Das Böse in der Soziologie

Als Beitrag für den blog von cagent und den philosophischen workshop hier ein paar Gedanken zum Thema „Das Böse“ in der Soziologie:

Das Böse ist das Abweichende

Das Böse setzt immer schon ein Wertesystem (das Richtige) voraus, nach dem es sich von seinem Gegenpart „dem Guten“ abgrenzen lässt. Ein von Geburt an böses Verhalten (genetisch bedingter schlechter Mensch) ist zu verneinen (abgesehen von psychischen Defekten), vielmehr ist von gelerntem Verhalten (Frustration – Belohnung, Abgrenzung – Anerkennung) auszugehen. Insofern ist alles böse, was nicht den anerkannten – herrschenden – gesellschaftlichen Normen entspricht (du „böses“ Kind). Das heißt nicht, dass es sich nur um Sozialisierungsdefizite handelt, es geht auch um bewußt abweichendes Verhalten, das der Mensch aus freien Stücken wählt, um sich selber in seiner Individualität zu bestärken oder als zu einer Gruppe gehörig auszuweisen, in der das Verhalten akzeptiert wird.
Aufgrund der Relativität seiner Bedeutung findet sich keine Definition des Bösen; was in einem Wertesystem böse ist, kann in einem anderen gut sein. Ob es gesellschaftsübergreifende, allgemein anerkannte Werte gibt (Menschenrechte) wäre zu diskutieren.

Das Böse ist der Preis der Freiheit

Es gibt aber Versuche der Bestimmung durch Ersatzbegriffe.
In theologischer Sicht ist die „Sünde“ zu nennen – in psychologischer die „Aggression„. Das Böse ist aber nicht einfach der Teufel oder die Destruktion, es ist da als Preis der Freiheit, den der Mensch zu bezahlen hat. Er kann wählen und daher auch das Falsche wählen. Insofern gehört das Böse zum Menschlichen.

Das Böse trennt die Menschen in Täter und Opfer

In einem harmloseren Sinne ist das Böse so zu verstehen, dass ein Mensch nicht das Richtige tut, weil er zuwenig weiß oder aus Unvermögen; als verfestigter Habitus wäre das als asoziales Verhalten zu bezeichnen. Tritt bewußt regelverletzendes oder gar gewaltsames Handeln (ohne Rücksicht auf Regeln und Respektierung der menschlichen Grundrechte, Würde und Unversehrtheit) hinzu, so äußert es sich In einem bedrohlichen Sinne, wenn der Mensch aus Fanatismus (er übt das Köpfen von Ungläubigen an Tieren) oder Lust am Bösen handelt (er stiehlt nicht die Birnen vom Baum wegen der Früchte, sondern weil das Verbotene reizt). Dies Böse ist nicht nur der lustvolle Regelverstoß, das gegen das Gemeinwohl gerichtete Zerstörerische, sondern geht über das abstrakt-Destruktive hinaus bis zum Sadistischen, Nekrophilen; es äußert sich im Quälen und Töten von Mitmenschen.

Das Böse ist das Ende eines friedlichen Zusammenlebens und gleichberechtigter Verständigung unter Menschen

Mit einem solchen, seine Mitmenschen nicht nur diskriminierenden oder verletzenden Verhalten, sondern einem sie bewußt vernichten wollenden Gewaltanwenden überschreitet der böse Mensch eine Grenze. Er verkörpert dann das Böse als Person und wendet sich als solche gegen seine Mitmenschen; er wird zum Feind. Das Böse in dieser Ausprägung lässt auch keinen Dialog mehr zu; die Ebene von Worten wurde verlassen; die Ebene der Gewalttaten hat sie ersetzt. Der solcherart Böse will weder verstanden noch akzeptiert werden; er will mit dem Bösen als Mittel seine Interessen durchsetzen und/oder seine Werte (das Falsche) als neues Wertesystem etablieren – ohne wenn und aber. Die Menschen gegen die er sich durchsetzt sind nicht seinesgleichen; er unterwirft oder versklavt sie, er nimmt ihnen ihre Freiheit und Würde.

Die Bösen sind keine Menschen mehr

Hier reden wir nun nicht mehr über das Böse, sondern über den oder die Bösen.  Das Böse ist personifiziert. Es ist nicht mehr kalkulierbar, findet außerhalb unseres Regelsystems und jenseits unserer Wertvorstellungen statt. Als Erklärungsversuch sehen wir in solchem Verhalten eine Entartung, eine Perversion und halten die Bösen evtl. auch für krank. Gerade weil wir bereit sind, „gute“ Aggressivität zur Erhaltung unserer vitalen Interessen (bis hin zur Kriegsführung) als äußerstes Mittel menschlichen Verhaltens zu akzeptieren, ist hier eine Grenze zu erkennen, wenn der Böse dem Menschen seine Freiheit nimmt und Gewalt ausübt, ohne eine wie auch geartete Zustimmung der Gesellschaft zu haben. Inwieweit ein derart böse handelnder Mensch noch als menschlich zu bezeichnen ist (oder dann eben als Bestie oder Monster), wäre zu diskutieren.
Holger