falschen Worte benutzt haben). Doch kann keiner voraussagen, wie dieser Transformationsprozeß ausgehen wird. Wir sollten alle daran interessiert sein, dass er nicht in einem hochtechnologischen Überwachungsstaat endet.

ABSPANN

22) Es gibt einerseits die Visionen für das große Ganze, die weder leicht noch selbstverständlich sind, und dann gibt es die unendlich vielen kleinen Schritte im Alltag, durch die sich das große Ganze realisiert oder nicht.
23) Wenn der Erfolg nur davon abhängen würde, dass wir als einzelne alles perfekt und richtig machen, würde wir beständig grandios scheitern. Der Prozeß folgt aber vielen Logiken gleichzeitig. Die meisten verstehen wir nicht.
24) Vielleicht werden Historiker später einmal sagen, dass es gut war, dass die amerikanische Regierung diese Überwachungsmonströsitäten versucht hat, um alle aufzuwecken und zur ‚Vernunft‘ zu bringen, dass es so nicht geht. Vielleicht…
25) Ob der deutsche Innenminister dabei irgendeine Rolle spielen wird? Die Bundeskanzlerin? Welch Rolle die Presse in Deutschland überhaupt spielt? Vielleicht sollten Deutsche und Amerikaner in der Öffentlichkeit mehr miteinander reden. Anders wird sich kaum etwas ändern.

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

M.DONALD: EVOLUTION DES MENSCHLICHEN BEWUSSTSEINS – Kurzbesprechung, Teil 2

Diesem Beitrag ging voraus Teil 1.

1) Das siebte Kapitel ist überschrieben ‚The First Hybrid Minds on Earth‘ (etwa: ‚Die ersten hybriden Geister auf der Erde‘). (S.252)
2) [Anmerkung: Das Problem ist, dass es für den Plural des englischen Begriffs ‚minds‘ in diesem Kontext keine direkte Übersetzung gibt. Die Übersetzung ‚Geister‘ ist eher irreführend, da mit ‚Geister‘ im Deutschen etwas anderes assoziiert wird als mit dem Plural von ‚minds‘. Das liegt daran, dass der deutsche Singular ‚Geist‘ einmal die ‚geistige Kapazität‘ im allgemeinen meinen kann, aber auch ein ontologisch schillerndes Wesen, das als ‚Geist‘ zwar ‚irgendwie‘ da ist, aber nicht so, wie ein reales Wesen. Von der ‚geistigen Kapazität‘ im Singular gibt es im Deutschen aber keinen wirklichen Plural, also die ‚geistige Kapazität‘ in vielfachen Ausprägungen, viele ‚reale‘ Wesen mit einem ‚realen‘ Geist. Die Übersetzung von ‚mind‘ als ‚Verstand‘ oder ‚Vernunft‘ ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Aber auch von ‚Verstand‘ und ‚Vernunft‘ gibt es im Deutschen keinen Plural! Das ist eigentlich interessant. Warum kann man im Deutschen von ‚Geist‘, ‚Verstand‘ und ‚Vernunft‘ nicht im Plural sprechen bzw. denken? Faktisch sind diese Eigenschaften an individuelle Körper gebunden, von denen es viele gibt. Warum kann man im Deutschen dann nicht von ‚den Geistern‘, den ‚Verständen‘, ‚den Vernünften‘ sprechen? Ich denke, hier zeigt sich in der Sprache etwas, das man nicht so einfach hinnehmen sollte.]
3) Das Kapitel startet mit der These, dass die Entwicklung ’symbolischer Fähigkeiten‘ (’symbolic skills‘) nicht durch Beschränkung auf ein isoliertes Gehirn alleine erklärt werden können, da es sich um Phänomene handelt, die ‚inhärent vernetzte Phänomene‘ (‚inherent network phenomena‘) sind.(vgl. S.252)
4) [Anmerkung: Wenn ich einen Körper als Ansammlung von vielen Zellen (ca. 14 Billionen, 14 * 10^12) verstehe, die in ihrer Ausformung von einem genetischen Bauplan und seiner ‚Umsetzung‘ in Form von ‚Wachstum‘ abhängig sind, dann kann ich die genetische und die ontogenetische Maschinerie natürlich bis zu einem gewissen Grad beschreiben, ohne explizit Bezug auf externe Faktoren zu nehmen. Eine solche Beschreibung ist auch nicht ‚falsch‘, da das, was ich beschreibe, ja empirisch aufweisbar ist. Dennoch kann diese empirische nicht falsche Beschreibung in ihrem Verzicht auf korrelierende Kontext-Faktoren möglicherweise entscheidende Faktoren ‚unterschlagen‘ (‚verdrängen‘,…). Dies wäre dann der Fall, wenn sich die ‚körperinternen‘ Faktoren in ihren Veränderungen nur ‚verstehen lassen würden‘, wenn man die korrelierenden Faktoren einbeziehen würde. Verstehen ist aber relativ, kriterienabhängig: welche Eigenschaften erscheinen einem ‚wichtig‘, so dass man sie in eine Erklärung einbeziehen möchte? ]
5) [Anmerkung: In einer empirischen Erklärung gelten nur Phänomene, die notwendig sind, um das Auftreten eines bestimmten Phänomens auch in Form einer Voraussage ‚erklären‘ zu können, etwa: Wenn X gegeben ist, dann wird Y mit einer Wahrscheinlichkeit von p auftreten. Wenn ich mehrere biologische Arten A1, …, Ak habe, die eine Eigenschaft P0 gemeinsam haben, sich aber jeweils in mindestens einer Eigenschaft P1, …, Pk voneinander unterscheiden, dann würde eine Beschränkung auf P0 zwar nicht falsch sein, aber eben nicht alles erklären. Um die Art Ai in ihrer Besonderheit erklären zu können, müsste ich die Eigenschaften P0 + Pi erklären, nicht nur P0 alleine.]
6) [Anmerkung: Wie im Falle biologischer Systeme bekannt, entwickeln sich besondere Arten Ai mit einer Spezialeigenschaft Pi in der Regel immer in Abhängigkeit von einer besonderen Umgebungseigenschaften Ei. Dies bedeutet, man kann das Auftreten der Eigenschaft Pi bei der Art Ai nicht ‚verstehen‘, wenn man die korrelierende Eigenschaft Ei nicht berücksichtigt. Aus diesem Grund betrachtet die moderne Biologie biologische Systeme Ai niemals isoliert, sondern immer nur im Kontext von jeweiligen umgebenden Lebensräumen Ei und die ‚Wechselwirkungen‘ zwischen Umgebung und der Population der Art Ai. Diese Wechselwirkungen setzen sich zusammen aus individuellen Eigenschaften des jeweiligen individuellen biologischen Systems (z.B. spezifische Wahrnehmungsfähigkeit, Verdauungsfähigkeit, Bewegungsform, usw.) und verbunden damit mit der Zahl der Nachkommen während der Lebenszeit. Die individuellen Fähigkeiten erweisen ihre Bedeutung in der Fähigkeit, dass die Population als Ganze in jeder Generation über hinreichend viele und fähige Nachkommen verfügt. Diese Sicht der Dinge war in der Biologie nicht immer schon da; sie musste Schritt für Schritt erarbeitet werden.]
7) [Anmerkung: Die These von Donald , dass man den Kontext einbeziehen muss, ist von daher einerseits nichts grundlegend Neues. Andererseits legt er den Finger auf Kontexteigenschaften, die als solche qualitativ verschieden sind von den vorausgehenden. ‚Symbole‘ sind vieldeutige Werkzeuge, die der Mensch so in der Natur nicht vorgefunden, sondern die er selber geschaffen hat. In dem Maße, wie er sie geschaffen hat, können sie zu einem Teil seiner Umgebung werden, die wie die ’natürliche‘ Umgebung auf ihn ‚einwirken‘ kann. Und hier kommt die nächste Besonderheit: Symbole als Umgebung wirken nicht nur physisch auf den Menschen ein wie die natürliche Natur, sondern sie beeinflussen die gedanklichen Prozesse des Menschen, sie bilden ‚Formen‘, ‚Muster‘, ‚Regeln‘, Strukturen‘, ‚Inhalte‘ usw. der gedanklichen Prozesse, mit Hilfe deren sich der Mensch in seiner Welt ‚orientiert‘. Die Orientierung besteht darin, dass der Mensch ‚im Medium seiner Gedanken‘ seine Wahrnehmungen von der Welt (und sich selbst) ‚interpretiert‘. Anders gesagt: mit den Symbolen als Werkzeug schafft der Mensch eine Umgebung, die auf ihn zurückwirken kann, und mit Hilfe von der er die Welt interpretiert; eine bizarre ‚Rückkopplung‘. Dies ist keine genetisch-ontogenetisch vermittelte Koevolution sondern eine symbolisch vermittelte Koevolution ‚mit sich selbst‘; das ist eine neue Qualität. Der Mensch schafft sich in symbolischen Räumen ein Medium, das als dieses Medium auf sein Denken zurückwirkt und darin permanent sein Medium verändert.]
8) [Anmerkung: Verglichen mit der genetischen basierten Evolution ist diese Art von symbolischer Koevolution um Dimensionen schneller. Durch die ‚Ungleichzeitigkeit‘ von genetischer und symbolischer Koevolution ist ein massiver Konflikt vorprogrammiert: wird die schnellere symbolische Evolution die langsamere genetische Evolution letztlich strukturell verändern können (durch ‚Gentechnik‘) oder wird die symbolische Evolution durch Schaffung eines ‚künstlichen Geistes‘ die genetische Evolution überflüssig machen? ]
9) Diese These bedeutet im Fall der Sprache, dass es – nach Donald — nicht die Fähigkeit zum Sprechen als solche war, die zum Phänomen der Sprache in ihrem vollem Umfang geführt hat, sondern in der Bildung von ‚gedanklichen Gemeinschaften‘ (‚cognitive communities‘). Dies bedeutet, das Zusammensein und das Zusammenwirken von mehreren Menschen als solchen muss gegeben gewesen sein, damit sich aus einem elementaren ‚Sprechen‘ ein ‚Sprache‘ entwickeln konnte. (vgl. SS.252-254)
10) [Anmerkung: So suggestiv diese Formulierungen von Donald klingen mögen, so erscheint mir doch Vorsicht geboten. Wie schon das einfache Beispiel mit den beiden Nervenzellen A und B andeutete, die ein UND oder OR-Gatter realisieren: der einzelnen Zelle kann man dies Eigenschaft nicht ansehen. Noch kann man sagen, dass A sich nur so entwickeln konnte, weil es B gab (oder umgekehrt); in dem Falle reicht es aus, dass sowohl A als auch B bestimmte Grundeigenschaften besitzen, die in Kombination unterschiedliche Funktionen ‚zeigen‘. Das gleiche gilt für Atome; auch wenn man nicht sagt, dass Wasserstoff ‚H‘ sich bilden musste, weil es Sauerstoff ‚O‘ gab (oder umgekehrt), gilt, dass eine Kombination von ‚H‘ und ‚O‘ zu ‚H2O‘ möglich ist und dann in dieser Kombination ’neue‘ Eigenschaften zeigt. M.a.W. das Vorkommen von einzelnen Gehirnen im Rahmen einer Population bedeutet, dass die Gehirne ‚ihre eigene Umgebung‘ sind. Das Besondere wäre nicht die Umgebung als solche, sondern die Tatsache, dass Gehirne spezielle Eigenschaften besitzen, die, wenn sie auf ein anderes Gehirn treffen, ’sichtbar‘ werden. Im Falle der Sprache als einem vernetzten Beziehungssystem von ‚Sprachmaterial‘ (‚token‘) ‚Z‘, möglichem ‚intentionalem Gegenstand‘ ‚O'(‚real‘ oder ‚gedacht‘), ‚gewusster Bedeutungsbeziehung‘ ‚B: Z <---> O‘ und einem ’semiotischen System‘ ‚S‘ als Träger und Realisator dieser Bedeutungsbeziehungen, sind Gehirne in einem Körper – soweit wir sie kennen – die idealen Mediatoren für Sprache: Gehirne können intentionale Gegenstände O ‚repräsentieren‘, sie können Zeichenmaterial Z ‚produzieren‘, sie können beliebige Bedeutungsbeziehungen B realisieren, und sie können diese Fähigkeiten als dynamische Systeme kontinuierlich einsetzen. Dies bedeutet, die Präsenz von mindestens zwei Gehirnen bietet alle Voraussetzungen dafür, dass sich Sprache bilden kann. ]
11) [Anmerkung: Vor diesem Hintergrund erscheint es bemerkenswert, dass die Wissenschaft sich bislang so schwer tut, Sprachbildungsprozesse mit dem Computer nach zu vollziehen. Seit den pionierhaften Talking-Heads Experimenten eines Luc Steels sind wir nicht viel weiter gekommen (siehe Quellen unten) (vergleicht man die Forschungsmittel, die generell ausgegeben werden mit jenen, die für Forschungen zur künstlichen Intelligenz ausgegeben werden, so ist der Betrag für künstliche Intelligenz so niedrig, dass man ihn kaum in Prozenten ausdrücken kann. Aber ich bezweifle, ob es nur am Geld liegt.]
12) Das erste, was Kinder in solchen gedanklichen Gemeinschaften lernen müssen, das ist ein Satz von ‚reziproken Verhaltensmustern‘, in denen man sich wechselseitig der Aufmerksamkeit versichern kann. Dies wiederum geht nur, sofern die Gedächtnisstrukturen hinreichend differenziert sind. Objekte, Relationen, Strukturen, Rollen, Abläufe usw. müssen erinnert werden können; Selbstmodelle und Fremdmodelle, die Metareflexionen voraussetzen. Dies alles impliziert komplexe Lernprozesse, die wiederum Zeit brauchen und entsprechende soziale Umgebungen, die dazu beitragen, dass bestimmte Muster ’sozial einprogrammiert‘ werden. (vgl.SS.254-257)
13) [Anmerkung: Aufgrund des nachweisbaren Zusammenhangs zwischen bestimmten Umgebungseigenschaften Ei und bestimmten Eigenschaften Pi einer bestimmten Art Ai ist die Versuchung groß, diesen Zusammenhang ‚kausal‘ zu interpretieren, also im Sinne ‚weil‘ es Ei gibt, daher bildete sich Pi heraus. Mir scheint, dies ist – wenn überhaupt – höchstens die ‚halbe Wahrheit‘. Bedenkt man die Funktionsweise der genetischen basierten Evolution, so ist die primäre Quelle von möglichen Strukturen das Wechselspiel von Selbstreproduktion des genetischen Codes und der molekularen Übersetzung des Codes in Proteinstrukturen als Ontogenese. Dies bedeutet, dass – egal welche Umgebungseigenschaften jeweils gegeben sind – primär der verfügbare genetische Code und dessen molekulare Übersetzung darüber entscheidet, was sich überhaupt an Strukturen bilden kann. So könnte es grundsätzlich auch so sein, dass die Menge der genetisch bedingten Strukturen grundsätzlich nicht zu den umgebungsmäßig gegebenen Eigenschaften Ei passen würde. In diesem Fall könnten die Umgebungseigenschaften niemals ‚bewirken‘, dass sich ‚geeignete‘ Strukturen bilden. Der Eindruck von möglichen kausalen Zusammenhängen ist ‚beobachterabhängig‘ und eher ein ‚Artefakt des Denkens‘. Dass es zu scheinbaren ‚Anpassungen‘ kommen kann ist zwar ein ‚Auswahlprozesse‘ (Selektion‘), aber nicht in dem Sinne, dass die gegebenen Umgebungseigenschaften Ei aller erst die speziellen genetischen Eigenschaften Gi schaffen, die zu den phänotypischen Eigenschaften Pi führen, sondern weil der genetische und ontogenetische Prozess ‚von sich aus‘ die Eigenschaften Gi bereitstellen kann bzw. sie bereitgestellt hatte können diese dann ’selektiert‘ werden, weil jene Phänotypen, die aus diesen Gi hervorgegangen sind, mehr Nachkommen haben, als jene Phänotypen, die aus einem anderen Genotyp Gj hervorgegangen sind. Die Dramaturgie von geologischem Erdprozess und genetisch basierter Evolution ist damit in keiner Weise aufgeklärt; hier gibt es mehr Fragen als Antworten.‘]
14) Donald ergänzt seine Bemerkungen zum Gedächtnis dahingehend, dass er für das menschliche Gedächtnis postuliert, dass es die beobachtbaren Verhaltensleistungen nur unterstützen kann, wenn es in viele funktional differenzierte Bereich aufgegliedert ist, die parallel arbeiten können. So müssten wir grundsätzlich unterscheiden können zwischen ‚Selbst‘ und ‚Anderer‘, ‚Gegenwart‘, ‚Vergangenheit‘ und ‚Zukunft‘. (vgl. SS.257-259)
15) [Anmerkung: Es ist interessant, wie vage und allgemein die Aussagen zum Gedächtnis sind, obgleich doch gerade das Gedächtnis so zentral sein soll für die symbolisch vermittelte Kultur (ein ähnliches Phänomen war bei Norman zu beobachten. Auch bei ihm waren die Aussagen zum Gedächtnis sehr vage, plakativ, nicht durch harte empirische Modellbildung abgesicherten. Andererseits, wenn man sieht, wie schwer sich selbst die neuesten neurowissenschaftlichen Forschungen zum Raumgedächtnis und episodischen Gedächtnis tun, dann darf man Donald hier nicht zu hart kritisieren. Aber zumindest sollte er dann darauf hinweisen, dass es ziemlich spekulativ ist, was er da sagt…]

LITERATURHINWEISE

Steels, L.; Cooperation between distributed agents through self-organisation, Intelligent Robots and Systems ’90. ‚Towards a New Frontier of Applications‘, Proceedings. IROS ’90. IEEE International Workshop on, pp. 8 – 14 supl, 1990
Steels, Luc (1990) „Components of Expertise“ , AI Magazine Volume 11 Number 2 (1990), pp. 28-49.
Steels, L.; Mathematical analysis of behavior systems, From Perception to Action Conference, 1994., Proceedings, pp. 88 – 95, 1994
Steels, L.; A self-organizing spatial vocabulary, Artificial Life Journal, 2(3), pp. 319-332, 1995
Steels, L.; Language Games for Autonomous Robots, IEEE Intelligent Systems , Volume 16 Issue 5, pp.16 – 22, 2001
Steels, Luc; (2001) Grounding Symbols through Evolutionary Language Games. In: Cangelosi A. and Parisi D. (Eds.) Simulating the Evolution of Language Springer.
Steels, L.; Evolving grounded communication for robots, Trends in Cognitive Science 7(7), July 2003, pp.308 – 312
Steels, L.; Semiotic Dynamics for Embodied Agents, Intelligent Systems, IEEE, Volume: 21 , Issue: 3, pp. 32 – 38, 2006
Steels, L.; The Symbol Grounding Problem has been solved. So What’s Next?, In Glenberg, A.; Graesser, A.; Vega, M. de; (Eds.), Symbols, Embodiment, and Meaning, Oxford University Press, pp. 506-557, 2008
Steels, L.; Work on Symbol Grounding now needs concrete Experimentation, Intern. J. of Signs and Semiotic Systems, 1(1), pp. 57-58, 2011
Steels, Luc (2011) „Design Patterns in Fluid Construction Grammar“ , Amsterdam: John Benjamins Pub.
Steels, Luc (2011) „Modeling the cultural evolution of language.“ Physics of Life Reviews, 8(4) pp. 339-356.

Fortsetzung folgt in Teil 3.

Einen Überblick über alle bisherige Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

M.DONALD – EVOLUTION DES MENSCHLICHEN BEWUSSTSEINS – Kurzbesprechung, Teil 1

Merlin Donald, A Mind So Rare. The Evolution of Human Consciousness. New York – London: W.W.Norton & Company, 2001

Zur Person von Merlin Donald gibt es einen Eintrag in der englischen Wikipedia und einen kurzen Text der Case Western University. Das aktuelle Buch ist eine Art Weiterentwickung seines Buches von 1991 (s.u.).

1) Dass ich bei einem Buch nur ausgewählte Kapitel bespreche ist neu. Liegt aber darin begründet, dass die im Kontext dieses Blogs interessante Thesen sich erst in den Schlusskapiteln finden (und weil die knappe Zeit eine Auswahl erzwingt).
2) Im Vorwort (‚Prologue‘) (vgl. SS.X – XIV) macht Donald darauf aufmerksam dass wissenschaftlicher Fortschritt nicht selten erst möglich wurde, wenn wir anscheinend gültige alltäglich Wahrheiten als trügerisch und falsch erkannt haben (z.B. erwiesen sich die Atome Demokrits im Laufe der Zeit nicht nur nicht als nicht ’solide‘, sondern die Unterscheidung zwischen Energie und Materie brach grundsätzlich in sich zusammen). Ähnlich erwiesen sich viele Anschauungen der Philosophie und der Psychologie über den menschlichen Geist als Täuschungen. Die Realität unserer Körper bestätigt keine einzige der Anschauungen der letzten Jahrtausende. Ein Schwerpunkt des Buches von Donald liegt darin, dass er die Besonderheit des menschlichen Geistes nicht in der Besonderheit der spezifischen Beschaffenheit des Gehirns alleine liegt (wenngleich es welche aufweist), sondern in der Fähigkeit, ‚Kultur‘ (‚culture‘) hervorzubringen und zu assimilieren. (vgl. S.XIII) Der menschliche ‚Geist‘ (‚mind‘) existiert nicht ‚für sich‘, sondern nur eingewoben in das Netzwerk einer Kultur. Für sich genommen ist ein einzelnes Gehirn isoliert, eingeschlossen in einen Körper, vollständig ’solipsistisch‘. Und es ist eine spannende Frage, wie es möglich war, dass die einzelnen Gehirne ihre Isoliertheit und Gefangenschaft im einzelnen Körper entkommen konnten.
3) Im Kap.1 zeichnet er ein wenig das Spannungsverhältnis zwischen dem Thema ‚Bewusstsein‘ einerseits und dem Thema ‚Evolution‘ andererseits nach. Im Allgemeinen sehen – nach Donald – Vertreter der Evolutionstheorie das Phänomen des Bewusstseins als etwas an, das ganz und gar unwissenschaftlich ist. (vgl. S.1) Als ‚Anti-Bewusstseins-Denker‘ nennt er ausdrücklich die Namen Daniel Dennett (der sich selbst als ‚Philosoph‘ bezeichnet) und den Psychologen Stephen Pinker. (vgl. S.1f) Die Grundthese von diesen beiden und anderen, die Donald nur ‚evolutionäre Hardliner‘ nennt, besteht nach Donald darin, dass sie die ‚Gene‘ und die ‚Maschinerie der Neuronen‘ zu den eigentlichen ‚Akteuren‘ erklären und dem Phänomen des Bewusstseins nur eine ephemere Rolle zubilligen. Die Erfolge der künstlichen Intelligenzforschung nutzen sie dann als zusätzlichen Hinweis darauf, dass man für die Erklärung sogenannter ‚geistiger Eigenschaften‘ keine speziellen ‚geistigen Eigenschaften‘ benötigt, sondern dass die normale ‚Hardware‘ – also sowohl die Chips der Computer wie die Zellen des Gehirns – ausreiche, um diese ‚Geistigkeit‘ – auch in Form eines ‚Bewusstseins‘ – zu erzeugen. (vgl. S.2f) Entsprechend sind auch emergente Phänomene wie ‚Kultur‘ nur Ausstülpungen der zugrunde liegenden ‚Hardware‘. (vgl. S.3) Richard Dawkins hat in diesem Kontext das Denkmodell der ‚Meme‘ eingeführt; diese sieht er in Analogie zu den Genen als Grundelemente kulturellen Denkens.(vgl. S.4) Der einzelne Mensch ist nach Donald in diesem Modell von Dawkins ein willenloses Etwas, von ‚unten‘ determiniert durch die Gene und die übermächtige Hardware des Körpers, von außen durch eine vorgegebene Umwelt und dann, zusätzlich, durch die Meme der Kultur, die von außen in ihn eindringen und seine Wahrnehmung und sein Denken steuern.(vgl. S.4)
4) Diesem das Bewusstsein herunter spielende Denken setzt Donald zahlreiche empirische Befunde entgegen (Oliver Sacks, Melvyn Goodale, A.D.Milner, Tony Marcel, Ariel Mack, Irvin Rock, Peter Juszyck), die alle zusammen die Hypothese unterstützen sollen, dass nahezu alle wichtigen Lernleistungen ganz bestimmte Aufmerksamkeitsleistungen und Bewusstheit voraussetzen. Nachdem man etwas mit Aufmerksamkeit und Bewusstsein gelernt hat, kann man es oft ‚automatisieren‘. Außerdem zeigt sich, dass diese charakteristischen ‚Bewusstheiten‘ mit bestimmten Gehirnarealen korrelieren; werden diese beschädigt sind diese Bewusstheiten nicht mehr verfügbar. (vgl. SS.4-7)
5) Donald sieht sich selbst nicht im Gegensatz zu einer evolutionären Sicht der Entstehung des Lebens. Im Gegensatz zu jenen, die er evolutionäre Hardliner nennt, betrachtet er aber das Phänomen des Bewusstseins, so, wie es sich bei den Menschen dann zeigte, als eine Entwicklung, die etwas Besonderes repräsentiert, das den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Natürlich gibt es reale Veränderungen im Gehirn selbst, die nachweisbar sind, aber diese Veränderungen der ‚Hardware‘ erklärt als solche nicht den zusätzlichen ‚Funktionszuwachs‘, der letztlich der Schlüssel zu allem ist, was den Menschen von den anderen Lebewesen markant unterscheidet; das Phänomen der ‚Sprachen‘ ist hier nur ein Aspekt, wenngleich vielleicht ein sehr zentraler. Während alle anderen Lebewesen – soweit wir heute erkennen können – weitgehend von ihren genetisch induzierten Programmen bestimmt sind, hat der Mensch die Fähigkeit erlangt, durch sein Selbstbewusstsein und durch seine Sprachfähigkeit die vorgegebenen Bahnen eindrücklich und nachhaltig aufzubrechen, nicht nur einmal, sondern andauernd. (vgl. S.7f)
6) Donald gibt auch zu, dass er selbst noch keine ‚Theorie des Selbstbewusstseins‘ im engeren Sinn habe und er sieht auch nicht, dass es solch eine Theorie in naher Zukunft geben könnte. Was er aber versucht, das ist die Inblicknahme des Phänomens ‚Selbstbewusstsein‘ in all seinen Manifestationen, in der Hoffnung, dass dann in der Zukunft vielleicht so langsam eine Theorie entstehen könnte, die diese Manifestationen in Beziehung setzen kann zu der zugrunde liegenden Maschinerie.(vgl. S.8f)
7) [Anmerkung: Donald benutzt ohne erkennbare Logik verschiedene Wortmarken abwechselnd, wenn er von (Selbst-)Bewusstsein spricht, z.B. ‚awareness‘, ‚consciousness‘, ’subjective awareness‘. Mir kommt es so vor, als ob die Wortmarke ‚conscsiousness‘ am häufigsten vorkommt. ]
8) Nach Donald fängt das Problem auch schon mit der Schwierigkeit einer klaren Definition an. Er selbst lehnt es ab, das Phänomen des ‚Selbstbewusstseins‘ z.B. auf reine ’sensorische Empfindung‘ oder auf ‚Sprache‘ zu reduzieren. Für ihn zeigt sich das Phänomen auf vielen Ebenen und in vielen Brennpunkten gleichzeitig und es ist zugleich tief verwurzelt in einem evolutionären Prozess. Unsere Art, Dinge ‚bewusst‘ tun zu können zeichnet uns aus vor allen anderen Arten. (vgl. SS.8-10) Dies schließt nicht aus, dass wir Teile unsere zerebralen Maschinerie mit anderen Lebewesen teilen, aber eben nicht alles. (vgl. S.10f) Und das Besondere des Menschen ist eben, dass seine zerebrale Maschinerie nicht nur Sprache und Kultur ermöglicht, sondern – und das ist das absolut Besondere – dass Sprache und Kultur auf den einzelnen Menschen so zurückwirken können, dass er als Teil von Sprache und Kultur einfach ein ‚anderes Wesen‘ wird als ohne diese beiden Elemente. (vgl. S.11)
9) [Anmerkung: Der Text von Donald liest sich recht packend, fast dramatisch. Man spürt, wie er mit den starken Tendenzen in Wissenschaft und Philosophie ringt, das Phänomen des Selbstbewusstseins ‚klein zu reden‘, es ‚weg zu reden‘. Während man es bei empirischen Wissenschaftlern fast noch verstehen kann, dass sie eine ’natürliche Scheu‘ vor zu komplexen Phänomenen haben, die sich einer einfachen empirischen Analyse entziehen, gewinnt es bei Menschen, die sich Philosophen nennen, dann schon fast bizarre Züge. Andererseits, auch das ‚Kleinreden‘ von Phänomenen kann seinen Wert haben und die Position eines Daniel Dennett hat in ihrer Radikalität so manchen vielleicht aufgeschreckt und dazu gebracht, doch auch einmal selbst über das Phänomen Selbstbewusstsein nachzudenken und nicht nur ’nachdenken zu lassen‘.]
10) [Anmerkung: Wie bei allen ‚emergenten‘ Phänomenen (z.B. ‚Wärme‘, ‚Phänotypen‘, ‚Verhalten‘ usw.) ist es natürlich immer am einfachsten sich einer Erklärung ganz zu verweigern und einfach nur auf die hervorbringenden Einzelelemente zu verweisen, die mit dem emergenten Phänomen korrelieren. So sind die einzelnen neuronalen Zellen in einem Nervensystem als solche aufweisbar und man kann einzelne ihrer Eigenschaften ‚messen‘. Aber mit noch so vielem Aufweisen einzelner Zellen kann man das Gesamtverhalten von z.B. nur zwei einzelnen Zellen NICHT erklären, die sich z.B. wie ein logisches Gatter (UND, ODER) verhalten. Von einer ‚höheren Betrachtungsebene‘ aus ist klar, dass es genau diese logische Struktur ist, die da ‚am Werke‘ ist, aber diese logische Struktur als solche ist kein ‚Objekt‘ wie die einzelnen, beteiligten Zellen. Die logische Struktur ist eine ‚Funktion‘ die sich ‚implizit im Verhalten zeigt‘, wenn man das Verhalten entsprechend ‚betrachtet‘. D.h. im ‚Zusammenwirken‘ beider einzelner Zellen zeigt sich eine ‚Eigenschaft‘, die sie beide ‚zusammen‘ haben, aber nur zusammen; bei Betrachtung jeder Zelle für sich würde diese Eigenschaft nicht sichtbar werden. Die Frage ist dann, wie man den ‚ontologischen Status‘ dieser ‚gemeinsamen Eigenschaft‘ bewertet. Die gemeinsame Eigenschaft ist ‚manifest‘, ‚real‘ beim ‚Zusammenwirken‘ und auch nur für denjenigen, der das Zusammenwirken als Zusammenwirken ‚beobachtet‘. Ohne einen Beobachter werden sich beide Zellen – nach unserem Wissen – genauso verhalten, aber für den menschlichen Erkenntnisraum erschließt sich dieser Sachverhalt nur, wenn es wenigstens einen menschlichen Beobachter gibt, der speziell auf das Zusammenwirken der beiden Zellen achtet und der darüber hinaus in der Lage ist, ein ‚Konzept‘ wie das des ‚logischen Gatters‘ oder einer ‚boolschen logischen Funktion‘ zu denken. Jemand, der keine Ahnung von Logik hat, würde das Verhalten der beiden Zellen, obgleich es da wäre, gar nicht wahrnehmen. ]
11) [Anmerkung: Das emergente Phänomen des Selbstbewusstseins ist zwar um ein Unendliches komplexer als unser Zwei-Neuronen-Modell eines logischen Gatters (es gibt ca. 100 Mrd. Nervenzellen die mit dem Phänomen des Selbstbewusstseins korrelieren…), es ist aber strukturell sehr ähnlich. Sollte es spezielle Verhaltenseigenschaften der 100 Mrd. Neuronen geben, die sich eben nur in ihrem Zusammenwirken zeigen, und zwar als ‚reale‘ Eigenschaften, dann wäre es eine Form von ‚kognitiver Blindheit‘, diese nicht wahrzunehmen, nur weil man die dazu notwendigen begrifflichen Konzepte nicht parat hätte. Bei Dennett und Pinker könnte man – wenn man Donald liest – den Verdacht hegen, dass sie von solch einer Spielart ‚kognitiver Blindheit‘ betroffen sind, dass sie nicht einmal im Ansatz anzunehmen scheinen, dass es reale komplexe Eigenschaften geben kann, die sich nur im Zusammenspiel von vielen einzelnen Elementen – in ‚emergenter‘ Weise, wie man so schön sagt – zeigen können. Wenn man bedenkt, wie schwer wir uns mit unserem Denken tun, schon bei vergleichsweise einfachen emergenten Phänomenen (z.B. bei logischen Sachverhalten mit nur ein paar Duzent logischen Operatoren) den Überblick zu behalten, dann wundert es vielleicht nicht, wenn wir bei so unendlich komplexen Phänomen wie den verschiedenen Verhaltenseigenschaften des Gehirns uns eher auf die ‚kognitive Flucht‘ begeben als uns der mühsamen Analyse ihrer impliziten Logik zu unterziehen. ]

Zur Fortsetzung siehe HIER.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

QUELLENNACHWEISE

Ein älteres Buch von Donald:

Merlin Donald, Origins of the Modern Mind. Three stages in the evolution of culture and cognition. Cambridge (MA) – London: Harvard University Press, 1991