Archiv der Kategorie: Veränderungen erfassen

Genom – Kultur – (Evolution —> Evolution 2.0)

In dem vorausgehenden Text „WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘“ wurde sichtbar gemacht, dass die verschiedenen Phasen der bisherigen Evolution des Lebens auf dem Planet Erde unmissverständlich eine deutliche Beschleunigung erkennen lassen, die zudem einhergeht, mit einer Zunahme der Komplexität biologischer Strukturen. Ein Kandidat, der in diesem Prozess anwachsender Komplexität real hervortritt, ist die Lebensform des ‚Homo sapiens‘. In diesem Text wird die Besonderheit des Homo sapiens ein wenig genauer betrachtet, aber nicht ‚isoliert‘, sondern als ‚genuiner Teil des gesamten Lebens‘. Dadurch wird eine Dramaturgie in Umrissen sichtbar, die viele Fragen ermöglicht, die in eine mögliche Zukunft der Evolution des Lebens deuten, anders als es bislang thematisiert wurde.

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Datum: 18.April 2025 – 24.April 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Eine englische Version findet sich HIER.

GENE ODER UMWELT?

So — oder so ähnlich — lautete viele Jahrzehnte die Überschrift über eine intensive Diskussion, wodurch das Verhalten von Menschen im Alltag und dann auch im weiteren Verlauf stark geprägt wurde.

Dass ‚Gene‘ verantwortlich gemacht werden können für bestimmte ‚Verformungen des Körpers‘ (oft als ‚Missbildungen‘ empfunden), für bestimmte Krankheiten, für besondere ‚Begabungen‘ wird heute vielfach angenommen. Gleichzeitig wurde aber auch immer wieder betont, dass die jeweilige Umwelt, in der ein Mensch lebt, aufwächst, und arbeitet einen Einfluß auf sein Verhalten, auf seine Persönlichkeit haben kann.

Die Forschungsergebisse der neueren ‚Soziogenomik‘ [1] wirken in diesem Meinungskonflikt eher versöhnlich: anhand vieler Experimente und Untersuchungen findet sich hier die Arbeitshypothese, dass bestimmte ‚Gene‘ (Bestandteil des umfaassenden ‚Genoms‘ eines Menschen) zwar eine Art ‚Potenzial‘ für eine höhere Wahrscheinlichkeit des Auftretens von bestimmten Verhaltensweisen mit sich bringen, dass die tatsächliche ‚Verwirklichung‘ dieses Potentials dann aber sehr wohl von der Beschaffenheit der Umwelt abhängig sind. Krass ausgesprochen: ein hohes musikalisches Potential wird nicht zur Wirkung kommen, wenn das Kind in einer gesellschaftlichen Situation von großer Armut, Kinderarbeit, Kindersoldaten und Ähnlichem aufwachsen muss. Umgekehrt kann aber die gezielte Förderung von Musikalität bei einem Kind zu einer besonderen Förderung der Fähigkleiten beitragen, zugleich aber auch — möglicherweise — auf Kosten der Unterdrückung vieler anderer Fähigkeiten, über die das Kind auch noch verfügt.

[1] Artikel von Dalton Conley, „A New Scientific Field Is Recasting:
Who We Are and How We Got That Way“, 13.März 2025, New York Times, https://www.nytimes.com/2025/03/13/opinion/genetics-nature-nurturesociogenomics.html . Dazu das Buch von Dalton Conley: „THE SOCIAL GENOME: The New Science of Nature and Nurture“, 18.März 2025 , WW Norton – Penguin Random House

Eine weitergehende Betrachtung kann zu weiteren Aspekten führen, die geeignet erscheinen, die ganze Diskussion in eine gänzlich andere Sicht zu leiten.

Weiterhin eher Black-Box?

Was wir in der Diskussion vorfinden sind die beiden Größen ‚Gene‘ als Teil des Menschlichen Genoms und ‚kulturelle Muster‘, die im Alltag als wirksam angenommen werden.

Klar ist, dass die Gene des Genoms nicht direkt mit den kulturellen Mustern des Alltags interagieren. Wir wissen so viel, dass Gene auf höchst komplexe Weise Teile des Körpers und verschiedene Teile des Gehirns beeinflussen. Man kann aber nicht sagen, dass dieses Wechselspiel zwischen Körper und Gehirn unter Einfluss der Gene hinreichend aufgeklärt ist. Für den Start macht es daher vielleicht Sinn, den Körper – trotz des Wissens, welches wir schon haben – als eine ‚Black Box‘ zu betrachten, die mit der konkreten realen Umgebung in Interaktion tritt. Nennen wir einen menschlichen Akteur mit seinem Genom dazu vorläufig einen ‚Black-Box Akteur‘ – kurz: BBActor –.

Menschliche Akteure sind aber über die Umwelt selbst wieder Teil anderer menschlicher Akteure. Es wird angenommen, dass das beobachtbare Verhalten eines menschlichen BBActors von unterschiedlichen ‚kulturellen Mustern‘ beeinflusst wird, welche sich in ‚Form von Regeln‘ auf das konkrete Verhalten auswirken können. Dies führt zu einer Vielzahl von Perspektiven:

(1) VIELFÄLTIGE UMGEBUNGEN : Aufgrund der großen Bandbreite an kulturellen Mustern in einer Gesellschaft können die gleichen Aktionen eines BBActors völlig verschiedene Reaktionen auslösen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine besondere genetische Disposition von der Umgebung gefördert wird, hängt daher sehr stark von der Umgebung ab (Krieg, Kinderarbeit, große Armut, religiöse Anschauungen mit einer Vielzahl von Verboten, destruktive Verhaltensweisen, …)

(2) PERSÖNLICHKEIT : Ein Verhalten, welches Kindern und Jugendlichen mittelfristig hilft, zu einer ‚Persönlichkeit‘ heran zu wachsen, besteht zudem in der Regel aus verschiedenen ‚Bündeln unterschiedlichster Verhaltensweisen‘, die zusammen eine Art ‚Profil‘ bilden, welches nur begrenzt statisch ist. Diese wechselwirkenden Faktoren in verschiedenen Umgebungen müssen über viele Jahre hin wirksam sein , um ‚konstruktive‘ und ‚stabile‘ ‚innere Verhaltensmodelle‘ entstehen zu lassen.

(3) SOZIAL : Ein wichtiger Teil stabilisierender Faktoren gehört zum großen Komplex ‚sozialer Verhaltensweisen‘ und ‚sozialer Gruppen‘, denen sich ein BBActor ‚zugehörig fühlt‘ und in denen er auch ‚positiv akzeptiert‘ wird. Solche sozialen Beziehungen brauchen kontinuierliches Engagement über viele Jahre.

Soweit die individuelle Perspektive.

Wie hängt diese mit dem größeren Ganzen der Evolution zusammen?

Klar ist, dass jedes einzelne biologische System — und damit auch ein Mensch — vollstänig Teil des gesamten Lebens ist, dass in jedem Augenblick Veränderungen unterworfen ist, die in ihrer Summe das repräsentieren, was wir ‚(biologische) Evolution‘ nennen.

Evolution —> Evolution 2.0 (Evo2)

Mit dem Auftreten des Homo sapiens hat sich die Situation des Lebens auf dem Planet Erde allerdings grundlegend geändert, so sehr geändert, dass wir von einer ‚Evolution 2.0 (Evo2)‘ sprechen sollten.

Die Beschreibung von Evo2 kann hier nur als grobe konzeptuelle Skizze stattfinden, da die Komplexität von Evo2 sehr hoch ist; man benötigt aber eine ‚grobe Idee‘ zu Beginn, um sich nicht von Beginn an in den vielen Details zu verlieren. Außerdem finden sich aktuell in der wissenschaftlichen Diskussion nahezu keine Dialogansätze, um das hier im Fokus stehende Evo2-Konzept ausführlich zu schildern.

Falls die Grundidee des Evo2-Konzepts stimmt, wird aber kein Weg daran vorbeiführen, dieses Konzept zur allgemeinen Grundlage für mögliche Planungen und Ausgestaltungen für die Zukunft zu benutzen.

Logik des Alltags

Wenn man die Evolution ’seit dem Auftreten des Homo sapiens‘ neu ‚Klassifizieren‘ möchte als ‚Evo2‘, dann benötigt man hinreichend viele ‚Eigenschaften‘, die man in Verbindung mit dem Auftreten des Homo sapiens erkennen kann als solche, die es so ‚vorher‘ noch nicht gegeben hat.

Hier einige solcher Eigenschaften, die vom Autor identifiziert werden, eingebettet in angedeuteten Beziehungen, die später konkreter ausgeführt werden müssen.

  • ABSTRAKTION : Auffällig ist, wie leicht ein HS verschiedene ‚einzelne Phänomene‘ in einem ‚abstrakten Konzept‘ ‚zusammenfassen kann‘. So kann ein abstraktes Konzept wie ‚Baum‘ nicht nur viele verschiedene Arten von Bäumen ‚meinen‘, sondern einem Baum können ‚beliebig viele Eigenschaften‘ zugeordnet werden. Und ein abstraktes Konzept kann selbst wieder Element für ein ’noch abstrakteres Konzept‘ werden, z.B. können viele Bäume unter dem Konzept ‚Wald‘ versammelt werden. Denkt man in den Kategorien ‚Element‘ und ‚abstraktes Konzept‘, dann bilden abstrakte Konzepte eine ‚Meta-Ebene‘ und die zugehörigen Elemente eine ‚Objekt-Ebene‘. Und da ein HS offensichtlich Elemente einer Meta-Ebene zu einer ‚Objekt-Ebene‘ ‚höherer Stufe‘ machen kann, indem er einfach eine neue ‚Meta-Ebene‘ einführt, erscheint dieser ‚Mechanismus der Objekt-Meta-Ebenen‘ wie eine Art ‚Fahrstuhl in die Abstraktheit‘, für die es keine festen Grenzen zu geben scheint.
  • ZEIT ALS VERÄNDERUNG : Der HS verfügt über die Fähigkeit, ‚Veränderungen‘ zu erfassen. Veränderungen implizieren ein ‚Vorher‘ und ein ‚Nachher‘. Indirekt manifestiert sich in dieser ‚Vorher-Nachher-Struktur‘ das Phänomen der Zeit‘. Zeit erscheint damit als eine Art ‚Meta-Eigenschaft‘ von jeglicher Art von Veränderung. Sie lässt sich begreifen als eine ‚lineare Struktur‘, auf der ein ‚Nachher‘ wieder zu einem ‚Vorher‘ von einem anderen nachfolgenden ‚Nachher‘ werden kann. Diese Linearität hat zur Konstruktion von ‚Zeitmaschinen (Uhren)‘ geführt, die in regelmäßigen Abständen ‚Ereignisse‘ erzeugen, die man ‚Zeitpunkte‘ nennen kann, und die sich mittels ‚Zahlzeichen‘ quantitativ als ‚Zeitpunkte‘ in einer Weise benutzen lassen, wodurch man den Begriff der ‚Zeitdauer‘ bilden kann. Die Zuordnung von ‚realen Ereignissen‘ zu ‚abstrakten Zeitpunkten‘ bildet ein grundlegendes Instrument zur ‚Vermessung der Welt‘.
  • RAUM-STRUKTUR : Der HS mit seinem eigenen Körper in der Welt verfügt über eine Art von Wahrnehmung, in der ‚alles Wahrnehmbare‘ in einer ‚räumlichen Anordnung‘ erscheint. Es gibt ‚viele einzelne Phänomene‘ angeordnet in einer ‚Menge‘, die indirekt (wie bei der Zeit) eine ‚Fläche‘ oder gar einen ‚Raum‘ manifestieren. Durch das ‚Vorkommen in einem Raum‘ gibt es ‚räumliche Beziehungen‘ wie ‚oben – unten‘, ‚davor – dahinter‘, ‚kleiner – größer‘ usw.

Diese Meta-Eigenchaften wie ‚Raum, Zeit und Abstraktion‘ bilden eine Art ‚Koordinatensystem‘, welches dem HS erlaubt, die Gesamtheit seiner ‚Außenwelt-Wahrnehmung‘ in einer ‚Struktur‘ zu ‚ordnen‘, die ihm die ‚äußere Welt‘ in einer ‚vereinfachten Darstellung‘ ‚verfügbar‘ macht. (Anmerkung: besonders die beiden ‚Koordinaten Raum und Zeit‘ finden sich mit anderen Bezeichnungen und in einem anderen Setting schon bei Kant in seiner ‚Kritik der reinen Vernunft‘ von 1781/1789).

Ergänzend zur Erfassung der Meta-Eigenschaft der Zeit besitzt der HS aber auch noch folgende Fähigkeit:

  • MÖGLICHE VERÄNDERUNG (ZIEL(e)) : Die Fähigkeit, ‚Veränderungen‘ in einer Struktur von ‚Vorher‘ und ‚Nachher‘ zu erkennen, wird beim HS noch ergänzt um die Fähigkeit, ‚künstliche Nachher‘ zu einem ‚Vorher‘ zu generieren. Ob man diese Fähigkeit nun ‚Vorstellen‘ nennt, ‚Denken‘ oder irgendwie mit ‚Kreativität/ Fantasie‘ umschreibt, Fakt ist, ein HS kann die ‚real erlebte Kette von Ereignissen‘ auch in Form einer ‚Kette von bloß vorgestellten Ereignissen‘ generieren. Sofern diese ‚vorgestellte Kette von Ereignissen‘ sich auf ‚mögliche reale Ereignisse‘ beziehen lässt, die aufgrund von ‚möglichen Veränderungen stattfinden‘ können, erlauben solche ‚vorgestellten Ereignisketten‘ eine Art von ‚Planung‘ dafür, dass man ‚Heute planen‘ kann, was ‚Morgen‘ dann vielleicht ‚der Fall sein sollte‘. Dasjenige, was in dieser Kette dann ‚der Fall sein sollte‘ wäre dann so eine Art ‚Ziel‘: ein Zustand, den man ‚erreichen‘ möchte. Offensichtlich kann ein HS sich solche ‚möglichen Ziele‘ auch vorstellen, bevor er eine ‚Kette von möglichen Ereignissen‘ konstruiert hat. In diesem Fall kann die ‚Vorgabe eines Zieles‘ dazu anzuregen, eine ‚Kette von möglichen Ereignissen‘ zu konstruieren, die ein ‚zunächst bloß vorgestelltes Ziel‘ erreichbar erscheinen lässt.

Soweit erste Grundelemente einer ‚Logik des Alltags‘.

Diese, allein für sich genommen, können allerdings noch nichts bewirken. Dazu braucht es noch mehr. Der HS verfügt über dieses ‚Mehr‘.

Kommunikation und Kooperation

Über welche ‚inneren Zustände‘ ein HS auch verfügt, solange er diese inneren Zustände — oder zumindest Teile davon — nicht mit anderen Menschen ‚teilen‘ kann, bleibt ein HS ein ‚isolierter Körper‘ in Raum und Zeit, der mit niemandem kooperieren kann.

  • KOOPERATION : Zur Kooperation gehört, dass ein einzelner HS sich mit beliebigen anderen Menschen über ‚Ziele‘ verständigen kann, die erreicht werden sollten, und über die ‚Prozesse‘, die gemeinsam durchlaufen werden müssten, um die Ziele einzulösen. Der Begriff ‚Kooperation‘ ist in diesem Zusammenhang auch ein ‚Meta-Konzept‘, welches sehr viele — nicht gerade ‚einfache‘ — Eigenschaften zusammen fasst.
  • SYMBOLISCHE SPRACHE : Ein Standardmittel zur Ermöglichung von ‚Kooperation‘ besteht darin, einen ‚Austausch‘ von ‚Zeichen‘ zu organisieren, der so ist, dass die ‚verwendeten Zeichen‘ mit einer ‚Bedeutung‘ korrelieren, die beim ‚Sprecher (Schreiber)‘ wie beim ‚Hörer (Leser)‘ ‚annähernd gleich‘ sind. Ist dies der Fall, dann kann z.B. ein HS von bestimmten ‚Pflanzen‘ sprechen, die ‚gefunden‘ werden sollen, und ein anderer HS ‚versteht‘ die gesprochenen Worte so, dass er mit den ‚vom Sprecher benutzten Worten‘ in seinem Innern eine ‚Vorstellung von jenen Pflanzen‘ aktivieren kann, die vom Sprecher mit seinen Worten ‚intendiert‘ waren. Zugleich kann er ein ‚inneres Bild‘ von ‚möglichen Orten‘ und ‚dazu passenden Wegen‘ aktivieren. Damit ausgestattet, kann der Hörer sich ‚auf den Weg machen‘, um die ‚intendierten/ gewünschten‘ Pflanzen zu finden, einzusammeln und ’nach Hause‘ zu bringen.

Schon diese wenigen Ausführungen lassen erahnen, wie schnell eine Kooperation mittels sprachlicher Kommunikation an ‚Komplexität zunehmen kann‘. Ein ‚gemeinsames Handeln‘ mit vielen beteiligten Menschen in einer unübersichtlichen ‚dynamischen‘ Situation, die über einen längeren Zeitraum an verschiedenen Orten stattfinden soll, erfordert neben starken sprachlichen Fähigkeiten sehr viel mehr:

  • MOTIVATION : Warum sollte jemand über das ‚Motiv‘ verfügen, sich einer gemeinsamen Handlung anzuschließen?
  • KNOWHOW : Verfügen die Teilnehmer über genügend Wissen/ Erfahrung, so dass ein gemeinsam gesetztes Ziel erreicht werden kann?
  • SOZIALE AKZEPTANZ : Gibt es in der potentiellen ‚Gruppe‘ genügend viele Mitglieder, die über eine ‚hinreichende soziale Akzeptanz‘ verfügen, dass ‚Vorschläge‘ als mögliche Ziele von anderen übernommen werden?
  • RESSOURCEN : Gemeinsame Aktionen in Raum und Zeit benötigen ein Vielerlei an ‚Ressourcen‘, damit die notwendigen Aktionen ausgeführt werden können. Die aktiven Menschen benötigen selbst genügend ‚Energie‘ und ‚Wasser‘ für ihre Körper; ferner muss ‚genügend Zeit‘ verfügbar sein, dazu verschiedene ‚Werkzeuge‘, und manches mehr.

Werkzeuge : Materie und Zukunft

Neben den bislang genannten Faktoren, welche das besondere Potential des Homo sapiens auszeichnen, gibt es noch viele weitere, die genannt werden müssen. Zwei stechen besonders hervor:

(1) ‚Werkzeuge‘, mit denen der HS die materielle Umgebung (einschließlich biologischer Systeme) nahezu ‚vollständig bearbeiten‘ kann, und zwar so, dass sie durch die Bearbeitung eine ‚völlig veränderte Gestalt‘ inklusive ’neuartiger Funktionen‘ annehmen kann.

(2) Werzeuge, mit denen der HS ‚abstrakte Repräsentanten (= Bilder, Modelle,…)‘ der realen Welt (inklusive biologischer Systeme) mit Berücksichtigung einer ‚möglichen Dynamik (Veränderungsformen)‘ über ‚abstrakte Zeitstrecken‘ in einer Weise ‚ausloten‘ kann, dass damit ‚mögliche zukünftige Zustände‘ der Welt und des Lebens in dieser Welt umrisshaft sichtbar gemacht werden können.

Diese beiden Faktoren bilden die Grundbausteine einer ‚evolutionären Revolution‘, wodurch der bisherige Gang der Evolution in einen Zustand versetzt wird, der historisch einmalig ist und dessen Potential bislang weder angemessen erkannt noch ausgelotet ist. Diese Möglichkeiten markieren damit tatsächlich eine völlig neue Phase der Evolution, eben eine ‚Evolution 2.0‘.

Folgende Anmerkungen verdienen hier aber Beachtung:

Technische Werkzeuge für die ‚Sichtbarmachung möglicher zukünftiger Zustände der Welt und des Lebens‚ sind Maschinen, angereichert mit Algorithmen, welche die hierzu notwendigen simulativen Operationen zwar faktisch ausführen können, aber sie hängen fundamental von folgenden Faktoren ab:

(1) Auch sie benötigen für ihre ‚Arbeit‘ ‚Energie‘, und nicht wenig.

(2) Sie benötigen für ihre Simulationen ‚Repräsentationen von Sachverhalten‘, welche

(2.1) ‚empirisch zutreffend‘ sind

(2.2) der ‚Dynamik hinter den Phänomenen‘ gerecht werden

(2.3) die ‚Wechselwirkungen zwischen Faktoren‘ berücksichtigen

(3) benötigen ‚Zielvorstellungen‘, die aus der großen Menge möglicher zukünftiger Zustände jene ‚aussortieren‘, die den ‚Kriterien für eine nachhaltige Zukunft des Lebens‚ auf dem Planeten oder ‚woanders‘ berücksichtigen.

Dabei dürfte der Punkt mit den ‚Zielvorstellungen‘ der schwierigste sein: Wer verfügt über diese Zielvorstellungen? Maschinen als solche haben keinen Zugang dazu. ‚Menschen‘ als Teil des Lebens‘ haben im Laufe ihrer Gegenwart auf dem Planeten zwar gezeigt, dass sie grundsätzlich ‚zielfähig‘ sind, dass sie aber ihre Ziele im Laufe von ca. 300.000 Jahren beständig verändert haben, was verschiedene Ursachen hat. Ungeklärt ist das riesige Potential an Zielen in den übrigen Bereichen des Lebens außer dem Menschen.

Frage nach dem letzten Sinn

In diesem Szenario ist somit zwar das Leben generell — und darin möglicherweise der Homo sapiens ganz besonders — der zentrale Kandidat für das ‚Auffinden der angemessenen Ziele‘ für eine weitere spannende Zukunft des Lebens im bekannten Universum (oder auch jenseits davon), aber wie definieren Menschen Ziele für das Ganze, wenn sie sich selbst noch in einer ‚Ziel-Klärungs-Phase‘ befinden?

Der Zuwachs an Handlungsfreiheit und Gestaltungsmacht ist zugleich ein Zuwachs an Herausforderung an das ‚Selbstbewusstsein‘ des Lebens auf dem Planeten, in diesem Universum: Was wollt ihr hier überhaupt? Auf wen wartet ihr? Merkt ihr nicht, dass ihr jetzt gefordert seid?

EINSCHUB : INTELLIGENZ – LERNEN – WISSEN – MATERIELLE BEDINGUNGEN; KI

Autor: Gerd Doeben-Henisch

Datum: 20.Febr 2025 – 20.Febr 2025

Kontakt: cagent@cognitiveagent.org

Eine englische Version findet sich HIER.

KONTEXT

Dies ist eine weitere  Zwischenreflexion, um die Begrifflichkeit von ‚Intelligenz‘ und ‚Lernen‘ strukturell weiter zu klären. Diese und die vorausgehende Zwischenreflexionen verstehen sich als ‚Ergänzung‘ zum Hauptstrang des Text-Projektes ‚Was ist Leben?‘

HAUPTSTRANG: Was ist Leben?

  1. WAS IST LEBEN ? Welche Rolle haben wir ? Gibt es eine Zukunft ?
  2. WAS IST LEBEN ? … DEMOKRATIE – BÜRGER
  3. WAS IST LEBEN ? … PHILOSOPHIE DES LEBENS
  4. WAS IST LEBEN ? … Wenn Leben ‚Mehr‘ ist, ‚viel Mehr‘ …
  5. WAS IST LEBEN – GRAMMATIK DES ÜBERLEBENS. Im Focus: Homo sapiens …(noch nicht fertig)

Dem Text Nr.4 ging ein Vortrag am 31.Jan 2025 voraus, in dem ich die grundlegenden Ideen schon mal formuliert hatte.

EINSCHÜBE BISHER:

  1. EINSCHUB: Kurze Geschichte zum Begriff der Intelligenz und seiner möglichen Zukunft 
  2. EINSCHUB : BIOLOGISCHE INTELLIGENZ braucht LERNEN. Strukturanalyse

EINLEITUNG

Die erste Analyse des Konzepts ‚Intelligenz‘ machte deutlich, dass im Rahmen eines Intelligenztests nur solche ‚Antworten‘ von der ‚Versuchsperson‘ kommen können, die bei ihr aktuell ‚verfügbar‘ sind. Abgesehen von ‚angeborenen Reflexen‘ und körperlich bedingten Eigenschaften‘ handelt es sich dabei um solche ‚internen Strukturen‘, die im Rahmen von ‚Lernprozessen‘ entstanden sind. Diese durch Lernen erworbene Strukturen nennen wir hier ‚Wissen‘ bzw. ‚Erfahrung‘.

Diese Unterscheidung der Begriffe ‚Intelligenz‘, ‚Lernen‘ sowie ‚Wissen‘ und ‚Erfahrung‘ soll im folgenden Texte weiter vertieft werden. Dabei wird eine ‚generelle Struktur‘ des ‚Homo sapiens (HS)‘ deutlich, wie er als Teil des übergeordneten ‚Lebens (L)‘ ausgestattet ist, um ’sein Überleben‘ auf diesem ‚Planeten (P)‘ möglicherweise zu sichern. Als Teil des Lebens kann er seine Fähigkeiten aber auch nutzen, um zum Überleben des ganzen Lebens beizutragen, so wie diese letztlich seine Existenz sichert. Bis auf eine aktuell schwer einschätzbare Zukunft ist der Homo sapiens auf diesem Planeten vollständig auf das Gesamt-Leben angewiesen.

BILD 1 : Basiskonstellation von Planet (P), Leben (L) und dem Homo sapiens (HS) als Teilpopulation des Lebens. Alle Komponenten (P, L, HS) stehen sowohl in Wechselbeziehung zu sich selbst als auch untereinander

INTELLIGENZ – LERNEN – WISSEN – MATERIELLE BEDINGUNGEN

Ausgangspunkt

Der Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen ist im folgenden Schaubild festgehalten:

BILD 2 : Eine ‚dynamische Sicht‘ der Konstellation Planet-Leben-Homo sapiens unter Voraussetzung eines fiktiven Beobachters

Aus der Sicht eines ‚fiktiven Beobachters‘ (siehe das BILD 2) kann man die ‚Struktur‘ der Konstellation ‚Planet – Leben – Homo Sapiens (PLHS)‘ mit ihren umfassenden ‚Wechselwirkungen‘ sehen als ‚eingebettet‘ in einen ‚zeitliche Struktur (T)‘, die hier als ein ‚Prozess mit Zeitscheiben‘ (siehe Text Nr.4) aufgefasst wird.

Im Schaubild gibt es als ‚Fixpunkt/ Standpunkt‘ die ‚Gegenwart'(NOW). ‚Vorher‘ zur Gegenwart gibt es eine ‚vermutete Geschichte‘ (HISTORY), und ’nachher‘ in den ‚möglicherweise kommenden neuen Gegenwarten‘ (POSSIBLE FUTURES) kann es ‚weitere‘ Gegenwarten geben, aber diese sind zum ‚aktuellen Zeitpunkt‘, in der ‚Gegenwart‘, noch nicht bekannt.

BILD 3 : Unter Voraussetzung eines ‚Gehirns‘, das mittels eines ‚Körpers‘ Eigenschaften der Welt ‚Wahrnehmen‘, später ‚Erinnern‘ und dann auch noch auf geeignete Weise ‚anordnen‘ kann, lässt sich eine gewisse ‚dynamische Struktur‘ von Planet, Leben und Homo sapiens erkennen.

Der ‚fiktive Beobachter‘ existiert allerdings nur im ‚Kopf‘ eines Menschen, sofern er ‚Denken‘ kann, insofern er sich ‚Erinnern‘ kann, und insofern er seine Erinnerung durch ‚aktuelle Wahrnehmungen‘ gewinnen konnte. Da sowohl die Wahrnehmung als auch das Erinnern als auch das Denken sich ‚irren‘ kann, bedeutet dies dass die Sicht des ‚fiktiven Beobachters‘ entweder ‚eher richtig‘ ist oder ‚eher falsch‘.

Wissen und materielle Einbettung

Der ‚denkende Mensch‘ ist mit einem ‚Körper‘ ausgestattet (Materielle Einbettung 1), der sich immer in einer ‚realen Situation‘ — oder in einem ‚realen Zustand‘– (Materielle Einbettung 2) befindet, wobei die Situation immer ‚Teil von etwas Größerem‘ ist. Hier gehen wir davon aus, dass dieses Größere‘ im Normalfall der ‚Planet Erde‘ ist (wobei dieser Planet in fast beliebig größere Kontexte des Universums eingebettet ist) und die ‚Population des Homo sapiens‘ sowie die ‚Gesamtheit des Lebens‘ (Materielle Einbettung 3).

Im Laufe der Zeit haben Menschen entdeckt, dass man ‚in der aktuellen Situation‘ vielfache ‚Spuren‘ (TRACES) entdecken kann, die auf Ereignisse im Bereich des Planeten Erde hinweisen, auf Ereignisse des Lebens auf dem Planeten sowie auch auf Ereignisse des Homo sapiens auf dem Planeten, als Teil des Lebens.

Diese ‚beobachtbaren Spuren‘ (observable TRACES) stammen aus unterschiedlichen ‚zeitlichen Abschnitten‘ in der ‚Geschichte‘ und lassen von daher Ansätze von ‚Veränderungen (V)‘ erkennen. Veränderungen, sofern sie ‚Regelmäßigkeiten‘ erkennen lassen, können als Ausgangspunkt genutzt werden, um mit Hilfe einer ‚Voraussage-Logik‘ ‚mögliche Zustände zu einem zukünftigen Zeitpunkt‘ (POSSIBLE FUTURES) zu generieren.

Wissen

Für die ‚Sicht des Menschen‘ auf den Planeten, auf das Leben und auch auf sich selbst ist letztlich entscheidend, dass er über die Fähigkeit verfügt, (i) dies alles, was ihn umgibt, irgendwie ‚Wahrnehmen‘ zu können auf eine Weise, dass (ii) die ‚Inhalte der Wahrnehmung‘ sich so ‚ablegen‘ lassen, dass sie (iii) sich später auch wieder ‚erinnern‘ lassen. (iv) Diese Wahrnehmung geschieht — wie wir heute wissen — nicht als eine 1-zu-1 ‚Abbildung‘, sondern benutzt allerlei ‚Vereinfachungen/ Abstraktionen‘, die so sind, dass man beim Erinnern normalerweise noch einen ‚Bezug zur aktuellen Wahrnehmung‘ herstellen kann. (v) Aufgrund der ‚Beschaffenheit der erinnerbaren Inhalte‘ kann (v) das ‚Denken‘ diese Inhalte unterschiedliche ‚Strukturieren‘ und (vi) im ‚Vergleich von Vorher und Nachher‘ möglicherweise ‚Veränderungen‘ erfassen. Sofern diese Veränderungen ‚hinreichend ähnlich‘ sind, kann (vii) das Denken aufgrund von ‚regelhaften Veränderungen‘ in beschränktem Umfang ‚Voraussagen‘ machen. (viii) Die Art und Weise der ‚Generierung von Voraussagen‘ fällt im weitesten Sinne unter den Begriff der ‚Logik‘ bzw. des ‚logischen Folgerns‘ (die moderne ‚formale Logik‘ bildet allerdings nur Teilaspekte dieses realen Geschehens ab).

Man könnte hier formulieren: Das ‚Wissen‘ ist eine spezielle Form des ‚Widerhalls‘ der materiellen Rahmenbedingungen, unter denen Wissen entsteht. Die materiellen Rahmenbedingungen können zwar die Entstehung und die Form des Wissens beeinflussen, sie können aber das ‚Wissen selbst‘ weder ‚aus sich alleine heraus‘ erzeugen noch können sie das, wovon das Wissen ein ‚Widerhall‘ ist, aus sich heraus erzeugen. Der ‚Widerhall im Format des Wissens‘ verweist auf etwas ‚jenseits des Wissens selbst‘. In der traditionellen Sprache der Philosophie würde man hier dann von ‚Transzendenz‘ sprechen, d.h. mit der Verfügbarkeit von Wissen, das durch Mitwirkung eines ‚echten Widerhalls‘ entstanden ist, ‚übersteigt‘ (transzendiert) das Wissen im Innern eines Menschen diesen Menschen mit seinen materiellen Begrenzungen.

Materielle Einbettung von Wissen

Wir wissen heute, dass die ‚materielle Einbettung des Wissens‘ zahlreiche ‚Faktoren‘ erkennen lässt, die sowohl ‚konstruktiv‘ wie auch ‚destruktiv‘ bei der Entstehung von Wissen wie auch bei seiner ‚Nicht-Entstehung‘ wirksam sein können. So macht es sich stark bemerkbar, wenn Menschen an ‚Krankheiten‘ leiden, die sie schwächen und quälen können und sie womöglich an einen bestimmten Ort binden. Mangel an Wasser, Nahrungsmitteln, oder das Fehlen eines geeigneten Aufenthaltsort als Schutz vor Kälte, Hitze und Regen. Die Bedrohung durch andere Menschen oder durch andere Lebensformen (Tiere, Insekten, Pflanzen,…). Eigene ‚Emotionen‘ wie Angst, Hass, starke Erregung, starke emotionale Abhängigkeiten. Störungen der Wahrnehmung im Bereich des Sehens, Hörens, Riechens usw. … Schlechte Kommunikation wegen mangelhafter Sprachkenntnis, wegen Ausgrenzung, wegen Verfolgung … auf der Flucht sein, stattfindende Naturkatastrophen … und vieles mehr.

Auch der eigene Körper, das eigene Wissen kann hinderlich sein: wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Wissen hat, der kann durch seine Gefühle davon abgehalten werden, dieses aktuelle Wissen zu verändern. Dann ‚friert‘ das aktuelle Wissen dieses Menschen über die Welt und sich selbst ‚fest‘. Die typische ‚Dynamik des Lebens‘ entweicht, verschwindet, und das ‚Leben im Kopf erstarrt zu Stein‘.

Wissen und Gesellschaft; KI

Wenn man sieht, wie komplex und fragil zugleich die Entstehung von Wissen ‚im Kopf‘ eines einzelnen ist, dann kann man vielleicht ahnen, wie groß die Aufgabe und die damit gegebene Herausforderung für viele Menschen ist, für eine ganze Population, ‚gemeinsam‘ jenes Wissen ‚entstehen zu lassen‘, das die Population benötigt, um gemeinsam ein ‚gutes Überleben‘ in einer ‚möglichen Zukunft‘ erreichen zu können.

Die seit spätestens 2022 verfügbaren technischen Hilfsmittel unter dem — irreführenden — Namen ‚KI‘ (Künstliche Intelligenz) können vermutlich eine riesige Hilfe sein, sofern der Mensch sein eigenes Wissen entsprechend ‚kultiviert‘ (mit dem KI-Wissen als Teil), aber solange der Mensch die ‚materielle Einbindung‘ seines Wissens nicht in den Griff bekommt, solange wird auch die ’sogenannte KI‘ auch auf der Stelle treten. Die ‚materielle Einbindung des Menschen‘ ist eben nicht nur ein ‚potentielles Hindernis‘, sie ist zugleich auch die ‚Ermöglichung‘ von ‚Welt-Relevantem‘ und ‚Lebens-Relevantem‘ Wissen. Über diese beiden Dimensionen verfügt eine KI nicht, nicht nur heute nicht, sondern grundsätzlich nicht. ‚Biologische Systeme‘ repräsentieren ein Potential, welches jede ‚unbelebte Materie‘ real ‚transzendieren‘ und ‚in etwas Neues‘ verwandeln kann. Die von Menschen erfundenen, gebauten und programmierten Maschinen sind verglichen mit ‚biologischen Systemen‘ nur sehr einfache ‚Hilfsmittel‘, die allerdings durch ‚Symbiose‘ mit biologischen Systemen Wirkungen erzielen können, die weit über das hinausgehen können, was wir uns heute vorstellen können.