Archiv der Kategorie: Gehirnforschung

KÖNNEN UNSERE GEFÜHLE WAHR SEIN? – DIE ZUKUNFT WARTET NICHT – Teil 3a

DER MENSCH ALS HANDELNDER

  1. In dem vorausgehenden Blogeintrag zur anstürmenden Zukunft wurde u.a. angedeutet, dass wir als Menschen, als homo sapiens, bei aller Komplexität des modernen Lebens, noch immer die Handelnden sind, jene, die das alles zu verantworten haben.
  2. Als Teil des großen ‚Getriebes‘, das weltumspannend alles bewegt, treibt, verändert, kann man als einzelner jedoch den Eindruck bekommen, man sei ja letztlich nur ein kleines Rädchen im großen Räderwerk, ohne Einfluss, ohne Wirkung; zugleich ist jeder eingehüllt in eine subjektive Erlebniswolke von sinnlichen Eindrücken, Bedürfnissen, Emotionen, Erinnerungen, Wünschen, … die das persönliches Referenzsystem für die Wahrnehmung dessen bildet, was ist, wie auch für die Einschätzung, was sein sollte. Es hängt vom Ausmaß der zu erwartenden Belohnung oder Bestrafung ab, welche der verschiedenen Denk- und Handlungsmöglichkeiten man einen Vorzug gibt.
  3. Alles, was irgendwie ‚positiv bewertet‚ erscheint regt an, es zu tun; alles, was ‚negativ bewertet‚ erscheint, schreckt ab, bremst aus, demotiviert, macht Angst … oder  aggressiv.
  4. Die Einschätzung, ob es sich ‚lohnt‚ ein X zu tun oder eher ein Y bzw. dass es ‚ungut‚ ist, X zu tun, hängt sowohl ab von verfügbaren Erfahrungen und deren Bewertungen wie auch von einer Vielzahl unterschiedlicher Gefühle, Stimmungen, Bedürfnissen, Emotionen, Süchten… die alles ‚einhüllen‚.
  5. Für eine klare Entscheidung kann dies unübersichtlich sein, verwirrend. Jeder hat da so seine Strategien. Manche sprechen von ‚Bauchentscheidungen‚, um anzudeuten, das sie sich von Stimmungen, Gefühlen leiten lassen, die sich nicht völlig transparent in klare Entscheidungsmomente zerlegen lassen.

DER MENSCH ALS DETERMINISTISCHER AUTOMAT?

  1. Sind wir hier alle Getriebene eines Körpers, der durch seine evolutionäre Geschichte in einer Weise geprägt wurde, die aus uns letztlich dumpfe Maschinen macht, die vorprogrammiert reagieren, dumpf, reflexhaft, zufällig, letztlich ohne wirkliche eigene Verantwortung? Und haben nicht die Recht, die uns als solche biochemische Maschinen sehen, deren chemischen Prozesse man durch entsprechende Medikamente auf chemischen Weg weitgehend manipulieren kann (gegen Schmerzen, gegen Depression, für mehr Wachheit, für mehr Denkkraft …)?
  2. Wenn letztere Sicht voll zutreffen würde, wenn wir letztlich nur evolutionär vorprogrammierte Maschinen wären, dann wäre jede weiter Diskussion überflüssig, dann würde Erkenntnis, Verantwortung weiter keine Rolle spielen. Es gäbe keine Wahrheit. Alles wäre egal, es passiert einfach, weil die biochemischen Roboter genannt homo sapiens sich alle zwangsweise ausleben, ohne jede Möglichkeit der Einflussnahme.
  3. Gut, nehmen wir das einfach mal an, diesen worst case einer voll deterministischen biochemischen Maschine genannt homo sapiens. Dies würde implizieren, dass ein homo sapiens bei gleichem Input immer genau gleich antworten würde, und bei definierten Veränderungen seines Körpers, insbesondere seines Gehirns, müsste genau definierte Reaktionen auftreten. Trifft dies zu?

MENSCH ALS QUELLE VON NEUEM

  1. Eine empirische Betrachtung des Verhaltens von Menschen zeigt, dass dies auf keinen Fall zutrifft.
  2. Allein schon die Wachstums- und Alterungsprozesse zeigen, dass der Mensch ein dynamisches System ist, das sich beständig als Körper verändert.
  3. Eine ungeheure Zahl von verschiedenen Lernprozessen zeigen ferner, dass der Mensch nicht nur in der Lage ist, über angeborene Reflexe hinaus scheinbar beliebige komplexe Verhaltensmuster zu lernen, sondern er kann sogar angeborene Reflexe z.T. Umprogrammieren, überlernen.
  4. Im Lernen zeigt sich eine Beeinflussbarkeit durch die Umgebung, die in gewisser Weise aussieht, als ob man Menschen von außen beliebig steuern kann (Manipulation, Indoktrination, Abrichtung, …). Sofern man Menschen aber Freiräume lässt, sie ermutigt, auf sich selbst zu vertrauen, eigene Entscheidungen zu wagen, diese real auszuprobieren, in dem Maße kann man beobachten, dass Menschen dazu tendieren, mit ihren Möglichkeiten kreativ zu spielen, zu variieren, zu experimentieren, neue Verhaltensmuster auszuprobieren. Dies bedeutet, Menschen mit Selbstvertrauen und Handlungsspielräumen verändern ihr Verhalten, zeigen neue Muster, verändern die Umgebungen.
  5. Zu diesen auf dem beobachtbaren Verhalten basierten Einschätzungen kann man weitere hinzu fügen. Eine theoretische Untersuchung des Gehirns und seiner Zellen kann aufzeigen, dass die Gesamtheit dieser Zellen samt ihren Wechselwirkungen mindestens so mächtig sind wie eine sogenannte universelle Turingmaschine. Von dieser wurde von Alan Turing schon 1936/7 bewiesen, dass sie nicht deterministisch ist und dass ihre potentiellen Zustände grundsätzlich nicht in allen Fällen voraussagbar sind.
  6. Dass man also unter bestimmten Umständen die eine oder andere Eigenschaft biochemisch beeinflussen kann, sollte nicht zu dem Fehlschluss führen, dass man damit das komplexe Gesamtphänomen erschöpfend erklärt hätte.

BLEIBENDES GEHEIMNIS BEWUSSTSEIN

  1. Dies führt zu der eher grundsätzlichen Betrachtung, dass wir heute zwar am Menschen grob den Körper mit seinem Gehirn unterscheiden können, dass wir aber auch das Phänomen eines Bewusstseins konstatieren können und müssen, das zwar – so sieht es aus – eine Eigenschaft des Gehirns zu sein scheint, aber dennoch eine solche Eigenschaft ist, die sich nicht direkt empirisch messen lässt.
  2. Direkt am Körper und Gehirn lassen sich mittlerweile ungeheuer viele empirische Messungen vornehmen, aber das Phänomen des Bewusstseins zeigt sich bislang direkt nur dem einzelnen Gehirn in einer Art ‚Innensicht‘; wir sprechen von subjektiven Erfahrungen, von der ersten-Person-Sicht (1st-Person View), d.h. Jeder hat seine Sicht seines Bewusstseins, aber eine andere Person, ein Anderer, eine dritte Person (3rd Person View), hat keine direkte Möglichkeit, den Inhalt des Bewusstseins einer anderen Person irgendwie direkt wahr zu nehmen.
  3. Eine Auswirkung dieses Sachverhaltes besteht darin, dass es bis heute (März 2017) keine einzige wissenschaftliche Publikation gibt, die eine wissenschaftlich brauchbare Definition des Bewusstseins liefert! Auch wenn es viele Artikel und Bücher gibt, die im Titel oder im Text den Begriff ‚Bewusstsein‘ benutzen, so gibt es bislang keine wissenschaftlich brauchbare Definition von Bewusstsein. Bislang habe wir hier einen riesigen weißen Fleck auf der wissenschaftlichen Landkarte. Und je mehr Millionen Forschungsgelder bislang hier investiert wurden, um so weißer wurde dieser Fleck. Dies liegt daran, dass bislang etwas, das im Kern kein empirisches Objekt im klassischen Sinne ist, ausschließlich mit empirischen Methoden untersucht wird. Die so gewonnenen empirischen Erkenntnisse sind nicht wertlos, sie vertiefen unser Verständnis der biochemischen Maschinerie, aber sie führen uns nicht weiter im Verständnis jener Phänomene, die sich jenseits der klassisch-empirischen Perspektive andeuten.
  4. Unter Philosophen in Europa ist das Problem des Bewusstseins seit mindestens 2500 Jahren in unterschiedlichen Varianten bekannt, wirklich gelöst hat es aber noch niemand.
  5. Die Frage ist, was macht man mit Phänomenen, die ‚da‘ sind, die ein Mensch unzweifelhaft erleben kann und erlebt, für die man aber noch keine angemessene empirisch wissenschaftliche Erklärung hat?
  6. Eine bewährte Methode ist jene, solche Phänomene zu wahren, sie nicht zu verdrängen, sondern geduldig darauf zu warten, dass irgendwann doch irgendwelche Menschen die entscheidende Ideen haben werden, eventuell auch neue Untersuchungsmethoden erfinden, mit denen man die Phänomene angemessen erklären kann.
  7. Bis dahin müssen wir uns behelfen, so gut wir können.

FRAGEN DER INVARIANZ DES GESAGTEN

  1. Die Überlegungen, die jetzt folgen, werden in deutscher Sprache niedergeschrieben. Es wird angenommen, dass die wesentlichen Inhalte aber genauso zur Sprache kommen würden, wenn man dies in irgend einer anderen Sprache wie Deutsch aufschreiben würde, also etwa Englisch, Russisch, Chinesisch, Finnisch, Zulu, Türkisch usw. Es wird also eine Invarianz des Inhalts von der benutzten Sprache angenommen. Auf Englisch kann ich es – bis zu einem gewissen Grad – selbst versuchen. Bei anderen Sprachen müssten dies andere tun. Ein letzter Beweis der Invarianz wird aber schwierig sein, da es voraussetzen würde, dass die jeweiligen Philosophen mindestens mit zwei Sprachen sehr vertraut sind, die sie vergleichen könnten. Dabei würde es offen bleiben, ob ein Philosoph A der von Sprache L_DE in L_Chinesisch übersetzen würde und der Philosoph B, der von L_DE in L_Russisch übersetzen würde, letztlich tatsächlich das Gleiche übersetzen würden.
  2. Auch müsste man mit der Frage der Invarianz noch weiter gehen, indem man klären müsste, inwieweit das von mir Niedergeschriebene noch von anderen speziellen Voraussetzungen abhängig ist, die nicht auf alle Menschen zutreffen (z.B. biologisches Geschlecht, Zustände meines Wahrnehmungssystems, verfügbares Wissen usw.). Wäre dem so, dann würde das von mir Gesagte von sehr speziellen Voraussetzungen abhängen, dann würde die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit unserer Gefühle entsprechend eingeschränkt gelten.
  3. Dazu muss ich feststellen, dass ich bislang zwar davon ausgehe, dass ich selbst ein Exemplar des homo sapiens bin, dies aber bislang niemals habe explizit wissenschaftlich feststellen lassen. Ich lebe, wie viele andere auch, als Teil einer Population, von der pauschal gesagt wird, dass sie zur Art homo sapiens gehöre. Wie weit trifft dies tatsächlich zu? Weicht meine DNA möglicherweise irgendwie ab? Im Vergleich zu welchem DNA-Maßstab? Und wenn es Abweichungen gäbe, wie viel Toleranz ist akzeptabel, um zu sagen, ich wäre ein Exemplar des homo sapiens?
  4. Und da wir davon ausgehen müssen, dass der homo sapiens sich auch ohne Gentechnik kontinuierlich weiter verändert, ist möglicherweise zu klären, wie hoch der Veränderungsgrad der homo sapiens DNA im Laufe der Zeit ist? Wie viele der Informationen auf dem DNA-Molekül ändern sich pro Jahr/ pro Jahrzehnt/ pro … ? Und was heißt hier Änderung? Verschwinden bestimmte Atome? Werden sie nur anders genutzt? Kommen neue dazu? Wieweit gibt es überhaupt einen klaren Zusammenhang zwischen DNA-Struktur und späterem Körper, Verhalten und Erleben?
  5. Eine weitere wichtige Frage wäre ja auch, wie genau das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Körper ist? Werden tatsächlich alle Zustände des Körpers im Gehirn repräsentiert, und wenn ja, auf welche Weise? Wie wirkt das Gehirn auf die Körperzustände zurück? Wie wirkt das Gehirn auf sich selbst zurück? Wie kommunizieren die Körperzellen untereinander ohne das Gehirn? Wieweit brauchen die Körperzellen überhaupt das Gehirn? Bei ca. 37 x 10^12 Körperzellen keine leichte Frage, zumal diese ja – nach heutigem Kenntnisstand – auf komplexe Weise mit weiteren Billionen (10^12) von Bakterien kooperieren, sowohl im Körper wie auch auf der Haut.
  6. Für die folgenden Überlegungen könnte es also hilfreich sein, dass ich solche Verhaltensmuster finde, die jeder andere homo sapiens auch ausüben könnte, so dass die damit verbundenen subjektiven Erlebniszustände möglicherweise reproduzierbar und dann diskutierbar sind. Die Erlebnisse als solche wären noch nicht die mögliche Deutung! Das gleiche Erlebnis kann man grundsätzlich auf mehr als eine Weise deuten. Man müsste also gemeinsam nach einer ‚angemessenen Deutung‘ suchen.

ANGENOMMENES KOORDINATENSYSTEM

  1. In den folgenden Überlegungen gehe ich davon aus, dass wir die oben unterstellte Grundstruktur annehmen sollten, dass wir einen Körper mit einem Gehirn haben, und dass wir als homo sapiens über etwas verfügen, das hier provisorisch – nach üblichem Sprachgebrauch – ‚Bewusstsein‘ (BW) genannt wird.
  2. Es hat sich ferner eingebürgert, dass ein Mensch mit Bewusstsein auch von einem ‚Ich‘ spricht. Das ‚Ich‘ steht in Beziehung zu einem bestimmten individuellen Körper (K) (mit dessen Gehirn) und dem im Zusammenhang mit diesem Körper auftretenden ‚Bewusstsein‘ (BW), also ICH_(K,BW). Wenn also ich als Schreiber dieser Zeilen von meinem ‚Ich‘ spreche, dann spricht hier das ‚Ich‘ von dem Körper K_cagent, der zu cagent gehört, mit dem Bewusstsein BW_cagent, das als Teil dieses Körpers vorkommt, also Ich_(K_cagent, BW_cagent).

MESSBAR, NICHT-MESSBAR, REPRÄSENTIERBARKEIT

  1. Ferner gilt die Annahme, dass wir zwar den Körper (K) mit seinem Gehirn (NN) direkt empirisch messen können (nicht alles, sondern nur jene Größen, für die es geeichte Messverfahren gibt), nicht aber die Innenzustände des jeweiligen Bewusstseins (IBW). Zwar gibt es starke Hinweise auf vielfache Korrelationen zwischen messbaren Körper-Gehirn-Zuständen und Innenzuständen des Bewusstseins, aber aufgrund der Nicht-Messbarkeit der Innenzuständen des Bewusstseins handelt es sich hier immer nur um hypothetische Korrelationen CR(NN,IBW).
  2. Bisher die einzige Möglichkeit, die Innenzustände des Bewusstseins von einem Körper zu repräsentieren, besteht darin, dass das Ich eines Bewusstseins mit Körper einzelne Innenzustände samt möglichen Eigenschaften sprachlich benennt und in Strukturen einordnet, die Positionen und Dynamiken erkennen lassen. Auch wenn solche Innenzustände von Philosoph zu Philosoph im Detail abweichen würden, ließe sich über die zugeordnete Struktur dann möglicherweise das ‚Verhalten‘ dieses Elementes bewusstseinsunabhängig – also invariant gegenüber dem einzelnen Bewusstsein! – vergleichen. Diese Struktur könnte man als mathematische Struktur (STR) der beobachtbaren internen Zustände des Bewusstseins realisieren. Die Struktur eines Bewusstseins, die sich bei vielen einzelnen gleichermaßen wiederfinden würde, könnte man dann sogar als unser Bewusstsein (UBW) bezeichnen, etwas, das wir alle gemeinsam haben. Letzteres setzt voraus, dass es eine hinreichende Angemessenheit zwischen den subjektiv beobachteten Strukturelementen sowie der intersubjektiv vorzeigbaren mathematischen Struktur gibt. Dass solch eine Angemessenheit vorliegt, ist nicht zwingend. Da historisch die mathematische (mengentheoretische) Sprache unter Voraussetzung der vorgegebenen Struktur des Bewusstseins des homo sapiens entwickelt wurde, und zwar inter-subjektiv, d.h. unter Beteiligung von vielen verschiedenen Bewusstseinen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es eine einigermaßen ‚brauchbare‘ Angemessenheit zwischen mathematischer Struktur und vorgegebener Struktur eines sich selbst erlebenden Bewusstseins gibt.

BEWUSSTSEINSINHALTE

  1. Zur Annahme eines zu einem Körper mit Gehirn gehörigen Bewusstseins gehört es, weiter anzunehmen, dass das zugehörige Ich eine Vielzahl von Bewusstseinszuständen erleben kann. Solche erlebbaren Bewusstseinszustände werden hier global als Bewusstseinsinhalte oder als Phänomene des Bewusstseins (PH) bezeichnet. Ein Phänomen ist also ein Etwas, das im Bewusstsein erlebt werden kann, etwas, das sich von Anderem unterscheidet. Jedes Phänomen impliziert ein abstraktes Ich (ICH) als abstrakten Bezugspunkt, relativ zu dem das Phänomen als Erlebbares vorkommt. Viele Philosophen sprechen daher hier auch gerne von der Intentionalität des Bewusstseins, seiner Gerichtetheit auf Etwas. Die Intentionalität erscheint dann als eine Beziehung INT(ICH,PH), wobei wir hier das abstrakte ICH mit dem Körper-Ich ICH_cagent hypothetisch gleichsetzen.
  2. In der deutschen Sprache gibt es sehr viele Begriffe, die man ziemlich direkt mit den Begebenheiten unseres Bewusstseins in Beziehung setzen kann. Wenn wir z.B. sagen, dass wir etwas sehen, dann meinen wir solche Erlebnisse die in Abhängigkeit von unseren Augen auftreten können. Entsprechend mit hören (Ohren), schmecken (Mund), berühren (Haut), riechen (Nase), usw. Die Gesamtheit der Phänomene, die wir in Abhängigkeit von unserer multimodalen sinnlichen Wahrnehmung erleben können, soll hier sinnliche Wahrnehmung (PH_sens) genannt werden und bildet eine echte Teilmenge aller Phänomene, also PH_sens c PH. Aufgrund von Experimenten wissen wir, dass die Auslöser für sinnliche Wahrnehmungen Ereignisse in der Umgebung unseres jeweiligen Körpers sind. Die Umgebung wollen wir inter-subjektive Umgebung nennen, oder auch die empirische Welt (W_emp). Die Sinnesorgane funktionieren hier wie Übersetzer: Ereignisse einer Art (aus der empirischen Welt, E_emp) werden in Ereignisse einer anderen Art (hier in neuronale Erregungsmuster für das Gehirn, E_nn) übersetzt. Diese neuronalen Erregungsmuster E_nn führen nach verschiedenen Verarbeitungsschritten im Gehirn — nach einem noch nicht ganz aufgeklärten Verfahren – zu sinnlichen Wahrnehmungsinhalten im Bewusstsein PH_sens. Wir haben also eine Kette E_emp –→ E_nn –→ PH_sens. Es ist eine interessante Frage, inwieweit die Struktur der empirischen Welt E_emp nach so vielen Verarbeitungsschritten in den Phänomenen des Bewusstseins angemessen repräsentiert wird?
  3. [ANMERKUNG: Ein Leser, der philosophisch vorgebildet ist und insbesondere die phänomenologische Methode nach Husserl kennt, wird sich möglicherweise bei der Lektüre des Textes die Haare raufen, da es für eine phänomenologische Methode wesentlich ist, die Phänomene als solche sprechen zu lassen ohne jegliche ontologische Zusatz- oder Hintergrundannahmen. Dies ist richtig. Im vorliegenden Text wird eine Methode angewendet, die von einer phänomenologischen Analyse ausgegangen ist, innerhalb dieser dann u.a. die empirische Wissenschaft als Teilmodell der phänomenologischen Methode identifiziert und herausanalysiert hat, und dann in einem weiteren reflektierten Vorgehen auf der Metaebene die phänomenologische Analyse unter Einbeziehung der empirischen Theorie wiederholt. Dieses hybride Vorgehen erlaubt es, die Vorteile beider Vorgehensweisen zu nutzen, ohne sich jedoch die jeweiligen Nachteile einzuhandeln, die zu einer wechselseitigen Paralyse führen.]  Fortsetzung folgt.

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(MASCHINELLES) BEWUSSTSEIN – ALLTAGSERKENNEN – ZURÜCK AUF START

(A shorter version in English can be found HERE)

KONTEXT: WELT DER INGENIEURE

  1. Seit letztem Sommer arbeite ich bei einem Buchprojekt mit, bei dem es eigentlich um die Welt der Ingenieure geht: Wie löst ein Ingenieur ein Problem? Sozusagen vom ‚Problem‘ zum ‚fertigen Produkt‘. Zu diesem Thema gibt es viele dicke Bücher und internationale Standards, viele hundert Artikel. Dennoch gibt es hier viele offene Fragen, z.B. auch die nach den Erkenntnisprozessen, die in Ingenieuren ablaufen müssen, damit sie ein Problem in eine funktionierende Lösung transformieren können. Unter welchen Voraussetzungen kann eine Kommunikation zwischen Ingenieuren gelingen? Gibt es eine innere Logik in diesem Prozess? Und was ist mit den intelligenten Programmen und Maschinen, die immer mehr Teil dieses Prozesses sind und sein werden? Was ist eigentlich ‚Künstliche Intelligenz‘? Was kann sie wirklich? Könnte eine Maschine menschlich kommunizieren? Kann eine Maschine ein maschinelles Bewusstsein haben, das eine Kooperation mit Menschen im menschlichen Stil ermöglicht?

MASCHINELLES BEWUSSTEIN

  1. Dies sind einige der Fragen. Die Frage nach einem maschinellen Bewusstsein wurde in diesem Blog bisweilen schon angerissen. Damit zusammenhängend stellt sich – zumindest methodisch – sofort die Frage, was wir denn unter dem Begriff ‚Bewusstsein‘ verstehen können oder sollen? Macht es Sinn, von einem ‚maschinellen Bewusstsein‘ zu sprechen, wenn wir doch gar nicht wissen, was ein ‚Bewusstsein‘ sein soll? Hier stellen sich viele spannende Fragen; einige davon wurden in diesem Blog auch schon diskutiert.

BEWUSSTSEIN UND NEURONALE KORRELATE

  1. Speziell die Frage nach dem menschlichen Bewusstsein hat schon immer Philosophen beschäftigt, später, in der Neuzeit, auch Psychologen, und dann, noch später, seit einigen Jahrzehnten zunehmend die Neurowissenschaften bzw. die Neuropsychologie. Der Begriff der ’neuronalen Korrelate des Bewusstseins‘ ist mittlerweile weit verbreitet. Ganz allgemein werden damit Gehirnaktivitäten gemeint, die mit Bewusstseinsprozessen einhergehen sollen. Die Zahl der Publikationen zu diesem Thema geht in die Hunderte. Dennoch wird man sich schwer tun, in irgendeiner dieser Publikationen eine brauchbare Definition von ‚Bewusstsein‘ zu finden, die unabhängig von neurowissenschaftlichen Tatbeständen ist. Von daher bewegen sich diese Publikationen weitgehend in einem hermeneutischen Zirkel: sie versuchen neuronale Korrelate des Bewusstseins zu definieren, ohne dass sie den Begriff ‚Bewusstsein‘ unabhängig von Gehirnaktivitäten definieren. Vereinfacht wird ein Bündel von Gehirnaktivitäten genommen und erklärt, dass immer dann, wenn diese auftreten, bewusste Aktivitäten vorliegen, ohne dass diese bewussten Aktivitäten in einem selbständigen theoretischen Modell erklärt werden bzw. unabhängig von den neuronalen Aktivitäten gemessen werden.
  2. Die Methodendiskussionen im Kontext der Neurowissenschaften – auch unter Einbeziehung der Neuropsychologie – erscheinen von daher bislang eher unbefriedigend.

MACHINELLES BEWUSSTSEIN – KI

  1. Hier gibt es einen interessanten Nebenkriegsschauplatz, von dem man sich auf den ersten Blick vielleicht kaum Erkenntnisse für die Frage ‚Bewusstsein – Gehirn‘ erhofft. Das Gebiet des maschinellen Bewusstseins, einem Teilgebiet der künstlichen Intelligenz (Anmerkung: der heute oft anzutreffende Begriff der ‚Maschinellen Intelligenz‘ ist – wenn man sich an den veröffentlichten Texten orientiert – nur ein kleiner Teilbereich des weiten Gebietes der ‚Künstlichen Intelligenz‘. Allerdings ist der Sprachgebrauch von ‚Künstlicher Intelligenz‘, ‚Maschineller Intelligenz‘, ‚Computational Intelligence‘, ‚Cognitive Computation‘ usw. zur Zeit nicht sehr einheitlich.) fragt sich sehr speziell, ob und wie man das Phänomen des menschlichen Bewusstseins mittels einer Maschine soweit nachbauen könnte, dass sich alle Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins damit reproduzieren lassen. Wie man dieses maschinelle Bewusstsein technisch realisiert ist bei dieser Fragestellung eigentlich offen, faktisch versucht aber die große Mehrheit der hier aktiven Forscher Anleihen bei der Gehirnwissenschaft und der Psychologie zu holen, weil nun mal der Prototyp eines menschlichen Bewusstseins in realen Menschen real vorliegt und es für viele einfacher erscheint, sich hier etwas abzugucken als alles aus dem Nichts neu zu erfinden.
  2. Einen der besten Überblicke, den ich zu diesem Forschungsgebiet kenne, stammt von James A.Reggia aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „The rise of machine consciousness: Studying consciousness with computational models“ (erschienen in der Zeitschrift ‚Neural Networks‘ von Elsevier (URL: https://pdfs.semanticscholar.org/8333/603ff38df5fb8277f0ef945b3d4c6ccd672e.pdf ). In einem späteren Artikel aus 2017 hat er die grundlegende methodische Problematik unter dem Titel „Exploring the Computational Explanatory Gap‚ zusammen mit anderen nochmals weiter ausformuliert (in der Zeitschrift ‚Philosophies‘ (URL: doi:10.3390/philosophies2010005 ). Reggia zeigt viele der methodischen Schwachstellen der Rede von den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins auf (auch sehr grundlegende Einwände) und kommt letztlich zum Ergebnis, dass die Forschung nicht wirklich weiter kommt, solange sie sich nicht dem Phänomen des ‚Bewusstseins‘ direkt stellt ohne den Umweg über Verhalten (Psychologie) oder Gehirnaktivität (Neurowissenschaft).

WIE DIE FRAGE STELLEN?

  1. Damit stellt sich die Frage, welche Chancen wir denn haben, uns direkt mit dem Bewusstsein zu beschäftigen. Die vielfachen Versuche der Philosophen aus mehr als 2000 Jahren, die der Psychologen seit ca. 150 Jahren bieten eine kaum überschaubare Fülle von Vorgehensweisen, von denen sich aber bislang keine wirklich durchsetzen konnte. Am meisten vielleicht noch (meine subjektive Einschätzungen) die Ansätze einer phänomenologischen Philosophie (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty…), aber so richtig durchsetzen konnten diese sich bislang auch nicht. Seit den 90iger Jahren gab es eine neue Welle von philosophischen Untersuchungen. Den Namen Thomas Metzinger kennen seitdem viele, die Zeitschrift ‚Journal of Consciousness Studies‘ bildete einen starken Impuls, in der Einbeziehung der Gehirnforschung sahen viele eine neue Option. In dem Maße aber, wie sich die Daten der Gehirnforschung mathematisch fassen und in neuartige Experimente umsetzen lassen, wird sichtbar, dass die Gehirnforschung als solche nicht automatisch jene Erkenntnisse liefert, nach denen wir fragen. Was also tun?

SYSTEMS ENGINEERING

  1. Mehr durch Zufall bin ich vor ca. 18 Jahren mit Menschen zusammen getroffen —  speziell mit einem –, die sich Ingenieure nennen, genauer, ‚Systems Engineers‘. Dies sind Menschen, die ein umfangreiches Training vorwiegend in Technologie, Mathematik und Management genommen haben, meist mindestens 20 – 25 Jahre, bis sie dann Raketen und Flugzeige planen und bauen können, Atomreaktoren mit Extremsicherheitsanforderungen, den Verkehrsfluss in Städten, die Grenzsicherung eines Landes, das Gesundheitssystem eines Landes, und vieles mehr. Systems Engineers sind gewohnt, komplex zu denken, in Prozessen, unter Einbeziehung des Faktors Mensch, und immer sehr konkret, überprüfbar, messbar, mit vielen mathematischen Modellen, unter Einbeziehung von hochentwickelten Softwarewerkzeugen.
  2. An dieser Stelle kann man mal die Frage aufwerfen, wie müsste eine Theorie des menschlichen Bewusstseins aussehen, so dass ein Systems Engineer sie real und praktisch benutzen könnte, um seine komplexen Aufgaben damit besser lösen zu können? Die meisten Publikationen zum Thema Bewusstsein reden in gewisser Weise ‚über‘ das Phänomen, eingebettet in viele spezielle Begriffe, deren Bedeutung nicht so ohne weiteres klar ist, ohne dass sich daraus ableiten lässt, wie man aus diesem Reden ‚über‘ das Bewusstsein zu konkreten Anleitungen und zu konkreten Methoden kommen kann, die geeignet sind, das reale Verhalten von Akteuren mit Bewusstsein sowohl zu beschreiben wie auch – soweit es die internen Freiheitsgrade von Akteuren erlauben – gewisse Prognosen über ihr Verhalten abzugeben. Für Ingenieure besonders wichtig sind brauchbare Erkenntnisse über die Wechselwirkung zwischen den Situationsgegebenheiten und den inneren Zuständen des Akteurs. Eine verhaltensorientierte Psychologie kann hier in der Regel von großer Hilfe sein, ersetzt aber keine ‚Theorie des Bewusstseins‘ im engeren Sinne.

ZURÜCK AUF START

  1. Die obigen Überlegungen im Hinterkopf, z.T. schon viele Jahrzehnte, habe ich mich jetzt entschlossen, die Frage nach einer geeigneten Theorie des Bewusstseins, die sich in Ingenieurkontexten praktisch nutzen lässt, nochmals neu anzugehen. Dieses Mal bewusst im Rahmen des methodischen Paradigmas des Systems Engineerings.
  2. Dabei trat die Notwendigkeit auf, die pragmatischen Umschreibungen und Handhabungen des Begriffs ‚Systems Engineering‘ im Modell einer ‚Empirischen Wissenschaft‘ mit einer ‚formalen Theorie‘ zu reformulieren und in diesem Kontext dann die Frage nach dem Bewusstsein empirisch und theoretisch zu verfolgen. Obgleich man davon ausgehen kann, dass die Ergebnisse der empirischen Psychologie, der empirischen Neurowissenschaften und einer empirischen Neuropsychologie wertvolle Korrelationen liefern können, so muss man methodisch festhalten, dass sie dies nur dann können, wenn es unabhängig vom Verhalten und den Gehirnaktivitäten eine brauchbare Theorie des Bewusstseins gibt, die sich korrelieren lässt. Ohne solch eine eigenständige Theorie des Bewusstseins bewegen sich Psychologie und Gehirnwissenschaft in einem hermeneutischen Zirkel, aus dem es keinen Notausgang gibt.
  3. Ein Ziel zu haben ist eines, den Weg zum Ziel zu finden etwas anderes.

START IM ALLTAG

  1. Nach zahllosen Versuchen in den letzten Jahren und den intensiven Diskussionen in der Fachliteratur habe ich mich entschieden, den Start der Untersuchung in den Alltag zu verlegen, in den Kontext jener Abläufe und Handlungen, die wir täglich vornehmen, die wir mehr oder weniger gemeinsam haben, und über die zwar nicht unbedingt theoretisch explizit aber dennoch pragmatisch unausgesprochen eine gewisse Einigkeit besteht.

KÖRPER ALS APRIORI

  1. Es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass jene Verhaltensweisen, die wir praktizieren, ohne darüber groß zu diskutieren, jene sind, die in der Dynamik und Struktur unseres Körpers, unseres Gehirns und unseres Bewusstsein biologisch angelegt sind, jene Plattform des Wahrnehmens, Fühlens, Erinnerns, Vorstellens, Entscheidens usw. bieten, mit der wir unser alltägliches Leben bestreiten, auch wenn wir über keinerlei theoretische Erkenntnisse verfügen, wie man dies alles genau verstehen kann bzw. sollte (So können Kinder lernen, sich zu bewegen und zu sprechen, ohne theoretische Kenntnisse).
  2. In der formalen Logik gibt es den Grundsatz, dass man nur jene Sachverhalte ‚beweisen‘ kann, die schon in den Voraussetzungen einer Theorie drin stecken. Im Fall unseres Alltagsverhaltens wäre dann das Alltagsverhalten zu verstehen als eine fortdauernde Manifestation von Voraussetzungen, die biologisch in unserem Körper angelegt sind. Die eigentliche theoretische Arbeit bestünde dann darin, jene Voraussetzungen sichtbar zu machen, die in unserem Körper so angelegt sind, dass wir genau zu dem beobachtbaren Verhalten fähig sind. Schwierig wird es dann nur, wenn wir in unserem beobachtbaren Verhalten nur einen Bruchteil von dem Potential ausnutzen, was ‚in uns‘ steckt. Wie wollen wir dann wissen, ‚wer‘ wir sind, wenn sich unsere potentielle Person – aus den unterschiedlichsten Gründen – nicht ‚zeigt‘? Die Geschichte der Menschheit ist voll von Beispielen, wie kulturelle Muster das Verhalten von Menschen unnötiger Weise in bestimmte Muster gepresst haben (und immer noch pressen), die die Entfaltung von Menschen behindern; umgekehrt haben immer wieder Menschen und Situationen neue Verhaltensweisen hervorgebracht, von denen man sich vorher gar nicht vorstellen konnte, dass es sie geben könnte.

BARRIEREN IM SELBST-ERKENNEN

  1. Dies zeigt, dass das ‚Erkennen unserer selbst‘ selbst wiederum in einem hermeneutischen Zirkel stattfindet, in dem wir möglicherweise nur deswegen vieles nicht erkennen, weil wir uns schlicht nicht vorstellen können,   dass es möglich ist, bzw.  dass wir als Menschen auch ganz anders sein könnten (die Art und Weise, wie noch heute in vielen Kulturen z.B. Kinder und Frauen gesehen und behandelt werden, zeigt überdeutlich, wie schwer sich der homo sapiens tut, seine Verhaltensmodelle zu ändern, und auszuweiten).

Fortsetzung folgt

 

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MATHEMATIK UND WIRKLICHKEIT – DISKUTIERT AM BEISPIEL DES BUCHES VON TEGMARK: Our Mathematical Universe (2014)

Max Tegmark (2014), Our Mathematical Universe. My Quest of the Ultimate Nature of Reality, New York: Alfred A.Knopf

KONTEXT

  1. Das Interesse an dem Buch resultiert aus der Einsicht der letzten Jahre, dass eine Beschäftigung mit den entwickelteren empirischen Theorien, hier insbesondere mit der Physik, ohne ein angemessenes Verständnis der benutzten mathematischen Strukturen und Modellen nur von begrenzter Reichweite ist. Ohne die mathematischen Ausdrücke geht heute nichts mehr in der Physik.
  2. Wie sich aber in vielen philosophischen Analysen zur Funktion von Sprache im Kontext von Wissens gezeigt hat, ist das benutzte Mittel, die jeweilige Sprache, nicht neutral: jede Sprache hat ihre eigene Struktur (Logik, Syntax, Semantik,…), die darüber entscheidet, was man wie mit einer Sprache ausdrücken kann. Dazu kommt unser Gehirn, das sowohl die erfassbaren Ereignisse wie auch die Sprache selbst (die auch eine bestimmte Ereignismenge darstellt) auch in einer sehr spezifischen Weise verarbeitet.
  3. [Anmerkung: ein Beispiel im Block zur Reflexion über die Funktion von logischer Sprache sind die Blogeinträge zur Logik von Avicenna. ]
  4. Es kann also von Interesse sein, sich die Funktionsweise der mathematischen Sprache im Kontext moderner physikalischer Theorien anzuschauen.

BUCH VON TEGMARK

Konzepte aus dem Kap.1 von Tegmark (2014) herausgezogen und neu zusammen gestellt
Konzepte aus dem Kap.1 von Tegmark (2014) herausgezogen und neu zusammen gestellt
  1. Als Einstieg zu dieser Frage bietet sich das Buch von Tegmark (2014) an. Denn hier beschreibt ein Vollblutphysiker seine Suche nach den richtigen Antworten auf Grundsatzfragen wie „Woher kam Alles? Wie wir alles enden? Wie groß ist alles?“ (S.7) oder „Was ist wirklich?“ (S.8) aus der Perspektive der modernen Physik, die sich der Sprache der Mathematik bedient.

PHYSIK PLUS

  1. Dabei lässt er mehrfach durchblicken, dass seine Art die Fragen zu stellen und zu beantworten ein wenig abweicht von dem Stil, der in den offiziellen physikalischen Publikationen üblich ist, und dass dies auch der Grund ist, warum er viele Jahre (mehr als 25) quasi ein Doppelleben führen musst: einerseits als Physiker, der in der üblichen Weise publiziert und denkt, und andererseits als philosophierender Physiker, der sich auch Gedanken über die Methode selbst und deren Auswirkungen macht.
  2. In Kapitel 1 deutet er den allgemeinen Rahmen an, in dem er sich in seinem Buch bewegt. (Siehe dazu das Schaubild)

FRAGEN UND METHODEN ZU ANTWORTEN

  1. Ausgehend von der verbreiteten zweifelnden Frage ob das, was wir real erleben, nicht vielleicht doch nur ein Traum oder eine Simulation sei, deutet er an, mit welchen Mitteln die Physik sich diesen Fragen stellt.
  2. Nach Tegmark geht die Physik von der Annahme der externen Realität eines Universums aus, in dem auch die biologische Evolution stattgefunden hat. Unser Körper mit dem Gehirn ist ein Ergebnis davon.
  3. Zu früheren Zeiten (vor der modernen Physik) haben Menschen auch schon die Fragen nach dem Ganzen, dem Woher, dem Wohin gehabt und auf ihre Weise zu beantworten versucht, in Form von Mythen, Legenden oder religiösen Lehren.
  4. Mit der modernen Physik wurde dies anders. In Wechselwirkung zwischen immer differenzierteren Messgeräten und immer komplexeren mathematischen Ausdrücken konnte die atomare Struktur des Universums enthüllt werden, man entdeckte die Unendlichkeit des Universums, schwarze Löcher und vieles mehr.
  5. Parallel zu den Makrostrukturen enthüllte man schrittweise auch die Mikrostrukturen der biologischen Systeme: Atome, die Synapsen einer Gehirnzelle beeinflussen können, diese wiederum können Prozesse im präfrontalen Cortex stimulieren, von dem aus es dann zu bestimmten Entscheidungen kommen kann, die zu konkreten Aktionen führen können.
  6. Das Gehirn im Körper hat seine eigene Wirklichkeit, die er interne Realität bezeichnet im Gegensatz zur äußeren Realität außerhalb des Gehirns.

DISKURS

  1. Neben Tegmark gab (und gibt) es auch viele andere Physiker, die über das physikalische Denken im engeren Sinne hinausgegangen sind. Zu nennen sind hier beispielsweise Erwin Schrödinger (1887 – 1961) (Diskussion zu Schrödingers ‚What is Life?), Werner Karl Heisenberg (1901 – 1976), Pascual Jordan (1902 – 1980), Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker (1912 – 2007), oder Paul Charles William
  2. Davies (1946 – …), (Diskussion zu Davies im Blog), um nur einige zu nennen.
  3. Was Tegmark von den anderen unterscheidet, ist vielleicht seine Fokussierung auf die Rolle der mathematischen Sprache und die – in den folgenden Kapiteln – erläuterte These, dass die Natur als Objekt der mathematischen Sprache selbst ein mathematisches Objekt sei.
  4. Ob sich diese These durchhalten lässt, wird sich zeigen.
  5. Von diesem Diskurs darf man eine weitere Klärung der Rolle der Mathematik im physikalischen Denken erhoffen.

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CONSCIOUSNESS – BEWUSSTSEIN. Review von Nick Lane’s Kap.9 aus ‚Life Ascending‘ (2009)

Nick Lane „Life Ascending“, London: Profile Books Ltd, 2009 (Paperback 2010)

KONTEXT ZU DIESEM EINTRAG

  1. Dieser Blogeintrag beschäftigt sich mit Kap.9 von Nick Lane’s Buch (s.o.) mit dem Thema Consciousness (Bewusstsein). Dieser Besprechung gingen schon drei andere voraus. Diese finden sich hier.
  2. Das Erkenntnisinteresse liegt hier einmal darin, seine Position darzustellen, zum anderen aber auch, um seine Position einzuordnen in den größeren erkenntnistheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Kontext der Frage nach der möglichen Rolle von Bewusstseinsdaten im Verhältnis zu den empirischen Verhaltens- und Körperwissenschaften.
  3. Wie man aus den bisherigen Blogeinträgen von cagent leicht entnehmen kann, spielte diese Frage von Anbeginn des Blogs eine wichtige Rolle.

BEWUSSTSEIN IN EINEM KÖRPER

Notizen Teil 1 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane's Buch 'Life Ascending' (2009)
Notizen Teil 1 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane’s Buch ‚Life Ascending‘ (2009)
  1. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass das Phänomen des menschlichen Bewusstseins normalerweise im Kontext eines Gehirns in einem Körper erfahren wird.
  2. Der Körper entsteht im Rahmen eines Wachstumsprozesses (Ontogenese) aus einer befruchteten Zelle.
  3. Jeder individuelle Körper ist Teil einer umfassenderen Population, die immer das Ergebnis eines evolutionären Entstehungsprozesses ist.
  4. Das Verhalten der Ausgangs-Zelle im Wachstumsprozess wird von Genen gesteuert. Diese bestimmen das entstehende Gehirn in seinen Grundstrukturen (z.B. Größe der Gehirnbereiche, Verhältnis von aktivierenden und hemmenden Neuronen, die quantitativen Mengen der verschiedenen Neurotransmitter, usw.).(vgl. S.247)
  5. Aufgrund des Verhältnisses von ca. 1 Gen zu ca. 8 Mrd. Synapsen (nach Christoph Koch, vgl. S.247) ist klar, dass die Gene nicht die Details der neuronalen Verschaltungen festlegen können. Diese ergibt sich vielmehr aus der Interaktion des Gehirns mit seiner Umgebung (dem Körper). Durch diese Interaktionen (= Lernprozesse) werden manche Verbindungen gestärkt, andere schwächen sich ab; die ungenutzten sterben weg.

DREI WEISEN DER REALITÄT

Notizen Teil 2 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane's Buch 'Life Ascending' (2009)
Notizen Teil 2 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane’s Buch ‚Life Ascending‘ (2009)
  1. Interessant ist, dass das Reden über das Phänomen des Bewusstseins mindestens drei Wirklichkeitsbereiche voraussetzt: (i) Es gibt einmal den Körper, in dem physikalische, chemische, Biochemische Prozesse ablaufen, die u.a. körperinterne Zustände und Zustandsänderungen kodieren, repräsentieren und miteinander interagieren lassen.
  2. Dann gibt es (ii) Objekte und Ereignisse außerhalb des Körpers, durch die die Körperprozesse nur insoweit tangiert werden, als diese körperexternen Gegebenheiten sich durch Interaktion mit dem Körper irgendwie als Zustandsänderungen im Körper ZVe niederschlagen. Diese körperinternen Zustandsänderungen ZV sind nicht die verursachenden Objekte selbst!
  3. Insofern die extern verursachten Zustandsänderungen des Körpers wiederum mit Teilen des Gehirns interagieren, kann das Gehirn (nn) unterschiedliche Verrechnungsprozesse starten, die zu unterschiedlichen Ereignisstrukturen (ZVnn) führen (also eine Abbildung der Art nn: ZVe —> ZVnn, oder rekursiv: nn: ZVe x ZVnn —> ZVnn x ZVe).
  4. Dass die vom Gehirn errechneten Repräsentationen ZVnn irgend etwas mit der realen Welt außerhalb des Körpers zu tun haben, ist – im ersten Ansatz gedacht – zunächst eher unwahrscheinlich. Warum sollte es einen Zusammenhang geben? Dem steht die tägliche Erfahrung gegenüber, dass jeder Mensch normalerweise das Gefühl hat, dass das Bild, das sein Gehirn von der Außenwelt erzeugt, genau diese Außenwelt ist. Das ist ein Paradox.
  5. Schließlich gibt es noch (iii) die Erlebnisse aus der ersten Person Perspektive, die individuellen persönlichen (privaten, subjektiven) Erlebnisse, Wahrnehmungen, Gefühle, die zwar jeder hat, aber die von einer anderen Person (dritte Person Perspektive, intersubjektiv, empirisch) nicht direkt wahrgenommen werden können.
  6. Für die wahrnehmende Person sind diese subjektiven Erlebnisse real, unmittelbar erlebbar, eine Vielzahl unterscheidbarer Eigenschaften (Qualitäten, Qualia), die alle zusammen vereint erscheinen, eingebunden in ein erlebbares Ganzes, dabei kontinuierlich fließend, d.h. jede Situation geht unmerklich über in die nächste.
  7. Das zweite Paradox ist, dass dieses subjektive Erleben der Welt aus sich heraus keinerlei Rückschlüsse zulässt über jene (neuronalen, physiologischen) Prozesse im Körper, die in der Tat diesen subjektiven Erlebnisstrom erst ermöglichen.
  8. Während sich die physiologischen und neuronalen Prozesse biochemisch beschreiben lassen, man sie detailliert messen kann, entziehen sich die subjektiven Wahrnehmungen jedem messenden Zugriff. Während einige der neuronalen Prozesse zeitlich mit bewussten Wahrnehmungen korrelieren, gilt dies für die große Masse der neuronalen Prozesse nicht. Deren Ablauf erscheint völlig unkorreliert mit möglichen bewussten Wahrnehmungen. Wann ist ein biochemischer Prozess mit Bewusstsein verknüpft, wann nicht? Dies gilt – nach dem Philosophen David Chalmers – als das sogenannte ‚harte Problem‘ des Bewusstseins. (vgl. S.236)

INTERAKTIONEN GEHIRN UND BEWUSSTSEIN

Notizen Teil 3 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane's Buch 'Life Ascending' (2009)
Notizen Teil 3 zur Lektüre von Kap.9 aus Nick Lane’s Buch ‚Life Ascending‘ (2009)
  1. Obwohl die genaue Natur des Wechselverhältnisses zwischen intersubjektivem (= empirischem) Gehirn (NN) und subjektivem Bewusstsein (PH) bislang nicht aufgeklärt werden konnte, gibt es doch sehr viele konkrete Fälle, durch die man mögliche Hypothesen über die Wechselwirkung zwischen NN und PH aufstellen kann.
  2. Eine Klasse von Fällen beruht auf Verletzungen/ Zerstörungen/ Ausfällen bestimmter physischer Teile des Gehirns (NN*), die mit typischen Veränderungen im Verhalten der betreffenden Personen (SR*) korrelieren bzw. die oft auch von den betreffenden Personen (PH*) verbal kommentiert werden. Also eine Abbildung der Form: CORR(NN*, SR*). Eine andere Klasse von Fällen beruht auf der umgekehrten Wirkrichtung: man erzeugt bewusst bestimmte Verhaltensreize S‘, die dann bei einem bestimmten Gehirn NN zu bestimmten Gehirnaktivitäten (NN(t)) sowie zu bestimmten Antwortreizen R‘ führen. also nn: S‘ x NN —> NN x R‘.
  3. Zu den einzelnen Fällen siehe SS.238ff
  4. Aus all den Experimenten schält sich heraus, dass das bewusste Erleben von der Art der neuronalen Prozesse direkt und reproduzierbar beeinflusst wird, obgleich bis heute unklar ist, was genau die bewussten Erlebnissen sind.
  5. Ferner zeigt sich, dass das subjektive Erleben zwar als eine Einheit von vielen Eigenschaften (Qualia) zugleich erscheint, die korrelierenden neuronalen Prozesse aber über das ganze Gehirn verteilt sein können. Aus diesem Befund wir die Hypothese hergeleitet, dass dass das Gehirn über Mechanismen verfügt, unterschiedliche Prozesse und Bereiche zum richtigen Zeitpunkt und sachlich angemessen zu korrelieren (hier werden genannt Edelman, Crick und Koch, sowie Singer). (vgl. SS.245ff) Dazu gehört auch die verfeinernde Annahme, dass die Vielzahl der Prozesse eine bottom-up Struktur haben, eine implizite Hierarchie, in der viele Details im weiteren Verlauf immer mehr abstrahiert und mit anderen Prozessen korreliert werden. Nur die obersten Stufen dieser Hierarchie (nicht alle) sind gewöhnlich bewusst.
  6. Letztere Annahme macht es zwar einerseits plausibel, warum und wie das Bewusstsein situationsbezogen genau jene groben Strukturen wahrnimmt, um die es gerade geht, ohne all die Milliarden Details im Untergrund, macht es aber noch spannender mit der Frage, wann, wie, und warum bestimmte biochemische Prozesse in solche bewusste Tatbestände umschlagen und andere nicht. Die berühmte Frage nach den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins (NKB) (’neurol correlates of consciousness (NCC)‘)(vgl. S.243)

ERSTE LOKALISIERUNG DES BEWUSSTSEINS

  1. Berücksichtigt man all die vorangehenden Fakten und Hypothesen, dann bleibt es immer noch offen, ob man das Bewusstsein doch noch irgendwie weiter einkreisen kann. Lane lässt sich hier u.a. von Wissenschaftlern wie Julian Jaynes, Derik Denton, Steven Rose, Gerald M.Edelman, Antonio Damasio und José Musacchio inspirieren.
  2. Danach ermutigen  zahlreiche Befunde die Hypothese, dass das Bewusstsein primär im alten Teil des Gehirns gründet (Gehirnstamm, Mittelhirn), in dem die vielfältigen Körperzustände repräsentiert und kontrolliert werden. Hier sind auch die primären Emotionen wie Hunger, Durst, Angst, sexuelle Lust und Schmerz verankert, die alle für das Überleben des Organismus von zentraler Bedeutung sind. Diese kommentieren alle Körperzustände automatisch und wirken sich direkt steuernd auf das Verhalten aus. Jüngere Gehirnteile (wie der Neokortex) können zwar das sachliche Weltbild erheblich weiter ausdehnen, differenzieren, setzen aber das primäre Körpermodell mit seinen emotionalen Kommentaren weiterhin voraus.
  3. Nach Lane sieht Damasio das moderne Selbstbewusstsein verortet als eine neue Berechnungsstufe oberhalb des alten Körpermodells und den neuen Sachdimensionen. Das ausgeweitete und differenziertere Bild der Objekte und Ereignisse in der Außenwelt vermittelt durch den Neokortex wird permanent in seinen Wechselwirkungen mit dem Körpermodell abgeglichen. Dieses liefert auch kontinuierlich emotionale Kommentare. Auf der abstrakteren Ebene können die Körperdaten mit den neuen Situationsmodellen verrechnet werden. Sprache bedeutet sowohl eine neue Repräsentationsebene (Laute, Zeichen, Gesten, …= Syntax)) wie auch eine neue Bedeutungsebene (Abbildung von Zeichenrepräsentanten auf Objektrepräsentanten, einschließlich den Emotionen = Semantik, auch Pragmatik). Insofern jeder Mensch eine hinreichend ähnliche neuronale Struktur besitzt ist auf diese Weise begrenzt eine Kommunikation über die jeweils subjektiven Zustände möglich, aber nur soweit, als die beteiligten Personen über hinreichend ähnliche Erfahrungen verfügen.

ONTOLOGISCHER STATUS DES BEWUSSTSEINS

  1. Bleibt noch die Frage, wie man die Phänomene des Bewusstseins ontologisch einordnen kann/ soll.
  2. Für den Wahrnehmenden sind sie subjektiv real. Verglichen mit Prozessen außerhalb des bewussten Wahrnehmungsraumes ist ihr Status völlig offen.
  3. Lane diskutiert auch explizit Hypothesen aus dem Bereich der Quantenphysik. (vgl. SS.252ff) Doch weder lassen sich diese Hypothesen bisher experimentell überprüfen noch sind sie logisch überzeugend. Die Phänomene des Bewusstseins reräsentiern keine Quantenstruktur.(vgl. S.254)

ABSPANN

  1. Dieses Kapitel 9 von Lane (hier nur in Teilen wieder gegeben) liefert inhaltlich mehr Anregungen als so manches komplettes Buch zum Thema Bewusstsein.
  2. Viele Fragen sind weiterhin offen.
  3. Interessant ist die Frage, wie sich die bekannten psychologischen und neuropsychologischen Gedächtnismodelle zu dieser (anfangshaften) Theorie des Bewusstseins verhalten.
  4. Bislang werden diese Gedächtnismodell unabhängig von Fragen der Bewusstseinstheorie oder der Gehirnentwicklung diskutiert. Auch haben die so einflussreichen Emotionen in diesen Theorien keinen rechten Platz.
  5. Ferner ist das methodische Problem einer Theorie des Bewusstseins angesichts der Vielzahl an Disziplinen und Methoden keineswegs geklärt. So rekurrieren die Gehirnforscher oft und gerne auf korrelierendes Verhalten oder auf korrelierende Bewusstseinstatbestände, ohne dass sie aber auf die methodischen Probleme dieser andersartigen Daten explizit eingehen noch dass sie überhaupt explizite verhaltensbasierte oder bewusstseinsbasierte Theorien voraussetzen. Neuropsychologie und Neurophänomenologie sind wirkliche Desiderata, die allerdings sowohl eine theoriefähige Psychologie wie auch eine theoriefähige Phänomenologie voraussetzen.
  6. Zur Frage der ontologischen Geltung würde ich gerne die Hypothese beisteuern, dass möglicherweise die Bewusstseinsdaten emergente Phänomene sind analog wie viele andere Phänomene, wie z.B. auch die Gravitation. Dies bedeutet, dass unsere Materie nicht nur jene Eigenschaften implizit enthält, die sich im Verlauf der biologischen Evolution in immer komplexeren Zusammenhängen gezeigt haben, sondern im synchronisierten Zusammenwirken von Milliarden von Neuronen entsteht ein Ereignisfeld, das genau jene Qualität zeigt, die wir Bewusstsein nennen. Analog ist die Gravitation auch nur erfahrbar in bestimmten Konstellationen von Materie, ohne dass die Gravitation solch ein einzelner Körper wäre.

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DECHER – HANDBUCH PHILOSOPHIE DES GEISTES – EINLEITUNG – DISKURS

Decher, Friedhelm, Handbuch der Philosophie des Geistes, Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2015 (Im Folgenden abgekürzt: HPG)

KONTEXT

  1. Im Laufe der letzten Jahre tauchte der Begriff Geist im Kontext der Blogeinträge immer wieder auf. Ja, er mündete sogar in ein eigenes großes öffentliches Forschungsprojekt, das den Namen Geist im Titel trägt, wenngleich in der englischen Variante Mind. Es ist die Rede vom Emerging Mind Projekt. In diesem Projekt wird ein Bogen gespannt zwischen den geistesgeschichtlichen (inklusive theologischen) Traditionen Europas zu den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften – insbesondere der evolutionären Biologie – inklusive der modernen Mathematik und Ingenieurskunst in Form von selbstlernenden intelligenten Maschinen. Die Arbeitshypothese bisher lautet, dass das, was geisteswissenschaftliche unter dem Begriff Geist abgehandelt wird, eine inhärente Eigenschaft der Energie-Materie ist.
  2. Vor diesem Hintergrund ist das Buch von Friedhelm Decher von Interesse. Er entwickelt in der Art eines Lese-Leitfadens den Gebrauch des Begriffs Geist entlang bedeutender Autoren von den ersten griechischen Denkern bis in die Gegenwart. Im Folgenden soll den Gedanken dieses Buches gefolgt werden und im einzelnen überprüft werden, wo und wieweit es sich mit der Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes überdeckt und wo es davon abweicht; im letzteren Fall interessiert natürlich speziell, wo und warum es eine Abweichung gibt.
  3. Die Arbeitshypothese des Emerging Mind Projektes ist ambivalent. Angenommen, sie trifft zu (wobei zu klären wäre, an welchen empirischen Kriterien man dies verifizieren könnte), dann könnte man das Ergebnis entweder (i) so deuten, dass die Besonderheit des Phänomens Geist sich in die Allgemeinheit einer Energie-Materie auflösen würde, oder (ii) die Besonderheiten der Eigenschaften des Geist-Phänomens lassen die Energie-Materie in einem neuen Licht erscheinen. Die aktuelle Aufspaltung der empirischen Phänomene in physikalische, chemische, biologische usw. Aspekte ist auf jeden Fall wissenschaftsphilosophisch unbefriedigend. Die vielfachen Reduktionsversuche von empirischen Phänomenen aus nicht-physikalischen Disziplinen auf das Begriffsrepertoire der Physik ist wissenschaftsphilosophisch ebenfalls weitgehend nicht überzeugend. Vor diesem Hintergrund wäre ein Vorgehen im Stile von (ii) sehr wohl interessant.
  4. Anmerkung: Die folgende Diskussion des Buches ersetzt in keiner Weise die eigene Lektüre. Der Autor dieser Zeilen diskutiert das Buch aus seinem Erkenntnisinteresse heraus, das verschieden sein kann sowohl von dem eines potentiellen Lesers wie auch möglicherweise (und sehr wahrscheinlich) von Friedhelm Decher selbst. Wer sich also eine eigene Meinung bilden will, kommt um die eigene Lektüre und eigene Urteilsbildung nicht herum.

EINLEITUNG (SS.9-15)

Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)
Diagramm zur Einleitung von Handbuch der Philosophie des Geistes (Decher 2015)
  1. Einleitungen in Bücher sind immer schwierig. Im Fall des HPG werden einerseits die verschiedenen sprachlichen Manifestationen des Begriffs Geist anhand diverser Wörterbücher und der aktuellen Alltagssprache illustrierend aufgelistet, andererseits gibt es den Versuch einer Fokussierung und einer ersten Strukturierung aus der Sicht des Autors Decher.
  2. Decher geht davon aus, dass Begriffe wie Geist, Bewusstsein, Selbstbewusstsein und Ich beim Menschen sowohl im Rahmen seiner Selbsterfahrung vorliegen, wie auch sich im menschlichen Verhalten manifestieren. Am Verhalten kann man viele Fähigkeiten ablesen wie z.B. sich Erinnern können, Sprechen können, vorausschauend Planen usw.
  3. Decher geht ferner davon aus, dass diese Phänomene jedem vertraut sind; sie sind offensichtlich.
  4. Es stellt sich damit die Frage, wo diese Phänomene herkommen. Mit Blick auf die Naturgeschichte folgt er einem einzigen Autor Ian Tattersall (1998), nach dem die Geschichte des Menschen vor 200.000 Jahren beginnt, und dieser Beginn sei u.a. dadurch charakterisiert, dass schon bei dieser Entstehung der Mensch kognitive Fähigkeiten gezeigt hat, die ihn von allen anderen Lebensformen abhoben. (vgl. S.14) Dies wertet Decher als erste Manifestationen von Geist, die sich dann im weiteren Verlauf in vielerlei Weise ergänzen. Er erwähnt besonders die Höhlenmalereien von vor 35.000 Jahren oder dann später mit Beginn der Hochkulturen in Ägypten und in Griechenland die sprachlichen Manifestationen.
  5. Zu erwähnen ist auch noch die Nennung des Begriffs Seele. (vgl. S.13) Dieser Begriff kommt nahezu parallel zum Begriff Geist vor. Hier bleibt noch offen, wie das Verhältnis dieser beiden Begriffe zu klären ist.

DISKURS

  1. So vorläufig und kryptisch, wie Gedanken in einer Einleitung nun mal sein müssen, so lassen diese Seiten doch schon – wenn man will – eine erste Positionierung von Autor Decher erkennen. Trotz Parallelisierung mit der Naturgeschichte des Menschen hebt er die Phänomene von Geist (und Seele) doch deutlich hervor und baut damit – dramaturgisch? – eine erste Spannung auf, wie sich das Verhältnis von Geist-Seele zum Übrigen von Geist-Seele weiter bestimmen lässt.
  2. Da wir heute aufgrund der modernen Wissenschaften über Erkenntnisse zum Gehirn sowie zu mathematischen Modellen verfügen, mittels deren wir alle bekannten geistig-seelischen Phänomene mittels nicht-geistig-seelischer Mittel als Verhaltensereignisse realisieren können, wird die Frage nach der möglichen Besonderheit des Geistes nicht minder spannend.
  3. Die heute vielfach festzustellende Euphorie in der Einschätzung intelligenter Maschinen und die stark einseitige Einschätzung einer möglichen Zukunft des Menschen im Vergleich zu den intelligenten Maschinen zugunsten der intelligenten Maschinen kann ein Motiv sein, die Spurensuche nach der Besonderheit des Geistigen mit Interesse zu verfolgen. Auf Seiten der Technikgläubigen kann man vielfach eine gewisse Naivität in der Einschätzung der Möglichkeiten von intelligenten Maschinen beobachten gepaart mit einer erschreckend großen Unwissenheit über die biologische Komplexität des Phänomens homo sapiens als Teil eines gigantischen Ökosystems. Eine solche Mischung aus technischer Naivität und Biologischer Unwissenheit kann sehr gefährlich sein, zumindest dann, wenn sie den Leitfaden abgibt für die Gestaltung der Zukunft menschlicher Gesellschaften.
  4. Es bleibt spannend zu sehen, ob und wie die Lektüre von Dechers Buch in dieser Fragestellung konstruktive Anregungen bringen kann.

Eine Fortsetzung findet sich HIER.

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STUNDE DER ENTSCHEIDUNG – Ist irgendwie immer, aber manchmal mehr als sonst

PARIS IST ES NICHT

  1. Dass in dem Augenblick, in dem ich diese Zeilen schreibe, wenige Stunden zuvor wieder einmal Terroranschläge in Paris stattgefunden haben, die vielfach dem sogenannten Islamischen Staat zugerechnet werden (klare Informationen habe ich noch keine), ist eher Zufall. Dennoch gibt es möglicherweise einen Zusammenhang mit dem Thema dieses Blogeintrags. Der Leser möge sein eigenes Urteil bilden.

ENTSCHEIDUNGEN IM GROSSEN

  1. Die Formulierung Stunde der Entscheidung kann pathetisch klingen, je nachdem, wo und wie man solch eine Formulierung benutzt. Meist denkt man wohl an kriegerische Auseinandersetzungen, an Kriege zwischen Völker und Nationen, wenn es für alle Beteiligten um Sein oder Nichtsein ging. Das hatte dann schon etwas von Stunde der Entscheidung.

ENTSCHEIDUNGEN GANZ KLEIN

  1. Wenn man den Blick auf solch eine Sondersituation fokussiert, dann gerät man aber in Gefahr, den Blick für das Ganze zu verlieren. Das Ganze ist der Lebensprozess auf dieser Erde. Wir Menschen – das vergessen wir gerne – sind keine losgelösten Sonderwesen, die alleine auf diesem Planeten leben, die alleine über das Schicksal des Lebens auf diesem Planeten entscheiden. Nein. Nichts falscher als dieses. Wir Menschen, jeder einzelne Menschen, JEDER!, bilden eine Lebensform, die in der Kooperation von ca.37 Billionen (= 10^12) einzelnen Zellen besteht. 37 Billionen! (zum Vergleich, man schätzt, dass die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, ca. 100 Milliarden (= 10^9) Sonnen umfasst). Und das ist noch nicht alles. Man schätzt, dass IN unserem Körper nochmals ca. 100 Milliarden (=10^9) Bakterien leben, und auf unserer Haut ca. 220 Milliarden. Diese alle zusammen bilden eine Lebensgemeinschaft, die dafür sorgt, dass wir Körperfunktionen haben, das wir uns ernähren können, dass wir denken können, dass wir in dieser Welt voller Bakterien überhaupt existenzfähig sind. Ohne diese Bakterien würden wir innerhalb von Stunden zugrunde gehen, elendig, hilflos.

(Anmerkung: Alle Informationen zu den Mikroben habe ich dem Buch von Kegel entnommen (s.u.), das ich hier im Blog auch noch ausführlich besprechen werde).

  1. Jede einzelne dieser Zellen ist so komplex, dass ein modernes Lehrbuch über die Zelle 1342 engbedruckte Seiten umfasst, und man nach der Lektüre von diesen 1342 Seiten wissen kann, dass viele wichtige Fragen – vielleicht sogar die wichtigsten? – noch unbeantwortet sind. Klar ist aber, dass jede einzelne Zelle in jedem Moment der Ort von Entscheidungen ist, von vielen Entscheidungen gleichzeitig, die alle darüber entscheiden, wird das Leben in den nächsten Minuten noch stattfinden oder nicht. Also, in jeder Sekunde, nein, in jeder Millisekunde, haben wir 37*10^12 * 100*10^19 * 220*10^9 Zellen und Bakterienorte, in denen jeweils mehr als eine Entscheidung gefällt wird, was als nächstes geschehen wird. Dort, wo diese Entscheidungen geschehen, sind sie unabhängig voneinander, aber in ihrem Effekt zeigen sie, dass sie auf wunderbare Weise aufeinander abgestimmt sind! Wenn wir sagen, dass wir gesund und leistungsfähig sind, dann sind alle diese 37*100* 220* 10^12 * 10^19 *10^9 = 814*10^43 Entscheidungsbereiche so aufeinander abgestimmt, dass wir subjektiv das Gefühl haben, alles ist OK, alles ist perfekt, alles ist gut.
  2. Zum Vergleich, ein Weltkonzern wie Siemens hatte im März 2015 ca. 342.000 Mitarbeiter, also 342 * 10^3 menschliche Entscheidungsbereiche. Wenn man sieht, wie schwer sich solch ein Weltkonzern mit einer Komplexität von 10^3 Entscheidungsbereichen tut, alles miteinander gut laufen zulassen, welcher Aufwand getrieben wird, wie viel Misskommunikation stattfindet, wie viele Pannen, dann kann man – aber nur sehr schwach und dunkel – erahnen, was es bedeutet, dass jeder einzelne Mensch eine Komplexität von 10^43 aufweist; ehrlicherweise entzieht sich dies unser Vorstellungskraft. Die Menge der Gegenstände, die wir mit unserem Gehirn bewusst gleichzeitig denken können, liegt in der Größenordnung von 4-9 Auch bei einem Nobelpreisträger!!!
  3. Laut dem statistischen Bundesamt waren von allen Arbeitnehmern in Deutschland 2014 offiziell 9,5 Tage krank gemeldet . Bezogen auf 365 Tage im Jahr sind dies 2.6% eines Jahres. Also, unser unvorstellbares Gebilde von 814*10^43 Mikroentscheidungsbereichen unseres Körpers hat eine – bezogen auf die Arbeitsfähigkeit – Ausfallrate von 2.6%. Wenn wir bedenken, dass wir bis heute nicht in er Lage sind, auch nur eine einzige Zelle selbst komplett herzustellen (wir benutzen dafür das Knowhow der Zellen, die sich selbst reproduzieren können), geschweige denn verstehen, wie man solch komplexe Gebilde mit einer Komplexität von 814*10^43 herstellen würde (obwohl jede Zeugung eines Menschen mit Geburt und anschließendem Wachstum den Eindruck erweckt, wir sind zumindest am Geschehen beteiligt), dann erleben wir in jedem Augenblick ein Ereignis-Wunderwerk, das sich unserem wissenschaftlichen Verstehen bislang weitestgehend entzieht. Immerhin gewinnen wir immer mehr erste Einblicke, durch die wir überhaupt merken (wer merkt es wirklich?), mit welch ungeheuerlichen Sache wir es hier zu tun haben.

PLANET DER MIKROBEN

  1. Würde man jetzt anfangen zu rechnen, wie viele Zellen und Bakterien es auf der Erde gibt, mit dem Wissen, das Bakterien sich sowohl viele Kilometer tief im Boden, im Meer, unterm Meer, in der Luft über uns vorfinden (mit vielen Milliarden pro Gramm Boden), dann kann man irgendwie erahnen, dass es eine ungeheuer große Zahl sein muss. Und es gibt keine Lebensform auf der Erde, weder bei den pflanzlichen noch den tierischen, die zu ihren elementaren Funktionen nicht Bakterien benötigt, und zwar immer sehr, sehr viele. Die Erde ist in erster Linie ein Planet der Bakterien, genauer der Mikroben, da man in der heutigen Wissenschaft neben den Bakterien noch die  Archaea kennt.
  2. Alle komplexeren Lebensformen, jene, die wir mit unseren Sinnesorganen direkt wahrnehmen können, sind letztlich Konstruktionen unter Verwendung der einfachen Strukturen (Eukaryoten, Bakterien, Archaea). Selbst das Gehirn, beim Menschen der Sitz von Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Sprechen, Bildverstehen, Emotionen, Gefühlen usw. ist nah besehen nichts anderes als eine Ansammlung von ca. 100 Milliarden Gehirnzellen (plus vieler weiterer Hilfszellen), die jede für sich ist. Die einzeln Zelle weiß in gewisser Weise nichts von all den anderen. Und doch kooperieren diese Zellen im Millisekundenbereich miteinander auf eine Weise, die uns, die wir solch ein Gehirn haben, den Eindruck erwecken, als ob wir Objekte im Raum sehen mit Formen, Farben, verschiedenen Positionen, wir hören Laute, wir betasten Gegenstände, wir haben gerade mal keinen Hunger aber vielleicht Durst, … das Gehirn bietet uns einen Raum des Bewusstseins, angefüllt mit Phänomenen. Und dies leisten diese 100 Milliarden einzelne Zellen, die nichts voneinander wissen. Die Neurowissenschaften, die bislang viele wunderbare Eigenschaften über das Gehirn herausgefunden haben, können bislang aber nicht wirklich erklären, woher und wie diese 100 Milliarden Zellen + X weitere Zellen es wissen, was zu tun ist.

WIE IST DAS MÖGLICH?

  1. Wie gesagt, das was wir sind, jeder einzelne von uns, ist so ungeheuerlich, so unfassbar, dass man sich – aktuell, momentan – kaum vorzustellen vermag, wie es möglich ist, dass es uns (und all die anderen unfassbaren Lebensformen) tatsächlich gibt, so gibt, wie wir uns vorfinden.
  2. Wunderbarerweise hat die Wissenschaft seit ca. der Mitte des 19.Jh immer mehr einzelne Fakten entdeckt, gesammelt, in Beziehung gesetzt, so dass wir heute davon ausgehen müssen, dass die Geschichte dieser Mikroben vor etwa 4 Milliarden Jahren begonnen zu haben scheint. Zu Beginn gab es noch keinen Sauerstoff, der heute so allgegenwärtig erscheint und ohne den die meisten Lebensformen nicht existieren könnten. Alle ersten Lebensformen kamen ohne Sauerstoff aus; es waren di Cyanobakterien, die als erste und einzige ein Verfahren zur Fotosynthese ‚erfunden‘ haben, das als Abfallprodukt Sauerstoff freisetzt. Dies begann vor ca. -3 Milliarden bis – 2.7 Milliarden Jahren, und setzte einen Prozess in Gang, der schrittweise, das Meer und die Atmosphäre nachhaltig veränderte. Die neuen Oxidationsprozesse erzeugten massive Treibhausgase, die u.a. zur Totalvereisung der Erde (Huronische Eiszeit) führten, die mehrere hundert Millionen Jahre gedauert hat.
  3. Vor ca. -1.45 bis -1.85 Milliarden kamen dann die eukaryontischen Zellen ins Spiel, die schon auf der Basis von Sauerstoff operierten. Zwischen -0.6 Milliarden und -0.85 Milliarden finden sich dann die ersten Vielzeller. Sehr trockene Fakten für ein kosmologisches Drama der Sonderklasse. Das biologische Leben als Ganzes hat die Qualität einer kosmologischen Singularität (unter anderem gilt: es funktioniert als Entropiekonverter, für den es keine bekannten physikalischen Gesetze gibt; für deren Auftreten es keinen bekannten Grund gibt; der Vorgang besitzt eine implizite anwachsende Komplexität; er ist irreversibel).

DNA ALS INFORMATION

  1. Sind alle diese Fakten schon atemberaubend, so erleben wir in unserer Gegenwart, seit ca. 50-60 Jahren einen Prozess, der das Zeug dazu hat, zu einem weiteren Meilenstein der Evolution beitragen zu können.
  2. Bislang in den vier Milliarde Jahren Leben auf dem Planet Erde hat das Leben sich dadurch behauptet und weiter entwickelt, dass es in der Lage war, Moleküle (DNA) dazu zu benutzen, um Bauprozesse und Ablaufprozesse in Form von chemischen Verbindungen zu kodieren und wieder zu dekodieren. Diese revolutionäre Erfindung von Information im Vollsinn (zum Vergleich, der heute vielfach benutzte sogenannte Informationsbegriff von Shannon deckt nur einen Teilbereich von Information ab; Shannon selbst war sich dieses Sachverhalts voll bewusst!) war – im Nachhinein betrachtet – mit Abstand die wichtigste aller Innovationen, die das Leben auf diesem Planeten auszeichnet. Denn nur dadurch konnte Evolution überhaupt stattfinden. Was immer der Selbstreproduktionsmechanismus leistete, nur durch die Einbeziehung einer Informationsstruktur, die aktuelle ‚Anweisungen‘ speicherte, konnten sich die verschieden – weitgehend zufällig erzeugten Änderungen – in der Gesamtheit erfolgreicher Bauteine ‚erhalten‘ und damit sich zu den Bauplänen von Leben entwickeln, die wir heute vorfinden und partiell kennen.
  3. Eine Theorie der Welt, die nur die bekannten physikalischen Gesetze berücksichtigen würde, wäre angesichts der biologischen Phänomene, wesentlich unvollständig (wobei die heutige Physik ja auch in sich selbst unvollständig und widersprüchlich ist und bezogen auf bekannte empirische Phänomene wie ‚dunkler Materie‘ bzw. ‚dunkler Energie‘ nicht einmal die leiseste Idee hat, wie sie damit umgehen soll).

JENSEITS DER DNA

  1. Nimmt man die biologischen Phänomene ernst, nimmt man diesen Selbstreproduktionsmechanismus mit dem vollen Informationsmechanismus im Kern ernst, dann erleben wir mit dem Auftreten von Gehirnen generell und mit dem Auftreten spezieller Technologien seit dem letzten Jahrhundert etwas Besonderes.
  2. Mit dem Auftreten der Gehirne, speziell dem Gehirn des homo sapiens (dazu werden wir gezählt), kommt eine neue Qualität ins Spiel. Während die in der DNA kodierte Information im Prinzip ‚fest‘ ist (obgleich wir heute gelernt haben, dass es ’nicht ganz fest‘ ist, Stichwort Epigenetik), können Gehirne ad hoc lernen, speziell können sie von der Wirklichkeit abstrahieren und in Echtzeit Modelle/ Theorien über mögliche Strukturen und Zusammenhänge der Wirklichkeit bauen. Insbesondere können sie mittlerweile auch die Gehirne selbst bzw. die DNA aller Lebewesen untersuchen, modellieren, simulieren, verändern, und experimentell die Veränderungen ausprobieren. Die aktuellen Lebensformen (und hier wieder speziell und ausschließlich der homo sapiens) können also erstmalig nach vier Milliarden Jahren den bisherigen DNA-gesteuerten Evolutionsprozess erweitern zu einem DNA-Gehirn-Computer-gesteuerten Evolutionsprozess, der die Entwicklung begrenzt beschleunigen kann.

EVOLUTIONSSPRUNG?

  1. Dies ist klar ein strukturelles Ereignis im Evolutionsprozess, das markant ist. Neben der Erfindung der DNA als generischem Informationsträger (vor mehr als 4 Milliarden Jahren) und dem Gehirn als erweiterter adaptiver Meta-Informationsstruktur (seit etwa -0.6 Milliarden Jahren) findet diese Rückanwendung von Gehirnerkenntnissen auf die Trägerstrukturen erst jetzt langsam in der Gegenwart statt (vor ca. 0 Jahren). Wenn man will, kann man darin eine Form von Beschleunigung erkennen.
  2. Was sich jetzt aber anzudeuten beginnt, ist ein Problem, das bislang eher verdeckt war, nun aber nicht mehr weiter unter der Decke gehalten werden kann: die Frage nach dem Wohin!

WOHIN?

  1. Solange das biologische Leben nur mit der DNA als steuernder Information gearbeitet hat, gab es zwei Komponenten: (i) Der Mechanismus des Kopierens und (zufälligen) Variierens im Bereich der informatorischen Kombinationsmöglichkeiten und der physikalisch-chemischen Realisierung; (ii) das Referenzsystem Erde, das nur solche ‚Entwicklungen‘ hat überleben lassen, die zu den jeweils aktuellen Lebensbedingungen der Erde (die sich im Laufe der vier Milliarden Jahre z.T. dramatisch geändert hatten) gepasst haben. D.h. alles, was sich bis heute entwickeln konnte, basiert auf den Erfolgen der Vergangenheit unter den Bedingungen der konkreten Erde.
  2. Im Rahmen unseres neuen Erkennens und Verstehens kann man sich aber – zumindest symbolisch-theoretisch – von den gesetzten Bedingungen der Erde frei machen, und die generelle Frage stellen, was das Ganze überhaupt soll? Geht es nur um Optimierung von Energiegewinnung und -nutzung? Geht es nur um immer bessere Kooperation und Koordinierung und damit um immer mehr Komplexität? Geht es nur um ein Leben auf der Erde (bis zur Ausdehnung der Sonne und dem Anstieg der Temperaturen haben wir ca. 1 Milliarde Jahre noch Zeit) oder auch um weitere Räume? Kann es nicht sogar noch ganz andere Lebensformen geben, auch für uns homo sapiens, für alle Zellen?
  3. Viele neue interessante radikale Fragen, die sich jetzt mit neuer Realität, mit neuer Wucht stellen. Fragen, die uns alle betreffen.

WER KANN ANTWORTEN?

  1. Schaut man sich dann Tagesereignisse an, dann erleben wir hier eine bizarre Ungleichzeitigkeit: auf der einen Seite steuert die Evolution durch die Erfolge des homo sapiens real auf einen neuen qualitativen Evolutionssprung zu, auf der anderen Seite erleben wir, wie in vielen Ländern dieser Welt ein Denken neue Macht gewinnt, das weder von der modernen Wissenschaft noch von den kulturellen Entwicklungen der letzten 10.000 Jahren Kenntnis zu haben scheint.
  2. Wenn Mitglieder des IS von sich behaupten, dass sie Muslime sind, dann muss man ernsthaft fragen, was sie überhaupt vom Islam wissen? Mag sein, dass sie Verse aus dem Koran zitieren können (das können heute schon die meisten Roboter), aber daraus folgt nicht, dass sie irgendetwas von dem Islam verstanden haben. Nicht nur hatte der Koran selbst, was man wissen kann, eine eigene dynamische Entstehungsgeschichte, in die unterschiedliche Überlieferungen und Interpretationen mit eingeflossen sind, sondern die Geschichte des Islams ist bunt, reich, vielschichtig und hatte Gesamteuropa in der Zeit 700 – 1400 eine Blütezeit geschenkt, die mit zu dem Größten zählt, was die europäische Kultur damals hervorgebracht hatte. Nicht nur lebte der Islam damals mit allen Religionen friedlich zusammen, sondern der Islam war u.a. die treibende Kraft in den Wissenschaften, und zwar auf allen Gebieten. Die größten Philosophen, Theologen und Wissenschaftler jener Zeit waren Muslime, und es gab für einen Muslim keine größere Ehre, als das Wissen der ganzen Welt zu sammeln, Übersetzungen anfertigen zu lassen, Bibliotheken für alle einzurichten, Schulen für alle, Krankenhäuser, medizinische Forschung und vieles mehr. Zur gleichen Zeit boten die westlichen christlichen Ländern ein Bild des Jammerns, wissenschaftsfeindlich, kein Sinn für das Gemeinwohl, keine Schulen, keine Bibliotheken usw.
  3. So, wie es auch im Christentum zu allen Zeiten unterschiedliche Strömungen gab, und sich nicht unbedingt die durchgesetzt haben, die am meisten christlich waren, so gab und gibt es auch im Islam unterschiedliche Strömungen. Eine sehr starke Strömungen heute, der Wahabismus, nimmt für sich (wie es jede Sekte tut), in Anspruch den wahren Islam zu vertreten. Aber wenn man den Koran und die Geschichte des Islams ernst nimmt, gibt es wenig Grund, warum man diesen Anspruch ernst nehmen sollte, außer, dass Wahabiten alle umbringen, die ihren Anspruch nicht akzeptieren. Eine solche Einstellungen widerspricht allen elementaren Erkenntnissen über den Menschen, über die Welt und widerspricht – soweit ich sehe – den meisten großen islamischen Philosophen und Theologen.
  4. Bedenkt man aber, wie wenig Christen einer Papstkirche widersprechen, wie wenig Juden den orthodoxen Juden in Israel widersprechen, dann sollte es uns auch nicht wundern, dass so wenig Muslime sich gegen den Wahabismus erheben. Eine Religion hat nur drei Wahrheitsquellen: die direkte Begegnung mit Gott, die Liebe zum Leben und die Wissenschaft. Wer eines davon ausschließt (und die Wahabiten schließen – so wie sie sich darstellen – alle drei Quellen aus) kann schwerlich zu einer lebendigen Religion finden, die das Leben von innen heraus liebt und fördert.
  5. Zurück zur Wertefrage: Wohin überhaupt? Die Wissenschaft ist heute an den Punkt gekommen, wo sich mehr und mehr die Wertefrage radikal stellen muss. Die Wissenschaft als solche ist aber nicht auf Ethik und Philosophie oder noch weitergehende Fragen eingestellt. Sie macht ihren Job als Sachklärerin, das macht sie bislang leidlich gut, aber mehr ist nicht drin. Was aber nun? Wenn kann man fragen?
  6. Wir alle sind gefragt.

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QUELLEN

Bernhard Kegel, Die Herrscher der Welt. Wie Mikroben unseer Leben bestimmten, Köln: DuMont, 2015

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 3-neu

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll.

Hinter den Augen …

Das eingesperrte Gehirn

Die Antwort auf die Frage, warum Menschen so unterschiedlich wahrnehmen, warum sie dies tun und anderes lassen, liegt irgendwo da im ‚Inneren‘ des Menschen, dort, hinter seinen Augen, hinter seinem Gesicht, das mal lächelt, mal weint, mal zürnt; dort gibt es ‚geheimnisvolle Kräfte‘, die ihn, uns, Dich und mich, dazu bringen uns so zu verhalten, wie wir es erleben.

Wie die moderne Biologie uns in Gestalt der Gehirnforschung lehrt, ist es vor allem das Gehirn, in dem ca. 100 Milliarden einzelne neuronale Zellen miteinander ein Dauergespräch führen, dessen Nebenwirkungen die eine oder andere Handlung ist, die wir vornehmen.

Wenn wir uns auf die moderne Biologie einlassen, auf die Gehirnwissenschaft, erkennen wir sehr schnell, dass das Gehirn, das unser Verhalten bestimmt, selbst keinen Kontakt mit der Welt hat. Es ist im Körper eingeschlossen, quasi abgeschottet, isoliert von der Welt jenseits des Körpers.

Das Gehirn bezieht sein Wissen über die Welt jenseits der Gehirnzellen von einer Art von ‚Mittelsmännern‘, von speziellen Kontaktpersonen, von Übersetzern; dies sind unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut, Geschmackszellen, Gleichgewichtsorgan, die bestimmte Ereignisse aus der Welt jenseits der Gehirnzellen in die ‚Sprache des Gehirns‘ übersetzen.(Anmerkung: Siehe: Sinnesorgan, Sensory Receptor, Sensory System)

Wenn wir sagen, dass wir Musik hören, wunderschöne Klänge, harmonisch oder dissonant, laut oder leise, hoch oder tief, mit unterschiedlichen Klangfarben, dann sind dies für das Gehirn ’neuronale Signale‘, elektrische Potentialänderungen, die man als ‚Signal‘ oder ‚Nicht-Signal‘ interpretieren kann, als ‚An‘ oder ‚Aus‘, oder einfach als ‚1‘ oder ‚0‘, allerdings zusätzlich eingebettet in eine ‚Zeitstruktur‘; innerhalb eines Zeitintervalls können ‚viele‘ Signale auftreten oder ‚wenige‘. Ferner gibt es eine ‚topologische‘ Struktur: das gleiche Signal kann an einem Ort im Gehirn ein ‚Klang‘ bedeuten, an einem anderen Ort eine ‚Bild‘, wieder an einem anderen Ort ein ‚Geschmack‘ oder ….

Was hier am Beispiel des Hörens gesagt wurde, gilt für alle anderen Sinnesorgane gleichermaßen: bestimmte physikalische Umwelteigenschaften werden von einem Sinnesorgan so weit ‚verarbeitet‘, dass am Ende immer alles in die Sprache des Gehirns, in die neuronalen ‚1en‘ und ‚0en‘ so übersetzt wird, so dass diese Signale zeitlich und topologisch geordnet zwischen den 100 Mrd Gehirnzellen hin und her wandern können, um im Gehirn Pflanzen, Tiere, Räume, Objekte und Handlungen jenseits der Gehirnzellen neuronal-binär repräsentieren zu können.

Alles, was in der Welt jenseits des Gehirns existiert (auch die anderen Körperorgane mit ihren Aktivitäten), es wird einheitlich in die neuronal-binäre Sprache des Gehirns übersetzt. Dies ist eine geniale Leistung der Natur(Anmerkung: Dass wir in unserem subjektiven Erleben keine ‚1en‘ und ‚0en‘ wahrnehmen, sondern Töne, Farben, Formen, Geschmäcker usw., das ist das andere ‚Wunder der Natur‘.) (siehe weiter unten.).

Die Welt wird zerschnitten

Diese Transformation der Welt in ‚1en‘ und ‚0en‘ ist aber nicht die einzige Übersetzungsbesonderheit. Wir wissen heute, dass die Sinnesinformationen für eine kurze Zeitspanne (in der Regel deutlich weniger als eine Sekunde) nach Sinnesarten getrennt in einer Art ‚Puffer‘ zwischen gespeichert werden. (Anmerkung: Siehe Sensory Memory) Von dort können sie für weitere Verarbeitungen übernommen werden. Ist die eingestellte Zeitdauer verstrichen, wird der aktuelle Inhalt von neuen Daten überschrieben. Das voreingestellte Zeitfenster (t1,t2) definiert damit, was ‚gleichzeitig‘ ist.

Faktisch wird die sinnlich wahrnehmbare Welt damit in Zeitscheiben ‚zerlegt‘ bzw. ‚zerschnitten‘. Was immer passiert, für das Gehirn existiert die Welt jenseits seiner Neuronen nur in Form von säuberlich getrennten Zeitscheiben. In Diskussionen, ob und wieweit ein Computer das menschliche Gehirn ’nachahmen‘ könnte, wird oft betont, der Computer sei ja ‚diskret‘, ‚binär‘, zerlege alles in 1en und 0en im Gegensatz zum ‚analogen‘ Gehirn. Die empirischen Fakten legen hingegen nahe, auch das Gehirn als eine ‚diskrete Maschine‘ zu betrachten.

Unterscheiden sich die ‚Inhalte‘ von Zeitscheiben, kann dies als Hinweis auf mögliche ‚Veränderungen‘ gedeutet werden.

Beachte: jede Sinnesart hat ihre eigene Zeitscheibe, die dann vom Gehirn zu ’sinnvollen Kombinationen‘ ‚verrechnet‘ werden müssen.

Die Welt wird vereinfacht

Für die Beurteilung, wie das Gehirn die vielen unterschiedlichen Informationen so zusammenfügt, auswertet und neu formt, dass daraus ein ’sinnvolles Verhalten‘ entsteht, reicht es nicht aus, nur die Gehirnzellen selbst zu betrachten, was zum Gegenstandsbereich der Gehirnwissenschaft (Neurowissenschaft) gehört. Vielmehr muss das Wechselverhältnis von Gehirnaktivitäten und Verhaltenseigenschaften simultan betrachtet werden. Dies verlangt nach einer systematischen Kooperation von wissenschaftlicher Verhaltenswissenschaft (Psychologie) und Gehirnwissenschaft unter der Bezeichnung Neuropsychologie. (Anmerkung: Siehe Neuropsychology)

Ein wichtiges theoretisches Konzept, das wir der Neuropsychologie verdanken, ist das Konzept des Gedächtnisses. (Anmerkung: Memory) Mit Gedächtnis wird die generelle Fähigkeit des Gehirns umschrieben, Ereignisse zu verallgemeinern, zu speichern, zu erinnern, und miteinander zu assoziieren.

Ausgehend von den oben erwähnten zeitlich begrenzten Sinnesspeichern unterteilt man das Gedächtnis z.B. nach der Zeitdauer (kurz, mittel, unbegrenzt), in der Ereignisse im Gedächtnis verfügbar sind, und nach der Art ihrer Nutzung. Im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis kann eine kleine Zahl von Ereignissen im begrenzten Umfang verarbeitet und mit dem Langzeitgedächtnis in begrenztem Umfang ausgetauscht werden (speichern, erinnern). Die Kapazität von sinnespezifischen Kurzzeitspeicher und multimodalem Arbeitsgedächtnis liegt zwischen ca. 4 (im Kurzzeitgedächtnis) bis 9 (im Arbeitsgedächtnis) Gedächtniseinheiten. Dabei ist zu beachten, dass schon im Übergang vom oben erwähnten Sinnesspeichern zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis eine starke Informationsreduktion stattfindet; grob von 100% auf etwa 25%.

Nicht alles, was im Kurz- und Arbeitsgedächtnis vorkommt, gelangt automatisch ins Langzeitgedächtnis. Ein wichtiger Faktor, der zum Speichern führt, ist die ‚Verweildauer‘ im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, und die ‚Häufigkeit‘ des Auftretens. Ob wir nach einer Speicherung etwas ‚wiederfinden‘ können, hängt ferner davon ab, wie ein Ereignis abgespeichert wurde. Je mehr ein Ereignis sich zu anderen Ereignissen in Beziehung setzen lässt, umso eher wird es erinnert. Völlig neuartige Ereignisse (z.B. die chinesischen Schriftzeichen in der Ordnung eines chinesischen Wörterbuches, wenn man Chinesisch neu lernt) können Wochen oder gar Monate dauern, bis sie so ‚verankert‘ sind, dass sie bei Bedarf ‚mühelos‘ erinnern lassen.

Ein anderer Punkt ist die Abstraktion. Wenn wir über alltägliche Situationen sprechen, dann benutzen wir beständig Allgemeinbegriffe wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Mensch‘ usw. um über ‚konkrete individuelle Objekte‘ zu sprechen. So nennen wir ein konkretes rotes Etwas auf dem Tisch eine Tasse, ein anderen blaues konkretes Etwas aber auch, obgleich sie Unterschiede aufweisen. Desgleichen nennen wir ein ‚vertikales durchsichtiges Etwas‘ eine Flasche, ein vertikales grünliches Etwas auch; usw.

Unser Gedächtnis besitzt die wunderbare Eigenschaft, alles, was sinnlich wahrgenommen wird, durch einen unbewussten automatischen Abstraktionsprozess in eine abstrakte Struktur, in einen Allgemeinbegriff, in eine ‚Kategorie‘ zu übersetzen. Dies ist extrem effizient. Auf diese Weise kann das Gedächtnis mit einem einzigen Konzept hunderte, tausende, ja letztlich unendlich viele konkrete Objekte klassifizieren, identifizieren und damit weiter arbeiten.

Welt im Tresor

Ohne die Inhalte unseres Gedächtnisses würden wir nur in Augenblicken existieren, ohne vorher und nachher. Alles wäre genau das, wie es gerade erscheint. Nichts hätte eine Bedeutung.

Durch die Möglichkeit des ‚Speicherns‘ von Ereignisse (auch in den abstrakten Formen von Kategorien), und des ‚Erinnerns‘ können wir ‚vergleichen‘, können somit Veränderungen feststellen, können Abfolgen und mögliche Verursachungen erfassen, Regelmäßigkeiten bis hin zu Gesetzmäßigkeiten; ferner können wir Strukturen erfassen.

Eine Besonderheit sticht aber ins Auge: nur ein winziger Teil unseres potentiellen Wissens ist ‚aktuell verfügbar/ bewusst‘; meist weniger als 9 Einheiten! Alles andere ist nicht aktuell verfügbar, ist ’nicht bewusst‘!

Man kann dies so sehen, dass die schier unendliche Menge der bisher von uns wahrgenommenen Ereignisse im Langzeitgedächtnis weggesperrt ist wie in einem großen Tresor. Und tatsächlich, wie bei einem richtigen Tresor brauchen auch wir selbst ein Codewort, um an den Inhalt zu gelangen, und nicht nur ein Codewort, nein, wir benötigen für jeden Inhalt ein eigenes Codewort. Das Codewort für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ ist ein konkretes ‚Flaschenereignis‘ das — hoffentlich — genügend Merkmale aufweist, die als Code für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ dienen können.

Wenn über solch einen auslösenden Merkmalscode ein abstraktes Konzept ‚Flasche‘ aktiviert wird, werden in der Regel aber auch alle jene Konzepte ‚aktiviert‘, die zusammen mit dem Konzept ‚Flasche‘ bislang aufgetreten sind. Wir erinnern dann nicht nur das Konzept ‚Flasche‘, sondern eben auch all diese anderen Ereignisse.

Finden wir keinen passenden Code, oder wir haben zwar einen Code, aber aus irgendwelchen Emotionen heraus haben wir Angst, uns zu erinnern, passiert nichts. Eine Erinnerung findet nicht statt; Blockade, Ladehemmung, ‚blackout‘.

Bewusstsein im Nichtbewusstsein

Im Alltag denken wir nicht ‚über‘ unser Gehirn nach, sondern wir benutzen es direkt. Im Alltag haben wir subjektiv Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken, Vorstellungen, Fantasien. Wir sind ‚in‘ unserem Erleben, wir selbst ‚haben‘ diese Eindrücke. Es sind ‚unsere‘ Erlebnisse‘.

Die Philosophen haben diese Erlebnis- und Erkenntnisweise den Raum unseres ‚Bewusstseins‘ genannt. Sie sprechen davon, dass wir ‚Bewusstsein haben‘, dass uns die Ding ‚bewusst sind‘; sie nennen die Inhalte unseres Bewusstseins ‚Qualia‘ oder ‚Phänomene‘, und sie bezeichnen diese Erkenntnisperspektive den Standpunkt der ‚ersten Person‘ (‚first person view‘) im Vergleich zur Betrachtung von Gegenständen in der Außenwelt, die mehrere Personen gleichzeitig haben können; das nennen sie den Standpunkt der ‚dritten Person‘ (‚third person view‘) (Anmerkung: Ein Philosoph, der dies beschrieben hat, ist Thomas Nagel. Siehe zur Person: Thomas Nagel. Ein Buch von ihm, das hir einschlägig ist: ‚The view from nowhere‘, 1986, New York, Oxford University Press).

Nach den heutigen Erkenntnissen der Neuropsychologie gibt es zwischen dem, was die Philosophen ‚Bewusstsein‘ nennen und dem, was die Neuropsychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ nennen, eine funktionale Korrespondenz. Wenn man daraus schließen kann, dass unser Bewusstsein sozusagen die erlebte ‚Innenperspektive‘ des ‚Arbeitsgedächtnisses‘ ist, dann können wir erahnen, dass das, was uns gerade ‚bewusst‘ ist, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns ’nicht bewusst‘ ist. Nicht nur ist der potentiell erinnerbare Inhalt unseres Langzeitgedächtnisses viel größer als das aktuell gewusste, auch die Milliarden von Prozessen in unserem Körper sind nicht bewusst. Ganz zu schweigen von der Welt jenseits unseres Körpers. Unser Bewusstsein gleicht damit einem winzig kleinen Lichtpunkt in einem unfassbar großen Raum von Nicht-Bewusstsein. Die Welt, in der wir bewusst leben, ist fast ein Nichts gegenüber der Welt, die jenseits unseres Bewusstseins existiert; so scheint es.

Außenwelt in der Innenwelt

Der Begriff ‚Außenwelt‘, den wir eben benutzt haben, ist trügerisch. Er gaukelt vor, als ob es da die Außenwelt als ein reales Etwas gibt, über das wir einfach so reden können neben dem Bewusstsein, in dem wir uns befinden können.

Wenn wir die Erkenntnisse der Neuropsychologie ernst nehmen, dann findet die Erkenntnis der ‚Außenwelt‘ ‚in‘ unserem Gehirn statt, von dem wir wissen, dass es ‚in‘ unserem Körper ist und direkt nichts von der Außenwelt weiß.

Für die Philosophen aller Zeiten war dies ein permanentes Problem. Wie kann ich etwas über die ‚Außenwelt‘ wissen, wenn ich mich im Alltag zunächst im Modus des Bewusstseins vorfinde?

Seit dem Erstarken des empirischen Denkens — spätestens seit der Zeit Galileis (Anmerkung: Galilei) — tut sich die Philosophie noch schwerer. Wie vereinbare ich die ‚empirische Welt‘ der experimentellen Wissenschaften mit der ’subjektiven Welt‘ der Philosophen, die auch die Welt jedes Menschen in seinem Alltag ist? Umgekehrt ist es auch ein Problem der empirischen Wissenschaften; für den ’normalen‘ empirischen Wissenschaftler ist seit dem Erstarken der empirischen Wissenschaften die Philosophie obsolet geworden, eine ’no go area‘, etwas, von dem sich der empirische Wissenschaftler fernhält. Dieser Konflikt — Philosophen kritisieren die empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften lehnen die Philosophie ab — ist in dieser Form ein Artefakt der Neuzeit und eine Denkblokade mit verheerenden Folgen.

Die empirischen Wissenschaften gründen auf der Annahme, dass es eine Außenwelt gibt, die man untersuchen kann. Alle Aussagen über die empirische Welt müssen auf solchen Ereignissen beruhen, sich im Rahmen eines beschriebenen ‚Messvorgangs‘ reproduzieren lassen. Ein Messvorgang ist immer ein ‚Vergleich‘ zwischen einem zuvor vereinbarten ‚Standard‘ und einem ‚zu messenden Phänomen‘. Klassische Standards sind ‚das Meter‘, ‚das Kilogramm‘, ‚die Sekunde‘, usw. (Anmerkung: Siehe dazu: Internationales Einheitensystem) Wenn ein zu messendes Phänomen ein Objekt ist, das z.B. im Vergleich mit dem Standard ‚Meter [m]‘ die Länge 3m aufweist, und jeder, der diese Messung wiederholt, kommt zum gleichen Ergebnis, dann wäre dies eine empirische Aussage über dieses Objekt.

Die Einschränkung auf solche Phänomene, die sich mit einem empirischen Messstandard vergleichen lassen und die von allen Menschen, die einen solchen Messvorgang wiederholen, zum gleichen Messergebnis führen, ist eine frei gewählte Entscheidung, die methodisch motiviert ist. Sie stellt sicher, dass man zu einer Phänomenmenge kommt, die allen Menschen(Anmerkung: die über gleiche Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Denkens verfügen. Blinde Menschen, taube Menschen usw. könnten hier Probleme bekommen!“> … in gleicher Weise zugänglich und für diese nachvollziehbar ist. Erkenntnisse, die allen Menschen in gleicher Weise zugänglich und nachprüfbar sind haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie können eine gemeinsame Basis in einer ansonsten komplexen verwirrenden Wirklichkeit bieten.

Die ‚Unabhängigkeit‘ dieser empirischen Messvorgänge hat im Laufe der Geschichte bei vielen den Eindruck vertieft, als ob es die ‚vermessene Welt‘ außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein als eigenständiges Objekt gibt, und dass die vielen ‚rein subjektiven‘ Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen im Bewusstsein, die sich nicht direkt in der vermessbaren Welt finden, von geringerer Bedeutung sind, unbedeutender ’subjektiver Kram‘, der eine ‚Verunreinigung der Wissenschaft‘ darstellt.

Dies ist ein Trugschluss mit verheerenden Folgen bis in die letzten Winkel unseres Alltags hinein.

Der Trugschluss beginnt dort, wo man übersieht, dass die zu messenden Phänomene auch für den empirischen Wissenschaftler nicht ein Sonderdasein führen, sondern weiterhin nur Phänomene seines Bewusstseins sind, die ihm sein Gehirn aus der Sinneswahrnehmung ‚herausgerechnet‘ hat. Vereinfachend könne man sagen, die Menge aller Phänomene unseres Bewusstseins — nennen wir sie PH — lässt sich aufteilen in die Teilmenge jener Phänomene, auf die sich Messoperationen anwenden lassen, das sind dann die empirischen Phänomene PH_EMP, und jene Phänomene, bei denen dies nicht möglich ist; dies sind dann die nicht-empirischen Phänomene oder ‚rein subjektiven‘ Phänomene PH_NEMP. Die ‚Existenz einer Außenwelt‘ ist dann eine Arbeitshypothese, die zwar schon kleine Kindern lernen, die aber letztlich darauf basiert, dass es Phänomene im Bewusstsein gibt, die andere Eigenschaften haben als die anderen Phänomene.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept unseres ‚Körpers‘, der sich mit den empirischen Phänomenen verknüpft.

Der Andere als Reflektor des Selbst

Bislang haben wir im Bereich der Phänomene (zur Erinnerung: dies sind die Inhalte unseres Bewusstseins) unterschieden zwischen den empirischen und den nicht-empirischen Phänomenen. Bei genauerem Hinsehen kann man hier viele weitere Unterscheidungen vornehmen. Uns interessiert hier nur der Unterschied zwischen jenen empirischen Phänomenen, die zu unserem Körper gehören und jenen empirischen Phänomenen, die unserem Körper ähneln, jedoch nicht zu uns, sondern zu jemand ‚anderem‘ gehören.

Die Ähnlichkeit der Körperlichkeit des ‚anderen‘ zu unserer Körperlichkeit bietet einen Ansatzpunkt, eine ‚Vermutung‘ ausbilden zu können, dass ‚in dem Körper des anderen‘ ähnliche innere Ereignisse vorkommen, wie im eigenen Bewusstsein. Wenn wir gegen einen harten Gegenstand stoßen, dabei Schmerz empfinden und eventuell leise aufschreien, dann unterstellen wir, dass ein anderer, wenn er mit seinem Körper gegen einen Gegenstand stößt, ebenfalls Schmerz empfindet. Und so in vielen anderen Ereignissen, in denen der Körper eine Rolle spielt(Anmerkung: Wie wir mittlerweile gelernt haben, gibt es Menschen, die genetisch bedingt keine Schmerzen empfinden, oder die angeboren blind oder taub sind, oder die zu keiner Empathie fähig sind, usw.“> … .

Generalisiert heißt dies, dass wir dazu neigen, beim Auftreten eines Anderen Körpers unser eigenes ‚Innenleben‘ in den Anderen hinein zu deuten, zu projizieren, und auf diese Weise im anderen Körper ‚mehr‘ sehen als nur einen Körper. Würden wir diese Projektionsleistung nicht erbringen, wäre ein menschliches Miteinander nicht möglich. Nur im ‚Übersteigen‘ (‚meta‘) des endlichen Körpers durch eine ‚übergreifende‘ (‚transzendierende‘) Interpretation sind wir in der Lage, den anderen Körper als eine ‚Person‘ zu begreifen, die aus Körper und Seele, aus Physis und Psyche besteht.

Eine solche Interpretation ist nicht logisch zwingend. Würden wir solch eine Interpretation verweigern, dann würden wir im Anderen nur einen leblosen Körper sehen, eine Ansammlung von unstrukturierten Zellen. Was immer der Andere tun würde, nichts von alledem könnte uns zwingen, unsere Interpretation zu verändern. Die ‚personale Wirklichkeit des Anderen‘ lebt wesentlich von unserer Unterstellung, dass er tatsächlich mehr ist als der Körper, den wir sinnlich wahrnehmen können.

Dieses Dilemma zeigt sich sehr schön in dem berühmten ‚Turing Test'(Anmerkung: Turing-Test, den Alan Matthew Turing 1950 vorgeschlagen hatte, um zu testen, wie gut ein Computer einen Menschen imitiere kann. (Anmerkung: Es war in dem Artikel: „Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence“, Mind 59, Nr. 236, Oktober 1950, S. 433–460) Da man ja ‚den Geist‘ selbst nicht sehen kann, sondern nur die Auswirkungen des Geistes im Verhalten, kann man in dem Test auch nur das Verhalten eines Menschen neben einem Computer beobachten, eingeschränkt auf schriftliche Fragen und Antworten. (Anmerkung: heute könnte man dies sicher ausdehnen auf gesprochene Fragen und Antworten, eventuell kombiniert mit einem Gesicht oder gar mehr“) Die vielen Versuche mit diesem Test haben deutlich gemacht — was man im Alltag auch ohne diesen Test sehen kann –, dass das beobachtbare Verhalten eines Akteurs niemals ausreicht, um logisch zwingend auf einen ‚echten Geist‘, sprich auf eine ‚echte Person‘ schließen zu können. Daraus folgt nebenbei, dass man — sollte es jemals hinreichend intelligente Maschinen geben — niemals zwingend einen Menschen, nur aufgrund seines Verhaltens, von einer intelligenten Maschine unterscheiden könnte.

Rein praktisch folgt aus alledem, dass wir im Alltag nur dann und solange als Menschen miteinander umgehen können, solange wir uns wechselseitig ‚Menschlichkeit‘ unterstellen, an den ‚Menschen‘ im anderen glauben, und mein Denken und meine Gefühle hinreichend vom Anderen ‚erwidert‘ werden. Passiert dies nicht, dann muss dies noch nicht eine völlige Katastrophe bedeuten, aber auf Dauer benötigen Menschen eine minimale Basis von Gemeinsamkeiten, auf denen sie ihr Verhalten aufbauen können.

Im positiven Fall können Unterschiede zwischen Menschen dazu führen, dass man sich wechselseitig anregt, man durch die Andersartigkeit ‚Neues‘ lernen kann, man sich weiter entwickelt. Im negativen Fall kann es zu Missverständnissen kommen, zu Verletzungen, zu Aggressionen, gar zur wechselseitigen Zerstörung. Zwingend ist keines von beidem.

Fortsetzung mit Kapitel 4 (neu).

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Buch: Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab? – Kapitel 4

VORBEMERKUNG: Der folgende Text ist ein Vorabdruck zu dem Buch Die andere Superintelligenz. Oder: schaffen wir uns selbst ab?, das im November 2015 erscheinen soll

Rahmenbedingungen des Wissens

Wenn wir aufwachen in unserer schönen neuen Welt, können wir nachlesen, welch Böses Menschen anderen Menschen bisher zugefügt haben. Wir können Verhalten beobachten, das solch Böses hervorbringt: konkreten Handlungen, Aktionen, Objekte und Werkzeuge, die dazu benutzt werden. Was wir nicht können, nicht so ohne weiteres, das ist, in das Innere des Menschen zu schauen, warum Menschen anderen Menschen Böses zufügen.

Was geht in Menschen vor, wenn sie sich so verhalten? Wissen sie selbst so genau, was sie da tun, wenn sie etwas tun?

Was geht in Menschen vor, die andere Menschen foltern, um mit Gewalt heraus zu finden, was andere Menschen Denken oder Wissen (Siehe hier einen kurzen Überblick zur Folter)? Da auch Unschuldige unter Folter Handlungen gestehen können, die sie nie begangen haben, geht der Anwendung von Folter eine Vorverurteilung voraus: man ist schon überzeugt, dass man einen Täter vor sich hat. Zugleich verachtet man diesen Menschen, da man bereit ist, ihn zu zerstören, obgleich er möglicherweise unschuldig ist.

Und es gibt auch dies: Menschen helfen Menschen, Menschen ermöglichen Leben. Warum tun sie das?

Dort hinter den Augen

Die Antwort auf die Frage, warum Menschen dies und jenes tun, liegt offensichtlich im ‚Inneren‘ des Menschen. Dort, hinter seinen Augen, hinter seinem Gesicht, das mal lächelt, mal weint, mal zürnt, dort gibt es ‚geheimnisvolle Kräfte‘, die ihn, uns, Dich und mich, dazu bringen das eine zu tun, und das andere zu lassen.

Und, wie die moderne Biologie uns in Gestalt der Gehirnforschung lehrt, ist es vor allem das Gehirn, in dem ca. 100 Milliarden Gehirnzellen miteinander ein Dauergespräch führen, dessen Nebenwirkungen die eine oder andere Handlung ist, die wir vornehmen.

Wenn wir uns auf die moderne Biologie einlassen, auf die Gehirnwissenschaft, dann erkennen wir sehr schnell, dass das Gehirn, das unser Verhalten bestimmt, selbst keinen Kontakt mit der Welt hat. Es ist im Körper eingeschlossen, quasi abgeschottet, oder auch isoliert von der Welt jenseits des Körpers.

Das Gehirn bezieht sein Wissen über die Welt jenseits der Gehirnzellen quasi von ‚Mittelsmännern‘, von speziellen Kontaktpersonen, von Übersetzern; dies sind unsere Sinnesorgane (Augen, Ohren, Haut, Geschmackszellen, Gleichgewichtsorgan, …)(Anmerkung: Siehe: Sinnesorgan, Sensory receptor, Sensory system), die bestimmte Ereignisse aus der Welt jenseits der Gehirnzellen in die ‚Sprache des Gehirns‘ übersetzen.

Wenn wir sagen, dass wir Musik hören, wunderschöne Klänge, harmonisch oder dissonant, laut oder leise, hoch oder tief, mit unterschiedlichen Klangfarben, dann sind dies für das Gehirn ’neuronale Signale‘, elektrische Potentialänderungen, die man als ‚Signal‘ oder ‚Nicht-Signal‘ interpretieren kann, als ‚An‘ oder ‚Aus‘, oder einfach als ‚1‘ oder ‚0‘, allerdings zusätzlich eingebettet in eine ‚Zeitstruktur‘; innerhalb eines Zeitintervalls können ‚viele‘ Signale auftreten oder ‚wenige‘. Ferner gibt es eine ‚topologische‘ Struktur: das gleiche Signal kann an einem Ort im Gehirn ein ‚Klang‘ bedeuten, an einem anderen Ort eine ‚Bild‘, wieder an einem anderen Ort ein ‚Geschmack‘ oder ….

Was hier am Beispiel des Hörens gesagt wurde, gilt für alle anderen Sinnesorgane gleichermaßen: bestimmte physikalische Umwelteigenschaften werden von einem Sinnesorgan so weit ‚verarbeitet‘, dass am Ende immer alles in die Sprache des Gehirns, in die neuronalen ‚1en‘ und ‚0en‘ so übersetzt wird, dass diese Signale zeitlich und topologisch geordnet zwischen den 100 Milliarden Gehirnzellen hin und her wandern können, um im Gehirn Pflanzen, Tiere, Räume, Objekte und Handlungen jenseits der Gehirnzellen neuronal-binär repräsentieren zu können.

Alles, was in der Welt jenseits des Gehirns existiert (auch die anderen Körperorgane mit ihren Aktivitäten), es wird einheitlich in die neuronal-binäre Sprache des Gehirns übersetzt. Dies ist eine geniale Leistung der Natur(Anmerkung: Dass wir in unserem subjektiven Erleben keine ‚1en‘ und ‚0en‘ wahrnehmen, sondern Töne, Farben, Formen, Geschmäcker usw., das ist das andere ‚Wunder der Natur‘; siehe weiter unten.}.

Die Welt wird zerschnitten

Diese Transformation der Welt in ‚1en‘ und ‚0en‘ ist aber nicht die einzige Übersetzungsbesonderheit. Wir wissen heute, dass die Sinnesinformationen für eine kurze Zeitspanne (in der Regel deutlich weniger als eine Sekunde) nach Sinnesarten getrennt in einer Art ‚Puffer‘ zwischen gespeichert werden (Anmerkung: Siehe Sensory memory). Von dort können sie für weitere Verarbeitungen übernommen werden. Ist die eingestellte Zeitdauer(Anmerkung: Zeitfenster zwischen den aufeinanderfolgenden Zeitpunkten t1 und t2 (t1,t2)} verstrichen, wird der aktuelle Inhalt von neuen Daten überschrieben. Das voreingestellte Zeitfenster (t1,t2) definiert damit, was ‚gleichzeitig‘ ist.

Faktisch wird die sinnlich wahrnehmbare Welt damit in Zeitscheiben ‚zerlegt‘ bzw. ‚zerschnitten‘. Was immer passiert, für das Gehirn existiert die Welt jenseits seiner Neuronen nur in Form von säuberlich getrennten Zeitscheiben(Anmerkung: In Diskussionen, ob und wieweit ein Computer das menschliche Gehirn ’nachahmen‘ könnte, wird oft betont, der Computer sei ja ‚diskret‘, ‚binär‘, zerlege alles in 1en und 0en im Gegensatz zum ‚analogen‘ Gehirn. Die empirischen Fakten legen hingegen nahe, auch das Gehirn als eine ‚diskrete Maschine‘ zu betrachten.).

Unterscheiden sich die ‚Inhalte‘ von Zeitscheiben, kann dies als Hinweis auf mögliche ‚Veränderungen‘ gedeutet werden.

Beachte: jede Sinnesart hat ihre eigene Zeitscheibe, die dann vom Gehirn zu ’sinnvollen Kombinationen‘ ‚verrechnet‘ werden müssen.

Die Welt wird vereinfacht

Für die Beurteilung, wie das Gehirn die vielen unterschiedlichen Informationen so zusammenfügt, auswertet und neu formt, dass daraus ein ’sinnvolles Verhalten‘ entsteht, reicht es nicht aus, nur die Gehirnzellen selbst zu betrachten, was zum Gegenstandsbereich der Gehirnwissenschaft (Neurowissenschaft) gehört. Vielmehr muss das Wechselverhältnis von Gehirnaktivitäten und Verhaltenseigenschaften simultan betrachtet werden. Dies verlangt nach einer systematischen Kooperation von wissenschaftlicher Verhaltenswissenschaft (Psychologie) und Gehirnwissenschaft unter der Bezeichnung Neuropsychologie (Anmerkung: Siehe Neuropsychology).

Ein wichtiges theoretisches Konzept, das wir der Neuropsychologie verdanken, ist das Konzept des Gedächtnisses(Anmerkung: Memory). Mit Gedächtnis wird die generelle Fähigkeit des Gehirns umschrieben, Ereignisse zu verallgemeinern, zu speichern, zu erinnern, und miteinander zu assoziieren.

Ausgehend von den oben erwähnten zeitlich begrenzten sensorischen Speichern unterteilt man das Gedächtnis z.B. nach der Zeitdauer (kurz, mittel, unbegrenzt), in der Ereignisse im Gedächtnis verfügbar sind, und nach der Art ihrer Nutzung. Im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis kann eine kleine Zahl von Ereignissen im begrenzten Umfang verarbeitet und mit dem Langzeitgedächtnis in begrenztem Umfang ausgetauscht werden (speichern, erinnern). Die Kapazität von sinnespezifischen Kurzzeit- und multimodalem Arbeitsgedächtnisses liegt zwischen ca. 4 (im Kurzzeitgedächtnis) bis 9 (im Arbeitsgedächtnis) Gedächtniseinheiten. Dabei ist zu beachten, dass schon im Übergang vom oben erwähnten sensorischen Speichern zum Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis eine starke Informationsreduktion stattfindet; grob von 100% auf etwa 25%.

Nicht alles, was im Kurz- und Arbeitsgedächtnis vorkommt, gelangt automatisch ins Langzeitgedächtnis. Ein wichtiger Faktor, der zum Speichern führt, ist die ‚Verweildauer‘ im Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, und die ‚Häufigkeit‘ des Auftretens. Ob wir nach einer Speicherung etwas ‚wiederfinden‘ können, hängt ferner davon ab, wie ein Ereignis abgespeichert wurde. Je mehr ein Ereignis sich zu anderen Ereignissen in Beziehung setzen lässt, umso eher wird es erinnert. Völlig neuartige Ereignisse (z.B. die chinesischen Schriftzeichen in der Ordnung eines chinesischen Wörterbuches, wenn man Chinesisch neu lernt) können Wochen oder gar Monate dauern, bis sie so ‚verankert‘ sind, dass sie bei Bedarf ‚mühelos‘ erinnern lassen.

Ein anderer Punkt ist die Abstraktion. Wenn wir über alltägliche Situationen sprechen, dann benutzen wir beständig Allgemeinbegriffe wie ‚Tasse‘, ‚Stuhl‘, ‚Tisch‘, ‚Mensch‘ usw. um über ‚konkrete individuelle Objekte‘ zu sprechen. So nennen wir ein konkretes rotes Etwas auf dem Tisch eine Tasse, ein anderen blaues konkretes Etwas aber auch, obgleich sie Unterschiede aufweisen. Desgleichen nennen wir ein ‚vertikales durchsichtiges Etwas‘ eine Flasche, ein vertikales grünliches Etwas auch; usw.

Unser Gedächtnis besitzt die wunderbare Eigenschaft, alles, was sinnlich wahrgenommen wird, durch einen unbewussten automatischen Abstraktionsprozess in eine abstrakte Struktur, in einen Allgemeinbegriff, in eine ‚Kategorie‘ zu übersetzen. Dies ist extrem effizient. Auf diese Weise kann das Gedächtnis mit einem einzigen Konzept hunderte, tausende, ja letztlich unendlich viele konkrete Objekte klassifizieren, identifizieren und damit weiter arbeiten.

Welt im Tresor

Ohne die Inhalte unseres Gedächtnisses würden wir nur in Augenblicken existieren, ohne vorher und nachher. Alles wäre genau das, wie es gerade erscheint. Nichts hätte eine Bedeutung.

Durch die Möglichkeit des ‚Speicherns‘ von Ereignisse (auch in den abstrakten Formen von Kategorien), und des ‚Erinnerns‘ können wir ‚vergleichen‘, können somit Veränderungen feststellen, können Abfolgen und mögliche Verursachungen erfassen, Regelmäßigkeiten bis hin zu Gesetzmäßigkeiten; ferner können wir Strukturen erfassen.

Eine Besonderheit sticht aber ins Auge: nur ein winziger Teil unseres potentiellen Wissens ist ‚aktuell verfügbar/ bewusst‘; meist weniger als 9 Einheiten! Alles andere ist nicht aktuell verfügbar, ist ’nicht bewusst‘!

Man kann dies so sehen, dass die schier unendliche Menge der bisher von uns wahrgenommenen Ereignisse im Langzeitgedächtnis weggesperrt ist wie in einem großen Tresor. Und tatsächlich, wie bei einem richtigen Tresor brauchen auch wir selbst ein Codewort, um an den Inhalt zu gelangen, und nicht nur ein Codewort, nein, wir benötigen für jeden Inhalt ein eigenes Codewort. Das Codewort für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ ist ein konkretes ‚Flaschenereignis‘ das — hoffentlich — genügend Merkmale aufweist, die als Code für das abstrakte Konzept ‚Flasche‘ dienen können.

Wenn über solch einen auslösenden Merkmalscode ein abstraktes Konzept ‚Flasche‘ aktiviert wird, werden in der Regel aber auch alle jene Konzepte ‚aktiviert‘, die zusammen mit dem Konzept ‚Flasche‘ bislang aufgetreten sind. Wir erinnern dann nicht nur das Konzept ‚Flasche‘, sondern eben auch all diese anderen Ereignisse.

Finden wir keinen passenden Code, oder wir haben zwar einen Code, aber aus irgendwelchen Emotionen heraus haben wir Angst, uns zu erinnern, passiert nichts. Eine Erinnerung findet nicht statt; Blockade, Ladehemmung, ‚blackout‘.

Bewusstsein im Nichtbewusstsein

Im Alltag denken wir über unser Gehirn nicht so. Im Alltag haben wir subjektiv Eindrücke, Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken, Vorstellungen, Fantasien. Wir sind ‚in‘ unserem Erleben, wir selbst ‚haben‘ diese Eindrücke. Wir empfinden alles so, als ob ‚wir‘ selbst (bei jedem einzelnen das ‚Ich‘: ‚ich habe das Erlebnis‘) diese Erlebnisse haben; es sind ‚unsere‘ Erlebnisse‘.

Die Philosophen haben diese Erlebnis- und Erkenntnisweise den Raum unseres ‚Bewusstseins‘ genannt. Sie sprechen davon, dass wir ‚Bewusstsein haben‘, dass uns die Ding ‚bewusst sind‘; sie nennen die Inhalte unseres Bewusstseins ‚Qualia‘ oder ‚Phänomene‘, und sie bezeichnen diese Erkenntnisperspektive den Standpunkt der ‚ersten Person‘ (‚first person view‘) im Vergleich zur Betrachtung von Gegenständen in der Außenwelt, die mehrere Personen gleichzeitig haben können; das nennen sie den Standpunkt der ‚dritten Person‘ (‚third person view‘)(Anmerkung: Ein Philosoph, der dies beschrieben hat, ist Thomas Nagel. Siehe zur Person: Thomas Nagel. Ein Buch von ihm, das hier einschlägig ist, ist ‚The view from nowhere‘ von 1986, New York, Oxford University Press).

Nach den heutigen Erkenntnissen der Neuropsychologie gibt es zwischen dem, was die Philosophen ‚Bewusstsein‘ nennen und dem, was die Neuropsychologen ‚Arbeitsgedächtnis‘ nennen, eine funktionale Korrespondenz. Wenn man daraus schließen kann, dass unser Bewusstsein sozusagen die erlebte ‚Innenperspektive‘ des ‚Arbeitsgedächtnisses‘ ist, dann können wir erahnen, dass das, was uns gerade ‚bewusst‘ ist, nur ein winziger Bruchteil dessen ist, was uns ’nicht bewusst‘ ist. Nicht nur ist der potentiell erinnerbare Inhalt unseres Langzeitgedächtnisses viel größer als das aktuell gewusste, auch die Milliarden von Prozessen in unserem Körper sind nicht bewusst. Ganz zu schweigen von der Welt jenseits unseres Körpers. Unser Bewusstsein gleicht damit einem winzig kleinen Lichtpunkt in einem unfassbar großen Raum von Nicht-Bewusstsein. Die Welt, in der wir bewusst leben, ist fast ein Nichts gegenüber der Welt, die jenseits unseres Bewusstseins existiert; so scheint es.

Außenwelt in der Innenwelt

Der Begriff ‚Außenwelt‘, den wir eben benutzt haben, ist trügerisch. Er gaukelt vor, als ob es da die Außenwelt als ein reales Etwas gibt, über das wir einfach so reden können neben dem Bewusstsein, in dem wir uns befinden können.

Wenn wir die Erkenntnisse der Neuropsychologie ernst nehmen, dann findet die Erkenntnis der ‚Außenwelt‘ ‚in‘ unserem Gehirn statt, von dem wir wissen, dass es ‚in‘ unserem Körper ist und direkt nichts von der Außenwelt weiß.

Für die Philosophen aller Zeiten war dies ein permanentes Problem. Wie kann ich etwas über die ‚Außenwelt‘ wissen, wenn ich mich im Alltag zunächst im Modus des Bewusstseins vorfinde?

Seit dem Erstarken des empirischen Denkens — spätestens seit der Zeit Galileis(Anmerkung: Galilei) — tut sich die Philosophie noch schwerer. Wie vereinbare ich die ‚empirische Welt‘ der experimentellen Wissenschaften mit der ’subjektiven Welt‘ der Philosophen, die auch die Welt jedes Menschen in seinem Alltag ist? Umgekehrt ist es auch ein Problem der empirischen Wissenschaften; für den ’normalen‘ empirischen Wissenschaftler ist seit dem Erstarken der empirischen Wissenschaften die Philosophie obsolet geworden, eine ’no go area‘, etwas, von dem sich der empirische Wissenschaftler fernhält. Dieser Konflikt — Philosophen kritisieren die empirischen Wissenschaften und die empirischen Wissenschaften lehnen die Philosophie ab — ist in dieser Form ein Artefakt der Neuzeit und eine Denkblokade mit verheerenden Folgen.

Die empirischen Wissenschaften gründen auf der Annahme, dass es eine Außenwelt gibt, die man untersuchen kann. Alle Aussagen über die empirische Welt müssen auf solchen Ereignissen beruhen, sich im Rahmen eines beschriebenen ‚Messvorgangs‘ reproduzieren lassen. Ein Messvorgang ist immer ein ‚Vergleich‘ zwischen einem zuvor vereinbarten ‚Standard‘ und einem ‚zu messenden Phänomen‘. Klassische Standards sind ‚das Meter‘, ‚das Kilogramm‘, ‚die Sekunde'(Anmerkung: Siehe dazu: Internationales Einheitensystem (SI)), usw. Wenn ein zu messendes Phänomen ein Objekt ist, das z.B. im Vergleich mit dem Standard ‚Meter [m]‘ die Länge 3m aufweist, und jeder, der diese Messung wiederholt, kommt zum gleichen Ergebnis, dann wäre dies eine empirische Aussage über dieses Objekt.

Die Einschränkung auf solche Phänomene, die sich mit einem empirischen Messstandard vergleichen lassen und die von allen Menschen, die einen solchen Messvorgang wiederholen, zum gleichen Messergebnis führen, ist eine frei gewählte Entscheidung, die methodisch motiviert ist. Sie stellt sicher, dass man zu einer Phänomenmenge kommt, die allen Menschen(Anmerkung: die über gleiche Fähigkeiten der Wahrnehmung und des Denkens verfügen. Blinde Menschen, taube Menschen usw. könnten hier Probleme bekommen!) in gleicher Weise zugänglich und für diese nachvollziehbar ist. Erkenntnisse, die allen Menschen in gleicher Weise zugänglich und nachprüfbar sind haben einen unbestreitbaren Vorteil. Sie können eine gemeinsame Basis in einer ansonsten komplexen verwirrenden Wirklichkeit bieten.

Die ‚Unabhängigkeit‘ dieser empirischen Messvorgänge hat im Laufe der Geschichte bei vielen den Eindruck vertieft, als ob es die ‚vermessene Welt‘ außerhalb und unabhängig von unserem Bewusstsein als eigenständiges Objekt gibt, und dass die vielen ‚rein subjektiven‘ Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen im Bewusstsein, die sich nicht direkt in der vermessbaren Welt finden, von geringerer Bedeutung sind, unbedeutender ’subjektiver Kram‘, der eine ‚Verunreinigung der Wissenschaft‘ darstellt.

Dies ist ein Trugschluss mit verheerenden Folgen bis in die letzten Winkel unseres Alltags hinein.

Der Trugschluss beginnt dort, wo man übersieht, dass die zu messenden Phänomene auch für den empirischen Wissenschaftler nicht ein Sonderdasein führen, sondern weiterhin nur Phänomene seines Bewusstseins sind, die ihm sein Gehirn aus der Sinneswahrnehmung ‚herausgerechnet‘ hat. Vereinfachend könne man sagen, die Menge aller Phänomene unseres Bewusstseins — nennen wir sie PH — lässt sich aufteilen in die Teilmenge jener Phänomene, auf die sich Messoperationen anwenden lassen, das sind dann die empirischen Phänomene PH_EMP, und jene Phänomene, bei denen dies nicht möglich ist; dies sind dann die nicht-empirischen Phänomene oder ‚rein subjektiven‘ Phänomene PH_NEMP. Die ‚Existenz einer Außenwelt‘ ist dann eine Arbeitshypothese, die zwar schon kleine Kindern lernen, die aber letztlich darauf basiert, dass es Phänomene im Bewusstsein gibt, die andere Eigenschaften haben als die anderen Phänomene.

In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept unseres ‚Körpers‘, der sich mit den empirischen Phänomenen verknüpft.

Der Andere als Reflektor des Selbst

Bislang haben wir im Bereich der Phänomene (zur Erinnerung: dies sind die Inhalte unseres Bewusstseins) unterschieden zwischen den empirischen und den nicht-empirischen Phänomenen. Bei genauerem Hinsehen kann man hier viele weitere Unterscheidungen vornehmen. Uns interessiert hier nur der Unterschied zwischen jenen empirischen Phänomenen, die zu unserem Körper gehören und jenen empirischen Phänomenen, die unserem Körper ähneln, jedoch nicht zu uns, sondern zu jemand ‚anderem‘ gehören.

Die Ähnlichkeit der Körperlichkeit des ‚anderen‘ zu unserer Körperlichkeit bietet einen Ansatzpunkt, eine ‚Vermutung‘ ausbilden zu können, dass ‚in dem Körper des anderen‘ ähnliche innere Ereignisse vorkommen, wie im eigenen Bewusstsein. Wenn wir gegen einen harten Gegenstand stoßen, dabei Schmerz empfinden und eventuell leise aufschreien, dann unterstellen wir, dass ein anderer, wenn er mit seinem Körper gegen einen Gegenstand stößt, ebenfalls Schmerz empfindet. Und so in vielen anderen Ereignissen, in denen der Körper eine Rolle spielt (Anmerkung: Wie wir mittlerweile gelernt haben, gibt es Menschen, die genetisch bedingt keine Schmerzen empfinden, oder die angeboren blind oder taub sind, oder die zu keiner Empathie fähig sind, usw.).

Generalisiert heißt dies, dass wir dazu neigen, beim Auftreten eines Anderen Körpers unser eigenes ‚Innenleben‘ in den Anderen hinein zu deuten, zu projizieren, und auf diese Weise im anderen Körper ‚mehr‘ sehen als nur einen Körper. Würden wir diese Projektionsleistung nicht erbringen, wäre ein menschliches Miteinander nicht möglich. Nur im ‚Übersteigen‘ (‚meta‘) des endlichen Körpers durch eine ‚übergreifende‘ (‚transzendierende‘) Interpretation sind wir in der Lage, den anderen Körper als eine ‚Person‘ zu begreifen, die aus Körper und Seele, aus Physis und Psyche besteht.

Eine solche Interpretation ist nicht logisch zwingend. Würden wir uns solch einer Interpretation verweigern, würden wir im Anderen nur einen leblosen Körper sehen, eine Ansammlung von unstrukturierten Zellen, und was immer der Andere tun wird, nichts von alledem könnte uns zwingen, unsere Interpretation zu verändern. Die ‚personale Wirklichkeit des Anderen‘ lebt wesentlich von unserer Unterstellung, dass er tatsächlich mehr ist als der Körper, den wir sinnlich wahrnehmen können.

Dieses Dilemma zeigt sich sehr schön in dem berühmten ‚Turing Test‘ (Anmerkung: Turingtest), den Alan Matthew Turing 1950 vorgeschlagen hatte, um zu testen, wie gut ein Computer einen Menschen imitieren kann (Anmerkung: Es war in dem Artikel: Alan Turing: Computing Machinery and Intelligence, Mind 59, Nr. 236, Oktober 1950, S. 433–460). Da man ja ‚den Geist‘ selbst nicht sehen kann, sondern nur die Auswirkungen des Geistes im Verhalten, kann man in dem Test auch nur das Verhalten eines Menschen neben einem Computer beobachten, eingeschränkt auf schriftliche Fragen und Antworten(Anmerkung: heute könnte man dies sicher ausdehnen auf gesprochene Fragen und Antworten, eventuell kombiniert mit einem Gesicht oder gar mehr}. Die vielen Versuche mit diesem Test haben deutlich gemacht — was man im Alltag auch ohne diesen Test sehen kann –, dass das beobachtbare Verhalten eines Akteurs niemals ausreicht, um logisch zwingend auf einen ‚echten Geist‘, sprich auf eine ‚echte Person‘ schließen zu können. Daraus folgt nebenbei, dass man — sollte es jemals hinreichend intelligente Maschinen geben — niemals zwingend einen Menschen, nur aufgrund seines Verhaltens, von einer intelligenten Maschine unterscheiden könnte.

Rein praktisch folgt aus alledem, dass wir im Alltag nur dann und solange als Menschen miteinander umgehen können, solange wir uns wechselseitig ‚Menschlichkeit‘ unterstellen, an den ‚Menschen‘ im anderen glauben, und mein Denken und meine Gefühle hinreichend vom Anderen ‚erwidert‘ werden. Passiert dies nicht, dann muss dies noch nicht eine völlige Katastrophe bedeuten, aber auf Dauer benötigen Menschen eine minimale Basis von Gemeinsamkeiten, auf denen sie ihr Verhalten aufbauen können.

Im positiven Fall können Unterschiede zwischen Menschen dazu führen, dass man sich wechselseitig anregt, man durch die Andersartigkeit ‚Neues‘ lernen kann, man sich weiter entwickelt. Im negativen Fall kann es zu Missverständnissen kommen, zu Verletzungen, zu Aggressionen, gar zur wechselseitigen Zerstörung. Zwingend ist keines von beidem.

Zur Fortsetzung mit Kapitel 5.

Einen Überblick über alle Blogbeiträge des Autors cagent nach Titeln findet sich HIER.

Über Industrie 4.0 und Transhumanismus. Roboter als Volksverdummung? Schaffen wir uns selbst ab?

Vortrag am 19.Mai 2015 im Literaturhaus Frankfurt in der Veranstaltung PR-Slam & Ham 2015

In meiner Präsentation hatte ich eine Reihe von Schaubildern gezeigt, die ich dann mündlich kommentiert habe. Einen geschriebenen Text gab es nicht. Ich habe aber die Erläuterung nochmals ’nachgesprochen‘. Aus den 20 Min sind dann ca. 70 Min geworden. Die Bilder unten bilden das Rückgrat der Geschichte; sie sind nummeriert. Im gesprochenen Text nehme ich auf diese Bilder Bezug.

Das Ganze endet in einem glühenden Plädoyer für die Zukunft des Lebens in Symbiose mit einer angemessenen Technik. Wir sind nicht das ‚Endprodukt‘ der Evolution, sondern nur eine Durchgangsstation hin zu etwas ganz anderem!

 

AUDIODATEI DES KOMMENTARS (70 Minuten! mp3)

Gehirn im Körper mit Bild 1: Bewusstsein - Beobachter
Bild 1: Gehirn im Körper mit Bewusstsein – Beobachter
Bild 2: Gehirn im Körper mit Raum der Phänomene. Empirische und nicht-empirische Phänomene
Bild 2: Gehirn im Körper mit Raum der Phänomene. Empirische und nicht-empirische Phänomene
Bild 3: Korrelation zwischen Gehirn, Bewusstsein und Gedächtnis. Gedächtnis mit Sensorik, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis
Bild 3: Korrelation zwischen Gehirn, Bewusstsein und Gedächtnis. Gedächtnis mit Sensorik, Arbeitsgedächtnis und Langzeitgedächtnis
Bild 4: Mensch im Alltag, umringt von technischen Schnittstellen die mit digitalisierten weltausschnitten verbinden können: viel. schnell, komplex
Bild 4: Mensch im Alltag, umringt von technischen Schnittstellen die mit digitalisierten weltausschnitten verbinden können: viel. schnell, komplex
Bild 5: Menge von Komplexitätsereignissen bisher; Explosion in der Gegenwart
Bild 5: Menge von Komplexitätsereignissen bisher; Explosion in der Gegenwart
Bild 6: Konkrete Zahlen zum vorhergehenden Schaubild mit den Komplexitätsereignissen
Bild 6: Konkrete Zahlen zum vorhergehenden Schaubild mit den Komplexitätsereignissen
Bild 7: Biologischer Reproduktion als Quelle der Kreativität für neue Strukturen
Bild 7: Biologischer Reproduktion als Quelle der Kreativität für neue Strukturen
Bild 8: Struktur der biologischen Reproduktion in 1-zu-1 Isomorphie zur Struktur eines Automaten (Turingmaschine)
Bild 8: Struktur der biologischen Reproduktion in 1-zu-1 Isomorphie zur Struktur eines Automaten (Turingmaschine)

Die Vision, die in dem Audiobeitrag gegen Ende entwickelt wird, soll in dem Emerging-Mind Projekt konkret umgesetzt werden, als Impuls, als Anstoß, als Provokation, als Community, die sich mit dem Thema philosophisch, wissenschaftlich, künstlerisch und theologisch auseinandersetzt.

Eine Übersicht über alle Einträge von cagent in diesem Blog nach Titeln findet sich HIER.

PSYCHOLOGIE DER SUCHE – UND MANCH ANDERES. Zur Philosophiewerkstatt vom 9.Nov.2014

A) PSYCHOLOGIE DER SUCHE
B) SELBSTORGANISATION DES DENKENS
C) NEUE MUSIK
D) SUBJEKTIVE GEWISSHEIT – OBJEKTIVER RAHMEN
E) MENSCH UND COMPUTER
F) SELBSTVERNICHTUNG DES MENSCHEN?
G) PROGRAMMENTWURF FÜR So 14.Dez.2014

1. Nach dem Start der philosophieWerkstatt v2.0 am 12.Oktober (siehe einen subjektiven Bericht davon hier) hat sich die Zahl der TeilnehmerInnen mehr als verdoppelt. Dies erweiterte den Raum der Erfahrungen, die in das Gespräch eingehen können. Aber eine größere Anzahl verändert auch den Fluss eines Gespräches. Man muss lernen, wie man damit umgeht.

A) PSYCHOLOGIE DER SUCHE

2. Das Gespräch startete mit einem kurzen Bericht von der ersten Sitzung (siehe das Schaubild vom letzten Bericht). Darauf bezogen gab es unterschiedliche Rückmeldungen, die aber dieses Mal nicht alsbald zu dem ‚Gesprächsfluss‘ führte, wie er die erste Sitzung charakterisierte, sondern erweckte bei den Beteiligten den Eindruck eines auf der Stelle Tretens. Man hatte subjektiv individuell Erwartungen, aber diese fand man im aktuellen Gesprächsgeschehen nicht wieder.

Stichwortsammlung 9.Nov.2014 (rosa Ellipsen)
Stichwortsammlung 9.Nov.2014 (rosa Ellipsen)

3. In solchen Situationen einer ‚quälenden Ungewissheit‘ ist es eine häufige Versuchung, nach altbekannten Rezepten zu greifen, um ‚irgendetwas‘ zu machen, damit man überhaupt etwas macht; ‚quälende Ungewissheit‘ wird jedenfalls bei den meisten als ‚unangenehm‘ empfunden.

4. Jeder, der schon mal ein Problem in einer bestimmten Zeit lösen musste, kennt diese Situation. Man muss (oder will) eine Lösung finden, aber aktuell hat man sie noch nicht. Was tut man? Wo fängt man an? Wo sollte man suchen? Man spürt seine eigene Unzulänglichkeit. Man zweifelt an sich. Man wird unruhig? Man fragt sich, ob es die richtige Entscheidung war, sich in diese Situation zu bringen… und Ähnliches.

5. Die Gruppe hat diese Situation eines gemeinsamen Suchens ohne aktuell subjektiv befriedigende Situation sehr konstruktiv gelöst. Keiner stand auf und ging einfach weg. Jeder versucht, die Situation konstruktiv anzunehmen und doch noch eine Lösung zu finden.

6. Eine Phase von Gesprächen in kleineren Gruppen löste die Lähmung auf, führte zu lebhaften inspirierenden Gesprächen und führte dann zu einem ‚Plan‘ für das weitere Vorgehend bei der nächsten Sitzung.

B) SELBSTORGANISATION DES DENKENS

7. Die individuell-gemeinschaftliche Suche nach etwas, was in sich noch nicht so bekannt ist, wo der Weg tatsächlich ein wesentlicher Teil des Zieles ist, unterliegt gewissen Randbedingungen, die gewisse Verhaltensweisen bedingen.

8. So macht es natürlich einen Unterschied, ob man einen Abend bei ‚Punkt Null‘ beginnt, ohne Voraussetzungen in der Vergangenheit; man kann direkter zu den Punkten kommen. Da nur 1/3 der Teilnehmer vom 12.Okt.2014 auch am 9.Nov. anwesend waren, wussten 2/3 am aktuellen Abend nichts von der Vorgeschichte. Die Vermischung von letzter Sitzung und aktueller Sitzung wirkte daher weniger inspirierend sondern eher wie ein Bremsklotz. Die Gruppe erarbeitete die Hypothese, jede Sitzung mit einem bestimmten Thema anzufangen, das von einer Mehrheit als ‚gesprächswürdig‘ angesehen wird.

9. Ferner spielt natürlich die Anzahl eine Rolle. Je mehr Gesprächsteilnehmer anwesend sind, umso schwieriger wird ein Gespräch, da man auf immer mehr Erwartungshorizonte eingehen muss. Dies wird ab 4-5 Personen schon zunehmend schwer. Eine Klärung der eigenen Position zu einem Thema sollte daher einen Kommunikationsraum haben, der ‚Leichtgängig‘ ist. Die Gruppe erarbeitete daher die weitere Arbeitshypothese, zumindest zu Beginn des Treffens eine oder zwei Gesprächsphasen in kleinen Gruppen zu organisieren, die dann als Gruppe fokussiert ihre Ergebnisse allen anderen vorstellen. Anhand des Bildes, das dann aus diesen Gruppengesprächen entstehen, könnte man dann immer gemeinsame Reflexions- und Gesprächsphasen einschieben.

10. Auf diese Weise kann man überschaubare, persönliche Gesprächsprozesse erhalten, kann sich jede Gruppe dort abholen, wo sie steht, kann sich zusätzliche ein übergreifendes ‚Gedankenbild‘ entwickeln, das man im Kontext bekannter Erkenntnisse/ Modelle/ Theorien diskutiert.

C) NEUE MUSIK

11. Der Veranstalter macht unter dem Namen cagentArtist seit ca. 6 Jahren Experimente mit Klangräumen auf der Suche nach ’neuen Klängen‘. Dabei hat er vielfältige Erfahrungen gemacht beim ‚Suchen‘ nach neuen Klängen. Wie sucht man nach etwas, was man noch nicht kennt? Er hat dazu eine Methode entwickelt die das Individuum ins Zentrum stellt, die unabhängig ist von individuellen Fähigkeiten, von vieljährigen Trainingsprogrammen, unabhängig von ‚herrschendem Geschmack‘, von welchen Monopolen auch immer. Es geht um eine Begegnung mit neuen Klängen ‚für jeden‘, ‚zu jeder Zeit‘, ‚unabhängig‘ vom Monopol eines Senders, einer Redaktion, eines Sinfonieorchesters, vom Mainstream: ‚Bottom-Up‘, ‚Graswurzel‘ …. Das Bild vom großen Künstler, der eine ‚göttliche Inspiration‘ empfängt, die er ‚meisterlich‘ in eine ‚Form gießt‘, die die ‚hohe Musik‘ verkörpert, ist eine Ideologie. Sie begründet zu Unrecht eine Machtstruktur der ‚Musikwissenden hier‘ und der ‚Musikunmündigen‘ ansonsten. Dies führt zu einer Entmündigung fast aller Menschen in Sachen Musik. Oder der ‚Mainstream‘ als ‚Terror‘. Es geht um eine ‚Demokratisierung‘ des Umgangs mit Musik.

12. Es entstand im Gespräch die Idee, zu Beginn jeder Sitzung ein kurzes Musikstück aus dem Bereich der neuen Musik anzuhören und dann kurz über die ‚Emotionen‘ zu sprechen, die es auslöst, über den Weg, wie diese Klänge entstanden sind, und ob und wie man selbst einen Weg zu Klängen hätte.

D) SUBJEKTIVE GEWISSHEIT – OBJEKTIVER RAHMEN

13. In einer kurzen, aber ‚emotional wirksamen‘ Phase, gab es Dialoge zum Thema ’subjektive Gewissheit‘, z.B. dass hier ‚objektiv‘ ein Tisch sei, weil ich ihn anfassen kann, und den objektiven Erkenntnissen der modernen Physiologie und Gehirnforschung andererseits, dass das Gehirn als Zentrum vielfältiger Informationsverarbeitung im Körper, natürlich nicht den ‚Tisch als solchen‘ ‚wahrnimmt‘, sondern nur die ‚Wirkungen‘ übermittelt bekommt, die der ‚Tisch da draußen‘ auf die beteiligten Sinnesorgane auslöst. Aus den Daten der Sinnesorgane (auch der ‚inneren‘ (propriozeptiven) Sinnesorgane) konstruiert dann das Gehirn sein Bild von der ‚Welt da draußen‘.

14. Es gab bei einzelnen Schwierigkeiten, die subjektive Erkenntnis mit den Daten der modernen empirischen Wissenschaften zu verschränken. Die Schwierigkeit bestand darin, den Wahrheitsgehalt der subjektiven Erkenntisse in den objektiv-empirischen Erkenntniszusammenhang ‚einzubetten‘; die subjektive Erkenntnis wird damit nicht ‚aufgehoben‘, wohl aber ‚zusätzlich interpretiert‘.

15. Die ‚Objektivität‘ wird damit nicht vernichtet, sondern gestärkt. ‚Wahrheit‘ verschwindet nicht, sondern wird dadurch nur differenzierter. Dass es Menschen gibt, die sich ‚Philosophen‘ nennen und die aus den Erkenntnissen der modernen Wissenschaften eine allgemeine ‚Relativierung‘ ableiten, erscheint nicht zwingend, müsste aber in einem längeren differenzierten Gespräch erklärt werden.

E) MENSCH UND COMPUTER

16. Im Nachgespräch einer kleinen Gruppe wurde höchst intensiv die Frage diskutiert, ob und wieweit ein Computer einen Menschen ’nachbilden‘ oder gar ‚ersetzen‘ können. Es wurden sehr viele kluge Dinge gesagt. Die Kernfrage einer Teilnehmerin, wieweit das an die Körperlichkeit gebundene ‚Kinderkriegen‘ durch eine Frau und die damit einhergehende ‚Weiterentwicklung‘ eines Menschen/ der Menschheit durch Maschinen (Computer) ’nachgebildet‘ werden könnte, blieb trotz einiger Argumente noch etwas offen.

F) SELBSTVERNICHTUNG DES MENSCHEN?

17. Im Zusammenhang der aktuellen Diskussion um die kommende ‚Weltherrschaft der Maschinen‘ (Singularitätshypothese, Transhumanismus) kann man den Eindruck gewinnen, dass die Diskussionsteilnehmer ‚wie besoffen‘ von den Fähigkeiten der ’neuen Maschinen‘ sind, ohne sich dabei noch irgendwelche Gedanken über den Menschen zu machen. Das Wunder des Lebens auf der Erde (und damit im Universum), das sich seit ca. 4 Mrd.Jahren in extrem komplexen und erstaunlichen Prozessen abgespielt hat, wird vollständig ausgeklammert. Die vielen grundlegenden Fragen, die sich hier stellen, die alle noch nicht beantwortet sind, werden gar nicht erst diskutiert.

18. Dass die ‚alten Menschenbilder‘ der bisherigen Traditionen (insbesondere auch der großen Religionen (Hinduismus, Judentum, Buddhismus, Christentum, Islam) bei heutigem Wissensstand vielfach nicht mehr adäquat sind, ist eine Sache, aber dann den Menschen quasi einfach in der Versenkung schwinden zu lassen als sich der Herausforderung eines ’neuen Menschenbildes‘ zu stellen, ist nicht nur methodisch unsauber sondern natürlich ein direkter Angriff auf die Gesamtheit des Lebens im Universum schlechthin. Der Mensch schafft sich selbst ab; das ist mehr als Genozid (was eigentlich von der UN geächtet ist).

19. Während ‚Religion‘ eigentlich etwas Existentiell-Empirisches ist, das seine ‚Wurzeln‘ im ‚Transzendenten‘ zu ’spüren‘ meint, scheinen die ‚Institutionen‘ der Religionen eher ‚Machtgetrieben‘ zu sein, die im Konfliktfall das Existentiell-Empirische der Religion bekämpfen. Das Existentiell-Empirische wertet den einzelnen Menschen (jedes Lebewesen!?) grundlegend auf. Religiöse Erfahrung verbindet jeden potentiell mit Gott, was aber eine institutionelle Macht in Frage stellt.

20. Im Kontext der Diskussion um das ‚Neue Menschenbild‘ erscheinen die von den religiösen Institutionen ‚propagierten‘ Menschenbilder daher tendenziell ‚verzerrt‘, ‚partiell‘, ‚irreführend‘. Wenn dies zutrifft – als Autor gehe ich davon aus –, dann helfen die Menschenbilder der institutionellen Religionen uns momentan wenig in der Auseinandersetzung um das ‚Neue Menschenbild‘. Im Gegenteil, sie blockieren den Zugang zu dem ‚je größeren Bild‘ vom Menschen im Universum, vom Leben im Universum, und damit bedrohen sie die ‚Zukunft‘ des Lebens unmittelbar.

G) PROGRAMMENTWURF FÜR So 14.Dez.2014

21. Für die nächste Sitzung wurde von den Anwesenden daher folgender Programmvorschlag formuliert:
22. Eingangsbeispiel eines Experimentes zur ‚Neuen Musik‘ mit kurzem Gespräch
23. Kurze Einführung zum Thema ‚Emotionen‘
24. Erste Gesprächsrunde in kleinen Gruppen (3-4) zum Thema
25. Berichte der Gruppen und Diskussion
26. Eventuell Wiederholung Gesprächsgruppen und gemeinsame Diskussion
27. Mögliche Aufgabenstellung für nächstes Treffen
28. Offener Ausklang

Erste Vorübelegungen zur philosophieWerkstatt v2.0 am 14.12.2014 finden sich HIER.

Einen Überblick über alle bisherigen Blogeinträge nach Titeln findet sich HIER.