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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

FIGUR 1, MUSTER 3, MIT DEN QUANTOREN EAE

1. Für diese Figur benutzt Avicenna die Ausdrücke ‚E S sind G‘, ‚A G haben F‘, ‚E S haben F‘. Dazu die Beispiele ‚Einige Substanzen sind Geister‘, ‚Alle Geister haben eine Form‘, ‚Einige Substanzen haben eine Form‘.

2. Wie immer unterstellen wir zunächst eine abstrakte Bedeutung repräsentiert in der unterstellten dynamischen Objektstruktur Oa, losgelöst von der Frage der empirischen Geltung.

3. Die Zuordnung von Muster (E S sind G) zum Ausdruck ‚Einige Substanzen sind Geister‘ ergibt die Abkürzungen ‚E := Einige‘, ‚S := Substanzen‘, ‚G := Geister‘.

4. ‚S‘ und ‚G‘ repräsentieren echte Objekte und lassen sich damit als Mengen von potentiellen Elementen darstellen mit der Aussage, dass es Elemente gibt, die in beiden potentiellen Mengen vorkommen, also z.B. $latex S \cap G \not= \emptyset$.

5. Die Zuordnung von Muster (A G haben F) zum Ausdruck ‚Alle Geister haben eine Form‘ ergibt die Abkürzungen ‚A := Alle‘, ‚G := Geister‘, und ‚F := Form‘.

6. In diesem Beispiel liegt wieder der Fall vor, dass mit dem Term ‚F‘ als ‚Form‘ hier ein ‚unechtes‘ Objekt, also eine ‚Eigenschaft‘ vorliegt, was auch durch das Beziehungswort ‚haben‘ ausgedrückt wird. Man würde also sagen müssen, dass alle G die Eigenschaft haben, eine Form ‚F‘ zu besitzen, oder noch ausdrücklicher: alle potentiellen Elemente der Menge G (Geister) haben auch die Eigenschaft, eine Form ‚F‘ zu besitzen. Da Eigenschaften nie alleine auftreten können, könnte man hier interpolieren und sagen, es gibt eine ein unbekanntes Objekt, dessen potentiellen Elemente die Eigenschaft besitzen, eine Form zu sein. Dann gibt es die Menge der Objekte, die eine Form haben; nennen wir diese abkürzend F‘. Dann könnte man sagen, dass alle potentiellen Elemente von G auch potentielle Elemente von F‘ sind, also etwa $latex G \subseteq F’$. Oder man belässt es bei der einfachen Zuweisung einer weiteren Eigenschaft F im Sinne von $latex \forall x(G(x) \longrightarrow F(x))$. Diese Formulierung zeigt, dass wir sprachlich quasi automatisch die Mitgliedschaft in einer Menge G so interpretieren, als ob das Element x das in G ist, die ‚Eigenschaft G habe‘. So, wie wir umgekehrt aus dem ‚haben einer Eigenschaft F‘ auf die ‚Elementschaft in einer potentiellen Menge F‘ schließen. Dies kann man als ein ‚Indiz‘ dafür sehen, dass es sich mit den angenommenen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten um einen tiefliegenden (transzendentalen) Mechanismus des Alltagsdenkens handelt.

7. Wenn also gelten soll, dass einige Elemente von der potentiellen Menge S auch Elemente der potentiellen Menge G sind, zugleich aber alle Elemente der potentiellen Menge G die Eigenschaft F haben (bzw. in der Menge der potentiellen Elemente von F‘ sind), dann ‚vererbt‘ sich diese Eigenschaft auch auf einige Elemente der potentiellen Menge von S, also ‚Einige Substanzen haben eine Form‘ bzw. mit ‚E:=Einige‘, ‚S:=Substanzen‘ und ‚F:=Form‘ dann (E S haben F).

8. Die Argumentation basiert wieder auf dem Vorhandensein von Mengenrepräsentationen, dem Enthaltensein in diesen Mengen mit den Anzahlverhältnissen, sowie der ‚Vererbung‘ aufgrund von vorhandenen ‚Zuschreibungen‘.

FIGUR 1, MUSTER 4, MIT DEN QUANTOREN E(A-)(E-)

9. Für diese Figur benutzt Avicenna die Ausdrücke ‚E S sind G‘, ‚A G nicht haben B‘, ‚E S nicht haben B‘. Dazu die Beispiele ‚Einige Substanzen sind Geister‘, ‚Alle Geister haben keinen Körper‘ (als: ‚Kein Geist hat einen Körper‘), ‚Einige Substanzen haben keinen Körper‘.

10. Die Zuordnung von Muster (E S sind G) zum Ausdruck ‚Einige Substanzen sind Geister‘ ergibt die Abkürzungen ‚E := Einige‘, ‚S := Substanzen‘, ‚G := Geister‘.

11. ‚S‘ und ‚G‘ repräsentieren echte Objekte und lassen sich damit als Mengen von potentiellen Elementen darstellen mit der Aussage, dass es Elemente gibt, die in beiden potentiellen Mengen vorkommen, also z.B. $latex S \cap G \not= \emptyset$.

12. Die Zuordnung von Muster (A G nicht haben B) zum Ausdruck ‚Alle Geister nicht haben einen Körper‘ (mit ’nicht haben einen‘ als ‚haben keinen‘) ergibt die Abkürzungen ‚A := Alle‘, ‚G := Geister‘, und ‚B := Körper‘.

13. In diesem Beispiel liegt wieder der Fall vor, dass mit dem Term ‚B‘ als ‚Körper‘ hier ein ‚unechtes‘ Objekt vorliegt, das als ‚Eigenschaft‘ dem Objekt G zugesprochen wird. Andererseits wird der Term ‚Körper‘ oft auch als echtes Objekt im Sinne von ‚der Körper da‘ verwendet (In der englischen Übersetzung wird die Verwendung als echtes Objekt benutzt; ich weiß nicht, was im Urtext steht. Letztlich spielt es keine entscheidende Rolle. Wie wir lernen: echte und unechte Objekte können sich wechselseitig leicht ’substituieren‘). Würde man aus der Eigenschaft ‚Körper‘ ein Objekt Körper B‘ machen, dann hätten wir die Verhältnisse $latex G \subseteq B’$. Würden wir mehr den Eigenschaftscharakter betonen, dann bliebe es bei $latex \forall x(G(x) \longrightarrow B(x))$.

14. ‚E S sind G‘, ‚A G nicht haben B‘, ‚E S nicht haben B‘.

15. Wenn also gelten soll, dass einige Elemente von der potentiellen Menge S auch Elemente der potentiellen Menge G sind, zugleich aber alle Elemente der potentiellen Menge G nicht die Eigenschaft B haben (bzw. nicht in der Menge der potentiellen Elemente von B‘ sind), dann ‚vererbt‘ sich diese Eigenschaft auch auf einige Elemente der potentiellen Menge von S, also ‚Einige Substanzen haben keinen Körper‘ bzw. mit ‚E:=Einige‘, ‚S:=Substanzen‘ und ‚B:=Körper‘ dann (E S nicht haben B).

16. Die Argumentation basiert wieder auf dem Vorhandensein von Mengenrepräsentationen, dem Enthaltensein in diesen Mengen mit den Anzahlverhältnissen, sowie der ‚Vererbung‘ aufgrund von vorhandenen ‚Zuschreibungen‘.

ZUSAMMENFASSUNG SYLOGISMUS FIGUR 1, MUSTER 1-4

17. Betrachten wir alle vier Muster von Figur 1.

1 2 3 4
Annahme 1 A A E E
Annahme 2 A A- A A-
Folgerung A A- E E-

18. Die Prämissen haben die Form (AA), (A(A-)),(EA), (E(A-)). Von der Mengenstruktur her betrachtet, die sich über die Objektzuordnung ergibt, zeigt sich hier (i) das Verhältnis, dass Entweder Alle (A) Elemente der Ausgangsmenge (Nebenannahme, Minor) auch in der zweiten Menge (Hauptannahme, Major) sind oder nur Einige (E). Dann wird die Eigenschaftszuweisung für die zweite Menge (Major) festgelegt: (ii) Entweder haben alle (A) Elemente eine bestimmte Eigenschaft X oder ‚Alle nicht‘ (A-) bzw. ‚keines‘. In der nachfolgenden Folgerung (iii) lässt sich dann mittels ‚Vererbung‘ sagen, dass alle Elemente aus der zweiten Menge (Major), die eine Eigenschaft X haben entweder entsprechend sich auch auf alle (A) oder einige (E) Elemente der ersten Menge (Minor) vererben. Im negativen Fall, wenn kein Element (A-) aus der zweiten Menge (Major) die Eigenschaft X hat, entsprechend nicht. So gesehen repräsentiert die zweite Annahme (Major) tatsächlich den zentralen Sachverhalt. Die erste Annahme (Minor) erscheint dann wie eine Art ‚Filter‘ des zweiten Sachverhalts.

19. Man kann sich jetzt die Frage stellen, ob dies alle Muster sind, die mit der Figur 1 möglich sind oder nicht. Zur Erinnerung hier nochmals die Strukturen der drei Schlussfiguren:

Avicenna Grundstrukturen der drei syllogistischen Schlussfiguren des konjunktiven Syllogismus
Avicenna Grundstrukturen der drei syllogistischen Schlussfiguren des konjunktiven Syllogismus

20. Man sieht, dass die drei Figuren sich nur darin unterscheiden, wie die verbindenden Termine zwischen der ersten und zweiten Prämisse verteilt sind: (i) diagonal2, (ii) vertikal rechts, (iii) vertikal links.

21. Würde man die beiden Prämissen vertauschen, würde aus diagonal2 die Anordnung diagonal1. Inhaltlich würde dies keinen Unterschied machen.

22. Die Anordnung vertikal rechts bzw. vertikal links unterscheidet sich formal darin, dass die Aussagestruktur ’normalerweise‘ als (S P) angenommen wird, also links ein Objekt, von dem der Sachverhalt P ausgesagt wird, wobei der Sachverhalt P sehr oft die Zuweisung einer Eigenschaft ist (‚hat einen Körper‘, ‚hat eine Form‘, ‚ist sterblich‘, usw.). Nimmt man dies an, dann würde mit ‚vertikal links‘ bzw. ‚vertikal rechts‘ zwei unterschiedliche Sachverhalte markiert. Wie wir aber an den Beispielen schon gesehen haben, ist der Charakterisierung als P bzw. S ‚fließend‘: man kann (immer?) ein P als S interpretieren und ein S als P. Damit würde die Unterscheidung von ‚vertikal rechts‘ bzw. ‚vertikal links‘ hinfällig. Damit würde alles, was für Figur 2 gilt, auch für Figur 3 zutreffen. Genauso könnte man aufgrund des ‚fließenden‘ Charakters von S und P die Frage stellen, inwieweit die Unterscheidung von Figur 1 zum Unterschied von 2 und 3 aufrecht erhalten werden kann.

23. Die Arbeitshypothese würde hier also lauten: Figur 1 = Figur 2 = Figur 3 bezogen auf die zugrundeliegenden Bedeutungsstrukturen. Dies würde bedeuten, dass die Quantorenkombinationen der drei Figuren ‚gleich möglich‘ sein sollten. Dies soll in den nächsten Beiträgen überprüft werden.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 20

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 9.Oktober 2014
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org

Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

FIGUR 1 MIT DEN QUANTOREN A(A-)(A-)

1. Für diese Figur benutzt Avicenna die Muster ‚A F ist B‘, ‚A B ist nicht H‘ als ‚Kein A ist B‘, ‚A F ist nicht H‘ als ‚Kein F ist H‘, dazu die Beispiele ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘, ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, ‚Kein ausgedehnter Körper ist unerschaffen‘.

2. Wir haben als echte Objekte die ‚Körper‘ mit der zusätzlichen Eigenschaft, ‚ausgedehnt‘, dies ergibt die Menge F := ‚ausgedehnte Körper‘. Im Falle des Terms ‚B‘ wird es schwierig. In dem Ausdruck ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘ repräsentiert ‚farbige Körper‘ ein B‘ als die Menge der ‚farbigen Körper‘; im Ausdruck ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘ (A F ist B) steht der Termin ‚B‘ aber für eine Eigenschaft ‚farbig‘ eingebettet in eine Zuschreibungsbeziehung ‚ist‘, so dass – implizit — gesagt wird, dass alle Elemente aus der Menge F die Eigenschaft haben, ‚farbig zu sein‘. Wir haben also B=’farbig‘ und B’=’farbige Körper‘. Im direkten Vergleich ist B und B‘ nicht gleich! Man kann zwar aus (A F ist B) folgern, dass gilt ‚Jeder ausgedehnte Körper ist ein farbiger Körper‘, aber das hat Avicenna nicht explizit hingeschrieben. Explizit müsste man schreiben (A F ist B) mit B := ‚farbig‘, (A F sind B‘) mit B‘ := ‚farbige Körper‘, und dann (A B‘ nicht sind H), dann (A F nicht sind H).

3. Im Fall des Ausdrucks ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, also (A B‘ ist nicht H) benutzt Avicenna ‚unerschaffen‘ wieder als Eigenschaft. Der Ausdruck ‚erschaffen‘ ist ursprünglich eine Tätigkeit, die eine Beziehung zwischen Objekten bezeichnet, üblicherweise als ‚X erschafft Y‘ mit der Umformung ‚Y wurde (von X) erschaffen‘. Die Verneinung wäre (Nicht ‚Y wurde (von X) erschaffen‘), geschrieben als ‚Y wurde (von X) nicht erschaffen‘, was umgeformt werden kann in die Eigenschaft ‚unerschaffen‘, ‚Y ist unerschaffen‘. Y ist dann ein echtes Objekt mit der Eigenschaft ‚unerschaffen‘.

4. Im Ausdruck ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘ wird also eine Beziehung hergestellt zwischen der Menge der farbigen Körper (B‘) und der Eigenschaft ‚unerschaffen‘ zu sein. Diese Beziehung ist ’negativ‘, insoweit gesagt wird, dass kein Element aus der Menge der ‚farbigen Körper‘ B1 die Eigenschaft ‚unerschaffen‘ H haben soll.

5. Damit haben wir in den ersten beiden Ausdrücken dieses Musters des Syllogismus zweimal das Schema, dass es ein echtes Objekt gibt, und in einem Fall wird den Elementen des Objektes eine bestimmte Eigenschaft zugesprochen (Alle F … sind …), im anderen Fall wird eine Eigenschaft abgesprochen (Alle B‘ …. nicht sind …).

6. Zusätzlich wird (implizit) eine Enthaltensbeziehung festgestellt im Sinne von ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘ und ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘: $latex F \subseteq B’$, $latex B1 \subseteq \overline{H‘}$. Daraus folgt ‚analytisch‘, dass gilt $latex F \subseteq \overline{H‘}$.

OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG, VERERBUNG, QUANTOREN

7. Wir treffen in diesem Muster mit den Beispielen wieder auf den Prozess der Objektifizierung, tatsächlich sogar in impliziten Formen mit der expliziten Angabe von Eigenschaften und der stillschweigenden Annahme einer daraus sich ergebenden Mengenbildung.

8. Zusätzlich finden sich wieder Enthaltensbeziehungen einerseits anhand von Eigenschaftszuschreibungen, andererseits durch Benutzung von Anzahlquantoren.

9. Die Zuschreibung von Eigenschaften wird explizit vorgenommen.

10. Eine Vererbung von Eigenschaften von einer Menge zur anderen tritt nur implizit über eine Enthaltensbeziehung auf.

11. Es tritt nur eine Sorte von Quantoren auf.

12. Auch sei angemerkt, dass außer der Negation kein weiterer aussagenlogischer Operator auftritt.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 17

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

1. Die bisherigen Untersuchungen haben bislang schon zu einem sehr interessanten Ansatzpunkt geführt. Die Strategie, eine geeignete Objekthierarchie O als Widerpart der komplexen Ausdrucksseite E vorauszusetzen und entsprechend zu ‚konfigurieren‘ kann bislang viele bekannte Ausdruckstypen, angefangen von den einfachen (S P) und (P S) Strukturen bis hin zu lokalen Anzahl-, Raum- und Zeitoperatoren und -Quantoren einfach ‚erklären‘.

VERÄNDERUNGEN

2. Für die weitere Analyse bieten sich nun viele weitere Ansatzpunkte. Einer sticht besonders hervor. Alle bisherigen Begriffe bezogen sich auf Verhältnisse/ Beziehungen zwischen Teilen der Objekthierarchie O, die mehr oder weniger ’statisch‘ waren/ sind. Ein wesentlicher Zug unserer Realität ist aber, dass sie sich beständig ‚verändert‘!

3. Nicht nur haben alle biologischen Systeme die Eigenschaft, dass sie mit einer einzigen Zelle ihre Existenz beginnen, vielfältige Wachstumsprozesse zeigen um dann wieder ‚abzusterben‘, auch die umgebende nicht-biologischen Strukturen unterliegen permanenten Veränderungen, wenngleich die Zeitskala hier mit – oft – viel größeren Einheiten rechnet. Dazu kommt, dass die biologischen Systeme, die als Systeme permanenten Veränderungen unterliegen, zusätzliche Aktivitäten über ihr ‚Verhalten‘ entwickeln. Wir haben also mindestens zwei Arten von Veränderungsquellen: (i) die nichtbiologische Umwelt und (ii) die biologischen Systeme. Beide zeigen ‚Veränderungen‘ ‚an sich‘ (Erosionen, Wachstum), aber auch Veränderungen, die deutlichere Wirkungen ’nach außen‘ zeigt (‚Regnen‘, ‚Donnern‘, ‚Erde Beben‘, wegtragen, schlagen, umgraben…).

4. Ein erster Ansatz bestände darin, zu sagen, man muss die verschiedenen möglichen Veränderungen ‚benennen‘ können und zugleich markieren, welche Objekte ‚Träger‘ der Veränderungen sind, (‚Wer bebt?‘, ‚Wer donnert?‘, ‚Wer gräbt um‘), und welche Objekte die ‚Ziele der Veränderungen‘ sind (falls vorhanden). (‚Er gräbt den Boden um‘).

5. Eine Veränderung wäre dann eine ‚benannte Beziehung‘ mit einem möglichen Akteur und möglichen Adressaten, als z.B. ‚(X_quelle_1, …, X_quelle_k V Y_ziel_1, …, Y_ziel_n).

BEISPIELE NICHT-BIOLOGISCHE UMWELT

6. ‚Die Erde bebt‘ mit ‚Erde‘ als Akteur und ‚beben‘ als Aktivität (S P), S=’Die Erde‘, P=’bebt‘; ähnlich ‚Der Himmel donnert‘, (S P), S=Der Himmel, P=’donnert‘; ‚Es stürmt‘, (S P), S=’Es‘, P=’donnert‘; ‚Die Sonne scheint‘, (S P), S=’die Sonne‘, P=’scheint‘; usw. Im Beispiel ‚Schnee fällt‘ (S P), S=’Schnee‘, P=’fällt‘, kann man ‚Schnee‘ als Akteur sehen oder als ‚Objekt‘ der Veränderung; dann muss man sich den Akteur ‚dazu denken‘ als ‚(Der Himmel) lässt den Schnee fallen‘ (S P), S=’Der Himmel‘, P=(V Y), V=’lässt fallen‘, Y=’den Schnee‘;. ‚Der Mond geht auf‘, (S P), S=’der Mond‘, P=’geht auf‘; ‚Die Sterne leuchten‘, (S P), S=’die Sterne‘, P=’leuchten‘.

BEISPIELE BIOLOGISCHE SYSTEME

7. ‚Die Blumen blühen‘, (S P), S=’Die Blumen‘, P=’blühen‘; ‚Das Korn wächst‘ (S P), S=’das Korn‘, P=’wächst‘; ‚Der Fuchs beißt die Gans‘ (S P), S=’Der Fuchs‘, P=(V Y), V=’beißt‘, Y=’die Gans‘; ‚Der Hai jagt den Fisch …‘, (S P), S=’der Hai‘, P=(V Y), V=’jagt‘, Y=’den Fisch‘; ‚Der Baum wird immer größer‘ (Q S P), Q_t=’immer‘, S=der Baum‘, P=’größer werden‘; ‚Hans liebt Inge‘, (S P), S=’Hans‘, P=(V Y), V=’liebt‘, Y=’Inge‘; ‚Er streckte ihn nieder‘ (S P), S=’Er‘, P=(V Y), V=’niederstrecken‘, Y=’ihn‘.

8. ‚Er nahm den Bohrer und bohrte ein Loch in die Wand‘, (S1 P1 UND P2). Hier kann man eine Zusatzregel einführen, um diese ‚Kurzform‘ mit den bisherigen Annahmen zu ‚harmonisieren‘, indem man sagt, das diese Kurzform sich explizit hinschreiben lässt als (S1 P1) UND (S1 P2). Ferner tauchen zwei Ausdruckselemente auf, die Aufmerksamkeit erregen: ‚einen‘ sowie ‚in‘. Man kann den Ausdruck dem Aspekt ‚Anzahl‘ zuordnen, dann wäre es ein lokaler Quantor, der sagen will ‚genau ein Loch‘ und nicht mehr. Ferner kann ‚in‘ auf den Aspekt ‚Raum‘ bezogen werden; dann wäre es eine lokale Raumbeziehung, also S1=’Er‘, P1=(V1 Y1), V1=’nahm‘, Y1=’den Bohrer‘, P2=(V2 (Q_a Y2) (R_r Y3)) V2=’bohrte‘, Q_a=’EIN‘, Y2=’Loch‘, R_r=’IN‘, Y3=’die Wand‘.

9. ‚Er trat verzweifelt gegen die verschlossene Tür‘. Dieser Ausdruck enthält Ausdruckselemente, die über die bisherigen Begriffe hinausgehen. Geht man von der Struktur (S P) aus, so kann man sagen S=’Er‘. Dann wird es anders. Die Ausdrücke ‚verzweifelt‘ und ‚geschlossen‘ passen nicht in das bisherige Begriffsgefüge. Es sind weder ‚echte Objekte‘ noch ‚Tätigkeiten‘ noch lokale Beziehungen von ‚Anzahl‘, ‚Raum‘ oder ‚Zeit‘. In der Objekthierarchie gibt es noch den Begriff des ‚unechten Objekts‘, genannt ‚Eigenschaft‘ (Attribut, At). Damit könnte man sagen, ‚verzweifelt‘ ist eine Eigenschaft At1 des Akteurs beim Ausführen der Tätigkeit des ‚Tretens‘ und ‚verschlossen‘ At2 ist eine Eigenschaft des Objekts ‚Tür‘. Der Ausdruck ‚gegen‘ wäre wieder eine lokale Relation des Aspekts Raum. Dann könnte man schreiben P=((At1 V) (R_r At2 Y)) mit At1=’verzweifelt‘, V=’treten‘, R_r=’gegen‘, At2=’verschlossen‘, Y=’die Tür‘.

10. ‚Das Auto raste mit 150 Stundenkilometern gegen die Absperrung‘, (S P),S=’Das Auto‘, P=((V At1) (R_r Y)), V=’raste‘ At1=’mit 150 Stundenkilometern‘, R_r=’gegen‘, Y=’die Absperrung‘. Hier liegt wieder der Fall vor, dass es eine Eigenschaft At1 gibt, die zu der Tätigkeit V in Beziehung steht. Im vorausgehenden Beispiel wurde die Eigenschaft vor das V gesetzt, hier dahinter. Frage ist, ob man dies festlegen soll oder ob man die Position dem Satzbau der aktuellen Sprache folgen soll. Benutzt man Klammern, ist die Beziehung klar, die Position des Schreibens spielt keine Rolle.

11. ‚Er bestieg das Flugzeug und schnallte seinen Gurt fest‘, (S P) als (S P1) UND (S P2), S=’Er‘, P1=(V Y), V=’bestieg‘, Y=’das Flugzeug‘, P2=(V2 At Y2), V2=’schnallte fest‘, At=’seinen‘, Y2=’Gurt‘. In diesem Fall wurde der Ausdruck ’seinen‘ auch allgemein als Eigenschaft gewertet. Von der Alltagssprache her wissen wir, dass Eigenschaften, die sich auf individuelle ‚Besitz- und Verantwortungsverhältnisse‘ beziehen, in der Regel sprachlich besonders hervorgehoben werden. Man spricht von ‚Possesivpronomen‘ oder von ‚Besitzanzeigenden Fürwörtern‘. Dies würde dann auf eine ‚Beziehung’/ ‚Relation‘ verweisen, die neben ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ zwischen Objekten a und b bestehen kann und Bezug nehmen auf spezifische kulturelle Gegebenheiten, nämlich auf ‚Besitz‘ oder ‚Verantwortung‘ (für diesen Gurt hat er Verantwortung). Sofern man voraussetzen kann, dass ‚Besitz’/ ‚Verantwortung‘ eine allgemeine kulturelle Beziehungsgegebenheit ist (was nicht aus der primären Struktur der Welt folgt!), wäre der Ausdruck ’sein‘ eine spezielle lokale Relation R_x. Dann müsste man schreiben: P2=(V2 (R_x(S Y2))) mit SEIN(Er Gurt), V2=’schnallt an‘.

12. Diese zweite Interpretation verstärkt nochmals die Hypothese, dass es zusätzlich zu der dynamischen Objekthierarchie O eine Vielzahl von ‚Meta-Begriffen‘ und ‚Meta-Relationen‘ gibt, die wesentlich dazu gehören. Dies legt nahe, nicht nur von der Objekthierarchie O zu sprechen, sondern explizit möglicherweise von einer Menge von Relationen R1, R2, …, die alle über O definiert sind, also $latex < O, R1, R2, …, Rk>$. Die Bedeutungsbeziehung M würde dann lauten $latex M \subseteq E \times <O, R1, …, Rk>$.

13. ‚Nachdem er das Essen bestellt hatte las er erst einmal die Zeitung‘, (S P). Der Ausdruck ‚Nachdem‘ ist eindeutig bezogen auf den Aspekt der ‚Zeit‘ und damit ein globaler Zeitquantor oder eine lokale Zeitrelation. Letzteres scheint hier zuzutreffen: zwei Sachverhalte A und B werden in eine zeitliche Ordnung gesetzt: R_t( A, B), R_t=’NACHDEM‘ mit der Bedeutung, dass der Sachverhalt B auf den Sachverhalt A in der ‚Zeit‘ ’nachfolgt‘. Mit A=(S P) und B=(S2 P2) würden wir dann bekommen NACHDEM((S1 P1), (S2 P2)). Da hier S1=S2 ist, kann man sagen S1=’Er‘, P1=(Y1 V1), Y1 =’das Essen‘, V1=’bestellt hatte‘, P2=((V2 R_t2) Y2), V2=’las‘, R_t2=’erst einmal‘, Y2=’die Zeitung‘. Hier liegt ein zweiter Ausdruck vor, den man als lokale Zeitrelation R_t2 auffassen kann: ‚erst einmal‘. Hiermit wird die Zeitdimension referenziert und zwar der Aspekt, dass auf der Zeitachse mit einer Tätigkeit V2 begonnen wird und es angedeutet wird, dass andere Tätigkeiten folgen können.

14. ‚Vom 18.Stockwerk aus hatten sie einen sehr schönen Ausblick‘, (S P), S=’sie‘, P=(R_r (At Y) (At2 V)), R_r=’Vom-aus‘, At=’18.‘, Y=’Stockwerk‘. At2=’sehr schönen‘, V=’Ausblick haben‘. Die Eigenschaft ’18.‘ kann man auch als lokale Raumrelation interpretieren; hier als Eigenschaft At. Genauso könnte man auch den ganzen Ausdruck ‚Vom 18.Stockwerk‘ als lokale Raumrelation ansehen, also R_r=’Vom 18.Stockwerk‘. Man sieht, dass die Zuordnungen innerhalb und über (meta) der Objekthierarchie O bislang noch viel Spielraum bieten. Die Analyse R_r=’Vom 18.Stockwerk‘ würde dann ein (implizites) Objekt (ein Haus, ein Gebäude) voraussetzen, das mindestens 18 Stockwerke besitzt. Dies würde sich daraus ergeben, dass die Objekthierarchie O nur dann die Raumlokalisierung R_r=’Vom 18.Stockwerk‘ anbieten kann, wenn es überhaupt solch ein Objekt gibt. Dies wäre dann eines von vielen Beispielen von ‚implizitem Wissen‘ aufgrund einer komplexen Objektstruktur, die bei den beteiligten Akteuren vorausgesetzt werden kann; sie tragen sie gleichsam ‚mit sich herum‘.

15. ‚Als sie hinunter sah wurde ihr schwindlig‘. Hier begegnet eine zweite lokale Zeitrelation R_t=’als‘ (vorher ’nachher‘). Die Zeitrelation ordnet zwei Sachverhalte A und B zeitlich zueinander, in diesem Fall als ‚gleichzeitig‘. Statt ‚als‘ könnte man auch z.B. sagen ‚während‘; R_t(A B), A=(S P), B=(S2 P2), S=’sie‘, S2=’ihr‘, mit der Bedeutung S=S2. Der Ausdruck ‚ihr‘ repräsentiert einen speziellen Fall von Subjekt. Es wird Bezug genommen auf das Subjekt vom Beginn des Ausdrucks; der Ausdruck ‚ihr‘ wiederholt gleichsam das Subjekt S. Der Ausdruck ’sie‘ von S nimmt indirekt Bezug auf ein Objekt ‚a‘, und der Ausdruck ‚ihr‘ greift diesen Bezug wieder auf. Also P1=(R_r V1), R_r=’hinunter‘ V1=’sah‘, P2=’schwindlig werden‘.

ERGEBNISSE

16. Diese kurze Analyse lässt erkennen, dass die Kodierung von Veränderungen mittels Ausdruckselementen innerhalb eines Prädikates P mittels ‚Veränderungsausdrücken‘ V oft nicht nur die beteiligten Objekte Y benennt, sondern zusätzlich zahlreiche weitere Ausdruckselemente aktiviert, die räumliche Gegebenheiten R_r bezeichnen, zeitliche Relationen R_t, zusätzliche Eigenschaften At an den Veränderungen; dazu ferner spezielle kulturelle Relationen R_x einbeziehen können sowie mit zusätzlichen Subjektrepräsentationen operieren. Auch kann man beobachten, wie die Aneinanderreihung von unterschiedlichen Sachverhalten (S P) mit logischen Operatoren (S P) UND (S2 P2) auch zu speziellen Verkürzungen führen kann wie (S P1 UND P2).

17. Dies lässt erahnen, dass eine vollständige Analyse auch nur einer einzigen Alltagssprache von ihrer logisch relevanten Semantik her eine schier unendliche Aufgabe ist. Diese wird weder ein einzelner Mensch alleine noch viele Menschen über viele Genrationen hinweg jemals vollständig erfüllen können.

18. Was aber möglich erscheint, das ist die Analyse des grundlegenden Mechanismus, der sich mit Hilfe von evolvierenden Computermodellen experimentell untersuchen und mit realen semiotischen Systemen überprüfen lässt (Erste Überlegungen für ein konkretes Projekt finden sich hier).

19. Es folgt die Fortsetzung der Analyse der Texte von Avicenna.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

Eine Übersicht über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 16

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

WAHRE UND FALSCHE AUSSAGEN

1. Bislang haben wir uns bei der Rekonstruktion vorgetastet von der Wahrheit/ Falschheit von Aussagen A,B, … über zusammengesetzte wahre/ falsche Aussagen zur Feinstruktur von Aussagen der Art (S P). Schon am einfachen Beispiel der Beziehung zwischen zwei Objekten (a ist ein Y) oder (a hat ein Y) wurde die Hypothese formuliert, dass solche Aussagen voraussetzen, dass es in der Objekthierarchie O nicht nur zwei Objekte a,Y gibt, die in Beziehung gesetzt werden können, sondern dass es grundsätzlich möglich ist, ganze allgemein ‚Beziehungen‘ [R] (Relationen) zwischen Teilen der Objekthierarchie zu identifizieren und dann zu benennen.

2. Damit stellt sich die Frage, welche Arten von Beziehungen in der angenommenen Objekthierarchie O angenommen werden können/ müssen.

BEZIEHUNGSRAUM – TRANSZENDENTALE BEDINGUNGEN

3. IST_EIN, HAT_Y: Grundsätzlich folgt aus der Annahme einer ‚Hierarchie‘ im Objektraum O, dass es zwischen den Elementen der verschiedenen ‚Ebenen’/ ‚Stufen‘ (engl.: ‚level‘, ‚layer‘,…) die Beziehung gibt, dass die Objekte auf den ’niedrigeren‘ Stufen rein definitorisch/ analytisch die ‚Elemente‘ der höheren Stufen sind. Diese Arten von Beziehungen sind daher ein ‚Abfallprodukt‘ der vorgegebenen hierarchischen Struktur. Als solche sind diese Beziehungen ’notwendig‘, allerdings in einem grundlegenden Sinne: sie sind unumgänglich dem Denken vorgegeben, als Strukturmerkmal des Denkens. Dafür würde ich hier gerne Kants Begriff der ‚transzendentalen‘ Struktur benutzen, die er in seinem Hauptwerk Kritik der reinen Vernunft beschrieben hat. Diese dem Denken kraft Struktur vorgegebenen Gegebenheiten sind ‚transzendental‘. Im Lichte der modernen Evolutionsforschung sind es jene Strukturen, die genetisch mitbedingt die Strukturen unseres Körpers und unseres Gehirns ‚festlegen‘ und damit gewisse Arten der Informationsverarbeitung ermöglichen bzw. ausschließen (was schon Konrad Lorenz in seinem Buch ‚Die Rückseite des Spiegels‘ beschrieben hat (trotz seiner Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut)).

4. Es fragt sich hier, welch weitere Beziehungen/ Relationen man annehmen muss. Avicenna selbst deutet schon hin auf die Aspekte ‚Anzahl‘, ‚Raum‘ und ‚Zeit‘.

ANZAHL – QUANTITÄT

5. Der Aspekt der Anzahl ergibt sich transzendental daraus, dass ein Gattungsobjekt mehr als eine Instanz haben kann. Und insoweit überhaupt Begriffe ‚über‘ (meta) die Objekthierarchie möglich sind, wäre der Begriff der ‚Anzahl‘ (‚Quantität‘) vergleichsweise einfach. Entsprechend der Idee der ‚induktiven Aufzählung‘ wie bei der Definition der ’natürlichen Zahlen‘ kann man sehr feingliedrige ‚Äquivalenzklassen‘ bilden zwischen einer natürlichen Zahl und der entsprechenden Menge der Instanzen. Für den ‚Normalfall‘ genügen aber Begriffe wie ‚alle‘, ‚einige als nicht alle‘ sowie ‚keine‘ als ’nicht einige‘. In diesem Sinne wäre der ‚Anzahlbegriff‘ immer ‚lokal‘ bezogen auf die Instanzen eines Gattungsbegriffs. Geschrieben $latex \forall$ (alle), $latex \neg\forall$ (nicht alle = einige) und $latex \neg\exists$ (nicht einige als keine).

6. Entsprechend könnte man schreiben: $latex \forall (x \in S)(S P)$ als ‚Für alle Elemente aus S gilt, dass P für S gilt‘; $latex \neg\forall (x \in S)(S P)$ als ‚Nicht für alle x aus S gilt, dass P auf S zutrifft‘ bzw. ‚Für einige x aus S gilt, dass P auf S nicht zutrifft‘. $latex \neg\exists (x \in S)(S P)$ Es gibt kein x aus S, so dass P auf S zutrifft.

ZEIT

7. Der Aspekt der ‚Zeit‘ ergibt sich transzendental dann, wenn man davon ausgeht, dass unsere Objekthierarchie (siehe Schaubild) einen Gedächtnisanteil hat, aufgrund dessen Ereignisse als ‚vergangen‘, als ‚vorher‘ klassifiziert werden können. Der Begriff der ‚Zeit‘ ist dann eine ‚lineare‘ Anordnung von Ereignissen geordnet mit ‚vorher‘ ($latex <$) und ’nachher‘ ($latex >$) oder ‚gleichzeitig‘ ($latex =$). Auch hier funktionieren grobe Begriffe wie ‚immer‘ und ‚manchmal‘ oder ’nie‘ (nach Bedarf – wie bei der Anzahl – beliebig verfeinerbar durch ‚Uhren‘).

8. Beispiele: $latex \forall (t \in T)(S(t) P)$ als ‚Für alle Zeitpunkte t gilt, dass P auf S zutrifft‘, oder ‚P trifft auf S immer zu‘; $latex \neg\forall (t \in T)(S(t) P)$ als ‚Nicht für alle Zeitpunkte trifft P auf S zu‘ oder ‚Nicht immer …‘ oder ‚Manchmal trifft P nicht auf S zu‘; $latex \neg\exists (t \in T)(S P)$ als ‚Es gibt keinen Zeitpunkt t, bei dem P auf S zutrifft‘ oder ‚Niemals trifft …‘.

9. Im Fall der Zeit gibt es neben den allgemeinen Quantoren ‚immer‘, ‚manchmal‘ und ’nie‘ auch lokale Zeitangaben wie ‚VOR‘, ‚NACH‘, ‚GESTERN‘, ‚HEUTE’… Einige dieser lokalen Begriffe (‚HEUTE‘, ‚GESTERN‘, ..) setzen einen Standunkt voraus, andere (‚VOR‘, ‚NACH‘, …) nicht. ‚VOR dem Spiel regnete es‘ beschreibt die zeitliche Beziehung zwischen ‚Spiel‘ und ‚regnen‘ unabhängig vom Standpunkt. ‚GESTERN traf Hans Inge‘ ist vollständig nur verstehbar, wenn man den Zeitpunkt der Aussage kennt.

RAUM

10. Der Aspekt des ‚Raumes‘ ergibt sich dann transzendental, wenn man davon ausgeht, dass alle sinnlichen Eindrücke immer ‚eingebettet‘ in eine Raumstruktur auftreten; es gibt keinen Eindruck ohne eine ‚räumliche Umgebung‘ (siehe allgemeine Annahme der Einbettung von S in W). Auch der Begriff des ‚echten Objektes‘ a setzt voraus, dass sich das ‚a‘ von einer ‚Umgebung‘ abgrenzen lässt. Eine offene Frage ist, wie genau sich diese implizite Raumstruktur aus der Sinneswahrnehmung in der Objekthierarchie O abbildet.

11. Von Avicenna haben wir schon gelesen, dass er Raumbeziehungen wie ‚a IST_IN b‘ kennt, oder ‚a IST_VOR b‘, usw. Unterstellt man – als Arbeitshypothese – dass alle Objekt implizit (und transzendental) sowohl in der Wahrnehmung wie auch in der repräsentierenden Objekthierarchie generell in einem mindestens drei-dimensionalen (imaginären) Raum vorkommen, dann würde sich daraus ergeben, dass Beziehungen wie ‚_IN_‘, ‚_AUF_‘, ‚_VOR_‘, ‚_DRUNTER_‘ usw. generell zur Verfügung stehen. Implizit setzen sie dann möglicherweise immer (?) einen Betrachtungsstandpunkt voraus (eine ‚Orientierung‘), von wo aus auf die Objekte ‚geschaut‘ wird: ‚_LINKS_‘ ist eben nur unter Berücksichtigung der Betrachterposition eindeutig. Als Arbeitshypothese soll hier angenommen werden, dass alle Raumbeziehungen eine Betrachterposition voraussetzen. Ob und wie diese im ‚Redekontext‘ spezifiziert wird, liegt außerhalb der Raumbeziehung.

12. Im Fall des Raumes kann man aber auch – wie schon bei Anzahl und Zeit – grobe Angaben unterscheiden und detaillierte: man kann auch im Fall des Raumes reden von ‚überall‘, ’nirgend‘ oder ‚an einigen‘. $latex \forall (r \in R)(S P)$ als ‚An allen Raumpunkten trifft P auf S zu‘ oder ‚Überall trifft …‘; $latex \neg\forall (r \in R)(S P)$ als ‚Nicht an allen Raumpunkten …‘ als ‚An einigen Raumpunkten …‘; $latex \neg\exists (r \in R)(S P)$ als ‚es gibt keinen Raumpunkt, an dem P auf S zurifft‘ als ‚Nirgends gibt es …‘.

13. Zwischen ‚allgemeinen‘ Raumangaben und ‚lokalen‘ Raumangaben kann es aber offensichtlich Kombinationen geben, z.B. ‚Überall gilt, dass a nicht AUF b STEHT‘, $latex \forall (r \in R)(a \neg\ AUF\ b)$. In diesem Fall ist S und P vertauscht! ‚a STEHT nicht AUF‘ ist das Prädikat P, und ‚b‘ ist das Subjekt S, also P S). ‚An manchen Stellen gilt, dass a UNTER b LIEGT‘ als $latex \exists (r \in R)(a LIEGT UNTER b)$. Auch hier ist S und P vertauscht $latex \exists (r \in R)(P S)$.

WECHSELWIRKUNG ZWISCHEN ANZAHL, RAUM und ZEIT

14. Zwischen den Aspekten ‚Anzahl‘, ‚Zeit‘ und ‚Raum‘ kann es Interaktionen geben.

15. Eine Aussage wie ‚ALLE Raben sind schwarz‘ verändert sich mit der Angabe eines Raumgebietes ‚ALLE Raben IM GEBIET X sind schwarz‘; oder durch Hinzufügung des Aspektes der Zeit: ‚FRÜHER waren ALLE Raben IM GEBIET X schwarz‘.

16. Entsprechend wird eine Aussage wie ‚ÜBERALL gibt es Bäume‘ verändert durch ‚ÜBERALL gibt es EINIGE Bäume‘ und ‚FRÜHER gab es ÜBERALL EINIGE Bäume‘. Letzte Aussagen könnte man formalisieren: $latex FRUEHER\ \forall (r \in R)\exists (s \in S)(S gibt es)$. Die Zeitangabe ‚FRUEHER‘ ist letztlich auch ein Quantor, den man über die Zeitachse definieren muss.

ERGEBNISSE

17. Die kurze Betrachtung zeigt, dass es mindestens die drei großen Aspekte ‚Anzahl‘, ‚Zeit‘ und ‚Raum‘ gibt, die entweder als Quantoren darstellbar sind oder als ‚lokale‘ Beziehungen. Eine Wechselwirkung ist problemlos, da alle drei Aspekte voneinander ‚unabhängig‘ sind. Man muss nur darauf achten, dass im Einzelfall immer klar ist, wie die Zuordnung von Raumgebiet, Zeitabschnitt und Objektanzahl gedacht ist. Zu sagen ‚ALLE Menschen sind klein und ALLE Menschen sind groß‘ klingt widersinng, aber zu sagen ‚IM RAUMGEBIET X sind ALLE Menschen klein und IM RAUMGEBIET Y sind ALLE Menschen groß‘ macht Sinn.

18. Die transzendentale Gegebenheit der Aspekte Anzahl, Raum und Zeit impliziert eine Reihe von ‚Einschränkungen‘, die in einer vollständigen Rekonstruktion ausdrücklich zu beschreiben wären.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14b

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M
Übersicht zum Wissen K bestehend aus Ausdrücken E, Objekten O sowie Bedeutungsbeziehungen M

BEGRIFFLICHKEIT NOCHMALS ÄNDERN

1. Für die Begriffe, die im Formalisierungsansatz eingeführt worden sind, der im vorausgehenden Blogeintrag Avicenna 14 vorgestellt wurde, legt es sich nach neuerlicher Überprüfung nahe, sie nochmals abzuändern.

2. Die übergreifende Idee ist im obigen Diagramm angedeutet.

SYSTEM ALS TEIL EINER WELT

3. Die erste große Annahme besteht darin, dass das Wissen K, um das es in der Abhandlung zur Logik gehen soll, sich ‚in‘ einem System S befindet, das in einer umgebenden Welt W vorkommt.

WISSEN

4. Das Wissen K setzt sich zusammen aus den Komponenten $latex K = E \cup O \cup M$, d.h. das Wissen K umfasst die Komponenten ‚Ausdrücke‘ E, ‚Objekte‘ O sowie ‚Bedeutungsbeziehungen‘ M.

5. ‚Ausdrücke‘ E sind Verkettungen von Elementarelementen (‚Alphabet‘), die im Rahmen einer Sprache L zum Zweck der Kommunikation benutzt werden können.

6. ‚Objekte‘ O sind alle Bewusstseinsinhalte, die entweder aus der sinnlichen Wahrnehmungen Os stammen, aus der Erinnerung Om oder irgendwie vorgestellt/ gedacht sind Ov. Objekte O ohne die sinnlichen Objekte Os sollen hier auch ‚abstrakte‘ Objekte Oa genannt werden ($latex Oa = O – Os$). Im Bereich der erinnerten Objekte Om kann man auch noch unterscheiden zwischen solchen, die auf zuvor sinnliche Objekte Os zurückgehen Oms, oder solche, für die dies nicht zutrifft Omns, also ($latex Omns = Om – Oms$).

7. Die ‚Bedeutungsbeziehungen‘ M werden verstanden als eine Beziehung zwischen Ausdrücken E und Objeken O der Art $latex M \subseteq E \times O$. Spezieller könnte man auch definieren $latex Ms(E)=Os$, $latex Ma(E)=Oa$, usw.

NOTWENDIG – MÖGLICH

8. Die abstrakten Objekte Oa gelten als ’notwendig‘ $latex \boxempty$, wenn ihr ‚Erwartungswert‘ $latex \mu = 1$ ist, andernfalls gelten sie als ‚möglich‘ $latex \diamond$.

9. Der ‚Erwartungswert‘ $latex \mu$ ergibt sich aus der Häufigkeit des Auftretens von Objekten in der Erinnerung.

10. [Anmerkung: Diese Definition von ‚möglich‘ und ’notwendig‘ entspricht nicht ganz der ‚Intuition‘, dass etwas, was ’notwendig‘ ist, auf jeden Fall auch möglich sein sollte; allerdings folgt – intuitiv — aus der Möglichkeit keine Notwendigkeit. Die vorausgehende Definition von möglich und notwendig erinnert ein wenig an das ‚exklusive Oder‘, das auch ’schärfer‘ ist als das normale Oder. Nennen wie die hier benutzte Definition von ‚möglich‘ $latex \diamond$ und ’notwendig‘ $latex \boxempty$ daher auch die ‚exklusiven Modaloperatoren‘: Wenn etwas notwendig ist, dann ist es nicht möglich, und wenn etwas möglich ist, dann ist es nicht notwendig.]

11. [Anmerkung: wenn etwas ‚gedanklich notwendig‘ ist, folgt daraus in diesem Rahmen allerdings nicht, dass es auch tatsächlich sinnlich eintritt. Aus der gedanklichen Notwendigkeit folgt nur, dass es in der erinnerbaren Vergangenheit bislang immer eingetreten ist und daher die Erwartung sehr hoch ist, dass es wieder eintreten wird.]

ABSTRAKTIONSPROZESS – OBJEKTHIERARCHIE

12. Abstrakte Objekte Oa gehen aus den sinnlichen Objekten Os mittels eines Abstraktionsprozesses $latex \alpha$ hervor: $latex \alpha: Os \times Oa \longrightarrow Oa$.

13. Abstrakte Objekte Oa bilden eine ‚Objekthierarchie‘ derart, dass Objekte der Stufe j Objekte der Stufe $latex i < j$ als 'Instanzen' enthalten können. Sei das Objekt B eine Instanz von Objekt A, dann könnte man sagen 'B ist in A' oder 'A hat B'. ZUTREFFEN – ERFÜLLEN 14. Wenn es ein abstraktes Objekt a aus Oa gibt, das Instanzen $latex b_{1}, b_{2}, ...$ enthält, die mit aktuellen sinnlichen Objekten s aus Os 'hinreichen ähnlich' sind, dann soll gesagt werden, dass das abstrakte Objekt a auf s zutrifft bzw. dass das sinnliche Objekt s das abstrakte Objekt a 'erfüllt': $latex s \models a$. WAHR – FALSCH 15. Jetzt kann man auch sagen, wann Ausdrücke aus E 'wahr' oder 'falsch' sind. 16. Ein Ausdruck $latex A \in E$ soll genau dann als 'wahr' $latex (A)\top$ bezeichnet werden, wenn seine Bedeutung M(A) von einem sinnlichen Objekte $latex s \subseteq Os$ 'erfüllt' wird $latex s \models M(A)$. 17. Ein Ausdruck $latex A \in E$ soll genau dann als 'falsch' $latex (A)\bot$ bezeichnet werden, wenn seine Bedeutung M(A) nicht von einem sinnlichen Objekte $latex s \subseteq Os$ 'erfüllt' wird $latex s \not\models M(A)$. AUSSAGE-OPERATOREN 18. Jetzt kann man folgende Operatoren über Aussagen definieren: 19. NEGATION: die Verneinung einer Aussage A ist wahr, wenn die Aussage selbst falsch ist, also $latex (\neg A)\top \leftrightarrow (A)\bot$. 20. KONJUNKTION: die Konjunktion $latex \wedge$ von zwei Aussagen A und B ist wahr, wenn beide Aussagen zugleich wahr sind; ansonsten ist die Konjunktion falsch, also $latex (A \wedge B)\top \leftrightarrow (A)\top\ und\ zugleich\ (B)\top$; ansonsten falsch. 21. DISJUNKTION: die Disjunktion $latex \vee$ von zwei Aussagen A und B ist wahr, wenn eine von beiden Aussagen wahr ist; ansonsten ist die Disjunktion falsch, also $latex (A \vee B)\top \leftrightarrow (A)\top\ oder\ (B)\top$; ansonsten falsch. 22. EXKLUSIVE DISJUNKTION: die exklusive Disjunktion $latex \sqcup$ von zwei Aussagen A und B ist wahr, wenn genau eine von beiden Aussagen wahr ist; ansonsten ist die exklusive Disjunktion falsch, also $latex (A \sqcup B)\top \leftrightarrow\ Entweder\ (A)\top\ oder\ (B)\top$; ansonsten falsch. 23. IMPLIKATION: die Implikation $latex \rightarrow$ von zwei Aussagen A und B ist wahr, wenn nicht zugleich A wahr ist und B falsch, also $latex (A \rightarrow B)\top \leftrightarrow\ nicht zugleich (A)\top\ und\ (B)\bot$; ansonsten falsch. Fortsetzung folgt QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 12

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

AVICENNAS DISKUSSION WIDERSPRÜCHLICHER AUSSAGEN

MANGEL AN SPEZIFIKATION

1. Schon in den vorausgehenden Abschnitten gab es immer wieder den Fall, dass eine Aussage verneint werden sollte und in nicht wenigen Fällen war nicht so ganz klar, wie Avicenna das Verhältnis von ‚Affirmation‘ und ‚Negation‘ genau verstand.

2. In der modernen formalen Logik sind die Verhältnisse vergleichsweise einfach. Die ‚Negation‘ eines Ausdrucks e wird repräsentiert durch ein entsprechendes Zeichen, z.B. durch das Zeichen ‚$latex \neg$‘, und in den syntaktischen Regeln wird genau festgelegt, welche Ausdrücke F der Ausdrucksmenge E ‚wohlgeformte‘ Ausdrücke einer Logiksprache L sind oder nicht. Diese ’syntaktischen‘ Festlegungen sind völlig unabhängig von irgendeiner ‚Bedeutung‘ M. Sofern diese so charakterisierte wohlgeformte Formelmenge F in der modernen formalen Logik eine zusätzliche Bedeutung M haben sollen, so dass man in jedem Fall sagen kann, wann ein Ausdruck $latex f \in F$ ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ im Sinne der Bedeutung M ist – geschrieben: $latex M \models f$ –, dann muss man die Bedeutung selbst komplett mit regeln beschreiben und im einzelnen genau hinschreiben, wann und wie diese Zuordnung zu verstehen ist; sie muss mit ‚endlichen Mitteln nachvollziehbar entscheidbar‘ sein.

3. Wie wir bisher gesehen haben – und wie es in diesem neuen Abschnitt von Avicennas Abhandlung erneut sichtbar wird –, tut Avicenna – hierin der antiken Logik folgend – die Bedeutung M nirgends spezifizieren. Selbst schon die Menge der wohlgeformten Ausdrücke A der Aussagen wird als Ausdrucksmenge nirgends rein syntaktisch charakterisiert. Damit ist die Ausgangslage für die Diskussion/ Analyse in allen Einzelfällen schwierig und meist nicht völlig auflösbar.

WIDERSPRUCH – AFFIRMATIV/ NEGATIV – WAR/ FALSCH

4. Ausgangspunkt sind zwei Ausdrücke A und B, die jeweils ‚Aussagen‘ darstellen. Ist der eine von ihnen – z.B. A – affirmativ, dann wäre der Widerspruch (engl.: ‚contradictory‘) zum affirmativen A ein negatives B, und umgekehrt. Im Falle eines Widerspruchs muss einer der Ausdrücke ‚wahr‘ und der andere ‚falsch‘ sein. Sei also das affirmative A wahr, dann müsste das negative B falsch sein.

5. [Anmerkung: Ein affirmatives A könnte der Ausdruck sein ‚Zid lacht‘. Die Negation als B dazu wäre ‚Zid lacht nicht‘. Wenn A wahr ist, dann ist B falsch].

ANFORDEREUNGEN AN EINEN WIDERSPRUCH

6. Für einen Widerspruch zwischen zwei Aussagen A und B muss gelten, dass die ‚Bedeutung‘ der Aussagen bezogen auf (S P) bzw. ‚Antezedenz – Konsequenz‘ die ‚gleiche‘ sein soll. Als Gegenbeispiele, wo dies nicht der Fall ist, bringt er zwei Fälle, in denen die Bedeutung der verwendeten Subjekte oder Prädikate ‚mehrdeutig‘ ist. Im einen Fall meint der Ausdruck ‚Lamm‘ (engl.: ‚lamb‘) ein Tier, im anderen Fall ein Sternbild; oder der Ausdruck ’sein Ziel‘ (engl.: ‚his end‘) kann einen konkreten Zustand meinen oder die ‚Bestimmung‘ einer Person.

7. [Anmerkung: Dies Beispiel zeigt klar, dass bei Avicenna die Definition eines Widerspruchs nicht unabhängig von der zugehörigen Bedeutung vorgenommen werden kann. In der modernen formalen Logik kann man – unabhängig von jeder möglichen Bedeutung sagen, dass ein Ausdruck $latex \neg A$ auf jeden Fall ein Widerspruch zu der Aussage A darstellt, unabhängig davon, welche Bedeutung A hat. Denn, welche Bedeutung M(A) auch vorliegen mag, diese spezielle Bedeutung M(A) ist so, dass sie den Ausdruck im affirmativen Fall A wahr machen würde, und dann wäre $latex \neg A$ der Widerspruch und ‚falsch‘. Sollte hingegen $latex \neg A$ wahr sein – egal mit welcher Bedeutung –, dann wäre A der Widerspruch und falsch. ]

8. In einer zweiten Forderungen müssen widersprüchliche Aussagen A und B in ihrer Bedeutung auch bzgl. ‚Aktualität‘ und ‚Potentialität‘ übereinstimmen. Damit ist gemeint, dass bei einer Aussage wie ‚Der Mann stirbt‘ geklärt sein muss, ob er ‚aktuell stirbt‘ oder oder er nur ‚potentiell sterben könnte‘.

9. [Anmerkung: Angenommen die affirmative Aussage sei (S P), dann muss man eigentlich voraussetzen, dass beide das Gleiche meinen. In diesem Fall wäre der Widerspruch (S nicht P). Im alltäglichen Reden ist aber die Feststellung der Gleichheit von Bedeutungen ein notorisches Problem. sehr oft ‚glaubt‘ man, dass man die gleiche Bedeutung annehme wie der Gegenüber, und erst später stellt sich heraus, dass dies nicht so war. An der Definition eines Widerspruchs ändert dieses praktische Problem aber eigentlich nichts.]

10. In einer dritten Forderung müssen widersprüchliche Aussagen A und B in ihrer Bedeutung auch bzgl. ‚Raum‘ und ‚Zeit‘ übereinstimmen.

11. [Anmerkung: Zu sagen, ‚Hans ist um 17:00h gestorben‘, obwohl er schon um 16:00h gestorben ist, mag in vielen Kontexten unbedeutend sein, in einem Mordfall kann es sehr bedeutsam sein. Die Aussage ‚Hans ist nicht um 16:00h gestorben‘ wäre aber kein Widerspruch zu ‚Hans ist um 17:00h gestorben‘.]

12. In der vierten Forderung greift er nochmals die erste Forderung mit der Gleichheit der Bedeutung von Subjekt und Prädikat auf, verfeinert sie aber bzgl. des Zusammenspiels von Quantor, Subjekt und Prädikat (Q (S P)), indem er sagt dass der Widerspruch von (Einige (S P)) gegeben sei als (Nicht Einige (S P)), und der Widerspruch von (Nicht Alle (S P)) sei (Einige (S P)).

13. [Anmerkung: Die Aussage (Nicht Alle (S P)) ist äquivalent zu (Einige (S nicht P)). Die Verneinung von (Einige (S nicht P)) wäre wieder (Alle (S P)). Die Behauptung von Avicenna erscheint für den Fall ‚Widerspruch zu (Nicht Alle (S P)) sei (Einige (S P))‘ zumindest unklar.]

ERGEBNIS

14. Grundsätzlich liefert dieser Abschnitt keine neuen Erkenntnisse, wohl aber weitere Beispiele zur Illustration des schwierigen Verhältnisses zwischen Ausdrucksstrukturen mit logischen Operatoren und Quantoren einerseits sowie einer möglichen Bedeutung andererseits. Ohne eine deutliche Verbesserung der Beschreibung des Wechselspiels zwischen Ausdrucksseite und Bedeutungen wird das Reden über alltägliche Logik zu viele Unklarheiten behalten.

Fortsetzung folgt

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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NOTIZ: AUCH NUR EINE MANDARININ DER MACHT? HILARY R.CLINTON BEI GUENTHER JAUCH

1. Gelegentlich schaue ich mir Günther Jauchs Talkrunde am Sonntagabend an. Er ist in der Regel sehr gut vorbereitet, scheut vor unangenehmen Fragen nicht zurück, und schafft es vergleichsweise gut, eine gewisse Struktur in der Sendung durchzuhalten. Natürlich ist auch er nicht frei von Vorurteilen, die bislang durchschlagen, und auch seine Talkrunde leidet an der allgemeinen Schwäche von Talkrunden: zwar blitzen die Positionen der Gäste bei geeigneten Fragen und Einspielungen etwas auf, wird ansatzweise sichtbar, was ein(e) TeilnehmerIn zu bestimmten Punkten in der Öffentlichkeit zu sagen bereit ist, aber eine tiefere Durchdringung findet höchst selten statt (bisweilen ansatzweise). Dies liegt einmal an der verfügbaren Zeit (je mehr TalkteilnehmerInnen umso weniger Zeit); zum anderen aber auch daran, dass die TeilnehmerInnen ihre Positionen relativ schnell abgrenzen, ‚dicht‘ machen, und sich dann nur noch im Verteidigen üben. Ein spontanes Aufgreifen von Fragen, ein kritisch-spielerischer Umgang damit, Ansätze von kritischen Infragestellungen der eigenen Position, so etwas findet man höchst selten.

2. Am Sonntagabend, 6.Juli 2014, 21:45h, war wieder solch eine Talkrunde die sehr glatt daherkam, und genau die Probleme, die die Menschen seit Monaten sehr bewegt, mit regierungstypischen Formulierungen im Ungewissen ließ. Jauch hatte sehr wohl Ansatzpunkte in seinen Fragen, aber sein hochkarätiger Gast, Hillary Rodham Clinton, bot an den entscheidenden Stellen nur die gleichen Floskeln, wie viele andere regierungsnahen US-amerikanischen Talkgäste in den Monaten zuvor.

3. Unterstützt von der Bundesministerin Ursula von der Leyen erinnerte Hillary R.Clinton an die gemeinsamen Werte, an die gemeinsame Geschichte und betonte die Grundsätzlichkeit und langfristige Perspektive des Verhältnisses USA – Deutschland. Auf die konkreten Vorgänge und die Unmenge an Fakten, die seit Sommer 2013 mindestens öffentlich bekannt sind (und sie soll als Regierungsmitglied vorher überhaupt nichts gewusst haben?) ging sie praktisch gar nicht ein. Zum Geschehen um Erik Snowden bot sie nur die regierungsamtliche Formulierung an, dass er US-amerikanische Gesetze verletzt habe, dass seine Bekanntmachung von Dokumenten US-amerikanischen Feinden in die Hände gearbeitet habe, und dass er sich den US-Behörden stellen müsse.

4. Bedenkt man die Zeit seit Sommer 2013 (ein Überblick in diesem Blog findet sich HIER) und nimmt man ernst, was bislang alles an Gesetzesbrüchen und undemokratischen Verhaltensweisen seitens der US-Regierung bekannt geworden ist, dann dürfte man mindestens ansatzweise ein paar selbstkritische Fragen/ Überlegungen selbst von einem regierungsnahen US-Bürger erwarten; doch nicht der Hauch einer Reflexion zum Verhalten der US-Regierung wurde in der Talkrunde sichtbar.

5. Jauch lies eine relativ aktuelle Umfrage zur Meinung der Deutschen über die USA einblenden (die Umfrage hatte diverse Nachteile; gravierend fand ich, dass man nicht zwischen der US-Bevölkerung und der US-Regierung unterschied; dazwischen liegen bisweilen Welten). Bei den negativen Werten ragte einer besonders heraus: nur noch 27% finden die USA ‚vertrauenswürdig‘. Dies ist alarmierend. Im normalen Leben hängt Vertrauenswürdigkeit unter anderem ab vom gesamten Auftreten, von gemeinsam geteilten Werten, von einer ‚hinreichenden‘ Transparenz, von der Bereitschaft zu selbstkritischen Überlegungen. Genau dies lässt die US-Regierung in erschreckender Weise vermissen: trotz massiver vielfacher Fehler, Gesetzesübertretungen, Menschenrechtsverletzungen seitens der USA, soweit sie in den letzten Jahren durch regierungsunabhängie Quellen bekannt wurden, wurde noch nie ein Regierungsmitglied auch nur ansatzweise zur Rechenschaft gezogen. Es wird bislang noch nicht einmal darüber öffentlich gesprochen. Alles wird abgeblockt. Ein Snowden aber, der nach reiflichen Überlegungen einen Teil der Ungeheuerlichkeiten sichtbar gemacht hat und der gerade aufgrund der verschwindenden Glaubwürdigkeit der US-Regierung Zuflucht bei anderen Staaten gesucht hat, wird von vornherein und ohne erkennbare Diskussion als Verbrecher abgestempelt. Dies wirkt nicht nur nicht überzeugend, sondern verstärkt massiv das Misstrauen in die moralische Integrität der US-Regierung (während Snowden für viele Menschen außerhalb der USA gerade das Vertrauen in die US-amerikanischen Bürger massiv verstärkt hat! Snowden steht für viele für das ‚gute‘ ‚demokratische‘ Amerika, dem man glaubt, das man unterstützen möchte, und genau diese ‚gute Amerika‘ wird von der wenig vertrauenswürdigen US-Regierung auf nicht vertrauenswürdiger Weise ‚bekämpft‘!).

6. Beachtet man diesen Kontext, dann war der Auftritt von Hilary Clinton eine verpasste Chance. Neben allgemeinen Nettigkeiten, die Sie positiv erscheinen ließen, vermochte Sie sich in den entscheidenden Grundsatzfragen nicht vom allgemeinen Bild einer gesetzesverachtenden unkritischen Regierung abzugrenzen.

7. Unsere eigene Bundesregierung unterscheidet sich – samt ihren untergeordneten Institutionen – in fast allen kritischen Punkt erkennbar gar nicht von der US-amerikanischen Position. Entsprechend war auch Frau von der Leyen an diesem Abend einzig bemüht, die große Übereinstimmung der US- und der Deutschen Regierungen zu betonen. Kritische Überlegungen fanden sich bei ihr nicht mal ansatzweise. Frau Käßmann war die einzige, die zumindest potentielle Unterschiede andeutete, ohne aber zu konkret zu werden. Schließlich muss man berücksichtigen, dass Hillary R.Clinton sich faktisch im ‚Wahlkampf‘ befindet; da darf man sich keine ‚Blöße‘ geben, die an der Wahlkampffront gegen Sie verwendet werden könnte. Und Günther Jauch ist in seinen Möglichkeiten letztlich auch begrenzt. Will er hochkarätige Gäste haben, dann darf er sie auch nicht ‚verschrecken‘. In diesem Rahmen ist er relativ weit gegangen.

8. Dennoch, selbst wenn man um diese (und andere) limitierende Faktoren weiß, kann es das Misstrauen in die Glaubwürdigkeit einer US-Regierung nicht befördern, wenn Menschen trotz massiver Fakten über eine US-Regierung nur reden bar jeglicher Kritik, ohne auch nur den Hauch einer kritischen Frage. Ich kenne so etwas nur aus Diktaturen; in Demokratien herrscht Meinungsfreiheit und der offene Bezug zu Unrecht muss möglich sein. Das Modell des ‚totalen Schweigens‘ und der ‚totalen Kritiklosigkeit‘ ist in meinen Augen nicht zukunftsfähig. Noch schlimmer, ein solches Modell heute zu praktizieren verhindert die Zukunft von uns allen. Dies ist kein Kavaliersdelikt.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.

NOTIZ: WEITAB VON EINER OPTIMALEN LEBENSFUNKTION? (Teil 1)

1. In den letzten Wochen bin ich – entgegen meinen eigenen Plänen – von einer Vielzahl von Prozessen stark in Anspruch genommen, die ich selbst so nicht geplant hatte; viele wichtig erscheinende Arbeiten stocken. Andererseits wirkt diese Situation wie ein Spiegelbild der ‚großen‘ Situation, nur im Kleinen. Hier wenigstens eine kurze Notiz zu einem der vielen Gedanken, die ‚in der Luft‘ liegen…

2. In einem vorausgehenden Blogeintrag hatte ich den aktuellen Körper [K] (von uns Menschen) mal abstrakt als eine ‚Funktion‘ betrachtet, die Teilaspekte der Welt [W] ‚um den Körper herum‘ in bestimmte Zustände innerhalb des Körpers [IS] ‚transformiert‘. Ein Teilaspekt dieser inneren Zustände IS ist das, was wir ‚Bewusstsein‘ [CONSC] nennen. Vom Bewusstsein wissen wir, dass es nur ‚die Spitze des Eisbergs‘ ist; die große Menge des aktiv verfügbaren Wissens [COG] ist in dem ‚verankert‘ was wir im weitesten Sinne ‚Gedächtnis‘ [MEM] nennen. In diesem Modell sehen wir die Welt in einem bestimmten Augenblick nicht, wie sie aktuell ‚ist‘, sondern so, wie unser Bewusstsein in Kooperation mit dem Gedächtnis die aktuellen Sinneseindrücke [SENS] ‚interpretiert‘. Zahllose Experimente haben demonstriert, dass unser subjektives Bild von der Welt [W*] und die aktuelle Welt W in der Regel nur partiell übereinstimmen und dass es regelrecht ‚falsch‘ sein kann obgleich wir subjektiv das Gefühl haben, es ist ‚richtig‘.

3. Diese Anfälligkeit unseres Erkennens für ‚falsche Interpretationen‘, ‚falsche Modelle‘ von der Welt W ist nicht grundsätzlich schlecht. Zeigt sich in diesem Wechselspiel von subjektivem Erkennen und umgebender Welt W doch mindestens das Folgende: (i) die ‚Natur‘ hat es geschafft in einem Prozess, den wir chemische und dann biologische und dann kulturelle Evolution nennen, biologische und dann ‚kulturelle‘ Strukturen ‚entstehen‘ zu lassen, die schwindelerregend komplex und in der Lage sind, Teilaspekte der umgebenden Welt immer mehr ‚in sich selbst‘ ‚abzubilden‘. Jeder, der ernsthaft anfängt, darüber nachzudenken, wird von diesem Vorgang beeindruckt, erschüttert, gepackt, gerät irgendwie in Erregung, und Staunen ist dafür viel zu wenig. (ii) Dass unser Körper K in der Lage ist, von der fast unendlichen Vielfalt der aktuellen Welt W atemberaubend schnell immer nur wenige Aspekte ‚auszuwählen‘ und zwar jene, die ‚handlungsrelevant‘ sind, ist unser Glück; ohne diese rasant schnellen Auswahl- und zugleich Abstraktionsprozessen würden wir in kürzester Zeit an der Welt scheitern; ferner (iii), es ist unser Glück, dass das ‚Wissen‘ unseres Körpers nicht von vornherein vollständig ‚fixiert‘ ist, denn auch dann wären wir in kürzester Zeit am Ende; das ’strukturelle‘ in der Konstruktion unseres Körpers angelegte ‚Wissen‘ [COGstr] hat zwar eine gewisse ‚Konstanz‘ und ‚Bestimmtheit‘, aber selbst dieses ’strukturelle Wissen‘ ist – wie wir heute wissen – nicht vollständig determiniert; es unterliegt sowohl im Rahmen der Vererbung wie im Rahmen des Wachsens einer Vielzahl von Einflüssen, die den tatsächlichen Zustand des resultierenden Körpers verändern können. Das ‚adaptiv funktionale‘ Wissen [COGfnc] hat zwar einen kleinen reflexartigen‘ Anteil, im übrigen ist es aber grundlegend modifizierbar, konstruierbar, ‚offen‘ für ‚alles, was da kommen mag‘. Das ist irgendwie genial. Es beinhaltet aber – wie oben festgestellt – , dass wir bei der Entwicklung dieses adaptiven funktionalen Wissens COGfnc ‚Fehler‘ machen können. Fehler machen zu können ist der Preis dafür, dass wir ‚offen sind‘ für eine umfassende Wahrheit, die in jedem Moment sowohl ‚größer‘ ist als das, was wir punktuell verarbeiten können, als auch als Ganzes sich selbst in einem Prozess befindet, der morgen einen anderen Gesamtzustand haben wird als heute oder in der Vergangenheit. Daraus resultiert (iv), dass wir ‚lernen‘ müssen, wie wir ‚lernen‘, also ein ‚Lernen2 des Lernens1‘.

4. Das ‚Resultat‘ des ‚Lernens1‘ ist eine Form von adaptivem funktionalen Wissen [COGfnc1], das entsteht, wenn wir unsere aktuellen Fähigkeiten benutzen, ohne dass wir groß ‚verstehen‘, ‚wie‘ das geschieht. Unser Körper K ‚funktioniert‘ in einer bestimmten Weise und, je nachdem, was wir aktuell tun, werden wir das eine oder andere ‚erkennen‘ und damit entsteht – quasi automatisch – ein bestimmtes Bild W* von der umgebenden Welt W. Wie wir wissen, kann dieses Bild W* verglichen mit W falsch sein (wobei dieser Nachweis nie ganz einfach ist, da wir ja nur W* (unser Bild von der Welt) kennen, nicht aber direkt W).

5. Wenn wir wissen wollen, ob unser Bild W* von der Welt W ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist, müssen wir es überprüfen können, dann müssen wir versuchen, herauszufinden, wie die Prozesse aussehen, die in uns das adaptive funktionale Wissen im Lernen1 als COGfnc1 ‚erzeugen‘. Diese Form des ‚Erkennens‘ gehört zur philosophischen Reflexion unterstützt von Kunst und Wissenschaft, global hier als Lernen2, das eine andere Art von ‚Meta-Wissen‘ [COGfnc2] ‚erzeugt‘. Wenn wir Glück haben, dann finden wir auf diesem Weg heraus, wie das Lernen1 funktioniert, wie es zum adaptiven Wissen COGfnc1 kommt und welches die Umstände sind, unter denen das Wissen COGfnc1 ‚falsch‘ bzw. ‚wahr‘ sein kann.

6. Nach allem, was wir bislang aus der Geschichte der Menschheit, speziell der Geschichte der Ideen, lernen konnten, ist das Lernen2 sehr schwierig, sehr anfällig, und es braucht meistens 50 – 200 Jahre, bis bestimmte neue Erkenntnisse von ihrem ersten Auftreten in den Köpfen einzelner bis zur ‚Nutzung im Alltag‘ gelangen (Beispiel Kopernikus, Galilei; falls man bedenkt, dass grundsätzlich schon einzelne viel früher die Bewegung der Erde um die Sonne erkannt hatten, dann in diesem Fall natürlich viel länger als 200 Jahre).

7. Fassen wir alles zusammen und betrachten den Körper K als solche eine Transformationsfunktion K: W x IS x W* —> IS x W x W* (mit $latex W^{*} \subseteq IS $), die in sich ‚variabel‘ ist, dann wird damit allerdings nicht deutlich, wie stark das individuelle Wissen W* auch abhängig ist von der Kommunikation [COM] zwischen allen Beteiligten. Wie schon in vorausgehenden Blogeinträgen angedacht, scheint die Kommunikation die zentrale ‚Schlagader‘ von ‚fließendem Wissen‘ zwischen den beteiligten Körpern zu sein; dazu nicht einfach als ‚Informationsketten‘ sondern Informationsketten als Momente von sogenannten ’natürlichen Sprachen‘. Wie komplex dieser sprachbasierte Wissensaustausch ist, kann man an der Tatsache ablesen, dass es bis heute keine einzige Software gibt, die diese Prozesse in ihren wichtigen Eigenschaften nachvollziehen kann. Alle Welt redet über google und Big Data, aber das, was dort geschieht, ist noch sehr weit ab von dem, worum es hier tatsächlich geht. Natürlich werden wir eines Tages diese Prozesse computergestützt nachempfinden und unterstützen können, bis dahin muss aber noch viel geschehen. Für diese Fragestellungen gibt es bislang an den normalen Hochschulen und Universitäten aber kaum Professuren, kaum Lehreinheiten, und praktisch keine Forschungsgelder. Wer solch einen Forschungsantrag stellen würde, macht sich heute eher lächerlich (abgesehen davon, dass es keine Programme gibt, innerhalb deren man solche Forschungsanträge einreichen könnte).

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MEMO PHILOSOPHIWERKSTATT 14.Juni 2014 – oder: PHILOSOPHIEREN IM SOMMER

1. Offiziell war es die letzte Philosophiewerkstatt vor der Sommerpause …. aber der Sommer war schneller und stärker als gedacht. Als sich das ‚Kernteam‘ um 19:30h noch immer alleine in die Augen schaute ohne weitere TeilnehmerInnen war klar, der Sommer hatte mit Macht begonnen. An diesem Abend gab es zahllose Sommerfeste und Grillparties, die magisch anzogen; die Fußballweltmeisterschaft war im vollen Gange, und einige der aktiven Besucher war im Urlaub und meldeten sich telefonisch mit Grüßen ….

2. Angesichts dieser Lage beschlossen wir kurzerhand, das Philosophieren auf eine Grillpartie zu verlagern, in diesem Fall das ‚Nussbaumfest‘, das Freunde seit Jahren um einen echten Nussbaum herum veranstalteten.

3. Als wir eintrafen war die Partie natürlich im vollen Gange und wir trafen dort auch u.a. meinen brasilianischen Freund RG, einen Professor, der sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema künstliche Intelligenz beschäftigt, und der gerade zu einem Workshop in Frankfurt da ist. Da er kein Deutsch, sondern nur Portugiesisch und Englisch spricht, sammelte sich eine kleine Gruppe philosophieanfälliger deutscher Englischsprechender um ihn herum und es begannen stundenlange Gespräche mit einem Ausblick auf weite Felder und einer Sonne, die sich langsam hinter einigen Wolken in die Nacht versenkte.

WIE BAUEN WIR EIN KÜNSTLICHES BEWUSSTSEIN?

4. Das erste Thema ergab sich spontan, als jemand RG fragte, welche Themen er denn lehre bzw. erforsche. Sein absolutes Lieblingsthema ist die Frage nach dem ‚Bewusstsein‘ und ob und wie wir ein künstliches Bewusstsein bauen können. Seitdem wir uns kennen – das erste Zusammentreffen war bei einer Konferenz im NIST (1998, Gaithersburg in der Nähe von Washington) – diskutieren wir über dieses Thema und versuchen es schrittweise zu klären. An diesem Abend also entwickelte er an einem Biertisch auf Englisch seine Sicht der Dinge, vermischt mit Fragen der anderen, und vermischt mit meinen Überlegungen, was sich hier jetzt kaum noch richtig trennen lässt, da wir in fast allen Punkten uns überdecken, uns austauschen, uns ergänzen, und uns gegenseitig beständig anregen.

5. Wie auch in diesem Blog (und speziell in der Philosophiewerkstatt) oft beschrieben, sehen wir das Phänomen des ‚Bewusstseins‘ in der vorwissenschaftlichen subjektiven Erfahrung jedes einzelnen verankert. Jeder Mensch (natürlich mit individuellen Unterschieden mit unterschiedlichen Randbedingungen) beginnt seine Welterfahrung mit seinem individuellen Erleben, das man philosophisch grob das ‚phänomenologische Bewusstsein‘ nennen kann. In diesem vorwissenschaftlichen Raum beginnen alle Strukturierungen, alle Lernprozesse und die klassische Philosophie hat hunderte von intelligenten Beschreibungen und Analysen dazu abgeliefert.

6. Wie wir aber heute wissen, ist der ganze Körper – und damit natürlich auch das Gehirn und das vom Gehirn erzeugte Erleben – ein Produkt der Evolution, und die Art und Weise, wie wir Erleben, Denken, Fühlen usw. ist durch diesen Körper, durch die Struktur unseres Gehirns, in den Grundstrukturen vorgegeben. Aufgrund dieser Entwicklung über viele hundert Millionen Jahren gibt es diese – fast magisch erscheinende – ‚Passgenauigkeit‘ zwischen unserem subjektiven Erleben, Fühlen und Denken sowie der ‚Welt um uns herum‘. Dieses Zusammenspiel zwischen Gehirn, Körper und Umwelt ist so gut, dass jeder normalerweise das Gefühl hat, die Welt, die er/sie durch das Gehirn erlebt, ist genau die Welt, in der wir leben (wie wir heute wissen können, ist die Welt, die wir mit unserem Gehirn erleben, nicht die Welt, die um uns herum real existiert).

7. Während die Neurowissenschaften in den Abgründen der neuronalen Maschinerie arbeiten, haben die Psychologen (heute oft auch Neuropsychologen) versucht, das ‚Verhalten‘ von uns Menschen zu erforschen und sind zu der Arbeitshypothese gekommen, dass das, was uns subjektiv (in unserem vorwissenschaftlichen ‚Bewusstsein‘) ‚bewusst‘ ist, nur ein kleiner Bruchteil von dem ist, was jenseits dieses individuellen Bewusstseins ständig passiert. Während das individuelle Bewusstsein zu jedem Zeitpunkt letztlich begrenzt und endlich ist (aber mit einer ‚Offenheit‘ in die wahrnehmende Gegenwart und in die erinnerbare Vergangenheit), ist der Bereich ‚jenseits‘ des individuellen Bewusstsein, der Bereich des ‚Nicht-Bewusstseins‘ scheinbar unendlich groß.

8. Viele Ergebnisse heute legen aktuell die Hypothese nahe, dass das Bewusstsein psychologisch einerseits mit dem korreliert, was die Psychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ (Kurzzeitgedächtnis, ’short term memory‘, STM) nennen, andererseits meinen einige Neurowissenschaftler Strukturen im Gehirn identifiziert zu haben, die mit der Funktion des Arbeitsgedächtnisses korrelieren und die wiederum mit ganz vielen anderen Teilstrukturen im Gehirn in Beziehung stehen. Aufgrund der Komplexität der neuronalen Schaltkreise, ihren unendlichen Vernetzungen und Überlagerungen einerseits, sowie der Komplexität und Dynamik menschlichen Verhaltens andererseits dürfte es aber noch sehr lange dauern – wenn überhaupt – bis sich hier belastbare Zusammenhänge ergeben.

9. Bislang am belastbarsten sind hier interessanterweise die psychologischen Verhaltensmodelle (obwohl forschungspolitisch Psychologie eher abgebaut und die Neurowissenschaften gefördert werden).
10. Bei der Frage nach der Funktion des ‚Bewusstseins‘ bewegt man sich angesichts dieses Erkenntnisstandes natürlich mehr im Bereich der Spekulation als der harten Fakten, dennoch gibt es einige ‚Eckwerte‘, für die viele Umstände sprechen. So ist aus der Sicht des Sprache Lernens und Sprechens klar, dass das Bewusstsein eine notwendige Voraussetzung für einen gemeinsamen Sprachgebrauch ist. Denn das ‚Sprachmaterial‘ (Laute, Schriftzeichen, Gesten..) einerseits wie auch diejenigen ‚Objekte‘ andererseits, auf die Sprachmaterial im Rahmen des Sprachgebrauchs ‚hinweist‘, haben keine ’natürliche‘ Verbindung. Ob ich ein bestimmtes Objekt ‚Tisch‘, table‘, ‚tabula‘, ‚mesa‘ usw. ’nenne‘, ergibt sich nicht aus dem Objekt, sondern aus dem ‚Zeichenbenutzer‘, der sich – je nach Kontext – für die eine oder andere Bezeichnung entscheidet. Wenn zwei verschiedene Zeichenbenutzer A und B dies tun wollen, dann kann dies nur gehen, wenn das ‚Außenweltobjekt‘ X beiden Zeichenbenutzern A und B in einer ‚hinreichend ähnlichen Form‘ vorliegt, und zwar im Bereich ihres subjektiven Erlebens, also in dem unterstellten vorwissenschaftlichen Bewusstsein von A und von B; nennen wir das vorwissenschaftlich unterstellte individuelle Bewusstsein einer Person A Consc(A), dann bedeutet dies, dass das unterstellte Außenweltobjekt X in beiden individuellen Bewusstseinen A und B ‚hinreichend ähnlich‘ vorkommen muss, also X $latex \in $ Consc(A) als X_A und X $latex \in $ Consc(B) als X_B mit der Forderung einer zu definierenden ‚hinreichenden Ähnlichkeit [=X]‘ als ‚A =X B‘. Was immer genau in den beiden Körpern und Gehirnen von A und B genau geschieht, man kann sagen, dass die Repräsentation des Außenweltobjektes ‚X‘ im Bewusstsein der beiden A und B ‚hinreichend ähnlich‘ sein muss, damit die Zuordnung eines Zeichenmaterials wie z.B. ‚Tisch‘, die A und B vornehmen können, ein ‚gemeinsames Objekt‘ meint, das auch zu späteren Zeitpunkten immer wieder als ‚dieses eine‘ identifiziert werden kann. Alles deutet darauf hin, dass das vorwissenschaftliche individuelle Bewusstsein jener Bereich ist, durch den solche korrelierten Beziehungserzeugungen vorgenommen werden können und vorgenommen werden.

11. Sollte diese Arbeitshypothese zutreffen, dann wäre das Bewusstsein mindestens hinsichtlich des ‚bewussten‘ Zeichengebrauchs (und Sprache ist ein spezieller Fall von Zeichengebrauch) eine funktionelle Voraussetzung und damit ein entscheidender evolutionärer Fortschritt.

12. RG und ich, wir arbeiten seit Jahren an Experimenten, um dies zu demonstrieren; da wir aber über keine Forschungsetats zu diesen Themen verfügen (und wir durch viele andere Aufgaben gebunden sind), kommen wir nur sehr langsam vorwärts … aber wir haben ein Ziel 🙂

DER GEIST AUS DER FLASCHE?

13. Im Zusammenhang mit dem Bewusstsein wurde an diesem Abend im Freien natürlich auch die Frage nach dem ‚Geist‘ (‚Seele‘?) gestellt. Was ist ‚Geist‘? Kann es einen künstlichen Geist geben?
14. Wenn man die Biologie, die Psychologie und die Neurowissenschaften im ‚Normaltext‘ liest, könnte man den Eindruck bekommen, das Biologische ist letztlich auch nur eine ‚Maschine‘, die sich ohne Probleme in anderen Formen von ‚Maschinen‘ (Robotern, Softwareagenten, …) übersetzen lässt.

15. Dieser Eindruck ist aber sehr trügerisch (was in diesem Blog auch schon mehrmals diskutiert worden ist).

16. An diesem Abend diskutierten wir dies am Beispiel der Molekularbiologie. Jeder kann heute wissen, dass es Moleküle gibt (DNA, RNA, …) die so ‚interpretiert‘ werden können, dass sie ‚mehr‘ sind als nur irgendwelche Atome; sie können so ‚interpretiert‘ werden, dass man daraus andere Moleküle (z.B. Proteinstrukturen) baut, die irgendwelche ‚Aufgaben‘ lösen (z.B. als pflanzen, als Tiere, als Menschen …). Nah heutigem Kenntnisstand wird diese ‚Interpretation‘ von anderen Molekülen geleistet, die dazu wiederum andere Moleküle benutzen. Also: Moleküle A ‚interpretieren‘ Moleküle B und bauen mit Hilfe von Molekülen C neue Moleküle D. Diese neuen Moleküle sind z.B. ‚Zellen‘, die als solche schon eine extreme Komplexität besitzen, und diese Zellen wiederum können sich millionenfach, billionenfach ‚zusammentun‘ um größere komplexere Gebilde zu erzeugen, die erkennbar komplexe Verhaltensleistungen zustande bringen.

17. Jeder, der auch nur ein bisschen Verstand hat, wird sich natürlich fragen, woher die verschiedenen Moleküle, die aus Atomen bestehen, das ‚Wissen‘ haben, diese ungeheuerlich komplexen Strukturen zu bilden, wo doch eine unvorstellbare große Menge von anderen Atomen nicht solche komplexen Strukturen ausbilden und eine rein ‚zufällige‘ Konstruktion dieser Komplexitäten in jeder Wahrscheinlichkeitsrechnung als nicht machbar im bekannten Universum erscheint.

18. Innerhalb der Chemie ist bekannt, dass Atome bestimmte Reaktionen (= Verhalten!) zeigen, weil man den verschiedenen Atomen individuell unterschiedliche ‚Eigenschaften‘ zuschreibt, aufgrund deren sie unter ‚geeigneten Konstellationen‘ genau die bekannten ‚Reaktionen‘ (Verhaltensweisen) ‚zeigen‘. Ein einzelnes Atom tut dies nicht, aber viele Atomen in geeigneter ‚Konstellation‘ zeigen ein ‚Verhalten‘, das ’neu‘ ist; die einen sprechen davon, dass das Verhalten von vielen Atomen mehr ist als die Summe ihrer Teile, oder das dieses Verhalten ‚emergent‘ sei. Was diese Redeweisen verdecken ist der fundamentale Sachverhalt, dass chemische Reaktionen als ‚Verhalten‘ letztlich letztlich eine ‚Funktion‘ realisieren‘, die in den ‚Teilen‘ potentiell ‚angelegt‘ ist und angesichts des ‚Zusammenführens‘ ’sichtbar‘ wird. Das Verhalten wird als ‚real‘ empfunden, stellt ein ‚wahrnehmbares Ereignis‘ dar, ist aber dennoch als Funktion kein ‚Objekt‘ wie die ermöglichenden Teile. Reaktionen als Verhalten, die eine Funktion sichtbar machen, repräsentieren eine andere Art von ‚Realität‘ als die Komponenten, anhand deren sie sich ‚zeigen‘ können.

19. Man könnte also versucht sein, zu sagen, dass ‚emergentes Verhalten‘ Funktionen sichtbar macht, die in den reagierenden Teilen implizit angelegt sind. Ohne diese Annahme ist es schwer verständlich, warum es zu solchen Reaktionen (Verhalten) kommen kann.

20. Diese Struktur von impliziten Funktionen findet sich auf allen Ebenen der bekannten materiellen Struktur unseres Universums. Damit wird aber klar, dass die Ausbildung der wahnwitzig komplexen Strukturen biologischen Lebens – wenngleich dennoch nicht einfach und automatisch – stattfinden konnte.

21. Das Ganze wird dann noch getoppt durch das neue Phänomen, dass mit dem Auftreten von biologischen Systemen, die Gehirne haben (Tiere und Menschen) nicht nur ‚implizite Strukturen‘ am Werke sind, die gewisses Verhalten zwangsläufig erzeugen, wenn die Konstellation stimmt, sondern dass – am Beispiel des Zeichengebrauchs – Gehirne auch Funktionen erzeugen können, die nicht implizit vorgegeben sind. Indem Gehirne explizit Funktionen ‚frei‘ setzen können, können sie z.B. die impliziten Funktionen ihrer ‚Umgebung‘ – also des ganzen Universums – ’nachbilden‘. Darin können sie zum ‚Ko-Schöpfer‘ werden ….

22. usw….

Eine Übersicht über alle bisherig Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.