1. Gelegentlich schaue ich mir Günther Jauchs Talkrunde am Sonntagabend an. Er ist in der Regel sehr gut vorbereitet, scheut vor unangenehmen Fragen nicht zurück, und schafft es vergleichsweise gut, eine gewisse Struktur in der Sendung durchzuhalten. Natürlich ist auch er nicht frei von Vorurteilen, die bislang durchschlagen, und auch seine Talkrunde leidet an der allgemeinen Schwäche von Talkrunden: zwar blitzen die Positionen der Gäste bei geeigneten Fragen und Einspielungen etwas auf, wird ansatzweise sichtbar, was ein(e) TeilnehmerIn zu bestimmten Punkten in der Öffentlichkeit zu sagen bereit ist, aber eine tiefere Durchdringung findet höchst selten statt (bisweilen ansatzweise). Dies liegt einmal an der verfügbaren Zeit (je mehr TalkteilnehmerInnen umso weniger Zeit); zum anderen aber auch daran, dass die TeilnehmerInnen ihre Positionen relativ schnell abgrenzen, ‚dicht‘ machen, und sich dann nur noch im Verteidigen üben. Ein spontanes Aufgreifen von Fragen, ein kritisch-spielerischer Umgang damit, Ansätze von kritischen Infragestellungen der eigenen Position, so etwas findet man höchst selten.
2. Am Sonntagabend, 6.Juli 2014, 21:45h, war wieder solch eine Talkrunde die sehr glatt daherkam, und genau die Probleme, die die Menschen seit Monaten sehr bewegt, mit regierungstypischen Formulierungen im Ungewissen ließ. Jauch hatte sehr wohl Ansatzpunkte in seinen Fragen, aber sein hochkarätiger Gast, Hillary Rodham Clinton, bot an den entscheidenden Stellen nur die gleichen Floskeln, wie viele andere regierungsnahen US-amerikanischen Talkgäste in den Monaten zuvor.
3. Unterstützt von der Bundesministerin Ursula von der Leyen erinnerte Hillary R.Clinton an die gemeinsamen Werte, an die gemeinsame Geschichte und betonte die Grundsätzlichkeit und langfristige Perspektive des Verhältnisses USA – Deutschland. Auf die konkreten Vorgänge und die Unmenge an Fakten, die seit Sommer 2013 mindestens öffentlich bekannt sind (und sie soll als Regierungsmitglied vorher überhaupt nichts gewusst haben?) ging sie praktisch gar nicht ein. Zum Geschehen um Erik Snowden bot sie nur die regierungsamtliche Formulierung an, dass er US-amerikanische Gesetze verletzt habe, dass seine Bekanntmachung von Dokumenten US-amerikanischen Feinden in die Hände gearbeitet habe, und dass er sich den US-Behörden stellen müsse.
4. Bedenkt man die Zeit seit Sommer 2013 (ein Überblick in diesem Blog findet sich HIER) und nimmt man ernst, was bislang alles an Gesetzesbrüchen und undemokratischen Verhaltensweisen seitens der US-Regierung bekannt geworden ist, dann dürfte man mindestens ansatzweise ein paar selbstkritische Fragen/ Überlegungen selbst von einem regierungsnahen US-Bürger erwarten; doch nicht der Hauch einer Reflexion zum Verhalten der US-Regierung wurde in der Talkrunde sichtbar.
5. Jauch lies eine relativ aktuelle Umfrage zur Meinung der Deutschen über die USA einblenden (die Umfrage hatte diverse Nachteile; gravierend fand ich, dass man nicht zwischen der US-Bevölkerung und der US-Regierung unterschied; dazwischen liegen bisweilen Welten). Bei den negativen Werten ragte einer besonders heraus: nur noch 27% finden die USA ‚vertrauenswürdig‘. Dies ist alarmierend. Im normalen Leben hängt Vertrauenswürdigkeit unter anderem ab vom gesamten Auftreten, von gemeinsam geteilten Werten, von einer ‚hinreichenden‘ Transparenz, von der Bereitschaft zu selbstkritischen Überlegungen. Genau dies lässt die US-Regierung in erschreckender Weise vermissen: trotz massiver vielfacher Fehler, Gesetzesübertretungen, Menschenrechtsverletzungen seitens der USA, soweit sie in den letzten Jahren durch regierungsunabhängie Quellen bekannt wurden, wurde noch nie ein Regierungsmitglied auch nur ansatzweise zur Rechenschaft gezogen. Es wird bislang noch nicht einmal darüber öffentlich gesprochen. Alles wird abgeblockt. Ein Snowden aber, der nach reiflichen Überlegungen einen Teil der Ungeheuerlichkeiten sichtbar gemacht hat und der gerade aufgrund der verschwindenden Glaubwürdigkeit der US-Regierung Zuflucht bei anderen Staaten gesucht hat, wird von vornherein und ohne erkennbare Diskussion als Verbrecher abgestempelt. Dies wirkt nicht nur nicht überzeugend, sondern verstärkt massiv das Misstrauen in die moralische Integrität der US-Regierung (während Snowden für viele Menschen außerhalb der USA gerade das Vertrauen in die US-amerikanischen Bürger massiv verstärkt hat! Snowden steht für viele für das ‚gute‘ ‚demokratische‘ Amerika, dem man glaubt, das man unterstützen möchte, und genau diese ‚gute Amerika‘ wird von der wenig vertrauenswürdigen US-Regierung auf nicht vertrauenswürdiger Weise ‚bekämpft‘!).
6. Beachtet man diesen Kontext, dann war der Auftritt von Hilary Clinton eine verpasste Chance. Neben allgemeinen Nettigkeiten, die Sie positiv erscheinen ließen, vermochte Sie sich in den entscheidenden Grundsatzfragen nicht vom allgemeinen Bild einer gesetzesverachtenden unkritischen Regierung abzugrenzen.
7. Unsere eigene Bundesregierung unterscheidet sich – samt ihren untergeordneten Institutionen – in fast allen kritischen Punkt erkennbar gar nicht von der US-amerikanischen Position. Entsprechend war auch Frau von der Leyen an diesem Abend einzig bemüht, die große Übereinstimmung der US- und der Deutschen Regierungen zu betonen. Kritische Überlegungen fanden sich bei ihr nicht mal ansatzweise. Frau Käßmann war die einzige, die zumindest potentielle Unterschiede andeutete, ohne aber zu konkret zu werden. Schließlich muss man berücksichtigen, dass Hillary R.Clinton sich faktisch im ‚Wahlkampf‘ befindet; da darf man sich keine ‚Blöße‘ geben, die an der Wahlkampffront gegen Sie verwendet werden könnte. Und Günther Jauch ist in seinen Möglichkeiten letztlich auch begrenzt. Will er hochkarätige Gäste haben, dann darf er sie auch nicht ‚verschrecken‘. In diesem Rahmen ist er relativ weit gegangen.
8. Dennoch, selbst wenn man um diese (und andere) limitierende Faktoren weiß, kann es das Misstrauen in die Glaubwürdigkeit einer US-Regierung nicht befördern, wenn Menschen trotz massiver Fakten über eine US-Regierung nur reden bar jeglicher Kritik, ohne auch nur den Hauch einer kritischen Frage. Ich kenne so etwas nur aus Diktaturen; in Demokratien herrscht Meinungsfreiheit und der offene Bezug zu Unrecht muss möglich sein. Das Modell des ‚totalen Schweigens‘ und der ‚totalen Kritiklosigkeit‘ ist in meinen Augen nicht zukunftsfähig. Noch schlimmer, ein solches Modell heute zu praktizieren verhindert die Zukunft von uns allen. Dies ist kein Kavaliersdelikt.
Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.