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AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 11

Bildskizzen zu Avicennas Diskussion der Aussagetypen Disjunktive und Konjuntive Konditionale
Bildskizzen zu Avicennas Diskussion der Aussagetypen Disjunktive und Konjuntive Konditionale

VORGESCHICHTE

Für einen Überblick zu allen vorausgehenden Beiträgen dieser rekonstruierenden Lektüre von Avicennas Beitrag zur Logik siehe AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT.

Aufgrund des großen Umfangs enthält dieser Blogeintrag zu Avicennas Logik – im Gegensatz zu den vorausgehenden Blogeinträgen 1-9 – nur den Diskussionsteil von Blogeintrag 10. In Blogeintrag 10 wurde weiter die Position Avicennas beschrieben. Ziel der Lektüre ist die Rekonstruktion einer möglichen Theorie der Alltagslogik, wie sie dann in künstlichen lernenden Systemen eingesetzt werden soll (hier trifft die Philosophie direkt auf die Ingenieurskunst ….; man nennt dies ‚Informatik‘).

DISKUSSION

26. Wie schon mehrfach bemerkt, erscheint die Verwendungsweise der meisten Begriffe in Avicennas Abhandlung über die Logik ‚fließen‘ oder – mit einem Begriff aus der modernen Logik – ‚fuzzy‘.

27. Dies hat damit zu tun, dass Avicenna für die Verwendung seiner Begriffe keine klaren Kriterien benutzt. Typisches Beispiel ist sein Begriff der ‚Harmonie‘, den er für die Klassifikation von Antezedenz – Konsequenz Verhältnisse benutzt. Klar ist, dass er für diesen Begriff auf die Bedeutungsdimension zurückgreift; unklar ist, wie genau er dies versteht, da das, was er praktisch überall als ‚Bedeutung unterstellt‘, nirgendwo präzisiert wird. Will man diesen Nachteil beheben, muss man einen Weg finden, die Kriterien zu klären. Ein erprobtes Mittel dafür ist, alle die Umstände explizit zu machen, zu benennen, die man als für ein Kriterium ‚relevant‘ erachtet. Dies ist in der modernen Wissenschaft eine Mischung aus kontrollierten Beobachtungen und theoretischen Annahmen. Und da keine Beobachtung einen ‚Sinn‘ ergibt ohne Bezug zu vorausgesetzten Beziehungen/ Relationen/ Strukturen/ Modellen beginnt jede Klärung eines vagen Zusammenhangs mit ersten ‚theoretischen Annahmen‘ darüber, welche Zusammenhänge man für wichtig hält, mit denen man bekannte – oder noch zu messende – Phänomene ‚erklären‘ möchte.

28. Beginnen wir mit den letzten Annahmen von Avicenna.

AUSSAGEN – AUSSAGESTRUKTUREN

29. Ausgangspunkt sind solche Ausdrücke E, die ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können; er nennt sie ‚Aussagen‘ [PROP]: $latex PROP \subseteq E$.
30. Aus logischer Sicht hat Avicenna bislang vier funktionale Rollen innerhalb einer Aussage unterschieden: ‚Subjekt‘, ‚Prädikat‘, ‚Aussageoperatoren‘ sowie ‚Quantoren‘.
31. Minimal benötigen wir ‚Subjekt‘ S und ‚Prädikat‘ P, so dass man im Prädikat P etwas über das Subjekt S aussagen kann: $latex (S P)$
32. Zusätzlich gibt es die Rolle der logischen ‚Aussage-Operatoren‘ ‚Negation‘ $latex \neg$, ‚Exklusive Disjunktion‘ (auch ‚Kontravalenz‘ oder ‚X-OR‘) $latex \sqcup$, und ‚Quantoren‘ Q. Hier unterscheidet er Quantoren über die ‚Anzahl‘ $latex Q_{q}$, und Quantoren über die ‚Zeit‘ $latex Q_{t}$. Man solle gleich noch die Quantoren über den ‚Raum‘ $latex Q_{s}$ ergänzen; diese erwähnt er nicht explizit, aber im Bereich des Bedeutungsraumes spielt die Dimension des Raumes eine wichtige Rolle und begegnet uns in sehr vielen Aussagen.
33. Bei der Verwendung von Quantoren bezieht man sich immer auf eine Gesamtheit. Im Falle von Zeit-Quantoren $latex Q_{t}$ sind dies Zeitpunkte angeordnet auf einem Zeitstrahl. Im Falle von Anzahl-Quantoren $latex Q_{q}$ bezieht man sich auf die Objekte, zu denen das Subjekt einer Aussage in einer Beziehung steht; im Falle von Raum-Quantoren $latex Q_{s}$ bezieht man sich auf zu definierende ‚Raumstellen‘.
34. Unter der Voraussetzung, dass eine Aussage A = (S P) ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein kann, kann man sagen, dass $latex \neg A$ ‚wahr‘ ist, wenn ‚A‘ alleine ‚falsch‘ ist, d.h. wenn die Aussage A= (S P) nicht zutrifft; d.h. $latex (S \neg P)$ trifft zu.
35. Die Aussage ‚Entweder A oder B‘ $latex (A \sqcup B)$ ist ‚wahr‘, wenn entweder A wahr und B falsch ist oder B wahr und A falsch. Die Verneinung von $latex \neg(A \sqcup B)$ ist wahr, wenn entweder A und B zusammen wahr oder zusammen falsch sind.
36. Die Aussage ‚Wenn A dann B‘ $latex (A \rightarrow B)$ ist nur dann falsch, wenn A zutrifft und zugleich B falsch ist. In allen anderen Fällen ist die Implikation wahr. Die Verneinung $latex \neg(A \rightarrow B)$ wäre dementsprechend wahr, wenn A wahr wäre und B nicht; in allen anderen Fällen falsch
37. Es sei angemerkt, dass die Implikation $latex (A \rightarrow B)$ äquivalent ist zu $latex \neg(A \wedge \neg B)$, wobei das Zeichen ‚$latex \wedge$‘ den aussagenlogischen Operator ‚Konjunktion‘ (‚und‘) repräsentiert. $latex (A \wedge B$ sind nur wahr, wenn A und B zugleich wahr sind, sonst falsch.
38. Quantoren werden Aussagen vorangestellt, also (Q A) bzw. (Q (S P)).
39. Anzahl-Quantoren $latex Q_{q}$ wären ‚alle‘ und verneint $latex \neg Q_{q}$ ’nicht alle‘, definiert durch ‚einige := nicht alle‘.
40. Zeit-Quantoren $latex Q_{t}$ wären ‚immer‘ und verneint $latex \neg Q_{t}$ ’nicht immer‘, definiert durch ‚manchmal := nicht immer‘.
41. Raum-Quantoren $latex Q_{s}$ wären ‚überall‘ und verneint $latex \neg Q_{s}$ ’nicht überall‘, definiert durch ‚einige := nicht überall‘.
42. Als Schreibweisen hat sich herausgebildet, im Falle von ‚alle’/ ‚immer’/ ‚überall‘ von ‚All-Quantoren‘ zu sprechen und zu schreiben $latex \forall(x)$. Das ‚x‘ steht dann für die Art von Objekten, über deren Gesamtheit quantifiziert wird. Im Fall von ‚einige’/ ‚manchmal“ spricht man von ‚Partikularquantoren‘ (missverständlich auch ‚Existenzquantoren‘) und schreibt $latex \exists(x)$. Das ‚x‘ steht wieder für die Art von Objekten, über deren Gesamtheit quantifiziert wird.
43. Im Falle von Partikularquantoren von ‚Existenzquantoren‘ zu sprechen ist leicht irreführend, da ein Existenzquantor $latex \exists(x)$ keine Aussage über die reale Existenz in der umgebenden Welt W trifft, sondern nur angibt, über wie wieviele Objekte x einer Art gesprochen werden soll.
44. Beispiel: ‚Manchmal ist der Himmel grau‘ $latex \exists(t)(der Himmel)(t)(ist grau)$. Es gibt einige Zeitpunkte t (aus der Gesamtheit der geordneten Zeitpunkte T), an denen vom Himmel gesagt werden kann, dass er grau ist.
45. Beispiel: ‚Überall scheint die Sonne‘ $latex \forall(s)(die Sonne)(scheint)$. An allen Raumpunkten s (aus der Gesamtheit der Raumpunkte S), kann von der Sonne gesagt werden kann, dass sie scheint.
46. Beispiel: ‚Alle Menschen sind sterblich‘ $latex \forall(x)(Menschen)(sind sterblich)$. Für alle Objekte aus der Gesamtheit der Menschen kann gesagt werden, dass sie sterblich sind.
47. Beispiel: ‚Nicht alle Menschen sind sterblich‘ $latex \neg\forall(x)(Menschen)(sind sterblich)$ wird übersetzt $latex \exists(x)(Menschen)(sind nicht sterblich)$, $latex \exists(x)(S)(\neg P)$, d.h. für einige Objekte aus der Gesamtheit der Menschen kann gesagt werden, dass sie nicht sterblich sind.

WAHRHEITSBEDINGUNGEN – BEDEUTUNGSRAUM

48. Mit der Einführung der Begriffe ‚Aussage‘, ‚Subjekt‘, ‚Prädikat‘, ‚Aussage-Operator‘, ‚Quantor‘ wurden Strukturelemente von Ausdrücken beschrieben. Allerdings wurde bei der ‚Charakterisierung‘ der unterschiedlichen logischen Rollen immer schon – mehr oder weniger explizit – Bezug genommen auf einen unterstellten ‚Bedeutungsraum‘ M.
49. Der wichtige Punkt hier ist, dass man den Unterschied zwischen dem Bedeutungsraum M und den Eigenschaften X der umgebenden Welt W beachtet.
50. Wie schon zuvor herausgestellt, ist der Bedeutungsraum M, auf den sich die Aussagen mit ihren Strukturen primär beziehen, zu einem gewissen Teil eine Konstruktion über bestimmten Ereignissen X in der umgebenden Welt W.
51. Dieser Unterschied ist die Voraussetzung für Begriffe wie z.B. ‚Existenz‘, ‚wahr’/ ‚falsch‘ und ‚möglich‘.
52. Denn mittels einer Aussage A bestimmte Bedeutungselemente $latex m \subseteq M$ zu benennen, zu aktivieren, ist zwar eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein Ausdruck e als Aussage A überhaupt eine ‚Bedeutung‘ hat, diese Bedeutungselemente m sind als solche aber weder ‚wahr‘ noch ‚falsch‘; ihre ‚Existenz‘ ist unklar; ob sie ‚real‘ oder ‚möglich‘ sind folgt aus der primären Bedeutung nicht.
53. Erst wenn man davon ausgeht, dass es innerhalb des Bedeutungsraumes M solche Bedeutungselemente m* gibt, die sich von anderen Bedeutungselementen m0 dadurch unterscheiden, dass ihnen ein ‚Aktualitätsbezug‘ zu aktuellen Wahrnehmungen zusprechen kann, nur dann kann es ein Kriterium geben, wodurch eine Aussage A ’nur‘ eine ‚wahrheitsneutrale‘ Bedeutung m0 hat oder eben durch die ‚Aktualitätseigenschaft‘ m* als ‚zutreffend in der umgebenden Welt M‘ charakterisiert werden kann. An dieser Eigenschaft des ‚aktuell Zutreffens‘ in der umgebenden Welt W lassen sich die Begriffe ‚wahr‘ und ‚falsch‘ ‚anhängen‘: gibt es eine Bedeutung m0, die eine hinreichende Ähnlichkeit mit einer Bedeutung m* hat, dann kann man von der Aussage, die die Bedeutung m0 bezeichnet, sagen, dass sie ‚zutrifft‘ und damit ‚wahr‘ ist; gibt es zu einer aktuell bezeichneten Bedeutung m0 einer Aussage A keine hinreichend ähnliche Bedeutung m*, dann trifft die Bedeutung m0 der Aussage A nicht zu, d.h. sie ist falsch.
54. Sofern wir über ‚Erinnerungen‘ an Bedeutungen m(m*) verfügen, die zu ‚vorausgehenden Zeitpunkten‘ einmal ‚wahr‘ waren, kann dieses Wissen m(m*) dazu benutzt werden, um eine ‚Erwartung‘ über die umgebenden Welt W aufzubauen, dass der Sachverhalt m(m*) sich als aktuelle Wahrnehmung m* ‚reproduzieren‘ lässt; dafür, dass dem so ist, gibt es keine ‚Garantie‘; selbst die sogenannten ‚Naturgesetze‘ sind keine 100%ige Garantie dafür, dass eine erinnerbare Eigenschaft m(m*) aufgrund ihres ‚früheren‘ Auftretens als m* nochmals als m* auftreten wird.

MÖGLICH

55. Ich würde den Begriff der Möglichkeit auch an dieser Differenz aufhängen: einerseits ‚aktuell wahrgenommene‘ Bedeutungselemente m* bzw. ‚erinnert als schon mal aktuell wahrgenommen‘ m(m*)‘ und andererseits nur ‚gedacht’/ ‚vorstellbar‘ als m0 ohne Entsprechung zu einem m* bzw m(m*). Eine ‚Differenz‘ zwischen allgemein vorstellbar/ denkbar und aktuell wahrnehmbar bzw. erinnert als aktuell mal wahrgenommen ist generell ein Hinweis auf Möglichkeit. Wie ‚wahrscheinlich‘ solche möglichen Bedeutungselemente m0 mal als m* reproduziert werden können, ist allgemein kaum anzugeben. Basierend auf dem bislang verfügbaren erinnerbaren Wissen M(M*) insgesamt kann man zwar gewisse ‚Erwartungen‘ konstruieren; dies können aber – wie wir aus der Geschichte wissen – unzuverlässig sein, da sie auf falschen Annahmen bzw. Interpretationen beruhen können (‚Sonne bewegt sich um die Erde‘ oder ‚Erde bewegt sich um die Sonne‘).

WELT ALS FIKTION

56. Aus der bisherigen Rekonstruktion folgt, dass der Begriff der ‚umgebenden Welt W‘ streng genommen eine ‚Fiktion‘ ist. Was es gibt, sind Erregungszustände m* im Gehirn, die es zum überwiegenden Teil nicht selbst verursacht; sie werden in die Erregungsmenge des Gehirns ‚induziert‘. Verglichen damit sind die anderen (bewussten) Erregungszustände m0 ‚von innen‘ (endogen) erzeugt. Unser Gehirn nimmt diese nicht-selbst induzierten (bewussten) Erregungszustände m* als ‚etwas von ihm Verschiedenes‘, an dem sich viele ‚Eigenschaften‘ unterscheiden lassen, u.a. auch eine implizite Raumstruktur. Der Begriff der ‚Welt‘ ist in diesen nicht-selbst induzierten Erregungszuständen m* fest gemacht. Als m* sind diese Erregungszustände ‚unmittelbar‘, ‚direkt‘, so, als ob wir die ‚Welt‘ ‚direkt‘ erleben würden. Wie wir aber heute wissen (können), sind diese direkt erlebbaren Erregungszustände m* das ‚Produkt‘ eines komplizierten Übersetzungsmechanismus, den wir sinnliche Wahrnehmung perc() nennen. Im Prozess der sinnlichen Wahrnehmung perc() werden einige der Weltereignisse X in sinnliche Zustände $latex m_{p}$ abbgebildet: $latex perc: X \longrightarrow M_{p}$. Zusätzlich wissen wir heute, dass die schon verfügbaren Bedeutungselemente M auf diesen Wahrnehmungsprozess Einfluss nehmen können (Stichwort ‚Erwartungen‘, ‚Vorurteile‘ , …): $latex perc: X \times M \longrightarrow M_{p}$.
57. Dabei sind es normalerweise nicht die sinnlichen Erregungszustände $latex M_{p}$, die wir wahrnehmen, sondern die Objekte der nächsten Verarbeitungsstufe, die aus den sinnlichen Elementen als Objektelemente heraus abstrahiert werden: $latex \alpha: M_{p} \times M \longrightarrow M_{o}$. Auch hier wirken sich die schon vorhandenen Bedeutungselemente M auf den Abstraktionsprozess aus. Statt $latex M_{o}$ wird hier auch verkürzend oft nur von den ‚Objekten‘ O gesprochen, da Objekte immer nur als Elemente des Bedeutungsraumes M vorkommen.
58. Die zuvor erwähnten aktuellen Wahrnehmungen m* sind eine Teilmenge der Objektelementen $latex M_{o}$, also $latex m* \subseteq M_{o}$. Die Objektelemente ohne die aktuellen Wahrnehmungen m* gehören zu den ‚denkbaren‘ Objektelementen, also $latex (M_{o} – m*) \subseteq M0$. Dies ist möglich, weil im Gehirn ja nicht ‚reale‘ Objekte mit ‚gedachten‘ Objekten verglichen werden, sondern die ‚realen‘ Objekte treten im Gehirn schon als ‚gezähmte‘ Objekte auf, d.h. was immer an Eigenschaften X in der realen Welt W zur Konstruktion der aktuellen Wahrnehmungen m* geführt hat, m* selbst ist ein Konstrukt wie m0 auch. Deswegen lassen sich beide ‚vergleichen‘ und mit den Mitteln des ‚Denkens‘ ‚bearbeiten‘.

ERGEBNISSE

59. An dieser Stelle könnte man jetzt eine eigene große Abhandlung zur Alltagslogik schreiben. Um den Gang der weiteren Untersuchung von Avicennas Abhandlung damit aber nicht vollständig zu sprengen, beende ich hier die rekonstruierenden Überlegungen und wende mich wieder der Lektüre des Textes zu. Wie man sieht, kann solch eine Lektüre extrem anregend sein.

AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – BLITZÜBERSICHT

(Letzte Änderung 14.Okt.2014, 06:11h )

Da die rekonstruierende Lektüre zu Avicennas Abhandlung zur Logik ein immer größeres Ausmaß annimmt, erweist sich die Methode, jeden einzelnen Beitrag mit einem Überblick über die vorausgehenden Beiträge einzuleiten, als immer weniger praktikabel. Deswegen wird jetzt ein eigener Blogeintrag als Referenzpunkt für diesen Überblick gewählt. Dies bedeutet, dass künftig alle nachfolgenden Beiträge einleitend (für die ‚Vorgeschichte‘), auf diesen Blogeintrag verweisen werden. Es ist zu beachten, dass diese Übersicht nur eine Übersicht über die wichtigsten Begriffe und Themen ist ohne alle Details und normalerweise auch ohne die ausführliche Diskussion von Avicennas Gedanken. Diese finden sich nur in den Blogeinträgen selbst, auf die verwiesen wird.

1. In einem ersten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 1 hatte ich geschildert, wie ich zur Lektüre des Textes von Avicenna gekommen bin und wie der Text grob einzuordnen ist.

2. In einem zweiten Beitrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 2 ging es um die Frage, warum überhaupt Logik? Avicenna führt erste Unterscheidungen zu verschiedenen Wissensformen ein, lässt aber alle Detailfragen noch weitgehend im Dunkeln.

3. Im Teil AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 3 ging es um einfache und zusammengesetzte Begriffe, und bei den einfachen Begriffen um ‚individuelle‘ und ‚universelle‘. Schon hier zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen der antiken und der modernen-formalen Logik. In der antiken Logik wird die Ausdrucksebene E – und einer sich daran manifestierenden Folgerungslogik – immer in Verbindung mit einer zugehörigen Bedeutungsstruktur gesehen, die sich an einer Objektstruktur O festmacht. Die moderne formale Logik kennt zwar auch ‚Semantiken‘ und ‚Ontologien‘, diese sind aber ’sekundär‘, d.h. es werden nur solche ‚formalen Semantiken‘ betrachtet, die zum vorausgesetzten syntaktischen Folgerungsbegriff ‚passen‘. Dies sollte dann später an konkreten Beispielen diskutiert werden. Hier liegt der Fokus auf der antiken Logik im Sinne Avicennas.

4. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 4 knüpft Avicenna an den zuvor eingeführten Begriff des ‚universellen‘ Begriffs an und betrachtet jetzt solche als ‚universell‘ bezeichneten Ausdrücke in einem Ausdruckskontext von aufeinanderfolgenden Ausdrücken. Alle diese Ausdrücke könnte man im Sinne der antiken Logik auch als ‚Urteile‘ bezeichnen, durch die einem bestimmten Ausdruck durch andere Ausdrücke bestimmte Bedeutungen (Eigenschaften) zu- oder abgesprochen werden. Hier unterscheidet er die Fälle eines ‚wesentlichen‘ Zusammenhanges zwischen zwei Begriffen und eines ’nicht wesentlichen‘ – sprich ‚akzidentellen‘ – Zusammenhangs.

5. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 5 führt Avicenna eine Reihe von neuen technischen Begriffen ein, die sich nicht alle in ihrer Bedeutung widerspruchsfrei auflösen lassen. Es handelt sich um die Begriffe ‚Genus‘, ‚Spezies‘, Differenz, allgemeine und spezielle Akzidens, den Begriff ‚Kategorie(n)‘ mit den Kategorien ‚Substanz‘, ‚Qualität‘ und ‚Quantität‘. Die Rekonstruktion führt dennoch zu spannenden Themen, z.B. zu einem möglichen Einstieg in das weltverändernde Phänomen der kognitiven Evolution.

6. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 6 geht es um die Begriffe ‚Definition‘ und ‚Beschreibung‘. Im Verhältnis zwischen beiden Begriffen geht die Beschreibung der Definition voraus. In der ‚Definition‘, die Avicenna vorstellt, wird ein neuer Ausdruck e mittels anderer Ausdrücke <e1, …, ek>, die sich auf schon bekannte Sachverhalte beziehen, ‚erklärt‘. Die von Avicenna dann vorgenommene Erklärung, was eine ‚Definition‘ sei, hängt u.a. stark ab von dem Begriff der ‚Bekanntheit‘ und dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. Für die Tatsache, dass ein Mensch A bestimmte Ausdrücke <e1, …, ek> einer Sprache L ‚kennt‘ oder ’nicht kennt‘, dafür gibt es keine allgemeinen Regeln oder Kriterien. Von daher macht die Verwendung der Ausdrücke ‚bekannt’/ ’nicht bekannt‘ eigentlich nur Sinn in solch einem lokalen Kontexten W* (z.B. einem Artikel, ein Buch, ein Vortrag, …), in dem entscheidbar ist, ob ein bestimmter Ausdruck e einer Sprache L schon mal vorkam oder nicht. Schwierig wird es mit dem Begriff des ‚wahren Wesens‘. In meiner Interpretation mit der dynamischen Objekthierarchie gibt es ‚das wahre Wesen‘ in Form von Objekten auf einer Stufe j, die Instanzen auf Stufen kleiner als j haben. Dazu gab es weitere Überlegungen.

7. Im folgenden Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 7 beschreibt Avicenna syntaktisch zusammengesetzte, aber semantisch einfache Ausdrücke. Innerhalb der Ausdrücke unterscheidet er die Teileausdrücke ‚Name‘, ‚Verb‘ und ‚Präposition‘. Die unterschiedliche Charakterisierung erfolgt nicht aufgrund der syntaktischen Form, sondern aufgrund der semantischen Eigenschaften, die mit diesen Ausdrücken verbunden werden. Neben dem Objektbezug, der die eigentliche Bedeutung fundiert, gibt es im Bedeutungsraum auch noch den zeitlichen und den räumlichen Aspekt. Das Zusammenspiel von Bedeutung und Ausdruck wird angerissen.

8. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 8 geht es um solche Ausdrücke E, die ‚Aussagen‘ P sind, von denen man sagt, dass sie ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ seien. Aussagen sind eine echte Teilmenge aller Ausdrücke, $latex P \subset E$. Avicenna unterscheidet drei Arten von Aussagen: ‚kategorische‘ Aussagen, ‚Disjunktiv-konditionelle‘ und ‚Konjunktiv-konditionelle‘. Es wird ausführlich eine mögliche Wahrheitstheorie für die Zuschreibung ‚wahr’/ ‚falsch‘ diskutiert. Dann werden nochmals die Aussagetypen näher untersucht. Ein Zusammenhang mit der modernen Aussagenlogik wird hergestellt. Disjunktion, Konjunktion (und ergänzend) Implikation) sind Aussagetypen, die aus zwei Teilausdrücken A und B bestehen, die selbst wieder Aussagen sind, die wahr oder falsch sein können. Die beiden Teilausdrücke A und B werden dann durch die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- verknüpft. Sie unterscheiden sich dadurch, wie der Wahrheitswert des Gesamtausdrucks von der Verteilung der Wahrheitswerte auf die Teilausdrücke festgelegt ist. Die Teilausdrücke (oder), (und) sowie (wenn)-(dann)- nennt man später dann auch ‚aussagenlogische Operatoren‘. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ passt nicht in dieses Schema. Der Aussagetyp ‚kategorisierend‘ ist eine Aussage A, die wahr oder falsch sein kann unabhängig von irgendeinem aussagenlogischen Operator. Auch wird die Verneinung/ Negation diskutiert. Ausdrücke wie (Etwas)(ist nicht)(dies)(oder)(jenes) wurden rekonstruiert als $latex \neg(A)(oder)(B)$ mit dem Zeichen $latex \neg$ für ’nicht‘ oder ‚es ist nicht der Fall, dass‘.

9. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 9 kommt Avicenna auf mehrere Begriffspaare zu sprechen, die sich z.T. mit Themen berühren, die er schon vorher besprochen hat, z.T. neue Aspekte thematisieren, die nicht so ohne weiteres mit dem bisher Gesagten harmonieren. Es handelt sich z.B. um die Begriffe ‚Kategorisch‘, ‚Negation‘, ‚Universal‘, ‚Partikulär‘, die aber jetzt mit neuen Randbedingungen nochmals diskutiert werden. So stellt er die Frage, wann ‚kategorischen‘ (‚kategorisierenden‘) Aussagen ‚affirmativ‘ und wann sie ’negativ‘ sind. Ferner führt er neben den bisherigen die semantisch motivierten Begriffe ‚Name‘, ‚Verb‘ (auch ‚Term‘ genannt), sowie ‚Präposition‘ nun auch das Begriffspaar ‚Subjekt‘ und ‚Prädikat‘. Auch diese sind ’semantisch‘ motiviert, d.h. nur durch Rückgriff auf die Bedeutung kann man zur Klassifikation ‚Subjekt‘ bzw. ‚Prädikat‘ kommen. In den soeben erwähnten Kontexten wie auch in nachfolgenden Beispielen diskutiert Avicenna auch die Begriffe ‚affirmativ‘ und ’negativ‘. Zwischendrin bemerkt er auch mal, dass das Treffen einer Feststellung, eigentlich nur Sinne mache, wenn dasjenige, von dem etwas ausgesagt wird, auch existiere. Doch wird dieser Punkt nicht weiter diskutiert. Vom Subjekt einer Aussage sagt Avicenna, dass es partikulär‘ oder ‚universell‘ sein kann. Falls universell, dann kann man unterscheiden, ob sie ‚unbestimmt‘ (engl.: ‚indeterminate‘) ist – wie viele genau involviert sind — oder eben ‚bestimmt‘ (engl.: ‚determinate‘). Ferner illustriert er am Beispiel der kategorisierenden Aussagen auch die Begriffe ’notwendig‘ und ‚kontingent‘. Diese Verwendung der Begriffe stimmt überein mit den zuvor eingeführten Begriffe ‚wesentlich‘ und ‚akzidentell‘. Auch erwähnt Avicenna den Begriff ‚möglich‘. Er sieht mindestens zwei Verwendungsweisen von ‚möglich‘: In der Diskussion dieses Abschnitts werden einerseits einige Widersprüchlichkeiten in den Ausführungen Avicennas sichtbar gemacht, andererseits wird die Rekonstruktion einer möglichen systematischen Theorie zur Logik Avicennas fortgesetzt. Die wichtigsten Kritikpunkte kreisen um das Begriffspaar ‚affirmativ – negativ‘ mit der Kritik, dass beide Begriffe auf unterschiedlichen semantischen Ebenen liegen. Ferner widerspricht die Handhabung der Quantoren durch Avicenna der allgemeinen Verwendung.

10. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 10 diskutiert Avicenna seine Begriffe ‚Konjunktives‘ und ‚Disjunktives Konditional‘ unter verschiedensten Aspekten. Einige davon sind die Quantoren (wobei er auch Quantoren über die Zeit benutzt!), das Begriffspaar ‚Antezedenz – Konsequenz‘, der Begriff der ‚Harmonie‘, und wiederholt die Aspekte ‚Existenz‘, ‚Affirmation‘ sowie ‚Bestimmt/ Unbestimmt‘. Alle diese Aspekte werden in diesem Blogeintrag schon ein wenig ‚vorsortiert‘, um dann im nachfolgenden Blogeintrag weiter rekonstruierend diskutiert zu werden.

11. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 11 erfolgt eine ‚rekonstruierende Diskussion‘ von Avicennas Überlegungen aus Blogeintrag 10. Seine Überlegungen werden aufgegriffen und in einen theoretischen Rahmen eingeordnet, der es erlaubt, die Begriffe schärfer zu fassen und sie dadurch besser voneinander abzugrenzen. Nach einer Übersicht über die Struktur der Aussagen erfolgt dann eine Rekonstruktion von Bedeutungszuordnungen und eine Erklärung von Begriffen wie ‚wahr’/ ‚falsch‘, ‚Existenz‘, und ‚möglich‘.

12. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 12 diskutiert Avicenna den Fall widersprüchlicher Aussagen. Gemessen an dem bisher Gesagten bringt er in diesem Abschnitt keine neuen Aspekte ins Spiel. Wohl aber bietet dieser Abschnitt weitere Beispiele für sein Auffassung des Sachverhalts. Sie belegen, wie schwer er sich durchgängig damit tut, in dem unscharfen Wechselspiel von Ausdrucksseite und Bedeutungsseite eine konstante Verwendungsweise seiner Begriffe durchzuhalten. In diesem Blogeintrag erfolgt die Diskussion seines Textes immer unmittelbar hinter jedem Punkt in Form einer Anmerkung.

13. Im Abschnitt AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 13 diskutiert Avicenna die Möglichkeit der Konvertierung von Aussagen mit Quantoren in solche, deren Bedeutung trotz Veränderung von Ausdruckselementen ‚erhalten‘ bleibt. In einigen Beispielen widerspricht er sich selbst; manche Stellen sind unklar. Es zeigt sich allgemein: (i) die Formulierung von Konvertierungsregeln greift beständig auf bestimmte unterstellte Bedeutungen zurück und (ii) genau diese unterstellten Bedeutungen werden nicht hinreichend klar definiert. Daraus entsteht die Forderung, diese unterstellte Bedeutung klar zu definieren und auf dieser Basis alle logischen Ausdruckselemente eindeutig zu definieren (was im nachfolgenden Abschnitt dann unternommen wird).

14/14b. In den Blogeinträgen AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14 sowie AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 14b geht es darum, erstmalig einen theoretischen Rahmen für eine Semantik zu formulieren, mit der man die Logik Avicennas konsistent entwickeln kann. Abschnitt 14b stellt eine Überarbeitung des Eingangsteils von Abschnitt 14 dar. Es hat sich gezeigt, dass die in 14b gewählte Begrifflichkeit für das weitere Vorgehen ‚günstiger‘ wirkt. Aber wir befinden uns noch in der Phase der ‚Annäherung‘ an das ‚Neue‘.

15. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 15 geht es um die Feinstruktur von Aussagen. Avicenna unterteilt ja Ausdrücke anhand inhaltlicher Kriterien nach Subjekt S, Prädikat P und ergänzend nach Quantoren Q. Es fragt sich, wie man diesen Ausdrucksteilen eine ‚Bedeutung‘ im Objektraum O zuordnen kann. Wichtig ist hier die schon früher getroffene Unterscheidung zwischen ‚echten‘ und ‚unechten‘ Objekten. ‚Unechte‘ Objekte wurden als ‚Eigenschaften‘ bezeichnet. Mit dieser Terminologie kann man sagen, dass die Objekthierarchie O primär von echten Objekten gebildet wird; unechte Objekte als Eigenschaften treten nur im Kontext eines echten Objekts auf. Damit kann man die begriffe ‚Gattung‘ und ‚Art‘ einführen. Gattungen, die keine Gattungen mehr ‚über sich‘ haben können, sollen hier ‚Kategorien‘ genannt werden. Setz man Definitionen von Worten voraus, dann kann man ach erklären, warum eine Aussage wie ‚a ist eine Tasse‘ ‚rein definitorisch‘ (bzw. ‚rein analytisch‘) ‚wahr ist, unabhängig davon, ob diesem gedanklichen Sachverhalt etwas Sinnliches entspricht. Im Gegensatz zu solch einer rein definitorischen (analytischen) Wahrheit eines Objekts a soll hier die ursprünglich vereinbarte ‚Wahrheit‘ durch Bezug auf eine ’sinnliche Gegebenheit‘ $latex s \subseteq Os$ ‚ontologische‘ Wahrheit genannt werden. Solange wir uns in unseren Aussagen auf das Enthaltensein eines Objektes a in einem Gattungsobjekts X beschränken ‚a ist ein X‘ oder das Feststellen von Eigenschaften der Art ‚a hat b‘ kann man sagen, dass eine Aussagestruktur wie (S P) wie folgt interpretiert werden kann: Es gibt einen Ausdruck A=(AsAp), bei dem ein Ausdrucksteil As sich auf ein echtes Objekt M(As) = $latex a \in Oa$ bezieht und der andere Ausdrucksteil Ap bezieht sich auf die Beziehung zwischen dem Objekt a und entweder einem Gattungsobjekt X (Ap = ‚ist ein X‘) oder auf eine Eigenschaft Y (Ap = ‚hat Y‘). Hierbei ist eine gewisse ‚Asymmetrie‘ zu beachten. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil As – M(As) – bezieht sich auf eine ‚konkrete‘ Eigenschaftsstruktur innerhalb der Objekthierarchie. Die Bedeutung vom Ausdrucksteil Ap – M(Ap) – bezieht sich auf eine ‚Beziehung‘ / ‚Relation’/ ein ‚Verhältnis‘ [R] zwischen dem bezeichneten Bedeutungsobjekt M(As) = a und einem anderen bezeichneten Bedeutungsobjekt M(Ap), also R(M(As), M(Ap)). Die Beziehung R ist selbst kein ‚Objekt‘ so wie das Objekt a oder das implizit angenommene ‚Bezugsobjekt‘ X bzw. Y von a. Eine solche Beziehung R setzt – um prozessural ‚hantierbar‘ zu sein – eine zusätzliche ‚Objektebene‘ voraus, auf der es ein R-Objekt gibt, das die Beziehung zwischen dem a-Objekt und dem X-Y-Objekt ‚repräsentiert.

16. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 16 wird die Analyse der vorausgesetzten Objekthierarchie O und der damit interagierenden Ausdrucksstruktur E weiter analysiert. Nach der Analyse der Feinstruktur von (S P) werden die Aspekte Anzahl, Raum und Zeit betrachtet. Es wird gezeigt, wie man für diese Aspekte sowohl ‚globale Quantoren‘ wie auch ‚lokale Relationen‘ einführen kann; zudem ist die Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten konfliktfrei, da sie voneinander unabhängig sind.

17. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 17 geht es um die Frage, wie man Aussagen über Veränderungen in der hypothetisch angenmmenen Bedeutungsstruktur nachzeichnen kann. Es lässt sich erkennen, dass die Kodierung von Veränderungen mittels Ausdruckselementen innerhalb eines Prädikates P mittels ‚Veränderungsausdrücken‘ V (‚Verben‘) oft nicht nur die beteiligten Objekte Y benennt, sondern zusätzlich zahlreiche weitere Ausdruckselemente aktiviert, die räumliche Gegebenheiten R_r bezeichnen, zeitliche Relationen R_t, zusätzliche Eigenschaften At an den Veränderungen; dazu ferner spezielle kulturelle Relationen R_x einbeziehen können sowie mit zusätzlichen Subjektrepräsentationen operieren. Auch kann man beobachten, wie die Aneinanderreihung von unterschiedlichen Sachverhalten (S P) mit logischen Operatoren (S P) UND (S2 P2) auch zu speziellen Verkürzungen führen kann wie (S P1 UND P2). Dies lässt erahnen, dass eine vollständige Analyse auch nur einer einzigen Alltagssprache von ihrer logisch relevanten Semantik her eine schier unendliche Aufgabe ist. Diese wird weder ein einzelner Mensch alleine noch viele Menschen über viele Genrationen hinweg jemals vollständig erfüllen können. Was aber möglich erscheint, das ist die Analyse des grundlegenden Mechanismus, der sich mit Hilfe von evolvierenden Computermodellen experimentell untersuchen und mit realen semiotischen Systemen überprüfen lässt.

18. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 18 weitet sich nun der Blick Avicennas auf das Wissen allgemein, und konzentriert sich im Wissen auf das schlussfolgernde Denken in Form von ‚beweisenden Syllogismen‘. Nach einer Definition von ‚Syllogismus‘ unterscheidet er dann zwei Arten von Syllogismen ‚Konjunktiver‘ Syllogismen und ‚Disjunktiver‘ Syllogismus. Am Beispiel des ‚Konjunktiven Syllogismus‘ führt Avicenna dann eine Reihe von technischen Begriffen ein. Dann stellt Avicenna zusätzliche Beschränkungen vor, um die 256 möglichen Figuren/ Muster auf nur 27 mögliche Muster einzuschränken. Alle seine Festlegungen geschehen ohne eigentliche Begründung.

19. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 19 beginnt die Diskussion um die Interpretation der syllogistischen Schlussfiguren am Beispiel der ersten Figur (A F B), (A B H) und (A F H) mit der Quantorenbelegung ‚AAA‘. In einzelnen Schritten wird dann eine erste Skizze zu einer Logik auf der Basis einer dynamischen Objektstruktur erarbeitet. Zentrale Begriffe sind hier OBJEKTIFIZIERUNG, ENTHALTENSEIN, ZUSCHREIBUNG und VERERBUNG. In dieser Skizze werden auch ‚Aktivitäten‘ berücksichtigt, die in dem Muster zur ersten Figur nicht vorkommen, zusätzlich werden neben den Anzahlquantoren auch Raum- und Zeitquantoren berücksichtigt.

20. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 20 geht es um die Interpretation des zweiten Musters der ersten syllogistischen Schlussfigur ‚A F ist B‘, ‚A B ist nicht H‘ (als ‚Kein A ist B‘), ‚A F ist nicht H‘ (als ‚Kein F ist H‘), dazu die Beispiele ‚Jeder ausgedehnte Körper ist farbig‘, ‚Kein farbiger Körper ist unerschaffen‘, ‚Kein ausgedehnter Körper ist unerschaffen‘. Wir treffen in diesem Muster wieder auf den Prozess der Objektifizierung, tatsächlich sogar in impliziten Formen mit der expliziten Angabe von Eigenschaften und der stillschweigenden Annahme einer daraus sich ergebenden Mengenbildung. Zusätzlich finden sich wieder Enthaltensbeziehungen einerseits anhand von Eigenschaftszuschreibungen, andererseits durch Benutzung von Anzahlquantoren. Die Zuschreibung von Eigenschaften wird explizit vorgenommen. Eine Vererbung von Eigenschaften von einer Menge zur anderen tritt nur implizit über eine Enthaltensbeziehung auf. Es tritt nur eine Sorte von Quantoren auf. Auch sei angemerkt, dass außer der Negation kein weiterer aussagenlogischer Operator auftritt.

21. In dem Blogeintrag AVICENNAS ABHANDLUNG ZUR LOGIK – Teil 21 geht es um die Interpretation der Muster 3-4 der Schlussfigur 1. Dabei entsteht die Vermutung, dass viele der Unterscheidungen von Avicenna (die weitgehend auf Aristoteles zurückgehen!) möglicherweise ‚redundant‘ sind, d.h. mit anderen Formulierungen letztlich doch ‚das Gleiche‘ sagen. Der Ansatzpunkt für diese Vermutung liegt darin begründet, dass die Unterscheidung von einem Term als ‚Subjekt‘ (S) und als ‚Prädikat‘ (P) auf Seiten der abstrakten Bedeutungsstruktur als Bedeutungsrepräsentation jeweils ein ‚echtes‘ oder ein ‚unechtes‘ Objekt haben können, und zwar so, dass diese Strukturen ‚fließend‘ sind: jedes ‚echte‘ Objekt kann als ‚unechtes‘ interpretiert werden und umgekehrt. Weitere Vereinfachungen deuten sich an. Diese sollen im Folgenden überprüft werden.

Fortsetzung folgt …

QUELLEN

  • Avicenna, ‚Avicennas Treatise on Logic‘. Part One of ‚Danesh-Name Alai‘ (A Concise Philosophical Encyclopedia) and Autobiography, edited and translated by Farang Zabeeh, The Hague (Netherlands): Martinus Nijhoff, 1971. Diese Übersetzung basiert auf dem Buch ‚Treatise of Logic‘, veröffentlicht von der Gesellschaft für Nationale Monumente, Serie12, Teheran, 1952, herausgegeben von M.Moien. Diese Ausgabe wiederum geht zurück auf eine frühere Ausgabe, herausgegeben von Khurasani.
  • Digital Averroes Research Environment
  • Immanuel Kant, Critik der reinen Vernunft‘, Riga, 1781
  • Konrad Lorenz, 1973, ‚Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens‘, München, Zürich: Piper
  • Günther Patzig, ‚Die Aristotelische Syllogistik‘, 3,verb.Aufl., Göttingen: Vandenhoeck & Rupprecht, 1969
  • Nicholas Rescher (1928 – ),The Development of Arabic Logic. University of Pittsburgh Press, 1964
  • Hans-Jörg Sandkühler (Hg.) unter Mitwirkung von Dagmar Borchers, Arnim Regenbogen, Volker Schürmann und Pirmin Stekeler-Weithofer, ‚Enzyklopädie Philosophie‘, 3 Bd., Hamburg: FELIX MEINER VERLAG, 2010 (mit CD-ROM)
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Aristotle’s Logic
  • Whitehead, Alfred North, and Bertrand Russell, Principia Mathematica, 3 vols, Cambridge University Press, 1910, 1912, and 1913; Second edition, 1925 (Vol. 1), 1927 (Vols 2, 3). Abridged as Principia Mathematica to *56, Cambridge University Press, 1962.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume One. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-182-3.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Two. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-183-0.
  • Alfred North Whitehead; Bertrand Russell (February 2009). Principia Mathematica. Volume Three. Merchant Books. ISBN 978-1-60386-184-7

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WERKSTATTGESPRÄCH 14.Dezember 2013 – Rückblick

In Fortsetzung des Werkstattgesprächs vom 9.November 2013 fand sich wieder eine interessante Gruppe zusammen. Die konstruktive Atmosphäre wurde nur durch den zu kühlen Raum behindert, der uns zu einem früheren Abbruch bewegte, als geplant. Nichtsdestotrotz verlief das Gespräch lebendig und interessant.

Skizze vom Brainstorming beim Werkstattgespräch am 14.Dez.2013 (Fortsetzung vom 9.Nov.2013)
Skizze vom Brainstorming beim Werkstattgespräch am 14.Dez.2013 (Fortsetzung vom 9.Nov.2013)

Die Gedanken vom letzten Werkstattgespräch anhand der Gedankenskizze aufgreifend fokussierten die Gesprächsgruppen dieses Mal stark auf den Komplex Motivation – Gefühl – Emotion – Interesse einerseits und die Wechselwirkung dieses Komplexes mit dem Denken und dem Handeln. Ergänzt wurde dies von den Gesprächsgruppen durch den Hinweis auf das Gehirn als Sitz der vielfältigsten Bedürfnisse und Emotionen und dort wiederum unterscheidbar nach Hirnregionen, die sich verschiedenen Stadien der Gehirnentwicklung zuordnen lassen. In bestimmten Gefahrensituationen kann das Gehirn z.B. über seine Schaltungen ‚reflexartig‘ bestimmte Emotionen (‚Angst‘, ‚Flucht‘, ‚Aggression’…) aktivieren, um ein situationsgerechtes Verhalten quasi ‚aus dem Stand‘, ohne viel Reflexion, zu ermöglichen. Der Gesprächsverlauf zeigte aber, dass sich die Gesprächsteilnehmer in der Vagheit der Begriffe zu verstricken drohten, da alle die hier einschlägigen Begriffe eine sachlich bedingte ‚Unschärfe‘ mit sich bringen.

Es wurde daher an dieser Stelle eine kurze Metareflexion eingeblendet. Sie begann mit der Einblendung des Philosophischen Comic im Anschluss an das letzte Werkstattgespräch. In diesem kurzen Dialog wurde das Thema ‚Außenwelt‘ – ‚Innenwelt‘ behandelt und am Beispiel des Handy-Klingelns im Alltag verankert.

Skizze zur Übersetzung ('transduction') Energieereignissen im Kontext von von empirischen Ereignisquellen in neuronale Ereignisse. Am Beispiel des Ohres kann man ca. 6 verschiedene Übersetzungsprozesse unterscheiden, die alle hintereinander geschaltet sind
Skizze zur Übersetzung (‚transduction‘) Energieereignissen im Kontext von von empirischen Ereignisquellen in neuronale Ereignisse. Am Beispiel des Ohres kann man ca. 6 verschiedene Übersetzungsprozesse unterscheiden, die alle hintereinander geschaltet sind

Dies wurde erweitert um ein Schaubild zum Sinnesorgan ‚Ohr‘, in dem die Umwandlung der Schallenergie ‚außerhalb des Körpers‘ über fünf Transformationsstufen in ’neuronale Energie‘ in Form von wandernden elektrischen Potentialen illustriert wurde. Den wandernden elektrischen Potentialen kann man die Werte ‚1‘ und ‚0‘ zuordnen, analog den elektrischen Potentialen in den Chips der Computer. Diese Signale wandern dann von jedem Ohr in Richtung Gehirn und werden auf diesem Weg mehrfach ‚verschaltet‘ bzw. ‚verrechnet‘. Z.B. kann das Gehirn aus der Ungleichzeitigkeit von Schallereignissen am ‚linken‘ und ‚rechten‘ Ohr eine ‚Richtung‘ herausrechnen, aus welcher der Schall relativ zum Hörer kommt.

Der springende Punkt ist hier, dass die neuronale Maschinerie mit ihren ca. 100 Milliarden unverbundenen Nervenzellen als solche zwar elektrische Potentiale (und dazu gehörige diverse biochemische Prozesse) erkennen lassen, dem einzelnen Neuron als solchen kann man aber nicht ‚ansehen‘, ‚Teil‘ welcher ‚Funktion‘ es ist. Das ist analog zum Computer: die elektrischen Werte eines einzelnen logischen Gatters in einem Chip kann man messen, daran kann man aber nicht erkennen, welche ‚übergreifende Funktion‘ damit realisiert wird. Eine ‚übergreifende Funktion‘ erschließt sich nicht auf der Ebene der ‚Schalter‘, sondern nur auf einer ‚höheren‘ Ebene, einer ‚Metaebene‘. Im Fall von biologischen Systemen ist dies einmal der Bereich des ‚bewussten Erlebens (Bewusstsein)‘ und/ oder der des beobachtbaren Verhaltens.

Ein Beispiel ist unsere Fähigkeit, uns bestimmte Erlebnisse zu ‚merken‘, sie wieder ‚erinnern‘ zu können. Den konkreten Prozess des ‚Speicherns‘ und ‚Wiederfindens‘ können wir nicht ‚einsehen‘, nur seine ‚Wirkungen‘. Aus dieser Abfolge von ‚Ereignissen‘ und ‚Wiedererinnern‘ können wir versuchen, uns ein Bild zu machen, wie unser ‚Gedächtnis‘ funktioniert.

Skizze zum Zusammenhang von 'Außenweltereignissen' und 'Innenweltereignissen', sowie 'Neuronal' vs. 'Funktional', dazu die spezielle Rolle des 'bewussten Erlebens'
Skizze zum Zusammenhang von ‚Außenweltereignissen‘ und ‚Innenweltereignissen‘, sowie ‚Neuronal‘ vs. ‚Funktional‘, dazu die spezielle Rolle des ‚bewussten Erlebens‘

Dies haben einerseits viele Philosophen in der Vergangenheit versucht, aber auch, ab dem späten 19.Jahrhundert, immer mehr Psychologen (als Begründer der modernen Gedächtnisforschung gilt Ebbinghaus). Diese haben im Laufe von mehr als 100 Jahren ein ‚Modell‘ der Gedächtnisleistungen ermittelt, das grob die Komponenten ‚Sensorischer Speicher‘, ‚Kurzzeitspeicher‘ sowie ‚Langzeitspeicher‘ umfasst, mit recht komplexen internen Funktionen. Unser bewusstes Erleben (Bewusstsein) korrespondiert sehr stark mit dem ‚Kurzzeitspeicher, der auch ‚Arbeitsspeicher‘ oder ‚Arbeitsgedächtnis‘ genannt wird.

Zurück von dieser Metareflexion zum Diskussionsthema ‚Emotionen – Gefühle – …‘ deutete sich an, dass wir aus der Perspektive des Erlebens nur einen sehr begrenzten und groben Zugang zu jenen Gehirnprozessen haben, die den verschiedenen ‚Erlebnissen = Phänomenen‘ zugrunde liegen, die wir ‚Gefühl‘, ‚Emotion‘, ‚Motivation‘ usw. nennen. Und wenn diese noch durch evolutionäre ‚Erbschaften‘ ‚überlagert‘ sind, durch die das Gehirn uns aufgrund seiner Verschaltungen in bestimmte Richtungen ‚drängt‘, die wir selbst ‚gar nicht wollen‘ (Was ist ‚Wollen‘?), dann wird die Lage nicht gerade einfacher.

Soweit, stark vereinfachend, der Gesprächsprozess vom 14.Dez.2013.

Vorschau: das nächste Werkstattgespräch findet statt am Sa, 11.Januar 2013, 19:00h, im vorderen Teil von Confetti 2.0 (da ist es wärmer….:-))

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KURZNOTIZ: BEWUSSTSEIN – UM ES NICHT ZU VERGESSEN

Aufnahme vom zunehmenden Mond
Aufnahme vom zunehmenden Mond

1) Ein Bild vom zunehmenden Mond. Vom Balkon unserer Wohnung aus aufgenommen. Für mich ein heller Fleck mit einer bestimmten Form im nachtdunklen Himmel. Ich sage, dass dies der Mond sei, weil ich gelernt habe, dass andere Leute, von denen wir sagen, dass man ihnen glauben kann, gesagt haben, dass man helle Flecken am Nachthimmel mit dieser Form als ‚Mond‘ bezeichnet. Bisher mache ich dies so. Bislang gab es auch noch keinen Grund, dies anzuzweifeln. Ich konnte selbst noch nie überprüfen, ob dieser Fleck mehr ist als nur ein heller Fleck am Nachthimmel. Er könnte außerdem ‚eingebildet‘ sein, ‚fantasiert‘, ‚geträumt’… Mit meiner Kamera habe ich mehrere Bilder gemacht und tatsächlich zeigt meine Kamera auch diesen hellen Flecken auf dunklem Grund. Bislang kann meine Kamera noch keine Bilder von meinen Gedanken machen. Also spricht einiges dafür, dass dieser helle Fleck ‚da‘ ‚außerhalb von mir‘ ist… Ich habe das Kamerabild dann als Datei in den Computer geladen, eine ‚Posterisierungsoperation‘ darüber laufen lassen und eine Version vom Bild erhalten, in der man den Mond der ‚realen‘ Wahrnehmung noch erkennen kann, aber er ist ‚anders‘. In diesem ‚Anderssein‘ können wir aber immer noch das ‚Ausgangsbild‘ ‚wiedererkennen‘ (bzw. für alle die, die das Ausgangsbild noch gar nicht gesehen haben, besteht jetzt die Herausforderung, zu ‚glauben‘, dass dieses posterisierte Bild tatsächlich von einem ‚realistischen Foto‘ stammt und nicht einfach nur ein im Computer gemaltes Bild darstellt). Andererseits, was heisst schon ‚realistisches‘ Bild?
2) Ich habe den Mond mit meinen ‚Augen‘ gesehen und mit dem Bild, was die Kamera erzeugt hat. Wir wissen ja, dass die Kamera ‚in ihrem Innern‘ eine hochkomplexe Elektronik mit Software hat, die die einfallenden Lichtreize nach bestimmten Verfahren verarbeiten und dann als eine Bilddatei abspeichern. Je nachdem, welche Einstellungen ich gewählt habe, sah das Bild, das die Kamera produziert hat, ganz verschieden aus. Das, was ich dann ausgewählt habe war also auch nicht das ‚Original‘ ‚O‘ (was immer das ist), sondern eine bestimmte kameraproduzierte Version des Originals O‘ = kamera(O). Ich selbst kann mit meinen Augen das Original O anschauen wie auch jede der Kameraversionen O’_i = kamera(O). Mein ‚eigenes‘ Bild vom Original O kann ich nicht vorzeigen, ich ‚habe‘ es als meine ‚eigene‘ Wahrnehmung O* = augen(O) bzw. O* = augen(O‘). Aus den Physiklehrbüchern können wir entnehmen, dass das ‚Original‘ des Mondes, das wir am Nachthimmel sehen, auch nicht der ‚Mond selbst‘ ist, sondern jene Lichtquanten, die vom Mond herkommend durch das Weltall unsere Atmosphäre durchdringen und dann in unseren Aufgen (bzw. Fotoobjektiven) landen. Diese Lichtquanten repräsentieren eine bestimmte Struktur, bringen bestimmte physikalische Qualitäten mit sich, stehen unter bestimmten Einwirkungen, und werden dann von unseren Augen und den nachfolgenden Nervenzellen auf bestimmte Weise verarbeitet. Also etwa O = lichtmodell(Mond,X), d.h. irgendetwas, was die Physiker ‚Mond‘ nennen, dazu alle möglichen zusätzlichen Faktoren, die wir hier mal global ‚X‘ nennen, diese alle zusammen werden mit Hilfe von Lichtquanten in einer komplexen Prozedur, die wir hier global ‚lichtmodell()‘ nennen, zu dem Wahrnehmungsereignis-Auslöser ‚O‘ verarbeitet, den wir das ‚Original‘ nennen.
3) Damit erhalten wir Verarbeitungsketten wie z.B. O = lichtmodell(Mond,X) → O’_i = kamera(O) → O*_i= augen(O’_i). Und dann in unserem Körper können wir das Spielchen weiter treiben. In den Büchern der Neurowissenschaftler kann man nachlesen, dass die Lichtquanten O, die auf unser Augen treffen, erst einmal hier einem weiteren Transformationsprozess ‚augen()‘ unterworfen werden, der dazu führt, dass beim Ausgang von jedem Auge ca. 1 Million Ketten von Nervenzellen die vom Augenprozess erzeugten Impulse O* in das komplexe Netzwerk des nachgeordneten Nervensystems weiterreichen. Dort finden allerlei unterschiedliche Transformationsprozesse statt, bis ‚wir‘ irgendwann einen ‚Eindruck‘ haben, ein ‚Wahrnehmungserlebnis‘, ein ‚Phänomen‘ bewusst erleben, das wir abkürzen als Ph_emp = perc(O*).

Bewusstsein - Teil1 - Blick von Außen
Bewusstsein – Teil2 – Blick von Aussen

4) Die Überlegungen bis zu diesem Punkt sind ein bisschen so, als ob ich über mich wie über eine dritte Person (‚3rd person‘) reden würde. Ich tue so, als ob ich ‚auf mich‘ draufschauen könnte, von außen, wie ein Input-Output-System, in das irgendwelche Ereignisse ‚hineinlaufen‘ und entsprechend irgendwelche Reaktionen wieder ‚herauskommen‘, und da drin gibt es irgendeine ‚Maschinerie‘ – eine Verhaltensfunktion phi –, die dafür verantwortlich ist, was herauskommt (siehe Bild ‚Blick von Außen‘).
5) Aber das ist natürlich eine Fiktion. Ich kann nicht ‚wirklich‘ auf mich drauf schauen wie auf ein Objekt; bei anderen Menschen kann ich das. Ich kann sie anschauen, ich kann sie fotografieren, ich kann sie berühren. Mich selbst kann ich zwar berühren, aber nicht anschauen, höchstens im Spiegel, in Selbstaufnahmen mit einer Kamera.
6) Aber, wie wir wissen können, gibt es Prozessketten (z.B. O = lichtmodell(Mond,X) → O’_i = kamera(O) → O*_i= augen(O’_i) → Ph_emp = perc(O*)) aus denen hervorgeht, dass selbst das, was wir als ‚Beobachter‘ ‚direkt‘ wahrnehmen, nicht einfach die ‚Sache selbst‘ ist, sondern ein komplexes Verarbeitungsprodukt, das ‚uns‘ erst an der Stelle zugänglich wird, wo es schon ‚in unserem Körper‘ angelandet ist, wo es dort, in unserem Körper, speziell im Gehirn, hochkomplexe Verarbeitungsprozesse durchlaufen hat, bis es dann ‚uns‘ als ein ‚Objekt der Außenwelt‘ ‚erscheint‘. Anders gesagt, in dem Moment, wo ich etwas als ‚Objekt der Außenwelt‘ zur Kenntnis nehme, in dem Moment ist es schon kein Objekt der Außenwelt mehr, sondern ein hochkomplexes Verarbeitungsprodukt ‚in mir‘, das ‚Ph_emp‘! Dort, im ‚Kern‘ unseres Erlebens von Welt, sind wir nicht ‚in der Welt‘, sondern ‚in uns‘ bei ‚unseren Bildern‘ von der Welt.
7) Dies klingt auf den ersten Blick paradox: dort, wo wir glauben ‚Objekte außerhalb von uns‘ zu sehen, dort existieren wir ‚im Innern des Gehirns‘ ( wo ist ‚innen‘ im Gehirn, das aus ca. 100 Mrd einzelnen Zellen besteht, die normalerweise nicht direkt miteinander verbunden sind!!!). Die ‚Objekte außen‘ sind Konstrukte unseres Gehirns. Das ‚Außen‘ kann zwar offensichtlich unter bestimmten Bedingungen ‚Einfluss nehmen‘ (z.B. kann sich die Form des weißen Flecks, den wir Mond nennen, ändern, oder die Dunkelheit kann ‚heller‘ werden oder der Mond kann seine ‚Position‘ am Himmel ändern usw.), aber seine ‚Erscheinungsweise für uns‘ wird weitgehend vom Gehirn festgelegt (2-dimensionale Bilder werden vom Gehirn fast immer 3-dimensional interpretiert, da es ‚intern‘ so ‚ausgelegt‘ ist, dass es alle Dinge ‚im Raum‘ anordnet, auch dann, wenn gar kein Raum da ist).

Notiz zum Thema Bewusstsein - Teil2 - Wichtige Komponenten
Notiz zum Thema Bewusstsein – Teil1 – Wichtige Komponenten

8) Halten wir fest, die Ergebnisse von Wahrnehmungsprozessen Ph_emp = perc(O*) sind irgendwelche Zustände ‚im Innern des Gehirns‘, selbst dann, wenn diese inneren Zustände Ereignisse und Eigenschaften aus dem Bereich ‚außerhalb des Körpers‘ präsentieren. Wenn wir vereinfachend sagen, dass alle Zustände im Gehirn, von denen wir uns ‚bewusst‘ sein können (eine Aussage, die nur solche Systeme verstehen können, die ’sich‘ gewisser ‚interner Zustände‘ ‚bewusst‘ sein können), ‚Phänomene (Ph)‘ heißen sollen, dann wären die ‚empirischen Phänomene (Ph_emp.ext)‘ jene, die mit irgendetwas in der ‚Außenwelt korrelieren, und die ’nicht-empirischen Phänomene (Ph_nemp)‘ solche, die zwar Zustände sind, die wir ‚wahrnehmen‘ können (z.B. Zahnschmerzen), die aber nicht zur Außenwelt gehören.
9) Da wir ja bestimmte Eigenschaften des Körpers empirische untersuchen können, könnte es auch noch hilfreich sein, die Menge jener Phänomene zu identifizieren, die mit empirischen Körperereignissen korrelieren, also etwa ‚empirische Körperphänomene (Ph_emp.body)‘ ohne die Gehirnzellen. Wir hätten dann den Sachverhalt, dass die empirischen Phänomene des Körpers (ohne Gehirn) zu den empirischen Phänomenen gehören Ph_emp.body subset Ph, die empirischen Phänomene der Außenwelt zu den empirischen Phänomenen gehören Ph_emp.ext subset Ph, und dass diese beiden Mengen voneinander verschieden sind Ph_emp.body != Ph_emp.ext. Andererseits, das Gehirn selbst mit seinen einzelnen Zellen steht der empirischen Untersuchung heute auch offen und es gibt einige der empirischen Gehirnzustände, die auch bewusst sein können Ph_emp.nn subset Ph_emp. Nichtempirische Phänomene Ph_nemp wären dann alle jene Phänomene, die nicht einer der zuvor identifizierten Mengen zugehören, also Ph_nemp = Ph – Ph_emp.body u Ph_emp.ext u Ph_emp.nn. Es ist eine interessante Frage, ob die Menge der nicht-empirischen Phänomene Ph_nemp überhaupt existiert bzw. ob sie nicht grundsätzlich ‚leer‘ ist,also Ph_nemp = 0? Denn wie soll es möglich sein, dass uns irgendetwas ‚bewusst‘ ist, das nicht in irgendeiner Form mit einer physikalisch-chemischen Eigenschaft des Gehirns korreliert?
10) Mancher mag dies auf den ersten Blick als eine gewaltige Einschränkungen empfinden, dahingehend, dass unser Bewusstsein gleichsam ‚eingesperrt‘ erscheint in einem ‚Käfig von Zellen‘, gebunden an deren physikalisch-chemischen Eigenschaften. Doch kann dieser Eindruck trügen. Denn diese Zellen, letztlich komplexe Ensembles von Molekülen, diese wiederum komplexe Ensembles von Atomen, diese wiederum komplexe Ensembles von Quanten, diese wiederum komplexe Energieverteilungen im Format quantenphysikalischer Phänomene – diese ‚materiellen‘ Strukturen sind nur scheinbar eine Beschränkung. Tatsächlich und faktisch sind diese materiellen Strukturen aus quantenphysikalischer Sicht wahrscheinlichkeitsverteilte Energiefelder, deren Wechselwirkungen vielfach weder an Raum noch Zeit gebunden sind, wie wir dies aus der Makrowelt des Alltags kennen. Tatsächlich sind wir mit unseren körperlichen Strukturen floatende Gebilde, die in jedem Punkt des Körpers über Lichtjahre hinweg mit jedem Punkt im Universum korrelieren können und tatsächlich korrelieren. Die Phasenübergänge zwischen den quantenphysikalischen Vorgängen und den scheinbaren makroskopischen Konkretheiten sind alles andere als klar
und sind mit Sicherheit nicht ‚unabwendbar‘. Vor diesem Hintergrund anzunehmen, dass die bewussten Phänomene mit diversen empirisch anschaubaren materiellen Strukturen außerhalb oder im Körper korrelieren, muss also in keiner Weise eine Einschränkung darstellen, da es jenseits der Materie = Energie nach heutigem Wissensstand nichts Fassbares gibt.
11) Ein Schöpfergott, so es denn einen gibt, würde sich – im Bereich des uns bekannten Universums – irgendwo in diesem Kontinuum zwischen reiner Energie und diversen ‚Materialisierungen‘ zum Erleben geben, wenn er es täte, und ein solches ’sich zeigen‘ im Sinne von ‚kommunizieren‘ = ‚offenbaren‘ wäre auf jeden Fall ‚erlebbar‘ (es erscheint eher unwahrscheinlich, das die vielen Millionen Menschen, die bis heute ihr Leben aufgrund sogenannter ‚Gotteserfahrungen‘ geändert haben, dies alles nur aufgrund interner ‚Verwirrungen‘ getan haben (Damit meine ich nicht solche ‚Fanatiker‘, die ‚Hass‘, ‚Krieg‘ und ‚Tod‘ predigen; die haben ‚Gott‘ offensichtlich noch nicht erlebt)).

Bewusstsein - Teil3 - Nochmals von Innen
Bewusstsein – Teil3 – Nochmals von Innen

12) Es bleibt eine sehr interessante Frage. Warum tut ein Mensch ein A lieber als ein B? Solange man über diese frage nicht nachdenkt, erscheint es als normal und einfach, dass es Dinge A gibt, die man lieber tut als Dinge B.
13) Nach den bisherigen Überlegungen kann ich ja ‚bewusst‘ nur etwas tun, was in irgendeiner Form ‚in mir‘ erfahrbar ist und damit ‚gegeben‘. Wenn etwas – ein A – in mir nicht erfahrbar ist, kann ich es auch nicht ‚wollen‘.
14) Im Falle von solchen Grundbedürfnissen wie ‚Hunger‘, ‚Durst‘, ‚Müdigkeit‘, ‚Sexualität‘ wissen wir, dass es in unserem Körper ‚vorprogrammierte‘ Abläufe gibt, die spezifische ‚Bedürfniszustände‘ in uns erzeugen können, ohne dass wir dies eigens ‚wollen‘ müssen. Der Energieverbrauch des Körpers führt einfach dazu, dass der Körper ab einem bestimmten Punkte im Gehirn gewisse ‚chemische Schalter‘ umlegt, die dann einen ‚Energiemangelzustand‘ anzeigen, den wir in Form von Hunger ‚erleben‘. Wir ‚müssen‘ darauf ’nicht‘ reagieren; wir können im Nichtstun verharren und dann irgendwann aufgrund von Energiemangel sterben. Entsprechend mit den anderen Bedürfnissen (wobei ein Nichtreagieren im Falle des Sexualbedürfnisses nicht zum Tode führt; kann allerdings unter unglücklichen Umständen zu psychischen Störungen führen). Bedürfnisse können also ein ‚Grund‘ sein, dass wir ein A wollen.
15) Bei Bedürfnissen wie z.B. ‚Ehre‘, ‚Ruhm‘, ‚Macht‘, ‚Besitz‘ wird es schon schwieriger. Was sind hier die real-treibenden Faktoren, die ein ‚Verlangen nach‘ und ‚Gefallen an‘ ‚Rum‘, ‚Macht‘ usw. hervorrufen? Ganz offensichtlich sind viele Menschen dafür empfänglich. Warum? Einen einfachen Grund gibt es nicht dafür. Es gib keine Gehirnzellen, deren ‚Aktivierung‘ das Bedürfnis nach ‚Macht‘ oder ‚Ruhm‘ aktivieren.
16) Die Liste möglicher Motive, die Menschen bewegen, lieber ein A als ein B zu tun, ist sehr lange: beliebig lange?
17) Wenn die Liste der Motive so extrem viele Ausprägungen haben kann, fragt man sich natürlich, gibt es vielleicht ein paar zugrunde liegenden Prinzipien oder Eigenschaften, die für all diese unterschiedlichen Ausprägungen verantwortlich sein können? Haben wir eine Art ‚Grunddynamik‘, die uns vorantreibt?
18) Mit Blick auf den Körper mit seinen Zellen ist klar, dass dieser kontinuierlich eine Zufuhr von ‚Energie‘ benötigt, ohne die er relativ schnell in sich zusammen sacken würde. Ohne Energie geht gar nichts. Insofern stellt die Notwendigkeit des kontinuierlichen Energiegewinns mindestens ein Grundprinzip dar, das vielfach wirkt.
19) Die Frage ist, ob man damit die gesamte Motivationslage erklären kann. Der ganze Komplex Nachkommen, Fortpflanzung, stellt sicher auch noch einen wichtigen Komplex dar, der vielfältige Auswirkungen hat.
20) Aber es scheint, dass die Themen ‚Energiegewinnung‘ sowie ‚Nachkommen‘ nicht alles abdecken. Was aber kann dies X sein, das über Energiegewinnung und Nachkommen hinausgeht, und zwar als etwas ‚Reales‘, etwas, das in der gesamten Struktur des Biologischen, in der Dynamik des Lebens im Universum grundsätzlich ‚mit angelegt‘ ist, etwas, an dem kein Prozess letztlich vorbeikommt, ohne sich selber auf Dauer zu zerstören?

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DIE UNBEGREIFBARKEIT DES MENSCHEN oder DAS GEHIRN ALS SPIEGEL DES UNIVERSUMS (wegen Providerwechsel war dieser Beitrag zeitweise nicht sichtbar)

  1. Wenn man sich aufmacht in die Welt der neuen Erkenntnisse zum Universum und zum Leben, dann ist man sehr bald an einem Punkt, wo die Maschinerie des Alltags ‘bizarr’ wirkt, ‘unwirklich’, wie ein Marionettentheater von ‘Wahnsinnigen’, die sich über Dinge aufregen, die dermaßen lachhaft erscheinen, dass man nicht begreifen kann, wie solch ein Verhalten möglich ist.
  2. Aber, falsche Überheblichkeit ist fehl am Platze. Wo immer wir uns als ‘Beobachter’ wähnen stecken wir zu 100% leibhaftig genau mittendrin in diesem so ‘lächerlich erscheinendem’ Spiel. Was immer wir ‘tief in uns drinnen’ zu fühlen und zu denken meinen, so wahr es uns erscheint, so bedeutsam, gegenüber der ‘Welt da draußen’, der Welt, die wir ‘real’ nennen, so wenig wird das ‘Innere’ ‘wirksam’, ‘gestalterisch mächtig’, ‘verändernd’, solange wir keinen Weg finden, unser ‘Inneres’ mit dem ‘Äußeren’ zu ‘versöhnen’.
  3. Von daher erscheint es oft einfacher, erst gar keine Erkenntnisse zu haben. Man gerät nicht in ‘Spannung’, man spürt keine ‘Differenzen’, man sieht keine Anhaltspunkte, wo man etwas tun sollte….Das Bild von den ‘glücklichen Kühen’… Doch ist auch dies – vermute ich – eine grobe Vereinfachung. Eher scheint es so zu sein, dass alle Lebensformen, selbst die einfachsten, im ‘Medium ihrer inneren Zustände’ Äquivalente von ‘Erleben’ und ‘Leiden’ haben, die wegzudiskutieren bequem ist, aber diesen Zuständen womöglich nicht gerecht wird.
  4. Wenn man aber irgendwelche Erkenntnisse hat – und die haben wir alle, wenngleich unterschiedlich –, dann führen diese unweigerlich zu ‘Spannungen’ zu dem Bisherigen. Wie geht man damit um? Empfindet man sie als ’störend’ und ‘bedrückend’, dann wird man unzufrieden, krank,…. Empfindet man sie als ‘anregend’, ‘belebend’, ‘inspirierend’, dann fühlt man sich gut….
  5. Natürlich macht es einen Unterschied, ob neue Erkenntnisse sich eher in ‘Übereinstimmung’ mit der aktuellen Situation befinden oder eher im ‘Gegensatz’. Im letzteren Fall deuten sich Konflikte an, mögliche Änderungen des Status Quo. Sind die Menschen in der Umgebung aufgeschlossen, neugierig, unternehmungslustig, ist dies kein Problem. Herrscht dagegen ‘Bewahrung’ vor, ‘Festhalten’, Angst vor Veränderung, dann können neue Erkenntnisse zum Problem werden.
  6. Die Geschichte zeigt, dass das Neue, sofern es wirtschaftliche und politische Vorteile zu bringen scheint, eher eine Chance hat, als wenn es liebgewordene Anschauungen in Religion, Politik usw. so in Frage stellt, dass herrschende Vorteilsverhältnisse gefährdet werden (eine Glühbirne, die 100 Jahre hält, will keiner; ein Medikament, das Ursachen beseitigt anstatt Leiden zu mildern, will auch keiner; usw.).
  7. Zurück zu den neuen Erkenntnissen über das Universum und das Leben. Zurück zu unserer Welt, die in ihren konkreten Abläufen so ‘verrückt’ erscheinen kann. Was machen wir dann, wenn wir uns in dieser permanenten Spannung zwischen ‘gedanklich anderer Welt’ und ‘faktisch vorfindlicher So-Welt’ vorfinden? Müssen wir verzweifeln?
  8. Wenn man sich anschaut, wie mühsam dasjenige, was wir von heute aus als ‘Leben’ erkennen können, sich aus dem Raum der Atome und Moleküle der jungen Erde im Laufe von mehr als 3.5 Mrd Jahre herausexperimentiert hat, mit unendlichem Aufwand, unter permanentem Leiden, immer im Totalverlust (Tod) endend, dann erscheint zumindest die aktuelle Situation als ein solch unglaublicher und – vergleichsweise – ‘paradiesischer’ Zustand, dass ein – wie auch immer geartetes – Lamentieren geradezu als ’schäbig’ erscheinen mag .
  9. Andererseits, wir sind – nach allem, was wir wissen – die erste Art von Lebewesen, die ein ‘Gehirn’ besitzen, das uns in die Lage versetzt, nicht nur auf primitive Weise wahrgenommene Reize (Stimuli = S) direkt und ‘festverdrahtet’ (’reaktiv’, ‘Instinktiv’) in fixierte Antworten (Reaktionen = R) zu übersetzen, sondern wir können weit mehr. Unser Gehirn kann z.B. Ereignisse verallgemeinern, in Beziehung zu anderem setzen, kann erinnern, kann relativ zu Körperzuständen ‘bewerten’, kann ‘komplexe Modelle’ von Situationen und deren mögliche Veränderungen ‘denken’…Mit anderen Worten, unser Gehirn versetzt uns in die Lage ‘in’ unserem Körper die Welt ‘da draußen’ ‘nachzubauen’, sie ‘intern zu simulieren’ und in ‘Gedankenexperimenten’ alternative ‘mögliche Welten’ zu ‘denken’. In diesem Kontext können wir auch ein ‘Modell von uns selbst’ und ‘den Anderen’ konstruieren. Es sind diese ’selbstgemachten Bilder’ in unserem Gehirn die wir für ‘real’ halten, nicht die Welt selbst; die kennt unser Gehirn gar nicht.
  10. D.h. – soweit wir wissen — passiert heute, ca. 14,7 Mrd. Jahre nach dem sogenannten ‘Big Bang’, etwas, was innerhalb des bekannten Universums ungeheuerlich ist: im Medium der biologischen Gehirne ’schaut sich das Universum selbst an’ (wobei diese Gehirne ein ‘Produkt’ dieses Universums sind als Teil des Phänomens ‘Leben’!). D.h. das Universum schafft sich gleichsam einen ‘Spiegel’, in dem es sich selbst anschauen kann. Mehr noch, über das ‘Spiegeln’ hinaus ist ein Gehirn (und noch mehr ein ‘Verbund von Gehirnen’) in der Lage, Veränderungen ‘einzuleiten’ auf der Basis der ‘Spiegelungen’. Dies führt zum Paradox, dass das Universum einerseits im Lichte der bekannten physikalischen Gesetze eine ‘bestimmte Entwicklung’ zu nehmen scheint, während es im Medium der Gehirne ’sich selbst in Frage stellen kann’. Welch ein wahnwitziger Gedanke (allerdings bilden wir individuelle Menschen uns bislang eher ein, wir seien die Meister des Universums… eine putzige Vorstellung…).
  11. Aus Sicht des einzelnen Menschen mag dies ‘unwirklich’ erscheinen, ‘artifiziell’, aber im Gesamtkontext des Lebens im Universum ist dies ein absolut herausragendes Ereignis. Während die ‘Materiewerdung’ mit den anschließenden Ausprägungen als stellare Wolken, Sterne, Galaxien sich einigermaßen mit den Gesetzen der Physik beschreiben lassen, entzieht sich die Entstehung des Lebens als Opponentin zur Entropie und durch den ‘inneren Trend’ zur Steigerung der Komplexität bislang allen physikalischen Erklärungsversuchen. Ein Teil der Komplexität ist auch die Zunahme der Kommunikation, die zu einer Koordinierung von Gehirnen, deren ‘gedanklichen Räumen’ führt.
  12. Das Erleben von ‘mehr’ Erkenntnis und einer damit einhergehenden ‘Unruhe’, ‘Spannung’ ist also kein ‘Zufall’, keine ‘Panne’, keine ‘Störung’ sondern gehört wesentlich zum Phänomen des Lebens hinzu. Indem das Leben sich alle frei verfügbare Energien in seiner Umgebung immer mehr ‘einverleibt’ und damit Strukturen schafft, die dies immer besser können, also immer mehr Energie ‘einsammeln’ können, stellt sich die Frage, wozu das Ganze?
  13. Nach gängiger Meinung ist der ‘Big Bang’ dadurch charakterisiert, dass Energie sich in einer Weise in Materie verwandelt hat, dass daraus eben das heute bekannte Universum ‘hervorgehen’ konnte. Sterne und Galaxien sind eine Form der Zusammenballung dieser Materie (durch Gravitation, aber nicht nur (schwarze Materie?)); das uns bekannte ‘Leben’ ist auch eine Zusammenballung von Energie, aber anders. Was verstehen wir noch nicht?
  14. Die klassischen Religionen, so hilfreich sie in er Vergangenheit partiell vielleicht waren, in der heutigen Situation erscheinen sie mir wenig hilfreich, eher hinderlich. Sie verstellen den Blick und können das Herz verdunkeln. Damit will ich nicht sagen, dass auch die Gottesfrage obsolet sei. Wenn es überhaupt so etwas wie ‘Gott’ gibt, so sind wie ihm näher als je zuvor.
  15. Nur sollten wir die ‘Wahrheit’ der Erkenntnis nicht verwechseln mit dem ‘Erkenntniswunsch’. Die Bücher der alten Philosophen (alt kann bis gestern gehen..-:)) sind voll von Pseudorationalismen: man analysiert wie ein Weltmeister um letztlich dann doch nur sein eigenes Vorurteil zu rechtfertigen. Niemand ist davor gefeit; auch ich nicht.
  16. Alle bekannten Positionen muss man immer und immer wieder in Frage stellen, muss sie versuchsweise zerstören. Die ‘wahre Wahrheit’ ist das, was sich nicht zerstören lässt, sie ist das, was vor all unserem individuellen Denken schon immer da war (was nicht heißt, dass sie ‘ewig’ sein muss). Vor der Wahrheit brauchen wir daher keine Angst haben, nur vor uns selbst, vor uns Menschen, die wir unsere individuellen Unwahrheiten schützen und retten wollen, weil wir uns nicht vorstellen können, dass die wahre Wahrheit schlicht und einfach größer ist. Wir klammern uns an das bischen Leben, was wir individuell haben ohne lange zu begreifen, dass dieses ‘Bischen’ nur da ist, weil es ein größeres Ganzes gibt, durch das wir überhaupt geworden sind und in dem alles andere nur weiterlebt.
  17. Was bleibt also: viel Geduld ist notwendig und die Kunst, immer wieder sterben zu können um zu lernen, dass das Leben erst dort anfängt, wo wir oft glauben, dass es zu Ende sei. Freiwillig schaffen dies die wenigsten. Leicht ist es nicht. Transzendenz in Immanenz.
  18. Eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben, aber so kommt es manchmal.

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DIE WAHRHEIT IST GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH

  1. In vorausgehenden Beiträgen (z.B. Wahrheit im Alltag (Konkrete Umstände), Gnoseologische, ontologische, teleologische Wahrheit – Fortsetzung 2 der Ueberlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis (Erkennen als Relation O x O* –> {w,f} und die Probleme), WAHRHEIT ALS UEBERLEBENSNOTWENDIGKEIT; WEISHEIT ALS STRATEGIE (Weltanschauungen) sowie anderen) habe ich schon mehrfach Bezug genommen auf die ‚Wahrheit‘. In diesem Beitrag möchte ich einen bestimmten Aspekt herausgreifen, der eigentlich selbstverständlich ist, dessen sich aber anscheinend kaum jemand bewusst ist. Es geht um den ‚absoluten Charakter‘ von Wahrheit, der am Ende des letzten Beitrags erwähnt wird.

  2. Die exponentielle Vermehrung der Menschen seit mindestens 200 Jahren, die Überflutung des Alltags mit Varianten an Verhalten, Objekten, Anschauungen usw., die überall anzutreffenden Machtanmaßungen im Privaten, lokalen, regionalen, nationalen und globalen Bereichen, die Explosion des Wissens schlechthin können den Eindruck erwecken, als sei es letztlich beliebig, was wir tun, ‚anything goes‘, alles sei relativ da beliebig.

  3. Die täglichen Nachrichten belehren uns allerdings eines besseren (wenn wir es denn wissen wollen): das Klima kann ganze Regionen verdorren, in Wasser absaufen oder in Kälte erstarren lassen. Entsprechend lassen sich Nahrungsmittel anbauen oder nicht. Erdbeben sind zwar lokal, können aber verheerende Zerstörungen bewirken, durch die die Wirtschaft empfindliche Produktions- und Lieferausfälle zu beklagen hat. Viele Ressourcen sind endlich und knapp. Nicht erneuerbar werden sie sich absehbar erschöpfen (ein paar hundert Jahre zählen so gut wie gar nicht; in der Entwicklung des Lebens sind ein paar hundert Jahre weniger wie ein ‚Wimpernschlag‘). Abhängig von der Sonneneinstrahlung gibt es maximale Grenzen der Energieumwandlung für Nahrungsmittel, die niemand verändern kann, es sei denn, er könnte die Sonne kontrollieren (was grundsätzlich gehen würde, wenn man wüsste, wie). Der ‚Erfolg‘ des homo sapiens sapiens drängt immer mehr andere Arten zurück, löscht sie aus, biologische Arten, die aber für Kreislaufprozesse wichtig sind, von denen wir abhängen. Ihre irreversible Auslöschung entzieht uns selbst mehr und mehr den Boden, auf dem wir stehen. Darüber hinaus gibt es Wechselwirkungen zwischen einer Unzahl von Faktoren, die sich über Jahrmillionen eingespielt haben, deren Entwicklung bis zu Milliarden Jahren gedauert hat, die wir schrittweise außer Kraft setzen, beschädigen, zerstören. Diese Liste ließe sich verlängern.

  4. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass wir selbst durch und durch ein ‚Produkt‘ (!!!) eben dieser Prozesse sind, die wir so leichthändig beschädigen und zerstören. Wir haben uns nicht selbst erfunden. Wir wurden erfunden durch Prozesse, die nicht nur viele Milliarden chemische und biologische Evolution gebraucht haben, sondern zusätzlich auch noch viele Jahre einer physikalischen Evolution, von der ‚reinen Energie‘ über Atome, Gaswolken, Sonnen, Galaxien bis hin zu den Konstellationen, unter denen aller erst biologisches Leben entstehen konnte. Und die heute bekannten biologischen Lebensformen haben alle eines gemeinsam: sie verkörpern das Ergebnis des Zusammenwirkens eines (auch) zufällig arbeitenden generierenden Mechanismus (Kopieren, Mischen, Weitergeben von genetischen Informationen) mit einer ‚Leitlinie‘, nämlich der vorfindlichen Umgebung (in unserem Fall die Erde (die sich selbst allerdings im Laufe der Zeit z.T. dramatisch verändert hat!). Nur die genetischen Strukturen, die ‚hinreichend‘ zur vorfindlichen Umgebung Erde ‚passten‘, konnten ihre genetischen Produktionen fortsetzen. Dabei heißt ‚passen‘ auch ‚anpassen‘, da sich sowohl die Erde selbst als auch die Welt des Biologischen beständig ‚mit verändert‘ (Koevolution) hat (Räuber-Beute Konstellationen, Nischeneigenschaften,…).

  5. Es ist genau diese ‚Leitlinien‘-Funktion, auf die es hier ankommt. Wir sind so, wie wir sind, durch und durch für ein Leben auf dieser Erde ‚optimiert‘. Dazu gehört nicht nur die ‚Passung‘ für Sauerstoff, Klima, Tag-Nacht-Schema, bestimmte Nahrungsmittel, Erdanziehung usw., sondern auch für das Miteinander mit den anderen biologischen Formen (Pflanzen, Mikroorganismen, Tieren, andere Menschen…). D.h. wenn wir – ganz klassisch – ‚Wahrheit‘ als eine Relation auffassen wollen zwischen Organismen O die in einer Umgebung E ‚passen‘ (=wahr) oder ’nicht passen‘ (=falsch), dann besteht die physikalische/ chemische/ biologische Evolution darin, dass sie Objekte eines Komplexitätslevels O_i zu einer bestimmten Zeit in einer Umgebung E_t mittels bestimmter Konstruktionsprozesse P_i in Objekte mit einem Komplexitätslevel j i verwandelt, die überlebensfähig sind: X-evol: E x T x O_i —> E x T x O_j. Die primäre Wahrheit ist dann die Fähigkeit, zu überleben, und zwar ’nachhaltig‘!

  6. Interessant an diesem Prozess ist, dass die Überlebensfähigkeit mit der Zunahme an ‚Flexibilität‘ zunimmt. Letztere aber hängt u.a. daran, dass die jeweiligen Lebensformen im Organismus selbst (!) immer mehr über eine ‚Informationsverarbeitung‘ verfügen, die sie in die Lage versetzt, immer mehr Aspekte der Umgebung im Organismus so zu repräsentieren, dass das ‚eigene Verhalten‘ sich daran ‚orientieren‘ kann. Das immer bessere Erkennen von ‚Nahrung‘, ‚Gefahren‘, das ‚Vorwegnehmen‘ potentieller Situationen, das ‚Erfinden‘ von Hilfsmitteln, die ‚Koordinierung‘ mit anderen usw. sind unmittelbar hilfreich für das Überleben. Eine ‚Übereinstimmung‘ dieser inneren (=subjektiven) Repräsentationen mit den auslösenden externen (=empirischen, objektiven) Eigenschaften der Umgebung ist also eine fundamentale Eigenschaft dieser Informationsverarbeitung. Da die ‚Außenwelt‘ immer nur in Form der informatorisch aufbereiteten ‚Innenwelt‘ vorliegt, kann eine ‚Überprüfung‘ der ‚Korrektheit = Wahrheit‘ dieser modellierten Innenwelt immer nur indirekt geschehen durch ‚Hypothesenbildung‘: Unter der Annahme, dass die Innenwelt ’stimmt = wahr‘ ist, können mögliche ‚Folgezustände‘ ‚berechnet‘ (vorgestellt, gedacht, geplant,…) werden. Treffen diese Folgezustände dann so ein, dass die aktuelle Wahrnehmung mit der ‚erwarteten Wahrnehmung‘ ‚hinreichend übereinstimmt‘, dann kann sich der agierende Organismus bzgl. seines ‚Wissens‘ ‚bestätigt‘ fühlen. Das Wissen scheint ‚wahr‘ zu sein. Andernfalls muss er sein Wissen ‚in Frage stellen‘ oder es gar ‚verwerfen‘ (nicht bestätigt, ‚falsch‘).

  7. Es gibt damit mindestens zwei ‚Wahrheitsmechanismen‘ im Bereich des biologischen Lebens: (i) einen überindividuellen Mechanismus, der lebensfähige (= wahre) genetische Strukturen hervorgebracht hat und weiter hervorbringt; (ii) einen individuellen Mechanismus aufgrund interner Informationsverarbeitung, der im unterschiedlichen Umfang die interne ‚Kodierung‘ und ‚Manipulation‘ von externen Umwelteigenschaften zum Zwecke der Handlungssteuerung erlaubt. Dieser interne Mechanismus gewinnt seine Wahrheit aus der (begrenzten) Möglichkeit der ‚Bestätigung‘.

  8. In beiden Fällen ist aber ganz klar, dass die Organismen selbst nicht ‚im Besitz der Wahrheit‘ sind!!! Die Wahrheit als ‚Übereinstimmung‘ mit einer Vorgabe ist primär an der Vorgabe orientiert. Dies ist aktuell die Erde und das umgebende Universum. Kein Lebewesen kann diese Vorgabe für sich beanspruchen bzw. ‚außer Kraft‘ setzen. In existentialistischer Sprechweise sind wir in diesem Punkt alle in gleicher Weise ‚Geworfene‘, ‚Ausgesetzte‘. Keiner hat ‚von Natur aus‘ irgendwelche Vorrechte, mehr Rechte, Privilegien usw. (dass wir Menschen uns im Laufe der Jahrtausende ‚Pseudowerte‘ geschaffen haben wie ‚Rangstufen‘, ‚Adelshierarchien‘, ‚Kastensysteme‘, ‚Rassenideologien‘ und dergleichen mehr zeugt in erster Linie von Unwissenheit gepaart mit Machtinstinkten und Gruppenegoismen (wer per Konvention angeblich ‚besser‘ sein soll als jemand anderes hat es natürlich bequemer; er muss nicht erst beweisen, dass er tatsächlich ‚gut‘ ist). Auf Dauer sind solche falschen ‚Rankings‘ aber irreführend, falsch und damit schädlich. Sie verhindern die Entfaltung realer Potentiale, jener Potentiale, die wir alle brauchen, um die Zukunft hinreichend gut nachhaltig gestalten zu können. WAHRHEIT IST – in diesem Sinne — GANZ UND GAR NICHT KÄUFLICH.

 

 

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ERKENNTNISSCHICHTEN – Das volle Programm…

 

  1. Wir beginnen mit einem Erkenntnisbegriff, der im subjektiven Erleben ansetzt. Alles, was sich subjektiv als ‚Gegeben‘ ansehen kann, ist ein ‚primärer‘ ‚Erkenntnisinhalt‘ (oft auch ‚Phänomen‘ [PH] genannt).

  2. Gleichzeitig mit den primären Erkenntnisinhalten haben wir ein ‚Wissen‘ um ’sekundäre‘ Eigenschaften von Erkenntnisinhalten wie ‚wahrgenommen‘, ‚erinnert‘, ‚gleichzeitig‘, ‚vorher – nachher‘, ‚Instanz einer Klasse‘, ‚innen – außen‘, und mehr.

  3. Auf der Basis der primären und sekundären Erkenntnisse lassen sich schrittweise komplexe Strukturen aufbauen, die das subjektive Erkennen aus der ‚Innensicht‘ beschreiben (‚phänomenologisch‘, [TH_ph]), aber darin auch eine systematische Verortung von ‚empirischem Wissen‘ erlaubt.

  4. Mit der Bestimmung des ‚empirischen‘ Wissens lassen sich dann Strukturen der ‚intersubjektiven Körperwelt‘ beschreiben, die weit über das ’subjektive/ phänomenologische‘ Wissen hinausreichen [TH_emp], obgleich sie als ‚Erlebtes‘ nicht aus dem Bereich der Phänomene hinausführen.

  5. Unter Einbeziehung des empirischen Wissens lassen sich Hypothesen über Strukturen bilden, innerhalb deren das subjektive Wissen ‚eingebettet‘ erscheint.

  6. Der Ausgangspunkt bildet die Verortung des subjektiven Wissens im ‚Gehirn‘ [NN], das wiederum zu einem ‚Körper‘ [BD] gehört.

  7. Ein Körper stellt sich dar als ein hochkomplexes Gebilde aus einer Vielzahl von Organen oder organähnlichen Strukturen, die miteinander in vielfältigen Austauschbeziehungen (‚Kommunikation‘) stehen und wo jedes Organ spezifische Funktionen erfüllt, deren Zusammenwirken eine ‚Gesamtleistung‘ [f_bd] des Input-Output-Systems Körpers ergibt. Jedes Organ besteht aus einer Vielzahl von ‚Zellen‘ [CL], die nach bestimmten Zeitintervallen ‚absterben‘ und ‚erneuert‘ werden.

  8. Zellen, Organe und Körper entstehen nicht aus dem ‚Nichts‘ sondern beruhen auf ‚biologischen Bauplänen‘ (kodiert in speziellen ‚Molekülen‘) [GEN], die Informationen vorgeben, auf welche Weise Wachstumsprozesse (auch ‚Ontogenese‘ genannt) organisiert werden sollen, deren Ergebnis dann einzelne Zellen, Zellverbände, Organe und ganze Körper sind (auch ‚Phänotyp‘ genannt). Diese Wachstumsprozesse sind ’sensibel‘ für Umgebungsbedingungen (man kann dies auch ‚interaktiv‘ nennen). Insofern sind sie nicht vollständig ‚deterministisch‘. Das ‚Ergebnis‘ eines solchen Wachstumsprozesses kann bei gleicher Ausgangsinformation anders aussehen. Dazu gehört auch, dass die biologischen Baupläne selbst verändert werden können, sodass sich die Mitglieder einer Population [POP] im Laufe der Zeit schrittweise verändern können (man spricht hier auch von ‚Phylogenese‘).

  9. Nimmt man diese Hinweise auf Strukturen und deren ‚Schichtungen‘ auf, dann kann man u.a. zu dem Bild kommen, was ich zuvor schon mal unter dem Titel ‚Emergenz des Geistes?‘ beschrieben hatte. In dem damaligen Beitrag hatte ich speziell abgehoben auf mögliche funktionale Unterschiede der beobachtbaren Komplexitätsbildung.

  10. In der aktuellen Reflexion liegt das Augenmerk mehr auf dem Faktum der Komplexitätsebene allgemein. So spannen z.B. die Menge der bekannten ‚Atome‘ [ATOM] einen bestimmten Möglichkeitsraum für theoretisch denkbare ‚Kombinationen von Atomen‘ [MOL] auf. Die tatsächlich feststellbaren Moleküle [MOL‘] bilden gegenüber MOL nur eine Teilmenge MOL‘ MOL. Die Zusammenführung einzelner Atome {a_1, a_2, …, a_n} ATOM zu einem Atomverband in Form eines Moleküls [m in MOL‘] führt zu einem Zustand, in dem das einzelne Atom a_i mit seinen individuellen Eigenschaften nicht mehr erkennbar ist; die neue größere Einheit, das Molekül zeigt neue Eigenschaften, die dem ganzen Gebilde Molekül m_j zukommen, also {a_1, a_2, …, a_n} m_i (mit {a_1, a_2, …, a_n} als ‚Bestandteilen‘ des Moleküls m_i).

  11. Wie wir heute wissen, ist aber auch schon das Atom eine Größe, die in sich weiter zerlegt werden kann in ‚atomare Bestandteile‘ (‚Quanten‘, ‚Teilchen‘, ‚Partikel‘, …[QUANT]), denen individuelle Eigenschaften zugeordnet werden können, die auf der ‚Ebene‘ des Atoms verschwinden, also auch hier wenn {q_1, q_2, …, q_n} QUANT und {q_1, q_2, …, q_n} die Bestandteile eines Atoms a_i sind, dann gilt {q_1, q_2, …, q_n} a_i.

  12. Wie weit sich unterhalb der Quanten weitere Komplexitätsebenen befinden, ist momentan unklar. Sicher ist nur, dass alle diese unterscheidbaren Komplexitätsebenen im Bereich ‚materieller‘ Strukturen aufgrund von Einsteins Formel E=mc^2 letztlich ein Pendant haben als reine ‚Energie‘. Letztlich handelt es sich also bei all diesen Unterschieden um ‚Zustandsformen‘ von ‚Energie‘.

  13. Entsprechend kann man die Komplexitätsbetrachtungen ausgehend von den Atomen über Moleküle, Molekülverbände, Zellen usw. immer weiter ausdehnen.

  14. Generell haben wir eine ‚Grundmenge‘ [M], die minimale Eigenschaften [PROP] besitzt, die in einer gegebenen Umgebung [ENV] dazu führen können, dass sich eine Teilmenge [M‘] von M mit {m_1, m_2, …, m_n} M‘ zu einer neuen Einheit p={q_1, q_2, …, q_n} mit p M‘ bildet (hier wird oft die Bezeichnung ‚Emergenz‘ benutzt). Angenommen, die Anzahl der Menge M beträgt 3 Elemente |M|=3, dann könnte man daraus im einfachen Fall die Kombinationen {(1,2), (1,3), (2,3), (1,2,3)} bilden, wenn keine Doubletten zulässig wären. Mit Doubletten könnte man unendliche viele Kombinationen bilden {(1,1), (1,1,1), (1,1,….,1), (1,2), (1,1,2), (1,1,2,2,…),…}. Wie wir von empirischen Molekülen wissen, sind Doubletten sehr wohl erlaubt. Nennen wir M* die Menge aller Kombinationen aus M‘ (einschließlich von beliebigen Doubletten), dann wird rein mathematisch die Menge der möglichen Kombinationen M* gegenüber der Grundmenge M‘ vergrößert, wenngleich die Grundmenge M‘ als ‚endlich‘ angenommen werden muss und von daher die Menge M* eine ‚innere Begrenzung‘ erfährt (Falls M’={1,2}, dann könnte ich zwar M* theoretisch beliebig groß denken {(1,1), (1,1,1…), (1,2), (1,2,2), …}, doch ‚real‘ hätte ich nur M*={(1,2)}. Von daher sollte man vielleicht immer M*(M‘) schreiben, um die Erinnerung an diese implizite Beschränkung wach zu halten.

  15. Ein anderer Aspekt ist der Übergang [emer] von einer ’niedrigerem‘ Komplexitätsniveau CL_i-1 zu einem höheren Komplexitätsniveau CL_i, also emer: CL_i-1 —> CL_i. In den meisten Fällen sind die genauen ‚Gesetze‘, nach denen solch ein Übergang stattfindet, zu Beginn nicht bekannt. In diesem Fall kann man aber einfach ‚zählen‘ und nach ‚Wahrscheinlichkeiten‘ Ausschau halten. Allerdings gibt es zwischen einer ‚reinen‘ Wahrscheinlich (absolute Gleichverteilung) und einer ‚100%-Regel‘ (Immer dann wenn_X_dann geschieht_Y_) ein Kontinuum von Wahrscheinlichkeiten (‚Wahrscheinlichkeitsverteilungen‘ bzw. unterschiedlich ‚festen‘ Regeln, in denen man Z%-Regeln benutzt mit 0 < Z < 100 (bekannt sind z.B. sogenannte ‚Fuzzy-Regeln‘).

  16. Im Falle des Verhaltens von biologischen Systemen, insbesondere von Menschen, wissen wir, dass das System ‚endogene Pläne‘ entwickeln kann, wie es sich verhalten soll/ will. Betrachtet man allerdings ‚große Zahlen‘ solcher biologischer Systeme, dann fällt auf, dass diese sich entlang bestimmter Wahrscheinlichkeitsverteilungen trotzdem einheitlich verhalten. Im Falle von Sterbensraten [DEATH] einer Population mag man dies dadurch zu erklären suchen, dass das Sterben weitgehend durch die allgemeinen biologischen Parameter des Körpers abhängig ist und der persönliche ‚Wille‘ wenig Einfluß nimmt. Doch gibt es offensichtlich Umgebungsparameter [P_env_i], die Einfluss nehmen können (Klima, giftige Stoffe, Krankheitserreger,…) oder indirekt vermittelt über das individuelle ‚Verhalten‘ [SR_i], das das Sterben ‚begünstigt‘ oder ‚verzögert‘. Im Falle von Geburtenraten [BIRTH] kann man weitere Faktoren identifizieren, die die Geburtenraten zwischen verschiedenen Ländern deutlich differieren lässt, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen sozialen Gruppen, usw. obgleich die Entscheidung für Geburten mehr als beim Sterben individuell vermittelt ist. Bei allem Verhalten kann man mehr oder weniger starke Einflüsse von Umgebungsparametern messen. Dies zeigt, dass die individuelle ‚Selbstbestimmung‘ des Verhaltens nicht unabhängig ist von Umgebungsparametern, die dazu führen, dass das tatsächliche Verhalten Millionen von Individuen sehr starke ‚Ähnlichkeiten‘ aufweist. Es sind diese ‚gleichförmigen Wechselwirkungen‘ die die Ausbildung von ‚Verteilungsmustern‘ ermöglichen. Die immer wieder anzutreffenden Stilisierungen von Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu quasi ‚ontologischen Größen‘ erscheint vor diesem Hintergrund eher irreführend und verführt dazu, die Forschung dort einzustellen, wo sie eigentlich beginnen sollte.

  17. Wie schon die einfachen Beispiele zu Beginn gezeigt haben, eröffnet die nächst höhere Komplexitätstufe zunächst einmal den Möglichkeitsraum dramatisch, und zwar mit qualitativ neuen Zuständen. Betrachtet man diese ‚Komplexitätsschichtungen‘ nicht nur ‚eindimensional‘ (also z.B. in eine Richtung… CL_i-1, CL_i, CL_i+1 …) sondern ‚multidimensional‘ (d.h. eine Komplexitätsstufe CL_i kann eine Vielzahl von Elementen umfassen, die eine Komplexitätstufe j<i repräsentieren, und diese können wechselseitig interagieren (‚kommunizieren‘)), dann führt dies zu einer ‚Verdichtung‘ von Komplexität, die immer schwerer zu beschreiben ist. Eine einzige biologische Zelle funktioniert nach so einem multidimensionalen Komplexitätsmuster. Einzelne Organe können mehrere Milliarden solcher multidimensionaler Einheiten umfassen. Jeder Körper hat viele solcher Organe die miteinander wechselwirken. Die Koordinierung aller dieser Elemente zu einer prägnanten Gesamtleistung übersteigt unsere Vorstellungskraft bei weitem. Dennoch funktioniert dies in jeder Sekunde in jedem Körper Billionenfach, ohne dass das ‚Bewusstsein‘ eines biologischen Systems dies ‚mitbekommt‘.

  18. Was haben all diese Komplexitätstufen mit ‚Erkenntnis‘ zu tun? Nimmt man unser bewusstes Erleben mit den damit verknüpften ‚Erkenntnissen‘ zum Ausgangspunkt und erklärt diese Form von Erkenntnis zur ‚Norm‘ für das, was Erkenntnis ist, dann haben all diese Komplexitätsstufen zunächst nichts mit Erkenntnis zu tun. Allerdings ist es dieses unser ’subjektives‘ ‚phänomenologisches‘ ‚Denken‘, das all die erwähnten ‚Komplexitäten‘ im Denken ’sichtbar‘ macht. Ob es noch andere Formen von Komplexität gibt, das wissen wir nicht, da wir nicht wissen, welche Form von Erkenntnis unsere subjektive Erkenntnisform von vornherein ‚ausblendet‘ bzw. aufgrund ihrer Beschaffenheit in keiner Weise ‚erkennt‘. Dies klingt paradox, aber in der Tat hat unser subjektives Denken die Eigenschaft, dass es durch Verbindung mit einem Körper einen indirekt vermittelten Bezug zur ‚Körperwelt jenseits des Bewusstseins‘ herstellen kann, der so ist, dass wir die ‚Innewohnung‘ unseres subjektiven Erkennens in einem bestimmten Körper mit dem Organ ‚Gehirn‘ als Arbeitshypothese formulieren können. Darauf aufbauend können wir mit diesem Körper, seinem Gehirn und den möglichen ‚Umwelten‘ dann gezielt Experimente durchführen, um Aufklärung darüber zu bekommen, was denn so ein Gehirn im Körper und damit korrelierend eine bestimmte Subjektivität überhaupt erkennen kann. Auf diese Weise konnten wir eine Menge über Erkenntnisgrenzen lernen, die rein aufgrund der direkten subjektiven Erkenntnis nicht zugänglich sind.

  19. Diese neuen Erkenntnisse aufgrund der Kooperation von Biologie, Psychologie, Physiologie, Gehirnwissenschaft sowie Philosophie legen nahe, dass wir das subjektive Phänomen der Erkenntnis nicht isoliert betrachten, sondern als ein Phänomen innerhalb einer multidimensionalen Komplexitätskugel, in der die Komplexitätsstrukturen, die zeitlich vor einem bewussten Erkennen vorhanden waren, letztlich die ‚Voraussetzungen‘ für das Phänomen des subjektiven Erkennens bilden.

  20. Gilt im bekannten Universum generell, dass sich die Systeme gegenseitig beeinflussen können, so kommt bei den biologischen Systemen mit ‚Bewusstsein‘ eine qualitativ neue Komponente hinzu: diese Systeme können sich aktiv ein ‚Bild‘ (‚Modell‘) ihrer Umgebung, von sich selbst sowie von der stattfindenden ‚Dynamik‘ machen und sie können zusätzlich ihr Verhalten mit Hilfe des konstruierten Bildes ’steuern‘. In dem Masse, wie die so konstruierten Bilder (‚Erkenntnisse‘, ‚Theorien‘,…) die tatsächlichen Eigenschaften der umgebenden Welt ‚treffen‘ und die biologischen Systeme ‚technologische Wege‘ finden, die ‚herrschenden Gesetze‘ hinreichend zu ‚kontrollieren‘, in dem Masse können sie im Prinzip nach und nach das gesamte Universum (mit all seinen ungeheuren Energien) unter eine weitreichende Kontrolle bringen.

  21. Das einzig wirkliche Problem für dieses Unterfangen liegt in der unglaublichen Komplexität des vorfindlichen Universums auf der einen Seite und den extrem beschränkten geistigen Fähigkeiten des einzelnen Gehirns. Das Zusammenwirken vieler Gehirne ist absolut notwendig, sehr wahrscheinlich ergänzt um leistungsfähige künstliche Strukturen sowie evtl. ergänzt um gezielte genetische Weiterentwicklungen. Das Problem wird kodiert durch das Wort ‚gezielt‘: Hier wird ein Wissen vorausgesetzt das wir so eindeutig noch nicht haben Es besteht ferner der Eindruck, dass die bisherige Forschung und Forschungsförderung diese zentralen Bereiche weltweit kum fördert. Es fehlt an brauchbaren Konzepten.

Eine Übersicht über alle bisherigen Beiträge findet sich hier

SINN, SINN, und nochmals SINN

Journal: Philosophie Jetzt – Menschenbild, ISSN 2365-5062, 20.März 2012
URL: cognitiveagent.org
Email: info@cognitiveagent.org
Autor: Gerd Doeben-Henisch
Email: gerd@doeben-henisch.de

Letzte Änderungen: 16.Februar 2019 (Kontext eingefügt sowie im Text kursive Hervorhebungen)

KONTEXT

Zum Thema ‚Sinn‘ hab es zwei  vorausgehende Beiträge mit den Titel „Zur Grammatik des Sinns„ sowie „Weil es Sinn gibt, kann sich Wissen akkumulieren, das Sinn sichtbar macht. Oder: warum die Frage ‚Warum gerade ich?‘ in die Irre führen kann„. Beide Beiträge sind ziemlich  grundsätzlich und können den vorliegenden Text weiter vertiefen.

(1) Wie die vorausgehenden Beiträge auf unterschiedliche Weise gezeigt haben, führt die Frage nach dem ‚Sinn‘ (eng verknüpft mit der Frage nach der Wahrheit), wenn man sie ernsthaft stellt, schnell auf allerlei ‚Randbedingungen‘ des ‚Erkennens‘, die nicht nur ‚passiver Natur‘ sind (was ‚uns geschieht‘), sondern zugleich auch vielfältiger ‚aktiver‘ Momente (was ‚wir tun‘), damit wir überhaupt etwas erkennen, ‚wie‘ wir erkennen, ‚wann‘, ‚wo‘, usw. ‚Erkennen‘ zeigt sich somit als ein komplexes Geschehen, eingebettet in eine Vielzahl von Randbedingungen, die eine unüberschaubare Anzahl von Möglichkeiten zulassen.

(2) In jeder dieser unendlich vielen Kombinationen haben wir ein Erkenntniserlebnis, was immer auch die aktuelle Konstellation sein mag (Fernsehen gucken, Lesen, Laufen, reden, arbeiten, Malen, Streiten, Internet surfen, ….). Dieses aktuelle Erlebnis ist als Erlebnis ‚real‘. Wir können uns diesem realen Erleben nicht entziehen. Wir sind ‚mitten drin‘. Und wenn wir über das, was wir erleben, nicht explizit und zusätzlich ’nachdenken‘ (reflektieren…), dann ist die Welt das, was wir aktuell faktisch erleben (Wittgensteins berühmter Satz ‚Die Welt ist, was der Fall ist‘ (der in einem ganz bestimmten Kontext geäußert wurde) würde hier jetzt genau dies bedeuten: die Welt ist, was ich erlebe (was Wittgenstein genau vehement abstreiten würde (das war sein Problem…)). Denn nur das haben wir zur Verfügung (oder, wie zuvor mehrfach ausgeführt, das ist das, was das Gehirn ’sich selbst‘ aufgrund der verfügbaren Signale ‚zubereitet‘ (… wobei ‚Gehirn‘ ein komplexes theoretisches Konzept ist, dessen Anführung in diesem Kontext für viele Leser eher irreführend als zielführend sein kann)).

(3) Was die Sache mit dem Erleben (aus theoretischer Sicht) ’schwierig‘ macht (mit den entsprechenden weitreichenden Folgen für das alltägliche praktische Leben), ist die Tatsache, dass unser Erleben (wie jetzt schon oft besprochen) keine 1-zu-1-Abbildung von ‚Dingen außerhalb des Körpers‘ ist, sondern eine permanente dynamische Konstruktionsleistung unseres Gehirns, das aktuell verfügbare Signale mit schon zuvor ‚erworbenen (gelernten?)‘ Daten (Erinnerung, Gedächtnis) ‚verrechnet‘ und ‚Arbeitshypothesen‘ entwickelt, wie das alles ‚zusammenpassen‘ (Kohärenz, Konsistenz…) kann. Da das Gehirn endlich ist und in knapp bemessener Zeit aus einer Signalflut permanent auswählen muss, fallen beständig Sachen unter den Tisch, werden ausgeklammert, werden Dinge ‚vereinfacht‘ usw. Auf der ‚Habenseite‘ dieses atemberaubenden Geschehens verbleibt aber ein ‚Erkenntniseindruck‘, der ‚uns‘ das Gefühl vermittelt, wir ’sehen‘ etwas, wir ‚hören‘, usw.

(4) Dieser permanente Rückgriff auf ’schon Bekanntes‘ hat den großen Vorteil, dass die meist unvollkommenen Daten durch den Bezug auf ‚Ähnliches‘ ‚ergänzt‘ (interpretiert, gedeutet…) werden können und damit der ‚Entscheidungsprozess‘ während der ‚Berechnung‘ der ‚möglichen Strukturen in den Signalströmen‘ in Richtung des ’schon Bekannten‘ geleitet und damit abgekürzt werden kann (in Experimenten im Rahmen der Phonetik konnte man zeigen, dass Menschen bei der Identifizierung von akustischen Signalen ohne ‚Kontextwissen‘ deutlich schlechter waren, als mathematische Algorithmen für die Signalerkennung. Sobald die Menschen aber nur ein wenig Kontextwissen besaßen, waren sie den Algorithmen (nachvollziehbarerweise) deutlich überlegen. Andererseits konnte man sie dadurch aber auch gezielter ‚manipulieren‘: wenn man weiß, welches Kontextwissen bei einem bestimmten Menschen ‚dominant‘ ist, dann kann man ihm Daten so servieren, dass er diese Daten ’spontan‘ (wenn er nicht kritisch nachdenkt) im Sinne seines Kontextwissens interpretiert und damit zu ‚Schlüssen‘ kommt, die mit der tatsächlich auslösenden Situation gar nichts mehr zu tun haben).

(5) Diese ambivalente Rückwirkung des ’schon Bekannten‘ wird noch komplexer, wenn man berücksichtigt, dass mit dem Erlernen einer Sprache die ‚Gegenstandswelt‚ erweitert wird um eine ‚Welt der Zeichen‚, die auf diese Gegenstandswelt (und auf sich selbst!) auf vielfältige Weise ‚verweisen‘ kann. Ein sprachlicher Ausdruck als solcher ist auch ein reales Erlebnis, das aber – im Normalfall – von sich weg auf etwas ‚Anderes‘, auf seine ‚Bedeutung‘ ‚verweist‘. Jede mögliche Bedeutung ist letztlich immer erst mal wieder nur ein Erlebnis, das irgendwann einmal stattgefunden hat, und sei es als bloß ‚Imaginiertes/ Vorgestelltes/…‘. D.h. die Verwendung der Sprache als solche führt nicht grundsätzlich über den Bereich des Erlebbaren hinaus. Ein Denken mit Hilfe von sprachlichen Ausdrücken ist nur ’strukturierter‘, ‚berechenbarer‘, ‚handhabbarer‘ als ein Denken ohne sprachliche Ausdrücke. Sprache erlaubt die ‚wunderbare Vermehrung der Dinge‘, ohne dass real die Dinge tatsächlich vermehrt oder verändert werden (ein Roman von vielen hundert oder gar über tausend Seiten kann für den Leser ein sehr intensives ‚Erlebnis‘ erzeugen, gestiftet von einem bunten Strauss von sprachlich induzierten ‚Vorstellungen‘, die als solche real sind, ohne dass diesen Vorstellungen irgendetwas in der Außenwelt entsprechen muss.

(6) Mit den modernen Medien (Film, Fernsehen, Video, Computeranimation…) wird die Erzeugung von ‚Vorstellungen‘ nach ‚außen‘ verlagert in ein Medium, das Erlebnisse erzeugt ’scheinbar wie die Außenwelt‘, die aber ‚willkürlich erzeugt‘ wurden und die mit der empirisch-realen Welt nichts zu tun haben müssen. Dem ‚Erlebnis als solchem‘ kann man dies u.U. Nicht mehr ansehen, sofern man nicht (wie auch in allen anderen Fällen) sehr bewusst ‚kritisch‘ Randbedingungen überprüft und berücksichtigt. Während das Lesen eines Romans ‚als Lesen‘ deutlich macht, dass alle durch das Lesen induzierten Erlebnisse ‚künstlich‘ sind, kann das sehen/ hören/ fühlen… eines künstlichen Mediums die Einsichtsschwelle in die ‚Künstlichkeit‘ immer ‚höher‘ legen. Ein Film über ‚Erfundenes‘ neben einem Film über ‚empirisch-Reales‘ ist nicht mehr ohne weiteres identifizierbar.

(7) Sofern man nicht explizit die Frage nach der ‚Wahrheit‘ stellt (ich definiere ‚Wahrheit‘ hier jetzt nicht; siehe dazu die vorausgehenden Reflexionen) sind alle diese möglichen Erlebniswelten (real-empirisch bezogen oder beliebig generiert) aus Sicht des Erlebens ‚gleichwertig‘. Wer hier nicht ausdrücklich immer darauf achtet, was wann wie von wem mit welcher Absicht usw. ‚erzeugt‘ wurde, für den verschwimmen alle diese erlebnisfundierten Bilder zu einem großen Gesamtbild, wo jedes jedes ‚interpretiert‘ und wo die Frage nach der Wahrheit aus den Händen gleitet. Dennoch bieten alle diese Bilder – so verzerrt und willkürlich sie auch sein mögen – für den, der sie ‚hat‘ eine ‚Interpretation‘ und damit einen ‚möglichen Sinn‘. Ohne die ‚Gewichtung‘ durch den Aspekt der Wahrheit sind alle diese ‚möglichen Sinne‘ ‚gleichwertig‘. Es gibt im Bereich des möglichen Sinns keine ausgezeichnete Instanz, die einen besonderen Vorzug verdienen würde. Entsprechend ‚bunt‘ ist das Bild, das sich bietet, wenn man schaut, was Menschen alles für ’sinnvoll‘ halten. Es kann für jemand anderen noch so ‚grotesk‘ erscheinen, für den ‚Besitzer‘ dieses Sinns ist es ‚der allein Seligmachende‘.

(8) Wie gesagt, solange man die Frage nach der ‚Wahrheit‘ ausklammert, geht alles. Die Frage nach der Wahrheit wiederum setzt eine ‚kritische Reflexion‘ auf Randbedingungen voraus. Wie der Alltag zeigt, ist aber den meisten Menschen gar nicht klar, was ‚kritische Reflexion‘ praktisch bedeutet. Selbst wenn sie ‚kritisch reflektieren‘ wollten, sie könnten es nicht. Millionen von Menschen sind zwar bereit, viel Geld, viel persönliche Zeit, ja sogar ihr ganzes persönliche Leben, in ‚Gefolgschaften‘ von Kursen und Organisationen zu investieren, ohne ein Minimum an kritischem Denken dafür zurück zu bekommen. Das ‚Verwirrspiel‘ um den ‚Sinn‘, um den ‚Lebenssinn‘, um den ‚wahren Sinn‘ wird damit nur schlimmer und furchtbarer. Meist werden ein paar Leute dadurch sehr viel reicher, und viele andere sehr viel ärmer. So etwas sollte immer als ein mögliches Alarmzeichen dienen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es bei solchen Veranstaltungen (das müssen nicht nur sogenannte ‚Sekten‘ sein, das kann — wie wir täglich leidvoll dazu lernen — jede Art von sogenannten ‚Beratern‘ sein) nicht um ‚wahren Sinn‘ geht, sondern um simple materielle Vorteile einzelner auf Kosten anderer.

(9) Das Thema ist damit nicht erschöpft (was ja auch die vorausgehenden Eindrücke zusätzlich belegen können), …es ist nur eine ‚Notiz‘ zwischendurch….

LITERATURNACHWEISE

Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung, W. Ostwald (Hrsg.), Annalen der Naturphilosophie, Band 14, 1921, S. 185–262

nachlesbar in:

Wittgenstein, L.: Logisch-philosophische Abhandlung, Tractatus logico-philosophicus. Kritische Edition. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998

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RÜCKKEHR DER METAPHYSIK? Natur als Offenbarung? Universale Ethik?

Einbettung von Metaphysik in moderne Wissenschaft

 

 

 

 

(1) Im Zwiegespräch mit dem Text ‚Metaphysik der Erkenntnis‘ (erstmalig 1921) von Nicolai Hartmann trifft man auf zahlreiche Aporien (siehe die anderen Blogeintragungen). Hartmann nimmt seinen Ausgangspunkt bei der — für ihn grundlegenden – Beziehung zwischen einem ‚erkennenden Subjekt‘ und einem ‚erkannten Objekt‘. Dies in einer primär ‚phänomenologischen‘ Einstellung, die ihren Ausgangspunkt bei dem ‚Gegebenem‘ nimmt im Versuch, ’sichtbar zu machen‘, was sich vorfindet.

 

(2) Tatsächlich ist das, was wir im Bewusstseinserlebnis als aufscheinendes ‚Phänomen‘ vorfinden, das erste und einzige, was wir vorfinden. Nach Hartmann ist dieses aufscheinend Gegebene aber eingebettet in eine begleitend vorhandene ‚Reflexion‘, mittels der sich Eigenschaften fokussieren, abstrahieren und in Beziehung setzen lassen; nicht zuletzt lassen sich ‚Begriffe‘ bilden. Die Reflexion als solche ist nicht mehr ’neutral‘; sie kann das vorfindlich Gegebene verändern, modifizieren und damit in gewisser Weise interpretieren.

 

(3) Die ‚Abfallprodukte‘ der Reflexion bilden nicht automatisch eine ‚Theorie‘ verstanden als ein systematisches Begriffsnetzwerk, in dem alle Begriffe vollständig aufeinander bezogen sind entweder als ‚Grundterme‘ oder als ‚axiomatische Terme‘, eingebunden in Relationen und Axiome, repräsentiert in einer eigenen ‚Theoriesprache‘. Eine Theorie auf der Basis der primären Reflexion bildet eine ‚Metaebene‘ und stellt eine Konstruktion dar, die aus einer Vielzahl von Möglichkeiten eine Variante herausgreift. Zugleich ist jede Theorie eine bestimmte Interpretation. Eine interessante Frage ist, ob und wie sowohl die Begriffe der primären Reflexion wie auch die Strukturen einer Theorie in einem bestimmbaren Sinn ‚wahr‘ oder ‚falsch‘ sein können.

 

(4) Hartmann diskutiert die Frage der ‚Wahrheit‘ im Umfeld seiner Subjekt-Objekt-Relation mit einem sehr unspezifischen Begriff von ‚Erkenntnis‘. Er geht von der Annahme aus – die er nicht weiter begründet –, dass Wahrheit mit Übereinstimmung zu tun haben muss, nämlich der Übereinstimmung (oder Nicht-Übereinstimmung) von dem erkennbaren Objekt für das Subjekt mit einem Objekt an sich, das dem erkennenden Subjekt per definitionem nicht zugänglich ist; daher spricht er hier auch von einem ‚transzendentem Objekt‘ bzw. vom ‚Transobjektivem‘, das das erkennende Subjekt ‚objiziert‘ mithilfe von ‚Bestimmtheiten‘, die ein ‚Bild‘ des ursprünglichen Objektes darstellen, nicht das transzendente Objekt selbst. Die vom Transobjektivem objizierten Bestimmtheiten, die vom verursachenden Objekt verschieden sind, will er auch eine ‚Repräsentation‘ des Transobjektiven nennen.

 

 

(5) Das ‚Transobjektive‘, das vom erkennenden Subjekt nicht erreicht werden kann, ist damit auch nicht intelligibel, ist im vollen Sinne ‚irrational‘. Dennoch assoziiert Hartmann genau mit diesem Transobjektiven das eigentliche ‚Sein‘, ‚volle Wirklichkeit‘, ‚Realität‘. Hier verortete er die ontologische Dimension, den Fluchtpunkt jeder Metaphysik. In einer Metaphysik ist Erkenntnis nur ein Durchgang, ein Medium zur Erfassung und Beschreibung von ‚Wahrheit‘ als letztlich im ‚Sein‘ gründend.

 

 

(7) Der von ihm zuerst favorisierte Wahrheitsbegriff als Übereinstimmungsoperation wahr: OBJ x OBJ* —> {wahr, falsch} mit ‚OBJ‘ für das Transobjektive (verursachende) Sein und ‚OBJ*‘ als der Repräsentation des Transobjektiven für das erkennende Subjekt setzt die Verfügbarkeit des Transobjektiven in dieser Übereinstimmung voraus, ohne aber in der Lage zu sein, zu erklären, wie das erkennende Subjekt dies nutzen soll, da das Transobjektive ja per definitionem vom Erkennen eines Transobjektiven ausgeschlossen wurde. Die sich hier auftuende logische Antinomie verwirbelt Hartmann in bis zu vier unterschiedliche Aporien, die allesamt letztlich nur diese eine zentrale Antinomie umschreiben.

 

(8) Aktuell weiss ich noch nicht, wie es ab S.88 in seinem Buch weiter gehen wird. Bezogen auf seine bisherigen Ausführungen kann man nur sagen, dass er sich mit seinem bisherigen Begriffsapparat in einer Sackgasse befindet. Auch wenn er noch weitere Aporien durch Einführung neuer begrifflicher Gebilde generieren mag, sein Grundproblem wird er nicht lösen, solange er seine bisherigen Voraussetzungen nicht einer kritischen Re-Analyse unterzieht.

 

(9) Ob mein Lösungsansatz tatsächlich ein Lösungsansatz ist, muss sich in den weiteren Diskussionen und Experimenten noch zeigen, aber auf jeden Fall sehe ich einen gedanklichen Weg, der ohne die antinomischen Konstruktionen Hartmanns auskommt, der mit den großen Themen der Philosophie kompatibel ist, und der nicht zuletzt auch mit den tiefgreifenden Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaften harmoniert (soweit wir heute meinen zu verstehen, was wir verstehen).

 

(10) Wie schon im Bremerhaven-Vortrag skizziert nehme ich auch den Ausgangspunkt im Raum der Phänomene (es gibt keine Alternative), allerdings mit der Differenzierung, dass sich im Gesamtbereich der Phänomene Ph eine spezielle Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp identifizieren lässt. Dies sind solche Phänomene, die durch Verwendung von definierten Messprozeduren meas() generiert werden, etwa meas: Ph —> Ph_emp. Empirische Phänomene sind zwar auch Phänomene, aber eben solche, die auf eine spezielle Weise hervorgebracht werden, die unabhängig vom Körper eines Menschen ist. Nur das Produkt eines Messvorganges muss wahrnehmbar sein, der Messvorgang selber ist unabhängig von einem menschlichen Körper (und Gehirn, und Bewusstsein).

 

(11) Auf den ersten Blick wirkt dieser Hinweis auf die Teilmenge der empirischen Phänomene möglicherweise unscheinbar. Aber bei längerer Betrachtung zeigt sich, dass hier die Lösung für nahezu alle Aporien liegen kann, mit denen sich Hartmann herumschlägt.

 

(12) Natürlich gilt im Falle der empirischen Phänomene Ph_emp auch – wie im Falle aller Phänomene –, dass die empirischen Phänomene nicht ‚isoliert‘ dastehen, sondern auch eingebettet sind in die allgemeine ‚Reflexion‘, die alles Erleben begleitet und durchdringt; und es gilt auch, dass sich im Medium dieser Reflexion Unterscheidungen treffen lassen, Zusammenfassungen bilden lassen, Begriffe einführen lassen, Beziehungen aufzeigen lassen, usw. bis hin dazu, dass sich explizite Theorien formulieren lassen. Diese Reflexion, Begriffsbildungen, Theoriebildung unterscheidet sich im Allgemeinen in Nichts von der alltäglichen oder philosophischen Reflexion, wohl aber im Speziellen. Auf der Basis von empirischen Daten lassen sich nämlich eindeutiger und klarer als durch die rein körperbasierten Phänomene Ph\Ph_emp Begriffe mit einer ‚operationalisierten‘ Bedeutung einführen, darauf aufbauend Abstraktionen, Relationen und Gesetzmäßigkeiten unter kontrollierten Bedingungen und in mathematischer Form. Natürlich ist auch diese Form von Erkenntnisbildung nicht frei von Problemen (dazu gibt es weit mehr als 1000 wissenschaftliche Publikationen!), doch trotz all dieser Probleme hat die Praxis gezeigt, dass diese Erkenntnisstrategie trotz aller Spezialisierung Erkenntnisse (und Technologien) hervorgebracht hat, die noch vor 100 – 150 Jahren unvorstellbar waren.

 

(13) Mittels der Reflexion (und darauf aufbauenden Theorien oder theorieähnlichen begrifflichen Strukturen) lassen sich im Strom der Phänomene Objekte, Beziehungen, und Aktionen identifizieren, die das Bild eines ‚Außenraums‘ um den Körper herum entstehen lassen, der eine eigene Dynamik hat, die man heute ansatzweise in seiner evolutionären Dimension fassen kann. Ferner kann man im Bereich der identifizierbaren Objekte solche unterscheiden, die man durch spezifische Eigenschaften als ‚biologisch‘ qualifizieren kann, als ‚Körper‘ mit einer Innenstruktur, zu der u.a. ein Nervensystem (Gehirn) gehört. Durch Korrelation der empirischen Daten mit den Erlebnisdaten läßt sich die starke Hypothese formulieren, dass die uns primär zugänglichen Phänomene Ph im Raum des Bewusstseins Eigenschaften eines Nervensystems sind, das sich empirisch nur ‚von außen‘ messen und beschreiben läßt. D.h. man kann nicht die bewussten Erlebnisse selbst ‚messen‘, sondern nur physikalisch-chemische Eigenschaften des Nervensystems DAT_nn, die zeitlich mit bestimmten Erlebnissen Ph korrelieren.

 

(14) Abseits vieler ungelöster Detailfragen lässt sich eine generelle Schlussfolgerung auf jeden Fall ziehen: die Phänomene unseres Bewusstseins sind als solche keine Objekte der umgebenden Außenwelt! Vielmehr scheint es so zu sein, dass die ‚Zustände der Außenwelt‘ auf einen ‚Körper‘ einwirken können, der diese physikalisch-chemischen Einwirkungen mittels einer Vielzahl sogenannter ‚Sensoren‘ in ’neuronale Signale‘ ‚übersetzt‘, also etwa sens: ENV x IS —> IS x NN, d.h. die Menge aller Sensoren realisieren eine Abbildung von Umweltereignissen ENV – eventuell modifiziert durch aktuelle interne Zustände IS des Körpers – in eine Menge von neuronalen Signalen NN, eventuell begleitet von zusätzlichen internen Zuständen IS des Körpers.

 

(15) Wie wir heute schon wissen werden diese sensorisch induzierten neuronalen Signale NN_sens über ein komplexes Schaltwerk von Neuronen auf verschiedenen ‚Ebenen‘ und durch verschiedene ‚Querschaltungen‘ und ‚Rückkopplungen‘ zu abstrakteren Konzepten und Beziehungen ‚weiterverarbeitet‘. D.h. das, was uns irgendwann ‚bewusst‘ wird als Phänomen Ph ist in der Regel sowohl ein ’spätes Verarbeitungsprodukt‘ und zugleich eine ‚Auswahl‘ aller stattfindender neuronaler Zustände, also etwa nn: NN_sens x NN —> NN x Ph. Hierbei gilt die weitreichende Annahme, dass die Menge der Phänomene Ph aus Sicht des Gehirns letztlich eine Teilmenge, und zwar eine echte Teilmenge, der Menge aller neuronalen Zustände ist. Sei NN_ph jene Menge von Neuronalen Signalen, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, und NN_nph die Menge der neuronalen Signale, die nicht mit Ph korrelieren, dann gilt, dass die Menge der neuronalen Signale NN = NN_ph u NN_nph, mit der Annahme, dass die Menge der neuronalen Signale NN_ph, die mit den erlebten Phänomenen Ph korrelieren, eine echte Teilmenge aller neuronalen Signale sind NN_ph  rsubset NN. Denn gerade in diesem Umstand der echten Teilmenge wurzelt der evolutionäre Gewinn des ‚Bwusstseins‘: durch die Möglichkeit einer ‚Abstraktion‘ von der beliebig großen Komplexität des begleitenden Körpers und eines kontinuierlich wachsenden Gehirns kann man aktuelles Entscheiden und Kommunizieren in einem überschaubaren Bereich halten.

 

(16) Zu sagen, dass die bewussten Phänomene Ph aus ‚Sicht des Gehirns‘ auch nur neuronale Zustände sind ist kein (logischer) Widerspruch zur Annahme, dass die Phänomene unseres Bewusstseins aus Sicht unseres Erlebens etwas Besonderes sind, das sich nicht auf neuronale Signale reduzieren lässt. Dies hat mit dem begrifflichen Rahmen zu tun, in dem man sich bewegt. Im phänomenologischen Kontext bewege ich mich im Raum meines Erlebens. Meine ‚Daten‘ DAT_ph sind die erlebbaren Phänomene meines Bewusstseins. Aufbauend auf diesen primären Daten kann ich Begriffsnetze entwickeln, ja sogar Theorien reflexion: DAT_ph —> Th_ph. Beschränke ich mich auf die Teilmenge der empirischen Phänomene Ph_emp habe ich zwar immer noch Phänomene, im Fall der empirischen Untersuchungen zum Körper und Gehirn benutze ich aber zusätzlich zum ’normalen‘ Erkennen empirische Messverfahren meas(), mit denen ich Eigenschaften des Körpers bzw. des Nervensystems untersuche, also meas: BODY x BRAIN —> DAT_bd x DAT_nn. Insofern ich diese Messwerte als Messwerte wahrnehmen kann, sind diese natürlich auch Phänomene Ph_emp_bd und Ph_emp_nn, aber das Besondere dieser Phänomene liegt nicht in dem, was ich als Messergebnis wahrnehme, sondern in der Art, wie ich dieses Phänomen erzeugt habe, eben durch einen zusätzlichen Messvorgang. Wenn ich also bei dem Drücken einer bestimmten Taste auf einem Klavier einen bestimmten Ton höre DAT_ph_ton_i, und die Neuropsychologen zeitlich gleichzeitig durch eine geeignete Messvorrichtung in bestimmten Bereichen meines Gehirns bestimmte Erregungsmuster DAT_nn_ton_i messen können, dann kann man in der Regel nicht direkt von DAT_nn_ton_i auf DAT_ph_ton_i schliessen oder umgekehrt, aber eine Versuchsperson Vpn, die einen Ton hört (DAT_ph_ton_i)Person_abc, und die zugleich das Messergebnis (DAT_nn_ton_i)Person_abc wahrnehmen kann, kann kontrollieren, ob es zwischen den empirischen Messwerten und ihren subjektiven Wahrnehmungen eine signifikante Korrelation gibt (wobei wir unterstellen, dass die ausgewählte Gehirnregion ‚relevant‘ ist). Insofern also solch eine Versuchsperson in dieser speziellen Konstellation eine signifikante Korrelation feststellen könnte, könnte man begründet vermuten, dass das erlebte Phänomen und die gemessenen neuronalen Zustände ‚identisch‘ sind in dem Sinne, dass Erlebnisse als indirekt messbare neuronale Zustände ‚auftreten‘. Davon zu unterscheiden ist die Frage, wie man das Phänomen des subjektiven Erlebens im Rahmen einer empirischen Theorie des Gehirns ‚erklärt‘. Offensichtlich handelt es sich um eine Art ‚Innensicht‘ des Gehirns, bei der ausgewählte Bereiche der Gehirnzustände dazu dienen, wichtige Steuerungsparameter des Gehirns auf einer hohen Abstraktionsebene so zu organisieren, dass sie sich u.a. auch mit symbolischer Sprache verknüpfen lassen.

 

(17) Zusammenfassend gilt, dass die jeweiligen Konstruktionen des Gehirns auf Basis der sensorischen und körpereigenen Signale DAT_nn_sens und DAT_bd vollständige Eigenleistungen des Gehirns sind. Letztlich baut das Gehirn mit seinen ‚Bordmitteln‘ eine ‚Theorie der umgebenden Welt‘ TH_nn_env mit sich selbst als ‚agierendem Objekt‘ Th_nn_ego subset Th_nn_env.

 

(18) In diesem Kontext stellt sich die ‚Wahrheitsfrage‘ – will man diesen klassischen Term beibehalten – auf mindestens zweifache Weise: (i) systemintern und (ii) in Relation zur umgebenden Außenwelt.

 

(19) Systemintern (hier ‚Wahrheit_1‘ genannt) stellt sich primär die Frage, ob die emergierenden Theorien Th_nn als hypothetische Deutungen der in den Daten DAT_nn implizit mitgegebenen Dynamiken mit den Daten hinreichend ‚kongruent‘ sind? D.h. gilt es, dass die Daten DAT_nn vollständig in der ‚Bildmenge‘ der Theorie(n) Th_nn vorkommen? Bzw. gilt, dass  DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens)? Da jede Theorie aufgrund der ihr ‚innewohnenden‘ Generalisierungen grundsätzlich mehr Elemente in ihrer Bildmenge hat als sensorische Daten in sie eingehen, kann man nicht verlangen, dass sich zu allen theoretisch möglichen Bildelementen 1-zu-1-Entsprechungen in den Primärdaten finden lassen, wohl aber kann – und muss – man verlangen, dass alle tatsächlich auftretenden Primärdaten sich als Elemente der Bildmenge darstellen lassen. Wahrheit_1 wäre dann also genau die Erfüllung dieser Forderung, dass man also sagen könnte: Eine nuronale Theorie der Welt ist Wahr_1 genau dann, wenn gilt: DAT_nn_sens subset Th_nn(DAT_nn_sens). Also nicht Übereinstimmung sondern abschwächend ‚Enthaltensein‘. Der Bewusstseinsraum Ph als ‚Bewusstsein‘  CONSC ist hier verstehbar als korrespondierend mit eine Teilmenge NN_ph der Menge der neuronalen Zustände NN, also NN_ph subset NN und die zu prüfenden neuronalen Theorien sind Muster innerhalb von NN_ph und NN_nph und ihr Referenzpunkt (ihr ‚Kriterium‘) für Wahrheit_1 ist das Enthaltensein der auftretenden neuronalen Ereignisse in der Bildmenge der Theorie. Eine logische Antinomie und daraus sich herleitenden Aporien gibt es hier nicht.

 

(20) In Relation zur umgebenden Außenwelt (hier ‚Wahrheit_2‘ genannt) stellt sich die Frage nicht innerhalb eines Systems, da das einzelne System in seinem internen Modell ‚gefangen‘ ist. Die modernen empirischen Wissenschaften haben uns aber die Möglichkeit eröffnet, dass wir andere Körper – menschliche wie tierische und andere – als ‚empirische Objekte‘ untersuchen können. Zusätzlich können wir – bis zu einem gewissen Grad – die Entwicklung von Populationen im Laufe der Zeit untersuchen. In diesem Kontext kann man die Frage der ‚Passung‘ des Verhaltens einer Population zur jeweiligen Außenwelt nach unterschiedlichen Kriterien gewichten. Z.B. stellt das schlichte ‚Überleben‘ bzw. ‚Nicht-Überleben‘ ein Basiskriterium dar. Populationen, die nicht überleben, haben offensichtlich ein Verhaltensspektrum, was nicht geeignet ist, alle notwendigen ‚Aufgaben‘, die die jeweilige Umgebung stellt, in der verfügbaren Zeit befriedigend zu lösen. Insofern das Verhalten ein Ouput des Körpers mit seinem Nervensystem ist, das auf einem bestimmten Input basiert – also sys: IN x BD x NN —> OUT — muss man sagen, dass die Systemfunktion sys offensichtlich unzulänglich ist. Da jede Systemfunktion eine Synthese von Körper mit Nervensystem BD x NN bildet, von dem wir wissen, dass es auf biochemischem Wege über Genetik, Wachstum und Vererbung weitergegeben und zugleich ‚verformt‘ wird, könnte man sagen, ein Körper-mit-Nervensystem-System SYS_bd_nn hat eine ‚wahre_2‘ Struktur, wenn das potentielle Verhalten sys( IN x BD x NN) geeignet ist, dass die Population dieses Systems POP_sys überlebt. Hier wird also der Körper mit seinem Nervensystem und den im Nervensystem bildbaren ‚Modellen‘ Th_nn einheitlich als ein dynamisches Modell sys() gesehen, das alle für das Überleben notwendigen Eigenschaften in der umgebenden Außenwelt hinreichend abbilden und gestalten kann. Das ‚Transobjektive‘ von Hartmann könnte in diesem Kontext interpretiert werden als die umgebenden Außenwelt, die auf den jeweiligen Körper einwirkt und über die verfügbaren Sensoren in dem Körper ein ‚Bild ihrer selbst‘ erzeugt, das nicht die Außenwelt ist, wie sie ‚an sich‘ ist, sondern die Außenwelt, wie sie aufgrund einer kausalen Wirkkette innerhalb eines Organismus repräsentiert werden kann. Die verfügbare neuronale Maschinerie generiert aus diesem primären ‚Bild‘ unterschiedliche komplexe Theorien, die über die konkreten einzelnen Daten hinausreichen (sie ‚transzendieren‘) und mittels einer Theorie ein übergreifendes Bild von einem ‚transzendierenden Objekt‘ entwerfen. Dieses selbst generierte ‚Bild eines Urbildes‘ kann mit dem Urbild – von einem Metastandpunkt aus betrachtet — mehr oder weniger ‚übereinstimmen‘ –also: wahr2: ENV x BD x NN x IN —> {passt, passt-nicht} –, doch ist diese Art von Passung dem individuellen System nicht zugänglich! Sie erschliesst sich nur in einer empirischen Untersuchung, die historische Entwicklungen untersuchen kann.

 

(21) Behält man das Verständnis von Metaphysik als Wissenschaft vom Seienden bei, das sich durch und jenseits der Erkenntnis erschließt und das unabhängig von der Erkenntnis existiert, dann müsste man nun sagen, Metaphysik ist im Prinzip möglich, nicht jedoch als Disziplin individuellen Erkennens, sondern nur als empirische Disziplin, die in einem Netzwerk betrieben wird. Moderne empirische Wissenschaften mit explizitem Theorieanteil, die die Leistungsfähigkeit von Populationen unter expliziter Berücksichtigung des neuronal basierten Verhaltens mit Bezug auf ihre Umwelt untersuchen, bilden gute Kandidaten für eine moderne Metaphysik.

(22) Man kann diese Überlegungen auf vielfältige Weise ergänzen und weiterführen. Ein interessanter Aspekt ist der ‚Offenbarungscharakter‘ von Natur. Wenn man bedenkt, wie umfangreich der Weg vom sogenannten Big-Bang (reine Energie mit einer unvorstellbar großen Temperatur) über Ausdehnung, Sternenbildung, Elementbildung, Bildung unserer Galaxie mit einem komfortablen Platz für unser Sonnensystem, mit einem komfortablen Platz für unsere Erde mit einer extrem günstigen Konstellation aller Planeten, der Entstehung von Molekülen aus Elementen, bis hin zu den ersten Zellen (bis heute letztlich ungeklärt)(vor ca. -3.2 Milliarden Jahren), von da aus eine ‚endogen und interaktiv  getriebene Entwicklung‘ genannt Evolution hin zu körperlichen Strukturen mit vielen Zellen, hin zu Nervensystemen (Start vor ca. -700 Mio Jahren), hin zu Körpern und Gehirnen, die explizite Modelle ihrer Umwelt und ihrer selbst entwickeln können, die symbolische Sprache erfunden haben und vieles mehr. Entscheidend: von der reinen Energie am Anfang sind wir zu Gehirnzuständen gekommen, in denen sich das Universum gleichsam ’selbst‘ anschauen kann, den Augenblick, das Einzelne, aber auch Alle und die ganze Entwicklung. Im Bewusstsein eines JEDEN Menschen kann sich potentiell das gesamte Universum mit allen seinen Facetten ‚versammeln‘, ‚aufscheinen‘. Ich habe nicht den Eindruck, dass irgendein Mensch sich der Tragweite dieses Faktums bewusst ist. Und bezogen auf die klassischen Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) habe ich den Eindruck, dass diese die Menschen, statt sie mehr und tiefer zu Gott und einer Ehrfurcht vor dem Leben hinzuführen, eher dazu dienen, die Menschen Gott zu entfremden und das Leben – auch in Gestalt anderer Menschen – zu verachten, zu hassen oder gar zu töten. Ein solches Verhalten ist NIEMALS die Botschaft des Lebens, wenngleich das ‚Fressen und Gefressenwerden‘ im Bereich des Lebens eine Eigenschaft darstellt, die an die Notwendigkeit der Verfügbarkeit von hinreichender Energie gekoppelt ist. Doch in der Gestalt des Menschen hat das biologische Leben einen Punkt erreicht, bei dem dieses zwanghafte Fressen und Gefressenwerden prinzipiell durchbrochen werden kann. Wir haben die grundsätzliche Möglichkeit –zum ersten Mal seitdem es dieses Universum gibt!!! — die Gesetze des Lebens neu zu gestalten, neu zu formen, ja, letztlich können wir im Prinzip das gesamte bekannte Weltall von Grund auf neu umformen (natürlich nicht an einem Tag….). Genau dazu sind wir ‚berufen‘. Aber wen interessiert schon die Wahrheit2? Noch liegt immer ein gewisser ‚Schleier‘ über der Bestimmung des gesamten Lebens. Dass es auch irgendwo anders im riesigen Universum ähnliches der gar gleiches Leben wie unseres geben sollte, ist grundsätzlich weder auszuschließen noch würde es unserer ‚Bestimmung‘ irgendeinen Abbruch tun. Die Erkenntnis des ‚gemeinsam Gewordenseins‘ enthält in sich eine gemeinsame Berufung für das Ganze, von dem wir in Gestalt des messbaren Universums möglicherweise bislang nur einen kleinen Zipfel sehen (so wie unser Gehirn im Körper sich als ‚Herr der Dinge‘ erlebt, obgleich es doch, wie wir heute wissen können, nur einen winzigen Ausschnitt eines viel Größeren erlebt). ‚Wahrheit‘ ist das jeweils ‚Größere‘ (Magis), dem wir uns beugen und dienen müssen, da wir als einzelne nicht ‚Herr des Geschehens‘ sind. Insofern wir aber untereinander mit allem unauflöslich ‚verbunden‘ sind, ist diese individuelle Beschränkung nur relativ.

 

 

Eine direkte Fortsetzung findet sich hier

 

 

Eine Übersicht zu allen Beiträgen des Blogs findet sich im begleitenden cogntiveagent-Wiki

 

 

 

 

 

 

A POSTERIORI, A PRIORI, TRANSZENDENZ, AN SICH, FÜR SICH – Überlegungen zu N.Hartmanns Metaphysik der Erkenntnis

Begrifflicher Rahmen zu N.Hartmann’s MdE

VORGESCHICHTE

(1) Bei der Lektüre von Husserls Pariser Vorlesungen von 1929 –bekannt als ‚Cartesianische Meditationen‘– hatte sich gezeigt, dass sich Husserl im Rahmen seiner Beschreibung der phänomenologischen Analyse schwer tat, die Eigenstellung des ‚Objektes‘ in seinem Denkrahmen zu beschreiben (siehe dazu die vorausgehenden Reflexionen in diesem Block; eine Übersicht findet sich hier). Obgleich das ‚Objekt‘ ein wesentliches Moment in seiner Beschreibung des ‚transzendentalen ego‘ war, hatte es dennoch keine absolute Eigenständigkeit innerhalb des Denkhorizontes. Das Denken war primär. In diesem Sinne erweist sich das Husserlsche Denken als ‚idealistisch‘. Zum Ende seiner Vorlesungen bemerkt Husserl, dass er mit diesem Denkansatz ein Problem bekommt um dem Phänomen des ‚Anderen‘ als ‚Du‘ gerecht werden zu können.

 

(2) In meinem Vortrag in Bremerhaven hatte ich nachfolgend herausgearbeitet, dass ein phänomenologisches Denken sich nicht im absoluten Gegensatz zu einem empirischen Denken befindet und dass, darüber hinaus, ein phänomenologisches Denken sogar der Unterstützung des empirischen Denkens bedarf, um seine eigenen Denkvoraussetzungen ‚kritisch‘ zu klären. Kritisch nicht im Sinne von Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘ als Klärung ohne Bezug zur Empirie, sondern durch Einbeziehung der Empirie hinsichtlich der empirischen Voraussetzungen des Denkens.

(3) Die Vorgehensweise der Einbeziehung der Empirie zur Klärung der Voraussetzungen des Denkens wurde schon von anderen praktiziert (im Vortrag verweise ich auf einige Publikationen im Rahmen einer sogenannten ‚Evolutionären Erkenntnistheorie‘: Literaturhinweise). Ein solches Vorgehen setzt allerdings die Annahme voraus, dass das uns bekannte bewusste Denken eine Leistung des Gehirns ist. Dies bedeutet, dass wir nur solches bewusst erleben und denken können, was durch die ‚Schaltungen der neuronalen Maschinerie‘ möglich ist. Allerdings folgt daraus nicht, dass man aus den physikalischen Eigenschaften dieser neuronalen Maschinerie die korrespondierenden bewussten Leistungen direkt erschließen könnte. Die ‚bewussten‘ Leistungen gehören zur ‚Innensicht‘ des Gehirns und sind als solche nur von dem beschreibbar, der diese ‚Erlebnisse‘ hat. Daraus ergibt sich, dass eine Beschreibung der Struktur und Dynamik des Bewusstseins aus der Innensicht eine unverzichtbare und irreduzible Aufgabe einer philosophischen Analyse des menschlichen Denkens ist –als phänomenologische Theorie TH_ph–, allerdings notwendigerweise korrespondierend mit neuropsychologischen Untersuchungen zur Denkmaschinerie TH_nn und dem korrespondierenden Verhalten TH_sr, will man ein minimal vollständiges Bild gewinnen.

(4) In diesem Zusammenhang bin ich durch die Lektüre von K.Lorenz ‚Die Rückseite des Spiegels‘ aufmerksam geworden auf die Philosophie Nicolai Hartmanns. In der Darstellung von Konrad Lorenz gewann ich den Eindruck, dass N.Hartmann der Stellung des ‚Objekts‘ innerhalb des Denkens von vornherein mehr Gewicht verleiht als Husserl. Während Husserl gegen Ende seiner Pariser Vorträge große Probleme hat, dem ‚Objekt‘ innerhalb seines Denkens wieder eine angemessene Stellung zu verschaffen, nachdem er es zuvor weitgehend annulliert hatte, soll Hartmann nach Lorenz dem ‚Objekt‘ innerhalb des Denkens von vornherein eine sehr starke Stellung eingeräumt haben.

(5) Nach kurzer Recherche habe ich dann begonnen jenes Werk von Hartmann zu lesen, durch das er sich vom Idealismus einer Marburger Schule abgewendet haben soll, eben seine ‚Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis‘ [MdE] von 1929.

MdE – AUSGANGSPUNKT

(6) In der ‚gnoseologischen‘ Einleitung bezeugt Hartmann, dass er den Ausgangspunkt einer philosophischen Analyse analog zu Husserl in einer ‚phänomenologischen Analyse‘ des Gegebenen sieht. So schreibt er explizit „Nur das größtmögliche Maximum an Gegebenheit kann der wahrhaft kritischen Einstellung genügen, die bis hinter alle möglichen Standpunkte zurückgreift und auch gegen sie kritisch bleibt.“ (MdE,43). Und weiter „Der Phänomenologie müssen alle Phänomene als gleichwertig gelten. Für die Theorie können sie es nicht sein. Phänomenologie … steht ja nicht nur diesseits der Theorie, sondern diesseits aller Problemstellung. Ihre ganze Arbeit ist die Ordnung und Zusammenfassung des Gegebenen unter der Einheit deskriptiver Begriffe. Was sie als gegeben zusammenstellt, erhebt nicht den Anspruch auf objektive Realität, sondern nur auf Geltung als Phänomen. Und eben das Phänomen ist es, was die Theorie zu deuten hat.“ (MdE,43)

 

(7) Dieser Abschnitt enthält eine Reihe von wichtigen Begriffen, die innerhalb der Einleitung nicht wirklich erläutert werden, die aber dennoch Schlüsselbegriffe zu sein scheinen, die einen ‚Rahmen‘ aufspannen, innerhalb dessen sich alle weiteren Überlegungen bewegen werden.

(8) Ein erstes Gegensatzpaar bilden einerseits die ‚Phänomen als Gegebenes‘ und andererseits ein möglicher ‚Standpunkt‘, der von den gegebenen Phänomenen insoweit als ‚unabhängig‘ anzunehmen ist, als es offensichtlich mehr als einen einzigen Standpunkt zu den gleichen Phänomenen geben kann (andernfalls gäbe es eine denknotwendige Verbindung von gegebenen Phänomenen zu einem Standpunkt und eine Betonung auf die Phänomene ‚hinter allen möglichen‘ Standpunkten wäre unnötig). An dieser Stelle ist nicht ganz klar, was ein solcher ‚möglicher Standpunkt‘ unterschieden von gegebenen Phänomenen sein soll. Hartmann stellt nur fest, dass die Konzeption des ‚Standpunktes‘ auf der „letzten und abhängigsten“ Einsicht basiert, die vom „Ganzen der Problembehandlung“ abhängig ist (vgl. MdE, 43).

 

(9) Ebenso gibt es eine Unterscheidung zwischen gegebenen Phänomenen und einer ‚Theorie‘, von der gesagt wird, dass sie die Phänomene ‚deute‘. Was man sich genau unter ‚Theorie‘ oder unter ‚Deuten‘ vorstellen sollte, erklärt er auf den ersten 43 Seiten nicht). Man kann vermuten, dass es sich um eine von den gegebenen Phänomenen verschiedene Ebene des Denkens handeln kann, die durch Bereitstellung von eigenständigen Zusammenhängen diese Phänomene ‚deutet‘.

 

(10) Er spricht außerdem von ‚deskriptiven Begriffen‘, die dazu dienen, die gegebenen Phänomene Ph zu ‚Ordnen und Zusammenzufassen‘ bzw. ‚Zusammenzustellen‘. Was man sich unter ‚deskriptiven Begriffen‘ vorstellen soll bzw. wie man sich ein ‚Ordnen‘ und ‚Zusammenstellen‘ vorzustellen habe, wird nicht erklärt. Man kann spekulieren, dass ‚deskriptive Begriffe‘ B_des Ausdrücke einer Sprache L sind (B_des subset L), mittels deren Bezug genommen wird auf gegebene Phänomene als mögliche ‚Bedeutungsträger‘ D subset Ph (Designate, Bezeichnete, Signifie, …) M: L —> D. Es stellt sich dann die Frage, inwieweit solche deskriptiven Begriffe B_des selbst auch Phänomene sind/ sein müssen. Wären die Ausdrücke B_des Phänomene im Sinne Husserls, dann wären sie bar jeglicher Bedeutung D, da die Bedeutungsbeziehung M(L,D) als solche etwas ist, was weder einem Ausdruck B_des als solchem noch einem potentiellen Bedeutungsträger D als solchem zukommt. Die Bedeutungsbeziehung ist ein ‚eigenständig Gegebenes‘ als Eigenschaft unseres Bewusstseins, das wir ‚vorfinden‘. D.h. unser Bewusstsein ‚zeigt‘ uns, dass wir zwei unterschiedliche eigenständige gegebene Phänomene B_des_i und Ph_j über eine Bedeutungsbeziehung M() so miteinander verknüpfen können, dass ab einem bestimmten ‚Punkt‘ eine Bedeutungsbeziehung M(B_des_i, Ph_j) gegeben ist, durch die das Phänomen Ph_j zu einem ‚Designat‘ (zu einer Bedeutung) für das Phänomen B_des_i wird und umgekehrt das Phänomen B_des_i zu einem ‚Zeichen‘ für das Phänomen Ph_j. In diesem Zusammenhang könnte man die deskriptiven Begriffe dann ‚definieren‘ als solche ‚Zeichen‘, die in einer Bedeutungsbeziehung M() zu einem gegebenen Phänomen des Bewusstseins stehen. Sofern man solche deskriptiven Begriffe zur Kommunikation zwischen verschiedenen Bewusstseinen benutzen möchte müsste geklärt sein, wie es möglich ist, dass zwei verschiedene Bewusstseine A und B eine ‚hinreichend ähnliche‘ Bedeutungsbeziehung etablieren können, obschon weder A die Phänomene von B kennt noch B jene von A. Ferner wäre zu klären, ob und wie die Bedeutungsbeziehung M() in beiden Bewusstseinen ‚hinreichend ähnlich‘ ist bzw. sein kann.

 

(11) Schließlich bringt Hartmann den Begriff ‚objektive Realität‘ ins Spiel, und zwar als etwas, was außerhalb der phänomenologischen Analyse liegt. Phänomene sind zwar per se auch ‚real‘, aber nicht ‚objektiv‘. An dieser Stelle ist schwer ersichtlich, was mit einer Realität ‚außerhalb‘ der Phänomene des Bewusstseins gemeint sein kann, da ja nach allgemeiner Annahme alles, was wir wissen und wissen können nur durch die Vermittlung des Bewusstseins erkenntnismäßig fassbar wird.

 

MdE – SUBJEKT, OBJEKT, TRANSZENDENTAL

 

(12) Hartmann beginnt seine Analyse mit der Annahme, dass jegliche ‚Erkenntnis‘ geprägt ist von den unterscheidbaren Momenten ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘: das Subjekt ‚erfasst‘ das Objekt und das Objekt ist für das Subjekt ‚erfassbar‘. Diese Asymmetrie ist nicht ‚umkehrbar‘ bzw. nicht ‚vertauschbar‘. Hartmann spricht sogar davon, dass sich in diesem ‚Hinausgreifen des Subjekts‘ anzeigt, dass die Sphäre des Objekts für das Subjekt ‚transzendent‘ ist, da das Subjekt zum Erfassen des Objekts ’sich verlassen‘ (‚transzendieren‘) muss. Andererseits bedingt eine Objekt-Erkenntnis, dass das Subjekt im Erkennen nicht beim Objekt verbleibt, sondern trotz allem auch bei ’sich selbst‘ ist; dadurch nur ist ein Bewusst-sein-des-Objekts möglich. Schließlich gilt, dass innerhalb der durch das Erkennen zustande kommenden Verknüpfung von Subjekt und Objekt das Objekt ‚unaufhebbar erhalten‘ bleibt. (vgl. MdE, 44f,Nr.1-6)

 

(13) Wie so oft werden in diesem Buch Begriffe –hier ‚Subjekt‘ und ‚Objekt‘– eingeführt, die nicht weiter erklärt werden. Da es sich um komplexe Begriffe handelt, denen allem Anschein nach eine zentrale Rolle zukommt, ist dies ein wenig befremdlich. Andererseits ist aus dem Bereich der modernen Theoriebildung bekannt, dass man innerhalb eines theoretischen Gefüges ‚theoretische Terme‘ einführen kann, deren Bedeutung nur durch ihre logische Funktion im Gesamtkontext gegeben ist. Angenommen, dass es sich bei den Begriffen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ um solche theoretischen Begriffe handelt, dann müssen wir ihre Bedeutung durch den ‚Kontext ihrer Verwendung‘ erschließen. Dabei sollte man bedenken, dass moderne Theorien formale Theorien sind, in denen der Kontext eindeutig gegeben ist. Davon kann hier nicht die Rede sein. Gegen diese Interpretation als ‚theoretische Terme‘ spricht auch, dass Hartmann ja gerade zuvor eine deutliche Abgrenzung zwischen einer ‚phänomenologischen Analyse mittels deskriptiver Begriffe‘ einerseits und möglichen ‚deutenden Theorien‘ andererseits gefordert hat. In diesem Sinne würde man erwarten, dass er hier nicht mit theoretischen Begriffen operiert, sondern mit deskriptiven. Deskriptive Begriffe sollten sich dann aber auf jene Phänomene beziehen, von deren Gegebenheiten wir ausgehen. Nehmen wir dies als Deutungshypothese an, dann müssten wir fragen, auf welche Phänomene beziehen sich die deskriptiven Begriffe ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘?

 

(14) Husserl hatte den Begriff des ‚transzendentalen ego‘ eingeführt, um den nicht weiter aufzeigbaren ‚Fluchtpunkt‘ allen Wissens um etwas zu benennen. Descartes hatte in der Formulierung des ‚cogito ergo sum‘ ein ‚ego‘ impliziert, das als solches kein Phänomen ist wie ein Phänomenkomplex ‚Stuhl‘, ‚Hund‘, ‚Hand‘ usw. Das ‚wissende ego‘ wurde sowohl von Descartes wie auch Husserl als Bedingung jeglicher Erkenntnis geortet –und insofern von Husserl als ‚transzendental‘ bezeichnet–, aber eben nicht vergleichbar jenen Phänomenkomplexen, die gewöhnlicherweise das ‚Etwas‘ im Erkennen markieren, den intentionalen Gegenstand. Nehmen wir einmal an, Hartmann meint mit ‚Subjekt‘ in diesem Kontext das, was Husserl ‚transzendentales ego‘ nannte und Descartes implizit mit seinem ‚cogito ergo sum‘ meinte. Dann könnte man annehmen, dass Hartmann vielleicht mit ‚Objekt‘ all jene Phänomenkomplexe meint, die in der Erkenntnisbeziehung dem transzendentalem ego als ein ‚Etwas‘ gegenübertreten.

 

(15) Mit dieser Interpretation könnte man dann formulieren, dass das in der Erkenntnisbeziehung aufscheinende ‚Etwas‘ als Gegenüber zum transzendentalen ego weder durch das transzendentale ego ‚hervorgebracht‘ wird noch im Erkennen vom transzendentalen ego ‚absorbiert‘ wird. Innerhalb der Erkenntnisbeziehung ist ein mögliches ‚Objekt‘ als ein Etwas der Erkenntnis gegenüber dem erkennenden transzendentalem ego gleichberechtigt und damit dann auch transzendental; es bildet eine Voraussetzung der Erkenntnis, die das transzendentale ego nicht selbst hervorbringt, sondern vorfindet. Gerade darin liegt ja auch irgendwie der Reiz des Erkennens; es hat fundamental den Charakter des ‚Vorfindens‘, ‚Entdeckens‘, ‚Begegnens‘ mit etwas Verschiedenem, Anderem. Strenggenommen geht aber eine Qualifizierung von etwas Gegebenem als ‚transzendental‘ über die phänomenologische Analyse schon hinaus. Zwischen ‚Objekt‘ und ‚Subjekt‘ zu unterscheiden macht Sinn, da sich hier unterschiedliche Eigenschaften im gegebenen Phänomen einer Beschreibung ‚aufdrängen‘. Diese Beschreibungen weiter zu analysieren hinsichtlich logischer Verhältnisse gehört eigentlich schon in den Bereich einer möglichen Theorie.

 

MdE – BILD DES OBJEKTS

(16) An dieser Stelle trifft Hartmann eine Entscheidung von großer Tragweite. Er schreibt „Das Einholen des Erfaßten bedeutet nicht ein Einholen des Objekts in das Subjekt, sondern nur die Wiederkehr der Bestimmtheiten des Objekts an einem inhaltlichen Gebilde im Subjekt, dem Erkenntnisgebilde, oder dem ‚Bilde‘ des Objekts…. Am Objekt entsteht nichts Neues, im Subjekt aber entsteht das Gegenstandsbewußtsein mit seinem Inhalt, dem ‚Bilde‘ des Objekts.“ (MdE, 5, Nr.7). Auf den ersten Blick verletzt er mit dieser Feststellung seine eigenen methodischen Forderungen. Wenn es nicht das Objekt selbst ist, was im Erkennen aufscheint, sondern nur ein ‚Bild‘ von dem Objekt, dann gehört das vorausgesetzte Objekt nicht zu den Phänomenen. Dann aber liegt es außerhalb der von ihm selbst postulierten deskriptiven Phänomenologie. Bestenfalls könnte es Gegenstand einer theoretischen Diskussion sein, die sich um eine angemessene theoretische Deutung des phänomenologischen Sachverhalte bemüht. Innerhalb einer deskriptiven Phänomenologie habe ich aber nur jene Phänomene, die tatsächlich innerhalb des Erkennens aufscheinen. Lässt sich der Begriff des ‚Objekts‘ wie vorher angesprochen einigermaßen deuten als typische Phänomenkomplexe, die innerhalb des Erkennens als ‚Etwas‘ aufscheinen, entzieht sich der Begriff eines ‚Objekts als dem Erkennen jenseitig‘, verstanden als ‚Objekt als solches‘, jeglicher Phänomenologie; dies ist mehr als transzendent und daher –in diesem Kontext– rational nicht nachvollziehbar.

(17) Hartmann scheint sich dieser Problematik bewusst zu sein. Er führt nämlich dann die Unterscheidung zwischen ’schlichter, unreflektierter Erkenntnis‘ ein und solcher Erkenntnis (MdE. 45), in der ein Moment von ‚Reflexion‘ vorkommt; letztere aber noch unterschieden von einer vollständigen ‚Theorie‘ (MdE,46). Die schlichte, naive, unreflektierte Erkenntnis kann nach ihm nicht unterscheiden zwischen dem ‚Objekt als solchem‘ und dem ‚Bilde des Objektes‘. Erst in Verbindung mit Reflexion lassen sich die ‚Bestandteile des Phänomens aufzeigen‘, bewusst machen. Die hier notwendige Reflexion ist noch nicht die Theorie, aber doch die Voraussetzung einer möglichen Theorie. Aufgrund ihrer Unterscheidung kann eine Theorie entstehen. Zugleich stellt er fest, dass eine schlichte, naive Erkenntnis im Alltag niemals isoliert auftritt sondern immer schon eingebettet in ein alltägliches ‚Meinen über das Erfasste‘, das direkt in das Erfasste ‚hineininterpoliert‘ ist (vgl. MdE, 46).

(18) Selbst wenn man Hartmann zustimmt, dass das alltägliche Erkennen eine beständige Mixtur von phänomenologischen Sachverhalten, vorgefertigten Interpretationen in Form von Meinungen und andauernden Reflexionen ist, so kann und muss man sich fragen, warum er zuvor so klare methodische Unterscheidungen aufstellt, wenn er sie dann doch nicht –mit Verweis auf eine vorphilosophische, davon abweichende Praxis– dann noch nicht selbst beherzigt?

 

(19) Nach diesem Einschub mit ’naiver‘ versus ‚reflektierender‘ Erkenntnis wiederholt er dann seine These „Es ist der Gegenstand nicht wie er an sich ist, sondern wie er gesehen, erfaßt oder gemeint ist. Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ (MdE,46) Und, etwas später „…Dieses Etwas nun,als welches er vorkam oder vorschwebte, ist offenbar weder der Gegenstand selbst noch auch das Subjekt, sondern ein von beiden unterschiedenen Drittes, das in die Erkenntnisrelation eingeflochten ist. Es ist das, was man die ‚Vorstellung‘ des Gegenstandes genannt hat.“ (MdE, 46f)

 

(20) Entscheidend ist hier der Satz „Zum Bewusstsein kommt dieser Unterschied wo erneutes Erfassen zu erstmaligem Erfassen in inhaltlichen Gegensatz tritt.“ Dieser Satz setzt voraus, dass es beim Erfassen eine Unterscheidung von ‚Vorher – nachher‘ gibt

also eine Art Folge von Erfasstem <Erf_1, Erf_2, …, Erf_n>

und dass die inhaltlichen Eigenschaften von etwas Erfassten Erf_i und Erf_i+1 vergleichbar sind, mindestens im Sinne von ‚gleich’/ ‚ungleich‘, also

comp(Erf_i, Erf_i+1) = 1, wenn ‚gleich‘ und =0, wenn ‚ungleich‘.

Eine solche komplexe Operation setzt voraus, dass es ein minimales Gedächtnis (Memory) gibt, das in der Lage ist, ‚vorausgehende‘ Erfassungen soweit zu speichern, dass ein Vergleich mit ’neuem‘, ‚aktuellem‘ Erfassten möglich ist. Sagen wir, dass die zu vergleichenden Gebilde Erf_i und Erf_i+1 auf der ‚gedanklichen Ebene‘ Level_k liegen, dann operiert der Vergleich auf einer höheren Ebene Level_k+1. Auf dieser höheren Ebene Level_k+1 ließe sich dann eine Art ‚Metakonzept‘ MK(Erf_i, Erf_i+1) bilden, in dem Gemeinsamkeiten und Unterschiede repräsentiert werden könnten (Anmk: in der kognitiven Psychologie gibt es zahlreiche Modelle, wie man solche begrifflichen Strukturen beschreiben könnte). Die ‚Vorstellung‘ bzw. das ‚Bild‘ eines Objektes wäre in dieser theoretischen Rekonstruktion dann eine aktuelle ‚Instanz‘ (Erf_i) eines abstrakten ‚Objektkonzeptes‘ (MK()), das sich anhand der vielen individuellen Instanzen langsam ‚bilden‘ würde. Das ‚Objekt an sich‘ wäre dann ein theoretisches Konstrukt auf der Basis der phänomenalen Ereignisse. In diesem Modell könnt man zum Level_k+1 einen weiteren Level_k+2 bilden. Auf diesem Level könnte man dann Eigenschaften von Objektkonzepten modellieren, z.B. dass ein Objektkonzept ‚unabgeschlossen‘ ist, d.h. ein Objektkonzept kann sich grundsätzlich verändern, weiter entwickeln (Anmk: dieses Modell wurde schon anlässlich der Diskussion von Husserls Cartesiansichen Meditationen beschrieben. Würde man es akzeptieren, dann würden sich hier Husserl und Hartmann bis zu diesem Punkt nicht wirklich unterscheiden).

 

(21) Für Hartmann ist es wichtig, zu betonen, –hier Fichte positiv zitierend– „Erkenntnis ist Bestimmung des Subjekts durch das Objekt“. (MdE,47) Und „Das Subjekt verhält sich in der Erkenntnisrelation prinzipiell rezeptiv zum Objekt“. (MdE,48) Obgleich wir heute wissen (und in anderem Zusammenhang geht Hartmann selbst darauf ein), dass das Subjekt sehr wohl das Aufscheinen von Objekten in seinem Bewusstsein so manipulieren kann, dass das, was aufscheint, mit ‚unabhängig vom Bewusstsein existieren Objekten‘ wenig bis gar nichts mehr zu tun hat (Selbsttäuschung, Wahn, Lüge, Propaganda, Desinformation, Fantasie, Virtuelle Welten,…), kann man zustimmen, dass dort, wo das Subjekt in einer ’nicht manipulierten Umgebung‘ lebt, das im Bewusstsein Erfasste Eigenschaften ‚von Etwas jenseits des Bewusstseins‘ transportiert, die die Gestalt des Bewusstseins ‚prägen‘ können. In gewisser Weise folgt dann das Bewusstsein dem Objekt anhand des postulierten Gedächtnisses.

 

MdE – A POSTERIORI, A PRIORI

(22) Hartmann führt dann auch noch die Unterscheidung ‚a posteriori‘ und ‚a priori‘ ein. ‚A posteriori‘ nennt er alles Erfassen, bei dem das Erkennen sich auf einen ‚realen Einzelfall‘ bezieht. (cf. MdE,50). Alles Erfassen, bei dem ein realer Einzelfall nicht vorliegt und eine Erkenntnis aufgrund des ‚allgemeinen Wesenszuges‘ des Gegenstandes, aufgrund seines ‚idealen‘ Seins, möglich ist, nennt er ‚a priori‘. (vgl. MdE, 50).

 

(23) Auf den ersten Blick bieten diese Begriffsdeutungen zum Vorausgehenden kein Problem, da Metakonzepte als solche immer Möglichkeiten bieten, allgemeine Aussagen über ein Erfasstes zu machen, ohne dass dieses als Instanz gegeben ist. D.h. das ‚A priorische‘ wäre in diesem Modell indirekt gegeben durch die sich herausbildenden Strukturen im Bereich der Metakonzepte. Es ist aber nicht ganz klar, ob Hartmann nicht doch noch etwas anderes, und sogar ‚mehr‘ meint, wenn er diese Begriffe benutzt.

(24) So spricht er vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn und zitiert Kant mit dem Gedanken, „… dass er das eigentliche Erkenntnisphänomen des Apriorischen in seiner ‚objektiven Gültigkeit‘ erblickt, d.h. im Zutreffen des innerlich Erschauten auf den transzendenten Gegenstand.“ (MdE, 51). Im vorausgehenden Modell könnte man zwar ein entstehendes Metakonzept immer wieder neu mit dem aktuell Erfassten vergleichen und im Falle der ‚hinreichenden Ähnlichkeit‘ dies als ‚Bestätigung‘ mit der ‚transzendentalen Quelle‘ interpretieren, unabhängig von den Metakonzepten macht es aber keinen rechten Sinn, von einem ‚transzendenten Objekt‘ zu sprechen, da hierfür jeglicher Ansatzpunkt fehlt. Man kann sich zwar vorstellen, dass man die Erkenntnisebenen Level_k+2 weiter ausdehnt und z.B. ein umfassendes Metakonzept bildet, in dem das Konzept (die Idee?) eines Raumes formiert wird, in der das Bewusstsein als ein Element vorkommt, das von hypothetischen Objekten beeinflusst werden kann. Dies wären dann Konzepte möglicher transzendenter Objekte, aber diese Metakonzepte selbst wären natürlich keine transzendenten Objekte. Es ist schwer zu sehen, wie Hartmann diese Rede von transzendenten Objekten im Rahmen der menschlichen Erkenntnis rechtfertigen kann. Auch die Rede vom ‚äußeren‘ und ‚inneren‘ Sinn ist problematisch. Wenn das Subjekt über phänomenologische Komplexe sowie darauf aufbauende Metakonzepte nicht hinauskommt, wie kann er dann in einem absoluten Sinne von ‚Außen‘ versus ‚Innen‘ sprechen? Bislang wäre eine Reden von ‚Außen‘ nur in einem abgeleiteten Sinne innerhalb der Metakonzeptbildung möglich.

 

(25) Hartmann hält diese Mehrdeutigkeit eine Zeitlang noch in der Schwebe, da er für den Bereich des Erkennens (die gnoseologische Sicht) eine letzte Unabhängigkeit von Subjekt und Objekt voneinander ausschließt (vgl. MdE, 51-53), formuliert aber so, dass mit Blick auf eine ontologische (die Existenz betreffende) Sicht ein An-sich-sein postuliert, von dem aus das Objekt vom Subjekt unabhängig ist und in diesem Sinne wahrhaft ‚transzendent‘ und nicht nur ‚transzendental‘. Ferner schließt er in ontologischer Sicht nicht aus, dass auch das Subjekt ‚mehr‘ ist als nur Erkennen. (vgl. MdE, 52f)

 

(26) Ein solcher ‚Flirt‘ mit einer ontologischen Sicht mag ’nett‘ wirken, ist aber letztlich ‚unseriös‘, wenn darauf verzichtet wird, heraus zu arbeiten, wie es möglich ist, auf der Basis einer gnoseologischen (strikt an der Erkenntnis orientierten) Sicht zu ontologischen Aussagen zu kommen, die deutlich mehr Informationen enthaltenen, als die Erkenntnisbasis hergibt. Ich sehe in dem Text soweit bislang keinerlei Ansatzpunkt, wie Hartmann seine ontologischen Deutungen rechtfertigen könnte.

 

MdE – HANDLUNG

(27) Hartmann weist kurz darauf hin, dass das Subjekt durch sein ‚Handeln‘ sehr wohl auch das Objekt verändern könne. (vgl. MdE, 53f). Er gibt hier aber weiter keine Erläuterungen. Dies wäre aber sinnvoll, da das Reden von ‚Handlungen des Subjekts, die das Objekt verändern‘ phänomenologisch alles andere als einfach ist. Allein der saubere Aufweis, wie man begrifflich beschreiben sollte, dass ein Subjekt ‚Aktivitäten‘ ‚plant/ intendiert/ will…‘, diese dann ‚umsetzt‘, die ‚Wirkung‘ dieses seines ‚Handelns‘ erfassen kann als sein eigener Beitrag zur Veränderung des erfahrbaren Objektes ist maximal komplex und ist nach meiner Kenntnis bis heute von niemandem auch nur annähernd geleistet worden. Dies reisst eine gewaltige Lücke in die philosophische Reflexion um das Verhältnis von Subjekt und Objekt.

 

MdE – VARIABLES OBJEKT

(28) Oszillierend zwischen Gnoseologie und Ontologie kreist Hartmann beständig um die Differenz von aktuell erkanntem Objekt und dem allgemeineren Konzept, das sich aus vielen konkreten Ereignissen herausbilden kann. Er selbst neigt dazu (mit Anlehnung an eine nicht begründete Ontologie) diese Differenz interpretierend auszuweiten auf ein Objekt an sich, auf ein wahrhaft transzendentes Objekt, auf ein ‚Transobjektives‘. (MdE, 54) Und er nimmt an, dass das Subjekt von dieser Inadäquatheit zwischen realisiertem und transzendentem Objekt wissen kann, ein ‚Wissen des Nichtswissens‘. (MdE, 54). Daraus leitet Hartmann ein Bewusstsein der ‚Beschränkung‘ her, das zu einem Spannungsmoment wird, welches wiederum den Erkenntnisprozess als Progreß antreibt. (vgl. MdE, 55)

 

(29) Diese schon eher psychologisch anmutenden Spekulationen zeigen, was passiert, wenn man die Bedingungen der Aussagen nicht mehr sauber kontrolliert. Im Rahmen des Erkenntnisprozesses gibt es kein ‚Objekt an sich‘ als ‚transzendierendes‘ Objekt. Wohl lässt sich vorstellen, wie man mit Hilfe von Erkenntnisebenen unterschiedliche Abstraktionsebenen konstruieren kann, die unter Einbeziehung eines –noch näher zu beschreibenden– Gedächtnismodells aus einem Strom von Einzelereignissen abstrakte Konzepte bilden können, die sich durch eine Kontrolle möglicher Übereinstimmungen als abstrakte Metakonzepte etablieren können, mit deren Hilfe das Subjekt seine Orientierung in der Flut der Phänomene verbessern kann. Als Metakonzept lassen sich auch Eigenschaften wie die ‚Unabgeschlossenheit eines Konzeptes‘ bilden, die wiederum die Ausarbeitung einer Strategie erlauben würde, mit Unabgeschlossenheit umzugehen, aber dieser Mechanismus könnte seine eigenen immanenten Beschränkungen nicht vollständig überwinden. Das ‚Objekt an sich‘ bleibt wesentlich unerreichbar. Eine Konsequenz davon ist, dass das subjektive Wissen wesenhaft unabgeschlossen ist und von daher der Strom der Phänomene einen hohen Informationswert besitzt; alles, was ‚abweicht vom Bekannten‘ kann extrem bedeutsam sein.

(30) Erkennen bleibt für ein Subjekt eine zentrale Aufgabe, da das Wissen ‚um das mögliche Ganze‘ ‚verpackt‘ ist im Strom der Phänomene. Das einzelne Subjekt kann nur in der Gemeinsamkeit aller Phänomene die mögliche umfassende ‚wahre‘ Antwort finden. Kein einzelnes menschliches Subjekt kann die Wahrheit des potentiellen Ganzen alleine vorweg nehmen. Die ‚Neugierde‘ wird von Hartmann psychologisch gedeutet als verursacht aus der anhaltenden Differenz, aus dem Wissen des Nichtwissens. Evolutionär-Philosophisch gibt es Hinweise, dass das nackte Überleben eines Organismus von einer immer besseren ‚Anpassung‘ des gesamten Organismus an das vorgegebene ‚universale Objekt‘ Welt – Sonnensystem – Universum abhängt, d.h. unser gesamter Organismus ist so ausgelegt, dass er kontinuierlich auf ein ‚Begreifen des Ganzen‘ ‚programmiert‘ ist, unabhängig vom ‚Wollen‘ eines einzelnen. Der einzelne kann sich allerdings verweigern.

 

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LITERATURVERWEISE

Hartmann, N. “ Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis“, Berlin: Walter de Gruyter & Co, 5.Aufl. 1965 (Erstausgabe 1929).