NOTIZ: WEITAB VON EINER OPTIMALEN LEBENSFUNKTION? (Teil 1)

1. In den letzten Wochen bin ich – entgegen meinen eigenen Plänen – von einer Vielzahl von Prozessen stark in Anspruch genommen, die ich selbst so nicht geplant hatte; viele wichtig erscheinende Arbeiten stocken. Andererseits wirkt diese Situation wie ein Spiegelbild der ‚großen‘ Situation, nur im Kleinen. Hier wenigstens eine kurze Notiz zu einem der vielen Gedanken, die ‚in der Luft‘ liegen…

2. In einem vorausgehenden Blogeintrag hatte ich den aktuellen Körper [K] (von uns Menschen) mal abstrakt als eine ‚Funktion‘ betrachtet, die Teilaspekte der Welt [W] ‚um den Körper herum‘ in bestimmte Zustände innerhalb des Körpers [IS] ‚transformiert‘. Ein Teilaspekt dieser inneren Zustände IS ist das, was wir ‚Bewusstsein‘ [CONSC] nennen. Vom Bewusstsein wissen wir, dass es nur ‚die Spitze des Eisbergs‘ ist; die große Menge des aktiv verfügbaren Wissens [COG] ist in dem ‚verankert‘ was wir im weitesten Sinne ‚Gedächtnis‘ [MEM] nennen. In diesem Modell sehen wir die Welt in einem bestimmten Augenblick nicht, wie sie aktuell ‚ist‘, sondern so, wie unser Bewusstsein in Kooperation mit dem Gedächtnis die aktuellen Sinneseindrücke [SENS] ‚interpretiert‘. Zahllose Experimente haben demonstriert, dass unser subjektives Bild von der Welt [W*] und die aktuelle Welt W in der Regel nur partiell übereinstimmen und dass es regelrecht ‚falsch‘ sein kann obgleich wir subjektiv das Gefühl haben, es ist ‚richtig‘.

3. Diese Anfälligkeit unseres Erkennens für ‚falsche Interpretationen‘, ‚falsche Modelle‘ von der Welt W ist nicht grundsätzlich schlecht. Zeigt sich in diesem Wechselspiel von subjektivem Erkennen und umgebender Welt W doch mindestens das Folgende: (i) die ‚Natur‘ hat es geschafft in einem Prozess, den wir chemische und dann biologische und dann kulturelle Evolution nennen, biologische und dann ‚kulturelle‘ Strukturen ‚entstehen‘ zu lassen, die schwindelerregend komplex und in der Lage sind, Teilaspekte der umgebenden Welt immer mehr ‚in sich selbst‘ ‚abzubilden‘. Jeder, der ernsthaft anfängt, darüber nachzudenken, wird von diesem Vorgang beeindruckt, erschüttert, gepackt, gerät irgendwie in Erregung, und Staunen ist dafür viel zu wenig. (ii) Dass unser Körper K in der Lage ist, von der fast unendlichen Vielfalt der aktuellen Welt W atemberaubend schnell immer nur wenige Aspekte ‚auszuwählen‘ und zwar jene, die ‚handlungsrelevant‘ sind, ist unser Glück; ohne diese rasant schnellen Auswahl- und zugleich Abstraktionsprozessen würden wir in kürzester Zeit an der Welt scheitern; ferner (iii), es ist unser Glück, dass das ‚Wissen‘ unseres Körpers nicht von vornherein vollständig ‚fixiert‘ ist, denn auch dann wären wir in kürzester Zeit am Ende; das ’strukturelle‘ in der Konstruktion unseres Körpers angelegte ‚Wissen‘ [COGstr] hat zwar eine gewisse ‚Konstanz‘ und ‚Bestimmtheit‘, aber selbst dieses ’strukturelle Wissen‘ ist – wie wir heute wissen – nicht vollständig determiniert; es unterliegt sowohl im Rahmen der Vererbung wie im Rahmen des Wachsens einer Vielzahl von Einflüssen, die den tatsächlichen Zustand des resultierenden Körpers verändern können. Das ‚adaptiv funktionale‘ Wissen [COGfnc] hat zwar einen kleinen reflexartigen‘ Anteil, im übrigen ist es aber grundlegend modifizierbar, konstruierbar, ‚offen‘ für ‚alles, was da kommen mag‘. Das ist irgendwie genial. Es beinhaltet aber – wie oben festgestellt – , dass wir bei der Entwicklung dieses adaptiven funktionalen Wissens COGfnc ‚Fehler‘ machen können. Fehler machen zu können ist der Preis dafür, dass wir ‚offen sind‘ für eine umfassende Wahrheit, die in jedem Moment sowohl ‚größer‘ ist als das, was wir punktuell verarbeiten können, als auch als Ganzes sich selbst in einem Prozess befindet, der morgen einen anderen Gesamtzustand haben wird als heute oder in der Vergangenheit. Daraus resultiert (iv), dass wir ‚lernen‘ müssen, wie wir ‚lernen‘, also ein ‚Lernen2 des Lernens1‘.

4. Das ‚Resultat‘ des ‚Lernens1‘ ist eine Form von adaptivem funktionalen Wissen [COGfnc1], das entsteht, wenn wir unsere aktuellen Fähigkeiten benutzen, ohne dass wir groß ‚verstehen‘, ‚wie‘ das geschieht. Unser Körper K ‚funktioniert‘ in einer bestimmten Weise und, je nachdem, was wir aktuell tun, werden wir das eine oder andere ‚erkennen‘ und damit entsteht – quasi automatisch – ein bestimmtes Bild W* von der umgebenden Welt W. Wie wir wissen, kann dieses Bild W* verglichen mit W falsch sein (wobei dieser Nachweis nie ganz einfach ist, da wir ja nur W* (unser Bild von der Welt) kennen, nicht aber direkt W).

5. Wenn wir wissen wollen, ob unser Bild W* von der Welt W ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ ist, müssen wir es überprüfen können, dann müssen wir versuchen, herauszufinden, wie die Prozesse aussehen, die in uns das adaptive funktionale Wissen im Lernen1 als COGfnc1 ‚erzeugen‘. Diese Form des ‚Erkennens‘ gehört zur philosophischen Reflexion unterstützt von Kunst und Wissenschaft, global hier als Lernen2, das eine andere Art von ‚Meta-Wissen‘ [COGfnc2] ‚erzeugt‘. Wenn wir Glück haben, dann finden wir auf diesem Weg heraus, wie das Lernen1 funktioniert, wie es zum adaptiven Wissen COGfnc1 kommt und welches die Umstände sind, unter denen das Wissen COGfnc1 ‚falsch‘ bzw. ‚wahr‘ sein kann.

6. Nach allem, was wir bislang aus der Geschichte der Menschheit, speziell der Geschichte der Ideen, lernen konnten, ist das Lernen2 sehr schwierig, sehr anfällig, und es braucht meistens 50 – 200 Jahre, bis bestimmte neue Erkenntnisse von ihrem ersten Auftreten in den Köpfen einzelner bis zur ‚Nutzung im Alltag‘ gelangen (Beispiel Kopernikus, Galilei; falls man bedenkt, dass grundsätzlich schon einzelne viel früher die Bewegung der Erde um die Sonne erkannt hatten, dann in diesem Fall natürlich viel länger als 200 Jahre).

7. Fassen wir alles zusammen und betrachten den Körper K als solche eine Transformationsfunktion K: W x IS x W* —> IS x W x W* (mit $latex W^{*} \subseteq IS $), die in sich ‚variabel‘ ist, dann wird damit allerdings nicht deutlich, wie stark das individuelle Wissen W* auch abhängig ist von der Kommunikation [COM] zwischen allen Beteiligten. Wie schon in vorausgehenden Blogeinträgen angedacht, scheint die Kommunikation die zentrale ‚Schlagader‘ von ‚fließendem Wissen‘ zwischen den beteiligten Körpern zu sein; dazu nicht einfach als ‚Informationsketten‘ sondern Informationsketten als Momente von sogenannten ’natürlichen Sprachen‘. Wie komplex dieser sprachbasierte Wissensaustausch ist, kann man an der Tatsache ablesen, dass es bis heute keine einzige Software gibt, die diese Prozesse in ihren wichtigen Eigenschaften nachvollziehen kann. Alle Welt redet über google und Big Data, aber das, was dort geschieht, ist noch sehr weit ab von dem, worum es hier tatsächlich geht. Natürlich werden wir eines Tages diese Prozesse computergestützt nachempfinden und unterstützen können, bis dahin muss aber noch viel geschehen. Für diese Fragestellungen gibt es bislang an den normalen Hochschulen und Universitäten aber kaum Professuren, kaum Lehreinheiten, und praktisch keine Forschungsgelder. Wer solch einen Forschungsantrag stellen würde, macht sich heute eher lächerlich (abgesehen davon, dass es keine Programme gibt, innerhalb deren man solche Forschungsanträge einreichen könnte).

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.